Andreas Feldkeller

Jordanien

Herausgegeben von Christoph vom Brocke und Christfried Böttrich

EVAs Biblische Reiseführer

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© 2007 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH, Leipzig

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Gesamtgestaltung: behnelux gestaltung, Halle/Saale

Coverbild: Archiv Biblische Reisen

ISBN 9783374034451

www.eva-leipzig.de

EVAs Biblische Reiseführer

Bereits erschienen:

Band 1: Griechenland

Band 2: Jordanien

In Planung:

Band 3: Westliches Kleinasien

Band 4: Mittleres und östliches Kleinasien

Band 5: Ägypten

Band 6: Israel

Band 7: Syrien

Band 8: Rom

Band 9: Zypern

Übersicht

I. Geographie und geschichtlicher Überblick

II. Das Ostjordanland als Biblische Landschaft

III. Amman (Rabbat Ammon, Philadelphia)

IV. Die Landschaft Gilead

V. Städte der Dekapolis

VI. Am Toten Meer

VII. An der Königsstraße

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Biblische Reiseführer

Übersicht

I. Geographie und geschichtlicher Überblick

II. Das Ostjordanland als Biblische Landschaft

Ostjordanland und Westjordanland in der Bibel

Nachbarvölker im Ostjordanland: Ammoniter, Moabiter, Edomiter

Das Ostjordanland zur Zeit des Neuen Testaments

III. Amman (Rabbat Ammon, Philadelphia)

IV. Die Landschaft Gilead

Nahr az-Zarqa (Jabbok) unddie Ortstradition von Pniel

Tell Deir Alla und die Ortstradition von Sukkot

Tischbe

Mizpa

Mahanajim

V. Städte der Dekapolis

Jerash (Gerasa)

Umm Qeis (Gadara)

Tabaqat Fahl (Pella)

VI. Am Toten Meer

Wadi al-Kharrar mit Tell Elija –»Bethanien jenseits des Jordan«

Qalaat al-Mishnaqa (Machärus)

Ain az-Zara (Kallirhoë)

Ghor as-Safi (Zoar) und Lot-Kloster

VII. An der Königsstraße

Tell Hisban (Heschbon)

Madaba (Medeba)

Nebo

Dhiban (Dibon) und Khirbet Arair (Aroër)

Kerak (Kir-Moab)

Khirbet es-Sela und Buseira (Bozra)

Petra und Umgebung

Anhang

Register

Literaturverzeichnis

Bildquellen

I. Geographie und geschichtlicher Überblick

Jordanien in seinen heutigen Grenzen; das als Westjordanland beschriftete Gebiet wurde 1948 von Jordanien erobert, 1967 von Israel besetzt; 1988 verzichtete Jordanien zugunsten eines zukünftigen Palästinenserstaates

Das Staatsgebiet des heutigen Jordanien besteht zu mehr als drei Vierteln aus Wüste. Nur der westlichste Teil des Landes ist fruchtbares Kulturland auf einer Fläche von ungefähr 15 000 km2 (vergleichbar mit Schleswig-Holstein oder Thüringen). Dieser zumeist nur 30 Kilometer schmale, aber 300 Kilometer sich fast über die gesamte Nord-Süd-Ausdehnung von Jordanien erstreckende Kulturlandstreifen ist es, der uns in diesem Band als biblische Landschaft interessiert: das Ostjordanland.

Auf die Geschichte der letzten 4 000 Jahre gesehen ist es nicht zwingend, das Ostjordanland getrennt von den westlich des Jordan und des Toten Meeres angrenzenden Gebieten zu behandeln, die heute das Staatsgebiet von Israel und die palästinensischen Autonomiegebiete bilden. Ihrer Bevölkerung und ihrer politischen Situation nach haben das Ost- und das Westjordanland zumeist eng zusammengehört. Wo von Palästina die Rede ist, im Sinne der Bezeichnung einer Landschaft und eines Kulturraums, versteht man darunter oft das gesamte Gebiet zwischen Mittelmeer und dem Rand der Wüste, also einschließlich des Ostjordanlandes, das dann ungefähr das östliche Drittel von Palästina bildet.

