Reiner Stach
Kafka
Die Jahre der Erkenntnis
Biographie
Fischer e-books
Reiner Stach, geboren 1951 in Rochlitz (Sachsen), arbeitete nach dem Studium der Philosophie, Literaturwissenschaft und Mathematik und anschließender Promotion zunächst als Wissenschaftslektor und Herausgeber von Sachbüchern. 1987 erschien seine Monographie ›Kafkas erotischer Mythos‹. 1999 gestaltete Stach die Ausstellung ›Kafkas Braut‹, in der er den Nachlass Felice Bauers präsentierte, den er in den USA entdeckt hatte. Die Ausstellung wurde unter anderem in Frankfurt, Wien und Prag gezeigt.
»Erstaunlich: Es gibt keine deutsche Kafka-Biographie. Erstaunlicher: Hier ist sie. Am erstaunlichsten: Sie ist großartig«, schrieb ›Die Zeit‹ bei Erscheinen des ersten Bandes von Reiner Stachs monumentalem Werk zum Leben von Franz Kafka. Der 2002 publizierte Band ›‚Kafka. Die Jahre der Entscheidungen‹ übte auf zahlreiche Leser eine sogartige Wirkung aus. Vor allem der Wechsel zwischen essayistischen und literarischen Passagen, die szenische Vergegenwärtigung, die bisweilen an die Erzählformen des Films erinnert, führt sehr nahe an Kafkas private Existenz und eröffnet zugleich das Panorama seiner Zeit.
Zum Kafka-Jubiläum 2008 – am 3. Juli jährt sich sein Geburtstag zum 125. Male – erscheint der Fortsetzungsband ›Kafka. Die Jahre der Erkenntnis‹, der die Jahre von 1916 bis zu Kafkas Tod 1924 behandelt — eine Zeit, in der Kafkas vertraute Welt unterging, politisch ebenso wie physisch. Er war nun deutscher Jude mit tschechischem Pass, und er litt an einer Krankheit, welche die seit Jahren erträumte literarische Existenz unmöglich machte. Beides steigerte seine Hellsicht: Für Kafka wurden es die Jahre der Erkenntnis.
Covergestaltung: hißmann, heilmann, hamburg
Foto: Archiv Klaus Wagenbach Verlag, Berlin
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2008
Hinweise zur Zitierfähigkeit dieser Ausgabe:
Textgrundlage dieser Ausgabe ist: Reiner Stach, Kafka. Die Jahre der Erkenntnis.
Frankfurt am Main, Fischer Taschenbuch Verlag, 2011. 1. Auflage.
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ISBN 978-3-10-401021-2
Zur Geschichte der immer aufwändiger gestalteten Kriegsausstellungen im Deutschen Reich, die für Österreich Vorbildfunktion hatten, vgl. Britta Lange, EINEN KRIEG AUSSTELLEN. DIE »DEUTSCHE KRIEGSAUSSTELLUNG« 1916 IN BERLIN, Berlin 2003.
Die tatsächliche Einzahlung der 2000 Kronen am 6.November 1915 ist nicht mit letzter Sicherheit nachweisbar. In den täglichen Listen, die von der Presse veröffentlicht wurden, erscheint jedoch für diesen letzten Zeichnungstag der 3. Kriegsanleihe der Vermerk: »Dr.K. 5000 K« (Prager Tagblatt, 7.November 1915, Morgen-Ausgabe, S.5). Es ist wahrscheinlich, dass es sich dabei um Kafka handelt: Zum einen wurde der Betrag bei der Böhmischen Eskompte-Bank gezeichnet, der deutschen Hausbank der Prager Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt. Zum anderen hatten bereits Kafkas Eltern 3000 Kronen in seinem Namen angelegt (wenngleich ohne sein Wissen, vgl. T 771), und in solchen Fällen wurde in den publizierten Namenslisten zumeist die Gesamtsumme genannt. Dass Kafka seinen vollen Namen in diesem Zusammenhang nicht gedruckt sehen wollte, ist selbstverständlich, wobei ihm wohl auch die Höhe der Summe ein wenig peinlich war. – Zum Vergleich: Kafkas Anwalt, der wohlhabende Dr.Robert Kafka, zeichnete am selben Tag 8000 Kronen, tags zuvor zeichneten Egon Erwin Kisch 2000 Kronen, die Zionisten Robert Weltsch und Hans Kohn je 500 Kronen.
Brief an Felice Bauer, vermutlich 3.Mai 1915 (B3 132 f.).
Cynthia Ozick, ›The Impossibility of Being Kafka‹, in: The New Yorker, 11.Januar 1999, S.80–87.
Brief an Felice Bauer, 31.Oktober 1912 (B2 201).
Max Brod an Kafka, 19.Januar 1921; Kafka an Max Brod, Ende Januar 1921. In: Max Brod/Franz Kafka, EINE FREUNDSCHAFT. BRIEFWECHSEL, Frankfurt am Main 1989, S.302, 310.
Briefe an Felice Bauer, 1./2.November 1914, 20.April 1915 und Anfang März 1916 (B3 106f., 129, 154).
Tagebuch, 4.Mai 1915 (T 743). – Die Abkürzung »E.« dürfte sich auf Kafkas Schwester Elli beziehen, mit der er etwa zehn Tage vor diesem Notat eine Reise nach Ungarn unternommen und bei dieser Gelegenheit wohl auch ausführlich von seinen Sorgen gesprochen hatte; siehe das Kapitel ›Ins Niemandsland‹, in: Reiner Stach, KAFKA. DIE JAHRE DER ENTSCHEIDUNGEN, Frankfurt am Main 2002, S.594ff.
P 48; Tagebuch, 3.August 1914 (T 544).
Julie Kafka an Anna Bauer, 7.August 1914, in: Franz Kafka, Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit, hrsg. von Erich Heller und Jürgen Born, Frankfurt am Main 1967, S.613f.
Ein Begriff aus Kafkas Brief an Felice Bauer, 19.Oktober 1916 (B3 261).
Siehe das Kapitel ›Aus dem Leben der Metaphern: Die Verwandlung‹, in: Stach, KAFKA. DIE JAHRE DER ENTSCHEIDUNGEN, S.210ff.
Brief an Grete Bloch, 11.Juni 1914 (B3 85).
Postkarte an Ottla Kafka, Februar/März 1915 (B3 125).
NSF2 590f., 592. – Auch in dieser Passage findet sich eine aufschlussreiche Korrektur, die Kafka förmlich schwankend auf dem Gipfelpunkt der Reflexion zeigt: Statt »es macht mir aber eine unsagbare Freude, mehr noch, es beruhigt mich« schrieb er zunächst: »aber es macht mir eine unsagbare Freude, die freilich von Aufregungen genug getrübt ist«.
Brief an Grete Bloch, 15.Oktober 1914 (B3 104 f.). – Was Grete Bloch über Felice Bauer angedeutet hat, lässt sich aus den überlieferten Dokumenten nicht erschließen. Dass jedoch Kafka von einer Selbsttäuschung Felices spricht, die ihn unglücklich machen würde, lässt zumindest die Vermutung zu, dass hier von einem dauernden Verzicht auf Ehe und Familie die Rede war – für den Fall, dass der Kontakt zu Kafka endgültig abbrechen würde. Diese Absicht hatte Felice Bauer auch schon während einer mündlichen Auseinandersetzung mit Kafka geäußert, vgl. seinen Brief an Grete Bloch vom 2.März 1914 (B2 338).
Zu diesem manifesten Inhalt von Kafkas Brief an Grete Bloch, der Imagination eines inneren Gerichts, siehe Stach, KAFKA. DIE JAHRE DER ENTSCHEIDUNGEN, S.577ff.
Alle Zitate aus dem Tagebucheintrag vom 15.Oktober 1914 (T 678–680).
Brief an Felice Bauer, 18.Januar 1916 (B3 150 f.).
