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ALLES, WAS MAN WISSEN MUSS
REGELN HINTERGRÜNDE TIPPS
Rudern – Alles, was man wissen muss
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© 2020 by Meyer & Meyer Verlag, Aachen
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9783840313738
eISBN 9783840337390
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1Einstieg
2Ursprung, Historie und Entwicklung
2.1Rudern im alten Ägypten und in der Antike
2.2Rudern als Prunkfahrt, Berufsstand und Sport
2.3Rudern wird populär und erobert den Kontinent
3Grundlagen
3.1Begriffserklärungen
3.1.1Die Seiten des Boots
3.1.2Die Ruder
3.1.3Der Platz des Ruderers
3.2Boote und Material
3.2.1Vom Holz zum Kunststoff
3.2.2Mindestgewicht bringt Sicherheit
3.2.3Skulls und Riemen
3.2.4Die Ruderanlage
3.3Bewegung, Koordination und Kommandos
3.3.1Erste Phase – die Auslage
3.3.2Zweite Phase – der Durchzug
3.3.3Dritte Phase – die Rücklage
3.3.4Vierte Phase – das Vorrollen
3.3.5Die Ruderkommandos
4Einstieg in den Rudersport und seine Organisationen
4.1Rudern ist Vereinssport
4.2Der Einstieg in den Rudersport
4.3Struktur der Vereine
4.4Die Dachverbände
4.5Die Altersklassen
5Leistungssport
5.1Leichtgewichte und Steuerleute
5.2Die Regattabahn ist der Sportplatz der Ruderer
5.3Rudern bei Olympischen Spielen
5.4Rudern bei Paralympischen Spielen
5.5Rudern bei Weltmeisterschaften
5.5.1WM in den Nachwuchsklassen
5.6Rudern auf internationalen Regatten
5.6.1Kontinentale Meisterschaften
5.7Rudern auf nationalen Regatten
5.8Besondere Regatten
5.9Organisation und Ablauf einer Regatta
5.9.1Die Veranstalter und Ausrichter
5.9.2Die Ausschreibung
5.9.3Die Meldungen
5.9.4Der Zeitplan
5.9.5Der Regattaplatz
5.9.6Der Start des Rennens
5.9.7Auf der Strecke
5.9.8Das Ziel
5.9.9Wettkampfrichter rund um die Strecke
5.9.10 Das Ergebnisprotokoll
5.10 Besondere Mannschaften
5.11 Besondere Persönlichkeiten
6Breitensport
6.1Die Boote
6.2Organisation eines Vereins
6.3Die Bootshaustour für die Fitness
6.3.1Das Fahrtenbuch
6.3.2Das Bootsmaterial
6.3.3Die Ruderstrecke
6.3.4Ende der Ausfahrt
6.4Auf dem Wasser wandern
6.4.1Tagesfahrt
6.4.2Wochenendfahrt
6.4.3Wanderfahrt
6.5Breitensportliche Wettbewerbe
7Besondere Formen des Ruderns
7.1Das Ergometerrudern
7.2Küstenrudern
7.3Rudern in Kirchboot und Barke
7.4Rudern auf den Weltmeeren
8Noch einige Aspekte des Ruderns
8.1Rudern und Umwelt
8.2Rudern und Sicherheit
8.2.1Sicherheit im Boot
8.2.2Erfahrung und schnelle Entscheidungen
8.2.3Schwimmwesten im Rudersport
8.2.4Sicherheit im Leistungssport
8.2.5Technische Ausrüstung der Boote
8.3Rudern und Gesundheit
8.3.1Training für den ganzen Körper
8.3.2Ein starker Rücken
8.3.3Kleine Blessuren nicht ausgeschlossen
8.3.4Doping
8.4Rudern als Familiensport
Anhang
1Das Ruder-Wörterbuch
2Literaturverzeichnis
3Bildnachweis
Bei der Suche nach einer geeigneten Sportart stellt jeder seine ganz individuellen Ansprüche: Mancher sucht beim Gleiten über ein Gewässer seine Ruhe und Entspannung – ein anderer die sportliche Herausforderung im Wettkampf bis zur Erschöpfung. Mancher möchte ganz allein die Natur genießen und den Kopf frei bekommen – ein anderer fühlt sich mitten in einer Mannschaft wohl, mit der er sich austauschen und gemeinsam den Sport erleben kann. Mancher möchte seinen Sport betreiben ohne Verantwortung für andere – ein anderer findet im Engagement für die Gemeinschaft seine Erfüllung, in die er sich mit seinem Wissen und Können einbringen kann. Mancher möchte mit seiner Familie oder seinem Freundeskreis in der Freizeit spontan etwas unternehmen – ein anderer fühlt sich in einem längerfristig geplanten und zielorientierten Ablauf mit Training und Wettkampf am wohlsten.
