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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74097-887-7
Wheeler hält genau dort, wo ihn niemand erwarten wird. Er ist immer geschickt und ein Mann, der seinen Gegner kommen zu lassen pflegt.
Und diesmal sind es zwei Gegner.
Die Blätter des Busches zittern im Wind, die Zweige reiben sich aneinander, und der Mond ist wie eine Sichel in dieser sternenklaren Nacht.
Wheeler kneift die Augen leicht zusammen und sagt sich, dass die beiden Männer hier heraufkommen werden. Es ist unmöglich, dass sie einen anderen Weg aus dem Tal am Judith-River-Arm nehmen, denn hier sind sie in das Tal geritten.
Dort unten, dicht an der Geröllhalde, die zum Flussbett abfällt, bewegt sich etwas. Im nächsten Moment reiten die beiden Männer aus dem Schatten heraus.
Wheelers Finger gleiten über den Kolben der Winchester und legen sich um das kühle Metall des Schlosskastens.
Der Busch verdeckt Wheeler gegen die Sicht der beiden Männer. Sie werden schräg unter ihm vorbeikommen müssen und ihn wahrscheinlich zu spät bemerken.
Clay Wheeler zieht das Gewehr aus dem Scabbard und legt es über sein linkes Bein.
»Ruhig«, sagt er leise und klopft dem Pferd mit der linken Hand an den schlanken Hals. »Nur ruhig, Freund, sie dürfen dich nicht hören!«
Das leise Schnauben des Pferdes verstummt, der Braune mit dem weißen Brustdreieck steht still wie ein Denkmal. Wheeler duckt sich leicht.
Er hat den Oberlauf des Flusses links vor sich und den Wind gegen sich stehen. Vielleicht wirkt deshalb das Muhen der drei Rinder so laut. Die Männer zeigen immer noch keine sonderliche Eile, kommen aber stetig näher und werden in weniger als fünf Minuten die flache Senke unter Wheeler erreicht haben.
Noch 200 Yards.
Fast hat Wheeler Mitleid mit den beiden Männern, die sein Auftauchen allein schon fürchterlich erschrecken muss.
Er wartet nun nicht mehr, er sieht die Rinder genau links von sich auf seiner Höhe kommen und dahinter nun die beiden Männer.
Clay Wheeler drückt seinem Braunen fest die Schenkel ein, das Tier unter ihm spannt sich und hebt den schmalen Kopf.
Und dann reißt Wheeler das Gewehr mit einem Ruck hoch und sagt scharf und peitschend: »Halt oder ich schieße! Streckt die Hände bis an die Sterne!«
Wheeler sieht den einen Mann fast zu Tode erschrocken zusammenfahren. Dann wirft sich der Viehdieb auch schon herum und schlägt hart seine Hacken an.
Der andere aber, der hinter diesem an der rechten Flanke der drei Rinder reitet, reißt sein Gewehr aus dem Scabbard. Es wird für Clay in einer Sekunde so ungemütlich, dass er seinen Versuch, die Männer auf friedliche Art zu stellen, aufgeben muss. In einer Sekunde nach dem Schreck rutscht der erste Mister auf die linke Seite des Pferdes und rast auf den vielleicht 20 Yards entfernten Hang der Senke zu, an dem einige Büsche stehen.
Wheelers Stimme ist noch nicht verhallt, als der andere mit drei, vier anspornenden Schlägen sein Pferd hinter die Rinder treibt.
Clay sieht das Gewehr des Mannes hochfliegen und flucht einmal kurz und heftig.
Dann ist seine Winchester an seiner Schulter. Und während der erste der beiden Nachtfalken in rasendem Galopp zu dem Hang reitet, schießt der andere auch schon.
Es war immer Wheelers Art, jedem Mann seine Chance zu lassen. Und selbst hier lässt er sie dem nun fast hinter den Rindern versteckten Viehdieb.
Wheeler, sicher, dass man ihn schlecht erkennen kann, liegt platt auf dem Hals seines Braunen und hört die Kugel heulend zwischen die Zweige schlagen. Clay muss nun feuern. Mit dem nächsten Schuss – und darin ist er ganz sicher – wird der Nachtreiter seinen Braunen oder ihn selber treffen.
Er visiert kurz und drückt dann ab.
Der Rückstoß der Waffe ist hart an seiner Schulter, der Mann drüben stößt einen gellenden Schrei aus und ist noch im Donner des Schusses, der durch das Tal braust, aus dem Sattel verschwunden.
