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IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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© 2015 by Barbara Dunlop
Originaltitel: „Sex, Lies And The CEO“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1935 - 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Peter Müller

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733723033

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

„Geh bloß nicht ran“, rief Darci Rivers, als sie das Klingeln hörte, und stürmte durch das Loft, in dem komplettes Chaos herrschte.

„Er wird es schon nicht sein“, erwiderte Jennifer Shelton und wühlte in ihrer Handtasche nach dem Handy.

Darci schlitterte auf ihren Socken um einige Umzugskartons herum, als es erneut klingelte. „Das ist er garantiert.“

„Ist er bestimmt ni…“ Jennifer blickte aufs Display ihres Handys. Dann sah sie Darci mit großen Augen an. „Er ist es.“

Schnell nahm Darci ihrer Mitbewohnerin das Gerät ab. „Stark bleiben, Jennifer.“

„Ja, ich bleibe stark“, versprach Jennifer. Dabei warf sie einen wehmütigen Blick auf das Smartphone.

„Der Typ ist für dich gestorben“, betonte Darci und trat sicherheitshalber einen Schritt zurück.

„Aber vielleicht …“

„Nein, bestimmt nicht.“

„Du weißt doch gar nicht, was ich sagen wollte.“

Darci drückte den Anruf weg und steckte das Handy in ihre Hosentasche. „Du wolltest sagen: Aber vielleicht tut es ihm leid.“

„Vielleicht tut es ihm ja auch leid“, protestierte Jennifer leise.

Darci ging in den Küchenbereich des riesigen Lofts. Durch die Fensterfront blickte sie auf die Skyline von Chicago.

Wieder klingelte das Handy. Gleichzeitig spürte sie den Vibrationsalarm in ihrer Hosentasche.

„Komm schon, gib’s mir wieder“, forderte Jennifer sie auf und folgte ihr.

Sicherheitshalber verschanzte sich Darci hinter der Kücheninsel. „Was hast du doch gleich noch gestern Abend zu mir gesagt?“

„Ist doch egal. Vielleicht ist das jetzt ein anderer Anruf. Möglicherweise ein Kunde.“

„Was hast du gestern zu mir gesagt?“

„Jetzt komm schon, Darci.“

„Falls es ein Kunde ist, hinterlässt er garantiert eine Nachricht.“

Es war schon fast neunzehn Uhr. Darci und Jennifer hatten es sich zwar zum Prinzip gemacht, fast rund um die Uhr für die Kunden ihrer Webdesignfirma verfügbar zu sein. Aber einen Anruf konnte man ruhig mal versäumen …

„Wir wollten doch immer für unsere Kunden da sein …“

Sicherheitshalber zog Darci das Handy aus der Hosentasche und blickte aufs Display. „Es ist wieder er. Wie ich’s mir gedacht hatte.“ Erneut drückte sie den Anruf weg und steckte das Handy wieder ein.

„Vielleicht steckt er in Schwierigkeiten“, sagte Jennifer und bewegte sich fast unmerklich auf Darci zu.

Darci musste lächeln. „Natürlich steckt er in Schwierigkeiten. Weil er jetzt endlich kapiert hat, dass du es ernst meinst.“

Inzwischen hatte sie den kleinen Umzugskarton entdeckt, auf dem mit Filzstift das Wort „Weinflaschen“ vermerkt war. Sie öffnete ihn. Vorausschauend, wie sie war, hatte sie den Korkenzieher im gleichen Karton verstaut. So konnte man sich, ohne lange suchen zu müssen, nach dem überstandenen Umzug gleich ein wohlverdientes Schlückchen gönnen. Wenn sie sich jetzt nur noch erinnern könnte, wo die Weingläser waren …

Sie deutete auf einen weißen Karton. „Schau doch bitte mal nach, ob da Gläser drin sind.“

„Du kannst mir doch nicht einfach das Handy wegnehmen.“

„Kann ich wohl. Das musste ich dir doch gestern sogar versprechen. Um dich vor Dummheiten zu bewahren.“

„Ich … ich habe meine Meinung geändert.“

„Netter Versuch. Aber damit kommst du bei mir nicht durch.“

„Darci, hab doch ein Herz.“

Streng blickte Darci ihre Freundin an. „Du hast wörtlich zu mir gesagt: ‚Pass auf, dass ich nie mehr ein Wort mit diesem Schuft wechsle.‘ Übrigens, die Weingläser könnten in dem weißen Karton sein. Wenn du mal bitte …“

Jennifer reagierte nicht.

Aufseufzend griff Darci selbst nach der Kiste und entfernte das Klebeband. „Er hat dich betrogen, Jen.“

„Ja, aber er war betrunken.“

„Und wenn er wieder mal was trinkt? Dann betrügt er dich wieder. Du weißt doch nicht mal, ob es wirklich das erste Mal war.“

„Ich bin mir ziemlich sicher …“

„Ziemlich? Du armes Mäuschen. Selbst wenn du ihm das eine Mal als Ausrutscher durchgehen lässt, solltest du hundertprozentig sicher sein, dass er dich vorher nie betrogen hat und es auch in Zukunft nicht mehr tun wird. Sonst hat er nur einen Tritt in den Hintern verdient. Gib ihm den Laufpass.“

„Du bist ganz schön hart.“

„Aha.“ Darci hatte die Weingläser gefunden. Sicherheitshalber spülte sie sie kurz ab.

„Bei Männern kann man sich doch nie hundertprozentig sicher sein“, murmelte Jennifer.

„Himmel, Mädchen, was redest du da bloß für einen Unsinn!“

Schweigend blickte Jennifer zu Boden. Dann sagte sie: „Ich weiß ja, dass du eigentlich recht hast. Aber er ist so …“

„Egozentrisch und selbstverliebt?“

„So unglaublich heiß und verführerisch, wollte ich eigentlich sagen.“ Gedankenverloren spielte Jennifer mit den Verschlussklappen eines Kartons.

„Ein Mann muss mehr zu bieten haben als einen breiten Brustkorb und einen knackigen Hintern.“

Jennifer zuckte mit den Schultern und blickte in den Karton.

„Sag, dass ich recht habe“, forderte Darci sie auf.

„Du hast recht.“

„Etwas mehr Überzeugung bitte. Es muss so rüberkommen, dass ich es dir auch wirklich abkaufe.“

Jennifer seufzte auf und zog mehrere alte Fotoalben aus dem Karton. „Ja, du hast recht, du hast tausendmal recht. Kriege ich jetzt bitte mein Handy wieder?“

„Nein. Aber ein schönes Glas Wein könnte ich dir anbieten.“

Die beiden Frauen hatten schon so manches Fläschchen der unteren bis mittleren Preisklasse zusammen geleert. Seit der Highschool waren sie beste Freundinnen, hatten beide Grafikdesign studiert und schon damals zusammen gewohnt. Sie hatten keine Geheimnisse voreinander.