Tagebuch, 22.Februar, 13.März, 23.März, 27.April, 3.Mai, 14.Mai 1915 (T 728, 732, 733, 734, 742, 745).
Brief an Felice Bauer, 20.April 1915 (B3 129).
Tagebuch, 25.Februar 1915 (T 729).
Briefe an Felice Bauer, 26. und 27.Mai 1915 (B3 136, 137); Tagebuch, 27.Mai 1915 (T 745).
Brief an Felice Bauer, 9.August 1915 (B3 140).
T App 44.
Siehe den Briefwechsel Brods mit Hans-Joachim Schoeps, wo der postalische Versand von Kafka-Manuskripten mehrfach erwähnt wird; in: Julius H. Schoeps (Hrsg.), IM STREIT UM KAFKA UND DAS JUDENTUM, Königstein/Ts. 1985. – 1935 verschenkte Brod ein Manuskriptblatt des VERSCHOLLENEN, dessen leere Rückseite er mit einer eigenen Notiz versehen hatte, an Stefan Zweig; siehe V App 43.
Siehe Malcolm Pasley, ›Die Handschrift redet‹, in: Marbacher Magazin 52, Marbach am Neckar 1990.
Brief an Felice Bauer, vermutlich Mitte Februar 1916 (B3 152).
Carl Sternheim an Thea Sternheim, 15.August 1915, in: Carl Sternheim, BRIEFE II, hrsg. von Wolfgang Wendler, Darmstadt 1988, S.175.
Georg Heinrich Meyer an Max Brod, 7.Juli 1916; zitiert nach: Joachim Unseld, FRANZ KAFKA. EIN SCHRIFTSTELLERLEBEN. DIE GESCHICHTE SEINER VERÖFFENTLICHUNGEN, München/Wien 1982, S.131. – Max Brod an Kafka, 1.August 1919, in: Brod/Kafka, BRIEFWECHSEL, S.267. – Georg Heinrich Meyer an Franz Werfel, 28.Februar 1915; zitiert nach: Wolfram Göbel, DER KURT WOLFF VERLAG 1913–1930. EXPRESSIONISMUS ALS VERLEGERISCHE AUFGABE, München 2000, Sp. 715.
Zu den organisatorischen Verflechtungen zwischen den Weißen Blättern, dem Verlag der Weißen Bücher und dem Kurt Wolff Verlag siehe Stach, KAFKA. DIE JAHRE DER ENTSCHEIDUNGEN, S.460f. – Der Kontakt Schickeles zu Kafka wie auch zu Brod war offenbar abgerissen, da Schickele aus politischen Gründen in die Schweiz übersiedelte und in kurzer Frist mehrfach den Wohnort wechselte.
Georg Heinrich Meyer an Kafka, 11.Oktober 1915 (B3 739 f.). – Die beigelegte Karte Carl Sternheims ist nicht überliefert, und auch aus anderen biographischen Quellen lässt sich keinerlei Indiz dafür gewinnen, dass Sternheim sich mit Kafkas Werk auseinandergesetzt hätte. Ein Tagebucheintrag Thea Sternheims vom 3.März 1947 lässt sogar den Schluss zu, dass Sternheim auch ihr gegenüber weder zu Kafka noch zu den Umständen der Preisverleihung sich jemals äußerte.
Brief an René Schickele, 7.April 1915 (B3 128).
Brief an Georg Heinrich Meyer, 25.Oktober 1915 (B3 145).
Brief an Georg Heinrich Meyer, 15.Oktober 1915 (B3 142).
Brief an Georg Heinrich Meyer, 20.Oktober 1915 (B3 144).
Otto Stoessl an Kafka, wahrscheinlich 30.Januar 1913; zitiert nach einem Brief Kafkas an Felice Bauer, 31.Januar/1.Februar 1913 (B2 72).
Ein Beleg dafür – sowie die Spur von Kafkas abwehrender Reaktion – findet sich in einem Brief Brods an Kafka vom 18.Dezember 1917: »Werfel … findet, dass du der größte deutsche Dichter bist. Auch meine Ansicht seit langem, wie du weißt. Mit dem einzigen Verdacht, den du mich gegen so grelle Formulierungen gelehrt hast, der aber nicht aus meinem Herzen kommt.« (B3 782)
Franz Werfel an Franz Kafka, 10.November 1915 (B3 740 f.).
Die Preise lassen sich in heutige Währung nur sehr annäherungsweise umrechnen: ca. 55 Cent für ein Ei, 12 Euro für ein Pfund Butter und 20 Euro für ein Kilo Fleisch (bezogen auf die Kaufkraft im Jahr 2000).
Einen der kuriosesten Belege für diese Mentalität lieferte der einflussreiche Staatssekretär des deutschen Marineamtes, Großadmiral Alfred von Tirpitz, der noch im Jahr 1912 darauf bestand, Kriegsschiffe mit Rammspornen auszurüsten – obwohl längst offensichtlich war, dass künftige Seeschlachten mit Torpedos und schwerer Artillerie, das heißt über eine Entfernung von Kilometern ausgetragen würden.
Brief an Felice Bauer, 3.Mai 1915 (B3 133).
Antrag der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt an das k. u. k. Militärkommando in Prag, 10.Juni 1915; Bescheid des Militärkommandos vom 21.Juni 1915; siehe AS Mat 860–863.
Postkarte an Felice Bauer, wahrscheinlich 20.Juli 1915; Brief an Felice Bauer, 9.August 1915 (B3 138, 141).
Die Zahlen stammen aus dem überwiegend von Kafka verfassten, 1915 erschienenen BERICHT DER ARBEITER-UNFALL-VERSICHERUNGS-ANSTALT FÜR DAS KÖNIGREICH BÖHMEN IN PRAG ÜBER IHRE TÄTIGKEIT WÄHREND DER ZEIT VOM 1. JÄNNER BIS 31.DEZEMBER 1914 (AS 306–437).
Postkarte an Felice Bauer, 31.Mai 1916 (B3 166).
Postkarte an Felix Weltsch, 26.Juli 1915 (B3 138).
Tagebuch, 25.Dezember 1915 (T 775). – »Kündigen, kann ich jetzt nicht meiner Eltern und der Fabrik wegen«, schreibt Kafka. Vermutlich erwartete er, beim bevorstehenden Bankrott der Kafkaschen Asbestfabrik, deren Gesellschafter er war, als Schuldner haftbar gemacht zu werden. Hätte er 1915 gekündigt, das heißt auf ein regelmäßiges Einkommen verzichtet, so hätte er damit die Verantwortung den Eltern zugeschoben.
Kafkas entscheidendes Gespräch mit Marschner lässt sich annähernd rekonstruieren {628}aus einem Tagebucheintrag vom selben Tag (T 785 f.) sowie aus einem Brief an Felice Bauer (B3 159 ff.), der wahrscheinlich drei Tage später entstand. Beide Dokumente geben den Ablauf im Wesentlichen identisch wieder. Allerdings unterläuft Kafka im Tagebuch eine bemerkenswerte (und von ihm dann selbst bemerkte) Fehlleistung. Anstelle von »Bat […] um Aufhebung der Reklamation« schreibt er zunächst: »Bat […] um Reklamation« – mithin das Gegenteil.
Rainer Maria Rilke an Axel Juncker, 19.Oktober 1914. In: ders., BRIEFE ZUR POLITIK, hrsg. von Joachim W. Storck, Frankfurt am Main/Leipzig 1992, S.97f. Junckers Anfrage bezog sich auf die beiden von ihm geplanten Sammlungen NEUE KRIEGSLIEDER, die 1914/1915 ohne Rilkes Mitwirkung erschienen. – Konsequent hat dann Rilke auch einen Beitrag zum zweiten KRIEGS-ALMANACH des Insel-Verlags verweigert. Außerdem setzte er sich gegen die Aufführung einer Vertonung des CORNET zur Wehr, dessen propagandistischen Missbrauch er (zu Recht) fürchtete; vgl. seinen Brief an Kurt Stieler vom 15.Juni 1915, ebd., S.112f.