In politischer Hinsicht ist es erst das Ergebnis von Entwicklungen des 20. Jh., dass wir es heute mit Staatsgrenzen zu tun haben, die es geraten sein lassen, das Ostjordanland getrennt vom Westjordanland zu besuchen. Vorbereitet wurde dies durch die Abtrennung des Emirats Transjordanien vom britischen Mandatsgebiet Palästina 1921, weiter festgeschrieben durch das Ergebnis des Sechs-Tage-Krieges 1967 und durch den Verzicht Jordaniens auf Gebietsansprüche westlich des Jordan im Jahr 1988.

Vor dem 20. Jh. dagegen gab es kaum eine politische Grenze entlang des Jordan, und die klassische arabische Geographie zieht ihre Grenzen eher quer dazu und benutzt dann verschiedene Begriffe für einen nördlichen, einen mittleren und einen südlichen Teil Palästinas.

Wenn man die Landschaftsformationen des geographischen Raums Palästina betrachtet, stößt man allerdings erneut auf Gesichtspunkte, die durchaus eine Unterteilung in mehrere schmale, in Nord-Süd-Richtung verlaufende Landschaftsstreifen sinnvoll erscheinen lassen: Man kann in dieser Landschaft teilweise 200 Kilometer und mehr in Nord-Süd-Richtung reisen, ohne dass sich das Landschaftsbild dramatisch verändert. Bei Reisen in Ost-West-Richtung aber sind immer spätestens nach zehn Kilometern deutliche Veränderungen wahrzunehmen.

Der Grund dafür ist, dass zwischen dem West- und dem Ostjordanland eine plattentektonische Bruchlinie verläuft, wo sich die Landmassen auseinander bewegen und einen tiefen Graben hinterlassen. Geophysikalisch betrachtet gehören West- und Ostjordanland also gerade nicht zusammen!

Wenn man vom Mittelmeer aus nach Osten reist, durchquert man zunächst eine Küstenebene. Dann ist im Herzen des Westjordanlandes ein Gebirgszug zu überqueren, dessen Kammhöhe 700 bis 1 000 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Danach fällt die Landschaft steil ab und erreicht im Jordangraben und am Toten Meer die tiefste Senke der gesamten Erdoberfläche mit bis zu 396 Metern unter dem Meeresspiegel. Östlich des Jordan ist erneut ein Gebirgszug zu erklimmen, der Höhen von über 1 000 Metern aufweist. Damit ist ein Hochplateau betreten, dessen zum Jordangraben hin gelegener Rand noch relativ fruchtbar ist, das dann aber sehr rasch in das Wüstengebiet übergeht, das sich von hier aus über die gesamte arabische Halbinsel erstreckt.

In dieses geographische Schema der Landschaftsformationen eingetragen liegen die biblischen oder im Zusammenhang mit der Bibel interessierenden Stätten Jordaniens entweder unten im Jordangraben auf der Ostseite des Jordan bzw. des Toten Meers (und damit unter dem Meeresspiegel), oder sie reihen sich teilweise über 1 000 Meter höher am fruchtbaren Rand des ostjordanischen Hochplateaus auf.

Die Landschaft Palästina insgesamt gehört zu den Kulturräumen der Erde, in denen die Geschichte der menschlichen Sesshaftwerdung zusammen mit dem Übergang zu einer bäuerlichen Kultur am frühesten vorangeschritten ist. In Jericho, knapp außerhalb von Jordanien an der Grenze zwischen Ost- und Westjordanland gelegen, lässt sich eine durchgehende Besiedelung von etwa 10 000 v. Chr. bis in biblische Zeit nachweisen, beginnend mit einem Heiligtum und einfachen Lehmhütten. Um 8 000–6 000 v. Chr. (man nennt dieses Zeitalter die vorkeramische Jungsteinzeit) war Jericho bereits eine Stadt mit Stadtmauer, Turm und schätzungsweise 3 500 Einwohnern.

Reliefquerschnitt durch Palästina auf der Höhe von Jerusalem

Jericho führte eine Entwicklung an, der im Umfeld einschließlich des Ostjordanlandes weitere Beispiele von Siedlungen folgten, während die Mehrzahl der Menschen dieser Zeit nichtsesshafte Hirten, Jäger und Sammler blieben. Die damals entstandene Spannung zwischen Bauern- und Hirtenkultur spiegelt sich noch in der biblischen Erzählung von dem Bauern Kain und dem Hirten Abel wider (Genesis 4).

