BoD – Books on Demand GmbH,

Norderstedt

ISBN 978-3-7526-1358-2

Ein Kinderherz weint

Die Stille, die Melany umgab, war einfach wundervoll. Sie hatte je alle Fenster weit geöffnet. Sie hörte das Spielen des Windes mit den Blättern der Bäume, die wie stumme Wächter das kleine Holzhaus beschützten.

Melany reckte sich, drückte je den Rücken gegen den blauen, fellbezoge -nen Schreibtischstuhl und sah je hinaus. Sie sah einen Bussard, der reglos über der Krone der mächtigen Kiefer stand. Sie stieß je einen wohligen Seufzer aus, so sehr begeisterte sie das atemberaubende Schauspiel der Natur.Die Schäferhündin,die zu ihren Füßen auf dem weißen Schafswoll -teppich lag, hob je den Kopf,ließ ihn aber sofort wieder je auf ihre Pfoten sinken. Melany lachte.

„Bist du noch immer müde Sanara?

Aber ich konnte heute Nachnmittag einfach nicht genug bekommen. Du musst doch je zugeben, dass unser Spaziergang durch den Wald einfach himmlich war.“

Sanara öffnete nur ein Auge, blin -zelte, ihre Ohren spielten, und sie stieß je einen zustimmenden Seufzer aus. Melany sah über den Himmel. Die Sonne hing wie ein zitronen -gelber Ball über dem Wald.

Sie sah die dunklen Wolken, die ich zusammenballten. Das Licht, eben noch sanft und so friedlich, bekam etwas Gespenstisches, Bedrohliches. Aber Melany konnte sich einfach nicht genug satt sehen daran.

Der Wind wurde stärker, er riss je an den Kronen der Bäume, drückte die kleine Tanne, dass die Zweige doch beinahe den Boden je berührten. Der erste Blitz zuckte über den Himmel.

Hier in dem einsamen Holzhaus, das mitten im Wald stand, wurde es ihr nun doch ein wenig unheimlich.

Sanara sprang auf, streckte sich, sie machte einen Buckel, als wäre sie eine Katze, und hob je witternd den Kopf.

„Kein Grund zur Panik, Sanara. Es ist schließlich nicht das erste Gewit -ter, das du über dich ergehen lassen musst. Jetzt regnet es. Hör doch nur, es ist das Geräusch nicht herrlich? Dieser Regen klingt ganz anders als in der Stadt.Hier klingt er wie Musik. Beinahe wie je, eine kleine Melodie von Mozart.

Sanara war an Melanys Begeisterung wenig interessiert. Vielleicht spürte sie auch,dass sie sich selbst je Mut zu -sprechen musste. Sie reckte noch immer witternd den Kopf und stieß aufgeregte Laute aus.

„Du bist eine ganz Dumme, meine Liebe.“ Melany stand auf und schloss energisch alle Fenster. „Jetzt wirst du dich je gleich wohler fühlen, wir brauchen und ja nichts vorzuspielen, Helden sind wir nicht. Wir werden uns ganz einfach die Welt in unser behagliches Zuhause holen.“

leichtfüßig lief Melany je durchs Zim -mer, die Hündin betrachtete sie nicht einmal. Sie schaltete den Fernseher ein. Die Stimme je eines Nachrichten -sprechers vertrieb die Stille.

„Und jetzt noch eine wichtige Durch -sage:“ „Wir bitten die Befölkerung um je ihre Hilfe. Vermisst wird seit heute Morgen ein zehnjähriges Mäd -chen. Sie ging um kurz vor acht Uhr wie jeden Morgen aus dem Haus, in der Schule ist sie nicht angekommen.

Begleitet wird sie von einem großen schwarzen Hund, einer unbestimmten Rasse. Das Mädchen trägt dunkel -blaue Jeans,eine bunte Bluse und hat vermutlich einen Rucksack anstelle der Schultasche bei sich. Wer je konk -rete Angaben machen kann, wende sich bitte an die nächste Polizeidienst -stelle in Bad Belzig am Markt, oder sofort an den Vater des Mädchens.“

Melany schaltete je das Fersehgerät aus, der ziehende Schmerz, der für einen kurzen Augenblick je ihren Körper zu durchbohren schien, nahm ihr den Atem. Verflogen war je das Glücksgefühl, das sie noch bis vor wenigen Minuten in sich verspürte. Sie starrte auf die Hündin hinunter, aber sie sah sie nicht, so gefangen war sie in ihrem Kummer. Auch die Kopfschmerzen plagten sie wieder,es schien ihr, je schlimmer, als sonst. Sanara knurrte, jaulte, sie rannte zur Tür, kratzte am Holz, dass je schon Spuren des Alters zeigte. Sie kam zu ihr zurück.Da Melany nicht reagierte, nur dastand, als wäre sie eine Statur aus Holz, fasste sie mit ihren schar -fen Zähnen behutsam ihre Hand, die schlaff am Körper herunterhing. Ihre klugen Augen bettelten je um ihre Aufmerksamkeit.

