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Kapitel 1

Ich hatte niemals faszinierendere Augen gesehen als seine.

Sie waren hellgrün und kristallklar, mit feinen saphirgrünen Linien um die Iris. Seine Wimpern waren dicht und schwarz und der intensive Blick zog mich unwiderstehlich an.

Er hatte dunkle Augenbrauen und auf seinen Wangen konnte ich einen schwarzen Bartschatten erkennen. Das Haar war unter einer Kopfbedeckung verborgen, einer Art Turban aus dunkelblauem Leinen, dessen locker geschlungener Stoff auch einen Teil seines Gesichts und der Schultern bedeckte.

Seine Haut, etwas dunkler als meine, hatte einen exotischen olivfarbenen Ton und war sonnengebräunt. Er schien ein wenig älter als ich zu sein, vielleicht Mitte zwanzig, und hatte etwas an sich, was mir jedes Mal, wenn ich in seine Augen blickte, den Atem verschlug.

Er war … königlich.

Mein Herz hämmerte gegen meine Brust, während ich langsam auf ihn zuging. Als ich so dicht vor ihm stand, dass ich die feinen Sprenkel in den grünen Augen sah, zog er den blauen Leinenstoff von seinem Hals und enthüllte das Gesicht.

Mein Blick wurde von seinen männlichen Lippen angezogen: Er hatte gleichmäßige Gesichtszüge, eine gerade Nase und ein kantiges Kinn – und der dunkle Bartschatten gab ihm ein maskulines, verwegenes Aussehen. Er war schön, schöner als jeder andere Mann, den ich in meinem Leben gesehen hatte.

Eine Aura ernster, gefasster Ruhe umgab ihn. Da war keine Unbeschwertheit in seinem Ausdruck, keine frohe Leichtigkeit … Vielmehr schien er eine Bürde zu tragen, jene Art schwerwiegender Verantwortung, die ihn zu einem Anführer machte.

Während er mich unentwegt anblickte, verzogen sich seine Lippen zu einem sanften Lächeln. Obwohl ich ihn nicht kannte, spürte ich instinktiv, dass es ein seltenes Ereignis war. Dieser Mann lächelte sonst niemals. Jetzt war das feine Kräuseln seiner Mundwinkel erfüllt von Zuneigung und durchbrach die ernste Zurückhaltung wie ein Blitzschlag. Die kleine Geste traf mein Herz mit Pfeilgeschwindigkeit und brachte meinen Körper vollständig zum Kribbeln.

Seine Gegenwart machte mich atemlos. Schmetterlinge breiteten sich in mir aus, flatterten in den Adern und pulsierten in jeder Zelle meines Körpers. Ich wünschte mir, dass dieser Moment niemals enden würde, dass ich für immer in diese wunderschönen Augen blicken könnte …

Dann formten seine Lippen plötzlich etwas – und er flüsterte ein Wort. Es war so leise, nur für meine Ohren bestimmt. Die Vertraulichkeit dieses Augenblicks fühlte sich an wie eine Liebkosung und sandte einen angenehmen Schauer über meinen Rücken. Ich kannte die Bedeutung des Wortes nicht, doch seine Stimme vibrierte sanft in meinen Ohren.

»Anazee.«

Langsam hob er die Hand an mein Gesicht. Ich erstarrte in Erwartung seiner Berührung, während mir das Herz wie verrückt in der Brust schlug. Seine Fingerspitzen näherten sich meiner Wange, ich wusste, dass seine Liebkosung wie ein Stromstoß durch meinen Körper jagen würde, und trotzdem wünschte ich mir nichts sehnlicher, als seine Hand auf meiner Haut zu spüren.

Doch ehe er mich berührte, war er verschwunden – und ich schlug die Augen auf.

***

Das Herz hämmerte mir immer noch bis zum Hals, als ich in meinen zerwühlten Laken lag und an die Decke starrte. Von draußen drang das Sirenengeheul eines Einsatzwagens herein und für einen Moment erhellte flackerndes Blaulicht mein winziges Einzimmerapartment. Ich lauschte dem Geräusch der sich entfernenden Sirene; es war wie ein Anker, der mich gewaltsam zurück in die Realität zwang.

Seit ich denken konnte, wurde ich von seltsamen Träumen heimgesucht. Die meisten waren schrecklich und angsteinflößend – und sie handelten stets von Orten, an denen ich nie gewesen war und Menschen, die ich nicht kannte. Von dem fremden Mann mit den grünen Augen träumte ich erst seit etwas mehr als einem Jahr – erst, seitdem ich volljährig geworden war.

Als kleines Mädchen im Waisenhaus hatte ich nachts so laut geschrien, dass man mein Bett vom Gemeinschaftsschlafraum hinaus ins Treppenhaus geschoben hatte, damit meine Schreie die anderen Kinder nicht aufweckten. Jahrelang hatten Psychologen vom Jugendamt versucht die Ursache der Albträume aufzudecken, doch ich hatte immer nur von sterbenden Menschen, altertümlichen Klöstern und einem geheimnisvollen dunklen Geschöpf erzählt, das ich in meinen Träumen sah und das mich bis in die Wirklichkeit verfolgte.

Da nichts über meine Vergangenheit bekannt war, waren die Experten zu dem Schluss gekommen, dass ich schwer traumatisiert sein musste, und hatten mich unter strenge psychiatrische Beobachtung gestellt. Kein Wunder, dass sich keine Pflegefamilie je dafür interessiert hatte, mich zu adoptieren.

Ich wusste nicht, wer meine leiblichen Eltern waren. Man hatte mich als Säugling vor dem Eingang des Alexius Hospitals in Chicago gefunden und das Jugendamt hatte entschieden, mich nach dem Krankenhaus und dem Waisenhaus St. Michael, das mich aufgenommen hatte, zu nennen: Alexia Michael.

Mit der Zeit hatte ich gelernt meine verstörenden Träume für mich zu behalten. Es war mir gelungen, den Jugendpsychiatern glaubhaft zu versichern, dass ich mir das Furcht einflößende Wesen, das mich wie ein Schatten begleitete, nur einbildete. Schließlich konnte niemand außer mir dieses dunkle Geschöpf wahrnehmen, und selbst ich hatte es nie wirklich gesehen.

Ich spürte einfach, wenn es da war. Und das war ziemlich oft der Fall.

Ich schlug die Laken zurück und durchquerte mein kleines Apartment, um mir ein Glas Wasser zu holen. Es war kurz nach drei Uhr morgens. Von irgendwoher ertönten wummernde Bässe und ich hörte schreiende, streitende Stimmen. Die Wände meines Apartmenthauses waren dünn wie Pappe und außerdem befand es sich in einer der miesesten Gegenden von Chicago. Die Leitungen waren undicht, der Wasserhahn in der Küche tropfte und die Couch war zerschlissen – doch dieses Loch war alles, was ich mir leisten konnte.

Seit etwas über einem Jahr lebte ich nun schon hier. Als ich achtzehn geworden war, hatte das Jugendamt mich endlich aus seiner Obhut entlassen und ich hatte mir einen Job und eine eigene Bleibe gesucht.

