Inge Braune
Bad Mergentheim
Porträt einer Stadt
Es gibt Buchhändler – und den »Buchhändler plus«. Rainer Moritz ist Letzteres. Kaum hatte er erfahren, dass 2016 Bad Mergentheim die Heimattage Baden-Württemberg ausrichten würde, machte er sich teilweise als Herausgeber, teilweise als Initiator für diverse Buch- und Kalenderprojekte stark. Dass er der ebenfalls mit der Kurstadt bestens vertrauten Verlagslektorin Claudia Senghaas ausgerechnet eine Zugereiste als mögliche Autorin eines Mergentheim-Buchs vorschlug, hat vielleicht Methode: Zuzügler müssen genau das tun, was das Heimattage-Motto einfordert: »Heimat neu erleben«. Die gebürtige Westfälin und aufgewachsene Pfälzerin Inge Braune kam vor rund zwei Jahrzehnten ins Liebliche Taubertal. Mit Fragen: Wie lebt sich’s hier? Was tut sich? Was ist es für ein Wurzelwerk, das hier die Menschen prägt? Stoff für ein Buch gibt es genug: Gesprächsstoff, historischen wie aktuellen, und Menschen, mit denen es sich lohnt ins Gespräch zu kommen ebenfalls; auch solche, mit denen es sich gelohnt hätte: Wer würde nicht gern beim Kurpark-Spaziergang auf einen Plausch mit Herrn und Fräulein Mörike oder Fräulein von Speeth, der späteren Dichtergattin, zusammenzutreffen? Oder ein paar Worte wechseln mit Schäfer Gehrig, dessen Schafe die erste Kurquelle entdeckten? Und welcher Journalist würde sich heute die Gelegenheit eines Interviews mit dem Mergentheimer Linotype-Erfinder Ottmar Mergenthaler oder einem Deutschordensgroßmeister entgehen lassen? Sie weilen nicht mehr unter uns, nicht der Poet, nicht der Erfinder, nicht der Quellentdecker. Aber sie haben würdige Nachfolger: Auch heute leben in der Kurstadt Poeten und Literaten, Künstler jeder Couleur, Erfinder und Menschen, die ihr Leben den Quellen widmen. Gänzlich Heutige bewahren unter anderem als Kostümführer, Museumshüter und Heimatforscher das Wissen um die Vergangenheit, das sie auch Künftigen erhalten wollen. Das Erbe von Magister Lorenz Fries haben zahlreiche Schulen und Bildungseinrichtungen angetreten, die Tradition der Pflege führt die Gesundheitsstadt auf modernstem Standard weiter, das religiöse Erbe lebt im »Madonnenländle« fort mit Haus- und Brückenheiligen, im Münsterschatz und natürlich in Stuppach, wo die Ortschaft ihrer Madonna einen eigenen Kapellenanbau spendierte. Mit 51 dieser engagierten Bad Mergentheimern und Bad Mergentheimerinnen war die Autorin unterwegs, hat ihren Geschichten zugehört, sie auf die höchsten Türme und durch die tiefsten Keller begleitet, mit ihnen gemeinsam zumindest gedankliche Ausflüge bis nach Afrika und Amerika gemacht – angeknüpft hatte derartig weltläufige Verbindungen bereits weiland Herzog Paul. Dass es gelang, das Stadtporträt pünktlich zu den Heimattagen vorzulegen, freut Bad Mergentheims Oberbürgermeister Udo Glatthaar ebenso wie Verkehrsdirektor Kersten Hahn und Sabine Mangold von der Heimattage-Geschäftsstelle. Sie waren, wie auch Carsten Müller, frühzeitig involviert und steuerten etliche Anregungen bei. Der Dank der Autorin gilt ihnen, allen Proträtierten und den zahlreichen unsichtbaren Buch-Mitstreitern, ohne die dieser Band nicht entstanden wäre. Ein ganz persönliches Zusatz-Merci geht an ihren Mann Michael Schneider-Braune, Heike Lechler und Roselinde Laukhuff, die viel Geduld und Korrekturzeit aufbrachten, und an die Unterstützercrew Angelika Barth, Iris Böning, Klaus Braune, Sascha Deeg, Gisela Dittkuhn und Eva-Maria Rapp.