Diese Aufzählung kann man sicher noch um viele Aspekte des Sporttreibens erweitern. Aber auch so wird schnell klar, dass nicht viele Sportarten all diese Wünsche erfüllen können. Es soll nicht überbewertet werden, aber die Sportart Rudern kommt einem solchen Profil sicher sehr nah. Sie bietet viele Facetten, individuell im Einer bis zum Mannschaftserlebnis im Großboot, von der entspannten Ausfahrt bis zum Wettkampfsport in vielen Alters- und Leistungsklassen, von der Fahrt über ein paar Stunden oder gar Tage bis hin zum regelmäßigen, zielgerichteten Training mehrmals die Woche mit der Teilnahme an Regatten. Dieses Buch stellt viele Möglichkeiten vor, die der Rudersport bietet, um den individuellen Wünschen an die eigene sportliche Aktivität gerecht zu werden.
Fragt man den sportlich interessierten Laien, was ihm zur Sportart Rudern einfällt, dann werden sicher die Begriffe „Deutschlandachter“, „olympische Medaillen“, „Einerduelle“ oder vielleicht auch noch „Oxford-Cambridge“ genannt. Das sind die Schlaglichter, die vor allem über die Medien immer wieder in die Öffentlichkeit getragen werden und die zu Recht als Synonyme für die Sportart Rudern bekannt sind.
Dass aber Rudern schon seit Tausenden von Jahren von den Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen betrieben wird und als Sportart auf eine weit über 200 Jahre alte Tradition zurückblicken kann, ist dann doch eher nur den Experten bekannt. Auch darauf blicken wir in diesem Buch und stellen das Rudern als eine der ältesten betriebenen Sportarten der Welt vor.
Gerade während der Entstehung dieses Buchs gerieten die Olympischen Spiele durch die Corona-Pandemie in schweres Fahrwasser. Ob wir sie tatsächlich noch um ein Jahr verschoben in Tokio erleben werden, wurde beim Schreiben des letzten Kapitels noch intensiv diskutiert. Vielleicht werden wir erst 2024 wieder eine olympische Regatta um Gold, Silber und Bronze verfolgen können. Dennoch, die Olympischen Spiele sind für die Sportart Rudern die wichtigste Bühne, auf der sie sich seit 1896 präsentieren kann. Und sie haben das Bild des Ruderns und seiner Aktiven in der Öffentlichkeit geprägt. Die Bilder von quälend harten Rennen über eine 2.000 Meter lange Strecke bis zur völligen körperlichen Erschöpfung werden auch von Nichtruderern mindestens alle vier Jahre mit Spannung verfolgt.
Wenn deutsche Mannschaften mit Medaillenaussichten bei den Weltmeisterschaften in den nicht olympischen Jahren am Start sind, schauen viele Sportfans ebenfalls zu und fiebern bei den Rennen mit. Doch Rudern ist viel mehr, als diese Wettkämpfe der gut trainierten und auf die körperlichen Strapazen vorbereiteten Aktiven vermitteln. Auch wer über weit weniger körperliche Physis und Kondition verfügt, kann ins Bootsteigen und im Rudern seine sportlichen Grenzen stecken und erreichen. Das gilt sowohl für den Leistungssport, viel mehr aber noch für das Freizeit- und Breitensportangebot, das die Sportart Rudern bereithält.
