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© 2016 Rainer Franke
Illustration: Rainer Franke
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7412-2107-1
Die Kurzgeschichten in diesem inzwischen vierten Band der Reihe „Mittendrin und Drumherum“ sind bunt gemischt und bieten für jeden Geschmack etwas. Liebesgeschichten treffen auf Krimis und umgekehrt. Doch irgendwie scheinen Kriminalgeschichten die Oberhand gewonnen zu haben. Selbst in reinen Liebesangelegenheiten, wie beispielsweise in „Der Rausch“ oder „Mühlen der Zeit“ kommt das Wort „abmurksen“ vor. Keine Angst, in diesen beiden Geschichten gibt es keine Toten, auch wenn die Protagonistin ihren Liebhaber am liebsten … Es sind eher konfliktgeladene Liebesgeschichten.
Ein echtes Problem hat der Erzähler in „Kenne ich den?“. „Abmurksen“ ist für ihn auch eine denkbare Option. Er möchte es besonders wirkungsvoll, so richtig grausam mit meterweit spritzendem Blut und lautstark berstenden Knochen erledigen. Trotzdem hofft er auf mildernde Umstände, darauf die Notwehr-Karte ziehen zu können. Ihm kommt dann eine bessere Idee, eine die den Gegenüber durch die Arme seiner Angebeteten hinscheiden lässt. Doch schließlich empfindet er so etwas wie Mitleid und alle überleben.
Es gibt echte und unechte Mordopfer. Im „Tanz der Puppen“ werden gleich mehrere Leichen und Leichenteile gefunden. Der geständige Täter hat nur das Problem, das Ganze seiner Freundin zu erklären. Für eine Anklage ist der Tatvorwurf zu schwach, zumal es keinen Kläger gibt. Das ist alles sehr mysteriös. Schließlich empfindet man dieses Gemetzel sogar noch als Glücksumstand.
Mehrere der Erzählungen spielen an wunderschönen Thüringer Schauplätzen. In Erfurt kommt es in der Geschichte „Kenne ich den?“ zu einem ungewollten Zusammentreffen mit einem Monster. Die Burgen „Drei Gleichen“, an der Autobahn A4 zwischen Erfurt und Gotha gelegen, spielen in der Geschichte „Mühlen der Zeit“ eine große Rolle. Und das Kloster Donndorf im Nordthüringer Kyffhäuserkreis, ist Ort der Begegnung mit Menschen, die eine ganz besondere Leidenschaften ausleben: Hungern bis zum Abwinken. Ein wahrer „Tanz der Puppen“ findet hier statt.
Kann man sich in einem Aufzug verlieben, geht das so schnell? In „Kurz oder die Supernova im Fahrstuhl“ dauert die Liebe auf dem ersten Blick von der ersten bis zur vierten Etage. Sicherheitshalber platziert er seine müffelnden Füße etwas Abseits ihrer Nase. Doch das mit der Supernova wird er wahrscheinlich nie kapieren. Für die Liebeserklärung lässt sich der Protagonist jedenfalls Zeit bis in die zehnte Talkshow, in die er hofft, eingeladen zu werden.
Der Autor wünscht viel Spaß beim Lesen!
Pinker Bikini, pinke Badelatschen, pinke Sonnenbrille. So laufen Amanda und Zacharias los.
Ist Pink eine Farbe? Es ist eher ein Zustand: Verrücktheit gepaart mit zeitweiser Unzurechnungsfähigkeit. Die Folgen haben auch etwas Pinkes, obwohl sie ganz anders daherkommen.
