„Die Malerei ist der Spiegel des Universums.“ [1]
„Eine Form um hundertachtzig Grad drehen ergibt eine Spiegelung. Es lassen sich dabei entweder eine oder mehrere Symmetrieachsen ausfindig machen, um die herum sich die „Figur“ spiegelt, zunächst in zwei- sodann auch in dreidimensionaler Hinsicht“.[2]
„Bei der Auswahl der vorzüglichsten Teile für seine Malerei soll der Maler verfahren wie der Spiegel, der sich in so viele Farben verwandelt, als man vor ihm hinstellt. Und wenn er es so tut, wird er sein, wie eine zweite Natur. Ein Spiegelbild wird stets der Farbe des spiegelnden Körpers teihaftig“.[3]
(Roger Bacon): „ ... für Leonardo war spätestens 1492 klar, dass das menschliche Auge lediglich über eine rezeptive Sehkraft verfügt, das heißt, die aktiven Lichtstrahlen gehen vom Objekt aus bzw. die von der Sonne oder einer anderen Lichtquelle aufgenommenen Lichtstrahlen werden vom Objekt reflektiert und an das Auge weiter abgestrahlt. Über die Art und Weise der Abstrahlung hatte Leonardo gleichzeitig eine klare Vorstellung gewonnen“.
(Jean Paul Richter, John Pecham): „Jeder Schattenkörper erfüllt die ihn umgebende Luft mit zahllosen Bildern von sich; diese Bilder, von zahllosen Pyramiden in die Luft geprägt, stellen den Körper ganz im ganzen Raum und ganz an jeder einzelnen Stelle dar.
Jede Pyramide, die sich aus einem langen Zusammenlaufen von Strahlen zusammensetzt, enthält in sich unendlich viele Pyramiden, und jede hat die Kraft wie alle zusammen, und alle zusammen wie jede einzelne.
Die zu einem Kreis zusammenlaufenden Pyramidenstrahlen mit derselben Entfernung von ihrem Gegenstand bilden gleichwinkelige Pyramidenspitzen, und in der gleichen Größe wird der Gegenstand von seinem Gegenüber (dem Auge) empfangen. Der Luftraum ist erfüllt von zahllosen Pyramiden, die aus leuchtenden Geraden zusammengesetzt sind. Verursacht werden sie von den Rändern der Oberflächen der Schattenkörper, die sich in der Luft befinden, und je weiter sich die Pyramiden vom Gegenstand ihres Ursprungs entfernen, desto spitzer werden sie: obwohl sie sich in ihrem Verlauf schneiden und durchkreuzen, vermischen sie sich doch nicht miteinander, sondern erstrecken sich und verteilen sich in die ganze Luft ringsum auslaufend, und jede von ihnen hat dieselbe Kraft, und alle zusammen vermögen soviel wie jede einzelne und jede einzelne soviel wie alle zusammen. Durch sie wird das Bild des Körpers in seiner Gänze überallhin und in seiner Gänze an jede einzelne Stelle gebracht, und jede Pyramide enthält in sich in jedem kleinsten Teil eine ganze Form des Gegenstandes ihres Ursprungs.
Leonardo‘s Grundanschaung war die, dass die Spitze einer solchen Sehpyramide mit einem bestimmten Punkt im menschlichen Auge zusammentrifft, von dem aus der Sehnerv die dort ankommenden Sinnesdaten aufnehmen und ins Gehirn weiterleiten kann.“ [4]
Der Punkt ist seine Malerei. Man versteht sie, wenn man sie als „Lösung“ betrachtet. Für ihn als Maler sind seine Bilder Mysterien, welche die „Lösungen“ enthalten.
Von hier aus ist es nun ein kleiner Schritt, den Spiegel als die eigentliche „visionäre Traumfläche“ seiner traumwandlerischen Werke zu sehen, und aus der Erkenntnis des pyramidalen Aufbaus der Sehfläche (als Schnittfläche), bestimmt diese Strukturierung die Gemälde Leonardos.
Aus dieser Entdeckung heraus zeichnet Leonardo dann, die gotische Formgebung benutzend, diese in seinen Gemälden ein. Ein Kreis aussen, ein Kreis innerhalb der Pyramidenfläche, usw...