Ich verfügte weder über Geld noch über eine Ausbildung, dafür aber über eine dicke psychiatrische Krankenakte. Nicht gerade die besten Voraussetzungen, doch ich hatte es trotzdem irgendwie geschafft einen Job in einem Callcenter zu ergattern. Dort verdiente ich gerade genug, um die Miete zu bezahlen; der Hauptgrund jedoch, warum ich in dem Callcenter arbeitete, bestand darin, dass ich dabei keinen direkten Kundenkontakt haben musste.

Abgesehen von meinen Träumen und dem unheimlichen Schatten hütete ich nämlich noch ein weiteres düsteres Geheimnis. Etwas, was ich nicht einmal den Psychologen je anvertraut hatte: Manchmal, wenn ich Menschen begegnete, wurde ich von Gefühlen überwältigt, die nicht meine eigenen waren. Meist waren es starke negative Emotionen wie Hass oder Zorn, die unerwartet über mich hereinbrachen. Früher hatte ich diese Gefühle für meine eigenen gehalten, erst mit der Zeit war mir klar geworden, dass es sich dabei um die Emotionen anderer Menschen handelte. Diese Erkenntnis machte mir noch mehr Angst als die Präsenz des unheimlichen Schattens. Ich konnte diese Fähigkeit weder kontrollieren noch steuern und um mich zu schützen hatte ich den einzig möglichen Ausweg gefunden: Ich hielt mich, so gut es eben ging, von anderen Menschen fern.

Das war nicht schwer. Ich hatte keine Familie und hier in Chicago kannte ich niemanden.

Ich trank einen Schluck Wasser, starrte durch das Fenster auf das baufällige Fabrikgebäude gegenüber und dachte über meinen Traum nach. Fast schämte ich mich, es mir selbst einzugestehen, doch ich träumte viel zu selten von ihm. Meist bestanden meine Träume aus unzusammenhängenden Szenen, aus immer wiederkehrenden Gesichtern und Orten, die jedoch für mich keinen Sinn ergaben. Ich träumte von einem riesigen uralten Kloster irgendwo in den Wäldern, von einem alten Mönch mit weißem Bart und tiefblauen Augen, von Schlachten, sterbenden Menschen und Massakern. Meine Träume glichen Erinnerungsfetzen, niemals träumte ich zusammenhängende Ereignisse.

Ich starrte in die Dunkelheit. Wer war der schöne Mann mit den grünen Augen? Und der Traum …? Immer derselbe: eine Begegnung, die mir den Boden unter den Füßen wegriss und das Herz zum Flattern brachte, wie ich es in der realen Welt nie erlebt hatte. Ein Blick in seine faszinierenden Augen. Und ein geflüstertes Wort: Anazee.

Der Wasserhahn in der Küche tropfte. Sonst umgab mich nichts als Stille.

***

Der nächste Tag im Callcenter verlief völlig ereignislos, jedenfalls bis elf Uhr zweiunddreißig. Ich trug mein einziges Paar Jeans, ein langärmliges moosgrünes Shirt und hatte meine langen braunen Haare wie immer zu einem unordentlichen Pferdeschwanz gebunden, aus dem mir ein paar ungebändigte Strähnen ins Gesicht hingen.

Ich saß mit siebenundvierzig anderen Mitarbeitern in einem Großraumbüro. Mein Platz war ganz hinten in einer Ecke, weit entfernt vom Kaffeeautomaten, dem Aufzug und den Toiletten – und direkt unter der defekten Klimaanlage, die permanent ein nervtötendes Klappergeräusch erzeugte. Es war der schlechteste Platz des gesamten Büros, weshalb auch niemand auf die Idee kam, mir diesen Schreibtisch streitig zu machen. Ich war das unsichtbare Mädchen, wechselte kaum je ein Wort mit meinen Kollegen – daher verirrte sich fast nie jemand in meine Ecke des Büros, was bedeutete, dass ich dort von unwillkommenen fremden Gefühlsempfindungen großteils verschont blieb.

Während ich die Anrufliste auf meinem Bildschirm mechanisch abarbeitete, stundenlang dieselben Phrasen in mein Kopfhörer-Mikrofon sprach und mir von den Fremden am anderen Ende der Leitung eine Absage nach der anderen holte, dachte ich immer wieder über den Traum der vergangenen Nacht nach. Ich verlor mich in der Erinnerung an seine grünen Augen, an das sanfte Flüstern seiner Stimme und ich fragte mich, wie seine Finger auf meiner Haut sich wohl angefühlt hätten …

Als ich den nächsten Anruf tätigen wollte, verschwamm plötzlich der Bildschirm vor meinen Augen. Ich wusste nicht, was geschah und konnte nichts dagegen tun – doch im nächsten Moment liefen Szenen vor meinen Augen ab wie ein Film.

Soldaten, in schwarzes Leder gekleidet und mit Messern und Schwertern bewaffnet, zerrten einen Mann an Ketten immer tiefer in ein unterirdisches Gemäuer. Seine Hände waren gefesselt und er stolperte barfuß über den Steinboden. Er trug die Kleidung eines Mönchs, eine braune Kutte aus grobem Leinen und eine einfache Kordel, die ihm als Gürtel diente. Die Kleidung war zerschlissen und voller getrocknetem Blut.

Fackeln in eisernen Haltern warfen gespenstische Schatten an die Wände und die Schritte der Männer hallten durch die Gänge, begleitet von dem wimmernden Flehen des Mönchs. Die Soldaten zwangen ihn vorwärts, bis sie eine schwer beschlagene Eisentür erreichten. Der Mönch keuchte vor Angst und sein Blick flackerte zwischen den Soldaten und der Eisentür hin und her.

Ganz langsam schwang die Tür auf und dahinter befand sich ein runder, aus Stein gemauerter Raum. Die Soldaten stießen den Mönch hinein, er sah sich furchtsam um und erkannte mehrere Gestalten, die lange dunkle Umhänge trugen.

Die Gestalten bildeten einen Kreis um einen eisernen Altar, an dessen Enden jeweils Hand- und Fußschellen angebracht waren. Ich fühlte den eisigen Schrecken, der den Mönch durchfuhr, als er erkannte, dass der Altar mehrere Rillen aufwies, die zu einem gemeinsamen Abflussloch am Fußende führten.

Neben dem Altar stand ein massiver Holztisch, auf dem sonderbare und schreckliche Gegenstände aufgereiht lagen: Mehrere Messer mit Klingen unterschiedlicher Länge, Schalen gefüllt mit weißem und schwarzem Pulver, Fläschchen mit dunklen Flüssigkeiten sowie einige spitze Werkzeuge aus Metall, die auf grässliche Art an Folterinstrumente erinnerten.

»Fesselt ihn an den Tisch!«, erklang plötzlich eine Stimme aus der Mitte des Kreises, heiser und voller Ungeduld.

Der Mönch zuckte zusammen. Während die Soldaten ihn auf den Altar zu schleiften, suchte sein Blick denjenigen, der gesprochen hatte.

