Räuber und Räuberbanden im deutschsprachigen Raum

Horst-Dieter Radke

Inhalt

Vorwort

I. Räuber und Banden im Laufe der Zeit

II. Raub und Mord im Mittelalter und der beginnenden Neuzeit

1. Räuber, Vaganten, Wegelagerer und Bettler

2. Raubritter

III. Die Situation im 17. Jahrhundert

1. Nicol List – der Mann, der durch Türen ging

2. Lips Tullian und seine schwarze Garde

3. Die alte Liesel

4. Die große Siechenbande

IV. Die große Zeit der Räuber und Banden im 18. und 19. Jahrhundert

1. Räuber und Räuberbanden in Norddeutschland

1.1 Die große Niederländische Räuberbande

1.2 Mathias Weber – der Fetzer

1.3 Christian Andreas Käsebier

1.4 Dolf Mohr

2. Räuber und Räuberbanden im Rheinland

2.1 Die Moselbande

2.2 Schinderhannes

2.3 Der alte Schwarzpeter (Johann Peter Petri)

2.4 Damian Hessel und Franz Josef Streitmatter

3. Räuber und Räuberbanden zwischen Rhein und Elbe

3.1 Wetterauer und Vogelsberger Bande

3.2 Die Hölzerlips-Bande

3.3 Karl Stülpner, der sächsische Robin Hood

3.4 Noch ein Räuber aus dem Erzgebirge: Karl May

4. Räuber und Räuberbanden beiderseits des Mains

4.1 Mannefriedrich (Philipp Friedrich Schütz)

4.2 Johann Adam Hasenstab, der Robin Hood des Spessart

4.3 Johann Adam Heusner

4.4 Die große Fränkische Diebes- und Räuberbande

5. Räuber und Räuberbanden in Süddeutschland

5.1 Das Sonnenwirtle aus Eberbach

5.2 Der Konstanzer Hans (Johann Baptist Herrenberger)

5.3 Der schlimme Hannikel und seine Bande (Jakob Reinhard)

5.4 Der Schwarze Veri

5.5 Elisabetha Gaßner, die Schwarze Lies

5.6 Der Malefizschenk

5.7 Die Schwarze Lies und der Malefizschenk

5.8 Franz Paul Seidel und seine Räubereyen

5.9 Franz Troglauer

5.10 Der bayerische Hiasel (Matthias Klostermayr)

5.11 Der Robin Hood des Bayerischen Waldes: Michael Heigl

5.12 Mathias Kneißl

6. Räuber und Räuberbanden in Österreich und der Schweiz

6.1 Räuber Grasel

6.2 Der Krapfenbäck Simerle (Simon Kramer)

6.3 Holzknechtseppl und die Stradafüßlerbande

6.4 Klara Wendel und der Gauner- und Kellerhandel (Schweiz)

V. Banditen des 20. Jahrhunderts

1. Karre Franz, der letzte Wilderer des Spessart

2. Auf Befehl des Führers erschossen: Die Brüder Sass

3. Der Al Capone von der Pfalz

VI. Über die Gaunersprache

VII. Räuber in Kunst und Literatur

VIII. Texte

1. Raubritter Caspar Gans von Putlitz

2. Götz von Berlichingen

3. Lips Tullians Ende

4. Käsebier und die Bauern

5. Carl Stülpner wird Wildschütz

6. Über das Ende des Räuberhauptmanns Holzknechtseppl

7. Gedichte des Mannefriedrich

8. Was mir die alte »Gehannese Bas« vom Schinderhannes erzählte

9. Der Konstanzer Hans

10. Des schwarzen Veris Tod

11. Elisabeth Gassner und Graf Schenk von Castell

12. Hinrichtung des Matthias Klostermayr, der Baierische Hiesel

13. Klara Wendel, oder der Schultheiß Keller’sche Mord in Luzern (1816–1826)

14. Räubermärchen und -sagen

14.1 Der Name Gans von Putlitz

14.2 Nickel List in der Lüneburger Heide

14.3 Die Räuber in der Klause des Eremiten

14.4 Der Räuberbräutigam

14.5 Das Mädchen von Schwarza

14.6 Der Schinderhannes

Bildtafeln

Anhang

1. Verwendete Literatur

2. Räuberorte (Museen u. a.)

Bildnachweis

Vorwort

Wer hat als Kind nicht Räuber und Gendarm gespielt? Nun gut, manchmal hieß es einfach nur »Verstecken«. Wie viel Wahrheit in Bezug auf Räuber aber schon in diesem so einfachen Begriff liegt, zeigt sich, wenn man sich näher mit dem Räuber(un)wesen in den deutschen Landen seit dem Mittelalter beschäftigt.