Diesen Pyramidenquerschnitt teilt er dann mittig in jeweils 4 Dreiecke ein und beginnt damit in die entstandenen Formen (Punkt, Kreis, Viereck, Dreieck) seine Figuren einzufügen.
Diese, für das Auge schon sphärischen Verhältnisse, das ja nach dem Prinzip der Ergänzung verfährt, werden dann am Schluss noch farblich „beseelt“ und dem Werk wird „Leben eingehaucht“.
Der Phantasie des Betrachters sind dann in Variationsvielfalt keine Grenzen mehr gesetzt, da alle möglichen mathematisch-metaphysischen Berechnungen beachtet sind.
Auch die Vorliebe Leonardo‘s für Symbolik und Sinnbilder, in Doppel- und Mehrdeutigkeit ist dann im Raumvolumen mit eingerechnet.
„Der Maler muss einsam sein, besonders, wenn er das, was ihn umgibt, genau betrachten will. Er muss mit sich selbst reden und sich zu seinem Studium das Schönste und Größte auswählen, was er finden kann. Wobei er verfährt wie der Spiegel, der die Farben all der Dinge annimmt, die vor ihm stehen. Und wenn er so verfährt, geht er vor wie die Natur“.
„Der Geist des Malers hat dem Spiegel zu gleichen, der sich stets in die Farbe des Gegenstandes wandelt, den er zu seinem Gegenüber hat, und sich mit soviel Abbildern erfüllt als ihm Dinge gegenüberstehen ...“ (LdV)
„Du sollst bei deinem Malen einen flachen Spiegel zur Hand haben und dein Werk des öfteren darin betrachten...“ „Den Daseinsgrund der Malerei findet er in dem Umstande, dass eine ebene Fläche (das Spiegelbild der Natur in unserem Auge) auf einer ihr gegenüberstehenden ebenen Fläche (dem Malgrunde) ihr vollständiges Ebenbild erhält.“ [5]
„Die Malerei ist die erste der Wissenschaften, die alle augenscheinlichen Werke des höchsten Gottes wiederholt.“
In der Darstellung des Menschen und seiner Seele ist die Malerei des Lionardo da Vinci auch nach 500 Jahren seltsamerweise noch nicht veraltet. So lebt die Universalität des Virtuosen im Nachklang der Jahrhunderte bis in die heutige Zeit weiter.
Da ich in der Malweise von Lionardo da Vinci eine eindeutige Spiegelverkehrtheit festgestellt habe, zeige ich hier nur:
„GESPIEGELTE ANSICHTEN“
Die Originalansichten seiner Werke, als die Interpreten seines Lebens, als Lebensdaten seiner Persönlichkeit und der Stufenleiter seiner Empfindungen sind ja schon zur Genüge im Umlauf. Deshalb hier:
„DER WAHRE LEONARDO DA VINCI“
1 Das Abendmahl Leonardo da Vincis Eine systematische Bildmonographie, Georg Eichholz, Scaneg Verlag München, 1998, Seite 122
2 Das Abendmahl Leonardo da Vincis Eine systematische Bildmonographie, Georg Eichholz, Scaneg Verlag Mü., 1998, Seite 190
3 Leonardo Abendmahl, Ludwig H.Heydenreich, Reclam-Verlag GmbH Stuttgart, 1958, Seite 23
4 Das Abendmahl Leonardo da Vincis Eine systematische Bildmonographie, Georg Eichholz, Scaneg Verlag München, 1998, S.169/170
5 Leonardo da Vinci, der Wendepunkt der Ranaissance von Woldemar von Seidlitz, Im Verlag Julius Bard Berlin, Erster und Zweiter Band, 1909, Seite 324, Seite 318)
Die zukünftige Gräfin Bergamini ist die Lieblingsmätresse des Herzogs von Mailand, Lodovico Sforza (auch: il Moro = „der Mohr“, oder „der Dunkle“, wegen seiner Hautfarbe genannt) .
Cecilia Gallerani ( 1473-1536), aus einer vornehmen Mailänder Familie stammend, ist vortrefflich erzogen, kultiviert, sowie eine höchst gelehrte und gebildete lombardische Adelige.