Völlig unauffällig, hinter der pinken Sonnenbrille versteckt, mit einem pinken Basecap auf dem Kopf, läuft Zacharias den Weg auf dem Deich entlang. Mit raumgreifenden Schritten legt er ein ordentliches Tempo vor. Die pinken Badelatschen geben bei jedem Schritte einen platschenden Laut von sich. jeder Latsch platscht seinen eigenen Ton. Linkerhand von Zacharias, hinter der sandigen Düne, auf der krüppelige Kiefern dem Wind trotzen, liegt die Ostsee. Sie brüllt, windgepeitscht, spielt die Bassgeige in diesem Konzert. Die Luft schmeckt salzig, nicht unangenehm. Gnadenlos knallt die Sonne von oben herab. Hitze und Sturm, eine Mischung, die sich gleichzeitig angenehm und unbehaglich anfühlt. Der Weg gleicht einer unendlich langen Schlange aus Asphalt.
Amanda lässt ihren Zacharias mindestens zehn Schritte vorweggehen. Nein, mit diesem verrückten Kerl möchte sie sich nicht Hand in Hand sehen lassen. Vielleicht macht irgendein übereifriger Urlauber ein Foto und postet es im Internet. Dann sieht es die ganze Welt und sie kann nichts dafür, kann sich weder wehren noch rechtfertigen. Außerdem hält sie mit Zacharias Tempo kaum mit, hofft, ihn auf diese Weise ein wenig zu bremsen. Der lässt sich nicht zu zügeln. Er läuft, wie im Rausch.
Gegen den Seitenwind anlaufen, ist anstrengend. Ständig droht Amanda, von der Deichkrone geweht zu werden. Ihre Augen beginnen, zu tränen, die Mascara verläuft. Die Haare wedeln in alle Richtungen, Frisur kann man das nicht nennen.
„Ich sehe aus, wie ein betrunkener Windhund!“, denkt Amanda und hetzt Zacharias einfach nur hinterher. Ihre Stimmung liegt unterm Gefrierpunkt, mitten im Hochsommer.
„Wo rennt er nur hin?“ Er hat lediglich gesagt, „Komm!“ Das ist mal wieder typisch für ihn.
„Da kann ich reden, wie ich will - der Kerl bringt genau ein Wort über die Lippen, ein einziges Wort - Männer!“ Zacharias läuft so schnell, dass Amanda kaum hinterherkommt.
„Der hat Hunger!“, steht für Amanda fest. Weshalb sollte er sonst so rennen?
Nach einer Stunde steuert Zacharias zielgerichtet auf einen Kiosk zu.
„Endlich am Ziel!“, jubiliert Amanda.
„Pause!“ Damit zerstört Zacharias alle Hoffnungen. Sie wird sich ein Eis und eine Limo zu kaufen, am liebsten eine mit Kirschgeschmack.
„Kirschgeschmack ist der Renner der Saison!“, hat ihre beste Freundin Katharina neulich gesagt. Katharina muss das wissen, die weiß immer alles. Außerdem ist sie die beste Freundin, eine von fünfen, mindestens.
Kaum hält Amanda ein Schokoeis in der Hand, geht die Jagd weiter. Kirschgeschmack war hier nie im Angebot und nach Eis mit künstlichem Erdbeeraroma steht Amanda nicht der Sinn.
„Renn doch nicht so! Ich habe Urlaub. Wenn du joggen möchtest, wetz, wohin du willst. Ich lege mich derweil in die Sonne!“
„Komm!“, schallt es von Zacharias zurück und prompt kleckert Amanda ihr Eis auf das neue Top. Sie ärgert sich. Schokoeis auf weißem Top steht ihr nicht. Das passt eher zu Zacharias, der bekleckert sich dauernd. Der bräuchte bei jeder Mahlzeit ein Lätzchen umgebunden. Der Kerl scheint gut in Form zu sein. Amanda spürt nicht den Hauch eines Hechelns bei ihm. Das ist auch kein Wunder, schließlich rennt er dreimal wöchentlich zum Training: Kickboxen oder so etwas, wo man sich tellergroße blaue Flecken holt. Neulich hatte Zacharias auch mal einen, weil er beim Herumalbern nach dem Sport im Umkleideraum an die Türklinke knallte. Ein blauer Fleck, dessen Farbe Ladehemmungen hatte, der kaum zu sehen war. Einer, der durch eine gute Lupe betrachtet, nicht einmal einen Zentimeter maß, einen kleinen Zentimeter allerdings. Dafür hat Zacharias gejammert, als liege er auf der Schlachtbank. Ausgleich muss sein. Die Welt ist ungerecht, bei Amanda wäre der Flatschen bestimmt einen Quadratmeter groß, würde sich dreimal um sie herumwickeln, leuchten wie ein Feuerwerk und sie verliert kein Wort. Es ist alles pure Gewohnheit.