Dieser Mann trug wie die anderen eine bodenlange schwarze Kutte, doch er war der Einzige, um dessen Schultern eine rote Schärpe geschlungen war. Das Licht der Fackeln erhellte für einen Moment sein Gesicht unter der Kapuze, sodass der Mönch ihn erkannte.

Er keuchte erschrocken auf und der letzte Rest von Farbe wich aus seinen Wangen, während die Soldaten ihn auf den Altar fesselten.

»Gnade!«, wimmerte er. »Habt Erbarmen, ich flehe euch an!«

»Schweig«, zischte der Mann mit der Schärpe und näherte sich dem Altar. »Tretet zurück.«

Während die Soldaten dem Befehl folgten, begannen die anderen Gestalten im Raum mit monotoner Stimme Beschwörungsformeln zu rezitieren. Der Mann mit der Schärpe griff nach einem Dolch und tauchte die Klinge zuerst in das schwarze, dann in das weiße Pulver.

Der Mönch riss in Todesangst die Augen auf, als er sah, wie der Dolch über ihm erhoben wurde. Der Mann mit der Schärpe umfasste den Griff des Dolchs mit beiden Händen – und stieß die Klinge kraftvoll nach unten.

Das monotone Rezitieren wurde von dem markerschütternden Schrei des sterbenden Mönchs unterbrochen. Der Mann mit der roten Schärpe hielt inne. Seine Finger umklammerten noch immer den Griff des Dolchs, der nun bis zum Anschlag in der Brust des Mönchs steckte, und sein Blick wanderte erwartungsvoll durch den Raum.

Tiefe Dunkelheit begann sich auszubreiten. Dunkelheit von schwarzer Leere und Todesstille, die unaufhaltsam ins Innere der anwesenden Männer kroch, ihren Atem beschleunigte und ihre Herzen vor Angst schneller schlagen ließ. Ich fühlte, wie diese Dunkelheit sie alle verschlang, jedes Geräusch erstickte, jede Bewegung, jede Empfindung – und nichts zuließ als schwarze Kälte und überwältigende lähmende Furcht.

Plötzlich veränderte sich der Ausdruck auf dem schmerzverzerrten Gesicht des Mönchs. Er riss den Mund in einem stummen Schrei auf und sein Gesicht wurde zu einer verzerrten Fratze. Alles hatte seine Bedeutung verloren: Der Schmerz, die Angst vor den Soldaten und vor dem Mann mit der roten Schärpe, selbst die tödliche Wunde, die ihm zugefügt worden war – das alles war im Nichts versunken. Der Mönch, das fühlte ich, war erfüllt von der alles verschlingenden Endgültigkeit, die ein Mensch nur ein einziges Mal in seinem Leben empfand.

»Ja«, flüsterte der Mann mit der roten Schärpe mit heiserer Stimme und auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck von Besessenheit, der an Wahnsinn grenzte. »Er ist hier! Ich kann ihn sehen …«

In der Mitte des Kreises war plötzlich eine Gestalt aufgetaucht, scheinbar aus dem Nichts, und sie war die Quelle der Kälte, der Dunkelheit und der Angst. Ich spürte, dass die Herzen der Männer zu rasen begannen – und ich erkannte ihre Gefühle der Panik und überwältigenden Ohnmacht wieder. Es waren die gleichen Empfindungen, die ich als kleines Kind in Anwesenheit meines dunklen Schattens gehabt hatte. Die Männer wollten fliehen, fort von diesem furchtbaren Ort, doch sie waren wie versteinert, denn die Angst lähmte ihre Körper und ihren Willen.

Doch sie konnten den Blick nicht von dem unheimlichen Geschöpf in ihrer Mitte nehmen: jener schwarz gekleideten, männlichen Gestalt in dem bodenlangen Mantel, dessen Kapuze so tief ins Gesicht gezogen war, dass ihre Züge verborgen blieben. Wellen ihrer ungeheuren Macht, grenzenlos und unaufhaltsam, durchdrangen die Männer und spülten ihren Mut fort – ich spürte, sie begriffen, dass sie diesem Wesen vollkommen ausgeliefert waren und ihm nichts entgegenzusetzen hatten.

Der Mann mit der roten Schärpe wich zurück, als das mächtige Geschöpf der Finsternis ihn unter seiner dunklen Kapuze musterte.

»Warum hast du mich gerufen?«

Die tiefe Stimme des Wesens durchschnitt die Luft und ließ alle Anwesenden erschaudern. Der Mann verneigte sich bebend und antwortete mit einer Geste auf den sterbenden Mönch: »Ein Geschenk … für dich.«

Das gesichtslose Geschöpf wandte sich dem Mann mit der roten Schärpe zu.

»Du schenkst mir, was mir bereits gehört?«

Der Mörder des Mönchs wich noch einen Schritt zurück.

»Ich bringe dir dieses Opfer zum Zeichen meiner Verehrung. Viele werden ihm folgen, sehr viele. Schon bald …«

Das düstere Wesen trat auf den Sterbenden zu, der heftig atmend sein Schicksal erwartete.

»So ist es«, sagte der Unheimliche langsam. Dann tauchte er die Hand in den Körper des Mönchs und riss ihm die Seele aus dem Leib.

Im nächsten Augenblick war das Geschöpf verschwunden, die toten Augen des Mönchs blickten ins Leere – und die Vision löste sich auf.

Ich keuchte so laut, dass einige meiner Kollegen sich irritiert zu mir umdrehten. Geistesgegenwärtig täuschte ich einen Hustenanfall vor, um ihre Aufmerksamkeit zu beschwichtigen, duckte mich hinter den Bildschirm und unterdrückte meine heftigen Atemzüge.

So etwas war mir noch nie passiert! Seltsame, beunruhigende Träume waren eine Sache – doch eine Vision am hellen Tag, noch dazu eine so detaillierte? Es fühlte sich an, als wäre ich tatsächlich dort gewesen!

Was hatte das bloß zu bedeuten? Ich hatte keine Ahnung, wo dieses uralte Gemäuer sich befand oder ob es überhaupt wirklich existierte, und den Mönch hatte ich nie zuvor gesehen.

Seinen Mörder, den Mann mit der roten Schärpe, kannte ich jedoch nur zu gut. Seit meiner Kindheit träumte ich von ihm – und die Träume, in denen er vorkam, waren stets die schrecklichsten.

Das dunkle Geschöpf, das im Traum erschienen war, hatte ich noch nie in dieser Deutlichkeit gesehen. Ich hatte schon oft von ihm geträumt, aber es war in meinen Träumen immer nur ein Schatten gewesen, niemals hatte es Gestalt angenommen. Die Angst, die es in den Männern ausgelöst hatte, hatte ich so intensiv gespürt, als wäre es meine eigene gewesen, ebenso wie seine düstere, Furcht einflößende Anwesenheit.

Es war dieselbe dunkle Präsenz, die mich seit meiner Kindheit begleitete.

Meine Finger umklammerten die Tastatur. War es möglich, dass es tatsächlich dasselbe Geschöpf war? Jenes angsterregende Etwas, das auf unerklärliche Art und Weise an meiner Seite erschien und wieder verschwand und für dessen Existenz ich nie einen greifbaren Beweis gefunden hatte – abgesehen von dem kalten Schauer, der mir in diesen Momenten stets über den Rücken lief? Ich konnte es mir nicht erklären, ich wusste einfach, wenn es da war.