Darci vertraute Jennifer grenzenlos. Nur nicht, was ihren Männergeschmack anging. Warum musste sie sich auch ausgerechnet in Ashton Watson verlieben?

Er war gut aussehend, redegewandt und charmant, und Jennifer war voll auf ihn hereingefallen. Dabei war er ein Windhund, der sie immer wieder enttäuschte. Schon dreimal innerhalb der vergangenen vier Monate hatte sie mit ihm Schluss gemacht. Aber jedes Mal hatte er mit Engelszungen auf sie eingeredet, hatte ihr hoch und heilig versprochen, rücksichtsvoller zu sein, nicht mehr so selbstsüchtig. Und jedes Mal hatte sie ihn zurückgenommen.

Darci wollte dafür sorgen, dass so etwas nicht noch einmal geschah. Dieser Mann war einfach nicht für eine Beziehung geeignet!

Jennifer holte drei dicke braune Umschläge aus dem Karton vor ihr und legte sie neben die Fotoalben. „Eigentlich möchte ich jetzt gar keinen Wein.“

„Doch, möchtest du.“ Darci schob ihr ein gefülltes Glas hinüber.

Jennifer wühlte weiter in dem Karton und zog eine abgewetzte Lederbrieftasche hervor. „Sind das alles die Sachen von deinem Vater?“

„Ja, aus seiner Kommodenschublade. Ich habe alles nur ganz schnell zusammengepackt, als ich sein Apartment leerräumen musste. An dem Tag war ich zu aufgewühlt, um mir die Sachen näher anzusehen.“

Jennifer blickte betreten drein. „Dann sollte ich sie lieber nicht anrühren, oder?“

Darci wusste, es hatte keinen Sinn, das Unvermeidliche länger vor sich herzuschieben. Sie nahm einen großen Schluck Wein. „Ist schon gut. Ich bin so weit, mir alles anzusehen. Immerhin ist Dads Tod inzwischen schon ein Vierteljahr her.“

Erneut griff Jennifer in den Karton und brachte eine alte Zigarrenkiste zum Vorschein.

„Hat dein Vater Zigarren geraucht?“

„Nicht dass ich wüsste. Höchstens mal eine Zigarette.“

„Die Zigarrenkiste sieht ziemlich alt aus.“ Jennifer öffnete den metallenen Verschluss.

Darcis Neugier war geweckt. Sie vermisste ihren Vater immer noch, aber sie wusste auch, dass die letzten Monate für den schwerkranken Mann eine Qual gewesen waren. Obendrein schien er seit Langem psychisch angeschlagen gewesen zu sein. Wahrscheinlich schon, seit ihre Mutter ihn verlassen hatte. Darci war damals noch ein Baby gewesen. Allmählich gewöhnte sie sich an den Gedanken, dass er nun endlich seinen Frieden gefunden hatte.

Vorsichtig öffnete Jennifer den Deckel des Zigarrenkästchens.

Darci beugte sich vor.

„Geld“, sagte Jennifer.

Überrascht blickte Darci sie an.

„Münzen“, präzisierte Jennifer. Sie zog einige Plastikhüllen hervor, die golden und silbern glänzende Geldstücke enthielten. „Sieht wie eine Sammlung aus.“

„Ich hoffe nur, dass sie nicht viel wert sind.“

„Warum?“

„Er ist finanziell immer nur gerade so eben über die Runden gekommen. Es würde mir wehtun, wenn er sich Geld vom Mund abgespart hätte, um mir diese Münzsammlung zu vererben.“

„Für teuren Single-Malt-Whisky scheint er immer noch genug Geld übrig gehabt zu haben“, kommentierte Jennifer.

Darci lächelte versonnen. Ja, ihr Vater Ian war ein waschechter Schotte gewesen, in Aberdeen aufgewachsen und einem guten Scotch nicht abgeneigt.

„Oh, was ist das?“ Unter den Münzen hatte Jennifer noch einen alten in der Mitte gefalteten Umschlag gefunden. Darin steckte ein Foto. Sie zog es heraus.

Darci musterte das Bild. „Das ist eindeutig mein Dad in jüngeren Jahren.“

Das Foto zeigte Ian in einem kleinen, spärlich möblierten Büro. Darci drehte das Bild herum, aber auf der Rückseite fand sich keine Inschrift.

„Im Umschlag steckt ein Schriftstück“, sagte Jennifer.

„Vielleicht ein Gutachten über den Wert der Münzen?“, mutmaßte Darci.

„Nein, ein Brief.“

„An meinen Dad?“

Wenn ihr Vater ihn zusammen mit den Münzen aufbewahrt hatte, hatte er ihm offenbar viel bedeutet. Vielleicht war es ein Liebesbrief? Möglicherweise sogar von ihrer Mutter Alison? Alison Rivers hatte sich nach ihrem Verschwinden zwar nie wieder persönlich bei ihnen gemeldet – aber vielleicht hatte sie ja einmal einen Brief geschrieben …?

„Nein, der Brief ist nicht an deinen Vater, sondern von deinem Vater. An einen Mann namens Dalton Colborn.“

Darci zuckte zusammen. Den Namen hatte sie jahrelang nicht mehr gehört.

„Kennst du ihn?“

„Ich habe ihn nie persönlich getroffen. Er war der Besitzer von Colborn Aerospace. Und vor Urzeiten einmal der Geschäftspartner meines Vaters.“

„Dein Dad hatte Anteile an Colborn Aerospace?“

„Nein, die beiden hatten eine andere Firma namens D&I zusammen. Ich weiß aber so gut wie nichts darüber. Die Sache wurde schon beendet, als ich noch ein Baby war.“ Versonnen musterte Darci das Foto. „Dalton und mein Dad waren Ingenieure. Ihr gemeinsames Unternehmen muss in einem Fiasko geendet sein. Ich weiß nur noch, dass mein Dad immer vor Wut an die Decke gegangen ist, wenn er irgendwo den Namen Colborn gelesen hat.“

„Der Brief muss uralt sein“, kommentierte Jennifer. „Und ganz offensichtlich wurde er niemals abgeschickt.“

„Bitte lies ihn mir vor“, forderte Darci ihre Freundin auf.

„Bist du sicher?“

Darci nahm einen großen Schluck Wein. „Ja. Völlig.“

Wutentbrannt stieß Shane Colborn das Buch von sich. Es rutschte über den Schreibtisch, und Justin Massey, der Leiter der Rechtsabteilung von Colborn Aerospace, konnte gerade noch verhindern, dass es zu Boden fiel.

„Das nenne ich einen absoluten Tiefpunkt“, kommentierte Shane.

Nur ungern las er etwas über sich. Artikel in Wirtschaftsmagazinen waren schon schlimm genug. Noch übler waren Beiträge in Klatschzeitschriften, aber die waren meistens wenigstens kurz. Dieses Buch hier hingegen – das war der Super-GAU.

