Arztroman von Glenn Stirling
Der Umfang dieses Buchs entspricht 125 Taschenbuchseiten.
Eva fühlt sich von ihrem Mann, einem weltweit bekannten Fotojournalisten, alleingelassen und weiß mit sich selbst nichts anzufangen. Doch dann erhält sie eine schreckliche Diagnose: Es könnte sich um Brustkrebs handeln. Die sensible Frau geht durch alle Tiefen der Angst, bis ihr Mann endlich wieder an ihrer Seite ist und gemeinsam den Kampf mit ihr aufnehmen will.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.
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© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
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Eva Hoesch presste die Stirn an die kühle Scheibe und starrte aus glanzlosen Augen auf ihren herrlichen Garten. Die bunte Zauberwelt der Blumen sah sie nicht. Es war, als blicke sie durch alles hindurch. Der sonnige Tag konnte sie nicht aus dem Zimmer locken. Ihr hübsches Gesicht wirkte verzweifelt. Das an sich so schöne, dunkelblonde Haar machte einen ungepflegten Eindruck. Obgleich es schon früher Nachmittag war, befand sich Eva Hoesch noch im Morgenrock. Sie hatte auch keine Lust, daran etwas zu ändern.
Sie blickte zum Tor hin. Durch die Gitter des Tores konnte sie die Straße sehen. Kinder spielten da draußen, lachten. Sie hörte das Gelächter und die schrillen Rufe bis hierher in den Raum. Zwei Frauen gingen vorbei. Die eine schob einen Kinderwagen. Aber es war, als sähe Eva Hoesch all das wie auf einer Bühne. Es bedeutete ihr nichts. Sie gehörte nicht dazu. Sie lebte hier in diesem Haus und in diesem Garten wie auf einer Insel; eine Insel, die sich inmitten eines Dorfes befand, das eine andere Welt als die darstellte, aus der Eva Hoesch gekommen war.
Die Einsamkeit brachte Eva Hoesch zur Verzweiflung.
Sie trat einen Schritt zur Seite, wandte sich um und blickte in den Spiegel, der dort stand. Sie versuchte zu lächeln, streckte sich dann in einer Geste des Übermuts die Zunge heraus, aber es machte sie nicht fröhlicher, sondern eher traurig. Dann ließ sie ihren Blick im Zimmer umherschweifen. Es war schön eingerichtet, gut und teuer. Ewald hatte nicht gespart. Das ganze Haus war so. Es fehlte nichts. Wirklich nichts?
„Alles fehlt mir“, murmelte Eva. „Ich bin allein, immerzu allein und hier auf dem Lande. Die Menschen verstehe ich nicht, und sie verstehen mich nicht. Ich bin anders als sie. Ich habe niemanden. Natürlich, ich hab‘ den kleinen Wagen und könnte in die Stadt fahren. Das sagt Ewald ja immer. Aber auch dort ist die Zeit weitergegangen. Ich bräuchte eine Freundin, einen Freund, mit dem ich sprechen kann. Stattdessen hocke ich hier alleine herum.‟
Resignierend trat sie wieder ans Fenster, blickte hinaus ... Und da sah sie den Wagen. Sie hätte ihn unter Hunderten wiedererkannt. Es war Beates Wagen. Er hielt direkt vor dem Tor. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Die Frau, die ausstieg, die in ihrem weißen Sommerkleid mit den dunklen Punkten, mit schwingendem Schritt auf das Tor zuging, deren blondes Haar im Wind wehte, das war Beate.
Sie muss jetzt dreißig sein, dachte Eva. Natürlich, ich bin neunundzwanzig, sie ist dreißig. Und mit einem Male war Eva so voll Freude und Begeisterung über diesen Besuch erfüllt, dass sie wieder in den Spiegel blickte, entsetzt sah, dass sie weder ihr Haar gekämmt, noch sich angekleidet hatte. Um Himmels Willen, dachte sie, aber ich kann mich jetzt nicht erst noch anziehen, ich muss sie erst mal hereinlassen. Und schon stürmte sie zur Tür. In diesem Augenblick schlug der Gong an. Sie öffnete sofort. Und draußen stand Beate in ihrer herben Schönheit, oder, wie Ewald immer sagte, die Schönheit einer Intelligenzbestie.