Sah dieses unsichtbare Wesen so aus wie das Geschöpf in meinem Traum? War es ein gesichtsloser Mann in einer langen schwarzen Kutte?

Wie war es möglich, dass ich nach all den Jahren zum ersten Mal in dieser Deutlichkeit von ihm geträumt hatte? Wenn er wirklich dasselbe Geschöpf war, dessen Anwesenheit ich spürte, warum hatte er sich mir dann nicht schon früher in einer Vision gezeigt?

Dass er nun erschienen war, konnte kein Zufall gewesen sein, dessen war ich mir sicher. Irgendetwas würde passieren, bald, ich spürte es einfach – und ich hatte kein gutes Gefühl. Was auch immer auf mich zukam, war überwältigend und machte mir verdammt große Angst.

Ich schaffte es kaum, meine Arbeit fortzusetzen. Meine Finger zitterten auf der Tastatur, meine Stimme bebte und ich musste mich mehrmals räuspern, um am Telefon einen verständlichen Satz hervorzubringen. Mein Blick flog ständig durch das Büro, auf der Suche nach etwas Ungewöhnlichem, nach der Ankündigung einer Katastrophe … Doch alles blieb ruhig.

Bis um elf Uhr zweiunddreißig plötzlich der Feueralarm losschrillte.

Im nächsten Moment schalteten sich die Sprinkleranlagen an der Decke ein und feine Wassertropfen regneten auf mich und die anderen Mitarbeiter herab. Ich stand auf, ebenso beunruhigt und verwirrt wie meine Kollegen. Handelte es sich um eine Feueralarm-Übung? Die Computer wurden völlig durchnässt! Nein, das war bestimmt keine Übung …

»Feuer!«, schrie einer meiner Kollegen plötzlich. »Es brennt, Leute, raus hier!«

Jetzt stieg auch mir der beißende Geruch von Flammen und verbranntem Kunststoff in die Nase. Irgendwo in dem Bürogebäude gab es ein Feuer, daran bestand kein Zweifel!

Aufgeregt und nervös eilten meine Kollegen in Richtung Notausgang. Ich spürte Wellen fremder Angst und Unsicherheit und mir wurde übel. Halt suchend umklammerte ich die Schreibtischkante und starrte auf die Menschenmenge, die sich neben dem Aufzug ins Treppenhaus drängte. Die Vorstellung, sich den fremden Emotionen meiner Kollegen auf engem Raum auszusetzen, ließ mich erstarren. Was sollte ich tun? Ich musste den anderen ins Treppenhaus folgen; es war viel zu gefährlich, hier im Büro zu bleiben!

Zögernd näherte ich mich dem Notausgang. Der beißende Geruch von Rauch verstärkte sich und grauer Qualm drang vom Treppenhaus nach oben.

Ich fühlte die unkontrollierten Emotionen meiner Kollegen wie eine Mauer über mir zusammenbrechen, als Furcht und Unsicherheit in Panik umschlugen. Frauen begannen hysterisch zu kreischen, alle schoben sich vorwärts ins Treppenhaus, während die Ersten zögernd zurückdrängten – unwillig, weiter in den immer dichter werdenden Qualm hinunterzusteigen.

»Wir müssen nach oben!«, brüllte einer der Kollegen von vorderster Front.

»Nein, oben gibt es keinen Ausgang!«, schrie ein anderer zurück. »Wir müssen nach unten, das ist unsere einzige Chance!«

»Es gibt kein ›nach unten‹, Vollidiot!«, brüllte der Erste zurück. »Da ist alles voller Rauch!«

»Der Qualm steigt nach oben, wir werden ersticken, wenn wir die Treppe hochlaufen!«

»Ach ja? Unten ist das Feuer, Klugscheißer, ist dir das lieber?«

Alles um mich herum fing an sich zu drehen. Die Gefühle der Angst und Panik meiner Kollegen überwältigten mich, während ich hilflos im Gedränge herumgestoßen wurde. Die Schreie und Streitereien der anderen wurden zu einem undefinierbaren Rauschen, etwas klingelte mir in den Ohren und meine Lungen brannten von dem giftigen Qualm, den ich einatmete. Mein Herz raste, ich hatte das Gefühl, von meinen Kollegen schier erdrückt zu werden – und die fremden Emotionen: unerträglich …

Ich wurde gegen das Treppengeländer gepresst, konnte kaum etwas sehen, weil der Rauch so dicht war und meine Augen vor Schmerzen tränten. Ich hörte nur noch, wie Menschen in Panik nach oben und nach unten rannten, hörte verzweifelte Schreie und ersticktes Husten und Röcheln, umklammerte mit letzter Kraft das Treppengeländer und hielt mich daran fest, um fast blind die Treppen nach unten in Richtung Ausgang zu stolpern …

Ich bekam keine Luft mehr, der Qualm verätzte meine Lungen, ich stieß mit den Füßen gegen Gestalten, die auf den Stufen lagen, und begriff entsetzt, dass es die Körper meiner Kollegen waren … Schwarzer Rauch stieg wie in einem Kamin nach oben, hüllte alles ein und verwandelte das Treppenhaus in eine Todesfalle. Ich befand mich im achten Stock des vierzehnstöckigen Gebäudes und mir wurde klar, dass ich keine Überlebenschance hatte, egal, ob ich die Treppe nach oben oder nach unten lief. Mir blieben nur Sekunden, ehe ich erstickte, niemals würde ich rechtzeitig den Ausgang im Erdgeschoss erreichen!

Die fremden Gefühle von Panik und Todesangst wurden noch schlimmer, sodass ich glaubte, mein Verstand würde zerspringen. Ich brach zusammen und umklammerte wimmernd meinen Kopf … und dann plötzlich ließen die Emotionen – aus welchem Grund auch immer – langsam nach. Ich rappelte mich keuchend und hustend auf, zwang mich vorwärts zu gehen, dankbar für den nachlassenden Druck der fremden Gefühle – bis ich mit erschütternder Klarheit den Grund für die plötzliche Erleichterung begriff.

Viele der Menschen im Gebäude, die Angst gehabt hatten – meine Kollegen –, waren mittlerweile tot. In den Flammen erstickt. Das musste der Grund für die eingetretene vakuumähnliche Stille sein, die auf das emotionale Chaos folgte! Die Erkenntnis drehte mir den Magen um.

Ich sank auf der Treppe zusammen, hatte das Gefühl, meine Lunge würde verbrennen und der giftige Qualm machte jeden Atemzug zur Qual. Ich würde es nicht schaffen, ich würde hier sterben, genauso wie meine Kollegen …

Plötzlich empfand ich die vertraute düstere Präsenz meines unheimlichen Begleiters. Eine Gestalt erschien neben mir auf der Treppe und ich wurde auf fremde starke Arme gehoben. Instinktiv klammerte ich mich an meinen unbekannten Retter und blinzelte durch den Tränenschleier, um zu sehen, wer mich durch diese tödliche Feuerhölle trug.