Rudern ist seit jeher eine vom Mannschaftsgedanken geprägte Sportart, die vor allem eine Menge an Boots- und Sportmaterial erfordert. Das wird in Deutschland fast ausnahmslos von Vereinen bereitgestellt. Das bringt für den Einsteiger den Vorteil, dass der Start in den Rudersport relativ einfach ist und vor allem keine persönlich kostspielige Investition für Kleidung, Sportgerät oder individuelle Trainer erfordert. Auch auf diese Aspekte des Rudersports geht dieses Buch ein durch die Erklärung von Grundbegriffen, die Vorstellung von Ausbildungswegen und durch das Aufzeigen von sportlichen Entwicklungen. Getreu dem Untertitel vermittelt es dem Laien alles, was er als Aktiver oder auch ambitionierter Betrachter der Sportart wissen sollte.
Zum besseren Verständnis sei hier noch erwähnt, dass der Begriff der „Mannschaft“ je nach Kontext bei der Beschreibung von Trainings- oder Rennsituationen auch für den Einer in diesem Buch angewendet ist. Auch wenn Rudern ausdrücklich eine Sportart für alle Geschlechter ist, wird in diesem Buch überwiegend die männliche Schreibweise genutzt, um einen durchgehenden Lesefluss zu ermöglichen.
Für alle Leser, die schon selbst Erfahrungen im Rudern gesammelt haben, sei die Anmerkung erlaubt, dass in diesem Buch sicher viele, aber längst nicht alle vorhandenen und denkbaren Aspekte des Rudersports aufgeführt sind. Dafür beschert jede Fahrt im Boot, jede Regatta und jedes Rennen den Protagonisten ganz eigene Erlebnisse und Erfahrungen, auf die sie in ihrem Sportlerleben zurückblicken können. Und auch nicht alle Details aus Bootsbau und Technik, Wettkampfklassen und Training, Sportorganisation sowie Freizeit- und Breitensport können hier genannt und erklärt werden.
Aber wer mit dem Wissen aus diesem Buch in die Sportart Rudern einsteigt, wird schnell mit ihr vertraut und lernt dann auch viele weitere Quellen kennen, aus denen er sein Wissen um den Rudersport erweitern kann. Vielleicht hilft dieses Buch ja auch dem erfahrenen Ruderer, seine Freunde, Bekannten oder Familienmitglieder für diese Sportart zu interessieren und zu gewinnen.
In diesem Sinne steigen wir also ein in die komplexe, aber auch faszinierende Welt des Ruderns!
Blickt man auf die Sportszene unserer Tage, dann finden sich viele Sportarten, deren Ursprung in der reinen Freude an der Bewegung, der Verwendung von Alltagsgegenständen für die Freizeit, in der Lust auf Spiel und Spaß und natürlich auch im Wettbewerb mit anderen liegen. Etwas anders sieht es bei den Wassersportarten aus, deren Ursprünge meist schon tausende Jahre zurückliegen und wohl ursprünglich so gar nichts mit Freizeitvergnügen zu tun hatten. Spätestens als die Menschen der Frühzeit erkannten, dass Pflanzen und Bäume auf dem Wasser schwimmen und man sich sogar daraufsetzen konnte, ohne unterzugehen, war die Fortbewegung auf dem nassen Element erfunden.