Rainer Maria Rilke an Helene von Nostitz, 12.Juli 1915, ebd., S.125f.; an Erica Yvette Hauptmann-von Scheel, 18.August 1915, ebd., S.134.
Stefan Zweig, DIE WELT VON GESTERN, Frankfurt am Main 1970, S.261f. Zu Zweigs Chauvinismus und zu seinem opportunistischen, selbst gegenüber dem Freund Romain Rolland politisch unaufrichtigen Verhalten siehe Hans-Albert Walter, DEUTSCHE EXILLITERATUR 1933–1950, Bd. 1.1, Stuttgart/Weimar 2003, S.520ff.; zu Zweigs Reaktion auf die Gräuel der ersten Kriegsmonate siehe Stach, KAFKA. DIE JAHRE DER ENTSCHEIDUNGEN, S.528f.
Hugo von Hofmannsthal/Richard Beer-Hofmann, BRIEFWECHSEL, hrsg. von Rudolf Hirsch und Eugene Weber, Frankfurt am Main 1972, S.134. Hofmannsthal, BRIEFWECHSEL MIT OTTONIE GRÄFIN DEGENFELD UND JULIE FREIFRAU VON WEDELSTADT, hrsg. von Marie Therese Miller-Degenfeld, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1986, S.314.
Tagebuch, 11.Mai 1916 (T 786).
Tatsächlich hat keiner der Betroffenen je einen solchen Wunsch geäußert. Der einzig bekannt gewordene Fall von Widerstand ist wiederum Rilke, der sich dem ›Heldenfrisieren‹ verweigerte. – Hofmannsthal hingegen schreckte nicht einmal davor zurück, Trakls Selbstmord angesichts des Grauens der Schlacht von Grodek zum Heldentod zu stilisieren, wider besseres Wissen, wie sich belegen lässt (vgl. Eberhard Sauermann, LITERARISCHE KRIEGSFÜRSORGE. ÖSTERREICHISCHE DICHTER UND PUBLIZISTEN IM ERSTEN WELTKRIEG, Wien/Köln/Weimar 2000, S.60 f.).
Zu Kafkas Reaktion auf den Beginn des Krieges siehe Stach, KAFKA. DIE JAHRE DER ENTSCHEIDUNGEN, S.530–535.
Ein signifikantes Beispiel für die Rückzugsgefechte der Zensur ist der {629}Artikel ›Die Wirkung der Gasbomben‹, den das Prager Tagblatt am 3.Juni 1915 brachte, am Tag von Kafkas Musterung. Anlässlich des ersten deutschen Chlorgasangriffs auf französische Truppen in Flandern (am 22.April) werden zwar die körperlichen Vergiftungssymptome realistisch geschildert, die durchaus beabsichtigte tödliche Massenwirkung der neuen Waffe wird jedoch verleugnet: Von lediglich drei Todesopfern ist die Rede, »darunter zwei tuberkulös veranlagte«. Wie viele Opfer der erfolgreiche deutsche Angriff tatsächlich forderte, ist bis heute ungeklärt.
Vgl. die Augenzeugenberichte in den Weißen Blättern, 2. Jg., Heft 3 (März 1915), S.269–284. Zu Kafkas Reise nach Sátoralja-Ujhely im April 1915 siehe das Schlusskapitel in: Stach, KAFKA. DIE JAHRE DER ENTSCHEIDUNGEN.
Auszüge aus einer Liste der »Verwendungsmöglichkeiten für Invalide«, in: Der Arbeitsnachweis. Zeitschrift für Arbeitslosigkeit, Arbeitsvermittlung, Auswanderung und innere Kolonisation, 9. Jg., Wien 1915, S.272–279.
Robert Marschner, DIE FÜRSORGE DER FRAUEN FÜR DIE HEIMKEHRENDEN KRIEGER, Sammlung gemeinnütziger Vorträge, hrsg. vom Deutschen Vereine zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse in Prag, Prag 1916, S.4.
Tagebuch, 11.Mai 1916 (T 786).
Brief an Ottla Kafka, Mai 1918 (B4 44).
›An die Leitung der Kanzlei der Staatlichen Landeszentrale für das Königreich Böhmen zur Fürsorge für heimkehrende Krieger‹, Tätigkeitsbericht der Prager Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für die Jahre 1917/1918 (AS Mat 752–759).
›Ein großer Plan der Kriegsfürsorge verlangt Verwirklichung. Gründung einer Nervenheilanstalt in Deutschböhmen‹, in: Rumburger Zeitung, 8.Oktober 1916 (AS 494–498). Der Artikel ist unterzeichnet von »Oberinspektor Eugen Pfohl«, jedoch mit Sicherheit verfasst von Kafka; siehe den zugehörigen Kommentar AS 894ff.
Über die angeblichen Erfolge Dr.Wieners berichtete die Prager Zeitung Bohemia unter dem Titel ›Wunderbare Heilungen. Der Stumme spricht, der Taube hört, der Lahme geht‹ (9.Oktober 1917, Morgen-Ausgabe). – Dass verschiedene Formen therapeutischer Folter auch in größerem Maßstab angewendet wurden – zum Beispiel im Wiener Garnisonsspital Nr. II, unter der Verantwortung von Julius Wagner-Jauregg, dem späteren Nobelpreisträger und nationalsozialistischen ›Rassehygieniker‹ –, hat Kafka vor 1917 wahrscheinlich noch nicht gewusst. Glaubwürdige Berichte darüber erschienen in der Tagespresse erst nach Kriegsende, nachdem ehemalige Patienten Anzeige erstattet hatten (Einzelheiten bei K. R. Eissler, FREUD UND WAGNER-JAUREGG VOR DER KOMMISSION ZUR {630}ERHEBUNG MILITÄRISCHER PFLICHTVERLETZUNGEN, Wien 1979). – In einigen Ländern des Deutschen Reichs, etwa in Bayern, wurde die ›Kaufmann-Kur‹ noch während des Krieges verboten.
AS 498–501; Kafka verfasste diesen Text Ende Oktober 1916.
Alle Zitate aus dem umfangreichen Artikel ›Helfet den Kriegsinvaliden! Ein dringender Aufruf an die Bevölkerung‹, in dem auch die Aufgaben und die ersten Erfolge der ›Staatlichen Landeszentrale‹ ausführlich dargestellt sind (AS 506–513); dieser Artikel erschien (ohne Nennung eines Autors) am 16.Dezember 1916 gleichzeitig im Prager Tagblatt und in der Bohemia. Wahrscheinlich ebenfalls von Kafka stammt ein weiterer, knapper und auffallend nüchterner Aufruf vom 10.Mai 1917, der in der Bohemia abgedruckt wurde (AS 513 f.).
Beilage zum Brief an Felice Bauer, 30.Oktober 1916 (B3 615 ff.).
Karl Dittrich, Eigentümer des Rumburger Sanatoriums und Textilfabrikant im benachbarten Schönlinde (Krásná Lípa), zählte ebenfalls zur Gründungsversammlung des Vereins und zu den Unterzeichnern von Kafkas Aufruf an die ›Volksgenossen‹. Auch die Tatsache, dass Kafkas aufrüttelnder Artikel über die ›Kriegszitterer‹ ausgerechnet in der Rumburger Zeitung publiziert wurde – Wochen vor Gründung des Vereins –, spricht dafür, dass man sich schon sehr früh auf das dortige Sanatorium festgelegt hatte.
Auf der zweiten Hauptversammlung des ›Deutschen Vereins‹ am 12.Mai 1918 wurde bekanntgegeben, dass das Vereinsvermögen, einschließlich staatlicher Subventionen, inzwischen 1,5 Millionen Kronen erreicht hatte, bei mehr als 1600 Mitgliedern. Inwieweit Kafka an diesem fortdauernden Erfolg noch Anteil hatte, ist ungewiss.