So ruhig und lieblich liegt dieses Städtchen mit seinen unzähligen Kirchen, Kurpark und Schloss im Taubertal zwischen Wiesen, Feldern, Wald- und Weinhängen, dass man ganz sicher glaubt, kein Wässerchen vermöge zu trüben, wer in dieser Idylle lebt.
Und dann begegnet man Uwe Klausner: Auch der Geschichtslehrer ist auf den ersten Blick ein ruhiger Zeitgenosse, heiter, ein stiller Genießer. Wie war das noch mit den stillen Wassern? Klausner ist eines von ihnen: Tief drin in seinem Herzen gibt’s Mord und Totschlag. Er schreibt Krimis mit historischem Hintergrund. Seine Kommissare ermitteln mal im Mittelalter, mal im Berlin der Nachkriegszeit oder im Trier der Römerzeit.
Zusammengetan hat er sich mit dem ebenso mordlustigen Buchhändler Rainer Moritz, der Krimiautoren schon mal nicht vor, sondern sogar hinter die Schranken des Bad Mergentheimer Amtsgerichtes bringt. »Ein nicht alltäglicher Ort für eine Krimilesung«, fand auch Amtsgerichtsdirektor Martin Autenrieth, der bereits zwei Mal seinen Platz im Sitzungssaal räumte, um ihn – logisch: außerhalb der Verhandlungsstunden – für Krimiautoren freizumachen. Zu »zwei Stunden ohne Bewährung« verurteilte etwa Elisabeth Herrmann, Autorin auf dem Richterstuhl, ihr Publikum bei ihrer Schneegänger-Lesung. Von der Amtsgerichtsbühne aus hat Klausner seine Motiverkunder, die in Mönchskutte, römischer Toga und dem etwas derangierten Berliner Chic der 50er-Jahre ermitteln, noch nicht präsentiert, dafür aber bei zahlreichen Lesungen – unter anderem in der Buchhandlung Moritz und Lux, die seit 1998 nicht nur für Leseratten ein regelmäßiger Anlaufpunkt ist.
Rainer Moritz, Jahrgang 1953, stammt aus Wertheim. Eigentlich wollte er Lehrer werden, studierte in Berlin, Mannheim und Stuttgart BWL und, wie Klausner, Geschichte. Dann gab’s, heute kaum noch zu glauben, keine Stellen für Lehrer – und Moritz entschied sich, nicht zuzuwarten, sondern eine Buchhandlung zu eröffnen. Die erste, da damals in der Mergentheimer Innenstadt schlicht nicht heranzukommen war an ein passendes Ladenlokal, war in Lauda stationiert. 1983 bot sich die Chance, im Ritterhaus, das der Mergentheimer Volksmund auch als Geisterhaus bezeichnet, Regale aufzubauen.
Über der alternativen Kellerkneipe und dem Ökoladen machten sich die Buchladen-Gründer Rosemarie Lux und Rainer Moritz, der 1980 als erster Grüner Landtagskandidat im Main-Tauber-Kreis antrat, mit Verve an die Sanierung. Passend zum alten Gebäude gestaltete das Team die Ausstattung dieser ersten reinen Buchhandlung in der Kurstadt mit ganz dunklen Möbeln. Eigenhändig geschreinert waren die sehr hohen, sehr dunklen, sehr gediegenen Regale, berichtete Ulrich Rüdenauer in seiner Laudatio zum 25-jährigen Bestehen der Buchhandlung.