Sie spricht fliessend Lateinisch, schreibt Poesie, spielt Laute und diskutiert mit den Gelehrten in Mailand über Philosopie. Von Bandello wird Cecilia in einer seiner Novellen als die „Neue Sappho“ gefeiert.
Sie ist schön wie eine Blume und geistreich und gebärt dem Regenten einen Sohn, Cesare (geb. 01.1491), noch vor dessen Hochzeit mit Beatrice d‘Este im Mai 1491.
Auf das eifersüchtige Drängen von Beatrice (der neuen Mailänder Fürstin) hin, die sich Ludovico verweigert, verlässt die brünette Konkubine ostentativ 1491 ihre Privatgemächer im Palazzo Carmagnola. Sie erhält großzügig eine Herrschaft in Saranno, nördlich von Mailand. Die Zuneigung Ludovico‘s bleibt ihr erhalten, als Mutter seines Sohnes Cesare Sforza Visconti.
„Am oberen Ende des Veltlins sind die schrecklichen, immer mit Schnee bedeckten Bormioberge. Hier leben Hermeline.“ (LDV)
Das Hermelin ist eine Raubtierart aus der Familie der Marder. Es ist vor allem wegen seines im Winter weißen Felles bekannt. In einer bretonischen Legende wird überliefert, dass ein Hermelin lieber sterben wolle, als sein weißes Winterfell im Schlamm schmutzig zu machen.
Eine ähnlich lautende Legende bildet den Hintergrund für den Wahlspruch des napolitanischen Hermelinordens:
„malo mori quem foedari“
„lieber sterben, als besudelt werden“.
Abb.1
Abb.2
Hermelinmantel und Hermelinmütze wurden so zu einem Insignium der Macht der hohen weltlichen und kirchlichen Würdenträger.
Das weiße Pelzwerk des Hermelins wurde in weiten Teilen des mittelalterlichen Europa‘s das Symbol von „moralischer“ Reinheit, Unschuld und Sauberkeit.
Für Leonardo ist das Hermelin auch der Inbegriff der Mäßigung, da es nur eimal am Tag zu speisen pflegt.
Das griechische Wort „galee“, welches jede Art der Mardergattung, also auch das Hermelin bezeichnet, steht somit in direkter Affinität, als sprechendes Symbol zu Cecilia‘s Familiennamen „Galle“-rani.
Im Mittelalter wurde auch oft anstelle einer Katze und zum Mäusefangen, als Haustier ein Hermelin gehalten.
Der Herzog Ludovico Sforza (von sforzare = (be-zwingen) ist Mitglied des 1464 in Neapel gegründeten Hermelinordens und der König von Neapel, Ferrante di Aragona, verleiht Ludovico 1488 den Titel eines Peers (=ermellino).
In einer Allegorie schreibt Leonardo auch:
„das Hermelin stirbt lieber, als dass es sein Fell beschmutzt.“
Abb.3
Der Hofdichter Bernardo Bellincioni (1452 - 1492) beschreibt das Porträt ungewöhnlicher Anmut in einem 1473 entstandenen Sonett:
„Was ist es, das dich zürnen macht, Natur ?
Wem bringst Du Neid entgegen ?
Dem Mann aus Vinci, der einen Stern aus deinem Himmel malte;
Cecilia ist der Stern, der schöne, und neben ihren schönen Augen scheint die Sonne nur als ein dunkler Schatten.
Die Ehr‘ ist dein und doch sein Malen macht, dass sie wohl zuhört und nicht spricht. Denk nur, wie schön und ewig sie wird sein, zu deiner Freude bis in alle Zukunft.
Deswegen sollst du Ludovico danken und dem Geist und der Hand des Malers Leonardo, der ihren Enkeln dies Geschenk gemacht.
Wer sie so sieht, auch wenn sie nicht mehr lebt, wird sagen: Dies reicht uns zu verstehen, was Kunst ist und was Natur“. [6]
„Wenn der Dichter sagt, er entflamme die Menschen zur Liebe, dem Haupttriebe aller Geschöpfe, so hat der Maler die Macht gleiches zu tun und zwar um so mehr, als er die Züge der Geliebten dem Liebenden lebendig vor Augen führen kann. Der das Bild dann küsst und mit ihm spricht, was ihm aber unmöglich wäre, wenn ihm der Dichter die Schöne auf seine Art vorgeführt hätte“, kontert LdV.