Österreichische Staatsbürger, die im Deutschen Reich ansässig waren, konnten von deutschen Militärbehörden vom Kriegsdienst enthoben werden, sofern sie eine kulturelle Tätigkeit »von öffentlichem deutschen Interesse« glaubhaft machten. Eine entsprechende Eingabe musste allerdings von dritter Seite erfolgen, etwa von einem deutschen Verlag oder einer Zeitungsredaktion. Ob Kafka von dieser Absprache zwischen den Mittelmächten je erfahren hat, ist unklar. »1912 hätte ich wegfahren sollen«, schreibt er am 21.Dezember 1915 an Felice Bauer, ohne weiteren Kommentar (B3 148).
Tagebuch, 5.Oktober 1915 (T 769).
Postkarte an Felice Bauer, 27.Mai 1915; Brief an Felice Bauer, 9.August 1915 (B3 137, 141).
Postkarte an Felice Bauer, 14.April 1916 (B3 156).
›Was empfindet man beim Bajonettkampf? Psychologisches von der Front‹, Prager Tagblatt, 8.Mai 1915, Morgen-Ausgabe, S.4.
Die Schaubühne, 1.Juli 1915, S.26. Es handelt sich um ein Zitat aus den Süddeutschen Monatsheften vom Juni 1915.
Albert Anzenbacher an Kafka, 17.April 1915 (B3 738). – Anzenbacher, der einzige Kollege, dem Kafka das ›Du‹ angeboten hatte, wurde 1916 bei Przemyśl von einem russischen Bajonett durchbohrt.
Brief an Felice Bauer, 8.-16.Juni 1913 (B2 210).
Brief an Felice Bauer, 11.Februar 1915 (B3 120).
Brief der Staatlichen Landeszentrale zur Fürsorge für heimkehrende Krieger in Prag an das Polizeipräsidium, 9.Oktober 1918; Telegramm des Polizeipräsidiums an die auswärtigen Kommissariate, 16.Oktober 1918; Brief des Polizeipräsidiums an die Prager Statthalterei, 22.Oktober 1918 (AS Mat 864 f.).
Tagebuch, 3.November 1915 und 2.Juni 1916 (T 769, 787).
Tagebuch, 13.September 1915 (T 751).
Tagebuch, 21.November und 25.Dezember 1915 (T 774 f.). Die beiden Einträge folgen unmittelbar aufeinander.
Siehe die kollektive Postkarte an Egon Erwin Kisch vom 28.Dezember 1915, die neben Kafka auch Max und Elsa Brod, Franz Werfel sowie Heinrich Mann und dessen Ehefrau Mimi unterzeichneten (B3 149). Wahrscheinlich gab es weitere derartige Zusammenkünfte, denn Heinrich Mann hielt sich noch länger in Prag auf. Am 11.Januar trug er im Palace Hotel seinen Essay ZOLA sowie die Novelle DIE UNSCHULDIGE vor, wobei gewiss auch Kafka anwesend war.
Kafkas Korrespondenz mit Ernst Weiß ist verschollen. Erhalten blieb jedoch ein Exemplar der VERWANDLUNG mit Kafkas handschriftlicher Widmung »Meinem lieben Ernst 20/XII 15 Franz« sowie dem Besitzvermerk »Ernst Weiß«.
Hans Sahl, Erinnerungen an Ernst Weiß, in: Weiß-Blätter, Nr. 2 (August 1973), S.4.
Postkarten an Felice Bauer, 19.April und 11.Mai 1916 (B3 156, 159).
Ernst Weiß an Rahel Sanzara, 27.Juni 1916 und 10.Januar 1917 (Deutsches Literaturarchiv, Marbach).
Soma Morgenstern, Brief an Peter Engel vom 22.April 1975, in: ders., KRITIKEN, BERICHTE, TAGEBÜCHER, hrsg. von Ingolf Schulte, Lüneburg 2001, S.564f. – Ernst Weiß, ›Bemerkungen zu den Tagebüchern und Briefen Franz Kafkas‹, in: Mass und Wert, 1 (1937/38), S.319–325; wiederabgedruckt in: FRANZ KAFKA. KRITIK UND REZEPTION 1924–1938, hrsg. von Jürgen Born, Frankfurt am Main 1983, S.439–451, hier S.443. In Weiß’ Aufsatz finden sich noch weitere, immer wieder auf Kafkas Selbstbezüglichkeit abzielende kritische Urteile.
In einem Brief an Milena Pollak vom 10.Juni 1920 (B4 169).
Brief an Felice Bauer, 28.Mai 1916 (B3 164).
Unter diesem (weitaus bekannteren) Titel erschien der überarbeitete Roman im Jahr 1919 wiederum bei S. Fischer. Mindestens ebenso bedeutsam wie der Einfluss Kafkas war bei der Neubestimmung des Titels allerdings das Bestreben, militärische Assoziationen möglichst auszuschließen – davon hatten die meisten Leser vorläufig genug.
Brief an Felice Bauer, 9.August 1915 (B3 139 f.). – Kafkas Bemerkung, das an dritter Stelle aufgeführte Leid sei »sogar schon gedruckt«, bezieht sich auf das Prosastück DAS UNGLÜCK DES JUNGGESELLEN, abgedruckt in dem Band BETRACHTUNG.
Briefe an Felice Bauer, 5. und 26.Dezember 1915, 18.Januar und Anfang März 1916 (B3 146f., 148, 150, 154). – Das Telegramm vom 6.April 1916 (B3 155) ist die Antwort auf den Vorschlag Felice Bauers, bei Brods Schwester Sophie Friedmann in Waldenburg (Bezirk Breslau) zusammenzutreffen, nur wenige Kilometer entfernt von der böhmischen Grenze. In Kafkas Polizeiakte findet sich für den fraglichen Zeitraum jedoch kein Antrag auf einen Reisepass.
Auch der befremdliche, hier aber natürlich entscheidende Begriff ›Übergenuß‹ ist offenbar keine Erfindung Doderers, sondern einer österreichischen Verordnung entlehnt. Doderer zitiert diese Vorlage in seinem Roman DIE ERLEUCHTETEN FENSTER ODER DIE MENSCHWERDUNG DES AMTSRATES JULIUS ZIHAL: »Erwächst für einen Beamten (Diener), dessen Aktivitätszulage vierteljährlich flüssig gemacht wurde, während des Vierteljahres der Anspruch auf eine höhere Aktivitätszulage, so ist dieser bei der nächsten Liquidierung des Gehaltes zu berücksichtigen. Dagegen ist ein allfälliger den Beamten (Diener) treffender Rückersatz in ebenso vielen Monatsraten hereinzubringen, als ein Übergenuß stattgefunden hat.« (München 1995, S.37)
Vgl. die Postkarte an Felice Bauer vom 19.April 1916 (B3 156). Als Therapie schlug der Neurologe ausgerechnet ›Elektrisieren‹ vor, was Kafka schriftlich zurückwies. Zwei Wochen zuvor, am 3.April, hatte Ottla an ihren Geliebten Josef David geschrieben: »Es geht ihm wirklich nicht gut, und ich muss manchmal Geduld mit ihm haben.«
Postkarte an Felice Bauer, 15.Mai 1916 (B3 161); Brief an Felice Bauer, 28.Mai 1916 (B3 163).
Brief an Felice Bauer, 28.Mai 1916 (B3 164).
Zwei Postkarten an Felice Bauer, 31.Mai 1916 (B3 165 f.).
Die Heirat eines Cousins, des Rechtsanwalts Dr.Robert Kafka, mit Elsa Robitschek. Dass Kafka nicht sonderlich beteiligt war, lässt auch seine Postkarte an Max Brod vom 5.Juli vermuten, wo kurioserweise von der »Hochzeit des Schwagers« die Rede ist (B3 168).
Siehe den Tagebucheintrag vom 19.April 1916 (T 777). – Wenige Tage später beginnt Kafka eine Geschichte, deren kindliche Protagonisten {633}gewaltsam durch eine Tür gezerrt werden (das ›Hans und Amalia‹-Fragment, T 780–784).
