Professor Dr. Martin Storr ist Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, am Zentrum für Endoskopie in Starnberg.
Sein Spezialgebiet umfasst die Behandlung von Patienten mit funktionellen Magen- und Darmerkrankungen, Patienten mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen.
Er kennt die Sorgen und Nöte der Patienten und gilt als einer der renommiertesten Experten für diese Erkrankungen.
Ein ausgesprochen wichtiger Beratungsanlass sind Fragen zu Verdauungsbeschwerden und Fragen zur Ernährung.
Gerade weil die ganzheitliche, wissenschaftlich fundierte Beratung eine so bedeutende Rolle hat, engagiert er sich für die Betroffenen mit gut verständlichen Sachbüchern und zahlreichen Hinweisen aus der Praxis.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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© 2020 M. Storr, Digesta Verlag, München, info@digestaverlag.de
Covergestaltung: © 2020 Digesta Verlag, München
Cartoon Cover (U1): © M. Tomicek, www.mt-illustration.de
Abbildungen Umschlag: © medicalimage.de (Porträt)
Abbildungen Innenteil: © M. Storr (Abb. 1; 5-8; 10-14), © Klinge Pharma GmbH, mit freundlicher
Unterstützung von Gelsectan® (Abb. 2-4 und 9), pixabay.com (Füllbilder)
Logo: © P. Sick, München; Redaktion C. Storr; Lektorat: C. A. Storr
Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
Printed in Germany; Dieses Buch wurde im On-Demand-Verfahren hergestellt
ISBN: 978-3-7519-4230-0
Die Gedanken und Anregungen in diesem Buch stellen die Meinung bzw. die Erfahrung des Verfassers dar. Die Erkenntnisse der Medizin unterliegen laufendem Wandel durch Forschung und klinische Erfahrungen. Der Verfasser hat große Sorgfalt darauf verwendet, dass die erstellten Informationen und (therapeutischen) Angaben dem aktuellen Wissensstand entsprechen und ausgewogen sind. Das entbindet den Benutzer dieses Buches aber nicht von der Verpflichtung zu überprüfen, ob die hier genannten Angaben, Indikationen und Dosierungen sachlich richtig sind, insbesondere nicht davon, bei allen medizinischen Problemen einen Arzt zu konsultieren und bei allen Einnahmen und Anwendungen bezüglich der Risiken und Nebenwirkungen einen Arzt oder Apotheker zu fragen sowie die Packungsbeilage zu lesen. Wie allgemein üblich sind Warenzeichen und Handelsnamen, soweit verwendet, nicht durchgängig gekennzeichnet. Weder Autor noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen. Alle Rechte, insbesondere das Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, sind vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren), ohne schriftliche Genehmigung des Verlages, reproduziert werden.
Von Hippokrates ist ein sehr weitsichtiges Zitat überliefert: „Alle Erkrankungen haben Ihre Ursache im Darm“. Im ersten Moment erscheint dieses Zitat unglaublich weit gefasst und aus der Zeit gegriffen. Auf den zweiten Blick ist diese Bemerkung eines antiken Lehrmeisters der Medizin aber immer noch sehr zutreffend und deckt sich teilweise mit der wissenschaftlichen Lehrmeinung. Lassen Sie uns das Wort „alles“ durch „viele“ ersetzen und schon haben wir ein zeitgemäßes Statement: „Viele Erkrankungen haben Ihre Ursache im Darm“. Diesem Statement kann auch ich mich sehr gut anschließen und im Folgenden möchte ich Ihnen beschreiben, was dies mit dem Leaky Gut zu tun hat.