Ich erhaschte einen Blick auf eine dunkle Kapuze, die selbst in dem dichten schwarzen Qualm deutlich zu erkennen war. Darunter lag nichts als Düsternis. Es war das unheimliche Geschöpf aus meiner Vision … Doch bevor ich diesen Gedanken zu Ende denken konnte, verlor ich das Bewusstsein.

Kapitel 2

Als ich langsam wieder zu mir kam, waren der Rauch und das Feuer verschwunden. Meine Lunge schmerzte und das Atmen fiel mir schwer. Ängstlich untersuchte ich meinen Körper auf Verbrennungswunden … Doch unerklärlicherweise war ich vollkommen unverletzt.

Mein dunkler Schatten war verschwunden, ich spürte seine Anwesenheit nicht mehr. War es möglich, dass er mich wirklich gerettet hatte?

Doch wohin hatte er mich gebracht? Verwirrt blickte ich mich um. Ich lag in einem kleinen Raum auf einem hölzernen Bett, unter grob gewebten Wolldecken. Die Wände des Raums waren aus Stein und die Einrichtung bestand aus einem einfachen Holztisch und zwei Stühlen.

Das hier war gewiss kein Krankenhaus! Hatte der Schatten mich ins Kellergewölbe des Bürohauses gebracht?

Es dauerte eine Weile, bis mein Verstand wieder richtig funktionierte. Ich konnte keine Lampen entdecken, nur Kerzen, die jedoch nicht brannten, weil durch ein kleines Fenster helles Tageslicht hereinfiel.

Das hier war also kein Keller … doch wo genau befand ich mich? Dieses Zimmer wirkte alt, sehr alt, beinahe mittelalterlich, obwohl das in Chicago überhaupt keinen Sinn ergab!

Ich stand auf, trat ans Fenster und blickte hinaus – und schlug erschrocken die Hand vor den Mund.

Weit und breit waren keine Gebäude zu sehen. Vor dem Fenster erstreckten sich nichts als bewaldete Hügel bis zum Horizont, von Chicagos Skyline keine Spur. Ich war weit weg von der Großstadt! Eine beängstigende Ahnung stieg in mir auf, die mir zuflüsterte, dass ich mich womöglich nicht einmal mehr in Illinois befand.

Doch das war unmöglich … Wie lange war ich bewusstlos gewesen? Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Es war Viertel nach zwölf.

Verdattert starrte ich das Ziffernblatt und die Zeiger an. Der Feueralarm im Callcenter war um kurz nach halb zwölf ausgelöst worden, was bedeutete, dass ich entweder einen ganzen Tag – oder sogar mehrere Tage lang – bewusstlos gewesen war … oder aber nur circa fünfundvierzig Minuten.

Wie konnte ich innerhalb so kurzer Zeit an einen fremden Ort gebracht worden sein? Beklemmende Furcht breitete sich in mir aus, als mir klar wurde, dass ich allein schon deshalb mindestens einen Tag lang bewusstlos gewesen sein musste. Was war in dieser Zeit mit mir geschehen?

War ich womöglich währenddessen in der Obhut des unheimlichen Geschöpfs gewesen?

Automatisch tastete ich nach meinem Handy, um das Datum zu überprüfen. Doch ich hatte es nicht bei mir, es lag in meiner Tasche neben dem Schreibtisch im Callcenter.

»Denk nach«, flüsterte ich mir zu, um mir selbst Mut zu machen. »Er hat dir nicht wehgetan. Er hat dir das Leben gerettet …«

Die Vorstellung, in der Schuld des dunklen Wesens zu stehen, gefiel mir nicht. Doch es war eine Tatsache, dass ich lebte und atmete, während meine Kollegen in dem Feuer umgekommen waren. Mir stiegen Tränen in die Augen, als ich mich an ihre Gefühle der Todesangst erinnerte und an meine Hilflosigkeit, ihnen beizustehen … Ich zwang mich, diese Gedanken rasch wieder zu verdrängen. So grauenhaft es gewesen war, ich konnte nichts mehr für sie tun. Stattdessen musste ich mich darauf konzentrieren, herauszufinden, wo ich mich befand und wie ich mich befreien konnte.

Ich straffte die Schultern und ging auf die einzige Tür des Raums zu. Hier gab es nichts, was ich als Waffe verwenden konnte und ich war mir sicher, dass die Tür verschlossen sein würde, als ich die Hand auf den Eisengriff legte und mit aller Kraft daran zog …

Ich fiel rückwärts zu Boden, als die Tür einfach aufschwang.

Verdattert rappelte ich mich auf. Die Tür war nicht versperrt gewesen.

Dann war ich also gar keine Gefangene? Vorsichtig trat ich hinaus und fand mich im ersten Stock eines offenen Arkadengangs wieder, der einen rechteckigen Innenhof umschloss.

Mir stockte der Atem, denn der Anblick war überwältigend. Ich befand mich in einem majestätischen Bauwerk aus verwittertem Stein. Das Gemäuer wirkte uralt und war von Efeu überzogen. Kleine Türmchen und prächtige Kuppeln ragten über den Zinnen empor und jedes Stockwerk wurde von langen schmalen Fensterreihen durchzogen. Im Innenhof wucherte ein üppiger grüner Garten. Es sah aus wie eine verzauberte Burg aus einem Märchen – doch ich wusste, dass es keine Burg war, sondern ein Kloster.

Ich hatte diesen Ort schon oft in meinen Träumen besucht.

Mein Magen krampfte sich zusammen und ich trat unsicher hinaus auf den Gang. Träumte ich oder war das hier real? Der Steinboden unter meinen Füßen fühlte sich jedenfalls real an.

Ich konnte einfach nicht glauben, dass es diesen merkwürdigen Ort aus meinen Träumen tatsächlich gab! Der Arkadengang war leer, niemand war zu sehen. Ich gab mir einen Ruck und schlich auf Zehenspitzen los. Am Ende des Gangs befand sich eine Wendeltreppe, die nach unten führte.

Ich lief die Stufen hinunter, bis ich in dem dicht bewachsenen Innenhof des Klosters stand. Um mich herum ragten efeuumrankte Mauern hoch in den Himmel, jedes Stockwerk des mächtigen Klosters war von Arkadengängen gesäumt und dahinter erhoben sich Türme mit runden, spitz zulaufenden Dächern. Der Innenhof war so groß, dass das Waisenhaus, in dem ich aufgewachsen war, bequem darin Platz gehabt hätte.

Ich entdeckte einen Ausgang, ein großes rundes Tor, hinter dem eine sandige Straße begann, die zu einer Art Stadt führte. Ich folgte der Straße und fand mich zwischen einfachen Häusern aus Stein wieder, die so symmetrisch angeordnet waren, als wäre ihre Errichtung systematisch geplant worden. Eine hohe Mauer, die das Kloster umgab, schloss auch die seltsame Stadt ein.

In dieser Stadt schien es weder Frauen noch Kinder zu geben, denn mir begegneten ausschließlich Männer. Es waren athletische Kämpfer; sie trugen dunkle Kleidung und gekreuzte Lederriemen, die zum Schutz um ihre Unterarme und Unterschenkel geschlungen waren. Außerdem waren sie mit Dolchen und Messern bewaffnet. Ich wollte sie fragen, wo ich mich befand und wie ich hierhergekommen war, doch der Anblick der Krieger machte mir Angst.