Tagebuch, 3.Juli 1916 (T 790).
Tagebuch, 5. und 6.Juli 1916 (T 791 f.). – Die Worte »Arme Felice« durch Querstrich abgetrennt, also wohl später hinzugefügt.
Zwei Postkarten an Max Brod, 8.Juli 1916 (B3 169).
Brief an Max Brod, 12.–14.Juli 1916 (B3 172 f.).
Tagebuch, wahrscheinlich 10.Juli 1916 (T 795). – Kafkas Sorge um Diskretion erhellt aus seinem Schlusssatz an Brod: »Dieser Brief kann Felix [Weltsch] natürlich gezeigt werden, aber Frauen gar nicht.«
Es handelt sich um einen von Kafkas Gesprächszetteln (siehe das Kapitel ›Letztes Leid‹): »Sie war nicht schön, aber schlank, edler Körper, den hat sie nach Berichten (Schwester von Max, ihre Freundin) behalten.« (Kafka, BRIEFE 1902–1924, Frankfurt am Main 1975, S.491)
Brief an Max Brod, 12.–14.Juli 1916 (B3 174). – Die Spur der alten Konflikte mit Felice Bauer zeigt sich in mehrfach erwähnten »Verdunkelungen« des Zusammenseins sowie in einer späteren Bemerkung gegenüber Felice, er sei in Marienbad einen ihrer »alten Wege« gegangen, die »Trotz- und Geheimnis-Promenade« – eine Anspielung auf die beiden hauptsächlichen Vorwürfe, die sich 1914 gegen Kafka gerichtet hatten und die in Marienbad offenbar aufs Neue besprochen wurden.
Tagebuch, 29.Januar 1922 (T 896 f.).
Brief an Felice Bauer, vermutlich Mitte Februar 1916 (B3 152).
Dass es sich im Wesentlichen um Propaganda und nicht etwa um Pietät handelte, ist aus den Quellen klar zu belegen. Tatsächlich bemühten sich die Regierungen der Mittelmächte, jene fortwährend beklagte ›Vergnügungssucht‹ in den Dienst des Krieges selbst zu stellen, um dessen katastrophischen Charakter zu verschleiern. So wurde auf der großen Wiener Kriegsausstellung, die bereits am ersten Wochenende 60 000 Menschen anzog (es war der 2.Juli 1916, der Tag, an dem Kafka nach Marienbad reiste), ein eigenes Kino betrieben. Im Hauptprogramm: Wien im Krieg. Vier lustige Akte. – Auch Kriegsspielzeug gehörte in diesen Kontext: Das Kriegsfürsorgeamt Prag verkaufte eine Zeitlang das Geduldsspiel ›Russentod‹ für 3,60 Kronen. Und bereits 1915 veröffentlichte das Kriegshilfsbüro des Wiener Innenministeriums WIR SPIELEN WELTKRIEG! EIN ZEITGEMÄSSES BILDERBUCH FÜR UNSERE KLEINEN, »zugunsten des Roten Kreuzes, des Kriegsfürsorgeamts und des Kriegshilfsbüros«.
An Felice Bauer, 20.Juli 1916 (B3 184 f.).
Postkarte an Felice Bauer, 18.Juli 1916 (B3 182).
Brief an Felice Bauer, 20./21.Januar 1913 (B2 51).
Max Brod, FRANZ KAFKA. EINE BIOGRAPHIE, in: ders., ÜBER FRANZ KAFKA, Frankfurt am Main 1974, S.137. – Sehr ähnlich die Reaktion Werfels, der ebenfalls mit Langer (ein »Psychopath«) nach Žižkov pilgerte und die dort wahrgenommene »Unempfindlichkeit gegen Schmutz« als geistig kompromittierend empfand; vgl. Werfels Tagebuchnotate in: ZWISCHEN OBEN UND UNTEN, 2. Aufl., München/Wien 1975, S.696f.
Tagebuch, 14.September 1915 (T 752).
Auch im ungarischen Sátoralja-Ujhely, wo sich Kafka im April 1915 kurzfristig aufhielt, gab es einen solchen überregional einflussreichen chassidischen Hof. Die Tagebuchnotizen lassen jedoch nicht erkennen, ob er davon wusste.
Brief an Max Brod, 17.–18.Juli 1916 (B3 180).
Julius Elias, ›Marienbad‹, in: Berliner Tageblatt, 20.Juli 1916, Abend-Ausgabe, S.2.
Bereits am 6.Februar 1916 war in der zionistischen Selbstwehr ein von Abraham Kohane verfasster polemischer Artikel erschienen, der sich ausdrücklich gegen den Rabbi von Belz richtete und dessen Regime als korrupt darstellte.
Postkarten an Felice Bauer, 20., 26., 16.Juli 1916 (B3 185, 189, 176).
Postkarten an Felice Bauer, 18. und 25.August 1916 (B3 204, 212).
Schon einige Jahre zuvor hatte Kafka davon erzählt, dass ihn Feigls Äußerungen zur Kunst recht wenig, sein Leben aber umso mehr interessierte: »Ich aber wollte […] nur davon immer wieder hören, dass er seit einem Jahr verheiratet ist, glücklich lebt, den ganzen Tag arbeitet, 2 Zimmer in einem Gartenhaus in Wilmersdorf bewohnt und andere solche Dinge, die den Neid und die Kräfte wecken.« (Brief an Felice Bauer, 28.November 1912; B1 282)
Brief an Felice Bauer, 12.September 1916 (B3 222).
Siehe die Postkarte an Felice Bauer, 5.August 1916 (B3 195).
Postkarte an Felice Bauer, 2.August 1916 (B3 194).
Brief an Felice Bauer, 12.September 1916 (B3 222–224).
Siegfried Lehmann, ›Die Stellung der westjüdischen Jugend zum Volke‹, in: Der Jude, 4. Jg., H. 5 (1919), S.207–215, hier S.211.
Brief an Felice Bauer, 11.September 1916 (B3 219).
Über das Berliner Volksheim schrieb Lehmann rückblickend: »das große Erlebnis, im engen Zusammenleben mit dem Volk wieder das Volk als Kraftquelle für das eigene Leben zu empfinden, blieb aus; musste ausbleiben, weil die Teile des jüdischen Volkes, die ihre Heimat verlassen und sich in den europäischen Städten eine neue Existenz suchen, eben {635}nicht mehr Volk sind. Es sind abgestorbene Teilchen, die ihre Nahrung nicht mehr vom Volkskörper empfangen und daher nicht geeignet sind, das große Erlebnis ›Volk‹ den Suchenden zu vermitteln.« (›Von der Straßenhorde zur Gemeinschaft‹, in: Der Jude, 2. Sonderheft, 1926, S.22–36, hier S.23). – Lehmann ging 1920 nach Litauen, um in Kowno ein Kinderheim für rückkehrende jüdische Flüchtlinge zu errichten. 1927 gründete er in Palästina das Kinderdorf Ben Shemen bei Lod.
Vgl. Gustav Landauer, ›Christlich und christlich, jüdisch und jüdisch‹, in: Der Jude, 1. Jg., H. 12 (März 1917), S.851f.
Briefe an Felice Bauer, 11. und 16.September 1916 (B3 220, 227). – Gerhart Hauptmanns Roman DER NARR IN CHRISTO EMANUEL QUINT war ebenfalls ein Geschenk Kafkas: zu Felice Bauers 28. Geburtstag im November 1915. – Der Student Abraham Grünberg war als Kriegsflüchtling von Krakau nach Prag gekommen und hatte sich hier der zionistischen Szene angeschlossen; siehe den Tagebucheintrag vom 6.November 1915 (T 772 f.). Seine schmale, im Selbstverlag erschienene Schrift EIN JÜDISCH-POLNISCH-RUSSISCHES JUBILÄUM. (DER GROSSE POGROM VON SIEDLCE IM JAHRE 1906) überreichte Grünberg im November 1916 an Kafka: »Dem geehrten Herrn Dr.u. Schriftsteller Franz Kafka … «
Tagebuch, 8.Januar 1914 (T 622).