Nervös gemacht durch die beiden krachenden Donnerschläge rasen die drei Rinder los. Aber auch das Pferd des getroffenen Nachtreiters jagt nach rechts.
Wheelers Winchester fliegt herum.
Es ist nur ein Moment der Zielnahme, dann peitscht sein Gewehr zum zweiten Mal. Er sieht den Reiter knapp unterhalb des Hanges gegen dessen Grat rasen, das Pferd hebt sich in der nächsten Sekunde klar gegen den hellen Hintergrund des Himmels ab.
Genau auf dem Grat bricht das Pferd zusammen, der Reiter fliegt im Bogen aus dem Sattel.
Wheeler treibt seinen Braunen scharf nach links herum, bleibt an dieser Seite des Flusses und jagt im wilden Galopp dicht an der Schluchtwand entlang.
Er hört nichts mehr von den beiden Männern, aber er sieht wenigstens den einen Mister noch, den er zuerst erwischte. Dieser Mann hängt mit dem rechten Fuß im Steigbügel seines Pferdes nach unten. Das Pferd aber geht in voller Jagd an der rechten Schluchtseite entlang. Das ist Wheelers letzter Blick zurück.
Vor ihm liegt nun der kleine Einschnitt neben der Senke. Der dunkel erscheinende Fleck am Senkungsstieg neben dem Kamm ist wohl das getroffene Pferd. Wheeler rast genau nach Westen, dreht aber hinter dem nächsten Felsen und sieht kühl zurück.
Verborgen hinter einem Felsblock sieht Clay die schwache Bewegung unterhalb der linken Schluchtwand. Dort ist also jener Bursche, der aus dem Sattel flog.
Hastig sitzt Wheeler ab, stellt sein Pferd an die Wand und schlingt die Zügel um einen der Felszacken. Danach huscht er auf seinen Stiefeln, an denen ihn selten jemand Sporen tragen sah, nach links.
Der Viehdieb richtet sich auf und kommt geduckt, das Gewehr in der rechten Hand, durch die herumliegenden Felstrümmer nach rechts.
Allem Anschein nach ist er nun sicher, Wheeler abgeschüttelt zu haben, denn er bewegt sich rasch. Und Wheelers kantiges Gesicht mit den dunklen und braunen Augen verzieht sich leicht vor Spott.
Ganz ruhig nimmt Clay einen Stein in die rechte Hand und holt aus. Nun ist der Mann genau unter ihm, wenn auch noch dicht an der Schluchtkante. Wheeler wirft den Stein nach links. Der Stein poltert dort herunter, wo der Mann lag, als er über die Kante gekommen war. Dann kollert er über die Kante und erzeugt ein klickerndes und immer leiser werdendes Geräusch.
Unter ihm wirft sich der Mann herum, starrt auf die Stelle und weicht wie ein gestellter Puma, der sich von Jägern umgeben sieht, nach hinten zurück.
Er geht geduckt rückwärts. Und da schleudert Wheeler den zweiten Stein.
Der Krebsgang des Mannes wird noch schneller, endet dann hinter einem Felsblock, der genau unterhalb von Wheeler, keine drei Meter tiefer liegt.
Behutsam richtet sich Clay auf. Nun kann Clay nach unten blicken. Der Mann kauert hinter dem Felsblock, braucht sich nur umzudrehen und kann dann Wheeler über sich erkennen.
Es ist ein älterer Mann ohne Hut, dessen Haar wirr um den Kopf liegt. Wheeler sieht genau auf seinen Rücken, der seltsam krumm und angespannt ihm zugewandt ist.
Einen Moment zaudert Wheeler, dann sagt er laut und scharf: »Weg mit dem Gewehr!«
Er drückt zugleich ab, hört die Kugel klatschend in das Donnern des Abschusses hinein gegen die Felsen prallen und sieht den Mann heftig zusammenfahren.
Der Viehdieb öffnet die Hände, sein Gewehr landet auf dem Boden, als Wheeler schon wieder durchgeladen hat.
Unaufgefordert reißt der Mann gleich darauf beide Hände in die Höhe, dreht den Kopf herum und sieht Wheeler nun vier bis fünf Schritte hinter sich auf den Felsen stehen.
Es ist ein eckiges und müdes Gesicht mit Augen, in denen die nackte Furcht steht. Und krächzend sagt der Mann: »Nicht schießen, nicht schießen, ich ergebe mich!«
Wheeler sagt ruhig: »Machst du eine verkehrte Bewegung, drücke ich ab, Mister! Langsam umdrehen!«
»Ja, aber nicht schießen.«
Er dreht sich um und hält die linke Hand weit vom Körper ab.