Mit einfachen Paddelschlägen mit den Händen kam man vorwärts und lange, bevor in der Antike der Grieche Archimedes die physikalischen Hebelgesetze definierte, hatten die Menschen erkannt, dass sie mit Hilfsmitteln wie Ästen und Stämmen von Bäumen diese Vorwärtsbewegung beschleunigen und erleichtern konnten. Die Grundlagen der Ruderbewegung beruhen also auf diesen Erfahrungen der Urmenschen und wenn man heute bei Wikipedia sich über die Hebelgesetze informiert, findet man eben das Rudern als anschauliches Beispiel, wie Physik hier wirkt:
„Beim Rudern findet das Hebelgesetz Anwendung, indem die Sportler durch eine große Kraft am kurzen Ende einen weiten Weg am langen Ende des Ruders zurücklegen, was zu einer großen Geschwindigkeit führt. Auch wenn es auf den ersten Blick anders erscheint: Das Ruder ist ein einseitiger Hebel. Last und Kraft greifen auf der gleichen Seite an. Der Drehpunkt, hier auch Stützpunkt genannt (der Punkt, an dem sich der Hebel abstützt), liegt am Ruderblatt. Weil die Bewegung des Bootes der eigentliche Zweck ist, kann das eingetauchte Ruderblatt als Drehpunkt betrachtet werden, um den sich das Boot bewegt, also in die Wirkrichtung der angreifenden Kraft geschoben wird. Das Ruder ist an der sogenannten Dolle am Boot befestigt; sie ist lediglich der Angriffspunkt der Last, nicht der Drehpunkt des Hebels. Die genaue Lage des Drehpunktes hängt davon ab, wie stark das Ruder im Verhältnis zum Boot verankert ist: Stützt sich das Ruderblatt von einem Felsen ab, liegt dort der Drehpunkt; beim Rudern in der Luft ist die Dolle der Drehpunkt.“
Klingt kompliziert, ist aber in der Praxis ohne große Mühen anwendbar und nachvollziehbar.
Das wussten wohl auch schon die Erbauer von sehr alten Bauwerken, wie den Steinkreisen im englischen Stonehenge, deren Entstehungszeit irgendwo zwischen 10.000 und 5.000 Jahren vor Christus von Wissenschaftlern zugeordnet wird. Die dort im Süden der britischen Insel aufgestellten Steine stammen aus einer Region weiter nördlich und sind nach Funden von Bootsresten offenbar rudernd oder paddelnd aus der Region des heutigen Wales küstennah über die Irische See in die Nähe ihres Aufstellungsorts gebracht worden. Auch wenn all das noch nichts mit dem Rudern als Sport zu tun hatte, so kann man dennoch diese Epoche der frühzeitlichen Menschen als Meilenstein für diese Fortbewegungsart auf dem Wasser ansehen.
Über Rudern als Freizeitvergnügen und vor allem als körperliche Ertüchtigung wird in den Aufzeichnungen der Ägypter berichtet. Etwa 1500 Jahre vor Christus, in der Zeit des Pharaos Amenophis, ließ sich die Oberklasse über den Nil zu Ausflügen rudern. Auch der Pharao selbst legte sich in die Riemen und hielt sich wohl so körperlich für die kriegerischen Auseinandersetzungen mit seinen Feinden und Widersachern fit.
Die Kriege und der Handel der Antike wurden im Mittelmeer um 500 v. Chr. durch die großen Schiffe der Griechen und Römer geprägt. Sie entwickelten die Technik ihrer Gefährte immer weiter, setzten einige hundert Ruderer in die Bäuche ihrer Schiffe, um immer mehr und längere Ruderriemen für die Geschwindigkeit einsetzen zu können. Gefürchtet waren dabei die Römer, die als Erste ihre Schiffe mit Rammspornen am Bug ausrüsteten, um ihre Gegner auf dem Wasser bewegungsunfähig machen und dann versenken zu können.
Die Phönizier und die Griechen perfektionierten diese Bauform der Schiffe, setzten gleich zwei und drei Reihen von Ruderern übereinander mit versetzt eingebauten Rudern, was ihren Schiffen eine immense Geschwindigkeit verlieh. So überfuhren sie quasi ihre Gegner, zu denen u. a. die Perser gehörten, die den griechischen Schiffen weit unterlegen waren.
Entgegen der Darstellung in manchen Historienfilmen saßen an den Ruderriemen keine Sklaven, sondern extra ausgesuchte starke Männer, die speziell ausgebildet waren, ständig trainierten und auch gut entlohnt wurden. So stellten die Feldherren dieser Zeit sicher, dass sie sich auf die Antriebskraft ihrer Ruderer in jeder Situation verlassen konnten. Zum Training gehörten Wettkämpfe der Schiffsbesatzungen untereinander und alle vier Jahre wurden zu Ehren der Stadtgöttin Athene große Ruderrennen im Hafen des heutigen Piräus ausgetragen.