In seiner schier unglaublichen Gabe ist Leonardo zu seiner Zeit der beste Improvisator im Reimen am Mailänder Hof.
In besonderer Weise hebt Bellincioni Leonardo da Vinci‘s Talent dadurch hervor, dass er „mit seinem Pinsel und seinen Farben der Moderne ‚ Angst einflössen‘ würde“. („Del Vinci e suoi pennelli e suoi colori I moderni e gli antichi hanno paura.“)
Abb. 4
Die Gräfin Ceicilia schreibt in einem Brief (vom 29.April 1498) an die Duchessa Isabella d‘Este über Leonardo:
„ ... wahrhaftig ein Meister, der wirklich nicht seinesgleichen hat ..“.
Noch nach vielen Jahren auf einem Blatt des Codex Atlantikus um 1510 umschwärmt LdV noch „seine“ Cecilia in einer leidenschaftlichen Dankeszeile mit „Amantissima mia diva“:
“Wunderbarste Cecilia, meine innigst geliebte Göttin, Deinen süssen (suavissima) Brief gelesen“.[7]
Diesen Satz wird Leonardo später einmal niederschreiben:
“Amor omni cosa vince - die Liebe besiegt alles.“[8]
Die makellose Cecilia hat den Ruf, zartgliedrig wie eine Blume, von unbeschreiblicher Schönheit zu sein. Gesichert war die Karriere am Hof des Moro, wenn man sich in der Gunst der distinguierten Gallerani befand.
Der Herrscher verfügt ja uneingeschränkt über Leib und Seele seiner Geliebten, der Maler darf lediglich die Seele und die Schönheit als ihren besten Schmuck darstellen. Naturgetreue und aufmerksam gerichtete Gefühls- und Gemütsgestaltung der Zuneigung beinhalten den Moment der Spontanität im Bildausdruck.
Grundlegend ist die Veränderung des Porträts in seiner tradionellen Profildarstellung, in der Kopf und Oberkörper in die gleiche Richtung weisen, in Wandlung zur Moderne.
Cecilia ist stehend, mit abfallenden Schultern, fast in halber Figur dargestellt. Der Oberkörper ist etwas nach links gewendet, der Kopf in rascher Bewegung spiralförmig nach rechts gedreht, wohin sich auch der klare, warme Blick richtet. Angespannte Wachsamkeit und erwartungsvolle Mimik bestimmen sowohl das schlangenhafte Raubtier, wie Mensch, in einem energischen Blick siegreichen Frauentums, der sich seelenerregend nach außerhalb des Bildes orientiert.
Grandios diese gefühlvollen, zartgliedrigen, durchgeistigten Fingerspitzen, die das überstarke Muskelspiel sowie die heraldische Würde ihres „Hermelins“ auf sanfteste Art und Weise dirigieren und beherrschen.
Die kastanienbraune, glattanliegende Haartracht wird durch ein schickes, kokettes Stirnband mit weichem Schleiernetz (das ursprünglich durchsichtige Haarnetz ist in braunem Ton übermalt worden) gehalten. Um den angespannten Hals hängt eine glänzende, kugelige Perlenschnur aus dunklem Serpentinit. Das tiefe Dekollte in dunklen Samt gehüllt bringt ihre weiße Haut noch besser zur Geltung.
Die durchsichtige Haube, die unter dem Kinn zusammengebunden ist, lässt das rehäugige Gesicht mit den kaum merklich geöffneten, feinlinigen Lippen noch lieblicher und holdseliger in Erscheinung treten.
Der kuschelige Hermelin in bewundernswertem, glatten Winterfell, dessen rechte Pfote etwas angehoben ist, den die kraulende Cecilia in ihren Armen trägt und den es mit ihrer schlanken Hand leicht mit einem Gefühl von Liebe an ihre Brust drückt, dient zugleich als Blickfang um eine ausgewogenere Komposition zu erreichen.
Er ist von Leonardo etwas größer und voluminöser dargestellt, als es der Hermelin in freier Natur wäre.
Der Ärmel mit roter „Mütze“ und orangenem Saum, könnte eine Mitra sein, und darunter ein Gesicht, das durch die schwarze Nachornamentierung verdeckt ist.
