Steve Cold
New York down –
Anschlag aus der Tiefe
Thriller
Knaur e-books
Steve Cold ist das Pseudonym einer deutschen Autorin. Sie hat viele Jahre bei einer Tageszeitung gearbeitet, ein Studium für Journalisten an der Freien Universität Berlin abgeschlossen und arbeitet als fest angestellte Redakteurin. Als Steve Cold schreibt sie Thriller mit Elementen aus Verschwörung, Science und Politik.
© 2016 der eBook-Ausgabe Knaur eBook
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Franz Leipold
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: © FinePic®, München
Dieses Werk wurde bereits unter demselben Titel im Selfpublishing bei neobooks veröffentlicht.
ISBN 978-3-426-44163-3
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Am Anfang ist es nur ein Loch im Eis …
dann ist es eine Verschwörung, die alles Bisherige sprengt und New York für immer verändert.
Auf den Feuerfluchttreppen der Hochhäuser kletterten maskierte Männer in schwarzen Kampfanzügen empor. Doktor Elias Young sah sie im Vorbeifahren. Neugierig reckte er den Hals. Ein Müllfahrzeug preschte vor ihm in die Straße und stoppte mitten auf der Fahrbahn. Der Fahrer stieg aus und zündete sich eine Zigarette an.
Fluchend trat Young auf die Bremse und wich auf den Bordstein aus. Eine Afroamerikanerin in goldenen Hotpants winkte ihm zu. Young parkte das Arztmobil neben einer brennenden Tonne. In Decken gehüllte Männer, Frauen und Kinder wärmten sich an der dünnen Flamme und blickten zu ihm herüber. Ihre Atemwölkchen vermischten sich mit dem Rauch.
Young kletterte nach hinten und drückte die Schiebetür eines Einbauschranks auf. Medikamentenschachteln, eingeschweißte Spritzen und Mullbinden fielen ihm entgegen. Aus einem flachen Karton zupfte der Arzt Einmalhandschuhe, blies hinein und zog sie an. Dann riss er Papier von einer Rolle, legte es auf der Trage aus und öffnete die Flügeltür.
Aus der Gruppe der Wartenden löste sich eine Hochschwangere. Sie war fast noch ein Kind. Ihr zu eng gewordener Mantel stand weit offen. Sie fasste sich stützend unter den Bauch und schnappte nach Luft. Young ergriff ihre kleine Hand und zog sie in den Transporter.
Sein Blick wanderte hoch zum bleigrauen Himmel. Ein gelber Luftballon schwebte vorbei. »I love New York« stand darauf. Der Ballon verlor an Höhe und verfing sich an den Metallstreben einer Feuerfluchtleiter. Aus einem Fenster grollte die wütende Stimme eines Mannes. »Verpisst euch!« Sein Ruf ging im Knattern eines Hubschraubers unter, der in die Häuserschlucht jagte. Das Kreischen von Trillerpfeifen wehte herüber. Polizeifahrzeuge rasten durch die Blocks. Ihre Sirenen kamen fauchend näher.
Young schloss die Tür.
»Bitte leg dich auf die Untersuchungsliege, damit ich deinen Bauch abtasten kann«, sagte er.
Das Mädchen nickte.
»Keine Angst, ich bin vorsichtig.« Der Arzt legte seine Hand auf ihren gewölbten Bauch und griff zum Stethoskop. Kurz darauf lächelte er zuversichtlich. »Das sind Wehen. Du solltest bald eine Klinik aufsuchen. Hier im Ärztemobil kann ich leider nicht viel für dich tun. Aber ich gebe dir eine Adresse, wo man dir auch ohne Geld helfen wird.«
Draußen rief jemand etwas mit einem Megafon. Young hob den Kopf und lauschte.
»Ich werde mal nachschauen, was da los ist«, sagte er und öffnete die Tür.
Seine Patienten warteten noch immer vor der brennenden Tonne. Die meisten kannte er: Den Mann mit der grauen Haut, der sich selbst die Zähne zog. Das kraushaarige Mädchen, das auch im Winter auf der Straße stand und bettelte. Den Arbeiter mit den Phantomschmerzen, der sich im Sägewerk die Finger der linken Hand abgetrennt hatte. Und die alte Frau mit den Verbrennungen am Arm.
Youngs Blick wanderte weiter in die Häuserschlucht. Rund hundert Demonstranten kamen soeben um den Block gelaufen und warfen ihre Schilder zu Boden. Ein Polizeihubschrauber kreiste nur wenige Meter über ihren Köpfen.
Der Alte an der qualmenden Tonne trat einen Schritt zurück und zeigte nach oben. Auf der Feuerfluchttreppe des gegenüberliegenden Hauses standen Vermummte. Etwas an ihren Bewegungen passte nicht ins Bild. Young blinzelte. Was taten sie da oben? Und dann erkannte er: Gleich würde etwas Furchtbares geschehen. Trotz der Kälte brach ihm der Schweiß aus. Die Männer legten Atemschutzmasken an.
Im nächsten Moment prallte ein grauer Kegel auf den Asphalt und platzte. Die Demonstranten griffen sich an den Hals. Sie stürzten auf die Knie, schrien nach Luft, keuchten, husteten und würgten. Erbrochenes ergoss sich auf die Straße, vermischt mit Galle, Blut und Tränen.
Die Gruppe, die sich um die wärmende Tonne gedrängt hatte, versuchte zu fliehen, doch das Gift hatte sich schon bis zu ihnen vorgearbeitet.
Hektisch zog Young die Autotür zu und riss die einzige Sauerstoffmaske von der Apparatur. Er presste sie dem schwangeren Mädchen aufs Gesicht. »Du musst leben. Für dein Kind«, keuchte er.
Dann hielt er den Atem an und hechtete ans Steuer.
Vier Wochen später:
Das Telefon schrillte in die Stille des Büros. Neptun sprang auf und bellte. Sein schwarz-weißes Fell sträubte sich. Robert Lillham hob den Blick von seinen technischen Zeichnungen und schnaubte. Wer störte ihn? Sein Blick wanderte zum Display. Der Anrufer hatte die Rufnummer unterdrückt. Auch das noch. Mürrisch griff der Konstrukteur zum Hörer und drückte vorsichtshalber die Aufnahmetaste.
»Ja, bitte«, sagte er tonlos.
»Kann jemand mithören?«
Die Stimme des Anrufers war verstellt und klang wie ein Roboter.
Fröstelnd zog Lillham seine grüne Walkjacke enger um sich und antwortete wahrheitsgemäß: »Nein, niemand hört mit.«
»Uns bleibt nicht viel Zeit«, sagte die Stimme.
»Was wollen Sie?« Lillham blickte auf die Signaltasten seines Telefons. Die Aufnahme lief. »Und wer sind Sie überhaupt?« Sein Herz raste schmerzhaft. Wollte man ihn erpressen? War seine Tochter entführt worden?
»Es ist für uns beide besser, wenn Sie meinen Namen nicht wissen«, sagte der Fremde.
»Worum geht es?« Lillham trat der Schweiß auf die Stirn.
»Sie müssen einen Anschlag verhindern«, sagte die Stimme kühl.