Doch nicht nur zur Kriegsführung, auch zur Entdeckung der damalig bekannten Welt wurden die Ruderschiffe eingesetzt. Es ging bis zur afrikanischen Küste in das Reich der Araber und in den Norden bis nach Britannien. Und so begegnete man immer wieder anderen Völkern, die ebenfalls das Rudern als Antrieb für ihre Schiffe nutzen, etwa die Wikinger, die mit ihren Horden, vom Norden kommend, den Kontinent heimsuchten und dabei für ihre Erkundungs- und Raubzüge, vom Meer her kommend, die breiten und noch nicht kanalisierten Ströme wie etwa Rhein und Elbe nutzten.
Ganz anders kam das Rudern vor etwa tausend Jahren im heute norditalienischen Venedig zur Geltung. Dort gab es natürlich in den Kanälen tausende kleiner und größerer Boote, die von den Gondolieri gerudert wurden und für den täglichen Transport von Menschen und Gütern sorgten.
Herausragend waren aber die Prozessionen der Boote an den Feiertagen. Da waren große Boote mit vielen Ruderern an Bord geschmückt und herausgeputzt unterwegs. Es entstanden regelrechte Prunkfeste, die von den Stadtoberen zu vielen Anlässen angeordnet wurden. Und etwas davon hat sich bis zum heutigen Tage erhalten.
An jedem Pfingstwochenende findet bis heute die „Voga Longa“ auf den Kanälen der Lagunenmetropole statt. Dann gehören die großen und kleinen Kanäle ganz den muskelbetriebenen Wasserfahrzeugen, tausende Ruderboote, begleitet von Kajaks und Kanus, fahren durch die Stadt entlang ihrer Sehenswürdigkeiten. Immer wieder gibt es Staus und waghalsige Manöver an den engen Brückendurchfahrten. Ganz ohne Beschädigungen geht es selten ab. Und dennoch treffen sich alljährlich die Wassersportler aus ganz Europa mit den einheimischen Venezianern, um beim Pfingstfest die große Rudertradition der Stadt eindrucksvoll wiederzubeleben.
Wie kam es nun von diesen ganzen ruderischen Aktivitäten zur Sportart Rudern? Deren Wiege stand, wie bei vielen anderen sportlichen Disziplinen auch, auf der britischen Insel. Der Süden Englands war von vielen Flüssen und deren Nebenarmen durchzogen und um die zu überwinden, brauchte es Fähren. Das Rudern war im 18. Jahrhundert die effektivste Antriebsform und bald hatte sich eine eigene Zunft, die „Watermen“, etabliert. Die hatte strenge Regeln und achtete darauf, dass nicht einfach jedermann mit einem Boot selbst über die Gewässer rudern konnte. Da musste man harte Prüfungen ablegen, um in die Zunft aufgenommen zu werden und nur dann durfte man auch seinen Lebensunterhalt als professioneller Fährmann an den jeweils zugewiesenen Stellen eines Flusses verdienen.
Sehr ausgeprägt war auf der britischen Insel die gesellschaftliche Ordnung, dominiert vor allem durch den Adel. Der wollte nicht vom Zunftgebaren der freien Watermen abhängig sein, sondern nahm viele der Fährleute in seinen ganz persönlichen Personalstamm auf. So war für die Fährleute sichergestellt, dass sie ein festes Einkommen hatten und die Adeligen konnten jederzeit sich ihrer Dienste ohne langes Warten bedienen.
Ende des 18. Jahrhunderts entstand daraus ein Wettbewerb, wer denn wohl die schnellsten und stärksten Watermen in seinen Diensten hatte. Bald fuhren die Fährleute gegeneinander, versuchten, ihr jeweiliges Adelshaus, so gut es möglich war, zu repräsentieren. Die Adeligen selbst zeigten sich dann auch großzügig, setzten Preise und Prämien für diese Rennen der Watermen aus, was für die Ruderer natürlich ein willkommenes Zubrot für ihren meist kargen Lohn war. Nicht weit war es von dort aus bis zu den ersten Wetten des Adels und immer mehr entwickelte sich der eigentliche Fährbetrieb zu einem Freizeitvergnügen, bei dem sich die Sprösslinge der Earls und Lords auch selbst in die Boote setzten, um sich miteinander zu messen.