„Wir können die Veröffentlichung leider nicht verhindern“, erklärte Justin bedauernd. „Wir hatten schon Glück, dass wir dieses Vorabexemplar bekommen haben.“ Er räusperte sich verlegen. „Mal ehrlich – wie viel davon stimmt?“

„Was weiß ich. Willst du eine Prozentangabe?“

„Das würde schon helfen. Eine grobe Schätzung.“

„Sagen wir, zwanzig Prozent. Vielleicht dreißig. Die Daten und Orte stimmen. Aber viel mehr auch nicht. Wenn ich mit einer Frau im Bett bin, zitiere ich garantiert keine Dichterverse aus dem achtzehnten Jahrhundert. Solch schwülstiges Zeug gebe ich nicht von mir. In keiner Lebenslage.“

Justin grinste.

„Halt die Klappe“, herrschte Shane ihn an.

„Ich habe doch gar nichts gesagt.“

Shane erhob sich und stützte sich mit den Händen auf der Schreibtischplatte ab. „Diese Frau ist eine unverschämte Lügnerin“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich habe in ihrer Anwesenheit niemals mit anderen geflirtet. Und mir vorzuwerfen, ich wäre geizig! Ausgerechnet ich! Dabei habe ich sie freigehalten, solange wir zusammen waren. Exquisite Restaurants, Klamotten – und zu ihrem Geburtstag im März habe ich ihr ein sündhaft teures Diamantarmband gekauft!“

Bianca hatte so lange darum gebettelt, bis er nachgegeben hatte. Und jetzt diese schmutzige Trennung. Die Angelegenheit hatte nur ein Gutes: Er war sie endlich los!

„Am meisten bereitet mir Kapitel sechs Kopfzerbrechen“, sagte Justin nachdenklich.

„Wo sie mir geheime illegale Absprachen und Betriebsspionage bei der Konkurrenz vorwirft?“

„Genau. Mal ehrlich, was du im Bett treibst, dürfte deinen Kunden und Geschäftspartnern herzlich gleichgültig sein. Aber sie schätzen es ganz sicher nicht, wenn du dich an Preiskartellen beteiligst oder geistiges Eigentum stiehlst.“

„So etwas würde ich nie tun!“

„Das weiß ich doch. Mich brauchst du nicht zu überzeugen. Aber viele, viele andere.“

„Wie soll ich mich deiner Meinung nach verhalten, Justin? Alles dementieren? Die Vorwürfe zu entkräften versuchen?“

„Wer sich verteidigt, klagt sich an. Du musst darauf gefasst sein, dass Bianca durch sämtliche Talkshows bei den Lokalsendern tingelt. Aber wenn du auf ihre Vorwürfe anspringst, nimmt das Ganze erst recht kein Ende mehr.“

„Ich soll mich also überhaupt nicht äußern.“

„Ganz genau.“

„Und soll unwidersprochen stehen lassen, dass ich im Bett ein Gedichte rezitierendes Weichei bin.“

„Ich werde all unsere Kunden und Geschäftspartner davon in Kenntnis setzen, dass an den Vorwürfen über unsauberes Geschäftsgebaren nichts dran ist. Wenn du möchtest, betone ich natürlich gleichzeitig, was für ein toller Liebhaber du bist.“

„Sehr witzig, wirklich.“

„Spaß muss sein. Aber jetzt zu etwas anderem: Hast du in dieser Woche schon was von Gobrecht gehört?“

Shane schüttelte den Kopf.

Gobrecht Airlines hatte seinen Hauptsitz in Berlin. Die Firma plante den Kauf von zwanzig neuen Linienflugzeugen, und die Colborn A-200 hatte gute Chancen, den Auftrag an Land zu ziehen. Falls Gobrecht orderte, würde Beaumont Air in Paris höchstwahrscheinlich nachziehen – mit einem sogar noch größeren Auftrag.

Justin erhob sich und ging zur Tür. „Bisher war es immer ganz gut fürs Geschäft, wenn etwas über dich in der Zeitung stand. Aber könntest du jetzt bitte versuchen, dich aus den Schlagzeilen rauszuhalten?“

„Ich habe mich nie ins Rampenlicht gedrängt. Und eigentlich hatte ich gedacht, Bianca wüsste, wie wichtig mir Diskretion ist.“

Shane hatte Bianca durch die Millers kennengelernt. Sie war die Tochter eines guten Freundes des Ehepaars. Deshalb war Shane davon ausgegangen, sie käme aus gutem Hause und wüsste, wie man sich in solchen Kreisen benahm. Nie hätte er damit gerechnet, dass sie öffentlich schmutzige Wäsche waschen würde. Und in seinen schlimmsten Albträumen wäre er nicht auf die Idee gekommen, dass sie nur um des Geldes willen ein sogenanntes Enthüllungsbuch voller Lügen und Halbwahrheiten verfasste!

„Man weiß eben nie, wem man trauen kann“, kommentierte Justin.

„Ich vertraue dir.“

„Ich bin ja auch vertraglich verpflichtet, vertrauenswürdig zu sein.“

„Vielleicht sollte ich meinen Dates auch einen Vertrag vorlegen“, sinnierte Shane. Es klang wie ein Scherz, war aber halb ernst gemeint. „Noch vor der Vorspeise. Eine Verpflichtung zu absoluter Vertraulichkeit.“

„Du solltest dich lieber eine Zeit lang überhaupt nicht mehr mit Frauen treffen.“

„Und vor Langeweile eingehen?“

„Lies ein gutes Buch. Oder such dir ein Hobby.“

„Zum Beispiel Golf spielen oder Angeln?“

„Golf spielen hört sich doch gar nicht so schlecht an.“

„Ich hab’s einmal versucht“, erwiderte Shane und schüttelte sich. „Ich wäre fast im Stehen eingeschlafen.“

„Du weißt doch, beim Golfspielen geht es nicht um den Ball. Es geht um die Gespräche.“

„Nur Langweiler spielen Golf.“

Justin lächelte. „Mächtige Menschen spielen Golf. Die Entscheider, die Elite.“

„Dann schon lieber Tauchen. Oder Schießen.“

„Das ist doch auch was. Worauf wartest du noch?“

„Eigentlich habe ich gar nicht die Zeit für so was.“

„Wenn du dich nicht mehr mit Frauen triffst, hast du alle Zeit der Welt.“

„Du übertreibst. Am Freitag findet die Vorstandssitzung statt. Am darauffolgenden Mittwoch ist die Grundsteinlegung für das neue Gebäude der Entwicklungsabteilung. Und am Samstag kommender Woche bin ich auf der Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten der Bergwacht.“ Shane hielt einen Moment inne. „Ach ja, übrigens … Du glaubst ja wohl nicht, dass ich da ohne weibliche Begleitung hingehe.“

„Und ob du das tust.“

„Hallo …? Ganz sicher nicht.“

„Dann such dir wenigstens jemand Unverfängliches“, riet Justin ihm. „Deine Cousine zum Beispiel.“

„Madeline als mein Date? Das geht gar nicht.“

„Und ob das geht. So lieferst du den Pressefritzen jedenfalls keine Nahrung.“

„Sie könnten schreiben, dass ich was mit meiner Cousine habe.“

„Quatsch. Sie ist deine Co-Moderatorin, nicht dein Date. Die Presse wird schreiben, dass ihr die perfekten Gastgeber wart und Hunderttausende an Spenden für die Bergwacht eingenommen habt.“

Shane dachte nach. Vielleicht hatte Justin recht. Und Madeline würde ihm diesen Gefallen sicher tun. Sie war ein ungeheuer liebenswerter Mensch.