Die Bilder von dem Giftgasanschlag vor vier Wochen waren plötzlich wieder in Lillhams Kopf. Die vielen toten Frauen, Kinder und Männer. Eine Welle der Übelkeit ließ den Ingenieur nach Luft schnappen. Seine Finger umklammerten die Schreibtischkante.
»Was kann ich tun?«
»Jemand plant einen Anschlag auf das Trinkwassernetz.«
Lillham japste. Irgendetwas an der knappen Wortwahl des Mannes verriet ihm, dass er nicht scherzte.
»Hallo? Sind Sie noch da?«, rief die Stimme im Hörer.
»Ja. Wer sind die Schweine?«, keuchte Lillham. In Gedanken sah er die Aquädukte vor sich, die New York mit Wasser versorgten. Morgen sollte eine Wartungsstation am Tunnel eingeweiht werden. Wollte jemand die Station in die Luft sprengen? Oder das Wasser vergiften?
»Sie sind doch der Erfinder der neuen Tunnel-Inspektionsfahrzeuge?«, hakte die Stimme nach.
»Ja, aber warum erzählen Sie mir das alles? Warum gehen Sie nicht zur Polizei?«
»Weil ich niemandem dort trauen kann.«
»Warum nicht?«
»Eine mächtige Bruderschaft steckt hinter dem Anschlag. Ihr Einfluss reicht bis in die Spitzen von Polizei, Politik und Wirtschaft. Mich würden sie enttarnen und töten. Aber jemand muss etwas tun und die Katastrophe aufhalten. Hören Sie, das Symbol der Gruppe ist das Auge der Vorsehung.«
Wütend lachte Lillham auf. »Das Zeichen befindet sich doch auf fast allem. Sogar auf der Ein-Dollar-Note ist es abgebildet. Wollen Sie mich verarschen?«
»Suchen Sie nach der Wahrheit, und Sie werden Beweise finden. Ich melde mich wieder.«
»Hallo?«
Er bekam keine Antwort.
Ein Rabe flog in den Garten, spazierte zu den gefrorenen Sträuchern und pickte daran. Regungslos betrachtete der Ingenieur den Vogel, während ein verdrängtes Erlebnis in ihm hochstieg – und damit auch neue Fragen.
Mit einem Seufzen öffnete Lillham eine Schublade in seinem antiken Schreibtisch und nahm einen Mini-Computer heraus. Er musste dringend etwas überprüfen. Vor einigen Wochen hatte ein Mikrobiologe nach einer Wasserprobe gefragt. Todt Peters. Der Mann war einer unbekannten Substanz auf der Spur gewesen. Angeblich würde sie im Dunkeln leuchten. Lillham hatte den Mann an die zuständigen Behörden verwiesen, denn Wasseranalysen waren nicht sein Fachgebiet. Wenige Tage später hatte er den Namen des Biologen in den Todesanzeigen gelesen. Peters hatte einen Autounfall gehabt. Wie tragisch, hatte Lillham noch gedacht. Jetzt blickte er aufgewühlt auf den Monitor und las erneut die E-Mail, die Peters ihm geschrieben hatte. In seinem Kopf hallte die Computerstimme des Unbekannten: Sie müssen einen Anschlag verhindern!
Lillham schluckte schwer. Gab es da einen Zusammenhang zwischen dem toten Mikrobiologen und dem geplanten Anschlag? War Peters’ Unfall doch kein Zufall gewesen? Und war nach dem Angriff aus der Luft nun auch das Wasser dran?
Der Rabe flog am Fenster vorbei. Lillham sah ihm hinterher. Dann fasste er einen Entschluss. Er musste das Ganze aufhalten. Und jemand musste ihm dabei helfen.
New York Tribune, wenige Stunden später:
Was ist passiert? Er ist schon fünfzehn Minuten zu spät, grübelte der Journalist Jake Taiker. Robert Lillham ist doch sonst immer pünktlich auf die Sekunde.
Das Phone auf dem riesigen Schreibtisch kündete piepend den Eingang einer Nachricht an. Hoffentlich sagt er das Interview jetzt nicht ab, dachte Jake und blickte aufs Display. Doch die Nachricht war von Amy. Er las: Max landet in sechs Stunden.
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Sein Junge kam aus Deutschland zu Besuch. Mit zehn Jahren ganz allein im Flugzeug. Vor Rührung musste Jake schlucken. Meine Güte, wie groß der Junge schon ist.
Schnell schrieb er »danke« und schaltete das Phone stumm. Dann stellte er sich ungeduldig ans Panoramafenster. Sein Blick wanderte hinüber zu den beleuchteten Hochhausfassaden am Times Square. Schneeflocken wirbelten kreuz und quer. Tief unten auf den Straßen stauten sich wie immer um diese Zeit die Autos. Zwei berittene Polizisten trabten Richtung Rockefeller Center. Schichtwechsel.
Das Haustelefon auf dem Schreibtisch läutete. Na endlich! Jake griff zum Hörer. Fee Bowen vom Empfang war in der Leitung und teilte ihm mit, dass sein Gast eingetroffen war. Kurz darauf hörte Jake, wie der Fahrstuhl leise zischte und sich die Tür öffnete.
Lillham gab ihm mit verbindlichem Druck die Hand. »Tut mir leid, ich bin ein paar Minuten zu spät dran«, entschuldigte sich der Ingenieur. »Etwas Wichtiges hat mich aufgehalten.«
»Ich hoffe, nichts Ernstes?«
»Alles in Ordnung.« Lillhams Blick flackerte; er zog den Mantel aus und hängte ihn an den Haken.
Jake versuchte, seinen Interviewpartner zu beruhigen. »Wir haben zwei Stunden Zeit, das müsste reichen.«
»Kann ich den Text vor der Veröffentlichung bitte noch einmal lesen?«
»Ja, aber das wird nicht nötig sein.« Jake lächelte aufmunternd und unterdrückte ein Seufzen. Ich kann heute keine Verzögerungen gebrauchen.
Der Ingenieur zog die Stirn in Falten. »Keine Sorge, ich werde schon nicht alles wieder umschreiben.«
»Das will ich auch schwer hoffen.« Jake zwinkerte und klappte den Laptop auf, während er weiterredete. »Ich schneide das Interview mit. Anschließend wandelt ein Programm Ihre Worte in Text um. Das dauert nur ein paar Minuten. Dann kürze ich, was entfallen kann, und glätte ein wenig die Sätze. Dazu brauche ich vielleicht eine halbe Stunde, anschließend können Sie alles noch einmal lesen. Einverstanden?«
Lillham setzte sich und rieb fröstelnd seine Hände gegeneinander. »Das geht heutzutage wirklich alles sehr schnell«, sagte er anerkennend. »Früher haben die Programme zur Spracherkennung nie richtig funktioniert.«
Jake schenkte ihm ein Glas Wasser ein. Sein Interviewpartner wirkte sichtlich nervös. Was war mit ihm los?
»Geht es Ihnen gut?«
»Ja.«
»Und sind Sie bereit? Können wir beginnen?«
Der Ingenieur nickte. »Ich bin bereit.«
Jakes Finger wanderten zum Laptop. Per Mausklick startete er das Aufnahmeprogramm.