Selbstwehr, 9. Jg., H. 34 (7.September 1915), S.2f.
Martin Buber an Kafka, 22.November 1915 (B3 741); Brief an Martin Buber, 29.November 1915 (B3 146).
Max Brod an Martin Buber, 9.Mai 1916, in: Martin Buber, BRIEFWECHSEL AUS SIEBEN JAHRZEHNTEN, hrsg. von Grete Schaeder, Heidelberg 1972, Bd. 1, S.433.
Max Brod an Martin Buber, 21.Juni 1916 (Abschrift im Max Brod-Archiv, Tel Aviv). – ›Unsere Literaten und die Gemeinschaft‹ erschien im Oktober 1916 in: Der Jude, 1. Jg., H. 7, S.457–464; Brods Äußerungen zu Kafka hier S.463f.
Buber hatte Brods Vorschlag zunächst zugestimmt, seine Meinung jedoch geändert, nachdem er Kafkas Text gelesen hatte. Sein Absagebrief ist nicht erhalten; Kafka empfand ihn zunächst als »ehrenvoller … als eine gewöhnliche Annahme hätte sein können« (Postkarte an Felice Bauer, 23.September 1916; B3 232). – Die enge Beziehung des TRAUMS zum PROCESS-Fragment, die Kafka durch den identischen Namen des Protagonisten ›Josef K.‹ herstellte, war Brod natürlich bekannt, musste Buber jedoch entgehen, ebenso wie den Lesern der jüdischen Anthologie, die am 15.Dezember 1916 erschien, und des Prager Tagblatts vom 6.Januar 1917. (Fast gleichzeitig erschien EIN TRAUM auch noch im ALMANACH DER NEUEN JUGEND AUF DAS JAHR 1917, Verlag Neue Jugend, Berlin, unter der Federführung von Wieland Herzfelde.)
Brief an Felice Bauer, 7.Oktober 1916 (B3 250). – Kafka bezieht sich {636}auf die Sammelbesprechung ›Phantasie‹ von Robert Müller im Oktoberheft der Neuen Rundschau, in der es über DIE VERWANDLUNG heißt: »es gefällt als geistreiches, fleißig und lückenlos überdachtes Spiel, aber die Zumutung ist zu groß […] Die sonst absichtslose Erzählerkunst Kafkas, die etwas Urdeutsches, rühmlich Artiges, im Erzählenden Meistersingerliches besitzt, wird durch die hypothetische Flicke auf ihrem schönen Sachgewande deformiert.«
M. G., ›Rasende Motore‹, in: Deutsche Montags-Zeitung, 20.November 1916.
Das Tagebuch, Berlin, 11. Jg., H. 18 (3.Mai 1930), S.726.
Max Brod an Martin Buber, 21.Juni 1916 (Abschrift im Max Brod-Archiv, Tel Aviv).
Max Brod an Martin Buber, 20.Januar 1917, in: Buber, BRIEFWECHSEL, Bd. 1, S.461.
Brief an Max Brod, Ende Juni 1921, in: Brod/Kafka, EINE FREUNDSCHAFT. BRIEFWECHSEL, S.356–360. Brods unmittelbarer Antwortbrief vom 4.Juli 1921 ist erhalten (ebd., S.362–364), enthält jedoch keinerlei Kommentar zu Kafkas ungewöhnlich ausführlichen und zugespitzten sprachkritischen Äußerungen. Später hat Brod allerdings erleben müssen, wie leicht sich derartige zionistische Denkfiguren in den Dienst der nationalsozialistischen Kulturpolitik stellen ließen. In seiner Monographie FRANZ KAFKAS GLAUBEN UND LEHRE spricht Brod darum zurückhaltend von Kafkas »Radikalismus, der meiner Meinung nach unrichtig ist« (S.274).
›Jüdische Volksarbeit‹, in: Der Jude, 1. Jg., H. 2, S.104–111, hier S.106. Dieses Leitbild übernahm Lehmann ausdrücklich der Praxis der englischen und amerikanischen Settlement-Bewegung.
Felice Bauer hatte das Kapitel ›Ethische Gesichtspunkte für verschiedene Lehrfächer‹ zu referieren (in: Friedrich Wilhelm Foerster, JUGENDLEHRE. EIN BUCH FÜR ELTERN, LEHRER UND GEISTLICHE, 71.–75. Tausend, Berlin 1915, S.49–83). Kafkas Referat findet sich in seinem Brief vom 25.September 1916 (B3 233 ff.). – Von ›völkischen Werten‹, geschweige von einer ›jüdisch-nationalen‹ Erziehung ist bei dem christlich orientierten Foerster keine Rede. Dennoch habe man dieses Werk zur pädagogischen Ausbildung der Helfer gewählt, schreibt Siegfried Lehmann, »da es an einem auf jüdischer Ethik aufgebauten pädagogischen Werke fehlt« (DAS JÜDISCHE VOLKSHEIM BERLIN. ERSTER BERICHT. MAI–DEZEMBER 1916, Berlin 1916, S.15)
Brieffragment von Felice Bauer an Kafka, vermutlich Oktober 1916 (B3 742). Auf demselben Blatt bezeichnet sie sich als »einzige Nichtzionistin« des Mädchenklubs. – Eine unmittelbare Antwort Kafkas auf diesen Brief ist nicht überliefert.
Scholems Haltung gegenüber dem Volksheim lässt sich aus seinen frühen {637}TAGEBÜCHERN recht genau rekonstruieren (1. Halbband 1913–1917, hrsg. von Karlfried Gründer und Friedrich Niewöhner, Frankfurt am Main 1995; siehe insb. S.262 f.); außerdem berichtet er davon in seinen Jugenderinnerungen VON BERLIN NACH JERUSALEM, Frankfurt am Main 1997, S.83ff. – Eine Antwort auf Scholems aggressive Kritik findet sich in Lehmanns ›Nachwort‹ zu seinem ERSTEN BERICHT über die Arbeit des Volksheims, in dem der Begriff ›Zionismus‹ nicht vorkommt, hingegen auffallend oft von nichtjüdischer Kunst und Literatur die Rede ist. Lehmann spricht von »andersartigen Werten«, »die, von Europa ihm geschenkt, auf jüdischen Boden fielen, vom jüdischen Geist aufgenommen und verarbeitet wurden und ebenfalls wahrhaft geeignet sind, bei der Erziehung zum jüdischen Menschentum mitzuwirken. Erscheint uns doch die Auffassung jener Juden, die sich so tief in den Schatten ihrer eigenen Volksindividualität stellen, dass sie die Sonne, die doch über die ganze Menschheit scheint, nicht sehen, ganz unjüdisch. […] Im Gegensatz zu anderen Nationalisten empfinden wir es nicht als schmerzlich, wenn die Stimme des Geistes die Stimme des Blutes übertönt.« (S.17 f.)
Brief an Felice Bauer, 22.September 1916 (B3 231).
Zitiert im Brief an Felice Bauer, 12.Oktober 1916 (B3 255). – Bezeugt ist, dass es auch zu persönlichen Bindungen an diese Kinder kam und dass sich in mindestens einem Fall sogar eine lebenslange Freundschaft entwickelte. Als Felice Bauer im Oktober 1960 nahe New York zu Grabe getragen wurde, war auch Trude Bornstein anwesend, ehemals ›Schülerin‹ im Berliner Volksheim (Mitteilung von Henry F. Marasse).