Leaky Gut ist zunächst eine Zustandsbeschreibung, die sehr gut in diese Beobachtung von Hippokrates passt. Unabhängig davon, ob es den Leaky Gut nun in dieser exklusiven Version gibt, die der Begriff suggeriert, oder ob der Begriff Leaky Gut ein Phänomen, ein Syndrom oder ein Was-auch-immer beschreibt; die beim Leaky Gut auftretenden Veränderungen sind real, sie sind messbar und sie verursachen Beschwerden. Diejenigen, die vom Leaky Gut betroffen sind, fragen zurecht nach den Ursachen und wünschen sich selbstverständlich Maßnahmen, die Ihre Beschwerden verbessern, die Lebensqualität steigern und die Ursachen des Leaky Gut beseitigen.
Der Name Leaky Gut mag wissenschaftlich zutreffen oder falsch sein, darum geht es in diesem Buch nicht. Es geht darum zu erfassen, was wir tatsächlich über den Leaky Gut wissen und was wir dagegen unternehmen können. Ich persönlich habe lange gebraucht, um mich mit dem Begriff Leaky Gut anzufreunden. Das lag aber mehr an dem Begriff, weniger an den dahinter stehenden wissenschaftlichen Konzepten. Einen besseren Namen als Leaky Gut kann ich Ihnen im Moment aber auch nicht benennen. Das liegt daran, dass der Begriff kritisch betrachtet eigentlich sehr gut gewählt ist. Ein eigenständiges oder in dieser Form medizinisch akzeptiertes Krankheitsbild stellt der Leaky Gut im Moment nicht dar. So weit ist die medizinische Wissenschaft noch nicht. Die zugrundeliegenden Veränderungen an der Darmbarriere sind tatsächlich noch nicht in allen Einzelheiten geklärt. Fraglos ist aber, dass die Darmbarriere Schaden nehmen kann und dass dadurch nachweisbare Störungen, Beschwerden und Krankheiten entstehen.
Ein deutscher Begriff hat sich für den Leaky Gut ebenfalls noch nicht etabliert. Löchriger Darm, durchlässiger Darm oder Darmleckage hören sich etwas besser aber banal an. Darmbarrierestörung klingt etwas trocken, würde sich aber sehr gut mit den wissenschaftlichen Daten zur erhöhten Durchlässigkeit der Darmbarriere (engl. permeability) decken. Wie auch immer, der Darm signalisiert beim Leaky Gut „mir geht’s nicht gut“ und dem soll Abhilfe geschaffen werden. In der Tat ist es so, dass die Konsequenzen des Leaky Gut aber nicht nur am Darm sondern auch an darmfernen Regionen spürbar werden. Kopfschmerzen, Allergien, Hormonveränderungen, Hautprobleme, Haarausfall und Schilddrüsenerkrankungen sind nur einige der Erkrankungen, die wir zunächst nicht mit dem Darm in Verbindung bringen, die aber ihre Ursache am Darm haben können. Hatte Hippokrates also doch recht mit „Alle Erkrankungen beginnen im Darm“?
Aufgrund all dieser Fragen habe ich mich auf die Spur des Leaky Gut begeben und habe im folgenden Ratgeber die Hintergründe und Wissenswertes zusammengefasst, um Ihnen einen ausbalancierten Einblick in die aktuelle Sichtweise zu ermöglichen. Die drei wesentlichen Fragen werden Ihnen in diesem Ratgeber beantwortet: 1. Was ist der Leaky Gut und welche Beschwerden sind damit verbunden? 2. Wie können wir einen Leaky Gut erkennen? 3. Wie können wir den Leaky Gut behandeln? Im Laufe der Lektüre werden Sie erfahren, dass es verschiedene Ursachen und demnach auch verschiedene Wege zum Therapieerfolg gibt, wenn der Darm leckt.
Ich wünsche Ihnen, dass Ihr Wissensdurst durch diesen Ratgeber gestillt werden kann und dass Sie durch die verschiedenen Anregungen Ihren Weg zu einem gesunden Darm und zu einem glücklichen und gesunden Leben finden.