Gerne wird der Räuber romantisch stilisiert und zum Wohltäter der Besitzlosen ernannt. Wenngleich in nicht wenigen Fällen die Verhältnisse Ausgangspunkt und Ursache für Raub, Diebstahl und Wildererei waren, so ist doch in den wenigsten Fällen von Wohltaten auszugehen. Das Räuberleben selbst war in der Regel alles andere als romantisch. Man war auf der Flucht, musste sich verbergen und konnte selten für längere Zeit am selben Ort verweilen.

Bücher über Räuber und Räuberbanden gibt es viele, insbesondere für die Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts. Bei der Anfertigung dieser Arbeit wurden einige davon zu Hilfe genommen (siehe Quellenverzeichnis am Ende des Buches). Was aber bislang fehlt, ist eine Darstellung des Räuberlebens vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Dieses Buch ist ein Versuch, solch eine Übersicht zu geben, zumindest in groben Zügen, denn eine vollständige Beschreibung konnte bei dem vorgegebenen Umfang keineswegs auch nur angestrebt werden.

Teil I

Räuber und Banden im Laufe der Zeit

Kaum vergeht ein Tag, an dem in der Zeitung keine Notiz über Diebstahl oder Raub zu finden ist. Gelingt der Diebstahl auf spektakuläre Weise, berichten darüber auch die Medien, wie etwa über den Raub der 100 Kilogramm schweren Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum im Jahr 2017. Räuber, und Zusammenschlüsse mehrerer Räuber als Banden, sind jedoch kein Phänomen der heutigen Zeit. Es gab sie schon immer. Sie sind in der Antike dokumentiert und in Sagen und der Literatur verarbeitet, finden sich in der Bibel (an Stelle von Jesus wurde ein Räuber, Barrabas, zum Pessachfest freigelassen) und bilden sich indirekt in Gesetzen und Gerichtsordnungen ab. Es gab sie zu See und zu Lande. Seeräuberei und Piraterie werden in diesem Buch aber ausgeklammert. Es ist ein eigenes Thema, das den Rahmen sprengen und ein eigenes Buch erfordern würde. So ist es auch dem beschränkten Umfang geschuldet, dass ausschließlich die Räuber im deutschsprachigen Raum behandelt werden. Zu den Räubern gerechnet werden jedoch die Wilderer, zumal manche sich nicht nicht nur auf die Wilderei beschränkten und mancher sogar bis heute mit einer positiven Deutung belegt wird.

Während Räuber von der Justiz immer als etwas Auszusonderndes angesehen werden, betrachten Literaten und Wissenschaftler diese auch aus anderen Perspektiven. Walter Benjamin (1892–1940) sieht in der Geschichte der Räuberbanden einen Teil der Kulturgeschichte Deutschlands und Europas. »Wenn die Räuber nichts anderes vor den übrigen Verbrechern voraus hätten, so blieben sie immer noch die Vornehmsten unter allen, weil sie als einzige eine Geschichte haben.«1 Damit bezieht sich Benjamin auf die Räuberfamilien, die teilweise über mehrere Geschlechter gingen, die eigene Sitten und Gebräuche und sogar eine eigene Sprache – das Rotwelsch – hatten. Ob dies allein ausreicht, um die Räuberbanden von anderen »Verbrechern« abzugrenzen, lässt sich diskutieren, zumal die Grenzen nicht scharf waren. Mancher Räuber wurde auch zum Mörder.

Für das Entstehen der Räuberbanden zu gewissen Zeiten gab es gesellschaftliche Gründe – genau wie auch dafür, dass sie wieder verschwanden. Diesen Entwicklungen soll in diesem Buch nachgespürt werden. Dazu werden biografische Artikel einzelner Räuber und berühmter Banden vorgestellt. In einem gesonderten Kapitel wird den Spuren nachgegangen, die die Räuber in der Literatur hinterlassen haben.

1 W. Benjamin (siehe Literaturverzeichnis im Anhang)

Teil II

Raub und Mord im Mittelalter und der beginnenden Neuzeit

Die Wege waren unsicher im frühen Mittelalter. Straßenraub durch einzelne Räuber, weniger durch Räuberbanden, war an der Tagesordnung. Feste Banden gab es ohnehin selten, meist war es der lose Zusammenschluss verschiedener Akteure. Man war gut »vernetzt«, würde man heute sagen. Die Rechtsprechung war darauf vorbereitet, nicht jedoch die Strafverfolgung. Räuber waren schwer zu fassen. Oft wurden sie in den Städten aufgegriffen, wo sie das Diebesgut veräußern wollten. Besser war es, sie auf frischer Tat zu erwischen. Das war allerdings nicht einfach.