Der Brief Siegfried Wolffs datiert vom 10.April 1917 (B3 744), eine Antwort Kafkas ist nicht überliefert. Angaben zu Wolff nach Jochen Meyer, ›Diese Suppe hat ihm Kafka eingebrockt‹, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.Juli 2006, S.53. – Ein weiteres Kuriosum: Kafka hat sich Ende 1917 aus unbekannten Gründen die Adresse der Bestseller-Autorin Hedwig Courths-Mahler notiert (Berlin-Charlottenburg, Knesebeckstraße 12), wahrscheinlich ohne zu bemerken, dass der Leserbriefschreiber Siegfried Wolff im selben Haus lebte.
Zitiert im Brief an Felice Bauer, 6./7.März 1913 (B2 124). Vermutlich handelte es sich um den damals 18-jährigen Prager Schriftsteller Hans (Jan) Gerke, der auch bei Oskar Baum verkehrte.
Oskar Walzel, ›Logik im Wunderbaren‹, in: Berliner Tageblatt, 6.Juli 1916. Walzels Besprechung von DER HEIZER und DIE VERWANDLUNG gefiel Kafka derart, dass er sogar erwog, dem Verfasser brieflich zu {638}danken. Georg Heinrich Meyer, der Geschäftsführer des Kurt Wolff Verlags, schrieb sofort an Brod, den Aufsatz Walzels »müsste man für Kafka ausnutzen« (7.Juli 1916; Max Brod-Archiv, Tel Aviv).
Postkarte an Felice Bauer, 19.September 1916 (B3 230).
Brief an Kurt Wolff, 11.Oktober 1916 (B3 253 f.). Zu Wolffs Buchreihe ›Der jüngste Tag‹, in der dann einen Monat später DAS URTEIL erschien, siehe Stach, KAFKA. DIE JAHRE DER ENTSCHEIDUNGEN, S.375ff.
Postkarte an Felice Bauer, 3.November 1916 (B3 272).
Ankündigung in den Münchener Neuesten Nachrichten und in der Münchener Zeitung, 7.November 1916.
Max Pulver, ERINNERUNGEN AN EINE EUROPÄISCHE ZEIT, Zürich 1953, S.52f. Der vollständige Abschnitt zu Kafkas Lesung ist wiederabgedruckt in: Hans-Gerd Koch (Hrsg.), »ALS KAFKA MIR ENTGEGENKAM … «, erweiterte Neuausgabe, Berlin 2005, S.141ff.
So behauptet Pulver, Kafka habe mit ihm am folgenden Tag einen Spaziergang außerhalb Münchens unternommen – am einzigen Tag also, den Kafka und Felice Bauer gemeinsam hatten! –, und dabei habe er aufgrund eines Lungenleidens immer wieder um Atem gerungen. Pulver muss hier seinen eigenen Atem vernommen haben, denn Kafka war im Oktober 1916 nicht nur gesund, er hatte auch in den Monaten zuvor zahlreiche halbtägige Fußmärsche in die Prager Umgebung unternommen. Auch Kafkas negative Fixierung auf den eigenen Vater, die sich in diesem Gespräch enthüllt haben soll, kann Pulver mit keinem authentischen Zitat belegen. – Aufschlussreich ist, dass Pulver trotz seiner Zudringlichkeit Kafka »eine Zeitlang geradezu betörte«, während bald darauf Kurt Wolff, der einen Gedichtband und zwei Dramen Pulvers veröffentlichte, sich von seinem Autor schon beim ersten Zusammentreffen abgestoßen fühlte und schließlich froh war, ihn wieder loszuwerden (Brief Kafkas an Gottfried Kölwel, 3.Januar 1917, B3 283; Briefe Kurt Wolffs an Rainer Maria Rilke, 1.Februar und 10.Dezember 1917, in: Kurt Wolff, BRIEFWECHSEL EINES VERLEGERS, Frankfurt am Main 1966, S.141f. und 148).
Eugen Mondt, ›Ein Abend mit Franz Kafka‹, in: Koch, »ALS KAFKA MIR ENTGEGENKAM ...«, S.139.
Postkarte an Felice Bauer, 7.Dezember 1916 (B3 277). – Eine eindeutige Zeugenaussage zu Rilkes Anwesenheit bei Kafkas Lesung existiert leider nicht. Dass die Äußerung Rilkes im unmittelbaren Gespräch mit Kafka fiel (und diesem nicht etwa nur hinterbracht wurde), erhellt jedoch aus Rilkes unpubliziertem Terminkalender: »Franz-Kafka-Abend bei Goltz« ist dort vermerkt (Rilke-Archiv, Gernsbach).
Postkarte an Felice Bauer, 21.November 1916 (B3 274). – Ein weiteres Indiz dafür, dass der Schlagabtausch in München nicht ganz harmlos gewesen sein kann, ist die Tatsache, dass die ersten Postkarten Kafkas nach diesem Vorfall im Briefkonvolut fehlen, Mitteilungen, die seiner {639}eigenen Aussage zufolge »den Kernpunkt des Zusammenlebens« betrafen (ebd.). Offenbar wollte Felice Bauer die ›Nachbesprechung‹ mündlicher Auseinandersetzungen – vor allem Briefe, in denen sie selbst wörtlich zitiert wurde – nicht veröffentlicht sehen. Im Februar 1914 hatte sich bereits Analoges abgespielt, auch dort fehlen die zugehörigen Briefe; vgl. Stach, KAFKA. DIE JAHRE DER ENTSCHEIDUNGEN, S.450ff., insbesondere Anm. 12.
Postkarte an Felice Bauer, 24.November 1916 (B3 276).
Dass dieser Eindruck nicht nur von der lückenhaften Überlieferung herrührt, belegt ein Brief Kafkas an Ottla vom 29.August 1917. Mit Anspielung auf Felice heißt es hier: »Ich habe in der letzten Zeit wieder fürchterlich an dem alten Wahn gelitten, übrigens war ja nur der letzte Winter die bisher grösste Unterbrechung dieses 5jährigen Leidens.« (B3 309).
Postkarten an Felice Bauer, 9. und 14.Dezember 1916 (B3 279).
Brief Ottla Kafkas an Josef David, 3.Dezember 1916. Deutsche Übersetzung zitiert nach Hartmut Binder, ›Kafka und seine Schwester Ottla‹, in: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 12 (1968), S.426. – Stern (Hvězda) ist ein westlich der Prager Burg gelegenes sternförmiges Schloss mit großem Tiergarten, damals ein beliebtes Ausflugsziel.
Postkarte an Felice Bauer, 14.Dezember 1916 (B3 279).
Stürgkh wurde am 21.Oktober 1916 in einem Wiener Hotelrestaurant erschossen. Der 37-jährige Attentäter Friedrich Adler war überzeugter Marxist und Chefredakteur der sozialdemokratischen Zeitschrift Der Kampf, sein Vater Viktor Adler war Reichstagsabgeordneter und Parteichef der österreichischen Sozialdemokraten. – Selbst die konservative Tagespresse (etwa die Reichspost am 22.Oktober) wunderte sich darüber, dass es niemanden getroffen hatte, dem man eine konkrete Mitschuld am Ersten Weltkrieg hätte unterstellen können. Der offiziöse Pester Lloyd warnte, »im feindlichen Ausland« solle man nur nicht glauben, das Attentat habe etwas »mit den Ernährungsfragen« zu tun.
Julie Kafka an Felice Bauer, 8.Oktober 1916, in: Kafka, BRIEFE AN FELICE, S.721.
Mitte oder Ende November 1916 wurde ein Brief Felice Bauers an Kafka von der Zensur beanstandet und zurückgeschickt – vermutlich wegen Äußerungen über die Ernährungslage in Berlin. Sie hatte in diesem Brief wiederum für ein Treffen an Weihnachten plädiert, was Kafka jedoch weiterhin ablehnte; siehe die Karte an Felice Bauer vom 4.Dezember 1916 (B3 276). Vgl. auch den Brief Julie Kafkas an Anna Bauer vom {640}31.Dezember 1916: »Ich glaubte, daß uns die l. Felice zu Weihnachten mit ihrem lieben Besuche überraschen wird« (Kafka, BRIEFE AN FELICE, S.748).