Kaum sind sie weitergetrabt, die pappige Eistüte wird zu Futter für tausend gierige Möwen, erblickt Amanda eine Regenwolke am Himmel.
„Petrus, rette mich! Lass Regen von oben fallen, viel Regen, ein Gewitter am besten!“ Doch sie hat sich verrechnet. Die Wolke schämt sich so, dass sie sich spontan auflöst. Die Sonne knallt nun und für den Rest des Tages volle Kanne auf die Menschheit herunter, zumindest hier am Ostseestrand. Von so einem kleinen Sturm in halber Orkanstärke lässt sie sich nicht beeindrucken.
Amanda ist sauer. Amanda hat Ferien. Sie wollte sich möglichst wenig bewegen, außer im Ostseewasser. Aber wenn sie mit diesem verrückten Kerl in Urlaub fährt, hat sie keine Chance, ihren Vorsatz in die Tat umzusetzen. Der macht doch, was er will. Und sie muss drauf achten, dass er es nicht übertreibt, dass er keine Dummheiten macht, dass ihm nichts zustößt.
„Komm!“, hat er gesagt, trabt, mit dem pinken Basecap auf seiner Birne voran. Amanda folgt in wohlberechnetem Sicherheitsabstand, achtet tunlich darauf, dass der Abstand nicht schmilzt.
„Sollte ich einfach stehenbleiben? Zacharias merkt das garantiert erst in zehn Kilometern, wenn überhaupt.“ Genau in diesem Moment dreht sich Zacharias um, schaut sie an, so als wolle er sagen:
„Hopp, hopp!“ Natürlich sagt Zacharias nichts. Er weiß, dass Amanda ihn auch ohne Worte versteht. Worte vergeudet man nicht!
„Und so etwas ist ein Freund, Lebensgefährte, Lover, Liebhaber, …!“
Baden wäre angenehm. Bei diesem Wind ist das vielleicht doch nicht so gut. Da hinten am Rettungsturm ist die rote Fahne gehisst. Dreißig Grad im Schatten und Sturm, das soll ein Traumurlaub sein? Den sollte man zurückgeben, reklamieren, eine Million Euro Schadenersatz fordern. In Amerika hätte sie längst Klage eingereicht. Sie ist an der Ostsee …
Endlich gönnt sich Zacharias eine Pause. Ohne Ankündigung bleibt er stehen. Amanda ist in Gedanken, schimpft die ganze Zeit auf ihren Freund, rennt ihn beinahe um. Zacharias setzt sich auf eine Bank.
„Setz dich!“ Das sind zwei Worte, die Zacharias hintereinander, ohne zwischendurch Luft zu holen oder einzuschlafen, aufsagt.
Fünf Minuten Erholung gönnt er seiner Freundin, die befürchtet, dass er jeden Moment aufspringt und weiter rennt. Endlich ist sie zu Atem gekommen.
„Das ist meine Chance, jetzt oder nie!“, denkt Amanda, „Jetzt frage ich ihn.“ Zögerlich beginnt sie:
„Was meinst du? Sollten wir nicht mal wieder in ein Konzert gehen? Im Kurhaus spielt heute Abend die Band ‚Peter und Paul‘ oder so ähnlich. Ich weiß nicht mehr, wann wir beide das letzte Mal zum Tanz waren.“
„Vor drei Wochen und vier Tagen!“, antwortet Zacharias, ohne nachdenken zu müssen. Amanda ist irritiert, erinnert sich an ihren jüngsten Discobesuch, kann aber nicht sagen, wie lange der her ist: Drei oder sogar schon vier Wochen?