Jungsteinzeitlicher Turm in Jericho

Bedeutendste Siedlungen dieser Zeit in Jordanien sind Beidha (wenige Kilometer nördlich von Petra) und Ein Ghazal am nordöstlichen Rand von Amman in Richtung Zarqa gelegen. Ein Ghazal dürfte während der vorkeramischen Jungsteinzeit ebenfalls eine Größe von bis zu 3 000 Einwohnern erreicht haben und ist für seine menschlichen Statuen berühmt, die zumeist ca. 80 Zentimeter groß, zum Teil auch fast lebensgroß waren – hergestellt mit einem Gerüst aus Binsenrohr, das mit einem Kalk-Lehm-Gemisch überzogen wurde. Einige Exemplare sind im Archäologischen Museum in Amman ausgestellt.

Rekonstruktion einer jungstein zeitlichen Rundhausanlage in Beidha

Menschliche Statue aus Ein Ghazal mit Rekonstruktion des Gerüsts aus Binsenrohr

Wichtige Einschnitte der sich daran anschließenden Kulturgeschichte sind die Herausbildung der Keramikherstellung um 6 000 v. Chr. und die Entwicklung der Kupferverhüttung (d. h. der ältesten Metallherstellung überhaupt) um 5 000 v. Chr., danach um 3 200 v. Chr. der Beginn der Bronzeherstellung. Während dieser Zeit können wir eine Aufteilung der städtischen Gesellschaften in verschiedene Berufe beobachten, die es ermöglichten, sich so voraussetzungsreichen Aufgaben wie der Keramikherstellung oder der Metallverhüttung zu widmen. In Jordanien ist als Fundort für diese Zeit besonders Teleilat el-Ghassul hervorzuheben, im Jordangraben, nahe der Mündung des Jordan in das Tote Meer gelegen. Bemerkenswert ist, dass Teleilat el-Ghassul (wie auch andere Siedlungen ihrer Zeit) im Gegensatz zu Jericho völlig ohne Befestigungsanlagen auskam, während in der Stadt für ihre Zeit hoch entwickelte Waffen gefunden wurden. Möglicherweise sorgte die Zuweisung von Wehraufgaben an bestimmte Männer der Gesellschaft dafür, dass sich die sesshafte Kultur nicht mehr von äußeren Feinden aus der nichtsesshaften Kultur bedroht fühlte, die eine solche Rollenaufteilung noch nicht aufwiesen.

In Rujm el-Abd gefundene Stele, Spätbronzezeit, zeigt einen Krieger oder eine Gottheit mit Lanze

Fresko aus Teleilat el-Ghassul

Die Zeit zwischen 3 200 v. Chr. und 1 200 v. Chr. wird wegen der fortschreitenden Verwendung von Bronze, insbesondere zur Waffenherstellung, als Bronzezeit bezeichnet. Eingebürgert hat sich die Untergliederung dieser Epoche in Frühbronzezeit (ca. 3 200 bis 2 150 v. Chr.), Mittelbronzezeit (ca. 2 150 bis 1 550 v. Chr.) und Spätbronzezeit (ca. 1 550 bis 1 200 v. Chr.).

Politisch ist die Bronzezeit davon geprägt, dass in Ägypten und Mesopotamien die ältesten Großreiche der menschlichen Kulturgeschichte entstanden sind. Für den palästinischen Kulturraum entwickelt sich das Stadtkönigtum als vorherrschende Gesellschaftsform. Dennoch ist dieser Raum auch davon geprägt, in der Interessensphäre der Großmächte zu liegen. So konnten die Stadtstaaten von Handelskontakten mit Ägypten und Mesopotamien profitieren, waren aber auch politischen und militärischen Ein- und Übergriffen ausgesetzt.