An Ottla Kafka, 1.Januar 1917 (B3 282); offenbar eine Nachricht, die Kafka für Ottla in der Alchimistengasse hinterließ.
Zitat aus einem unveröffentlichten Tagebuch-Exzerpt (Max Brod-Archiv, Tel Aviv).
Zu den massiven und entstellenden Eingriffen, mit denen Brod das Chaos zu bändigen und aus Kafkas Oktavheften ›leserfreundliche‹ Texteinheiten herauszupräparieren suchte, siehe im Detail die Monographie von Annette Schütterle, FRANZ KAFKAS OKTAVHEFTE. EIN SCHREIBPROZESS ALS »SYSTEM DES TEILBAUES«, Freiburg i. Br. 2002, hier S.268–283.
NSF1 384–393. – Im Manuskript zunächst schreibende »Nichtse«, dann »Spassmacher«, dann wieder »Nichtse«, dann erneut »Spassmacher«, schließlich »Windhunde« (NSF1 App 324). Mit Invektiven hatte Kafka offenbar Schwierigkeiten.
Oskar Baum erinnerte sich Ende der zwanziger Jahre daran, Kafka habe in der Alchimistengasse ein Drama mit dem Titel ›Die Grotte‹ oder ›Die Gruft‹ verfasst und auch vollendet. Er habe sich jedoch strikt geweigert, daraus vorzulesen, und ironisch entgegnet: »Das einzig Nichtdilettantische an dem Stück ist, dass ich es nicht vorlese.« – Baum spricht hier offensichtlich vom GRUFTWÄCHTER, der jedoch nach allen Zeugnissen, die wir besitzen, unvollendet blieb und der auch im Manuskript keinen Titel trägt (der heute gängige Titel stammt von Brod). Auch die Tatsache, dass Kafkas maschinenschriftliche Reinschrift in einer besonderen Weise gefaltet wurde, um das Vorlesen zu erleichtern, stimmt mit Baums (auch sonst unzuverlässigen) Erinnerungen nicht recht zusammen. Vgl. Oskar Baum, ›Rückblick auf eine Freundschaft‹, in: Koch, »ALS KAFKA MIR ENTGEGENKAM ...«, S.71–75. Das möglicherweise unvollständig überlieferte Typoskript wurde publiziert in NSF1 290–303.
Die folgenden Prosastücke aus dem Winter 1916/17 sind nur im Druck überliefert: EIN LANDARZT, AUF DER GALERIE, DAS NÄCHSTE DORF, EIN BRUDERMORD, ELF SÖHNE, DIE SORGE DES HAUSVATERS und EIN BESUCH IM BERGWERK. Offenbar entstanden diese Werke in weiteren, nicht erhaltenen, jedoch zumindest auf den Monat genau datierbaren Oktavheften (in denen freilich noch andere, uns unbekannte Werke und Fragmente enthalten gewesen sein können). – In einem Brief an Ottla vom 19.April 1917 (B3 296 f.) behauptet Kafka, er habe zum Feuermachen in der Alchimistengasse auch »Manuskripte« verwendet – ein weiterer Hinweis darauf, dass der volle Umfang seiner Produktivität noch größer zu veranschlagen ist, als die erhaltenen Manuskripte belegen.
Eine der Varianten zum GRUFTWÄCHTER enthält eine Charakteristik des noch unerfahrenen Fürsten, die verblüffend genau auf Karl I. passt. {641}Da dessen erste eigenständige Schritte in eben den Wochen, da DER GRUFTWÄCHTER entstand, das wichtigste öffentliche Thema waren, ist ein zufälliger Einfluss wohl auszuschließen: »Der Fürst hat eine Doppelgestalt. Die eine beschäftigt sich mit der Regierung und schwankt geistesabwesend vor dem Volk und missachtet die eigenen Rechte. Die andere sucht zugegebenermassen sehr präcis, nach Verstärkung ihres Fundaments. Sie sucht in der Vergangenheit, und dort immerfort tiefer.« (NSF1 255)
Erstmals – aber gewiss nicht zum letzten Mal – am 10.Dezember 1916, wie ein Brief Ottlas an Josef David dokumentiert. – Die Kohlenkrise (die vor allem auf den kriegsbedingten Mangel an Eisenbahnwaggons zurückging) spitzte sich derart zu, dass Karl I. Mitte Februar anordnete, die Kohleversorgung Prags notfalls mit Hilfe des Militärs sicherzustellen.
Das gilt keineswegs nur für den Beginn der neuen Schreibphase: Das Prosastück EIN ALTES BLATT entstand nur wenige Tage nach dem verlorenen Machtkampf und der Abdankung des russischen Zaren Mitte März 1917 – ein ungeheuerliches Ereignis im zeitgenössischen Bewusstsein.
Brief an Felice Bauer, 24.November 1916 (B3 276).
Brief an Felice Bauer, 24.November 1916 (B3 276).
Brief an Felice Bauer, Januar/Februar 1917 (B3 290). – Es bleiben Zweifel daran, ob Kafka diesen einzigen langen und bedeutsamen Brief, der aus dem Winter 1916/17 überliefert ist, tatsächlich abgeschickt hat. In seinem Nachlass fand sich ein maschinenschriftlicher Durchschlag, doch fehlt das zugehörige Original in dem von Felice Bauer veräußerten Konvolut.
In alten, selbst ›herrschaftlichen‹ Gebäuden waren zu jener Zeit Badezimmer nur ausnahmsweise vorhanden. Auch der Vormieter jener großen Wohnung, die Kafka im Palais Schönborn zunächst angeboten worden war, hatte sich ein Bad auf eigene Kosten einbauen lassen (wozu er die Hälfte des Flurs benutzte). – Im repräsentativen ›Fuchsschlössl‹ in Rodaun, das Hugo von Hofmannsthal seit 1901 mit seiner Familie bewohnte, gab es bis Kriegsende kein Bad, im Obergeschoss nicht einmal fließendes Wasser.
Brief an die Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt, 5.Februar 1917 (B3 285 f.). Der Antrag wurde abgelehnt, lediglich eine Erhöhung der ›ständigen Teuerungszulage‹ wurde bewilligt, was Kafka ein jährliches Plus von knapp 600 Kronen einbrachte. Das entsprach immerhin der Miete für die Schönborn-Wohnung.
Ottla Kafka an Josef David, 20.August 1916; zitiert nach Binder, ›Kafka und seine Schwester Ottla‹, S.439.
Es hat sich ein Briefentwurf Kafkas enthalten, in dem er um entsprechende Ratschläge für Ottla bittet (B3 286). Adressat dieses Briefs ist vermutlich Moriz Schnitzer, der fanatische Vegetarier und Begründer zahlreicher Vereine für Naturheilkunde, der im nordböhmischen Warnsdorf lebte. Kafka hatte sich im April 1911 von Schnitzer ›untersuchen‹ lassen. – Das väterliche Schimpfwort »Halunke« ist dokumentiert in Kafkas Brief an Ottla vom 19.April 1917 (B3 296); einen Eindruck von der Schärfe der Auseinandersetzung zwischen Ottla und ihren Eltern gibt der BRIEF AN DEN VATER (NSF2 170 und 178 f.).
Channa Meisel, ›Landwirtschaftliche Mädchenerziehung‹, in: Jüdische Rundschau, 22. Jg., H. 8 und 9 (23.Februar und 2.März 1917). Dass über diesen Artikel in Ottlas Klub debattiert wurde, ist gewiss, zumal man über das Leben der jüdischen Frauen in Palästina nur selten Konkretes zu hören bekam. Auch Kafka, der die Jüdische Rundschau regelmäßig las, dürfte den Aufsatz gekannt und mit der Schwester besprochen haben.
Zu den innerfamiliären Konflikten um die Prager Asbestwerke siehe Stach, KAFKA. DIE JAHRE DER ENTSCHEIDUNGEN, S.130261918