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G.F. Barner
– 189 –

Apachenspur

G.F. Barner

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74097-443-5

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Angst, dachte der Major James Edwards und fror, ich habe Angst, aber ich darf sie nicht zeigen. Wenn dieser Rebell recht behält, den meine Kavalleristen immer noch Captain nennen, obgleich er längst keiner mehr ist, dann ist meine Familie in Gefahr.

Der Mann, den sie Captain nannten, war baumlang, breitschultrig, trug einen dunklen Bart, etwas länger als andere Männer und heftete jetzt den Blick seiner hellen, kühlen Augen auf die große Wandkarte.

»Hier«, sagte er in seinem bedächtigen, sanften Texanerdialekt. Sein Finger stieß auf der Höhe der San Andreas Berge gegen die Karte. »Er wird jetzt schon hier oben sein, Sir. Loco ist ein schlauer Teufel, noch listiger, als es Nacho, sein Vetter, jemals war, von dem er alles gelernt hat. Wenn der kleine Lieutenant mit den dreißig Mann seines Kommandos, das Sie sofort zur Quinlan-Farm schickten, sich täuschen läßt, sucht er Loco im Süden und verliert einen halben Tag.«

Der Major hörte kaum hin, er dachte nur an seine Frau, seine beiden Kinder, den Sohn Jim, die Tochter Trudy und seine Nichte Caroline, die mit einem Transportwagen von Fort Bayard aus nach Fort Seldon unterwegs waren.

Die Route, dachte der Major, während ihm so übel wurde, daß sein Magen sich beinahe umstülpte, die Route kommt der von diesem Teufel Loco gefährlich nahe. Herrgott, wenn meine Familie diesem Satan Loco in die Hände fällt? Da, Fairchild zeigt auf die Sierra de las Uvas, sein Finger fährt nach Süden auf die alte Silver City Road zu. Gerechter Gott, wenn der Apache mit seiner Horde sie gerade dann kreuzt, wenn meine Leute dort sind?

»Er könnte hier entlang reiten«, hörte Edwards den Rebellencaptain sagen. »Diese Gegend kennt er so genau wie den Inhalt seines Medizinbeutels. Loco war damals noch jung, als er mit seinem Vetter Nacho dauernd über die West Potrillo Mountains von Mexiko aus hierher und wieder zurück wechselte. Lieutenant Caspers wird ihn kaum einholen können. Ich könnte versuchen, Loco den Weg zu verlegen, indem ich mit drei, vier Mann von hier aus nach Westen an den Rand der Sierra de las Uvas reite, Sir. Loco ritt mit Nacho immer wieder dort.«

Nacho, dachte der Major, der Apachenchief, der von irgendeinem Händler im letzten Kriegsjahr Gewehre erhielt. Man fand nur die Wagenspur und neben ihr Hufeindrücke von Indianerponies. Und dann fanden sie Fairchilds gesamte Familie ermordet, auch seine erst neunzehnjährige und hochschwangere Frau, dieser Amos Fairchild, und er war schon Captain. Ehe er die Gräber seiner Toten aufsuchen konnte, war die Wagenspur längst tot, Nacho mit seinen Apachen über alle Berge. Nur um Nacho zu erledigen, schloß Fairchild einen Kontrakt mit unserer Armee. Und er hat ihn erledigt, jedoch nie erfahren, wer der verdammte Waffenhändler war, den er heute noch suchte.

»Mister Fairchild«, hörte Edwards seinen ersten Captain George Murchison sagen. »Und wenn Sie sich irren, wenn Loco nun doch nach Süden gegangen und vielleicht schon über den Rio Grande nach Mexiko entwischt ist?«

»Captain«, murmelte Amos Fairchild. »Sie haben ihm den kleinen Lieutenant Caspers mit dreißig Mann nachgeschickt. Danach wurden alle Grenzforts und Stationen alarmiert. Das ist acht Stunden her. Meinen Sie nicht, Loco hätte sich das an zwei Fingern ausrechnen können?«

»Sicher«, brummte Murchison. »Doch die gesamte Grenze kennt Loco schließlich auch, oder? Irgendwo kann man immer durchschlüpfen, wenn man ein Apache ist. Warum sollte er so verrückt sein, diesen Riesenbogen zu reiten.«