Aber Eva dachte jetzt nicht mehr an Ewalds spöttische Bezeichnung, sondern breitete die Arme aus und rief jubelnd: „Wie herrlich, dass du einmal gekommen bist, Beate!“
Dann lagen sie sich in den Armen. Eva roch das Parfüm ihrer langjährigen Freundin und spürte, wie ihr Beate sanft übers Haar strich.
„Du siehst nicht gut aus“, murmelte ihr Beate ins Ohr. „Du siehst so verzweifelt aus. Bist du krank?“
Sie lösten sich voneinander. Eva schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte sie ernst, „krank bin ich nicht. Aber schließ erst einmal die Tür. Wir können ja drinnen über alles reden. Ich muss mich noch anziehen.“ Sie versuchte ein Lachen. „Ich habe furchtbar gefaulenzt. Ewald ist natürlich mal wieder nicht da.“
„Und wo ist er jetzt?“, fragte Beate.
„In Japan. Seit fünf Wochen.“ Sie wurde wieder ernst. „Man könnte es fast nicht mehr eine Ehe nennen. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Ich komme hier um.“ Jetzt war sie den Tränen näher als der Freude. Sie musste sich abwenden.
Mit einem Schritt war Beate neben ihr, legte ihr den Arm um die Schultern, zog sie sanft an sich. „Wir müssen über alles sprechen. Ich habe es irgendwie geahnt, dass mit dir was nicht in Ordnung ist.“
Eva lächelte schmerzlich. „Ich werde mich erst mal anziehen und kämmen. Du musst ja Wunder was von mir denken.“
„Ich denke, dass du mich brauchst. Das denke ich nicht nur, das weiß ich sogar. Nun geh schon! Ich warte.“
„Kann ich dir irgend etwas anbieten?“, fragte Eva, als sie das Wohnzimmer betraten. „Aufgeräumt habe ich wenigstens. Es wird hier keine Unordnung. Ich bin ja immer alleine. Immer alleine! Ich hatte sogar eine Putzhilfe. Ich will sie nicht. Sonst habe ich überhaupt nichts mehr zu tun. Mein Gott, und ich hatte früher so viel Interessen. Alles verwahrlost, alles verschimmelt. Ich möchte tausend Dinge tun und tue nichts.“
„Nun geh endlich! Nachher reden wir. Ich geh’ inzwischen in die Küche und koche uns etwas Kaffee. Einverstanden?“
Eva lächelte. „Du hast dich überhaupt nicht verändert. Du siehst so gut aus. Dieses Kleid steht dir. Attraktiv warst du schon immer. Aber in diesem Kleid ...“
„Keine Komplimente! Putz dich, kämm dich, wasch dich schön! Und du wirst genau so aussehen wie ich. Komm, lauf!“
„Kommandiert hast du früher auch schon immer“, meinte Eva, als sie ging.
Eine halbe Stunde später saßen sie sich gegenüber, im Erker am gedeckten Tisch. Beate hatte alles zurechtgemacht, als wäre sie hier die Hausfrau und nicht Eva. Sie tranken von dem Kaffee, sahen sich über die Tassen hinweg an und lächelten.
„Jetzt, wo du dich gekämmt hast und auch ein wenig zurechtgemacht, in diesem ärmellosen Kleid siehst du großartig aus“, meinte Beate. „Dunkelblau steht dir. Du solltest um dieses Kleid noch eine weiße Schärpe tragen. Das würde den Kontrast erhöhen und sich sehr gut machen. Aber davon später. Schieß los! Du hast eine Menge auf dem Herzen. Du machst immer noch so traurige Augen. Dein Mund lacht, und deine Augen weinen. Rede also!“
Eva seufzte. „Was gibt es viel zu reden? Du siehst doch, ich bin hier alleine auf diesem Dorf. Ewald fand es großartig, aufs Land zu ziehen. Er meinte, so ein Haus hätten wir in der Stadt nie bauen können. Und er sagte mal: Nimm den Wagen und fahr in die Stadt! Dann hast du alles. – Ich habe nichts. Ich gehe hier ein. Ich gehe ein wie eine Pflanze, die im falschen Boden gedeihen soll, in einem Boden, der nicht zu ihr passt.“
„Und mit den Nachbarn hier kommst du nicht zurecht?“, fragte Beate.