Bald wurde das zu einem Volkssport, besonders gepflegt und betrieben an den Eliteschulen der höheren Gesellschaft. Die bekannteste davon befindet sich bis heute nahe dem Stammhaus der amtierenden Königsfamilie in Windsor. Nur ein paar Kilometer davon entfernt liegt am Themseufer Eton mit seinem weit über die Grenzen des kleinen Städtchens hinaus bekannten College. Bis heute verfügt die Schule über riesige Bootshallen, in denen Hunderte von Ruderbooten liegen, die im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert von den männlichen Nachkommen der Adelsfamilien gerudert wurden. Jeder hatte seinen eigenen Einer, was die hohe Anzahl von Booten erklärt. Hier liegen die Wurzeln der bis in unsere moderne Zeit andauernden Bedeutung des Eton Colleges für den Rudersport.
Ganz in der Nähe befindet sich der Dorney Lake, ein künstlicher, quasi rechteckiger See, umgeben von vielen Wiesen und Ländereien der dortigen Familien. Er gehört dem Eton College, das 1996 mit den Bauarbeiten für eine moderne Regattastrecke mit der Wettkampfdistanz von 2.000 Metern begann und an dessen Kopfende ein umfassendes Leistungszentrum für den Wassersport mit allen Räumen und Einrichtungen entstand. Nach Welt-Cup-Regatten und der Weltmeisterschaft 2006 wurden hier die Rennen der Olympischen und Paralympischen Spiele 2012 der Ruderer und Kanuten ausgetragen.
Kurz zurück zu den Watermen: Nach den ersten Rennen, bei denen es bereits um prestigeträchtige Abzeichen und Geldprämien ging, wurde schon 1831 eine erste „Weltmeisterschaft“ ausgetragen. Die „Welt“ des Ruderns als Wettkampf war halt noch im Vergleich zu heute sehr begrenzt und der Umgang mit solchen großen Titeln eher lax. Dass es noch mehr als 120 Jahre dauern sollte, bis erstmals Ruderweltmeisterschaften im heutigen Format ausgetragen wurden, gehört auch zu den Eigenarten der Sportart. Darüber aber mehr im fünften Kapitel dieses Buches.
Trotzdem entwickelte sich das Rudern als Freizeitvergnügen und Sportart schon bald nach den ersten Anfängen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Das wohl bekannteste Rennen ist der Universitätenwettstreit zwischen Oxford und Cambridge, der erstmals 1829 ausgetragen wurde.
Zwei Freunde (Charles Wordsworth und Charles Merrivale) hatten die Idee dazu. Beide kamen aus Oxford, Merrivale ging aber nach Cambridge zum Studium, besuchte weiterhin regelmäßig seinen Freund, der in seinem Heimatort studierte und ruderte. Irgendwann hatten sie dann die Idee zu einem größeren Rennen und steckten damit auch ihre Professoren an den beiden Hochschulen an. So kam es am 10. Juni 1829 zum ersten „Boat-Race“. 1845 zog man dann auf die noch heute genutzte Strecke der Themse zwischen den Londoner Stadtteilen Putney und Mortlake. Seitdem haben nur die beiden Weltkriege und im Jahr 2020 die Corona-Krise für einen Ausfall des legendären Wettstreits gesorgt.
Das Besondere ist übrigens die Abhängigkeit des Regattadatums von Ebbe und Flut. Die Themse in London wird von den Gezeiten – englisch Tide – beeinflusst, der Abschnitt des Rennens wird deshalb auch der Tideway genannt. Dieser Umstand sorgt dafür, dass als Datum immer ein Wochenende zwischen Ende März und Anfang April festgelegt wird, bei dem das auflaufende Wasser des Flusses zwischen Vormittag und spätem Nachmittag seinen Höchststand erreicht. Nur dann ist die Themse dort breit genug, um genügend Platz für die meist spannenden Bord-an-Bord-Kämpfe auf den gefahrenen 6,8 Kilometern zu bieten. 165 Rennen gab es bisher, 84-mal gewann Cambridge, 80-mal Oxford. Und das eine Unentschieden ist der Legende geschuldet, dass der Zielrichter 1877 wohl zu betrunken war, um am Ende ein Ergebnis festzulegen.