Ihr
Prof. Dr. Martin Storr
Dieses Sachbuch enthält Informationen zum Leaky Gut. Der Aufbau folgt den Fragen, die in der Sprechstunde üblicherweise gestellt werden. Diese Fragen sind sehr unterschiedlich und reichen von „Mit welchen Tests kann der Leaky Gut gesichert werden?“ bis zu „Was kann ich tun, um meine Beschwerden unter Kontrolle zu bringen?“
Damit Sie dort einsteigen können, wo Sie sich informieren wollen, finden Sie hier einen Fahrplan durch dieses Buch.
Unser Verdauungssystem ist eine komplexe Einheit, bestehend
aus hintereinander geschalteten Organen, die von der
Mundhöhle bis zum Darmausgang reicht: Der
Verdauungsprozess beginnt mit der Aufnahme der Speise und
endet mit dem Ausscheiden des Stuhls. Lesen Sie im Folgenden,
wie Nahrungsmittel durch den Körper reisen und wo sie verdaut
und aufgenommen werden.
Die Mundhöhle
Bereits mit der Aufnahme der Speise beginnt die Verdauung, indem wir die Nahrung kauen, mechanisch zerkleinern und mit Speichel versetzen. Durch das Zerkleinern der Nahrung mit den Zähnen wird ihre Oberfläche vergrößert, sodass die Inhaltsstoffe des produzierten Speichels ihre Wirkung besser entfalten können. Sowohl der Speichelfluss als auch die Produktion von Magensäften in den Magenschleimhautzellen werden bereits durch die Gedanken an Essen, durch das Riechen oder den Anblick der Speisen angeregt. Gründliches Kauen bewirkt, dass wir früher satt werden und dieses Gefühl länger anhält. Leaky Gut-Patienten sollten besonders gründlich kauen, damit die Nahrung besser vertragen und verwertet werden kann.
Die Speiseröhre
Sobald die Speise ausreichend zerkaut wurde, gelangt der Nahrungsbrei über die Speiseröhre in den Magen. Die Speiseröhre ist mit einer Schleimhaut ausgekleidet, damit der Brei besser rutscht.
Der Magen
Im Magen wird der Speisebrei weiter zerkleinert. Diese Aufgabe übernimmt der Magensaft, von dem jeden Tag zwei bis drei Liter produziert werden und der 0,5%ige Salzsäure enthält, die den Brei durchsäuert. Abhängig von der Zusammensetzung, Konsistenz und Temperatur der Nahrung, aber auch von unserer psychischen Verfassung verlässt der Nahrungsbrei nach etwa ein bis sieben Stunden den Magen. Besonders lange bleiben fett- und ballaststoffreiche Speisen im Magen. Voraussetzung für den weiteren Transport des Nahrungsbreis ist, dass die einzelnen Nahrungsbestandteile höchstens eine Größe von zwei Millimeter haben. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir die Speisen gründlich durchkauen.
Der Darm
Der menschliche Darm besteht aus Dünndarm und Dickdarm, hat eine Länge von bis zu acht Metern und eine Oberfläche von etwa 400 Quadratmetern. Seine Aufgabe besteht vor allem darin alle Nährstoffe, die für die Funktionen des Körpers unerlässlich sind, aus der Nahrung aufzunehmen. In einem Zeitraum von 75 Jahren verarbeitet der Darm etwa 30 Tonnen Nahrung und 50.000 Liter Flüssigkeit.
Wird die Darmfunktion durch ein entzündliches Geschehen wie beim Leaky Gut beeinträchtigt, ist es besonders wichtig, dass der Körper mit allen erforderlichen Nährstoffen optimal versorgt wird, um Mangelerscheinungen vorzubeugen.