Auf die »ziemlich friedens- und ökobewegten« neuen Mitspieler am Handelsplatz Bad Mergentheim reagierten die Kurstädter anfangs mit Skepsis: »Zu rot, zu grün, zu links, zu aufmüpfig« fand das Bürgertum diese Buchhandlung, die natürlich auch eine Öko-Ecke bot. »Die gab es damals nur bei uns«, erinnert sich Moritz, der phasenweise auch sein Privatdomizil direkt über der Buchhandlung im Ritterhaus aufschlug.
Mit jeder Menge Enthusiasmus, von dem bereits in den ersten Jahren das Veranstaltungsprogramm mit Ausstellungen und Lesungen zeugte, eroberten sie nicht nur ihre Kundschaft, sondern auch Anerkennung als politische Stimme: 1984 zog Rainer Moritz als Neuling in den Gemeinde- und Kreisrat ein.
1998 folgte der erste, 2002 der zweite Umzug der wachsenden Buchhandlung. Ein Teil des Mobiliars im Erdgeschoss ist mobil, wird bei Veranstaltungen beiseite gerollt, macht Platz für Lesepult und Sitzplatzreihen. Besonders beliebt bei regelmäßigen Lesungsbesuchern sind die Kinosessel, in denen man das Lesungs-Kopfkino so richtig genießen kann.
Hier ist auch häufig Uwe Klausner Gast – als Bücherfreund, Veranstaltungsbesucher und selbstverständlich auch als Autor. In römischer Toga und auf Hochlatein begrüßte er hier etwa das Publikum zur Vorabpräsentation der Stunde der Gladiatoren. Das war der zwölfte von Klausners allein im Gmeiner-Verlag erschienenen historischen Kriminalromanen. Inzwischen liegen 16 Bände vor, weitere sind in Vorbereitung.
Seine Mörder sind nicht gerade zart besaitet: Der Mittelalter-Ermittler Bruder Hilpert muss sich unter anderem mit einem abgerichteten Bluthund anlegen, in Berlin stolpert Kommissar Tom Sydow schon mal über Leichen mit Folterspuren, und im Trier des Jahres 313 führen seine Ermittlungen zum Tod des Gladiators Niger den Advokaten Gaius Aurelius Varro, Mitglied des Magistrats, in Gladiatorenschulen und die der ärmeren Bevölkerung vorbehaltenen römischen Wohnblocks der Insulae-Bezirke.
Bei Uwe Klausner wird jede Lesung zum Gesamtkunstwerk
Klausner selbst, gebürtiger Heidelberger und – der Vater war dort Schlossverwalter – von Kind auf mit der romantischen Schlosskulisse vertraut, liebt es eher ruhig: Er lebt in einer stillen Ecke der Kurstadt, wo einen neugierige Katzen noch von Tür zu Tür begleiten. Nachdenklich lauschend sitzt er einem beim Interview gegenüber, die Antworten kommen besonnen. So sei er auch als Lehrer, berichten die Schüler des Weikersheimer Gymnasiums, für die er nach dem Referendariat und der ersten Anstellung in Heilbronn seit vielen Jahren Ansprechpartner für Historisches ist.
Dabei hatte Klausner sich eigentlich auf Sport und Französisch spezialisieren wollen. Als es für die Wunschkombination Wartezeiten gab, schrieb er sich für Geschichte und Englisch ein. Besonders die Geschichte fasziniert ihn immer wieder – und die war’s auch, die Klausner zum Schreiben brachte: Für die Schultheater-AG stieg er mit einem Stück über Hans, den Pfeiffer ein, dann folgte aus dessen Heimatort Nicklashausen die Anfrage nach einem Buch über die historische Persönlichkeit. 2005 lag das gut 500 Seiten starke Erstlingswerk vor – und Klausner hatte sich einen akuten Schreibvirus eingefangen.
Krimi regional – das wär’s!, dachte er und schickte seinen klugen Mönch nach Bronnbach, Wertheim und Würzburg auf Ermittlungstour. Weitere Fälle führten Bruder Hilpert und seinen Freund und Mit-Ermittler Berengar von Gamburg zu Fuß, zu Pferd und auf dem Schiff bis nach Aschaffenburg, Rothenburg, Maulbronn.