Inzwischen fahren auch die Frauen der beiden Universitäten ihre Rennen auf dem Tideway aus. Wie heute noch die Leichtgewichtsmannschaften und Ehemaligen der Universitäten starteten sie bis 2011 in Henley auf dem dortigen, etwa 2.250 Meter langen Regattakurs. Dort findet bis heute eine legendäre Regatta statt mit königlichem Status. Dazu auch später etwas mehr.
Von der britischen Insel aus verbreitete sich der Rudersport in Richtung europäisches Festland. Schon 1830 gründeten englische Kaufleute, die mit ihren Kollegen in Hamburg eifrigen Handel unterhielten, in der Hansestadt den ersten Klub auf deutschem Boden. 1836 hatten sie die Hamburger Kaufleute so sehr für das Rudern begeistert, dass diese den ersten deutschen Klub gründeten. Er zählt auch wegen seiner Historie noch heute unter dem Namen „Der Hamburger und Germania Ruderclub“ zu den erfolgreichsten und bedeutendsten Rudervereinen in Deutschland.
Die Austragung von Regatten stand an erster Stelle des Vereinszwecks und bald gründeten sich weitere Vereine und Regattainitiativen unter anderem in Berlin, Frankfurt und Mannheim. Gefördert wurde das nicht zuletzt durch das Kaiserhaus in Berlin, wenn auch mit einem eher unsportlichen Hintergrund. Da Rudern den ganzen Körper in Anspruch nimmt und die Disziplin unter dem Kommando eines Steuermanns eine große Rolle spielt, betrachteten die Monarchen und ihre militärischen Berater den Rudersport als eine gute körperliche und moralische Grundausbildung kommender Soldatengenerationen. Wohl auch deshalb ist hier die Grundlage für viele Vereinsgründungen von Ruderklubs in Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts zu suchen.
Doch der sportliche Gedanke kam nicht zu kurz. Sport braucht Regeln und um diese zu vereinheitlichen, damit man landesweit gegeneinander Wettkämpfe austragen konnte, gründete sich 1883 der Deutsche Ruderverband (DRV), unter dessen Dach die Vereine und Regattaausrichter sich koordinierten und sich auf einheitliche Austragungsformen von Ruderrennen verständigten. Der DRV gilt damit als der älteste deutsche Sportverband. Heute hat er seinen Sitz in Hannover, rund 500 Vereine, Regattaverbände und Schülerrudervereinigungen sind in ihm zusammengeschlossen. Insgesamt sind über die Vereine rund 83.000 Einzelmitglieder dem Verband mittelbar angeschlossen, von denen der größte Teil das Rudern vor allem als Freizeit- und Breitensport zur eigenen Fitness ausübt. Nach wie vor gehört aber der Wettkampfsport, aus dessen frühen Anfängen mal alles entstand, zu den prägenden Verbandsaufgaben.
Auch in anderen europäischen Staaten hatte inzwischen das Rudern an Stellenwert im Sport gewonnen, nicht zuletzt gefördert durch die höheren Schichten der Gesellschaft. So kam es dann 1892 zur Gründung des internationalen Ruderverbandes durch die Schweiz, Frankreich, Italien, Belgien und die damals eigenständige Region am nordöstlichen Mittelmeer. Da Französisch in diesen Staaten die gebräuchliche Amtssprache war, einigte man sich auf den Namen Fédération Internationale des Sociétés d'Aviron, kurz FISA genannt. Diese internationale Föderation der Ruderverbände gilt als ältester Sportverband der Welt, dem heute 155 nationale Verbände angeschlossen sind und der seinen Sitz in Lausanne/Schweiz hat.