»Robert Lillham, Sie entwerfen und bauen Tauchboote und Tunnelinspektionsvehikel, die sogenannten TIVs. Erklären Sie unseren Lesern doch einmal, warum wir die TIVs nicht während ihrer Arbeit im Trinkwassertunnel filmen können!«
»Das ist nicht möglich, weil niemand damit in den Tunnel hineinkann. Die Fahrzeuge bewegen sich in einem geschlossenen System. Doch sie haben eigene Kameras an Bord. Und wenn alles in Ordnung ist, dann filmen sie glatten Beton und klares Wasser.«
»Von welchen Dimensionen reden wir bei so einem Tunnel?«
»Oh, das sind teilweise riesige Röhren. Da würden kleine Autos reinpassen. Es gibt aber auch schmalere Tunnelabschnitte.«
»Und was genau ist die Aufgabe der Tauchboote?«
»Sie suchen die Wände nach Schäden ab. Das können feine Haarrisse oder größere Lecks sein.«
»Was ist das Problem dabei?«
»Kleine Risse sind unproblematisch. Mit der Zeit können sie aber zu einem riesigen Loch und damit einem sehr großen Problem werden. Das Wasser versickert dann in den Untergrund. Unsere Tauchfahrzeuge suchen die Wände nach Schäden ab, damit sie schnell und gezielt repariert werden können.«
»Und in dem Tauchboot sitzt niemand?«
»So ist es. Das passiert alles ferngesteuert.«
»Wie kann ich mir das vorstellen?«
»Die Fahrzeuge hängen an Stahlseilen, schwimmen mit der Strömung tief in das Aquädukt oder den schmaleren Tunnel hinein und können an den Seilen zurückgezogen werden. Die TIVs sind so groß wie ein kleines Tauchboot und sehen aus wie eine längliche Kapsel. Wir bauen aber auch kleinere Analysefahrzeuge für Kanäle und Rohre, und manche sind so winzig wie ein minimalinvasives Endoskop.«
»Was ist an der neuen Station, die morgen eröffnet wird, anders als an den bisherigen?«
»Sie ist viel moderner ausgestattet. Aber dafür bin ich eigentlich nicht der Experte. In aller Bescheidenheit, ich liefere nur die TIVs.«
»Und was ändert sich für die Tunnelfahrzeuge Ihrer Firma durch die Modernisierung der Station?«
»Wir können ebenfalls modernisieren. Wir bauen leichtere und technisch besser ausgestattete Fahrzeuge. Die Tauchboote nehmen neuere, viel kleinere Analysegeräte mit. Und auch die Computerprogramme sind inzwischen wesentlich effizienter geworden.«
»Können Sie mir dazu ein Beispiel nennen?«
»Nun, die Kameratechnik ist besser geworden. Vor allem die Messung, wie tief ein Riss ist, wird immer genauer. Und damit lässt sich auch viel genauer berechnen, wie viel Wasser versickert. Wir filmen und messen jeden Haarriss mikroskopisch und können dann hochrechnen, welche Folgen der Schaden für den Tunnel und für die Wasserleitung hat.«
»Und welches sind die bahnbrechenden Erneuerungen? Ich habe da so etwas gehört …«
»Entschuldigen Sie bitte, dazu wollte ich mich eigentlich noch nicht äußern …« Der Ingenieur hob abwehrend die Hände. Sein Blick flackerte nervös.
»Wir müssen ja nicht auf technische Details eingehen, aber gönnen Sie unseren Lesern doch einen kleinen Blick in die Zukunft«, bohrte Jake nach.
»Ähm, künftig wird es ein völlig neues Tauchboot geben. In der neuen Kontrollstation ist schon alles dafür vorbereitet. Das neue Fahrzeug kommt aber erst im nächsten Jahr in einer Testreihe zum Einsatz. Das ist alles noch streng geheim.« Lillham lehnte sich zurück und schloss den Mund. Nervös rieb er sich das Kinn.
»Was soll das heißen, es ist alles vorbereitet?«, ignorierte Jake sein Schweigen. »Nun kommen Sie schon! Sie müssen ja keine technischen Details verraten.«
»Tja, die Schleusen zum Einbringen des Tauchboots sind modernisiert worden. Sie sind jetzt viel kleiner und flexibler. Wir kommen schneller an das Tauchboot heran, wenn es vom Einsatz zurückkehrt.«
»Ging das denn früher nicht?«
»Doch, aber nur mit erheblichem Aufwand.«
»Und was ist an dem neuen Tauchboot so bahnbrechend?«
»Es kann bemannt in den Tunnel geschickt werden, aber das ist noch Zukunftsmusik. Morgen geht es zunächst mal nur um die neue Kontrollstation, die mit den bewährten TIVs unserer Firma arbeiten wird. Im nächsten Jahr wird es dann erste Tests mit dem Prototyp der neuen Generation geben. Aber hören Sie, das wollte ich erst in ein paar Wochen öffentlich machen. Das Interview geht doch aber heute schon online?«
Jake nickte. »Ja, sobald Sie es freigegeben haben.«
»Das heißt also gleich. Dann muss ich mich jetzt entscheiden?«
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, den Sie nicht ablehnen werden. Im Netz und in der gedruckten Ausgabe, die morgen erscheinen wird, bringen wir nur den Teil aus dem Interview, der sich auf das alte TIV bezieht. Und direkt nach der Eröffnung der neuen Station und der Pressekonferenz geht dann das Interview in voller Länge mit den Fragen zum neuen TIV online. Beides können wir schon jetzt vorbereiten. Einverstanden?« Jake lächelte zuversichtlich.
Lillham seufzte. »Sind Sie morgen bei der Eröffnung der neuen Station auch dabei? Kann ich bis dahin darüber nachdenken?«
»Ja, ich bin da. Das geht. Wir reden dann am Aquädukt weiter.«
Die Finger des Ingenieurs zitterten, als er das Glas nahm und einen Schluck Wasser trank.
Jake nickte aufmunternd. »Wir sind gleich mit meinen Fragen durch.«
Während sie weiterredeten, musterte Jake den grauhaarigen Ingenieur. Der siebzigjährige Mann wirkte nervös, dabei sollte das Interview doch ein Klacks für ihn sein. Was war nur los mit ihm? Irgendetwas stimmte nicht. Immer wieder nahm Lillham einen Schluck Wasser; es schien, als müsse er sich zur Konzentration zwingen. Sein sonst so wacher Blick wanderte zum Panoramafenster in die Ferne. Was war es, das ihm Angst machte?
»… im Sommer bin ich oft am See draußen. In diesem Jahr hatte ich aber nicht viel Zeit dazu, die Füße hochzulegen. Das werde ich wohl nächstes Jahr nachholen. Ich bin ein leidenschaftlicher Taucher, müssen Sie wissen. Wenn das neue Tauchboot fertig ist, würde ich gerne mal wieder richtig Urlaub machen.«
Jake setzte den Finger auf die Tastatur. »Jetzt dauert es ein paar Minuten, dann stelle ich den Text um und lösche, was wir nicht brauchen. Danach können Sie schauen, ob Ihnen Ihre Aussagen noch passen.«
Forschend blickte er in Lillhams Gesicht. Er irrte sich nicht. Der Mann hielt sich noch immer am Wasserglas fest. Wenn er losließ, zitterten seine Finger. Da wartete eine Story, Jake konnte es förmlich riechen. Was hatte er bloß übersehen?