»Weil er Loco, der Verrückte, genannt wird«, erwiderte der ehemalige Rebellencaptain trocken. »Wir haben schon seit Wochen im Hauptquartier in Fort Pilmore, aus dem mich die Sergeanten geholt haben, Gerüchte gehört, daß Loco mit etwa fünfzehn Kriegern in der sogenannten Apacheria drüben in Mexiko gewesen sein soll. Dort sollen sich auch Häuptlinge und Krieger der anderen Apachenstämme versammelt haben.«

»Captain, jemand wie Loco macht nie etwas ohne Grund oder Plan. Jetzt sucht man ihn im Süden, aber ich wette, er steckt schon in der Sierra. Man kann nie wissen, was einem Apachen einfällt.«

Das ist wahr, dachte der Major düster, ob Apachen oder andere Stämme, sie sind alle unberechenbar. Mein Gott, ich werde so wenig wie meine Frau oder meine Nichte vergessen, daß Fairchild uns schon einmal vor Indianern gerettet hat.

Der Major war damals mit seiner Familie auf einer Reise durch die Mogollons gewesen und hatte in einer Poststation gerastet, als der baumlange Scout urplötzlich aus der Dunkelheit aufgetaucht war und sie vor einem im Morgengrauen bevorstehenden Angriff der Mogollon-Indianer gewarnt hatte. Ohne diese Warnung hätten die Indianer wahrscheinlich die Station niedergebrannt und alle Weißen getötet.

»Mister Fairchild«, sagte Murchison nach kurzem Nachdenken. »Lieutenant Caspers weiß, daß Sie ihm folgen und das Kommando einholen sollen. Sie müssen ihm nach. «

»Hören Sie, Captain, ich…«

»Murchison«, meldete sich der Major scharf. »Moment, Fairchild, ich hebe den Befehl auf. Nehmen Sie drei Mann mit und reiten Sie dorthin, wo Ihrer Meinung nach Loco durch die Berge fliehen wird.

Captain Murchison, zwei Melder hinter Caspers Kommando herschicken, die ihn unterrichten. Nun, Mister Fairchild, welche Männer sollen mitreiten?«

Es polterte gewaltig nebenan. Dann traten zwei Sergeanten und zwei First Corporals, die selben Männer, die

Fairchild geholt hatten, nebeneinander ein.

»Hier, Sir«, meldete der riesige Mastersergeant David McCulloch. »Begleitung für den Captain zur Stelle, Sir!«

Sie standen da wie die Zinnsoldaten. Links außen der Schmieder-Sergeant Anthony Gasper, ein Kerl wie ein Klotz, der mühelos ein Hufeisen zerbrechen konnte. Ihn überragte der Mastersergeant, der neben O’Maily der erfahrenste Mann in Fort Seldon war, um anderthalb Köpfe. Noch etwas größer, nur dürr wie eine Bohnenstange, schien der First Corporal Lemuel Atkins alle anzugrinsen. Das kam von seinem buchstäblichen Pferdegesicht, und man hatte Atkins schon im wildesten Kampf geradezu wiehern sehen, obgleich er nur das Gesicht verzogen hatte. Der letzte Mann war First Corporal Maxwell Ludlow: groß, breit, blond und eiskalt, wenn es sein mußte.

»Ihr seid wohl…«

Der Major fuhr herum, starrte seine Männer, über die er erst kurze Zeit kommandierte, von denen er jedoch alles wußte, durchbohrend an und schüttelte den Kopf.

»Also gut«, sagte er dann seufzend. »Mastersergeant, Sie und die First Corporals reiten mit Mister Fairchild. Ich brauche meinen Schmied hier, verstanden?«

»Sir«, muffelte McCulloch. »Ohne Tony sind wir aber…«

»Ihr drei«, knurrte Edwards scharf. »McCulloch, halten Sie den Mund. Und nennen Sie Mister Fairchild gefälligst nicht dauernd Captain.«

»Befehl, Sir«, salutierte McCulloch mit seiner bratpfannengroßen Pranke. »Captain, wir satteln schon mal die Pferde.«

»McCulloch, wenn Sie noch einmal... Bleiben Sie hier, verstanden?«

»Jawohl, Sir«, sagte der Riese grinsend. »Bis gleich – äh, Amos.«

»Diese Burschen«, grollte Edwards, als sie hinausgerannt waren. »Fairchild, ich hoffe, Sie irren sich über Locos Fluchtweg.«

»Sie denken an Ihre Familie, Sir?« fragte Amos Fairchild gelassen. »Ich hörte, Ihre Frau soll in einer Wagenkolonne mit einer kleinen Kavallerieeskorte hierher unterwegs sein?«