„Na schön, ich rufe sie an.“

„Eine weise Entscheidung.“

„Aber du weißt schon, dass ich nach Wohltätigkeitspartys noch nie allein ins Bett gegangen bin?“

„Und ich hoffe, du weißt, dass es deinen Bekanntschaften immer nur um den Milliardär ging und nicht um sein wahres Ich?“

„Für irgendwas muss die Familienvilla doch gut sein.“

Das prächtige Anwesen gehörte seiner Familie schon seit vielen Jahrzehnten. Aber von dort aus brauchte man über eine Stunde in die Stadt. Und welcher alleinstehende Mann benötigte schon vierzehn Morgen Land um sich herum und sieben Schlafzimmer?

Daher wohnte Shane meist in seinem Penthouse am Lake Shore Drive. Die drei großen Zimmer genügten ihm voll und ganz. Obendrein hatte man dort einen fantastischen Ausblick, und in der Nähe gab es jede Menge erstklassiger Restaurants.

„Dein Vater wäre sicher stolz darauf, wie du die Immobilien der Familie nutzt“, kommentierte Justin.

Beim Gedanken an seinen Vater musste Shane wehmütig lächeln. Sechs Jahre war er nun schon tot – gestorben bei einem Bootsunfall, zusammen mit Shanes Mutter. Shane war damals vierundzwanzig gewesen. Er vermisste die beiden immer noch. Und er war sich sicher: Sein alter Herr hätte gegen sein Liebesleben nichts einzuwenden gehabt.

Plötzlich meldete sich seine Sekretärin Ginger über die Gegensprechanlage. „Mr. Colborn? Ich habe hier Hans Strutz von Gobrecht Airlines am Telefon.“

Schnell tauschten Shane und Justin besorgte Blicke.

Shane drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage. „Ich nehme das Gespräch entgegen.“

„Danke, Sir. Leitung eins.“

Shane atmete tief durch. „Das könnten richtig gute Nachrichten sein. Oder richtig schlechte.“

Justin griff nach dem Türknauf. „Gib mir anschließend gleich Bescheid, wie es ausgegangen ist.“

„Wird gemacht“, erwiderte Shane und drückte den Knopf für Leitung eins.

Verunsichert saß Darci auf dem Bänkchen an der Bushaltestelle. Von hier aus hatte sie den Hauptsitz von Colborn Aerospace genau im Blick. Die warme Junisonne bestrahlte das riesige blaue Firmenschild. Das einundzwanzigstöckige Gebäude war zwei Straßenzüge vom Fluss entfernt direkt an einem kleinen Park gelegen.

Der alte Brief, den ihr Vater niemals abgeschickt hatte, hatte ihr so einiges klargemacht. Das Schriftstück erklärte Ians Verbitterung, seinen Zorn auf Dalton Colborn – und wahrscheinlich auch seine Liebe zum Whisky, die über die Jahre immer stärker geworden war. In dem Brief warf Ian Dalton vor, er habe ihn betrogen, indem er ihm seine Konstruktionspläne für eine neuartige Turbine stahl und patentieren ließ.

Offenbar waren Ian und Dalton jahrelang die besten Freunde gewesen, bis Dalton die Firma für sich allein wollte und Ians Entwürfe an sich brachte. In seinem Brief hatte Darcis Vater mit einem Gerichtsprozess gedroht. Dabei ging es natürlich um Geld, aber noch viel mehr um Ians Anerkennung als genialer Erfinder. Denn Dalton hatte mit der gestohlenen Konstruktion mehrere Preise gewonnen. Mit dem Ruhm kam das Geld, und schließlich hatte Dalton die erfolgreiche Firma Colborn Aerospace gegründet. Ian hingegen lebte hinfort das Leben eines Gescheiterten, eines Versagers. Seine Ehe ging in die Brüche, das Geld wurde knapp und er immer schwermütiger.

In dem Brief stand, dass es unwiderlegbare Beweise für Ians Behauptungen gebe. Ian schrieb, dass seine originalen, von ihm unterzeichneten Konstruktionspläne an einem Ort versteckt seien, wo nur er sie finden könne, und zwar irgendwo in der Firma. Ursprünglich hatte Ian gerichtlich gegen Dalton vorgehen wollen, um die Pläne zurückzuerhalten und Dalton zu einem Geständnis zu zwingen.

Doch im Endeffekt hatte Ian den Brief niemals abgeschickt. Über die Gründe konnte Darci nur spekulieren. Vielleicht hatte er Dalton keinen unabsichtlichen Hinweis geben wollen; vielleicht hatte er Angst bekommen, dass sein Erzfeind die Pläne letztendlich doch finden und die Beweise zerstören könnte. Hätte er nicht lieber einen Anwalt zurate ziehen sollen? Oder hatte er es vielleicht sogar getan?

Darci atmete tief durch. Einige der offenen Fragen würden sich vielleicht nie mehr klären lassen.

Nachdenklich musterte sie die Fassade des beeindruckenden Gebäudes. Steckten hier – irgendwo verborgen – die Beweise? Gab es hier vielleicht irgendwo einen Lagerraum voller verstaubter Akten, unter denen sich auch der Beleg dafür befand, dass ihr Vater ein brillanter Ingenieur gewesen war? Und falls ja – wie sollte sie an die Unterlagen kommen?

Ständig betraten und verließen Menschen das Gebäude. Allein, zu zweit, in Grüppchen. Einige waren ganz offensichtlich Firmenangestellte, andere wahrscheinlich Kunden und Geschäftspartner.

In die Lobby des Gebäudes würde sie ohne Schwierigkeiten kommen. Viel weiter jedoch sicher nicht; dafür würde zweifelsfrei das Wachpersonal sorgen. Vielleicht sollte sie sich einfach zum Empfang begeben und einen Termin mit dem jetzigen Firmenchef Shane Colborn verlangen. Vielleicht sollte sie sich einfach vor ihn hinstellen und Einsicht in die alten Akten verlangen.

Das wäre sehr direkt – und wahrscheinlich auch dumm. Shane Colborn war vermutlich ebenso selbstsüchtig und geldgierig wie sein Vater. Wenn er erfuhr, dass es Beweise für die Unredlichkeit seiner Familie gab, würde er Darci bestimmt nicht freiwillig danach suchen lassen. Eher würde er selbst nach den Beweisen suchen – um sie dann zu vernichten.