»Alles so weit in Ordnung? Geht es Ihnen wirklich gut?«, fragte er noch einmal.
Der Ingenieur nickte.
»Sind Sie sicher? Ich meine nur, ich habe das deutliche Gefühl, dass Sie irgendetwas bedrückt. Hat es mit Ihrer Verspätung zu tun?«
»Nein, das ist es nicht.«
»Was belastet Sie dann?«
»Der Computer zeichnet jetzt nicht mehr auf?« Lillham blickte unruhig zum Laptop.
»Nein. Ich habe die Aufnahmefunktion gestoppt.«
»Und es kann auch niemand mithören?«
»Der Raum ist abhörsicher. Sie können ganz entspannt mit mir reden.«
Lillham starrte in die Luft. »Ich hatte einen Anruf.«
»Was für einen Anruf?«
»Eine anonyme Warnung mit verstellter Stimme. Jemand hat einen Anschlag auf das Trinkwassersystem angekündigt.«
Jake beugte sich vor. »Ein Mann oder eine Frau?«
»Eine männliche Computerstimme.«
»Was genau hat der Anrufer gesagt?«
»Dass ein Anschlag passieren wird.«
»Und weiter?«
»Erst klang alles sehr ernst. Aber dann behauptete der Anrufer, dass die Terroristen aus den Spitzenpositionen der Macht kämen. Eine geheime Bruderschaft. Verstehen Sie? Er sagte, sie bestünde aus Polizei, Politik und Wirtschaft.«
»Hat er das irgendwie belegt?«
»Nein. Und seine letzte Behauptung war ein übler Scherz. Darum weiß ich nicht, was ich von alldem halten soll.«
»Was hat er gesagt?«
»Er behauptete, die Verschwörer würden als Erkennungszeichen das Auge der Vorsehung verwenden.«
»Das klingt ziemlich lächerlich.«
»Genau das habe ich ihm auch geantwortet. Und dann hat er aufgelegt.«
»Und nun sind Sie besorgt wegen morgen?«
»Die Sache mit dem Auge als Symbol ist natürlich ausgemachter Blödsinn. Niemand bei klarem Verstand glaubt an Geheimbünde, schon gar nicht an Seilschaften, die aus den Reihen der Macht Anschläge verüben. Aber natürlich kann es Attentäter geben, die uns schaden wollen und die solch einen Anschlag planen.«
»Hat er gesagt, dass es um die neue Station am Aquädukt geht? Immerhin wird sie morgen eingeweiht.«
»Nein, nicht direkt. Und theoretisch könnte auch jede Station am Tunnel gemeint sein. Die neue Station ist ja viel besser geschützt als alle anderen jemals zuvor.«
»Sie sollten trotzdem die Polizei benachrichtigen«, sagte Jake mit einem schweren Seufzen. »Wenn etwas passiert, würden Sie sich das sonst ewig vorwerfen.«
Lillham zückte sein Smartphone. »Sie haben recht. Das hätte ich gleich tun sollen.«
»Halt!« Jake legte eine Hand auf Lillhams Schulter. »Warten Sie! Machen Sie den Anruf in ein paar Minuten, wenn Sie gegangen sind. Vielleicht von dem Café gegenüber. Dann kann ich ungestört in der Sache weiterrecherchieren. Und sagen Sie niemandem, dass ich Bescheid weiß. Halten Sie mich da raus, sonst kann ich Ihnen nicht helfen.«
»Ja, natürlich.«
»Wollen Sie das Interview noch gegenlesen?«
»Nein, ich vertraue Ihnen. Machen Sie es wie besprochen.«
Der Ingenieur stand auf und nahm seinen Mantel von der Stuhllehne hoch. Doch plötzlich erstarrte er in seinen Bewegungen. »Da ist noch etwas.« Er ließ den Arm sinken.
»Ich höre.«
Lillham blickte zum Fenster und kniff die Augen zusammen, so als schaute er auf einen bestimmten Punkt in der Ferne. »Vor ein paar Wochen hat ein Mikrobiologe nach Wasserproben für seine Analysen gefragt. Todt Peters ist sein Name. Er hatte da etwas im Wasser entdeckt. Eine Lumineszenz. Der Mann war kurze Zeit später tot. Ein Autounfall. Jetzt nach der Warnung sehe ich das in einem neuen Licht. Vielleicht war es kein Unfall?«
Das Interview war fertig und abgeschickt. Jake blickte aus dem Fenster, hinunter auf die Stadt, der man nachsagte, dass sie niemals schläft. Wortfetzen jagten durch seinen Kopf: Ein geplanter Anschlag auf das Trinkwassersystem. Verschwörer bis in die Spitzen der Macht. Das Auge der Vorsehung …
War die Warnung ein übler Scherz? Oder war da was dran? Und was war mit der lumineszierenden Wasserprobe? Warum musste der Biologe Todt Peters sterben?
Das Heulen von Polizeisirenen drang herauf. Der Lärm war trotz der schallisolierten Verglasung bis in den zwanzigsten Stock zu hören. Unruhig reckte Jake den Hals, konnte aber nichts erkennen, denn die Fahrzeuge standen zu nah am Gebäude.
Sein Kollege David Wintershaw riss die Tür auf und fläzte sich auf den cognacfarbenen Lederdrehstuhl. »Hi, bist du fertig?«
Jake nickte.
»Die Chefredaktion hat deine Texte schon freigegeben?«
Wieder nickte Jake.
David nahm seine braune Hornbrille ab, um sie mit dem Saum seines T-Shirts zu putzen. »Wir sollten zusammen was essen gehen und dann in eine Bar. Die Damenwelt wartet nicht ewig«, redete er weiter.
Jake grinste halbherzig. »Ja natürlich, du Herzensbrecher.«
David setzte die Brille wieder auf. »Ist was passiert? Du bist so ernst und … so blass.«
»Ach das täuscht. Das liegt nur an meinen dunklen Haaren. Oder an dem schwarzen T-Shirt, das ich heute anhabe. Es ist alles in Ordnung.«
»Bist du sicher?«
»Ja. Wir können gehen.« Hektisch griff er nach seinem braunen Wollpullover und zog ihn über den Kopf. »Ich gebe den Arbeitsraum jetzt für den Nächsten frei.« Mit einer energischen Bewegung klappte er den Laptop zu und steckte sein Phone in die Hosentasche.
Auf dem Tisch lag noch ein Lesegerät. David streckte die Hand nach dem Reader aus. »Darf ich?«
Jake nickte. »Aber ich kann dir auch unterwegs erzählen, was ich geschrieben habe.«
Per Fingertipp blätterte sich David durch die fertigen Seiten der Tribune und wippte mit der Lehne des Drehstuhls. »Ein Interview?«
»Ja, mit Robert Lillham.«
»Und worum ging es? Ich weiß, ich bin überhaupt nicht neugierig.« David grinste breit.