Eine besondere Ausprägung waren die sogenannten Raubritter, die einerseits durch Schutzzahlungen Kaufleuten freien Durchzug durch ihre Gebiete gewährten und andererseits tatsächlich Überfälle tätigten und Raub vornahmen. Schutzgelderpressung hat also eine lange Tradition. Berühmtester Fall ist Richard Löwenherz, der im Dezember 1192 in Wien von Leopold V. gefangen genommen wurde, im März 1193 an den Kaiser Heinrich VI. übergeben und auf der Burg Trifels gefangen gehalten wurde. Gegen eine Lösegeldzahlung von 100.000 Mark in Silber wurde der englische König im Februar 1194 freigelassen.

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Räuber, Vaganten, Wegelagerer und Bettler

Wer nun ein Räuber war und wer nicht, das ließ sich nicht immer eindeutig auseinanderhalten. So schrieb etwa Martin Luther (1483–1546) in einem Vorwort zum »Liber vagatorum«, dass zwischen den wandernden Bettlern (Vaganten) und Räubern der Unterschied so schwer zu finden sei wie zwischen vielen Handelsleuten und Räubern.

Das Liber vagatorum, auch Buch der Vaganten oder Buch über den Bettlerorden, war ein Bestseller der frühen Neuzeit. Es berichtete in drei Teilen über die unterschiedlichen Bettlertypen und führt eine Vokabelliste des Rotwelschen, der Gauner- und Vagabundensprache, auf. Erstmals erschien das Liber vagatorum um 1510, der Teil über das Rotwelsch der Gauner wurde aber aus dem bereits 1450 erschienenen »Basler Rathsmandat wider die Gilen und Lamen« übernommen. Martin Luther gab es im Jahr 1528 unter dem Titel »Von der falschen Bettler und Büberei« heraus und schrieb ein Vorwort dazu. Über die Autorschaft gibt es verschiedene Zuschreibungen und Vermutungen. Wer das Buch letztendlich geschrieben hat, kann mit Sicherheit nicht mehr bestimmt werden. Die Einleitung lautet: »Hienach volgt ein hübsches Büchlein genat Lieber vagatori dictiert von eim hochwirdigen maister nomine expertus in trusis dem Adone zu lob und ere-sibi in refrigeriu et solaciu / allen menschen zu einer vnderweisung vnd lere / vnnd denen die diße stück brauchen zu einer besserung vnd bekerung.«

Die Titelseite des Liber vagatorum.

Dr. Albert Depiny1 berichtet in seinem Oberösterreichischen Sagenbuch von einer Räuberbande, die im 14. und 15. Jahrhundert in der Gegend von Linz viel Unheil anrichtete. Einen der Räuber fing man und hängte ihn. Die Bande rächte sich, entführte die Tochter eines Ratsmitgliedes und mauerte sie in einer Höhle an der Steilwand des Freinberges an der Donau ein. Ein weiterer Räuber, den man fing, verriet das Versteck des Mädchens und man fand es noch lebend an. Eine Quelle in der Höhle hatte es am Leben gehalten. Man fasste die Quelle ein und leitete sie in eine neu errichtete Kapelle, die im 17. Jahrhundert erneuert wurde.

Eine andere Sage in der Sammlung von Depiny berichtet, dass sich um 1560 unter der Anführung des Lambacher Wirtes Höritzer viele Männer und Frauen aus der Gegend in der Eismannstaferne – die später ein Bauernhaus in der Gemeinde Neukirchen bei Lambach wurde – zusammenrotteten, das Land verheerten und viel Mutwillen trieben. Auch Welser Bürger sollen darunter gewesen sein. Während eines Gelages wurden sie jedoch überfallen und getötet. Drei Steinsäulen wurden errichtet, bei denen jeweils 500 Menschen begraben liegen sollen. 1777 haben die Säulen noch gestanden.

In der linksrheinischen Umgebung von Köln, insbesondere an der Straße nach Aachen, trieben Ludwig von Tetz und seine Räuberbande im frühen 16. Jahrhundert ihr Unwesen. Sie überfielen Bauern auf dem Feld, Kaufleute auf der Straße, vergewaltigten junge Mädchen, raubten Häuser aus und brachen auch in Kirchen ein. Tetz führte manche seiner Räubereien alleine aus, meist jedoch zu zweit oder zu dritt oder mit einer ganzen Bande, die sich je nach Umstand zusammenfand. Friedrich Boefeler, Johann Kaufmann und Johann Heckenlieger gehörten zu seinem engsten Kreis. Als einzige Frau ist Ludwigs Konkubine Anna von Gelsdorf als Täterin in den Verhörprotokollen genannt. Als man ihn 1527 endlich fasste, unterzog man ihn und einige seiner Gesellen einem Verhör, zu dem vermutlich auch die Folter gehörte. 17 Morde und manche andere Straftat gestand er. Nicht nur aus eigenem Antrieb hatte er gehandelt, sondern auch im Auftrag anderer. Am 9. Oktober des gleichen Jahres wurde er an der Hinrichtungsstätte Rabenstein bei Melaten vor den Toren Kölns gerichtet. Ihm wurden zunächst die Glieder mit einem eisenbeschlagenen Rad zerstoßen. Anschließend band man ihn an das aufgestellte Rad, an dem er hängen blieb, bis er nach einem halben Tag starb.