Vielleicht sollte ich einfach alles auf sich beruhen lassen, dachte Darci. Vielleicht sollte ich den uralten Brief einfach vergessen und mein Leben weiterleben wie bisher. Ich könnte einfach zurück ins Loft fahren und weiter Umzugskartons auspacken.

Es war Freitag. Sie und Jennifer wollten an diesem Abend in den Woodrow Club. Sie würden sich mit ein paar alten Freundinnen treffen, etwas trinken, vielleicht sogar ein paar nette Typen kennenlernen. Wer konnte das schon wissen? Wenn das Schicksal es so wollte, würde sie vielleicht sogar ihrem Traummann begegnen.

Allerdings war sie weit davon entfernt, Torschlusspanik zu bekommen. Sicher, eines Tages wollte sie heiraten und Kinder haben. Wie die meisten ihrer Freundinnen auch. Aber sie hatte es damit nicht eilig.

Die Webdesignfirma, die Jennifer und sie gegründet hatten, lief gut. Als kleine Belohnung für ihre Erfolge hatten sie für den Juli einen New-York-Aufenthalt geplant. Sie hatten bereits Zimmer in einem Hotel am Times Square gebucht und Karten für mehrere Musicals und Theateraufführungen vorbestellt. Das würde ein Spaß werden!

Doch der Gedanke an den Brief und die versteckten Pläne ließ sie nicht los. Nein, sie würde sich irgendwie in das Gebäude einschleichen müssen. Vielleicht als Mitarbeiterin eines Reparaturdienstes? Sie konnte sich eine Uniform und einen Werkzeugkasten leihen und vorgeben, von der Telefongesellschaft oder den Elektrizitätswerken zu kommen.

Allerdings hatte sie in dieser Richtung kein Fachwissen. Die Gefahr war groß, dass sie schon nach den ersten Sätzen aufflog.

Oder sollte sie so tun, als käme sie vom Pizzaservice?

Sie sah, wie eine junge Frau die Stufen zum Haupteingang emporschritt. Plötzlich blieb sie stehen und strich sich nervös den Rock glatt. Innerlich schien sie sich einen Ruck zu geben und betrat dann das Gebäude. Sicher bewirbt sie sich für einen Job, dachte Darci.

Das war es! Das war die Idee!

Sie würde sich für einen Job bei Colborn Aerospace bewerben! Als Angestellte hätte sie sicher überall Zugang. Obendrein konnte sie die Kollegen ausfragen. So würde es ihr am ehesten gelingen, an die Entwürfe ihres Vaters zu kommen.

Der Plan war einfach brillant! Jetzt musste sie nur noch einen Job bei ihren Feinden an Land ziehen …

2. KAPITEL

Normalerweise besaß Darci viel zu viel Anstand, um uneingeladen auf einer Party aufzutauchen. Noch dazu auf einer, bei der sich die High Society von Chicago traf – und die von ihrem neuen Arbeitgeber Shane Colborn in seiner Familienvilla veranstaltet wurde! Aber ihr Vorhaben diente einem höheren Zweck. Sie war gewissermaßen in geheimer Mission unterwegs …

Extra für diesen Anlass hatte sie sich ein sündteures Abendkleid ausgeliehen und ein halbes Vermögen beim Friseur ausgegeben. Dafür sah sie jetzt allerdings auch wirklich großartig aus, fand sie. Niemand würde daran zweifeln, dass sie zu den Reichen und Schönen Chicagos gehörte.

Jetzt musste sie nur noch durch die Eingangstür kommen!

Wie bei derartigen feierlichen Anlässen üblich, überprüfte ein Butler am Eingang die Einladungen. Noch hatte Darci die Zufahrt zur Villa nicht betreten, sondern stand in der Nähe des Parkplatzes.

Plötzlich ging ein älteres Ehepaar an ihr vorbei. Die Frau trug ein taubenblaues Kleid mit einer auffälligen Diamantbrosche. Kurz entschlossen schloss Darci sich dem Paar an und ging neben den beiden her.

„Was für eine wunderhübsche Brosche“, sagte sie bewundernd.

Die Frau lächelte sie freundlich an. „Ja, nicht wahr? Freut mich, dass sie Ihnen gefällt. Sie ist von Cartier.“

„Man sieht gleich, was für ein edles Stück es ist“, lobte Darci. „Oh, Sie haben da eine kleine Falte. Darf ich sie Ihnen kurz wegstreichen?“

Inzwischen hatten sie den Eingang erreicht. „Dürfte ich bitte Ihre Einladungen sehen, meine Herrschaften?“, fragte der Butler formvollendet.

Das Herz schlug Darci bis zum Hals, als der ältere Herr dem Butler seine Einladung überreichte.

„Wie schön, dass Sie uns heute Abend die Ehre erweisen“, sagte der Butler höflich.

„Dann hinein ins Vergnügen“, kommentierte Darci. Selbstbewusst ging sie neben ihren neuen Freunden her und schenkte dem Butler ihr bezauberndstes Lächeln. Der jedoch war schon mit den nächsten Gästen beschäftigt.

Frechheit siegt, dachte Darci triumphierend. Aber das Herz schlug ihr immer noch bis zum Hals, als sie mit dem Ehepaar das riesige Foyer betrat.

„Ich wünsche Ihnen beiden noch einen schönen Abend“, sagte sie zu den Eheleuten.

„Wir Ihnen auch“, gab die ältere Dame zurück. „Vielleicht sieht man sich später noch.“

Unauffällig mischte sich Darci unter die anderen Gäste.

„Champagner, Madam?“, fragte ein Butler sie.

„Oh ja, gern, danke.“ Darci nahm ein Glas vom Tablett.

Eigentlich wollte sie keinen Alkohol trinken, aber mit einem Champagnerglas in der Hand wirkte sie noch mehr wie ein ganz normaler Gast.

Zu Beginn der Woche hatte sie ihren Job im Archiv von Colborn Aerospace angetreten. Es war mehr oder weniger eine Hilfstätigkeit, für die keine Erfahrung erforderlich war, und schlecht bezahlt noch dazu.

Aber für sie war es perfekt. Sie hatte Zugang zu sämtlichen Kellerräumen mit Bergen von alten Papieren. Allerdings hatte sie schon an ihrem zweiten Arbeitstag erfahren, dass die ältesten Akten in den Keller der Colborn-Familienvilla ausgelagert waren. Deshalb hatte sie sich, als sie von der Wohltätigkeitsveranstaltung in dem Gebäude gehört hatte, selbst „eingeladen“.

Sie nippte an ihrem Champagnerglas und blickte sich unauffällig um. Wenn der Abend etwas fortgeschritten war, würde sie hoffentlich die Gelegenheit haben, heimlich …

„Guten Abend.“ Ein Mann um die dreißig in einem eleganten Anzug trat auf sie zu.

„Guten Abend“, gab Darci zurück und lächelte ihn freundlich an.