»Wir haben über die neue Wartungsstation am Aquädukt geredet. Lillham liefert die Tunnelfahrzeuge.«
»Ich glaube, ich habe den Ingenieur vor einer knappen Stunde im Foyer gesehen. Ein grauhaariger, schlanker Mann? So um die sechzig?«
»Ja, das ist er. Allerdings ist er fast siebzig.«
»Es geht um seine Tauchboote?«
»Und um unsere Trinkwasserversorgung.«
»Wichtiges Thema«, sagte David. »Nur schade, dass sich die meisten lieber für Skandale interessieren oder dafür, was unsere Präsidentin auf der letzten Wohltätigkeitsgala getragen hat.«
»Sie wollen auch wissen, wer hinter den Giftgasanschlägen steckt.«
»Bist du deshalb so blass?« David legte den Reader zurück. »Geht es darum?«
»Nein, es ist nichts.«
»Also ehrlich, wenn wir das jemals rausfinden sollten, dann haben wir bestimmt viele Feinde auf den Hacken. Weißt du was?«
»Nein. Aber sollten wir eines Tages etwas herausfinden, was nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist, könntest du dir vorstellen, ein Whistleblower zu werden?«
David zuckte zusammen und hörte auf, mit der Stuhllehne zu schwingen. »Scheiße, wo steckst du drin? Was willst du damit andeuten? Du weißt doch etwas.«
»Nein, es ist nichts, es war nur so eine ganz allgemeine Frage.«
»Und warum glaube ich dir das jetzt nicht? Du würdest so etwas doch nie einfach nur so fragen. Worin bist du verwickelt?«
Jake hob die Hände. »Du bist am Zug. Beantworte erst meine Frage! Was würdest du tun?«
»Ach, du kennst mich doch. Vermutlich würde ich erst hinterher darüber nachdenken, was ich angerichtet habe. Und was ist mit dir?«
»Ich weiß nicht. Max ist erst zehn. Er braucht mich noch eine Weile. Außerdem bin ich nicht gerade scharf darauf, den Rest meines Lebens unterzutauchen oder im Gefängnis zu verrotten. Ehrlich gesagt, ich wäre vermutlich zu feige.« In Gedanken entschuldigte er sich bei Robert Lillham und dem unbekannten Anrufer. Tut mir leid, ihr habt den falschen Mann gefragt.
»Alles in Ordnung mit dir?« David runzelte die Stirn.
»Ja. Mach dir keine Sorgen.«
David hob das Lesegerät erneut hoch und tippte darauf herum. »Hast du die neue Fotostrecke von Timo gesehen? Seit er den Fotopreis bekommen hat, kann er sich vor Aufträgen kaum noch retten.«
»Er kann das Geld gut gebrauchen. Und er ist ein guter Fotograf.« In Gedanken sah Jake wieder die Aufnahme vor sich. Das Gesicht der Afroamerikanerin lag in einer Pfütze aus grünem und blutigem Schaum. Ihre goldenen Schuhe waren von den Füßen gerutscht. Ein Polizist mit einer Atemschutzmaske beugte sich über sie. Hinter den beiden war das Gerippe eines Hauses ohne Fensterscheiben zu erkennen.
David räusperte sich. »Also ohne die Anschläge wären die scharfen Gesetzesänderungen nicht durchgekommen. Wenn du mich fragst, die Ausschreitungen waren sogar das Zünglein an der Waage.«
Jake nickte. »Das hat den neuen Patriot-Gesetzen den Weg geebnet. Kein Zweifel, der Giftgasanschlag hat den Politikern in die Hände gespielt.«
»Ich hoffe, dieser Raum ist auch wirklich abhörsicher.« David fuhr sich durch die blonden Locken.
Jake nickte. »Das hoffe ich auch.« Du ahnst gar nicht, wie sehr, schickte er in Gedanken hinterher.
David sprang auf. »Wie wäre es nun mit einer Pizza? Ich habe einen Bärenhunger. Der Tag war lang. Oder hast du heute noch in der Schlussredaktion zu tun?«
»Nein, ich bin fertig. Wir können sofort gehen.« Vorsichtig presste Jake eine Hand in den Rücken. »Was hältst du von Sushi?«
»Dieses Wohlstandszeugs?« Sein Kollege schaute ihn ungläubig an.
»Ich muss ein wenig auf mein Gewicht achten«, log Jake und stützte sich am Schreibtisch ab. Schweiß perlte auf seiner heißen Stirn. Er holte tief Luft.
»Geht es dir nicht gut?«
»Ich weiß nicht«, sagte Jake wie durch einen Tunnel. In seinen Ohren rauschte es dumpf. Im nächsten Augenblick wurde ihm schwarz vor Augen.
Als er wieder zu sich kam, klopfte ihm sein Kollege ins Gesicht. »Aufwachen, alter Freund.«
»Verdammt. Was ist passiert?« Jake sah alles nur noch verschwommen.
»Wann hast du das letzte Mal etwas Vernünftiges in den Magen bekommen?«
»Ich glaube zum Frühstück.«
»Du mutest dir zu viel zu.«
»Spar dir deine Predigten und hilf mir lieber hoch!« Jake streckte den Arm aus.
David packte zu.
Schwer atmend knetete Jake seinen schmerzenden Nacken, als er wieder stand. »Danke.«
»Du bist umgefallen wie ein gefällter Baum. Hast du dich verletzt?«
»Ich glaube nicht.«
»Noch immer das Hantavirus? Vielleicht solltest du noch mal zum Arzt gehen.«
»Ich war beim Arzt. Aber lass uns endlich von hier verschwinden, sonst verhungere ich. Beim Essen würde ich übrigens gerne noch etwas mit dir bereden.«
»Was ist los?«
»Es geht um Max. Ich meine, wenn mir mal was passiert und der Junge hier ist, würdest du dann dafür sorgen, dass er heil von Manhattan zurück nach Berlin kommt?«
»Natürlich kümmere ich mich um deinen Jungen.« David klopfte ihm vorsichtig auf die Schulter. »Du machst mir Angst. Was ist los?«
Jake lächelte angestrengt. Er fühlte sich hundeelend, denn er musste seinem besten Freund bald erklären, was mit ihm los war. »Vierzig ist das neue fünfzig«, machte er einen halbherzigen Scherz.
David grinste höflich. »Ja, ich sehe erste graue Haare auf deinem Kopf. Wir müssen uns beeilen, wenn wir in den nächsten Jahren noch etwas erleben wollen. Apropos, leihst du mir deinen Sportwagen am Wochenende?«
»Wie sieht sie aus?«
»Willst du ihre Körbchengröße wissen?«
Sie lachten gleichzeitig.
Im nächsten Moment erstarben sämtliche Lichter im Büro.
»Verdammt, nicht schon wieder.« Jake griff nach seiner Winterjacke, die über dem Stuhl hing, und suchte den Schlüsselanhänger mit der winzigen Taschenlampe. Er knipste das Ding an.
»Du blendest mich«, quittierte David den lächerlichen Anblick. »Was willst du damit?«
»Im Gang wird es stockdunkel sein. Wir müssen hier raus. Sofort.«
»Warum funktioniert die Notbeleuchtung nicht?«
»Keine Ahnung. Schau mal aus dem Fenster! Die Lichter der Hochhäuser gegenüber sind nicht erloschen. Der Strom ist nur bei uns ausgefallen. Ich habe ein ungutes Gefühl, lass uns schnell von hier verschwinden.«
»In den stockdunklen Gang? Der Aufzug wird nicht funktionieren.«
»Hast du vorhin die Polizeisirenen gehört? Die Fahrzeuge haben direkt unten am Eingang gehalten.«
»Jake, was hast du geschrieben?«
»Komm schon!« Jake schnappte sich den Laptop und riss die Tür auf.