Der Rabenstein war eine Hinrichtungsstätte westlich von Köln, nahe dem »hoff to Malaten«, wo vom Ende des 13. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts öffentliche Exekutionen von Straftätern und Schwerverbrechern stattfanden. Heute ist sie im Stadtteil Lindenthal zu verorten. Vom Gefängnis am Kölner Dom wurden die Verurteilten in einem Armesünderkarren zum Rabenstein gebracht. Ein gemauertes Rondell diente der ehrenhaften Hinrichtung durch das Schwert. Unehrenhafte Exekutionen fanden am Galgen oder mit dem Rad statt. In einer Bodensenke – der sogenannten Kesselkuhle – wurden zum Feuertod Verurteilte verbrannt. Dies Urteil traf vor allem Ketzer, zu denen im 16. und 17. Jahrhundert auch Protestanten zählten.

Die Art und Weise der Hinrichtung des Ludwig von Tetz erweckt den Eindruck, dass Räuber im Mittelalter grundsätzlich nichts anderes zu erwarten hatten als den Tod. Das ist allerdings nicht so. Die Hinrichtung war im Grunde nur das letzte aller Mittel. In der Regel wurden zunächst andere Strafen verhängt: Kerker, für Totschlag Geldzahlungen und Bußwallfahrten, Stadt und Landverweis. Erst wenn jemand wiederholt straffällig geworden war oder ihm gleich eine ganze Reihe von Straftaten nachgewiesen werden konnten, musste er mit einer Hinrichtung rechnen. Der Nürnberger Scharfrichter Meister Franz bilanzierte für seine Tätigkeit 361 Hinrichtungen und 345 Delinquenten, die am Leib gestraft wurden; durch Rutenschläge oder das Abschneiden von Ohren und Fingern.

Hinrichtung auf dem Rondell von Rabenstein.

Geht man in Nürnberg vom Unschlittplatz aus über den hölzernen Henkersteg hinüber zur Pegnitzinsel, so gelangt man am Ende zum Henkerhaus. Ein Besuch lohnt sich allemal, denn man erfährt nicht nur viel über den Scharfrichter Franz Schmidt (um 1555–1634), sondern auch über sein Handwerk.

Geboren wurde Franz Schmidt in Hof als Sohn eines Scharfrichters. Er übernahm den Beruf seines Vaters und übte ihn zunächst im Bamberger Raum aus. Von Mai 1578 bis Ende 1617 war er in Nürnberg als Scharfrichter tätig. Schmidt nahm sein Handwerk ernst und bemühte sich, die mit seinem Beruf zusammenhängende gesellschaftliche Ächtung loszuwerden. Er heiratete 1579, erwarb 1593 das Bürgerrecht und betätigte sich, wie viele seiner Berufskollegen, auch auf medizinischem Gebiet. Er führte ein Tagebuch über die von ihm vollzogenen Strafen und bemühte sich, diese so zu vollstrecken, dass dem Delinquenten möglichst wenig Leid geschah. Auf seine Interventionen hin wurden die Strafen des Ertränkens für Kindesmord gnadenhalber in die Schwertstrafe verwandelt. 1617 gab er seinen Dienst als Scharfrichter auf. 1624 wurde er von Kaiser Ferdinand II. für »ehrlich« erklärt. Sein Grab ist auf dem Nürnberger Rochus-Friedhof zu finden.

Oftmals rekrutierten sich die Wegelagerer, Räuber und Banden aus Söldnern und ehemaligen Soldaten. Wurden ihre Dienste nicht mehr benötigt, da der Krieg vorbei war oder – was nicht selten vorkam –, sie nicht mehr von ihren Herren bezahlt werden konnten, zogen sie mittellos durch das Land und bedienten sich dort, wo sie etwas fanden. Zuerst traf es oftmals den nächstbesten Wanderer oder herumziehende Händler. Im weiteren Verlauf kam es dann gezielt zu Einbrüchen und Überfällen.