Er reichte ihr die Hand. „Ich bin Lawrence Tucker von Tucker Transportation.“

„Angenehm. Mein Name ist Darci. Darci …“ Ich sollte lieber nicht meinen echten Nachnamen benutzen, schoss es ihr da durch den Kopf. „… Lake.“

„Schön, Sie kennenzulernen, Darci Lake. Sie gehören also auch zu den Unterstützern der Bergwacht?“

„Selbstverständlich. Ist doch eine wichtige Sache. Und Sie?“

Sein Händedruck war fest, sein Blick offen und ehrlich.

„Wenn es um einen guten Zweck geht, lässt Tucker Transportation sich nicht lumpen. Wir haben für die Wohltätigkeitsauktion einen Gutschein für den Transport von zwanzig Containern gespendet, an jedes gewünschte Ziel in Europa.“

„Ach, Sie machen Transporte nach Europa?“ Darci wollte sicherheitshalber nicht über sich selbst reden, deshalb heuchelte sie Interesse am internationalen Transportwesen.

„Wir transportieren Güter jeder Art in die ganze Welt. Europa, Afrika, Asien …“

„Dann ist das eine ziemlich große Firma?“

„Jetzt erzählen Sie mir nicht, dass Sie noch nie von Tucker Transportation gehört haben.“

„Doch, natürlich ist mir der Firmenname ein Begriff“, schwindelte sie. „Aber ich weiß nichts Näheres.“

„Wir sind der drittgrößte Spediteur des Landes.“

„Wirklich beeindruckend.“ Sie nahm einen kleinen Schluck Champagner.

„Ah, da bist du ja, Tuck.“ Eine hochgewachsene, überaus attraktive Blondine hakte sich besitzergreifend bei Lawrence Tucker ein.

„Hallo, Petra!“ Er gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

„Ich hoffe, du hast nicht vergessen, dass wir nachher noch gemeinsam die Weinkellertour machen wollten.“

„Wie könnte ich das vergessen, Petra?“ Die Frau warf Darci einen prüfenden Blick zu.

„Das ist Darci Lake“, stellte Tuck vor.

„Schön, Sie kennenzulernen“, sagte Petra. Dabei blieb sie eng an Tuck geschmiegt.

Sie war wesentlich größer als Darci und trug obendrein noch hochhackige Schuhe. Darci schätzte sie auf Ende zwanzig. Sie war perfekt gestylt, und ihr Abendkleid wirkte um einiges teurer als das von Darci. Obendrein hatte sie es sicherlich gekauft und nicht nur geliehen.

„Vielen Dank für das nette Gespräch“, sagte Darci zu Tuck und machte Anzeichen, sich zu entfernen. Auf keinen Fall wollte sie sich zwischen ihn und diese Petra drängen. „Vielleicht sieht man sich später noch.“

Der Abend war zwar noch nicht sehr weit fortgeschritten, aber alle Gäste schienen sich bereits prächtig zu amüsieren. Niemand achtete auf Darci. Daher beschloss sie, ihre Erkundungstour zu beginnen. Schließlich war sie nicht zum Vergnügen hier!

Schnell fand sie die Treppe, die ins Kellergeschoss führte, wo sie in irgendeinem der zahlreichen Räume die alten Unterlagen vermutete. Hier im Kellergang war vom Luxus des Erdgeschosses nicht viel zu sehen. Die Wände waren weiß getüncht, an der Decke flackerten Neonlampen.

Schließlich kam sie zu einer breiten Tür, die wie der Eingang zu einem größeren Lagerraum wirkte. Natürlich war sie verschlossen – leider. Trotzdem drehte Darci noch mehrfach den Türknauf, in der Hoffnung, das alte Konstrukt könnte nachgeben.

„Kann ich Ihnen helfen?“, ertönte da plötzlich eine barsche Stimme hinter ihr.

Darci zuckte zusammen. Das Gesicht des Neuankömmlings lag im Schatten, aber es bestand kein Zweifel, dass es sich um den Hausherrn handeln musste. „Oh, Mr. Colborn.“

Er trat näher auf sie zu und musterte sie misstrauisch. „Haben Sie sich vielleicht verlaufen?“

Ihr Gehirn lief auf Hochtouren. „Ich, äh, hatte etwas von einer Führung durch den Weinkeller gehört …“

„Ach, tatsächlich?“, fragte er skeptisch.

„Ja, Petra hat so etwas erwähnt. Petra und Tuck. Ich habe vorhin ein Gläschen Sekt mit ihnen getrunken, und …“

„Sie kennen Tuck?“

Darci nickte energisch. Ja, natürlich kannte sie Tuck! Zwar erst seit ein paar Minuten, aber das brauchte sie Shane Colborn ja nicht auf die Nase zu binden.

Diese Auskunft schien Shane zu beruhigen. „Mir ist er heute Abend noch gar nicht über den Weg gelaufen.“

„Dafür hat Petra ihn sofort ausfindig gemacht. Sie scheint mir ein bisschen besitzergreifend zu sein, was ihn angeht.“

Shane lachte auf. „Das haben Sie sehr gut erkannt. Sie ist in ihn verknallt, seit wir alle noch Teenager waren.“

Er reichte Darci die Hand. „Ich bin Shane Colborn, der Gastgeber dieser Wohltätigkeitsveranstaltung. Aber das scheinen Sie ja schon zu wissen.“

„Natürlich, wer kennt Sie nicht? Und ich bin Darci Lake. Ihre Villa ist wirklich beeindruckend.“

„Wobei der Keller Sie ja besonders zu faszinieren scheint.“

Darci lachte nervös. „Wie gesagt, ich dachte, der Weinkeller …“

„Ach ja, richtig. Die offizielle Führung findet erst später statt, und ich kann Ihnen versichern, es gibt ein paar wirklich edle Tropfen zu kosten. Aber wenn Sie möchten, gebe ich Ihnen schon einen kleinen Vorgeschmack.“

„Es wäre mir eine Ehre.“ Sie hakte sich bei ihm ein. Sein Arm war kräftig und muskulös.

„Mögen Sie europäische oder amerikanische Weine lieber?“

„Äh, eigentlich amerikanische, glaube ich.“ Sie trank zwar gern mal ein Gläschen, hatte aber im Grunde keine Ahnung und konnte gerade mal Rot- von Weißwein unterscheiden.

„Also sind Sie kein Snob.“

„Weder Snob noch Experte.“

Er lachte. „Finde ich gut so. Ihre Ehrlichkeit ist erfrischend. Ich kenne mich ganz gut aus, aber glauben Sie mir, selbst die größten Experten haben sich schon von einem Billigwein hinters Licht führen lassen.“

Verstohlen musterte sie ihn, während sie sich durch die Gänge bewegten. Er sah erstaunlich gut aus, besser noch als auf den Fotos, die sie von ihm kannte. Einige Klatschblätter nannten ihn den begehrenswertesten Junggesellen von ganz Chicago. Mit Sicherheit träumten unzählige Frauen davon, in seinen starken Armen zu liegen!