Ich spürte ihre Gefühle von Argwohn und Neugier und senkte den Kopf. Unsicherheit wallte in mir auf und mein Instinkt flüsterte mir zu, dass ich mich besser so schnell wie möglich aus dem Staub machen sollte.

Ich kehrte um, wollte mich unauffällig wieder aus der Stadt schleichen – und prallte zurück.

Vor mir, keine drei Schritte entfernt, stand einer der Krieger, ein hochgewachsener Mann mit dunklen Haaren und festem Blick. Er war wohl Mitte vierzig, trug die gleiche Kleidung wie die anderen und war ebenso schwer bewaffnet. Die Arme vor der Brust verschränkt starrte er mich schweigend an.

Das Herz sprang mir vor Schreck beinahe aus der Brust. Wie hatte dieser Mann sich unbemerkt so nah an mich heranschleichen können? Und wie lange folgte er mir bereits?

Ich riss die Augen auf und stolperte einen Schritt zurück. Dabei blieb ich an einem Stein hängen und verlor das Gleichgewicht. Schneller, als ich es wahrnehmen konnte, war der große Mann an meiner Seite und packte mich am Oberarm, damit ich nicht unsanft auf den Hintern fiel.

Er tat mir nicht weh, trotzdem wehrte ich mich instinktiv gegen seinen Griff. Alles an ihm wirkte einschüchternd auf mich, die breiten Schultern, die lautlose, raubtierhafte Art, mit der er sich bewegte, die Klingen an seinem Waffengürtel und seine gebieterische Ausstrahlung …

»Lassen Sie mich sofort los oder ich schreie!«, platzte ich heraus.

Er zog langsam die Augenbrauen hoch und ein mitleidiger Ausdruck huschte über das Gesicht. Dann ließ er meinen Arm los.

»Es besteht kein Grund zu schreien.«

Seine herablassende Art ärgerte mich. Ich spürte, dass er ein Anführer sein musste … und es war offensichtlich, dass mir niemand gegen ihn beistehen würde, selbst wenn ich um Hilfe schrie. Ich rieb mir den Arm, dort, wo er mich festgehalten hatte. Nicht etwa, weil sein Griff mir wehgetan hätte, sondern vielmehr, um Zeit zu schinden.

»Wo bin ich?«

Er machte eine ausladende Armbewegung. »Du bist in der Kriegerstadt von Havighurst.«

Ich runzelte die Stirn. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen, aber wenn Sie mich noch mal anfassen, dann …«

»Du musst mich nicht fürchten. Niemand hier wird dir wehtun. Du bist die Auserwählte, die die Prophezeiung erfüllen wird.«

»Ich bin … Was? Wovon sprechen Sie da?«

»Verzeih mir, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Yvh. Ich bin der Anführer der Krieger von Havighurst.«

»Alexia Michael«, murmelte ich verwirrt. Wo zum Teufel befand ich mich und wovon sprach dieser Mann?

Bevor ich ihn erneut fragen konnte, wurde ich von einer Welle seiner Gefühle überrollt. Ich empfand sie viel deutlicher als in Chicago; ich fühlte seine Stärke sowie zurückhaltende Neugier und Argwohn.

Yvh nickte. »Komm mit mir. Ich möchte dir jemanden vorstellen.«

Er führte mich zu einem der rechteckigen Sandplätze, die, wie ich jetzt feststellte, als Übungsflächen für die Krieger dienten. Es war ein Kampf im Gange und viele Männer hatten sich in einem großen Kreis versammelt, um den Kämpfern zuzusehen. Ich wusste nicht, was Yvh vorhatte, und folgte ihm zögernd. Die Männer machten uns Platz, sodass wir freie Sicht auf die Mitte des Sandplatzes hatten. Was ich sah, lenkte mich sofort von den Gefühlen der Krieger ab und fesselte meine Aufmerksamkeit.

Ein einzelner Mann wurde von mehreren Kämpfern gleichzeitig angegriffen. Der Verteidiger hatte blondes Haar und hielt ein Schwert in der Hand, doch er trug im Gegensatz zu seinen Angreifern keinerlei Schild oder Schutzpanzer. Nachdem ich den Kampf einige Sekunden lang beobachtet hatte, verstand ich den Grund dafür: Dieser Mann hatte keinen Schutz nötig. Er ließ seinen Angreifern keine Möglichkeit, ihm nahe zu kommen. Seine Bewegungen waren blitzschnell und kraftvoll; mit einem einzigen Schwertstreich entwaffnete er seinen ersten Gegner, streckte ihn in den Sand und setzte ihm die Klinge an den Hals. Im nächsten Augenblick wandte er sich blitzschnell um und stellte sich zwei Angreifern gleichzeitig. Mit beängstigender Geschwindigkeit schleuderte er ihnen die Waffen aus den Händen und warf die Männer zu Boden. Er zog sein Schwert mit eiskalter Präzision durch die Reihe seiner Gegner, durchdrang ihre Schilde und ritzte einigen den Hals, anderen die Brust. Aus den kleinen Schnitten quollen Blutstropfen als Symbol dafür, dass die Verletzten mit diesem Kampf auch ihr Leben verloren hätten.

Während des Kampfs fühlte ich eine merkwürdige Synchronizität zwischen den Emotionen des Verteidigers und denen seiner Angreifer, die ich nicht deuten konnte. Außerdem spürte ich die widersprüchlichen Gefühle der zusehenden Männer; es war eine Mischung aus Bewunderung, fassungsloser Ungläubigkeit, Neid und Abneigung, die an Hass grenzte. Der blonde Krieger war in höchstem Maß unbeliebt, daran bestand kein Zweifel.

Kein Laut war unter den Zuschauern zu hören, während die besiegten Männer sich respektvoll vor dem Sieger verneigten. Der blonde Kämpfer erwiderte diese Geste nicht. Er fixierte sie mit kalten Augen, dann, ohne einen Blick in die Runde der anderen Kämpfer zu werfen, drehte er sich um und schritt über den Sandplatz davon.

Leises Murmeln erhob sich unter den Zuschauern, während die Verlierer ihre Waffen wieder an sich nahmen und die Menschenansammlung sich langsam auflöste.

»Wer war das?«, flüsterte ich.

»Sein Name ist Davian.« Ein düsterer Ausdruck lag auf Yvhs Gesicht, als er dem davonschreitenden Krieger nachblickte. »Seine Begabung ist außergewöhnlich.«

Langsam dämmerte mir, was die emotionale Synchronizität, die ich gespürt hatte, bedeuten könnte, und mein Herz fing an vor Aufregung schneller zu pochen. Ich beschloss jedoch meinen Verdacht vor Yvh geheim zu halten.

»Er hat sich viel schneller bewegt als seine Gegner«, sagte ich stattdessen. »Ich habe so etwas noch nie gesehen.«

»Ich weiß«, erwiderte Yvh langsam. »Wir auch nicht.«

»Darf ich mit ihm sprechen?« Ich versuchte meiner Stimme einen beiläufigen Ton zu geben, damit Yvh nicht merkte, wie dringend ich mit diesem blonden Krieger reden musste.