Der Dünndarm
Vom Magen wird der Nahrungsbrei in den Dünndarm transportiert, der etwa vier bis sechs Meter lang ist und aus drei Abschnitten besteht: Zwölffingerdarm (Duodenum), Leerdarm (Jejunum) und Krummdarm (Ileum) (siehe Abbildung 1). In den Zwölffingerdarm, der seinen Namen wegen der Länge (zwölf Finger = ca. 25 cm) erhalten hat, münden die Bauchspeicheldrüse (Pankreas) und die Gallenblase. Der Nahrungsbrei wird durch die Verdauungsflüssigkeiten aus Galle und Bauchspeicheldrüse weiter verdaut. Der Pankreassaft neutralisiert den sauren Magensaft und enthält Verdauungsenzyme, die Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße aufspalten. Der Gallensaft hilft bei der Fettverdauung.
Nachdem der Nahrungsbrei mit Gallen- und Pankreassaft weiter aufbereitet wurde, folgt als Letztes der aus Schleimstoffen und Verdauungsenzymen bestehende „Darmsaft“, von dem täglich drei Liter hergestellt werden. Der letzte Abschnitt des Krummdarms wird auch terminales Ileum genannt; hier finden sich sehr häufig Entzündungen, so dass bei einer Darmspiegelung diese Region eingesehen werden sollte.
Der Dickdarm
Der Dickdarm (Kolon) ist etwa 1,5 Meter lang und besteht ebenfalls aus mehreren Abschnitten: Blinddarm, Enddarm inkl. Grimmdarm, der den größten Teil des Dickdarms ausmacht, sowie Mastdarm mit dem Ausgang (Anus = After). Im Dickdarm werden keine Verdauungssäfte mehr zugesetzt, stattdessen werden dem Nahrungsbrei nun Wasser und Mineralstoffe entzogen. Damit die unverdaulichen Speisereste als Stuhl leichter ausgeschieden werden können, kommen Schleimstoffe zum Einsatz; auch die Darmbewegung unterstützt den Transport. Über den After erfolgt schließlich die Entleerung des Darms.
Abbildung 1: Übersicht über die anatomische Lage der Verdauungsorgane.
Der Mensch ist ein Bioreaktor und unser Darm ist kein „Clean Diesel“, sondern das genaue Gegenteil. Neben der Menge an Darmgas ist der Geruch ein oftmals belastendes Problem. Je nach Zusammensetzung können Darmgase wenig oder stark riechen. Manche Darmgase wie Wasserstoff riechen nicht, andere wie Methanthiol und Dimethylsulfid riechen sehr stark. Bei den meisten der übel riechenden Gase handelt es sich um schwefelhaltige Gase.
Darmgase entstehen durch bakterielle Fermentierung des nicht verwerteten Darminhalts durch die Darmflora. Das bedeutet, dass zum einen die Darmflora für die Produktion der übel riechenden Darmgase verantwortlich ist und zum anderen die aufgenommenen Lebensmittel, denn diese Lebensmittel werden durch die Mikroben zersetzt. Auf die Darmflora können wir nur wenig Einfluss nehmen, denn diese ist in unserem Darm sehr stabil. Es sind keine Maßnahmen bekannt, die unsere Darmflora dahingehend verändern, dass weniger übelriechende Gase entstehen. Das wiederum bedeutet, dass die gezielte Lebensmittelauswahl der Weg ist, den Geruch von Darmgasen zu beeinflussen. Um übel riechende, schwefelhaltige Gase zu produzieren, braucht es schwefelhaltige Lebensmittel. Wenn davon weniger gegessen werden, steht der Darmflora weniger Substrat zur Verfügung, um übelriechende Gase zu produzieren.
DIESE LEBENSMITTEL STEIGERN DARMGASE | |
steigern Gasbildung | Bier, Eier, Eierspeisen, frisches Brot, frisches Obst, Hülsenfrüchte, koffeinhaltige Getränke, Kaugummi, Knäckebrot, Kohl, kohlensäurehaltige Getränke, Knoblauch, Mayonnaise, Paprikaschoten, Pilze, Pumpernickel, Rhabarber, Rohkost, Sauerkraut, Schaumweine, Sellerie, Topinambur, Wassermelone, Zwiebel |
steigern üblen Geruch | Bohnen, Eier, Eierprodukte, Fisch, Fischerzeugnisse, Fleisch, Fleischerzeugnisse, Geräuchertes, Kohl, Knoblauch, Krabben, Pilze, Spargel, Schnittlauch, reifer Hartkäse, scharfe Gewürze, Zwiebel |
Greifen Sie lieber zu Lebensmitteln, denen eine geruchshemmende Wirkung nachgesagt wird.