»Ja«, sagte Edwards verbissen. »Es ging nicht anders bei dieser Versetzung. Die Kinder mußten bis zu den Sommerferien bleiben. Mein Gott, ich mache mir Sorgen, Fairchild. Sie wissen, ich habe meinem Bruder und meiner Schwägerin durch einen Cheyenneüberfall verloren, und wenn meine Nichte nicht zufällig bei uns gewesen wäre, lebte sie auch nicht mehr. Das steckt mir genauso in den Knochen wie Ihnen der Verlust Ihrer Leute, glaube ich. Haben Sie eigentlich jemals eine Spur dieses Waffenhändlers entdeckt?«

»Nein, Major«, antwortete Amos Fairchild. »Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde mich schon umsehen. Major, ehe ich aufbreche, möchte ich noch den Private Jenkins aufsuchen. «

»Tun Sie das, Fairchild. Ein tapferer Junge und kaltblütig dazu. Er hat drei Apachen von ihren Ponies geschossen, die hinter ihm her waren. Daß er eine Kugel einfing, hat ihn nicht hindern können, im vollen Galopp ins Fort zurückzujagen, nachdem die Patrouille angegriffen worden ist. Alles Gute, Fairchild.«

»Danke«, sagte Amos Fairchild knapp. Er schritt mit einem leichtfüßigen, schnellen Gang, den ihm bei seiner Größe und Schwere niemand zugetraut hätte, hinaus.

»Passen Sie auf, Captain«, murmelte Edwards, als er fort war. »Der Mann behält recht. Wir haben keinen besseren Scout als ihn. Wenn jemand diesen Teufel Loco endlich stellen kann, dann er.«

Der beste Scout, wie Edwards ihn genannt hatte, stand wenig später neben dem Bett, in dem der junge Private Steve Jenkins lag. Hinter Fairchild hatten sich der Mastersergeant und die beiden First Corporals aufgebaut.

»Captain«, sagte der junge Private schwach. »Ich weiß wirklich nicht, in welche Richtung Loco sich davongemacht hat. Wie ich es geschafft habe, die drei Apachen von ihren Mustangs zu holen, begreife ich immer noch nicht, aber eins weiß ich ganz bestimmt, Captain: Sergeant O’Maily hat sich für mich geopfert, als uns die Indianer angriffen. Einer von uns konnte nur davonkommen, und er hat mir die Chance gegeben.

Captain, er war ein feiner Mensch und immer gut zu mir. Ich darf gar nicht daran denken, daß jetzt irgendein verdammter Apache seine Jacke trägt. Captain, ich habe nur einen Wunsch: jagen Sie Loco in die Hölle.«

»Das werden wir versuchen, mein Junge«, versicherte Fairchild. »Hast dich prächtig durchgeschlagen, Steve. Nun, dann sieh zu, daß du bald wieder im Sattel sitzen kannst.«

»Paß auf, Kleiner«, grinste Lemuel, das Pferdegesicht. »Wenn wir können, bringen wir dir Locos verdammte Apachenhaare mit. Ich werde sie ihm eigenhändig abschneiden.«

Auf die drei Männer und den Scout, der für sie immer noch Captain war, wartete die Hölle, die man nur bei der Verfolgung einer Spur erleben konnte, der Apachenspur.

Apachenspur…

*

»Still!« zischte McCulloch scharf. »Da, seht doch, er steigt auf den Baum.«

Der hagere Lemuel Atkins schwieg augenblicklich. Dann starrte er wie Max Ludlow auf den mächtigen Cottonwood, in dessen Geäst Amos Fairchild jetzt höher turnte. Sie konnten ihn trotz der seit zwei Stunden herrschenden Dunkelheit im Sternenschimmer deutlich erkennen.

Was sie bereits seit dem frühen Morgen wußten, hatte der kleine Lieutenant Jeremy Caspers und dessen Kommando todsicher noch nicht gekannt. Amos Fairchild war mit ihnen im Gewaltritt bis zu den Ausläufern der Sierra de las Uvas geprescht. Danach hatten sie sich nach Mitternacht weit westlich auf die Höhen verdrückt und auf das Morgenrot gewartet. Und dann hatten sie, genauso, wie der Scout es vorhergesagt hatte, die Apachen kommen sehen.