Eine über Neapel nach Mailand eingeführte Tracht sind diese am Kleide besonders angehefteten Ärmel und der ärmellose, leichte Mantel, der nur über die Schulter hängend getragen wird.
Sehr schön erkennbar ein pyramidaler Aufbau, mit dem „leonardesken Augenausschnitt“ mit seiner in sich ruhenden Dynamik. Das Licht passt in gespiegeltem Zustand genau zu den tiefschwarzen Pupillen, die in zielsicherer Erwartung, im Dreiviertelprofil und undeutbarem Lächeln, wohl ihrem soeben eingetroffenen, heißgeliebten Ludovico entgegenfunkeln.
Eine Überarbeitung und spätere Einarbeitung der funktionslosen, schwarzen Borten an Schulter und Ärmel sind anzunehmen, sowie die schwarzen Parallelstriche am Blusensaum.
Die rechte Hand wurde mit Schatten zwischen den Fingern nachgedunkelt und die Kleiderpartie unterhalb des zahmen Hermelins, sowie die rechte Schulter wurden auch nachträglich retuschiert.
Der Hintergrund ist in späterer Zeit nachgeschwärzt, so dass dieser nicht dem originalen Hintergrund (blau-grau?) mehr entspricht, die Haare wurden grob übermalt.
Regel für junge Maler:
„Wir alle wissen, dass das Sehen einer der schnellsten Vorgänge ist, da es in einem Augenblick zahllose Eindrücke wahrnimmt, trotzdem erfasst es immer nur einen Eindruck auf einmal.
Wenn Du etwa dieses beschriebene Blatt mit einem Blick überschaust, so wirst Du wohl sofort feststellen, dass es mit Buchstaben bedeckt ist, aber Du kannst nicht sogleich die Buchstaben und ihre Bedeutung erkennen und musst Wort für Wort, Zeile um Zeile lesen, um diese Buchstaben wirklich wahrzunehmen.“ (LdV)
Abb. 5
6 Leonardo Das Werk des Malers, Pietro C. Marani, Verlag Schirmer/Mosel, 2001, Seite 169
7 Leonardo Das Werk des Malers, Pietro C. Marani, Verlag Schirmer/Mosel, 2001, Seite 173
8 Leonardo da Vinci, Maler-Erfinder-Philosoph, Antonina Vallentin, Paul List Verlag München, 1951
Die dargestellte florentiner Edelfrau ist Ginevra de‘ Benci (1457-1520). Sie ist die Tochter des wohlhabenden Bankiers Amerigo de‘ Benci. Dieser ist auch Berater der Medici, Kunstsammler und Mäzen. Er gilt als einer der reichsten Bürger von Florenz.
Ginevra wird vom Dichter Alessandro Braccesi, in ihrem Seelenadel und ihrer Bescheidenheit, als die Größte in der ganzen Stadt gerühmt.
Leonardo ist eng mit Giovanni, dem Bruder Ginevra‘s, einem berühmten Kosmographen, befreundet und so entsteht dieses ätherische Porträt der Siebzehnjährigen zur Zeit der Eheschließung mit dem Kaufmann Luigi di Bernardo Niccolini und ihrer herzzerbrechenden „neuplatonischen“ Liebe zu dem venezianischen Botschafter Bernardo Bembo (1433-1519). Beide verbindet die Lyrik und die Verehrung zu dem italienischen Poeten Petrarca (1304-1374):
„Man ist nicht
adlig geboren,
man kann es
nur werden.“
Abb. 6
Lionardo über Petrarca:
„Wenn Petrarca den Lorbeer so sehr liebte, so geschah es, weil er in der Wurst und zu Krammetsvögeln recht gut schmeckt. Ich kann solchen Kleinigkeiten freilich keinen Geschmack abgewinnen.“
In Frontalität - Das Gemälde der tatarisch-streng äugelnden Ginevra, die einer Mondscheibe gleich in innerer Zurückhaltung vor einer verdämmerten Ferne aus dem dunklen, unzugänglichen Gesträuch herausstrahlt.
Abb. 7
Zarter Wacholderzweig in
der Mitte des Gemäldes mit `funkelnden roten Beeren`, die sich
sternengleich über den Bilderhintergrund auszubreiten scheinen.