An dieser Stelle soll es zunächst mit der Schilderung der Historie des Ruderns genug sein. Auf weitere Begebenheiten und Entwicklungen des Rudersports wird noch in späteren Kapiteln des Buchs eingegangen. Eines aber soll hier noch erwähnt werden: Vergleicht man das Rudern mit anderen heute populären Sportarten, wird man feststellen, dass die gesellschaftliche Entwicklung genau entgegengesetzt gelaufen ist. Stand das amateurhafte Freizeitvergnügen bei vielen Sportarten zunächst im Vordergrund, bevor es zu professionellen Formen des Sports mit heutigem Ausmaß kam, war es beim Rudern genau umgekehrt. Handel, politische Interessen und Lebensunterhalt standen bei den antiken Völkern und dann den Watermen im Vordergrund, als sie zu den Ruderriemen griffen.
Vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als Europa nach und nach friedlicher wurde, entwickelte sich das Rudern zur Sportart mit ausgeprägtem amateurhaften Charakter. Und auch wenn heute vor allem im Hochleistungssport die rudernden Akteure durch berufliche Absicherung in staatlichen Institutionen oder Sponsoren in der Zeit ihrer sportlichen Karriere finanziell abgesichert sind, gibt es keinen professionell ausgeübten Rudersport auf der Welt. Einige Topathleten haben nach ihrer Karriere hier und da die Möglichkeiten, ihre sportlichen Erfahrungen, verbunden mit entsprechenden Studienabschlüssen, auch weiterhin beruflich einbringen zu können. Aber das sind die Ausnahmen mit denkbar größtem Abstand zur heutigen professionell betriebenen Sportausübung in den populären Sportarten unserer Zeit.
Rudern sieht für den Laien, von außen betrachtet, eher leicht aus. Sich im Boot hin und her bewegen und dabei die Ruder durch das Wasser ziehen, kann ja so schwer nicht sein. Aber, Vorsicht: Rudern ist eine komplexe Sportart, bei der die Bewegungsabläufe genau passen müssen. Deshalb gibt es auch zunächst einiges zu lernen, wenn man in diesen Sport einsteigt.
Dazu gehören einige Fachbegriffe, auf die wir in diesem Kapitel eingehen wollen. Eine umfangreiche Erklärung des Vokabulars im Rudersport ist im Anhang als Wörterbuch zu finden.
Vier Himmelsrichtungen gibt es, vier Seiten hat auch ein Boot. Zwei laufen meist spitz zu, die beiden anderen sind dafür umso länger. Es ist die typische Form eines Boots oder Schiffs, die sich für das Befahren von Gewässern durchgesetzt hat.
Vorne am Boot, ausgerichtet auf die gewünschte Fahrtrichtung, befindet sich die Spitze, fachmännisch der Bug genannt. Er läuft bei Ruderbooten meist spitz zu, damit er möglichst wenig Widerstand bei der Fahrt durchs Wasser bildet. Auf der gegenüberliegenden Seite ist das Heck, also hinten am Boot. Bei den motorgetriebenen Wasserfahrzeugen befindet sich dort meist der Antrieb, einerlei, ob am kleinen Sportboot oder am großen Ozeanriesen. Beim Ruderboot findet man dort zumindest ab der Größe für einen Zweier eine Platte aus Holz oder Kunststoff. Diese Platte heißt Steuer, sie ist über Leinen oder über Drahtseile mit den Aktiven im Boot verbunden, die darüber die Fahrtrichtung des Boots beeinflussen, also steuern können.
Rechts und links am Ruderboot befinden sich die langen Seiten, an denen die Ruder befestigt sind, mit denen die Aktiven das Boot bewegen. Die sind je nach Bootstyp und Anzahl der Ruderer unterschiedlich lang. Die Begriffe rechts oder links sind aber bei allen Booten und Schiffen nicht gebräuchlich. Vielmehr spricht der Fachmann von Backbord und Steuerbord. Dabei wird die Backbordseite mit roten Markierungen versehen, die Steuerbordseite mit grünen. Das ist ebenfalls in der gesamten Schifffahrt international so festgelegt und gilt entsprechend in Ruderbooten.