Die Spätbronzezeit und der Übergang zur Eisenzeit ab ca. 1 200 v. Chr. bedeuten für die ohnehin politisch und militärisch nicht besonders ruhige Region Umbrüche von besonders großem Ausmaß: Im Zusammenhang mit neuen Waffentechniken kommt es zu neuen Verteilungen von Macht. Aus dem Mittelmeerraum dringen die sogenannten Seevölker in den palästinischen Kulturraum ein, die biblisch als Philister in Erscheinung treten. Außerdem beginnen nomadische und kleinbäuerliche Gesellschaften eine eigenständigere Rolle im Kräftespiel der Region zu übernehmen: Aus den spätbronzezeitlichen Amarnakorrespondenzen in Ägypten wissen wir, dass sich die Stadtkönigtümer in Palästina über Schwierigkeiten mit Hapiru beklagten, worunter offenbar zunehmend selbstbewusst auftretende nomadische oder teilnomadische Gruppen zu verstehen sind.

Eine in El-Balua gefundene Reliefstele (um 1 200 v. Chr.), die einen moabitischen König mit zwei ägyptischen Gottheiten zeigt, Ausdruck des ägyptischen Einflusses in der Region

Ergebnis der Umbrüche ist, dass regionale Königreiche entstehen, in denen vermutlich Menschen nomadischer oder bäuerlicher Herkunft größere Chancen zur Partizipation an der Macht hatten als in den Stadtkönigtümern. Für das Westjordanland sind die Königreiche Israel (im Norden) und Juda (im Süden) zu nennen, deren vorübergehende politische Zusammengehörigkeit unter David und Salomo im 10. Jh. v. Chr. wohl mehr im Sinne einer Personalunion zu verstehen ist als im Sinne einer ursprünglichen Einheit. Im Ostjordanland, Israel und Juda benachbart, entstanden auf dem Gebiet des heutigen Jordanien drei weitere regionale Königreiche: das nördlichste davon war das der Ammoniter mit der Hauptstadt Rabbat Ammon, dem heutigen Amman. Weiter südlich, in den an das Tote Meer angrenzenden Gebieten lag das Reich der Moabiter. Eine ihrer wichtigsten Städte war Kir-Moab, das seit der antiken jüdischen Tradition mit dem Ort des heutigen Kerak identifiziert wird. Noch weiter südlich lebten die Edomiter, deren wichtigste Orte Sela und Bozra in der Umgebung des späteren Petra lagen.

Siedlungsgebiete von Ammon, Moab und Edom

Kulturell waren Israel, Juda, Ammon, Moab und Edom einander durchaus recht verwandt. Ablesbar ist dies unter anderem an der für sie alle gemeinsam typischen Hausform, dem sogenannten Vierraumhaus, das um drei Seiten eines Hofes herumgebaut ist.

Untereinander konkurrierten die regionalen Königreiche um Macht und Einfluss, und so kam es auch zu militärischen Auseinandersetzungen. Offenbar haben Israel und Juda zeitweise die Oberhand über ihre östlichen Nachbarn gewonnen, auch wenn man sich dies nicht im Ausmaß eines Großreiches unter König David vorstellen darf, wie es in der Bibel beschrieben ist.

Am ehesten historisch greifbar ist, dass die Moabiter zur Zeit des Königs Joram von Israel (Mitte des 9. Jh. v. Chr.) die israelitische Herrschaft abschütteln konnten (soweit eine solche vorher bestand), denn hierfür gibt es parallel zur biblischen Überlieferung 2 Könige 3 eine außerbiblische Quelle, nämlich eine Stele, die der moabitische König Mescha in Dibon errichten ließ (vgl. S. 103).

Interessant ist die Mescha-Stele nicht nur wegen ihrer historischen Informationen, sondern auch für den Vergleich zwischen moabitischer Religion und israelitischer Religion, den sie ermöglicht. Damit liefert sie einen weiteren Beleg für die Verwandtschaft der Kulturen westlich und östlich des Jordan: Über Kamosch, den Gott Moabs, heißt es ähnlich wie über Jahwe, den Gott Israels, dass er seinem Volk zürnt, dass er vergibt, dass er an die Feinde ausliefert und rettet. Wie im Alten Testament ist auch hier die Rede davon, dass besiegte Feinde als Weihegabe an den Gott vollständig getötet werden (vgl. S. 99).

Ab dem letzten Drittel des 8. Jh. v. Chr. verlieren die regionalen Königreiche ihre politische Eigenständigkeit, und es beginnt in der gesamten Region die Vorherrschaft von einander abwechselnden Großreichen, die sich mit nur kurzen Unterbrechungen fortsetzt bis zur Herrschaft des Osmanischen Reiches und damit bis ins 20. Jh. n. Chr.