Eva zuckte die Schultern. „Was heißt zurechtkommen? Guten Morgen! Guten Abend! Heute scheint die Sonne. Morgen wird’s regnen. Mehr ist es nicht. Und es liegt wahrscheinlich an mir. Ich will mehr nicht haben. Ich ziehe mich immer in mein Schneckenhaus zurück. Am Anfang, da kamen sie schon. Aber ich habe mich so abgekapselt. Und nun …“ Sie lachte gereizt auf. „Du weißt doch, wie die Menschen sind. Wenn du sie nicht immer mit offenen Armen empfängst, dann halten sie dich für eingebildet. Vielleicht denken sie so von mir. Ich weiß es nicht. Ich will es auch gar nicht wissen. Alles, was ich will, ist eine Aufgabe. Ich möchte wieder eine Aufgabe haben.“
„Und Ewald ist dagegen?“, fragte Beate.
„Nein, das ist er nicht. Aber ich finde hier nichts, verstehst du? Hier auf dem Lande ist nichts. Ich möchte wieder im Funk arbeiten.“
Beate schüttelte den Kopf. „Das ist auch nichts. So gut zahlen die nicht. Und das Fernsehen ... Otto und ich, wir können ein Lied davon singen. Wir haben jetzt einen Auftrag für eine ganze Serie. Du weißt doch, wir sind in Irland gewesen und haben Filme gedreht, die Texte geschrieben. Die Hälfte davon haben sie uns gestrichen und weggeschnitten. Otto ist empört darüber, aber er muss die Faust in der Tasche machen. Ein falsches Wort, und sie schmeißen die ganze Sache wieder hinaus.“
„Und trotzdem wäre ich froh, wenn ich so etwas machen könnte. Kindersendungen! Das hat mir schon immer vorgeschwebt. Das habe ich damals im Funk immer gemacht. So etwas im Fernsehen!“
„Ja, im dritten Programm, da ist was. Du müsstest mit Meier-Bitterfeld sprechen.“
„Meier-Bitterfeld? Ich kenne ihn nicht.“
„Ich werde dich mit ihm zusammenbringen!“, versprach Beate. „Du hast doch einen Wagen. Du fährst hin! Du machst so etwas! Und dann ...“
„Es ist nicht nur der Beruf allein. Ich habe niemanden. Er ist wochenlang weg. Verstehst du mich nicht?“
Beate stand auf, ging um den Tisch herum und legte Eva die Hand auf die Schulter. „Aber mein Liebes, du hättest doch zu uns kommen können!“
„Ihr seid erst seit Kurzem wieder da. Ihr wart doch in Irland. Hätte ich nach Irland kommen sollen?“
„Natürlich nicht. Aber wir waren ja nicht ewig in Irland. Jetzt sind wir auch wieder da, und du kannst jederzeit zu uns kommen. Du weißt doch, wie Otto ist.“
„Otto ist Ewalds Freund“, erwiderte Eva. „Ich habe schon einmal – sei mir bitte nicht böse, dass ich das sage – die Erfahrung gemacht, dass die beiden über alles sprechen, wirklich über alles, so, wie wir beide auch über alles sprechen. Schließlich sind sie Freunde, und wir sind Freundinnen. Ewald und ich, wir haben uns ja durch euch kennengelernt. Das ist eine besondere Situation.“
Beate nahm die Hand von der Schulter weg. „Ja, willst du damit sagen, dass du mir nicht so vertrauen kannst wie ...“
„Natürlich will ich das nicht sagen. Ich meine nur, Otto sollte nicht alles wissen.“
Beate lachte. Etwas verwirrt blickte Eva sie an. Beate lachte noch herzlicher, setzte sich wieder, und als sie mit dem Lachen aufhörte, sagte sie: „Du kleine Närrin! Otto ist ein lieber Mann. Ich möchte mit keinem anderen verheiratet sein. Aber kein Mann ist so schön, dass man nicht noch einen zweiten haben könnte.“
Erschrocken blickte Eva Beate an. „Hast du etwa einen Liebhaber?“
Beate schmunzelte. „Jedenfalls hatte ich bis vor Kurzem einen. Einen Arzt. Ein netter Mensch. Aber jetzt ist die Sache auseinandergegangen. Er hat sich eine Ärztin angelacht, eine Kollegin, mit der er zusammenarbeitet.“
„Mein Gott, und hat Otto etwas davon gemerkt?“, fragte Eva.