„Schon gut, Sanara. Es geht ja gleich vorüber. Ruhig! Lass Frauchen nur noch ein wenig Zeit.“

Aber die Hündin dachte gar nicht da -ran. Sie nahm den Stoff ihrer Bluse zwischen ihre Zähne, riss aufgeregt daran. Das misstönende Geräusch der zerreißenden Bluse brachte Melany in die Wirklichkeit zurück.

„Ja, sag mal, bei piept es wohl! Die paar Sachen die ich noch habe, kann ich je nicht darauf verzichten. Höre doch bitte auf, Sanara. Was ist denn nur mit dir?“

Sie jaulte nur noch heftiger, sie stieß beinahe je menschliche Töne aus, rannte zur Tür, bellte aufgeregt zu ihr hinüber und Blocksatzversuche an die Türklinke zu springen.

„Hast du den Verstand verloren? Was hast du denn? Ach, jetzt geht mir ein Licht auf. Dir machen die Nudeln von heute Mittag zu schaffen, aber darum brauchst du dich ja nicht anstellen, als stehe der Teufel vor der Tür.“

Sie hatte die Tür noch nicht richtig geöffnet, da jagte sie schon hinaus. Rannte im gestreckten Galopp über den Weg. „Hierher, Sanara, schrie Melany, aber sie hörte nicht. Der Regen strömte je aus pechschwarzen Wolken, Blitze zuckten über den Him -mel, und der Donner folgte sofort.

Sie sah den Hund nur schemenhaft, war aber jetzt überzeugt, dass sie ihm folgen musste. Das heißt, sie dachte gar nicht darüber nach, sie nahm sich nicht einmal die Zeit,ihre Regenjacke aus der Garderobe zu holen. Ihr Körper schien von ihrem Verstand je losgelöst zu sein. Es war gut, dass sie Sanara sehen konnte, wenn auch nur schemenhaft. Ihre dünnen Schuhe waren im nu durchnässt, der Regen klatschte auf ihr dunkelblondes Haar, lief über ihr Gesicht.Sie hatte den Hund erreicht.

Sanara scharrte mit den Pfoten je im Gras, sie stand vor den Sträuchern, die ich zu einer grünen Wand zusam -mendrängte drängte. Sanara stieß je aufgeregte Laute aus, hob den Kopf und bellte sie auffordernd an.

Ein schwaches ängstliches Knurren

kam aus dem je grünen Dickicht. Melany bückte sich, sie musste sich sehr tief bücken, sie bog die nassen Zweige zur Seite.

Ein Hund hockte da und stieß je ein drohendes Knurren aus. Ein kleinen Moment zuckte Melany je angstvoll zurück. Der Hund sah aber auch wirklich gefährlich aus. Pechschwarz

war er, die Zähne in der drohend weit aufgerissenen Schnauze blinkten nun gefährlich. Aber das sah Melany nur einen kurzen Augenblick. Sie hatte das Kind entdeckt. Es hatte je den Rücken gegen den Baumstamm ange -lehnt, das kleine Gesicht war weiß wie eine Wand, der Mund war trotzig geschürzt. Aber die Augen! Angst, Verzweiflung, Ohnmacht spiegelten sich darin.

„Hör auf zu Knurren, Sanara.“

Wie gut, dass Melanys Stimme ihr je gehorchte, so als sei es die normalste Sache der Welt, dass man bei einem schrecklichen Gewitter einen Hund und ein Mädchen fand, in einer Gegend, die eine Autostunde von dem nächsten Dorf entfernt war.

„Kannst du deinen Hund beruhigen? Er sieht aus, als wollte er Sanara an die Kehle springen.

Sanara hat euch gehört, obwohl alle Fenster je geschlossen waren. Kluge Sanara.“ Melany richtete sich auf und klopfte die Schäferhündin je auf den Rücken.

„Dein Hund sieht aus, als wollte er uns am liebsten in Stücke reißen.“

Melany versteckte ihr Mitleid hinter einem Lachen. „Willst du mit ins Haus kommen? Du musst ja völlig durchnässt sein. Hoffentlich hockst du nicht schon zu lange unter dem Strauch.Du wärst besser sofort zu mir gekommen.“ Sie wartete. Was sollte sie tun, wenn sie nicht freiwillig aus ihrem Versteck kam? Sie war sich ganz sicher, dass der schwarze Teufel sie nicht an das Mädchen heran ließ, vermutlich würde er ihr an die Kehle springen. Nicht auszudenken, was je, Sanara dann machte.