DIESE LEBENSMITTEL REDUZIEREN DARMGASE | |
reduzieren Gasbildung | Anistee, Joghurt, Fencheltee, Heidelbeeren, Kümmel, Kümmelöl, Kümmeltee, Minze, Preiselbeeren, Schwarzkümmel |
reduzieren üblen Geruch | Heidelbeeren, Joghurt, Petersilie, Preiselbeeren, grüner Salat, Spinat |
Vergessen Sie bitte nicht, dass die Produktion von Darmgasen ein völlig normaler Vorgang ist. Unser Verdauungsapparat ist ein Bioreaktor und dabei entstehen nun einmal auch Gase. Möchten Sie wissen, was einer normalen Darmfunktion entspricht? Wie häufig dürfen am Tag Winde abgehen? Der durchschnittliche Mensch in einer westlichen Bevölkerung lässt 10 bis 20 Winde am Tag abgehen. Dies trifft auf jeden von uns zu. Ungerecht ist dabei, dass manche Menschen von vornherein übel riechendere Gase produzieren als andere.
Unter dem Leaky Gut werden Störungen der Darmbarriere
verstanden, die in Zusammenhang mit verschiedensten
Erkrankungen auftreten und die zu Symptomen oder
Krankheiten führen können. Wir wollen zunächst verstehen was
unter einem Leaky Gut verstanden wird und weshalb die
Darmbarriere so wichtig ist.
Für das bessere Verständnis zunächst ein paar Begriffe vorab:
Leaky Gut: Unter Leaky Gut wird eine Störung der Darmbarriere verstanden, die verschiedene Ursachen haben kann. Die Darmbarrierestörung führt dazu, dass über den Darm verschiedenste Partikel unkontrolliert in unseren Körper gelangen können.
Leaky Gut Syndrom: Unter dem Leaky Gut Syndrom werden verschiedene Beschwerden und Erkrankungen verstanden, die durch verschiedenste Partikel, die durch den Leaky Gut unkontrolliert in unseren Körper gelangen, ausgelöst werden.
Darmbarriere: Die Darmbarriere besteht aus mehreren Schichten: Einer Schleimbarriere, einer Schleimhautbarriere, einer Mikrobiomkomponente und aus Abwehrzellen, die alle zusammen im Darm kontrollieren, was aus dem Darminhalt in den Körper gelangt.
Durchlässigkeit der Darmbarriere: Die Durchlässigkeit für kleine oder große Partikel wird für verschiedene kleine und große Substanzen von der Darmbarriere kontrolliert. Verschiedenste Schutzmechanismen sind für verschiedenste Substanzen verantwortlich.
Die Darmbarriere kontrolliert eine riesige Fläche. Wenn wir alle Falten und alle Zotten des Darms flach ausbreiten würden, dann wäre diese Fläche etwa 400 Quadratmeter groß. Eine Fläche die einem Handballfeld entspricht und damit die Oberfläche unserer Haut um ein vielfaches übertrifft.
Eine Störung der Darmbarriere geht mit einer Schwächung der Funktion dieser Schutzbarriere und in der Folge mit einer erhöhten Durchlässigkeit einher. Diese erhöhte Durchlässigkeit ermöglicht es unverdauten Nahrungsbestandteilen, insbesondere Eiweißen, Allergenen, entzündungsfördernden Substanzen, Giftstoffen (Toxinen), bakteriellen Abbauprodukten, Mikroben (Bakterien, Pilzen, Viren, Parasiten) und vielen anderen Partikeln die Darmbarriere unkontrolliert zu überwinden. Dadurch gelangen diese Substanzen in unseren Körper. Hier haben sie direkten Kontakt zum Immunsystem, unserem körpereigenen Abwehrsystem, was wiederum Entzündungsvorgänge bewirkt. Diese Entzündungen führen über Nervenzellen des Darmnervensystems zu Fehlfunktionen im Verdauungsvorgang. Dieser Kontrollverlust an der Darmbarriere wird als Leaky Gut bezeichnet.