„Nicht richtig. Flirt ja, aber das übrige … Seh‘ ich so dumm aus? Er würde es mir auch nicht verzeihen, auch wenn er es zehnmal behauptete. Das musst du dir merken. Du darfst einem Manne nie zugeben, dass du ihn betrogen hast, nicht in der schwächsten aller Stunden. Und wenn sie dir schwören, sie haben dafür Verständnis. Sie haben es nicht. Wir haben nämlich auch kein Verständnis dafür.“
„Nein“, erklärte Eva entschieden, „deshalb würde ich mich scheiden lassen. Wenn ich einen anderen hätte, würde ich mich scheiden lassen.“
„Du willst einen anderen, nicht wahr? Du wärst froh, wenn du jemanden kennenlerntest?“
„Ich wäre froh“, erwiderte Eva, „wenn Ewald nicht immer weg wäre.“
„Aber mein Liebes!“, rief Beate, „das ist doch nun mal sein Beruf. Er ist Fotojournalist, Bildreporter. Er macht die tollsten Aufnahmen. Er ist weltberühmt. Er arbeitet für die größten Presseagenturen dieser Erde. Er hat Zutritt zum Kreml, ebenso wie zum Weißen Haus. Jeder kennt ihn. Dr. Ewald Hoesch! Das ist ein Name. Das ist schon fast ein Zeichen. Ich glaube, du weißt über den Beruf deines Mannes nicht allzu viel. Du hast noch nie versucht, mehr als nur nötig davon kennenzulernen, nicht wahr? Warum fährst du nicht einfach mit ihm? Was hindert dich daran?“
„Er hindert mich daran“, erwiderte sie. „Er hat immerzu Angst um mich, es könnte mir etwas passieren, während er selbst kein Risiko scheut.“
„O ja“, bestätigte Beate. „Ich denke bloß an die Bilder, die er damals von den Aufständen in Afrika gemacht hat. Da war er mehr gefährdet als alle anderen. Und trotzdem hat er gefilmt und fotografiert.“
„Das ist es ja. Er selbst macht sich um sein Leben keine Gedanken. Aber mit mir geht er um, als wäre ich eine Mimose. Ich habe mir auch schon überlegt, mit ihm zu fahren. Aber er lehnt es kategorisch ab. Vielleicht ... vielleicht hat er eine Freundin?“
Beate zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht. Mich kannst du danach nicht fragen. Vielleicht solltest du diese Frage überhaupt nicht stellen, dir nicht und auch anderen nicht. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Revanchiere dich doch. Wenn du diesen Verdacht hast, musst du dich revanchieren. Das macht dich frei.“
„Ich kann nicht so handeln wie du. Ich bin anders als du, Beate.“
Beate schüttelte den Kopf. „Du denkst zu viel über alles Mögliche nach. Weniger denken, mehr handeln. Da fällt mir etwas ein. Nächste Woche Mittwoch ist unser Theatertag. Wir haben ein Abonnement, du weißt ja. Aber mit Otto ist es ja auch so eine Sache. Manchmal hat er Lust, manchmal hat er keine. Und dann gibt es einen Haufen Verpflichtungen bei Otto. Und ich persönlich bin auch nicht so scharf. Es ist La Boheme auf dem Spielplan, allerdings italienisch gesungen. Aber ich finde, das ist nur ein Vorteil. Du weißt ja, manche Sprachen eignen sich ganz einfach mehr zum Singen.“
„Willst du damit sagen, du willst mir die Theaterkarten geben, oder möchtest du mit mir zusammen..
„Nein, nicht mit dir zusammen. Ich wüsste jemanden, von dem ich glaube, dass er dir gefällt.“
„Du bist eine Kupplerin, weißt du das?“ Eva lachte, und Beate stimmte in dieses Lachen ein.