Der Kegelschein einer riesigen Taschenlampe blendete sie.
»Hände über den Kopf!«, schlug ihnen ein Befehl entgegen. »Gehen Sie langsam zurück!«
Zwei Polizisten kamen herein und leuchteten den Raum aus. Kurz darauf schalteten sich die Oberlichter wieder ein.
Jake umklammerte den Laptop, doch einer der Polzisten entriss ihm das Gerät.
»Legen Sie sich mit dem Bauch auf den Boden und behalten Sie Ihre Hände sichtbar im Nacken!«, bellte der andere und legte die Fingerspitzen an seinen Schlagstock.
Jake und David folgten seiner Aufforderung.
»Passwort!«, knurrte der Polizist mit seinem Laptop.
Jake nannte es zähneknirschend. Der Polizist schloss das Gerät an einer externen Festplatte von der Größe einer Zigarettenschachtel an, wartete einen Moment und trennte dann den Datenträger wieder. Mit einer wischenden Handbewegung schob er den Laptop wie Müll vom Schreibtisch. Krachend fiel er zu Boden.
Wütend biss Jake die Zähne zusammen. Am liebsten wäre er dem Schweinehund an die Gurgel gesprungen. Doch die Folgen konnte er sich nur allzu gut ausmalen.
»Haben Sie etwas gesagt?«, herrschte ihn der Polizist an und klopfte gegen den Schlagstock.
»Nein.« Jake spürte, wie sein Puls einen kräftigen Schlag zulegte. Als fester freier Reporter hatte er zwar jederzeit einen Schreibtisch im Redaktionsgebäude, doch seine Arbeitsgeräte musste er selbst bezahlen. Verdammt, er würde sich ein neues Gerät kaufen müssen und wäre schon wieder blank. Das aber bedeutete, er müsste noch mehr Aufträge annehmen. Ausgerechnet jetzt, wo sein Junge im Anflug auf New York war, um die Winterferien hier zu verbringen.
Die Schuhe des Polizisten kamen verdächtig nahe an seinen Kopf.
»Jake Taiker, wohin ist Ihr Informant gegangen?«
»Welcher Informant?«
»Ihr letzter.«
Vorsichtig zog Jake seinen Kopf ein paar Zentimeter zurück und drehte sich, sodass er den Polizisten sehen konnte. »Es gibt keinen Informanten. Ich habe zuletzt ein Interview gemacht. Wenn Sie wissen wollen, was darin steht, dann müssen Sie die Zeitung lesen.«
Der Boden fühlte sich kalt an. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Was wollten die Schnüffler hier? Ging es um den Anschlag, vor dem der Unbekannte gewarnt hatte? An Zufälle glaubte Jake nämlich nicht. Aber so schnell? Direkt nachdem Robert Lillham die Behörden benachrichtigt hatte?
»Mit wem haben Sie das Interview geführt?«
»Aber das wissen Sie doch längst.«
»Ich will es von Ihnen hören.«
»Robert Lillham«, stöhnte er.
»Wer ist das?«
»Ein Entwickler von Tauchbooten. Die Lillham Corporation.«
»Worüber haben Sie geredet?«
»Über Tauchboote. Worüber sollten wir sonst geredet haben? Über das Wetter etwa?« Sein Nacken begann zu schmerzen.
Der Polizist ging einen Schritt zurück und trat mit dem Schuh auf den Computer am Boden. »Hier liegt Dreck rum.« Dann kam er wieder näher und stellte seinen Fuß halb über Jakes Kopf.
»Worüber haben Sie geredet?«
»Über Tunnelfahrzeuge.«
»Worüber?«
»TIVs.«
»Lauter und in ganzen Sätzen!«
»Es ging um die Tunnelfahrzeuge, die der Ingenieur konstruiert.«
Der Polizist zog seinen Fuß zurück.
Als die beiden endlich gegangen waren, ballte Jake die Faust. Seine Augen brannten. »Verdammte Scheiße.«
»Denen möchte ich nicht in die Hände fallen, wenn ich wirklich für etwas verdächtigt werde«, sagte David kleinlaut und rückte seine Hornbrille zurecht. »Alles in Ordnung?«
Jake drehte den Kopf, um ihn anzusehen. »Sag jetzt nicht, das war deine erste Razzia?«
David schluckte. »Doch. Ja. Bislang hatte ich immer Glück und bin davon verschont geblieben.«
»Wichtig ist, dass du immer bei einer Aussage bleibst und nicht zögerst, auch wenn sie dir drohen. Denn sobald du zögerst, spüren sie es; dann beißen sie sich wie wütende Hunde fest, weil sie glauben, etwas entdecken zu können.«
»Hast du ihnen etwas verschwiegen?«
»Nein.«
David seufzte. »Meine Energiereserven sind am Ende. Lass uns ein Steak essen gehen. Das mit dem Sushi hast du doch vorhin nicht ernst gemeint, oder?«
»David!«
»Ja?«
Jake stand vom Boden auf. »Ich war noch einmal beim Arzt.«
»Was ist los?« David stellte sich vor ihn und legte eine Hand auf seine Schulter.
»Ich muss eine Diät einhalten. Deshalb der Vorschlag mit Sushi. Ich schaffe kein ganzes Steak. Höchstens ein halbes.«
»Darum hast du mich also gefragt, ob ich mich im Notfall um Max kümmern werde. Ist es so schlimm?«
»Keine Ahnung. Vermutlich brauche ich neue Nieren.«
»Wegen der Hantaviren?«
»Ich hatte einfach Pech.«
»Was sagen die Ärzte?«
»Ich muss zweimal die Woche zur Dialyse. In einem Monat weiß ich mehr. Vielleicht wird es wieder. Aber ich mache mir nichts vor und sehe den Tatsachen lieber jetzt schon ins Auge.«
»Verdammte Scheiße.«
Jake bückte sich und hob seinen Laptop vom Boden auf. Er schaltete ihn ein. Doch der Bildschirm blieb dunkel. Natürlich kaputt. Verdammt! Jetzt musste er sein altes Gerät wieder aus dem Keller holen und das Virenprogramm und die Software aktualisieren.
»Wenn das nicht wieder in Ordnung kommt, dann brauchst du eine Spenderniere?«, unterbrach David sein Tun.
»So sieht es aus.«
»Verdammte Viren. Jake, das tut mir so leid. So ein Mist. Hast du dich erkundigt, was es für alternative Therapien gibt?«
Jake klappte den Laptop zusammen. »Nein. Was mich im Moment viel mehr interessiert – was haben die hier gesucht?«
Eine Minute später:
Das rote Telefon läutete, und dazu gesellte sich ein hektisches Blinken. Jake trat näher an den Schreibtisch und nahm den Hörer in die Hand.
»Ja, bitte.«
»Sind Sie das, Jake Taiker?«
»Am Apparat.«
»Muller hier. Kommen Sie sofort in mein Büro!«
Jake lauschte, doch sein Chef hatte bereits aufgelegt.
David zog fragend eine Augenbraue hoch.