Um zu verstehen, wie es zu dieser Darmbarrierestörung kommt, wollen wir uns im Folgenden mit der Darmbarriere und den Einflussfaktoren auf diese Darmbarriere beschäftigen. Zwei Funktionen der Darmbarriere sind dabei als zentral anzusehen. Zum einen soll die Darmbarriere für unseren Körper einen wirksamen Schutz nach außen darstellen, denn der Darm ist eine wichtige Eintrittspforte über den Eindringlinge oder belastende Substanzen in den Körper eindringen können. Dies gilt es im Rahmen der Schutzfunktion zu verhindern. Daher der namensgebende Bestandteil Barriere. Auf der anderen Seite soll an der Darmbarriere aber auch die Aufnahme von wichtigen und lebensnotwendigen Nahrungsbestandteilen ermöglicht werden. Es bedarf also einer gewissen Durchlässigkeit, sonst würden wir verhungern. Um diese beiden Funktionen zu beschreiben ist der Begriff der selektiven Durchlässigkeit, genauer gesagt der kontrollierten Durchlässigkeit, am besten geeignet. An der Darmbarriere entscheidet sich also, was hinein darf und was nicht.
Hoch selektiv und dennoch durchlässig, was für eine Leistung! Ein perfektes Zusammenspiel, das durch verschiedenste Strukturen und Kontrollinstanzen koordiniert wird.
Unbeliebt ist der Leaky Gut auf wissenschaftlicher Seite vor allem wegen des gewählten Namens - Leaky Gut - sowie der oftmals über das wissenschaftliche Fundament hinausgehenden Erklärungskonzepte und Lösungsvorschläge. In Grundzügen ist der Leaky Gut wissenschaftlich aber sehr gut belegt und in der deutschen Behandlungsleitlinie zum Reizdarmsyndrom ist die Permeabilitätsstörung, also die erhöhte Durchlässigkeit, als eine der wesentlichsten Ursachen des Reizdarmsyndroms benannt. Lediglich die Verwendung des Begriffs Leaky Gut wird vermieden.
Die Darmbarriere besteht aus 4 Schichten. Von innen nach außen sind dies eine Bindegewebsschicht, eine Schicht aus Darmschleimhautzellen, eine Schleimschicht und die Schicht der aufgelagerten körpereigenen Darmflora.
Abbildung 2: Aufbau der Darmbarriere mit 4 Schutzebenen.
In der Bindegewebsschicht befinden sich Bindegewebe, Blutgefäße und Zellen der Immunabwehr. In dieser Schicht werden der Abtransport von selektiv aufgenommenen Nahrungsbestandteilen und die Abwehr von Eindringlingen oder von schädlichen Substanzen koordiniert. Spezielle Abwehrzellen produzieren hier Antikörper (Antikörper vom Typ Immunglobulin A; IgA) und Abwehrstoffe (sogenannte Defensine, Lysozyme und Chemokine), die zu einem großen Teil in die schützende Schleimschicht abgegeben werden und dort Abwehrfunktionen koordinieren. Der Darm ist unser größtes Abwehrorgan. Tatsächlich befinden sich 4 von 5 Abwehrzellen des Körpers im Darm. Dieses Abwehrsystem wird GALT (engl.: GALT, gut associated lymphatic tissue) genannt. GALT bezeichnet das gesamte Darm-assoziierte lymphatische Gewebe. Das im Darm derartig viele Immunzellen angesiedelt sind ist kein Zufall, denn im Darm treten wir durch den Kontakt mit aufgenommenen Fremdkörpern und Keimen am intensivsten in Kontakt mit der Außenwelt. Die Bindegewebsschicht wird aufgrund der enthaltenen Abwehrzellen auch als immunologische Barriere bezeichnet.