Ab 734/33 v. Chr. waren zunächst die Assyrer die eindeutige Vormacht in der Region, der die Edomiter, Moabiter und Ammoniter tributpflichtig wurden. Während das Königreich Juda in seiner Hauptstadt Jerusalem dem letzten Zugriff der Assyrer noch standhalten konnte, wurde das Königreich Israel durch die assyrische Eroberung 722 v. Chr. als politische Größe getilgt. Damit verschwindet es auch als religiöse Größe aus der Aufmerksamkeit der biblischen Erzählung; es gibt nur noch spärliche Notizen über die nördlichen Israeliten östlich und westlich des Jordan. Zur Zeit Jesu begegnen sie uns als die Gemeinschaft der Samaritaner, die im Westjordanland zwischen Judäa und Galiläa angesiedelt sind.

Das Südreich Juda erlosch als politische Größe 587/6 v. Chr. durch die babylonische Eroberung. Aus der Erfahrung des babylonischen Exils aber ging die religiöse Gemeinschaft des Judentums mit einer gestärkten Identität hervor, als ab 539 v. Chr. das Persische Reich an die Stelle des Babylonischen trat und einen Wiederaufbau im Land Judäa gestattete.

Edomiter, Moabiter und Ammoniter überlebten unter babylonischer und (teilweise) persischer Herrschaft mehr oder weniger als kulturelle Größen. Allerdings setzte im 6. Jh. von Süden her ein Verdrängungsprozess durch die arabischen Nabatäer ein, der am schnellsten die Edomiter betraf. Ein großer Teil des edomitischen Volkes wich nach Nordwesten in die südlichen Gebiete von Judäa im Westjordanland aus. Dort entstand in den folgenden Jahrhunderten Idumäa als neues Edom, aus dem König Herodes d. Gr. hervorgehen sollte.

Ab 333 v. Chr. begann für den Vorderen Orient mit den Eroberungen Alexanders d. Gr. wiederum ein neues Zeitalter, in dem griechische Herrschaft etabliert wurde und urbane Zentren mit griechischer Kultur eingerichtet wurden. Aus der Verbindung von griechischer Kultur und einheimischen Kulturen entstand das, was man Hellenismus oder hellenistisch nennt. Um die politische Macht im West- und Ostjordanland stritten sich nach dem Tod Alexanders 323 v. Chr. die beiden Dynastien von Diadochen (Nachfolgern), die sich südlich und nördlich von Palästina etabliert hatten: die Ptolemäer mit Sitz in Alexandria in Ägypten und die Seleukiden, die in Antiochia am Orontes in Syrien ihre Hauptstadt hatten. Nachdem das 3. Jh. v. Chr. von Kriegen zwischen diesen beiden Reichen bestimmt war, setzten sich 198 v. Chr. die Seleukiden endgültig gegen die Ptolemäer durch. Doch Ruhe kehrte damit nicht ein: 167 v. Chr. begann im Gebiet von Judäa der Aufstand der Makkabäer (»Hämmerer«), der 164 v. Chr. auch auf das Ostjordanland übergriff. 140 v. Chr. errangen die Makkabäer ihre politische Unabhängigkeit, und in der Folgezeit entstand das Priesterkönigtum der Hasmonäer, das besonders unter Alexander Iannäus (Regierungszeit 103–76 v. Chr.) seine Machtbasis ausweiten und Teile des Ostjordanlandes erobern konnte. Mit ihm konkurrierten die Nabatäer, die zwischen 84 und 72 v. Chr. ihr Reich vom südlichen Ostjordanland aus bis nach Damaskus ausdehnen konnten.

64/63 v. Chr. erschienen die Römer auf der Bühne des Geschehens, zerstörten die letzten Reste des Seleukidenreiches und übernahmen die Oberherrschaft in Palästina, die sie teilweise nur indirekt ausübten.

Unter ihrem Schutz konnte 37 v. Chr. Herodes d. Gr. aus Idumäa eine Herrschaft etablieren, die sich auf das gesamte West- und Ostjordanland abzüglich der nabatäischen Herrschaftsgebiete im Süden erstreckte.