1 Depiny, S. 218

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Raubritter

Der Begriff »Raubritter« ist eine späte Wortschöpfung und die Diskussion um das räuberische Rittertum sehr kontrovers. Im Übergang vom 14. zum 15. Jahrhundert, als die Städte erstarkten und allmählich die Geldwirtschaft die Naturalwirtschaft zurückdrängte, zudem neue Waffen den Ritterheeren kaum noch Bedeutung zukommen ließen, verschlechterte sich auch die Ertrags- und Vermögenssituation der Ritter. Ihre Notlage versuchten sie durch Straßenraub und Erpressung von Löse- und Schutzgeldern zu überwinden. Nicht immer jedoch sind Raub und Fehde deutlich auseinanderzuhalten.

Ein berühmter sogenannter »Raubritter« war Caspar Gans von Putlitz, ein märkischer Ritter, dem die Preußen-Chronik aus dem Jahr 1397 bereits testierte, zusammen mit den Herren Bredow, Quitzow und Rochow ein schlimmer Geselle gewesen zu sein, da sie Städte und Dörfer überfielen, Vieh von den Weiden raubten, Morde und andere Straftaten begingen und das Fehdewesen sich ungehemmt ausbreiten ließen. Diese Klassifizierung als Raubritter hing ihnen lange an. Fontane kam in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg im Jahr 1889 zu einer anderen Einschätzung und stellte die Klassifizierung als Raubritter infrage, insbesondere weil er die zeitgenössischen Quellen als parteiisch und stigmatisierend ansah. Er bezieht sich weitgehend auf die eher neutralen Beschreibungen des preußischen Archivars Georg Wilhelm von Raumer (1800–1856).

In einem Frühwerk von Karl May, »Der beiden Quitzows letzte Fahrten«, veröffentlicht in der Zeitschrift »Feierstunden am häuslichen Heerde« in den Jahren 1876/77, kommt Caspar Gans von Putlitz zu literarischen Ehren und wird dort folgendermaßen charakterisiert:

»Obgleich die Gänse sonst nicht sehr großer Ehre und Auszeichnung genießen, war die Gans von Putlitz doch von jeher ein gar berühmter und gefürchteter Vogel gewesen, um dessen Freundschaft die Parteien sich stets sorgsam bemüht hatten. Besonders hatte Herr Caspar es stets verstanden, sich in Ansehen und Würde zu setzen, so daß selbst der Kaiser ihn mit Aufmerksamkeiten bedachte und auch der Markgraf sich bemühte, seine Freundschaft zu erwerben; aber er war ein gar hainebuchener Charakter, der die höfischen Sitten und Gebräuche nimmer leiden mochte und auch seinen alten, langjährigen Verbündeten die Treue nicht brechen wollte.«1

Hintergrund war die Machtübernahme der Hohenzollern nach dem Ende der askanischen Herrschaft in der Mark Brandenburg. Dazwischen lagen fast einhundert Jahre, in der Unsicherheit und Instabilität herrschten. Nicht nur die Quitzow und Gans von Putlitz, auch andere Adelsfamilien und sogar der Konvent im Lehniner Zisterzienserkloster bedienten sich rüder Methoden. Nach der Machtübernahme der Hohenzollern kam es auch zu einer Aussöhnung mit dem Prignitzer Adel.

Die Fehde gründete auf dem Hausfrieden der Germanen. Wurde dieser von außen gestört, so diente die Fehde (faida) dazu, ihn wieder herzustellen. Der Begriff Fehde lässt sich über das Mittelhochdeutsche (vêhede, gevêhede) zurück zum Althochdeutschen (fêhida, gifêhida = feindselig) verfolgen. Zunächst war es ein Mittel zur Regulierung von Rechtsbrüchen unter Freien. Der Knecht und die Frau waren nicht fehdefähig. Der Hausherr trat dafür ein. Im Mittelalter erweiterte sich die Fehde derart, dass große Fehden zwischen Ritterbünden und Städten vorkommen konnten. Die Kirche bemühte sich bereits im 10. Jahrhundert um Einschränkung des Fehderechts, die Kaiser des 13. und 14. Jahrhunderts ebenfalls – mit wenig Erfolg. Erst mit dem »Ewigen Landfrieden« (1495) wurde die Fehde endgültig verboten. Zwar kam es auch danach noch zu Fehden, doch enden diese sämtlich mit Ächtung und Vertreibung der Landfriedensbrecher. Die Grumbachsche Händel im Jahr 1567 war die letzte Fehde und führte zu lebenslanger Festungshaft für den Herzog Johann Friedrich II. den Mittleren von Sachsen-Coburg-Eisenach. Fehdebrecher war eigentlich der Ritter Wilhelm von Grumbach, den Friedrich der II. aber aufnahm und unterstützte, weshalb ihn auch die Strafe Kaiser Maximilians II. traf. Grumbach wurde exekutiert, Friedrich II. starb nach 29-jähriger Haft. Nicht immer kam es zu solch harten Bestrafungen. Oft ließ man die »Urfehde« schwören, womit ein Verzicht weiterer Fehdehandlungen gemeint war.