»Muller«, sagte Jake. Er legte den Hörer auf die Ladestation. »Ich soll in sein Büro kommen.«
»Dann geht es also doch um das Interview mit Robert Lillham?«
»Keine Ahnung. Er hat mir nicht gesagt, was los ist. Aber er klang wütend. Ich fahre rauf.«
»Ich hoffe, du hast keine Ente in die Zeitung gesetzt.«
»Das hoffe ich auch.«
»Okay, ich warte auf dich. Danach gehen wir Sushi essen«, versuchte David ihn aufzumuntern.
»Danke. Aber wir können auch ins Steakhaus gehen. Ich muss nachher sowieso noch ins Krankenhaus.«
»Wieder Dialyse?«
Jake nickte. Er verließ den Raum, folgte dem langen Gang bis ans Ende und betrat den gläsernen Aufzug, um ganz nach oben zu fahren. Bevor er Mullers Büro betrat, stellte er sich vor die Panoramascheiben und warf einen langen Blick auf die Lichter der Stadt: Schneeflocken tanzten vorbei. Winter in New York. Sechs Uhr abends, und es war bereits total finster.
Seufzend klopfte er gegen die Tür und öffnete sie.
Muller trug wie meist einen zerknitterten Anzug, darunter ein schwarzes Hemd. Seine Stirn glänzte. Er fuhr sich durch die kurzen grauen Haare und lächelte angespannt. »Kommen Sie schon rein, Jake! Setzen Sie sich!« Mit dem Arm wies Muller auf den unbequemen Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch.
Jake legte die Umhängetasche mit dem verbeulten Laptop auf den Boden.
»Hat die Polizei Probleme gemacht?«
»Sie haben meinen Computer auf den Boden geworfen.«
»Kaputt?«
»Vermutlich.«
»Sind Sie versichert?«
»Leider nein.«
»Vielleicht können unsere Techniker noch was machen.«
Jake nickte. »Ja, vielleicht. Weshalb bin ich hier?«
»Wir haben ein Problem.« Schlagartig verschwand Mullers Lächeln.
»Geht es um das Interview mit Robert Lillham?«
Der Chef schüttelte den Kopf. »Nein. Aber Jonathan Hix hat angerufen.«
»Ach, der Bürgermeister persönlich? Direkt aus dem Urlaub? Ich meine, der steckt doch gerade auf Hawaii«, spielte Jake seine Überraschung herunter. Trotzdem wusste er, was nun kommen würde.
»Sie haben keine Ahnung, was der Mayor wollte?«
Jake legte den Kopf schräg. »Doch, natürlich. Aber was ich geschrieben habe, ist die Wahrheit.«
Muller hielt ihm die Papierausgabe der Tribune entgegen. »Schauen Sie auf das Foto! Was sehen Sie?«
»Der Bürgermeister hält ein Glas Gin Tonic in der Hand.«
»Nein, was exakt sehen Sie?«
»Verdammter Mist. Ich sehe natürlich nur ein Glas mit einer durchsichtigen Flüssigkeit.«
»Der Mayor hat abgestritten, dass es Alkohol war. Noch dazu auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung, bei der wichtige Wirtschaftsvertreter und Prominente Geld für die Opfer der Giftgasanschläge gesammelt haben.«
»Sie haben für die Angehörigen gesammelt. Die Opfer sind tot«, brummte Jake. »Und es war ein Festfressen zum Abschied des Bürgermeisters in den Urlaub und keine Wohltätigkeitsveranstaltung.«
»Taiker!« Muller nannte ihn plötzlich beim Nachnamen. »Lenken Sie nicht ab! Sie können nicht beweisen, dass in dem Glas tatsächlich Alkohol war und kein Wasser. Selbst wenn Sie davon gekostet oder eine Probe mitgebracht hätten, könnten Sie das nicht beweisen. Der Bürgermeister hat übrigens behauptet, er habe eine Kopfschmerztablette genommen und sich ein Glas Wasser bringen lassen. Auf der Veranstaltung wurden keine harten Sachen ausgeschenkt. Nur Sekt. Wie wollen Sie also diese Bildzeile unter dem Foto erklären?«
»Chef, wem glauben Sie mehr?«
Muller lächelte gerissen. »Nun, der Skandal wird unsere Auflage hoffentlich ein wenig steigern. Das haben wir auch bitter nötig. Seit die Mayor Times …«
»… was an sich schon eine Beleidigung ist.«
»Was meinen Sie?«
»… sie Times zu nennen. Die Mayor-Ausgabe ist ein Schmierenblatt und keine Zeitung. Sich auf eine Stufe mit den Großen zu stellen ist eine Unverschämtheit.«
Muller nickte. »Seit letztes Jahr die Mayor-Printausgabe herausgekommen ist und jede Wochenendausgabe verschenkt, rutschen unsere Verkaufszahlen immer tiefer in den Keller. Die Kritik an Mayor Hix wird uns wieder ins Gespräch bringen. Das ist die gute Nachricht. Aber wir müssen das trotzdem bereinigen. Jake, Sie müssen das sofort berichtigen. Einen Prozess würden wir verlieren. Also schreiben Sie, Sie hätten sich geirrt.«
»Hat Hix das verlangt?«
»Was glauben Sie denn? Direkt nach der Wohltätigkeitsveranstaltung musste er einen wichtigen Wirtschaftsausschuss leiten. Was sollen die Bürger von ihm denken? Ein betrunkener Mayor macht Politik? Keine andere Zeitung hat das beobachtet, geschweige denn geschrieben, was Sie behauptet haben. Wir haben keine Wahl.«
»Jeder weiß, dass Hix ein Alkoholproblem hat.« Jake grinste zaghaft. »Sein Name ist Programm: Hix.«
Muller legte energisch die Hand auf die Zeitung. »Schluss jetzt, in zehn Minuten ist die Bildzeile im Netz korrigiert. Und in der Ausgabe von morgen drucken wir eine Richtigstellung samt Entschuldigung für den bedauerlichen Fehler.«
»Wurden deshalb unsere Räume durchsucht? Wegen eines Glases Gin Tonic?«
Muller schüttelte den Kopf. Sein Gesicht sah plötzlich tieftraurig aus. Seine Mundwinkel zeigten nach unten. Er nahm die randlose, teure Brille von der Nase und betrachtete ausgiebig die Gläser. »Sie haben Ben Deetro mitgenommen. Der Junge soll Kontakt zu Aufständischen gehabt haben.«
»Das stimmt doch nicht.«
»Keine Ahnung. Was wissen wir denn?«
Das Phone auf Mullers Schreibtisch brummte. Er nahm es in die Hand und schaltete es stumm. Dann sah er wieder hoch. »Ben kann mit jedem geredet haben. Das steht ihm frei als Journalist. Das heißt aber nicht, dass er irgendwelche privaten Kontakte zu Kriminellen hat. Und nun beeilen Sie sich mit der Korrektur der Bildzeile im Netz! Damit wir das von der Bildfläche haben.«
»Warum lassen Sie Hix keine Gegendarstellung schreiben? Dann ist es wenigstens kein Schuldeingeständnis von uns.«
»Hören Sie endlich auf zu diskutieren! Ich muss mich um den Jungen kümmern und ihm einen Anwalt schicken.«
»Aber ich entschuldige mich nicht bei Hix.«
»Doch, das werden Sie tun. Wir schreiben nur, was wir beweisen können.«
Ungläubig blickte Jake in Mullers Gesicht und sah die Lüge darin. Als er sich erhob, spürte er den Boden wanken. Die New York Tribune war immer eine Institution gewesen, nicht nur für ihn. Jetzt war sie zur Hure der Politik verkommen und ließ sich den Mund verbieten aus Angst vor einem Prozess. Die Tür schlug hinter ihm zu.