Diese flunkern aus dem imitierten, roten Porphyrmarmor hervor und
deuten in Ihrer dauerhaften Standfestigkeit auf Ginevra’s
Tugenhaftigkeit hin. Der Wacholder, in der Mitte thronend, ist
umgeben von einem immergrünen Lorbeerzweig (links) und einem
Palmwedel (rechts)
Die Reflektographie hat
aufgedeckt, dass unter dem Spruchband die Inschrift: „ VIRTUS ET
HONOR „ (‚Tapferkeit und Ehre‘ bzw. ‚edler Trieb und Ansehen‘)
steht, was wiederum auf den Wahlspruch des Patriziers Bembo
hindeutet. Er war als Abgesandter von Venedig von 1474-1476 und
1478-1480 in der Serenissima zu Florenz tätig.
Abb. 8
Auf der Rückseite des Gemäldes, auf fingiertem, rot-porphyrmarmoriertem Grund, befinden sich noch zwei Embleme Bembos: Der Lorbeerzweig (Symbol des Ruhmes) und der Dattelpalmwedel (Symbol für den Sieg über den Tod), die in einer Schlaufe mit einem Wacholder (Symbol ewigen Lebens) girlandenförmig verflochten sind.
Wir haben es hier mit einem leonardesken Rätsel in Symbolsprache zu tun, die als Auftraggeber auf den Diplomaten Bembo hindeutet, der 1475/76 in Florenz residiert.
„Ginevra“ steht als sinnbildliches Wortspiel zu „Ginepro“, der italienischen Bezeichnung für „Wacholder“ (in Bedeutung von: „immergrüner Baum“).
Er zeichnet sich aus als Baum oder Strauch mit seinen graugrünen Nadeln und seinem aromatischen Duft.
Der Wacholder gilt im Volksglauben als Spender von Leben und Gesundheit, aber auch als Abwehrmittel gegen den Teufel, Hexen und schädliche Tiere.
Die Zweige dienen zum lebenweckenden Schlagen oder, über der Haustür und im Stall aufgehängt, zur Abwehr böser Geister.
Ginevra ist die vollkommene Schöpfung „nach der Natur“ in Dreidimensionalität des Gesichtes und das Naturtalent LdV zeigt auf, dass er mit seinen ca. 22 Lenzen schon unerreichbar ist in seiner Darstellungskunst, in der Formgebung und in Lebendigkeit.
Sehr schön lässt sich das für ihn typische Ebenmaß seiner Pyramidalkonstruktion erkennen, mit dem die Querlinien durchtrennenden Auge.
Wie eine kranzförmige Sonnenscheibe strahlt das alabasterglatte, fein modellierte, ovale Gesicht Ginevra‘s auf ihren Betrachter, in einem scheinbar nie erlöschenden Lichte als köstliches Juwel menschlichen Wesens.
Nach Leonardo‘s
Auffassung hat der malende Künstler acht oder genauer zehn Dinge
die das Auge lehrt (predicamenti dell‘ occhio) wohl zu
beachten:
„Finsternis,
Licht, Körper, Figur, Farbe, Ort und Lage, Entfernung und
Nähe“.
Zwei
weitere kann man noch anführen:
„Bewegung
und Ruhe“.
Abb. 9
Fast der Aura eines Heiligenscheins entsprechend, umfließt ein Fluidum der Transzendenz den fahlen Kopf der vornehmen Ginevra.
Der Anonymo Gaddiano (1542-1547) weiss zu berichten: „Leonardo konterfeite in Florenz nach der Natur Ginevra d‘Amerigo Benci und so trefflich brachte er die Arbeit zu Ende, dass es nicht ein Porträt, sondern wie die leibhaftige Ginevra selbst zu sein schien.“ In dispersiver Transparenz einer kaum wahrnehmbaren idealen Spiegelseele der erwartungsvollen Jugend, ist die unnachahmbare Botschaft in Ginevra‘s leuchtendem Traumblick eingeflochten.
Ginevra, in preziöser Zierlichkeit, ist in ihrer eleganten Bescheidenheit, eine noch unberührte Jungfrau. Wie man in der mit Schnürbändern vorne zugeknöpften braunen Bluse und dem in gleicher Weise mit einem dünnen Tüllstoff bedeckten weißen Unterkleid verstehen soll.