Die Familie Gans Edle Herren zu Putlitz gehört zum märkischen Uradel und besteht noch heute. Der Nachfahre Gebhard zu Putlitz gibt an, dass wohl Ritter Johannes den Übernamen Gans trug, weil die Herkunftsburg bei Politz Gänseburg genannt wurde. Diese Gänseburg wird vermutlich ein großer, befestigter Hof gewesen sein, in dem möglicherweise erfolgreich Gänsezucht betrieben wurde. Es gibt aber auch eine Sage, die dies etwas anders darstellt: Als einziger Überlebender einer Schlacht soll der junge Graf von Mansfeld im Jahre 1115 gesagt haben: Hier stehe ich wie eine verflogene Gans, was ihm dann den Namen für seine Familie gab.2 Reste der Burg sind heute noch in Putlitz zu sehen. Nachfahr Gebhard Gans Edler zu Putlitz übte übrigens bis zu seinem Tod die Schirmherrschaft über den Putlitzer Preis aus, ein literarischer Preis, der jährlich von den »42er Autoren« vergeben wird.

Literarisch setzte man sich mit dem Räuber- und Raubrittertum bereits in der mittelhochdeutschen Literatur auseinander. Wernher der Gartenaere, ein Autor aus dem 13. Jahrhundert, beschreibt in seiner Verserzählung Meier Helmbrecht, wie sich ein Bauernsohn – genauer: der Sohn eines Gutsverwalters –, der durch günstige Umstände an eine Ritterhaube gekommen ist, aufmacht, selbst Ritter zu werden. Um es leicht zu haben, schließt er sich einer Raubritterbande an und zieht mit ihnen mordend und plündernd über Land. Er kehrt einmal zu seiner Familie zurück, um sich mit seinen Erfolgen zu brüsten und kann die Schwester dazu überreden, einen Raubkumpanen zu heiraten. Trotz eindringlicher Bitten der Eltern will der junge Helmbrecht von diesem leichten Leben nicht lassen. Bei der Hochzeit jedoch wird die Bande überwältigt. Alle werden gehängt – Helmbrecht jedoch als zehnter am Leben gelassen. Dafür sticht man ihm die Augen aus und hackt ihm je einen Fuß und eine Hand ab. Die Eltern verstoßen ihn, so dass er ohne Orientierung im Wald umherirrt. Bauern, die er zuvor geplündert hat, finden ihn und hängen ihn auf.

Diese Versnovelle ist keine realistische Beschreibung einer bestimmten historischen Person, sondern eher als Lehrstück gedacht. Der junge Helmbrecht verstößt gegen alle damaligen gesellschaftlichen Regeln und stellt die Ordnung generell in Frage, insbesondere indem er gegen das vierte Gebot (du sollst Vater und Mutter ehren …) verstößt. So etwas kann natürlich nicht gut gehen. Entsprechend endet das Stück in einer Katastrophe und dem Tod der Hauptfigur des Stückes.

Gustav Freytag (1816–1895) hat die mittelhochdeutsche Verserzählung in seinen »Bildern aus der deutschen Vergangenheit« in eine Prosaerzählung übertragen. Zur gesellschaftlichen Situation schreibt er: »Groß war in den Jahren des reisigen Minnegesanges die Abneigung zwischen Hof und Dorf, zwischen höfisch und bäurisch; die Ritter sahen aus ihrer Trinklaube hochmütig auf die Dorflinden und den grünen Anger hinab, die Bauern feindselig auf die gepanzerte Schar am Waldesrand. Viele Jahrhunderte hatten gearbeitet, den Stolz des Landmanns zu verringern; nicht nur, wer den Ritterschild trug, auch der Handwerker in der Stadt fühlte sich in besserem Recht und höherer Kunst als der Bauer.«3 Allerdings hatte der Bauer noch eine deutlich andere Stellung als der Leibeigene und fühlte sich als Freier, der mit eigenem Schwert zur Versammlung an der Gerichtsstätte des Dorfes ging. Nur so ist verständlich, dass sich ein Bauernsohn aufmacht, ein Ritter zu werden. Und auch nur so ist verständlich, dass er dafür am Ende von Bauern gerichtet wird.