Während er auf den Fahrstuhl wartete, blickte er durch die Panoramascheiben auf die Lichter der Stadt. Das Schneetreiben war in der Zwischenzeit dichter geworden. Jake seufzte. Seine Gesundheit war im Arsch, die Welt ging einer kollektiven Eiszeit entgegen, und alles, wofür er bisher gearbeitet und gelebt hatte, gefror zu einem illusorischen Standbild der Vergangenheit. Korrekturen der offensichtlichen Wahrheit, nur weil ein Bürgermeister das so wollte! Fuck. Was, wenn schon bald etwas viel Wichtigeres auf dem Spiel stand als die Sucht und das Image eines Politikers? Was, wenn das, was Robert Lillham angedeutet hatte, stimmte? Wenn es diese Verschwörung gab? In den Reihen der Mächtigen …
Gehetzt schaute Jake auf die Uhr. Ihm blieb nicht einmal die Zeit, um über all das in Ruhe nachzudenken. Die Bildzeile im Netz musste korrigiert und die Meldung für die morgige Printausgabe geschrieben werden. Dann brauchte er dringend eine Kleinigkeit zu essen. In drei Stunden war der Termin bei der Dialyse. Und um Mitternacht musste er am Flughafen sein. Max war schließlich noch ein Kind, Jake durfte auf keinen Fall zu spät kommen.
Catskill Mountains:
Der Wind fegte in Böen über die Catskill Mountains und trieb dicke Schneeflocken bis tief in die Täler. Auf den vereisten Seen bildete sich eine dünne weiße Schicht. Robert Lillham schaltete fröstelnd die Motorsäge ab und legte sie ans Ufer. Seine Hände steckten in wasserfesten, grau gestreiften Arbeitshandschuhen. Er schob die Scholle unters Eis und betrachtete das frisch gesägte Loch. Wasser schwappte über seine Gummistiefel. Sein Collie Neptun stand am Ufer und biss kläffend in die tanzenden Schneeflocken.
»Dann wollen wir mal«, brummte Lillham und schulterte die Motorsäge. Was auch immer der Biologe Todt Peters im Wasser entdeckt hatte, er würde es herausbekommen. Wenn sich die Substanz bereits im Wasser befand, dann würde er sie entweder hier im See oder weiter unten an der Staumauer finden. Oder jemand fügte sie später hinzu, vielleicht sogar erst in der Kontrollstation. Auch das würde er herausfinden.
Mit Sorge dachte Lillham an die bevorstehende Eröffnung der Wartungsstation. Hatte der Unbekannte das Aquädukt gemeint? War der Anschlag dort geplant?
Lillham marschierte den schmalen Weg hinauf zu seiner Werkshalle. Vor der schweren Metalltür zog er die Handschuhe aus und tippte den Zahlencode ein. Die elektronische Sperre gab surrend die Tür frei. Mit klammen Fingern tastete Lillham nach dem Lichtregler. Neonlicht flutete die Halle mit den torpedoförmigen Fahrzeugen, Booten und Tauchgeräten. An einem Kran schaukelte ein komplett schwarzes U-Boot, dessen Außenhaut wie nasser Lack glänzte.
Der Erlkönig. Mein Lebenswerk. Heute wird sich zeigen, ob der Prototyp fertig für den Einsatz ist. Und nächstes Jahr revolutionieren wir die Tunnelinspektion.
Lillham warf die Handschuhe auf den Arbeitstisch und zog eine Fernbedienung von der Größe einer Streichholzschachtel aus der Innentasche seiner Winterjacke. Er schwenkte den Metallarm eines Krans und setzte das Tauchfahrzeug mithilfe der elektronischen Steuerung auf Schienen. Dann löste er den Hebearm und hakte das Tauchboot an einer Seilwinde fest.
»Neptun, du wartest hier. Ich bin in einer Stunde zurück«, sagte der Ingenieur zu seinem Collie und drückte einen Schalter. Das Rolltor am Ende der Schienen schob sich auf. Lillham betätigte die Mechanik, und das Tauchboot schob sich zum See hinab. Der Ingenieur drückte erneut auf die Fernbedienung. Das Tor schob sich langsam wieder zu. Neptun stand mit hängender Zunge ganz nah am Eingang und jaulte und scharrte mit den Pfoten auf dem Betonboden.
»Na gut, komm schon her«, rief Lillham nachgiebig. Der Collie schoss aus der Halle, während sich hinter ihm das Tor zuschob. »Warum habe ich dich wohl Neptun genannt, wenn ich dich nicht mitnehmen wollte«, sagte der Ingenieur zu seinem Hund und klopfte ihm auf den Rücken. »Unser Luftvorrat reicht für fünf Stunden aus, aber so lange werden wir nicht unterwegs sein. Ich bin mit Mary-Lee zum Dinner verabredet.«
Neptun sprang schwanzwedelnd an seinen Beinen hoch, als er ihren Namen hörte.
Mit der Fernbedienung öffnete Lillham die Einstiegsluke des Tauchboots und hob seinen Hund in die schmale Kabine. Dann hakte er den schwarz glänzenden Körper des Tauchboots aus und schob den Prototyp vorsichtig übers Eis ins schaukelnde Wasser. Der Ingenieur stieg hinterher und verschloss die Luke von innen. Seine Finger wanderten zur elektronischen Steuerkonsole. Per Fingertipp startete er den Antrieb. Lämpchen blinkten auf.
»So, unser erster Einsatz draußen, und dann noch im Winter«, brummte er und rieb sich aufgeregt die klammen Hände.
Kurz darauf navigierte er unter dem Eis entlang und steuerte im Zickzackkurs Richtung Stausee. Die Behörden müssen der Sache nachgehen, dachte er, während er in die Dunkelheit spähte und nach einer geheimnisvollen Wolke Ausschau hielt, die leuchtete … Er überprüfte die Anzeigen für Luft und Druck und seufzte zufrieden. Alles perfekt. Dann kontrollierte er seine Digitalkamera. Voll aufgeladen. Auch gut. Sogar die Verbindung zum Server funktionierte hier draußen im See. Lillham blinzelte durchs Sichtfenster nach oben. Über ihm wölbte sich schwach angestrahlt das Eis. Eine schattengraue, undurchdringliche Decke.
Lautlos glitt das Tauchboot darunter hinweg. Lillham lehnte sich entspannt zurück. Nichts zu sehen. Absolut nichts. Bis zur Hauptströmung des Sees, von der das Wasser weiter in den Stausee und zum Aquädukt floss, fand Lillham nichts, was auf eine Lumineszenz hinwies. Er war nur umgeben von der eisigen Stille des einsamen Gewässers im Winterschlaf, hier und da unterbrochen von einem Ast oder Zweig, der im Eis gefangen war und wie ein mahnender Finger in die Tiefe ragte.