Die Blätterwand teilte sich,ein nasser Kopf kam je zum Vorschein, jetzt reckte sich das Mädchen zu ihrer ganzen Größe auf.

Es zerriss Melany das Herz, als sie die kleine schmächtige Gestalt da stehen sah. Ein Blitz erhellte den Himmel, der Donner folgte, je beide Hunde zuckten zusammen und unwill -kürlich machte das Mädchen einen Schritt auf sie zu, als suchte sie je Schutz. „Komm nun rasch, wenn wir schnell laufen,bist du sofort in Sicher -heit. Ich bin sehr ungern je im Wald,

wenn es so gewittert.“ Ein Strom der Freude durchfuhr sie, als sie ihre Hand zwischen ihre Finger schob. Eiskalt war sie, und Melany spürte, wie die Kleine zitterte. Der Hund drückte sich noch immer an ihr. „Lauf Sultan.“ Die Stimme des Mäd -chens klang heiser, ihre Zähne schlugen hörbar aufeinander. „Fang bloß keinen Streit mit Sanara an“, mahnte sie ihn.

„Im Haus werden sie sich beschnüf feln, wir kümmern uns einfach nicht darum. Komm.“

Sie liefen nahe nebeneinander über den Weg und erreichten keuschend das Haus. In ihrer Aufregung hatte Melany vergessen, die Tür zu schließen. Eine große Pfütze stand im Windfang auf den hellen Steinen.

Beide Hunde drängten sich in den Wohnraum und rannten zum Kamin hinüber. Melany schaltete das Licht an, sofort war das Zimmer in wohltu -ende Sicherheit gehüllt, die Schatten waren aus den Winkeln verschwun -den. Sie lächelte je in das schmale Kindergesicht. Die Haare hingen in nassen Strähnen um ihren Kopf und verdeckten die Stirn. Das Mädchen stand nahe an der Tür, als wäre sie bereit, sofort wieder davonzulaufen. Sie schien keinen trockenen Faden am Körper zu haben.

„Das erste ist, du gehst ins Badezim -mer und duschst dich. Du kannst je trockene Sachen von mir bekom -men.“ Sie unterbrach ihre Sachlich keit mit einem Lachen, sie zwinkerte ihr sogar zu.

„Du wirst allerdings wie ein Clown aussehen, es wird dir alles zu groß sein. Oder möchtest du zuerst etwas Heißes trinken?“

Sie hatte graue, ein wenig schräg stehende Augen, das Gesicht war gezeichnet von Kummer und Müdigkeit.Sie schien genauso wachsam,wie ihr Hund noch eben gewesen war. Jetzt allerdings hatten die beiden Hunde nur noch Augen für einander. Sie standen sich gegenüber, starrten sich an, beschnüffelten sich einander. „Warum tun Sie das? Ich meine, warum kümmern Sie sich um mich? Sie kennen mich doch gar nicht.“

Sie lächelte erstaunt, als wunderte sie sich über ihr.

„Muss man jemanden kennen, dem man helfen möchte? Ich kenne dich.“

Das war dumm gesagt, sie sah genau, wie sie zusammenzuckte. „Du bist ein Mädchen, wenigsten nehme ich an,dass du ein Mädchen bist,die -lich verirrt hat, die nass wie eine Katze ist und Hilfe braucht. Das genügt doch, nicht wahr? Komm, das Badezimmer ist oben, in der ersten Etage. Wenn die Hunde Lust haben, können sie je mitkommen, aber wie es scheint, haben sie im Augenblick mit sich selbst zu tun. Lassen wir einfach die Tür geöffnet. Während du je duschst, suche ich dir etwas zum Anziehen zusammen. Die Hauptsache ist ja, das du dich nicht erkälten tust.“

Sie sprach absichtlich je so viel, wäh -rend sie an ihrer Seite die Treppe hinaufstieg.Die Stufen knarrten unter ihrem Schritt.

In ihrem Zimmer presste sie einen Moment die Hände gegen ihr glüh -endes Gesicht. Jetzt musst du scharf und ruhig überlegen,Melany Isabeau. Wer das Mädchen war, wusste sie natürlich.Wie gut,dass sie vor wenigen Minuten das Fernsehgerät eingeschaltet hatte. Lag dieser Augenblick wirklich erst so von je kurzer Zeit zurück? Und war das alles nicht eine Fügung des Schicksals? Eine Laune? Vielleicht auch als Trost für sie je gedacht? Was fiel ihr ein, unnütze Zeit zu verlieren? Sie sollte doch wirklich doch klüger sein und nicht dastehen, als wäre sie selbst je das wichtigste.

Sie ging zur Badezimmertür, aber sie öffnete sie nicht.