Die Schicht der Darmschleimhautzellen umfasst flach nebeneinander liegende Schleimhautzellen. Diese Schleimhautzellen sind untereinander mit speziellen Eiweißen (Proteinen) verknüpft um eine durchgehende Barriere zu ermöglichen. Die Schicht der Darmschleimhautzellen kontrolliert den geordneten Durchtritt von Nährstoffen, der entweder durch die Zellen hindurch (transzellulär) oder durch die Spalträume neben den Zellen (parazellulär) erfolgt. Der Durchtritt durch die Zellen hindurch kann entweder passiv, also ohne spezielle Transporter, oder aktiv, mit Hilfe spezieller Transporter, erfolgen. Der transzelluläre Durchtritt ist vor allem für kleine Partikel geeignet. Der parazelluläre Durchtritt durch die Spalträume erfolgt durch Öffnung (kontrolliert) oder durch Aufbrechen der Schleimhautbrücken (unkontrolliert). Diese Schleimhautbrücken werden Tight Junctions, „enge Verknüpfungen“, genannt.
Abbildung 3: Transzelluläre und parazelluläre Passage der Darmbarriere.
Der parazelluläre Durchtritt ist für größere Partikel und Mikroben geeignet. Ein parazellulärer Transport durch die Spalträume kann, wie erwähnt, auch durch unkontrollierte Öffnungen der Spalträume auftreten. Zu solchen unkontrollierten Öffnungen kommt es zum Beispiel wenn Schleimhautzellen zugrunde gehen, ein Mechanismus der Apoptose (Zelluntergang) genannt wird. Selbstverständlich gibt es Reparaturmechanismen, die die Schleimhautbarriere rasch wieder herstellen. Beim Leaky Gut besteht oftmals ein Ungleichgewicht zwischen Zelluntergang und Reparaturvorgängen. Da es sich bei der Barriere der Darmschleimhautzellen um eine prinzipiell geschlossene Barriere handelt, wird oft von der mechanischen Barriere gesprochen.
Die Schleimschicht stellt einen vorgeschalteten Schutz dar, der zum einen vor mechanischen Belastungen, also festen Nahrungsbestandteilen, die die Schleimhaut verletzen würden, schützt und zum anderen schädliche Bakterien und Substanzen im Schleim einfängt und verhindert, dass diese überhaupt bis zur Darmschleimhautzellschicht vordringen können. Diese Schleimschicht besteht aus dem Mukus, dem eigentlichen Schleim, und den darin befindlichen Bakterien. Zusätzlich finden sich in der Schleimschicht antibakterielle Substanzen, die teilweise von den Bakterien des Mikrobioms und teilweise von Immunzellen der Darmbarriere produziert werden. 4-5 Liter Schleim werden jeden Tag neu produziert und regeneriert. Je nachdem, wo im Darm die Schleimschicht betrachtet wird, reicht diese von sehr dick, wie im Dickdarm, passend zur Abwehrfunktion, bis zu sehr dünn, wie im Dünndarm, passend zur Nährstoffaufnahme, die durch eine dickere Schleimschicht nicht gelingen würde. Die Schleimschicht und die darin enthaltenen Abwehrstoffe und Antikörper wird als physikalische Barriere bezeichnet.