Doch Darci wusste, sie durfte ihr Ziel nicht aus den Augen verlieren. „Der Keller ist so groß, was lagern Sie denn hier so alles?“, fragte sie so unverfänglich wie möglich.

„Mich interessiert hier eigentlich nur der Weinkeller. Der ganze Rest ist mir herzlich egal.“

„Das kaufe ich Ihnen nicht ab.“ Um nicht sein Misstrauen zu wecken, schlug sie einen scherzhaften Ton an. „Sie als Besitzer dieses Hauses müssen doch wissen, was …“

„Ich habe das Ganze ja nur geerbt“, unterbrach er sie. „Das meiste, was hier gelagert ist, stammt von meinen Eltern. Kistenweise Zeug. Wahrscheinlich alte Gemälde, Geschirr und so weiter.“ Er lächelte sie an. „Aber hier sind nirgends Leichen versteckt, wenn Sie das meinen.“

„Man weiß ja nie“, erwiderte sie und zwang sich zu einem Lächeln. Vielleicht hatte er doch eine Leiche im Keller – wenn auch nur im übertragenen Sinne! „Auf jeden Fall sind wir hier unten ganz allein. Ich hoffe, man kann Ihnen trauen, Mr. Colborn.“

„Mir? Auf keinen Fall!“, erwiderte er lachend. „So, hier ist übrigens der sagenumwobene Weinkeller.“

Er zog einen großen alten Schlüssel aus der Tasche und öffnete die schwere Holztür. „Der Weinkeller wird immer verschlossen gehalten“, erklärte er. „Das Personal des Anwesens wechselt manchmal, und man weiß ja nie, wem man trauen kann. Etliche Flaschen hier unten sind nämlich ein kleines Vermögen wert. Oder sogar ein großes. Weine waren nun mal ein Hobby meines Vaters …“

Der riesige Raum war kühl; an der linken und der rechten Wand befanden sich Weinregale, so weit man schauen konnte. In der Mitte des vorderen Bereichs stand ein großer Tisch mit mindestens zwanzig Weingläsern, darum herum waren Stühle platziert.

„Das ist wirklich beeindruckend“, sagte Darci bewundernd.

„Freut mich, dass es Ihnen gefällt. Die Tradition in diesem Gemäuer erweckt sogar in mir manchmal noch Ehrfurcht. Aber jetzt zu unserer privaten Weinprobe. Ich würde folgende Reihenfolge vorschlagen: Pinot noir, Merlot, Cabernet Sauvignon, Shiraz.“

„Vier Weine? Wollen Sie mich betrunken machen?“

„Gnädigste, es handelt sich um eine Weinprobe“, belehrte er sie lächelnd. „Mit Betonung auf Probe. Wir probieren, wir leeren doch nicht die ganze Flasche.“

Verlegen blickte sie zur Seite. „Natürlich. Wie dumm von mir.“

„Kein Problem. Wie gesagt, ich finde Ihre Ehrlichkeit erfrischend.“

„Vielleicht sollten wir mit der Weinprobe doch warten, bis die anderen dazustoßen …?“

„Ich finde es hier allein mit Ihnen eigentlich ganz gemütlich“, erwiderte er.

„Ich … ich auch“, gab sie zu.

Oje, das konnte gefährlich werden!

Verstohlen musterte sie ihn, während er die Flaschen aus den Regalen zusammensuchte. Sie hatte irgendwo gelesen, dass er fast einen Meter neunzig groß war, und er besaß eine absolut durchtrainierte Figur. Seinen Designeranzug trug er mit Würde, aber auch einer gewissen Lässigkeit.

Eigentlich sollte sie sich davon nicht beeindrucken lassen, sie hatte schließlich andere Ziele. Aber es ließ sich nun mal nicht leugnen: Shane Colborn war verdammt sexy! Kein Wunder, dass es so vielen Frauen schwerfiel, ihm zu widerstehen …

Verstohlen blickte Shane auf die Uhr. Es war fast zehn Uhr abends, und er hätte sich schon längst wieder um seine anderen Gäste kümmern müssen. Trotzdem saß er immer noch mit Darci im Weinkeller und verkostete mittlerweile das vierte exquisite Tröpfchen. Bei jeder seiner Wohltätigkeitsveranstaltungen lernte er neue Menschen kennen, aber noch keine Frau hatte ihn so fasziniert wie diese Darci Lake. Sie war so ehrlich, so ungekünstelt, kein bisschen eingebildet!

Und sie sah verflixt gut aus. Schlank, geschätzt knapp einen Meter siebzig groß, mit vollen, aber nicht zu großen Brüsten. Kastanienbraunes Haar umrahmte ihr Gesicht. Ihre Lippen waren voll und sinnlich. Er konnte kaum den Blick von ihr lassen.

„Ich finde, dieser Wein ist der beste“, sagte sie. „War das der Cabernet Sauvignon? Ich komme schon ganz durcheinander.“ Hatte sie bereits einen kleinen Schwips?

„Ja, das war der Cabernet“, bestätigte er. „Glückwunsch, Sie haben genau denselben Geschmack wie ich.“

Insgeheim war er froh, dass er Justins Rat befolgt und kein Date mit zur Veranstaltung gebracht hatte. Wenn er seine Karten richtig ausspielte, würde er bei seiner neuen Bekanntschaft vielleicht heute noch zum Zuge kommen. Sie gefiel ihm wirklich sehr …

Er wusste, beim Tanzen kam man sich am besten näher. Also sagte er kurz entschlossen: „Lassen Sie uns hochgehen.“

„Hoch?“, fragte sie verwirrt.

„Ja, nach oben, zu den anderen. Sicher wird oben schon getanzt. Sie würden doch mit mir tanzen?“

„Mit Ihnen …?“

„Ja, natürlich mit mir. Warum denn nicht?“

Sie suchte nach Worten. „Aber Sie haben doch noch so viele andere Gäste, um die Sie sich kümmern müssen. Und was ist überhaupt mit der öffentlichen Führung durch den Weinkeller und der Weinprobe?“

Er ergriff ihre Hand. „Ach, um die Weingeschichte kann sich auch meine Cousine Maddie kümmern. Ich habe fürs Erste genug Promille im Blut.“

Sie verließen den Weinkeller. „Wollen Sie gar nicht abschließen?“, fragte Darci.

„Nicht nötig. Mein Sommelier kommt sowieso in ein paar Minuten.“

„Sie haben einen eigenen Sommelier?“

„Jeder sollte seinen eigenen Sommelier haben.“

Sie musterte ihn skeptisch, und ihm wurde bewusst, dass er wie ein Snob geklungen hatte.

„Tut mir leid“, murmelte er und blickte betreten zu Boden.