Eine der bekanntesten und schillerndsten Figuren, die nicht selten auch mit der Bezeichnung Raubritter belegt wird, und die uns bis heute zumeist von der Bühne bekannt ist, ist der Reichsritter Gottfried »Götz« von Berlichingen (um 1480–1562). Obwohl Johann Wolfgang von Goethes Drama auf der Autobiografie Berlichingens fußt, ist es doch nicht historisch korrekt.

Gottfried von Berlichingen war das jüngste von zehn Kindern des Kilian von Berlichingen aus Jagsthausen. Seine Mutter war Margaretha von Thüringen. Er besuchte die Klosterschule in Niedernhall am Kocher, aber wohl nicht lang, denn schon im Alter von ungefähr 14 Jahren trat er in die Dienste seines Onkels Konrad von Berlichingen und begleitete ihn bei zahlreichen Unternehmungen. Nach dem Tod Konrads war er zunächst Türhüter bei Markgraf Friedrich II. in Ansbach, später dann Knappe bei Veit von Lentersheim, den er in den Schweizerkrieg begleitete.

Als freier Ritter schloss er sich bereits früh mit seinem Bruder Philipp dem Ritter Hans Talacker von Massenbach an, der sich vor allem durch Plünderungen, Wegelagerei und Brandschatzungen hervortat. Sein Vetter Neidhart von Thüngen konnte ihn zunächst vor dem Schlimmsten bewahren, indem er ihn immer rechtzeitig von Talacker abzog. Bei der Belagerung Landshuts im Jahr 1504 verlor Götz seine rechte Hand. Er ließ sich daraufhin eine »eiserne Hand« anfertigen, eine Prothese der Art, wie sie damals üblich war. In den folgenden Jahren nahmen die Fehden, in die Götz von Berlichingen verwickelt war, zu. Er stritt mit dem Bischof von Bamberg, mit Nürnberg, mit den Kölnern. Im Jahr 1512 verhängte Kaiser Maximilian die Reichsacht über ihn, die erst wieder aufgehoben wurde, als er im Mai 1514 das Versprechen gab, 14.000 Gulden Schadenersatz zu leisten. Es folgten jedoch weitere Fehden und bereits im Jahr 1518 die nächste Reichsacht. 1519 nahm ihn der Schwäbische Bund gefangen und setzte ihn in Heilbronn in Haft. Erst im Jahr 1522 entschloss sich Götz dazu, die Urfehde zu schwören und kam gegen Zahlung von 2000 Gulden und Ersatz der Verpflegungskosten frei. Er zog sich auf Burg Hornberg zurück, die er bereits 1517 gekauft hatte, und blieb ruhig, bis 1525 der Bauernkrieg ausbrach.

Um seine Burg und seine Besitzungen zu schützen, sah Götz sich gezwungen, einen Vertrag mit den Bauern zu schließen, als der Odenwälder Haufen unter Führung Georg Metzlers in seine Nähe kam. Er musste die Führung der Bauern übernehmen, belagerte mit ihnen Würzburg, war an der Besetzung von Amorbach beteiligt und ließ die Plünderung der dortigen Benediktinerabtei zu. Andererseits konnte er manche Zerstörung verhindern. Bei der Wildenburg im Odenwald gelang ihm das jedoch nicht. Nach Niederschlagung des Bauernaufstands wurde er vor Gericht gestellt, wo er sich mit dem Hinweis rechtfertigte, er habe Schlimmeres verhindern wollen. Das Reichskammergericht glaubte ihm und sprach ihn im Oktober 1526 schuldlos, doch betrieb der Schwäbische Bund weiterhin seine Verfolgung, nahm ihn im November 1528 gefangen und hielt ihn bis März 1530 in Augsburg im Kreuz-Torturm fest. Er kam schließlich frei, indem er erneut Urfehde schwor. Außerdem musste er mehrere Versprechen abgeben: sich nur noch im Bereich seiner Burg Hornfeld aufzuhalten, kein Pferd mehr zu besteigen und keine Nacht außerhalb des Schlosses zu verbringen. Die Bischöfe von Mainz und Würzburg forderten zusätzlich noch eine hohe Entschädigung.

Götz von Berlichingen hielt sich weitgehend an die Auflagen und verließ die Gemarkung seiner Burg nicht mehr. Erst 1540 löste der Kaiser ihn aus seiner Acht, weil er den kriegserfahrenen Ritter bei seinem Kampf gegen die Türken brauchte. Der Sechzigjährige zog noch einmal in den Krieg, nachdem er binnen kurzer Frist hundert Ritter für den Kaiser zusammenbekommen hatte. Dieser Kriegszug war nicht von Glück gesegnet, Götz kehrte jedoch unbeschadet zurück zu seiner Burg. Er zog dann noch einmal mit Karl V. gegen die Franzosen, erkrankte dabei an der Ruhr, lebte nach dem Friedensschluss jedoch seine letzten Jahre auf Burg Hornberg, bevor er am 23. Juli 1562 »uber etlich und achtzig Jahr alt« starb. Er ist im Kreuzgang des Klosters Schöntal beigesetzt.