„Da wird es Zeit, dass wir mal wieder ausgehen.“
„Ja …“
Amanda strahlt wie ein Honigkuchen, wie ein Blechkuchen mit ganz viel süßem Honig. Ohne dass sie Zacharias zu Ende sprechen lässt, entgegnet sie:
„Lass uns umkehren, wir müssen uns vorher im Hotel noch zurechtmachen. So wie ich schwitze, kann ich mich nicht unter Menschen wagen.“ Amanda wittert Morgenluft.
„Ja“, setzt Zacharias erneut an, „Ja, es wird mal wieder Zeit, Tanzen zu gehen. Diese beiden Nulpen spielen alle paar Tage im Kurhaus, haben wohl ein Abo abgeschlossen.“
„Nulpen?“ Amanda ist enttäuscht.
„Komm!“ Schon wieder dieses eine Wort. Es mutiert zu ihrem persönlichen „Unwort des Jahres“. Amanda ist wütend. Sie ist sauer, würde ihn am liebsten hier sitzen lassen. Abmurksen wäre ebenfalls eine Möglichkeit. Doch sie kann kein Blut sehen und dann ist er tot, ihr Freund, das geht natürlich nicht. Ihn aber hier sitzen lassen, alleine heimgehen, macht keinen Spaß. Und sitzenlassen funktioniert sowieso nicht, denn Zacharias ist ja gerade aufgestanden, richtet die pinke Brille, greift nach dem pinken Basecap und läuft los. Dabei wischt er sich mit einem nicht ganz pinken Taschentuch einen klitzekleinen Schweißtropfen von der Stirn. Schon ist er 50 Meter voraus. Fassungslos springt Amanda auf und rennt hinterher. Fast zehn Minuten benötigt sie, um den Abstand zwischen ihnen auf ein erträgliches Maß zu reduzieren.
„Klapperstorch“ steht an einer Bude unterhalb des Deichs. Der „Klapperstorch“ ist ein vornehmes Restaurant, war früher mal eine Geburtsklinik. Der Geburtenrückgang veranlasste den Chefarzt, umzuschulen. Schwester Erna steht seitdem am Tresen, füllt die Gläser mit Bier oder Limonade. Im Kreißsaal sitzen jetzt die Gäste, schnabulieren Zwillingswürste, Drillinge mit Quark und zum Nachtisch die legendäre Nachg…, Waldmeisterpudding mit Kirschsoße. Zu trinken gibt es Fruchtwasser, wahlweise in den Geschmacksrichtungen Kirsch, Erdbeere und Waldmeister. Der „Klapperstorch“ ist ein Geheimtipp. Jeder der in dieser Gegend Urlaub macht, muss einmal hiergewesen sein.
Amanda ist das egal, sie hat Hunger und wenn sie hungrig ist, zieht sie selbst die schlimmste Kaschemme magisch an.
„Warte mal!“, ruft sie schnaufend und hofft, dass Zacharias stehenbleibt. Der geht weiter. Enttäuscht, ausgehungert, durstig und wütend folgt Amanda.
„Wie kann man mit solch verrückten, pinken Badelatschen so schnell laufen?“, wundert sich Amanda zum hundertsten Male. Im selben Moment fliegt Zacharias linker Latsch in hohem Bogen weg. Die Schnalle, die pinke Schnalle, hat der Belastung des Marsches nicht standgehalten. Wütend lässt Zacharias den rechten Schlappen hinterherfliegen. Beide zieren nun die Landschaft, eine vertrocknete Hecke direkt neben dem Weg am Deich. Die Badelatschen sehen aus wie pinke Sommerblumen, selbst die Sohlen sind pink, dreckig pink.