Links - vergrößerter
Bildausschnitt, leicht gedreht.
Rechts Oben - Phallische
Kirchtürme
Rechts Unten - Buschgesicht aus dem Strauchwerk
(Bernardo)
Abb. 10
Hinter ihr am blauen Horizont in heller Silhouette ist jedoch schon der Kirchturm in Sicht, dessen Spitze einem Phallus ähnelt, sozusagen als Vorankündigung für ihre anstehende kirchliche Zeremonie.
Im Hintergrund noch ein baumbestandenes Naturschauspiel in lindem Windhauch am dämmrigen, golddurchglühten Abendhimmel. Die weiche Abendsonne wirft ihre metallischen Lichtreflexe auf einen hügelumrahmten, schillernden Wasserlauf.
Das flimmernde Ufer wird von fernen Hügeln überragt, deren blaue Färbung auf‘s feinste mit der tiefbraunen Farbe des Kleides kontrastiert. Koloristisch stimmt dieser Hintergrund jedoch wieder mit den azurblauen Schnürbändern überein, an denen man natürlich den nahen Himmel vergessen soll.
In Dreh- und Wendefigur wird der Kirchturm in Phallusform dann zur Nasenspitze des neuplatonisch anleutenden Bernardo, der schon mit weit geöffneten Lippen, aus dem Gebüsch hervorlechzt.
Und siehe da, dem Ehemann in Spe, Lugi, wird Leonardo wohl die zweite Kirchturmspitze zugedacht haben, die sich gleich daneben erhoben befindet.
So sind beide Verehrer vertreten, im Anklang der Kirchenglocken, sowohl in der Liebe, als auch in der nahenden Hochzeit.
Hinter der porzellanartigen Ginevra, mit ihren kurvigen aschblonden Ringellöckchen, die hinten in einer kleinen Mütze zusammengehalten sind, das stachlige, schwärzlich-grüne Wacholdergebüsch mit seinen feinen, spitzen Blättern, das in seiner Symbolträchtigkeit noch alles Böse von Ihr abwehren soll.
In der durchscheinenden, geschlossenen Lichtlücke schauen auch einige „Beschützer“ in Gestalt „kleiner Ameisenmännchen“ oder „schwarzer Stachelköpfchen“ aus den dornenähnlichen Nadelspitzen geformt, allgegenwärtig hervor.
Dies gilt auch für die Partien links und rechts neben dem Kopf der schweigsamen Ginevra in abgeschwächter Form, die aus dem Himmel herausschauenden kleinen „Strichmännchen“ gleichen.
Im spitzen Gitterwerk eingebaut und verwachsen, bewacht der beschattende Ginsterstrauch das noch vorhandene Band der „Ehre und Tugend“. Er ist der Kapitiän der aus der Seele Ginevra‘s spricht.
Somit erhält das verhaltene, innere Leben Ginevra‘s Ihre Kraft aus der Wacholderhecke heraus, die gespeicherte Sonnenenergie enthält, welche sie in transformierter Form wieder an ihr Umfeld abgibt.
Die keusche Ginevra ist eins mit dem emblematischen Wacholderbaum, mit ihm verwachsen und verschmolzen und ihre schwarze Stola umschlingt sie, wie die Wurzeln Ihres Baumes.
Man kann förmlich spüren, wie die nach unten drängende „Schalwurzel“ das Leben und die Säfte aus dem Erdreich, nach oben in die Heckenkrone befördert, welche zugleich das Haupt der Ginevra ziert.
LdV zeichnet uns den genau beobachteten „Idealwuchs“ eines Baumes mit seinen Verästelungen als „Masswerk“ der Verästelungen in seinen gegabelten Zickzackwendungen auf.
Abb. 11
Visualisierung der ausgebogenen Energieströme aus
dem Wacholderbusch. Er erkennt die Gesetze des Baumwuchses und der
Blattstellung:
„Bei
allen Baumverzweigungen spriesst das sechste obere Blatt über dem
sechsten tiefer unteren, hervor.“ (LdV)
Abb. 12
In voller Körperlichkeit, wie eine Gefesselte/Gefangene schaut Ginevra mit ihren bernsteinfarbenen Augen aus ihrem knospenhaften Kerker aus verworrenen Stacheldrähten zu uns herüber. So verzückt sich langsam unsere Phantasie im Einklang mit unserem Gegenüber und man landet in einem urgöttlichen Trauma einer züchtigen Kindheit und Jugend.