»Meine Intention war es, euch einander vorzustellen.« Yvh bedeutete mir ihm zu folgen, und wir überquerten den Sandplatz.

»Alle Krieger hier in Havighurst sind außergewöhnlich gute Kämpfer«, fuhr er fort. »Wir nehmen nur die Besten auf und das Training ist sehr hart. Doch niemand kann sich mit Davian messen.«

»Ist das der Grund, warum die anderen Krieger ihn hassen?«

»Woher weißt du, dass sie ihn hassen?«

Ich senkte den Blick. »Nicht so wichtig.« Meine Empathie vertiefte sich mit beängstigender Geschwindigkeit, sie wurde mit jedem Augenblick stärker und detaillierter. In Chicago hatte ich nur hin und wieder die Emotionen anderer empfangen und auch nur dann, wenn sie besonders kraftvoll gewesen waren. Hier hingegen spürte ich Yvhs Gefühle und die jedes anderen Kriegers, der in meine Nähe kam, deutlich. Die Flut der fremden Emotionen war überwältigend und es kostete mich große Anstrengung, sie auszublenden. Ich zwang mich, mich auf das Gespräch mit Yvh zu konzentrieren, doch hinter meinen Schläfen fing es bereits an zu pochen.

Yvh führte mich zu einer kleinen Trainingshalle. Auf dem sandigen Boden waren geflochtene Strohmatten ausgebreitet und das rechteckige Gebäude war nach allen Seiten hin offen.

Der blonde Krieger, Davian, trainierte allein. Er vollführte Schwertstreiche und Drehungen, absolvierte eine rasche Abfolge von Sprüngen und Schwertstößen und wirbelte wie ein Geist durch die kleine Halle. Er trug wie die anderen Krieger schlichte dunkle Leinenkleidung und gekreuzte Lederriemen an Unterarmen und Unterschenkeln. Als ich ihn aus der Nähe sah, stellte ich überrascht fest, dass er viel jünger war, als ich gedacht hatte – höchstens zwei oder drei Jahre älter als ich!

Wir betraten die Trainingshalle. Ich spürte Davians hohe Konzentration, seine große Entschlossenheit … und seine Wut.

Da war verdammt viel Wut.

Als er uns entdeckte, brach er sofort die Übungen ab.

»Meister Yvh.« Davians Gruß war knapp und enthielt nur das Mindestmaß an Respekt. Es war offensichtlich, dass er sich von uns gestört fühlte und viel lieber seine Ruhe gehabt hätte.

»Ich habe deinen Kampf vorhin verfolgt«, sagte Yvh in ruhigem Ton. »Du hast die besten Krieger der Stadt besiegt. Diesmal fünf auf einen Streich.«

Davian zuckte gleichgültig mit den Schultern. Seine Aufmerksamkeit ruhte auf Yvh, er schien sich nicht im Mindesten für mich zu interessieren.

»Davian, ich möchte dir Alexia vorstellen.«

Ganz langsam wanderte der kalte Blick des Kriegers zu mir. Mein Herz hämmerte gegen die Brust und ich lächelte scheu. Ich wollte unbedingt mit ihm über das sprechen, was ich während des Kampfs gespürt hatte, doch er betrachtete mich mit herablassender Geringschätzigkeit und Arroganz. Seine Gefühle waren so offensichtlich, dass ich meine empathischen Fähigkeiten nicht brauchte, um sie zu erkennen. Ich konnte deutlich auf seinem Gesicht lesen, was er über mich dachte.

Er wandte sich wieder Yvh zu, offenbar war ich seiner Aufmerksamkeit nicht länger wert.

»Die? Das ist verrückt.« Davians Lippen verzogen sich verächtlich.

Meine Aufregung verpuffte. Gekränkt und verbittert senkte ich den Blick.

»Es ist Meister Karabenicks Wunsch«, erwiderte Yvh mit fester Stimme.

»Er schickt ein dummes kleines Mädchen los?«, stieß Davian zwischen den Zähnen hervor. »Sie wird es nicht schaffen.«

Ein dummes kleines Mädchen? Mir blieb die Luft weg.

Davian wandte uns den Rücken zu und nahm seine Schwertübungen wieder auf.

»Ich habe noch nie einen Befehl verweigert.« Davians Tonfall war bedrohlich und eiskalt. Wagt es nicht, mir diesen absurden Befehl zu erteilen – diese Warnung schwang unmissverständlich in seinen Worten mit, obwohl ich keine Ahnung hatte, worum es bei diesem Gespräch überhaupt ging.

Wer war Meister Karabenick und was hatte Davian mit mir zu tun?

Yvh erwiderte nichts. Er wandte sich zum Gehen und ich folgte ihm. Eine Weile liefen wir schweigend nebeneinanderher, bis ich es nicht mehr aushielt.

»Was wird hier gespielt? Erklären Sie mir endlich, was das Ganze soll!«

Er atmete tief durch. »Davian ist unser bester Kämpfer.«

»Außerdem scheint er ein selbstgerechter Idiot zu sein. Na und? Was hat das mit mir zu tun?«

»Meister Karabenick wird Davian anweisen, dich auf deiner Reise zu begleiten, solltest du dich entscheiden, dich den Prüfungen der Prophezeiung zu stellen. In diesem Fall wird Davian dein Beschützer sein.«

»Den Prüfungen der Prophezeiung …?« Ich blieb abrupt stehen. »Was?«

Yvh wandte sich wortlos zu mir um.

»Erstens, ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen«, platzte ich heraus. »Und zweitens: Dieser Kerl hasst mich! Ich werde nirgendwohin mit ihm gehen!«

»Davian wird dich mit seinem Leben beschützen, wenn Meister Karabenick es verlangt – egal, was er persönlich über dich denkt. Davian und der Meister haben eine besondere Verbindung. Er hört auf ihn.«

»Das ist mir egal! Er ist arrogant, beleidigend und herablassend. Und jetzt will ich endlich wissen, warum ich hier bin und was das Gerede über diese Prophezeiung soll!« Ich stemmte die Hände in die Hüften und blickte Yvh trotzig an.

Der Krieger seufzte. »Darüber solltest du mit Meister Karabenick sprechen.«

»Ach ja? Wer soll das sein?«

»Er ist der Vorsteher des Klosters. Er wird all deine Fragen beantworten.«

Ich stapfte missmutig neben Yvh her.

Er schickt ein dummes kleines Mädchen los? Davians Worte gingen mir nicht aus dem Kopf. Seine Arroganz ärgerte mich maßlos, so sehr, dass ich ein paar Schritte später abrupt kehrtmachte.

»Ich muss etwas mit diesem eingebildeten Kerl klarstellen. Nein, lassen Sie mich allein gehen«, fügte ich hinzu, als Yvh mir überrascht folgen wollte. »Das betrifft nur ihn und mich. Ich bin gleich wieder da.«

Ich spürte Yvhs Blick im Rücken, während ich wütend zu Davians kleiner Trainingshalle zurücklief. Ganz gleich, was hier vor sich ging, er hatte kein Recht dazu, mich so zu behandeln! Als ich die Halle betrat, war Davian wieder in sein Training vertieft.