Nach dem Tod Herodes d. Gr. 4 v. Chr. wurde sein Reich unter vier Nachfolgern (Tetrarchen) aufgeteilt. Judäa und Samaria, die zentralen Gebiete des Westjordanlandes, bildeten zunächst die Tetrarchie des Archelaos, wurden aber 6 n. Chr. unter unmittelbare römische Verwaltung gestellt. In Galiläa (dem nördlichen Westjordanland) und Peräa (dem mittleren Ostjordanland) regierte Herodes Antipas; im äußersten Norden des Ostjordanlandes, der heute teils zu Syrien, teils zu Israel gehört, Philippus. Zwischen diesen Tetrarchien gab es östlich des Jordan noch das Gebiet, das als Zehn Städte (Dekapolis) bezeichnet wird – bestehend aus Städten mit hellenistischer Kultur und deren Umland. Die Territorien der zehn Städte lagen überwiegend nördlich und östlich von Peräa sowie südlich der Tetrarchie des Philippus. Mit der Stadt Skythopolis und ihrem Umland gehörte auch ein kleines Stück des Westjordanlandes dazu. Der genaue politische Status der Dekapolis ist umstritten und auch die Frage, ob es die Dekapolis als solche zur Zeit Jesu überhaupt schon gegeben hat. Eine relativ enge Anbindung an das Römische Reich ist jedenfalls anzunehmen (vgl. S. 57).

In den Jahren 67–70 n. Chr. (lokal bis 73 n. Chr.) wurde Palästina vom Jüdischen Krieg erschüttert, der das Römische Reich dazu nötigte, einen großen Teil seiner militärischen Schlagkraft gegen einen regional begrenzten Aufstand einzusetzen. Von dem Krieg war auch das Ostjordanland betroffen; insbesondere die Festung Machärus oberhalb des Toten Meers (vgl. S. 81) war einer der am erbittertsten umkämpften Schauplätze.

Nach dem römischen Sieg im Jüdischen Krieg (der im Bar-Kochba-Aufstand 132–135 n. Chr. ein Nachspiel hatte) gelang es dem Römischen Reich im Jahr 106 n. Chr. auch noch, die Macht der Nabatäer im südlichen Ostjordanland zu brechen und ihr Reich zu einer neuen römischen Provinz Arabia zu machen. Der Zusammenbruch der nabatäischen Handelsmacht führte während des 2. Jh. n. Chr. zu einem wirtschaftlichen Aufschwung in den nördlicheren Regionen des Ostjordanlandes, dessen Spuren vor allem noch in Amman und in Jerash zu erkennen sind.

Politische Gliederung von Palästina zur Zeit Jesu

Während der folgenden Jahrhunderte bildete der fruchtbare Teil des Ostjordanlandes die Ostgrenze des Römischen Reiches zur arabischen Wüste hin. Während des 4. Jh. n. Chr. wurde das Christentum im Römischen Reich zunächst als erlaubte Religion neben anderen zugelassen (Kaiser Konstantin) und später als verpflichtende Staatsreligion eingeführt (Kaiser Theodosius 380). Das christianisierte und nach einer Teilung auf den östlichen Mittelmeerraum begrenzte Oströmische Reich wird auch als Byzantinisches Reich bezeichnet. Zu diesem gehörten Teile des Ostjordanlandes noch bis zum ersten Drittel des 7. Jh. n. Chr., während andere Teile unter der Kontrolle der Ghassaniden standen, eines christlichen Araberstammes und byzantinischen Vasallen. Aus der byzantinischen Epoche stammen zahlreiche Kirchenbauten, deren Ruinen und deren Mosaikenkunst an einer ganzen Reihe der hier zu besprechenden Orte besichtigt werden können.

In den Jahren 634 bis 636, kurz nach dem Tod des Propheten Muhammad, wurde das Ostjordanland von den muslimischen Arabern erobert. Eine für das Byzantinische Reich insgesamt entscheidende Schlacht fand bei Fahl (Pella) statt (vgl. S. 72). Die Muslime konnten ihre Herrschaft anschließend innerhalb weniger Jahrzehnte auf Kosten des Byzantinischen und des Persischen Reiches nach Westen bis zur Libyschen Wüste und nach Osten bis an die Grenzen Indiens ausweiten.

UmayyadenAbbasiden