Loco, der Verrückte, ritt mit mehr als dreißig Apachen durch die Berge nach Süden. Von diesen – und es hatte nur den Mastersergeanten und die beiden First Corporals überrascht – waren ein Dutzend Frauen und Kinder. Jetzt wußten sie, warum Loco das Risiko eines Durchbrechens der Armeepatrouille und Sicherungen im Süden am Rio Grande vermieden hatte. Er hatte nicht mit den Frauen und Kindern, unter denen sicherlich auch seine Squaw und die Kinder waren, in einen Kampf auf Leben und Tod geraten wollen.

»Amos blickt nach Norden«, stellte McCulloch fest, als der Scout stillsaß. »Verdammt, was hat er denn nur seit der Dämmerung? Diese Unruhe, als er durch den Abenddunst, der bis vorhin über dem Buschland lag, nichts sehen konnte. Jetzt ist es endlich klar geworden. Er wendet sich um, er blickt über uns hinweg.«

Amos Fairchild stand nun breitbeinig auf einer Astgabel. Er hatte einen Ast niedergetreten, und sie sahen das matte Blinken jener großen Doppelglaslinsen, die ein Auge so verstärkten, daß man noch sah, was sich in fünfzehn Meilen Entfernung bewegte. Das ungewöhnlich lange Doppelglas war eine Kriegsbeute Fairchilds, die er in Louisiana gemacht hatte. Es trug eine dicke Lederarmierung, war einmal in Europa hergestellt worden, und sie hatten noch nie ein ähnliches Fernglas gesehen.

Im nächsten Moment fuhr Fairchild vor ihnen herum. Jetzt blickte er erneut nach Norden und sie hörten, daß er irgendwelche Zahlen murmelte. Dann kam er hastig herunter, sprang in den Sattel seines Pferdes und keuchte, als er bei ihnen war.

»Hölle und Teufel. Es sind nur noch sechsundzwanzig Apachen. Fünf sind verschwunden, aber die habe ich auch gesehen. Dieser dreimal verfluchte Abenddunst, der nicht weichen wollte. Jetzt haben wir die Schweinerei. Loco zieht mit der Horde durch das Buschland nach Süden, während fünf Krieger ihn bereits in der Dämmerung verlassen haben müssen, um nach Südwesten zu jagen. Verdammt, verdammt, sie sind schon an uns vorbei.«

»Was ist?« stieß der Mastersergeant erschrocken hervor. »Sie sind an uns vorbeigeritten? Amos, wo sind sie jetzt?«

»Anderthalb Meilen vor uns, und sie reiten verflucht schnell«, knurrte Fairchild. »Los, los, reiten wir. Sie können die Staubwolke, die wir aufwirbeln werden, nicht sehen. Genausowenig wird Loco sie entdecken können.

Daß ich daran nicht gedacht habe. Dabei habe ich die ganze Zeit gefühlt, daß sich dieser listige Halunke etwas einfallen lassen würde. Denkt doch nur an das Tempo, in dem er die ganzen Stunden geritten sein muß. Der Kerl braucht frische Pferde, wenn er dem kleinen Lieutenant, der immer noch sechs Stunden hinter ihm hängt, entwischen will. Und damit ihm das gelingt, hat er fünf seiner besten Pferdediebe losgeschickt.«

McCulloch starrte ihn genauso erschrocken an wie Ludlow und Atkins. Es gab nur einen Platz, an dem man genug Pferde stehlen konnte: die Akela Trading Post. Und an der war am frühen Abend, als noch gute Sicht für Fairchild gewesen war, eine Wagenkolonne angekommen.

»Akela«, entfuhr es McCulloch, als sie losjagten und er sich neben dem Scout hielt. »Die Corrals sind immer voll, weil Smith, der Stationer, ständig mit Pferden handelt. Amos, die Wagenkolonne. Da fuhr doch ein großer Transporter mit. Mann, Amos, wenn Mrs. Edwards mit den Kindern dabei ist?«

»Was?« schrie Lemuel Atkins von hinten. »Dave, male nicht den Teufel an die Wand. He, Amos, haben wir eine Chance, die fünf Apachen noch zu erwischen, bevor sie dort die Hölle loslassen?«

»Nur mit so viel Glück, daß ich nicht daran glaube«, antwortete Fairchild finster. »Die Apachen sind sicher die besten Pferdediebe, die Loco hat. Sie werden die Pferde abtreiben, wenn es uns nicht gelingt, sie dabei zu stellen. Doch da ist noch etwas, und das macht mir verdammt Sorgen. Der schwere Transporter ist hinter der Station zwischen Stall und Scheune abgestellt worden.«

»Dann steht er abseits, na und?« brummte Ludlow. »Was hat das zu sagen?«