„Es gibt nichts, was Ihnen leidtun müsste.“

„Doch, das hat jetzt ungeheuer eingebildet geklungen. Aber ich versichere Ihnen, ich bin kein verzogenes Luxussöhnchen. Ich habe eigentlich einen ganz normalen Lebensstil.“

Urplötzlich wirkte sie distanziert. „Ihre Familie ist schwerreich, so ist das nun mal.“

„Ja, aber ich behandle niemandem herablassend und bin normalerweise auch kein Angeber.“

„Sie sind mir keine Erklärung schuldig.“

„Ich habe Sie verärgert, das spüre ich.“

Sie wich seinem Blick aus. „Schon okay.“

Doch etwas war anders, dafür hatte er eine feine Antenne.

„Ich hoffe, Sie schenken mir trotzdem einen Tanz?“

Sie presste die Lippen aufeinander.

„Sie tanzen doch mit mir? Bitte!“

Plötzlich hallten von ferne Stimmen durch die Kellerräume. Der Sommelier mit seinen Gehilfen kam.

„Na schön“, sagte sie zu Shane. „Einen Tanz.“

„Guten Abend, Mr. Colborn“, begrüßte ihn der Sommelier Julien Duval.

„Guten Abend, Julien. Im Weinkeller ist noch etwas aufzuräumen.“

„Wird sofort erledigt, Sir. Leisten Sie uns gleich Gesellschaft …?“

„Diesmal nicht. Bitte fragen Sie Madeline, ob sie mich vertritt.“

„Selbstverständlich, Sir.“

„Danke, Julien.“

Als sie die Treppe nach oben nahmen, legte Shane vorsichtig den Arm um Darcis Hüfte. Sie ließ es sich gefallen.

Im Erdgeschoss spielte bereits die Musik, und viele Gäste tanzten. Immer wieder musste Shane bekannte Gesichter mit einem Nicken grüßen, doch er ließ sich nicht davon abhalten, Darci auf die Tanzfläche zu führen. Kaum hatten sie begonnen, sich im Takt der Musik zu bewegen, war der Song zu Ende.

„Dieser Tanz zählt nicht“, flüsterte er ihr ins Ohr.

„Ach, legen Sie die Regeln fest?“, neckte sie ihn.

„Mein Haus, meine Regeln“, erwiderte er lächelnd und sah ihr tief in die Augen.

Der nächste Tanz war ein langsamer Walzer. Darci konnte sich nichts vormachen, sie genoss Shanes Nähe.

„Sie haben also das Sagen bei Colborn Aerospace?“, fragte sie.

„Das könnte man so ausdrücken, ja.“

„Und, wie sind Sie so zu Ihren Angestellten? Sind Sie ein guter Boss?“

Er musste lächeln. „Wahrscheinlich würde jeder schlechte Chef von sich behaupten, ein guter Boss zu sein. Also müssten Sie wohl eher meine Angestellten fragen.“

Sie blickte sich auf der Tanzfläche um. „Sind denn welche von Ihren Angestellten hier?“

„Nur ein paar Herren aus der Führungsetage. Soll ich sie Ihnen vorstellen?“

„Nein“, sagte sie schnell.

„Sie möchten sie nicht über mich ausfragen?“

„Nicht nötig, ich bilde mir mein Urteil lieber selbst.“

Er konnte nur hoffen, dass es positiv ausfiel. Denn er begehrte diese Frau, er begehrte sie wirklich. Und auch er ließ sie offensichtlich nicht kalt. Beide bewegten sich in perfekter Harmonie, und sie schien seine Berührungen zu genießen.

Er beschloss, etwas mutiger zu werden. Ganz sanft berührten seine Lippen ihre Schläfe. Zärtlich flüsterte er ihr ins Ohr: „Ich möchte, dass Sie heute bei mir bleiben.“

Schockiert fuhr sie zurück. Entsetzen lag in ihrem Blick.

Am liebsten hätte Shane sich für seine Dummheit selbst geohrfeigt.

3. KAPITEL

Shanes Worte hatten Darci aus ihrer verzückten Trance gerissen.

War sie denn verrückt geworden? Sie hatte sich beim Tanzen so eng an ihn geschmiegt – da war es doch kein Wunder, dass er auf falsche Gedanken gekommen war!

Verlegen blickte er zu Boden. „Bitte entschuldigen Sie. Das hat jetzt anders geklungen, als es gemeint war.“

Oh, sie war sich ziemlich sicher, dass es genau so gemeint war, wie es geklungen hatte! Doch sie gab sich zumindest eine Mitschuld daran.

„Ich hatte gemeint, dass sie für den Rest der Party mit mir zusammen bleiben“, sagte er ernsthaft. „Dass Sie nicht schon vor Ende der Party gehen.“

Sie trat einen Schritt zurück. Du bist hier, um Shane Colborn auszuspionieren, sagte sie sich. Nicht, um mit ihm anzubändeln!

Obwohl es sicher auch seinen Reiz hätte, etwas mit ihm anzufangen …

Sie riss sich zusammen. Das war nur der Wein, der da aus ihr sprach!

Shane trat einen Schritt auf sie zu. „Bitte lassen Sie uns weitertanzen.“

„Ich wollte Ihnen keinen falschen Eindruck von mir vermitteln“, bekannte sie mit einer Spur von Schuldbewusstsein in der Stimme.

Er ergriff ihre Hand. „Unsinn. Das haben Sie auch nicht.“

„Ich meine, wir haben uns ja gerade erst kennengelernt. Und ich bin keine Frau, die … Sie verstehen schon …“

Er legte den Arm um sie, und sie ließ es geschehen.

„Das Ganze ist meine Schuld“, murmelte er.

Darci fand, dass es an der Zeit war, den Tanz zu beenden. „Danke, dass Sie mir Ihren Weinkeller gezeigt haben. Es war wirklich nett von Ihnen, sich so viel Zeit für mich zu nehmen.“

„Aber Sie sind mir nicht so dankbar, dass …?“

Dieser unerwartete Scherz löste die Spannung zwischen den beiden.

„So dankbar bin ich nie“, sagte sie.

„Freut mich zu hören.“

„Das glaube ich kaum.“

„Sagen wir so: Es freut mich, dass Sie sich anderen Männern gegenüber nicht so schnell dankbar erweisen.“

„Das scheint Sie ja sehr zu beschäftigen.“

„Tut es auch.“

„Ich darf Sie daran erinnern, dass wir uns erst vor zwei Stunden kennengelernt haben?“

Er schwieg einen Moment, während sie um ein anderes Paar herumtanzten. „Kommt mir länger vor.“

„Das heißt, ich langweile Sie?“

„Ganz im Gegenteil. Sie faszinieren mich.“

„Sind Sie immer so?“ Fragend sah Darci ihn an.

„Wie denn?“ Shane lächelte.

„So offen und freundlich gegenüber Menschen, die Sie gerade erst kennengelernt haben.“

„Sind Sie es?“

Diese Gegenfrage überraschte sie. Wenn sie darüber nachdachte, musste sie sich über sich selbst wundern, wie offen sie mit dem für sie fremden Mann umging.

„Nein, normalerweise bin ich nicht so“, gab sie zurück. „Deswegen dachte ich, es liegt an Ihnen.“