„Mag sein. Wenn er dir nicht gefällt, dann ist es mit diesem Theaterabend eben wieder vorbei. Du gehst mit ihm hin, sitzt neben ihm, schließlich sitzt du immer irgendwie neben einem im Theater. Und dann geht ihr zusammen ein Glas Sekt trinken oder was sonst immer, könntet vielleicht auch gemeinsam essen. Ich bin sicher, er lädt dich ein. Ja, und dann wird es sich eben entscheiden.“
„Entscheiden, was?“, fragte Eva.
„Entscheiden, ob er dir gefällt oder nicht. Ihr könnt euch verabschieden, oder ihr könnt zusammenbleiben. Das ist euch überlassen. Ihr könntet euch wiedersehen oder auch nicht. Mein Gott, was hängt davon ab?“
„Ins Theater! Und wenn uns jemand sieht?“
Beate lachte. „Sag mal, aus welchem Mittelalter bist du denn übriggeblieben? Wir leben in einer modernen Zeit. Natürlich kannst du deinem Mann sagen, das ich euch beiden die Theaterkarten gegeben habe.“
„Ich soll es ihm sagen? Vorhin hast du selbst erklärt, ich sollte ...“
„Für den Fall, dass man euch sieht, wird es auch dein Mann erfahren, möglicherweise. Du wirst also sagen, dass ich zwei Theaterkarten hatte und sie verschenkt habe, eine an dich und eine an einen Bekannten von mir. Und dann werde ich ihm schon das Passende dazu erklären. Du musst mich nur informieren. Sag seinen Namen und alles. Es ist das beste Mittel, die Eifersucht eines Mannes zu beschwichtigen, wenn du von vornherein mit offenen Karten spielst, zumindest mit scheinbar offenen.“
„Ich weiß nicht. Ich habe immer großes Vertrauen zu Ewald gehabt und er auch zu mir. Das aber, was du von mir verlangst, ist etwas, was ich bis jetzt ...“
Beate sah Eva vorwurfsvoll an. „Was willst du denn nun? Aus deiner Einsamkeit ausbrechen oder weiter hier versauern? Ausbrechen kannst du nur, wenn du einen Schritt in diese Richtung tust. Oder denkst du, wenn der Postbote kommt, der bringt die große Überraschung? Wenn du dich nicht bewegst, bewegt sich auch sonst nichts. Von allein geschieht kaum etwas.“
„Wer ist denn dieser Mann?“
„Es ist auch ein Arzt. Ich hab ihn zufällig durch Heinz kennengelernt. Heinz, das ist mein verflossener Liebhaber. Er heißt Matthias. Dr. Matthias Marenberg. Er ist ein Jahr oder zwei Jahre älter als du, blond. Sieht ganz gut aus, hat ein Durchschnittsgesicht, nicht so eine Persönlichkeit wie Otto oder dein Ewald. Dafür traue ich ihm auf einem anderen Gebiet irgendwie mehr Verständnis zu. Er hat mir anfangs mehr gefallen als Heinz. Aber dann brachte der Zufall Heinz und mich zusammen. Und ich habe eigentlich Matthias wieder aus den Augen verloren. Neulich sah ich ihn wieder. Er hatte so ein ganz junges Ding bei sich und hat sie noch im Verlaufe des Abends ziehen lassen. Sie war nichts für ihn. Sie passten auch nicht zusammen, und er wusste das. Matthias ist ein Mensch, der, so wie du, ein starkes Seelenleben hat. Und so sind auch seine kulturellen Interessen. Er liebt die Oper, liebt klassische Musik. Er rezitiert gerne Gedichte, und auch auf diesem Gebiet würdet ihr euch gut verstehen. Ich weiß ja von dir, dass du ähnliche Ambitionen hast.“
Eva sah Beate gespannt an. „Ich möchte ihn wirklich gern kennenlernen. Was ist er denn für ein Arzt?“
„Er hat bis vor kurzem in derselben Klinik gearbeitet wie Heinz. Heinz ist übrigens dort Oberarzt geworden vor einiger Zeit. Er ist der Chirurg, und Matthias war, glaub’ ich, Internist. Jedenfalls hat er jetzt eine Praxis in der Moltkestraße.
„Und wann ist dieser Theaterabend?“, fragte Eva.
„Mittwoch nächste Woche, meine Liebe“, erwiderte Beate.