»Hey!« Mein Tonfall war herausfordernd und ungehalten.

Davian ignorierte mich, also marschierte ich direkt auf ihn zu. Er wirbelte herum und vollführte einen Schwertstreich, der mich um ein Haar streifte. Ich fühlte den Luftzug, als die Klinge an meinem Hals vorbeisauste. Sofort ließ Davian das Schwert sinken.

»Bist du lebensmüde?«, fuhr er mich zornig an. »Du hast hier nichts verloren! Ich hätte dich töten können!«

»Nein, das hättest du nicht«, erwiderte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine ungezügelte Wut brandete mir entgegen und fachte meinen Ärger nur noch weiter an.

»Ich habe dir beinahe den Kopf abgehackt!«, fauchte er.

»Nein, hast du nicht.« Meine Augen schossen Blitze auf ihn ab. »Dieses Märchen kannst du Yvh und den anderen Kriegern erzählen. Du magst vielleicht der beste Kämpfer hier sein, doch mir machst du keine Angst.« Ich senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Ich kenne dein Geheimnis.«

Kapitel 3

»Wovon sprichst du?«, zischte Davian.

»Ich weiß, warum du besser kämpfst als jeder andere hier.«

»Ach ja?«, höhnte er, doch in den Augen flackerte Misstrauen.

Ich machte einen Schritt auf ihn zu, bis ich direkt vor ihm stand. Er war größer als ich, sodass ich den Kopf heben musste, um ihm in die Augen zu sehen.

»Du kannst die Angriffe deiner Gegner vorhersehen«, erklärte ich mit gesenkter Stimme, denn ich wollte vermeiden, dass irgendeiner der Krieger hinter Davians Geheimnis kam. Das hier betraf nur uns beide. »Du weißt, von welcher Seite er dich angreifen wird, noch bevor dein Gegner sich bewegt …«

»Das ist Unsinn!«, unterbrach er mich heftig.

Doch ich ließ mich nicht beirren. »Deine Bewegungen erwecken den Anschein, als wären sie schneller als die deiner Gegner, weil du bereits zum Gegenschlag ansetzt, noch ehe der Angriff überhaupt stattgefunden hat. Dazu bist du nur fähig, weil du fühlst, was deine Gegner vorhaben. Ist es nicht so?«

Seine Nasenflügel blähten sich und er starrte mich wutentbrannt an. Ich wich nicht zurück, denn ich spürte instinktiv, dass er mir nichts antun würde.

»Woher weißt du das?«

»Weil ich wie du bin, Davian«, flüsterte ich. »Auch ich spüre die Gefühle anderer Menschen. Vorhin, während des Kampfs, da habe ich dich beobachtet. Ich habe deine Emotionen gefühlt. Du hast eine starke Verbindung zu den Gefühlen deiner Gegner, ich habe den Grund dafür zunächst nicht verstanden, aber dann habe ich es begriffen: Du hast gelernt ihre Emotionen zu interpretieren, um ihre Angriffe vorherzusehen, nicht wahr?«

Seine Schultern hoben und senkten sich unter seinen heftigen Atemzügen, während er um Selbstbeherrschung rang. Ich spürte, dass meine Worte ihn eiskalt überrascht hatten.

»Das … Das ist Unsinn!«, stieß er schließlich hervor. »Du bist verrückt! Und jetzt verschwinde aus meinem Trainingsraum!«

»Ach ja? Ich bin also verrückt? Ich weiß doch, was ich fühle, Davian!«

»Hau sofort ab!«, zischte er bedrohlich.

Ich schüttelte den Kopf, während Ärger und Resignation sich in mir breitmachten.

»Wie du willst. Ich dachte nur, es wäre schön für dich zu wissen, dass du nicht der einzige Freak mit dieser Begabung bist.«

Ich hatte mein Leben lang gehofft, jemanden mit ähnlichen Fähigkeiten kennenzulernen, und war unglaublich enttäuscht, dass dieser Jemand ausgerechnet ein selbstgefälliger Kerl wie Davian sein sollte. Frustriert marschierte ich davon.

***

Nachdenklich war ich Yvh zurück ins Kloster gefolgt. Beging ich einen großen Fehler, indem ich ihm vertraute? Wäre es klüger gewesen, nach einer Fluchtmöglichkeit zu suchen?

Ich berührte die Mauern mit den Fingerspitzen und spürte die trockene Kühle der Steine. Dieses Kloster war wirklich sehr alt, vermutlich viel älter als jedes andere Gebäude, das ich jemals betreten hatte. Das mulmige Gefühl im Magen verstärkte sich. Wo auch immer ich mich befand, es war sehr weit weg von zu Hause …

Ich musste unbedingt herausfinden, wie ich an diesen Ort gekommen war und was hier gespielt wurde! Doch vor allem war ich noch nie zuvor so nah dran gewesen, die Wahrheit über meine unerklärlichen Träume zu erfahren.

Ja, ich hätte davonlaufen können. Ich hätte versuchen können, mich in Sicherheit zu bringen vor den Unbekannten, die mich zweifellos entführt und hierher gebracht hatten. Doch etwas in meinem Inneren drängte mich stattdessen vorwärts, flüsterte mir zu, dass ich auf geheimnisvolle Art mit diesem Kloster verbunden war. Wie sonst sollte ich mir einen Reim auf meine merkwürdigen Träume machen? Vielleicht würde ich endlich Antworten auf meine Fragen finden – und sicherlich gab es eine vernünftige Erklärung für das alles …

Ich kämpfte meinen Fluchtinstinkt nieder und folgte Yvh über Wendeltreppen und durch lange Gänge. An den Wänden hingen Fackeln in Eisenhaltern und obwohl sie nicht brannten, verströmten die Fackeln einen eigenartigen Geruch … Roch es nach Pech?

Plötzlich hörte ich Stimmen, die aus einem Zimmer am Ende des Gangs kamen. Es waren die Stimmen mehrerer Männer und sie schienen heftig über etwas zu diskutieren, denn sie sprachen hastig und aufgebracht.

»… werden nicht unser aller Zukunft aufs Spiel setzen! Ich sage, wir müssen Mowrer angreifen, jetzt!«

»Ich stimme zu! Unsere Krieger werden ihn aufhalten!«

»Achte auf deine Worte!«, fuhr eine scharfe Stimme dazwischen. »Vergesst nicht, dass alles, woran wir glauben, mit dieser Legende begonnen hat! Es stimmt, unsere Krieger könnten Mowrers Horden zurückdrängen – doch für wie lange? Ihr wisst, dass es nur ein Mittel gibt, um Mowrer zu besiegen.«

Bedrücktes Schweigen folgte, dann erklang eine weitere zornige Stimme. »Das Mädchen ist zu jung! Was geschieht, wenn es versagt? Oder wenn es Mowrers Horden in die Hände fällt?«

»Wir werden ihr eine Eskorte unserer besten Krieger zur Seite stellen«, erklärte ein anderer.