„Wo ist der Kerl nur hineingetreten?“, wundert sich Amanda, während Zacharias barfuß weiterläuft, dabei einen geschickten Hüpfer über einen recht frischen Hundeschiss absolviert. Zum Glück, denn Amanda wäre garantiert hineingelatscht. Sie ist seine Glücksfee. Sie müsste es ihm mal wieder sagen. Der Kerl vergisst so schnell.
Amanda ist wütend auf diesen Knaben. Badengehen, wäre nicht schlecht, trotz Sturm. Amanda sehnt sich nach einer Abkühlung. Außerdem möchte sie der Welt, der Menschheit ihren neuen, ihren pinken Bikini vorführen. Wozu sonst hat sie ein halbes, nein, ein dreiviertel bis ganzes Vermögen in diese zwei Quadratmillimeter pinken Stoff mit Schnüren investiert. Beide Teile haben noch dazu so ein unglaublich geniales Verschlusssystem, eines das bestimmt patentiert ist. Einfach „Schnipps“ und der Verschluss ist zu. Man muss nur leicht drauf drücken. Das Öffnen scheint noch nicht patentwürdig zu sein. Da heißt es fummeln. Dafür ist Zacharias zuständig. Schließlich ist der Ingenieur und hat gewisse Interessen.
„Bleib endlich stehen!“, schreit Amanda diesem verrückten Kerl hinterher, „Ich habe Hunger!“
„Komm!“, antwortet Zacharias scheinbar emotionslos. Dann ergänzt er:
„In einer halben Stunde sind wir am ‚Hawaii‘, da kannst du Pizza essen, so viel du schaffst. Ruf doch mal an und sag denen, die sollen den Pizzaofen ordentlich vorheizen.“
„Oh, das waren zwanzig Worte, mindestens. Muss ich mich um ihn sorgen?“ Nein, sie sorgt sich um sich selbst, ihre Kondition, ihre Beine, die Füße, ihr …, ihr alles. Komischerweise zwickt die linke Pobacke, ausgerechnet die linke, nicht die rechte. Ist das normal? Noch eine halbe Stunde in solchem Tempo durch die Landschaft hetzen, dazu hat Amanda wenig Lust. Doch was bleibt ihr übrig? Dieser Gedanke geht ihr nicht mehr aus dem Kopf.
„Land-schaft-het-zen, Land-schaft-het-zen, …“, tönt es fortwährend durch ihr Gehirn, dröhnt es im Rhythmus ihrer Schritte.
Amanda muss hinterher, kann den Kerl nicht alleine lassen, der scheint in irgendeinem ganz schlimmen Rausch zu sein.
„Mist, verdammter!“, denkt sie zur Abwechslung. Die Strippen ihres Bikinis, des Oberteils, sind aufgegangen. Dieser dämliche Verschluss ist purer Fusch. Hätte sie das geahnt, würde sie jetzt nicht dieses pinke Teil tragen. Es geht ihr sowieso aufs Gemüt, dass Zacharias als Antwort auf die Frage, wie ihm der neue Bikini gefällt, in den nächsten Ramschladen rannte und sich ein Dutzend pinke Klamotten gekauft hat. Die haben zusammen nicht einmal halb soviel gekostet, wie dieser pinke Bikini mit dem verrückten Schloss. Pink ist ihre persönliche Modefarbe der Saison – obwohl offiziell Türkis angesagt ist. Amanda stellt sich vor, wie sie sich am Strand fühlen würde, wenn die Schnalle vom Bikini einfach so aufgeht. Das Teil wäre womöglich weit fortgeflogen. Wie soll man zwei Quadratmillimeter pinken Stoff mit Strippen und kaputtem Verschluss finden, vor allem, wenn alle Kerle gierig gaffen.
„Nein, das stelle ich mir lieber nicht vor!“, beschließt sie. Eine böse Ahnung breitet sich in ihrem Gehirn aus. Das Unterteil, knappe drei Komma fünf Quadratmillimeter groß, pink und mit derselben Sorte Sicherheitsverschluss … Weiter wagt sie nicht, zu denken, sicherheitshalber.