»Jetzt mach den Gurt auf und halte ihn in der Hand!«
Der Mann gehorcht, aber er sieht so übel aus, dass Wheeler fast etwas wie Mitleid spürt.
Schon ist der Gurt von den Hüften gerutscht, baumelt in der Hand des Mannes nach unten und pendelt aus.
»Nach hinten werfen, mein Freund!« Der Gurt fliegt nach hinten. Er sagt keuchend: »Was willst du von mir, ich kenne dich nicht, Fremder. Was willst du?«
Wheeler betrachtet ihn aufmerksam. Dieser Mann hat Angst, aber er gehört augenscheinlich nicht zu der ganz rauen Sorte, die man manchmal antrifft.
»Was ich will?«, fragt Wheeler kühl. »Ich hatte den Auftrag, nach euch zu suchen. Mein Name ist Wheeler.«
»Wheeler«, sagt er erschrocken. »Etwa Clay Wheeler?«
»Ja«, erwidert Clay kurz.
»Wheeler«, keucht der Mann voller Furcht. »Wheeler, hat Millard dich geholt?«
»Genau, Mister! Geh bis zum Ende der Felsen, dort bleibst du stehen, aber nimm nicht die Hände runter.«
Schon geht Wheeler oben weiter, während der Viehdieb unter ihm entlanggeht und die Hände im Nacken verschränkt.
»Weiter, Mister!«
Wheeler nähert sich ihm nun und tastet ihn ab. Er findet nur ein Messer in der linken Hosentasche, zieht es heraus und steckt es ein.
»Jetzt geh«, sagt er. »Immer vor mir her und nicht zu schnell. Versuchst du etwas …«
»Lass mich laufen, Wheeler«, sagt der Mann schrill und sieht ihn furchtsam über die Schulter hinweg an. »Wenn Millard mich bekommt, bringt er mich um. Er wartet doch nur darauf, dass er einen von uns erwischt und aufhängen kann. Wheeler, lass mich doch laufen!«
»Wie heißt du?«
Wheeler treibt ihn vor sich her über die Felsen der Schluchtkante nach Westen.
»Talbot, Wheeler. Ich bin ein armer Mann, ein armer …«
»Schon gut«, erwidert Wheeler trocken. »Wo wohnst du?«
»Drüben, am Smith River, einige Meilen davor. Wheeler, ich habe das nicht oft gemacht, bestimmt nicht. Wenn Millard mich erwischt, hängt er mich auf!«
»Du wusstest das, was kamst du her? Talbot, wer ist der andere?«
»Kenneth, Tom Kenneth, Wheeler!«
»Hat er Familie?«
»Nein, er lebt nur bei uns. Wheeler, ich tue es nie wieder, ich schwöre es dir!«
»Schwöre nie, dann brauchst du nie zu lügen, Talbot. Weiter den Hang hinunter, aber langsam, nur nicht laufen, ich passe schon auf. Hast du Frau und Kinder?«
»Nein, aber ich wohne drüben bei meiner Schwägerin. Mein Bruder ist tot, ich versorge die Familie!«
»Mit gestohlenen Rindern?«
Talbot senkt den Kopf und steigt vorsichtig den Hang hinab. Er kommt tiefer und tiefer, sieht sich einmal um, aber Wheeler ist immer noch wachsam und das Gewehr auf seinen Rücken gerichtet.
»Was wolltet ihr mit den Rindern machen, Talbot?«
»Wir wollten sie umbrennen und nach einiger Zeit verkaufen.«
»An wen, Mister?«
Talbot dreht den Kopf herum, sein Gesicht ist verzerrt, und seine Stimme ist keuchend, als er heiser sagt: »Ich war nie mit, wenn sie verkauft wurden. Das weiß nur Kenneth.«
»Millard ist wild genug, euch alle in die Hölle zu blasen«, erwidert Wheeler kühl. »Wie viel Mann seid ihr?«
»Wozu rede ich, wenn du mich doch nicht laufen lässt«, sagt Talbot etwas schroff. »Es hat doch keinen Sinn.«
»Ist es dir lieber, du hängst?«, fragt Wheeler scharf. »Ich kann dich laufen lassen, aber nur laufen!«
»Ohne Pferd?«
»Gebe ich dir ein Pferd, dann warnst du die anderen«, gibt Clay zurück. »Also, wie willst du es haben?«
»Du lässt mich laufen, wenn ich alles sage?«
Sie nähern sich dem reglos an der Sandbank des Flusses stehenden Pferd von Kenneth. Es ist ein Grauschimmel mit einem Bocksattel, wie ihn nur Männer benutzen, die aus dem Süden stammen. Wheeler zieht etwas die Augenbrauen hoch, die starre Haltung von Kenneth schafft Unruhe in ihm. Er hat den Mann nur verwundet, darin ist er sicher. Nun aber hängt Kenneth mit dem Kopf nach unten und bewegt sich nicht.