Vor seinem Tod hatte er noch eine Art Autobiografie geschrieben, die sich jedoch eher wie eine Rechtfertigung liest. Ein kleiner Auszug daraus ist im Kapitel 8 abgedruckt. Götz von Berlichingens Leben, voll von Fehden, bei denen er nicht zimperlich war und auch vor Überfällen auf Kaufleute nicht zurückschreckte, mag bei kurzsichtiger Betrachtung Anlass sein, ihn und manche seiner Zeitgenossen Raubritter zu nennen. Tatsächlich ist er aber einer der letzten Ritter, die gegen die reich und mächtig gewordenen Städte ankämpften. Ritter wurden nicht mehr gebraucht und kaum hundert Jahre später waren es nicht mehr die Freien, die die Herrscher für ihre Feldzüge anwarben, sondern Söldner.

1 Karl May: Der beiden Quitzows letzte Fahrten, S. 342

2 Jodocus Donatus Hubertus Temme

3 Gustav Freytag: Bilder aus der deutschen Vergangenheit, Bd. 1, S. 193

Teil III

Die Situation im 17. Jahrhundert

Als 1648 in Münster und Osnabrück der Westfälische Friede geschlossen wurde, beendete dies die seit drei Jahrzehnten andauernden Kriegshandlungen zwischen den verschiedenen Mächten in Europa, die überwiegend im Gebiet des Heiligen Römischen Reiches ausgefochten wurden. Ganze Landstriche waren verwüstet und entvölkert, wirtschaftlich und sozial war das Land verheert, die noch lebende Bevölkerung schwer traumatisiert. Keineswegs war nun wieder Ordnung im Land und Sicherheit für die Bürger gegeben. Wer vorher Soldat war, konnte keinesfalls mit einer guten Pension oder Abfindung zurück ins Privatleben gehen. Meist wurden die Soldaten einfach sich selbst überlassen. So schlossen sich ehemalige Söldner zu Banden zusammen und zogen – wie vorher auch – raubend und marodierend durch die Lande. Dass man sich nicht aller Soldaten auf diese Weise entledigte, lag daran, dass an anderen Stellen in Europa noch Kriege geführt wurden, für die Soldaten benötigt wurden.

Noch 1883 konnte man in einer Sammlung von Biografien lesen: »Zwar lag damals das Ende des 30jährigen Krieges fast 50 Jahre hinter dem lebenden Geschlechte, aber es lasteten auf letzterem die unseligen Folgen noch lange Zeit und es vergingen noch viele Jahre, ehe eine allgemeinere Gesittung jene Verwilderung der Sitten allmählich verdrängte, welche die entlassenen Soldaten und zum Theil die von Haus und Hof getriebenen Bauern, jedem friedlichen Berufe entfremdet, auch dem kommenden Geschlechte noch einzuimpfen bemüht waren. Darum waren gegen das Ende des 17. Jahrhunderts noch Raub, Mord, Brand und Diebstahl in Deutschland an der Tagesordnung und Freund Hämmerling war aller Orten ein vielbeschäftigter Mann, der die lustigen Dreifüße auf den Höhen und die Räder und Pfähle an den Heerstraßen gar anmuthig mit baumelnden Leichen und aufgenagelten grinsenden Köpfen zu schmücken verstand.«1

Problematisch war vor allem die Eindämmung der Kriminalität. Das deutsche Reichsgebiet bestand aus rund dreihundert Kleinst- und Kleinstaaten – Fürstentümer, die selten genug zusammenarbeiteten. Jeder Fürst war nur auf den eigenen Erhalt bedacht. Räuber und andere Kriminelle bedrohten zwar die Existenz des Fürstenhauses, indem sie die Einnahmequellen schädigten, doch grenzübergreifende Zusammenarbeit kam nur selten zustande. In einem Fall funktionierte es gegen Ende des Jahrhunderts aber doch. War es im Mittelalter noch üblich, an Leib und Leben zu strafen – durch öffentliche Züchtigung, den Verlust von Körperteilen oder durch den Tod –, so wandelte sich das in der frühen Neuzeit und danach zuerst langsam, später schneller zu Haft- und Arbeitsstrafen.

Namen von Räubern und Räuberbanden aus dieser Zeit sind kaum bekannt. Einer, der es zu zweifelhaftem Ruhm gebracht hat, war Nicol List.

1 Allgemeine deutsche Biographie, S. 774