Jetzt baumelt das Teil, das Oberteil vom Bikini, von ihrem pinken Bikini, unter dem T-Shirt, das zum Glück im Bund ihres heißen, also wettergerechten, Höschens klemmt. Amanda ist wütend, wütend auf Zacharias, der inzwischen seinen Vorsprung deutlich ausgebaut hat, wütend auf die Hersteller solcher Schundverschlüsse, wütend auf pinke Bikinis im Allgemeinen und überhaupt.
„Er sieht wirklich schrecklich aus, dieser pinke Sichtschutz unter meinem hellen Top mit dem Regenbogen auf dem Bauch. Der scheint total durch.“ Mit geschickten Fingern fädelt sie das Teil aus den Tiefen ihres Tops hervor und verstaut es in der linken Hosentasche. Jetzt strahlt etwas anderes unter dem Top durch. Aber bei diesem Affenzahn, mit dem sie unterwegs ist, hat niemand die Chance, Details wahrzunehmen.
„Na hoffentlich!“ Sie rennt ein Stück, um den Anschluss an Zacharias wiederzugewinnen. Ein BH wäre praktisch. Zum Glück heißt sie Amanda, ein doofer Name, aber besser als Dolly B.
Weiter geht es. Der Kerl hat vielleicht eine Ausdauer. Und weshalb heißt der auch „Zacharias“? Wer hat ihm solch einen verrückten Namen gegeben? Das Unglaublichste ist ja, dass der auf diesen Vornamen stolz ist. Amanda findet ihren Vornamen auch nicht besonders toll. Der klingt irgendwie alt, behäbig und ausländisch. Aber „Zacharias“? Der hört sich mächtig ausgefallen an. Und nur weil er Zacharias heißt, ist er ihr auch aufgefallen, hat sie sich in ihn verknallt, ganz langsam in null Komma nichts, sagen wir mal, in einer halben zehntel Millisekunde?
„Wow! Ist der süß!“, stand schlagartig fest, als sie den Kerl mit diesem verrückten Namen sah. Und der behauptet jetzt natürlich, er hätte sich in sie verguckt, weil sie solch einen süßen Vornamen hat. Der ist überhaupt nicht süß!
„Männer haben eben keine Ahnung!“
„Wie lange sind wir nun schon unterwegs?“, überlegt Amanda, „Bestimmt über zwei Stunden. Oder sind es bereits drei? Wenn diese verdammte Pizzabude nicht gleich kommt, trete ich in den Streik, wie dazumal die Piloten, Lokführer oder die Post.“ Sie erinnert sich, dass der Brief an ihre Freundin in Paris sieben Wochen lang unterwegs war. Sicher musste der wegen des Pilotenstreiks nach Paris getragen werden und dann fand er den Briefkasten nicht, weil die deutschen Postboten mehr Lohn haben wollten. Der Geburtstagsbrief wäre fast als Glückwunsch für das nächstjährige Fest der Freundin durchgegangen.
Es ist gut, so etwas zu denken. Wenigstens erfüllen diese Streiks noch einen erfreulichen Zweck, denn solche Gedanken lenken von den Qualen dieses Marathonlaufs ab. Oder ist es ein Doppel-, vielleich gar Dreifachmarathonlauf? Es kommt ihr vor wie ein unendlich langer Marsch, wie damals bei den Chinesen. Aber die hatten ein anderes Ziel. Die wollten einen kommunistischen Heldenmythos schaffen. Niemand wird sich an Amandas Heldentaten erinnern, kein Mensch nimmt sie wahr, nicht einmal Zacharias!
Zacharias bleibt stehen.
„Das hat etwas zu bedeuten!“, steht für Amanda augenblicklich fest. Sie sieht, dass an seinem linken großen Onkel Blut ist, nicht viel, aber immerhin. Hat er sich gestoßen, ist er in eine Scherbe getreten? Gleich beginnt er zu jammern, steht für Amanda fest. Er hat es wohl noch gar nicht bemerkt. Oder spielt er den Helden?