Talbot erreicht den Platz, an dem das Pferd steht, zuerst. Er bleibt stocksteif stehen und sagt, starr auf den reglos den Boden berührenden Kenneth starrend: »Tom! He, Tom, sag was!«
Tom Kenneth hängt schlaff herunter und der Revolver steckt angeschnallt im Halfter.
Mit sechs, sieben langen Schritten geht Clay Wheeler auf Kenneth zu, packt ihn an der Jacke und will ihn hochheben. Er sieht genau auf den Punkt, an dem seine Kugel den Mann aus dem Sattel warf. Er hat ihn dort getroffen, wo er ihn zu treffen dachte.
Tom Kenneth aber, der niemals an dieser Kugel sterben konnte, fällt schlaff zurück. Und sein Kopf hängt seltsam schief.
Wheeler sieht bestürzt auf den Mann hinab. Und dann sagt die schrille, fast kreischende Stimme Jim Talbots hinter ihm: »Er ist tot, er ist tot! Du hast ihn mitten durch den Kopf geschossen! Er ist tot!«
Die Stille ist unheimlich und beklemmend.
Wheeler dreht sich langsam zurück, lässt einen Augenblick die Schultern hängen und sieht Talbot leer an.
Dann beugt er sich vor, nimmt Kenneth den Revolver aus dem Halfter, hebt den Mann an und löst seinen Fuß aus dem Steigbügel.
Danach legt er Kenneth auf den grobroten Sand der Uferbank. Wheeler braucht nur auf seine rechte Kopfseite zu sehen, um das Unglück dieses Mannes zu erkennen. Kenneth ist abgerutscht, mit dem Kopf gegen irgendeinen Stein geschlagen und hängen geblieben.
In die Stille hinein tönt Talbots lautes Schnaufen. Talbot steht zusammengekrümmt und leichenblass neben Wheeler, hebt den Blick langsam und schluckt schwer.
»Sieh nach«, sagte Wheeler heiser. »Sieh ihn dir an, ich hatte ihn nur in die Schulter getroffen, er ist abgerutscht und gegen einen Felsen geschlagen, das ist die Wahrheit!«
Talbot tritt schaudernd und zitternd näher, betrachtet seinen Partner und nickt dann.
»Das – das ist«, beginnt er stammelnd, aber seine Stimme verliert bald den Hauch von Panik und festigt sind. »Das ist sein Pech gewesen. Wheeler, die Schüsse, wird man sie nicht gehört haben?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht hat Millard Wachen ausgestellt, ich war schon eine Woche nicht mehr auf der Ranch«, murmelt Wheeler. »Wenn sie es gehört haben, dann werden sie bald hier sein. Talbot, verschwinde, aber tue es schnell!«
»Gib mir das Pferd«, sagt Talbot bettelnd. »Ich komme sonst nicht weg. Ich schaffe es nicht. Wheeler, wenn sie meine Spuren verfolgen …«
Clay Wheeler ahnt die Nähe unbewusst, in der sich nach den Schüssen die Weidemannschaft des alten Millard befinden wird. Er sieht Talbot kurz an und sagt knapp: »Verschwinde mit seinem Pferd, aber du musst mir erst helfen, ihn zu deinem Gaul zu bringen. Mann, ich weiß nicht, warum ich dich laufen lasse, ich weiß es wirklich nicht. Nun gut, dann verschwinde, aber erst hilf mir!«
»Ich werde dir das nicht vergessen«, sagt Talbot schnell und stockheiser. »Sicher werde ich die anderen warnen können!«
»Und dann?«, fragt Wheeler bitter. »Glaubst du, dass es davon besser wird? Mein Freund, nichts wird besser, wenn du sie warnst, sie werden es immer wieder tun.«
Sie heben Kenneth auf das Pferd und treiben es langsam voran neben den am Boden liegenden Gaul von Talbot.
Unruhig sieht sich Talbot um.
»Wheeler, bleibst du länger hier?«, fragt er. »Wirst du Millards Mannschaft führen?«