Die Darmflora befindet sich größtenteils auf der Schleimschicht und bildet hier einen dünnen gelartigen Schutzfilm, den Biofilm. Im Biofilm wird von der Darmflora entschieden, was durch die Darmbarriere hindurch darf und was nicht. Insbesondere Schädlinge werden hier abgewehrt. Von der Darmflora werden im Falle von Eindringlingen auch Signale über bestehende Gefahren signalisiert und einzelne dieser Eindringlinge werden selektiv an das Immunsystem weiter gereicht, um Abwehrmaßnahmen koordinieren zu können. Ein cleverer und effektiver Schutz. Die durch die Darmflora gebildete Schutzschicht wird mikrobielle Barriere genannt.
Schwächungen der Darmbarriere treten aus verschiedensten Gründen auf und begünstigen einzeln oder in Kombination einen Leaky Gut. Mit diesen Gründen wollen wir uns später noch detailliert befassen. Gerade die bei Entzündungsvorgängen auftretende Veränderungen des Biofilms und das entzündungsbedingte Dünnerwerden der schützenden Schleimschicht erhöhen zum Beispiel die Durchlässigkeit der Darmbarriere. Ansatzpunkte an denen Maßnahmen ergriffen werden können.
Die Darmbarriere soll ausreichend durchlässig sein, denn hier werden für uns lebensnotwendige Nahrungsbestandteile in den Körper aufgenommen. Für diese selektive Durchlässigkeit ist die Darmbarriere optimiert. Für verschiedene kleine und große Partikel gibt es verschiedene passive oder aktive Aufnahmemechanismen, bei denen die Zellwände der Darmschleimhaut, teilweise auch durch spezielle Pumpen oder Kanäle, unterstützt werden. Wie oftmals im Leben herrscht hier ein ausgewogenes Gleichgewicht und die Grenze zwischen „was ist normal“ und „was ist nicht mehr normal“ ist fließend und individuell sehr unterschiedlich.
Die Durchlässigkeit für kleine Substanzen findet größtenteils an den Zellwänden der Darmschleimhautzellen, dem Epithel, statt. Unter der bei einem Leaky Gut bedeutenden Darmbarrierestörung wird hauptsächlich eine Störung der Durchlässigkeit für große Substanzen verstanden. Gerade unter den großen Substanzen finden sich die Substanzen, die für unseren Körper ungünstig sind, auf die er allergisch, entzündlich oder anderweitig reagiert. Eine gesunde Darmbarriere kann diese Substanzen ausreichend abwehren. Eine geschwächte Darmbarriere kann dies nicht. Die Durchlässigkeit für kleine Substanzen ist beim Leaky Gut etwas weniger bedeutend, aber nicht unbedeutend.
Damit zwischen den Zellen ein kontrollierter Durchtritt von Substanzen erfolgen kann, sind die Zwischenräume zwischen den Zellen mit speziellen Proteinkomplexen abgedichtet. Die selektive Durchlässigkeit für große Substanzen wird von diesem Proteinkomplex reguliert. Daher werden wir uns im Folgenden mit dem Proteinkomplex beschäftigen. Dieser Proteinkomplex wird Tight Junction genannt und ist Teil des Abdichtungskomplexes (apical junctional complex), der aus der Schlussleiste, den Tight Junctions (Zonula occludens) und Haftstrukturen, der Zonula adherens, besteht. Dieser obere Abdichtungskomplex wird durch weitere, tiefer liegende Verankerungs- und Abdichtungsstrukturen (Desmosomen und Gap Junctions) unterstützt.
Die Tight Junctions bestehen aus verschiedenen Proteinen, die wichtigsten beiden heißen Claudin und Occludin. Diese Proteine sind in den Zellwänden und in der Zelle an Stützstrukturen, den Aktin- und Myosinfilamenten, verankert und außerhalb der Zellen verhaken sie sich, vergleichbar mit einem Klettverschluss. Das führt dazu, dass die Zellzwischenräume sehr gut abgedichtet sind und dennoch jederzeit eine Öffnung erfolgen kann.
Tatsächlich sind diese Abdichtungen aber nicht starr wie eine Mauer, denn sie sollen ja selektiv geöffnet und geschlossen werden, wie ein Klettverschluss eben,