Die Aufgabe und das Ziel der Poträtmalerei die sich Leonardo hier stellt, besteht darin jeden der schaut zu fesseln und die sterbliche Hülle durch die Kunst unsterblich zu machen.
„ Sterbliche Schönheit vergeht, jedoch nicht die der Kunst.“ (LdV)
Ginevra hält in einer späteren Nachahmung (Seite 16 von Lorenzo di Credi) sehr bedacht einen (Ehe-)Ring zwischen Daumen und Zeigefiger ihrer linken Hand. Der Anlass der meisten florentiner Porträts von Frauen war ja deren Hochzeitsfeier.
So wird hier zusätzlich ihr innerer Zwiespalt zu vollster Realität zwischen verhaltener Leidenschaft (Bembo) und erhabener Tugendhaftigkeit (Luigi) in sinnender, stiller Ekstase vermittelt.
So wäre auch eine frühere ‚geheime‘ Auftragserteilung des ‚Liebhabers nach Plato‘ an Leonardo möglich, um „SEINE GINEVRA“ mit nach Venedig zu entführen, damit SIE für immer bei ihm blübe und eine ‚offiziell‘ vereinbarte Auftragserteilung an Lorenzo di Credi müsste dann etwas später vom Ehegatten ‚in spe‘ als Liebesbeweis und Hochzeitsgeschenk gekommen sein..
Ginevra ist beselte Form und geformtes Leben in sprechender Bewegung, die in seltener Größe, in starker Kraft bewegten Wesens und Energie, vor uns steht, zusammengefasst auf einen Augenpunkt, der wie ein Funke flammenden Lebens aus diesem „relievo“ (plastischer Formwirkung) sprüht.
Leonardo hebt hier tiefgehend alles hervor, was Leben heißt und was die Natur an innerer Bewegung dazu aufzubieten hat („tutti perfectissimi“).
So bedeutet jedes seiner Bilder eine neue Fragestellung aus einer vorgefassten Idee, die ihn zur höchsten künstlerischen Tat antreibt. Die Einheit, mit der das Gottwesen mit dem Erdenwesen verbunden ist erscheint als bezaubernde Wirklichkeitserscheinung vom Ich, auf malerischer Raumillusionsfläche, als Menschenform im geheimnisvollen Weltraum. In einizigartigem Erfülltsein kehrt das Innere nach außen, als Offenbarung eines tiefinnerlichen Zwiegespräches, in einem Hinüber und Herüber der Seele.
Abb. 13
„Wo immer die Sonne das Wasser sieht, da sieht das Wasser auch die Sonne und kann daher überall das Bild der Sonne dem Auge wiedergeben.“
„ Es ist aber unmöglich, dass das, was auf dem Wasser gespiegelt wird, die gleiche Gestalt hat wie der sich spiegelnde Gegenstand, da der Mittelpunkt des Auges über der Oberfläche des Wassers liegt.“ (LDV)
Im Codes Madrid I, Folio 191 Verso, verrät uns Leonardo ein Rezept für die Herstellung von Lack aus Wacholderharz:
„ Se volli buona vernicie chiara e ffatta sanza fuoco, intacca el GINEPRO, e llà goma che versa di tale intacature, misschiala con olio di noce vechio e ben purificato e bianco. La qual mistione farai col dito ‚n una taza al sole. E intaca tal GINEPRO d‘aprile, cioè circa al fine d marzo.“[9]
„Wenn du guten, klaren und ohne Feuer hergestellten Lack willst, schneide den Wacholderbaum an, und das Gummi, das aus dem Schnitt herausläuft, mische mit altem, gut gereinigtem, weißem Nussöl, und du mischt sie mit dem Finger in einer Schale in der Sonne. Und schneide den Wacholderbaum im April, oder etwa Ende März an.“
Abb. 14
9 Leonardo da Vinci, Codices Madrid, Band I-V, Ladislao Reti, S. Fischer Verlag Frankfurt am Main, 1974, Seite 531/532