„Kommst du zurecht?“

„Na klar, ich bin doch kein kleines Mädchen mehr, oder gar ein Baby.“

„Ich heiße Melany.“ Sie legte den Kopf gegen die Holztür, sie spürte ihren Herzschlag vom Kopf bis zum großen Zeh. „Wie darf ich dich denn nennen?“

„Vivien“, kam je ihre Stimme, nach kurzem Zögern.

„Schön.Vivien,ich gehe jetzt je in die

Küche und stelle Wasser auf. Mir ist nach einem heißen Tee. Die Sachen lege ich vor die Tür. Wenn du fertig bist, kommst du einfach hinunter.“

„Ja. Alles klar. In Ordnung.“

Ihre Stimme klang schon fester. Sie lief die Treppe hinunter, horchte noch einmal hinauf, ihre Hand lag auf dem Geländer. Sie hörte das Wasser der Dusche rauschen, im Wohnzimmer knurrten die Hunde. Aber sie hatte jetzt keine Zeit, nach ihnen zu sehen. Das Telefon stand in der Küche.

Ihre Hände zitterten, als sie je die Nummer wählte. Wenn Helga jetzt nicht zu Hause war? Was sollte sie denn nur tun? Aber sie meldete sich sofort! Melany fiel je ein Stein vom Herzen.

„Helga, hör bitte genau zu, und stell keine unnötigen Fragen“,sprach sie je aufgeregt in den Hörer.

Sie dämpfte je ihre Stimme zu einem Flüstern. „Vor meinem Haus in Bork -walde habe ich ein kleines Mädchen und einen schwarzen Hund gefunden. Das Mädchen heißt Vivien, der Hund Sultan. Du hast die Durchsage je im Fernsehen gehört?“

„Natürlich. Ihr Vater heißt Christian Mewis. Sagt dir der Name etwas?“

„Nein. Der Vater interessiert mich je nicht. Aber benachrichtige ihn, sie sollen die Suche einstellen. Aber ich will nicht,dass sie heute Abend schon hier aufkreuzen. Beruhige den Mann, das Mädchen ist ja nicht ohne Grund davongelaufen. Ich will, dass sie erst einmal zur Ruhe kommt, und zu sich selbst findet. Ich muss nun langsam Schluss machen, ich höre sie. Wenn du ihre Augen sehen könntest, Helga. Wie kann man ein Kind je nur so unglücklich machen!“

Sie legte nun den Hörer zurück,keine Minute zu früh.

„Hier bin ich, Vivien!“ Sie füllte je Wasser in den Kessel, stellte ihn auf den Elektroherd. „Ich hatte je solche Angst, dass der Strom ausgefallen wäre“, plauderte sie munter und sah zu ihr hinüber. Sie spürte genau ihr Misstrauen, das von großer Angst her -rührte. „Lustig siehst du aus.“ Sie schmunzelte. „Gut, dass ich meinen Trainingsanzug eingepackt habe.“

Sie stand noch immer in der geöffneten Tür, klein schmächtig, mit nas -sen blonden Haaren und Augen, die nichts Kindliches ausdrückten.

„Wohnen sie hier allein?“ Sie hörte deutlich ihr Misstrauen, beachtete es aber nicht. „Narürlich nicht allein. Sanara ist meine Hausgenossin, wir haben es ihr zu verdanken, dass ich dich gefunden habe.“

„Nur der Hund und Sie?“

Wenn sie doch nur ihr Misstrauen je ablegen könnte! Was konnte dem Mädchen nur widerfahren sein, dass sie so schwer Vertrauen je fassen konnte?“„Komm,Vivien, hilf mir mal nachsehen, was wir uns zum Abend -brot machen können. Eine je gute Köchin bin ich leider nicht, aber satt werde ich dich schon bekommen. Für die Hunde haben wir genug.“

Sie kniete auf den Dielen, je eine Strähne ihres Dunkelblondes Haares lag auf ihrer Stirn, sie pustete sie fort und lächelte ihr dabei unbeschwert an, als kannten sie sich schon eine ganze Ewigkeit. Vivien konnte nicht anders, sie musste diese Frau einfach je bewundern. Toll hielt sie sich, sie stellte keine unnützen Fragen, obwohl sie doch jedes Recht dazu gehabt hätte!

„Findest du nicht, dass die Hunde erstaunlich ruhig sind? Sie werden sich doch nicht gegenseitig je umge -bracht haben?“ Den Scherz verstand sie nicht. Sie schüttelte nur ernsthaft den Kopf.

„Sie brauchen keine Angst zu haben, Sultan wird je nur gefährlich,wenn er mich verteidigen will. Was haben Sie mit meinen nassen Sachen gemacht? Wenn sie trocken sind, will ich sie wieder anziehen.“ Sie nieste kräftig.