Und Mergentheim? Noch nicht, obwohl das Ambiente mit Ordensrittervolk und altem Mauerwerk doch reichlich Inspirationen bietet. Hinrichtungen gab es im Mittelalter jenseits der Wolfgangbrücke, wo heute der Weg hinaus ins Kurtal führt; die Markelsheimer Chronik weiß von Hexenverbrennungen, auch Bauernkrieg und Kampf ums Stadtrecht bieten viel Stoff. »Wer weiß«, sagt Klausner, grübelt kurz über Schauplätze wie den Johanniterhof, Burg Neuhaus, den Schlossturm, und fügt ein »aber« an.
Nicht nur sein Bruder Hilpert, auch Kommissar von Sydow könnte hier ermitteln: Muss sich nicht auch ein Kommissar einmal erholen, zur Kur ins Heilbad, weil ihm die reichlich angefallenen Berliner Leichen doch auf den Magen schlagen? Sein Sydow käme dann wohl mit der Bahn, sinniert der Autor, »entschleunigend«. Er selbst hält viel davon, sich auch einmal der Alltagshektik zu entziehen: Statt fernzusehen, wechselt er abends und an den Wochenenden in die Schreibstube, um sich mit Mord und Totschlag zu vergnügen.
Ermittlernachwuchs in der Buchhandlung Moritz und Lux
Seine Familie muss sich nicht ausgeschlossen fühlen: Als Probehörer erfahren sie zuerst, worüber Klausner grade brütet. Sohn und Tochter, beide inzwischen erwachsen, fänden sich noch am ehesten in den Berlin-Krimis wieder, berichtet der Autor – und das gehe auch seinen Schülern so: Der schnodderige Schuss »Berliner Schnauze« dürfte dabei ebenso eine Rolle spielen wie die Zeitnähe.
Der ungemein produktive Autor – seit 2007 hat er jährlich mindestens einen, meist zwei neue Kriminalromane vorgelegt – hat so viele Krimipläne auf Lager, dass sich die Kurstadt noch ein Weilchen wird gedulden müssen, ehe ein Klausner in Bad Mergentheim spielt. Aktuelle Stichworte auf Klausners Arbeitsliste deuten mit »Shakespeare« eher auf Großbritannien, wo er einen Teil seines Studiums absolvierte, und mit »Baader-Meinhof« wohl erneut auf Berlin hin. Ein weiterer Römer-Krimi, so verrät Uwe Klausner abschließend, ist ebenfalls in Vorbereitung. Dabei ist es nicht nur der Historiker Klausner, der sich begeistert in die römische Wendezeit-Geschichte vertieft. Sein Herz an Trier hat er bereits als Kind bei mehrfachen Besuchen mit dem Großvater verloren. Rainer Moritz und sein Team freuen sich schon auf die nächsten Lesungen.
Buchhandlung Moritz und Lux
Gänsmarkt 3
97980 Bad Mergentheim
www.moritz-lux.de
Es ist still geworden in der Kurstadt: Kurz vor Mitternacht ist es, Mondlicht schimmert, auf die Autoscheiben hat sich Nebeldunst gelegt. Klammfingriges Tasten nach dem Schlüsselbund. Und dann schwingt – ein wenig sträubt sich schon das Nackenhaar – Wolfsgeheul durch die Luft. Gruselszenario vom Feinsten.
Kein Grund zur Sorge: Das größte Wolfsrudel Europas ist im an der Alten Kaiserstraße gelegenen Wildpark in bester Hut. Rund drei Meter tief ist der für Besucher kaum wahrnehmbar gesicherte Graben, der das 1985 angelegte Freigehege umgibt. Rund 30 Wölfe leben hier. Auch nach über drei Jahrzehnten als Tierpflegerin leuchten vor dem Wolfsgehege die Augen von Sandra Hertweck, die die Abteilung Tierpflege leitet. »Es sind Individuen«, schwärmt sie, »die im Rudel ihre unterschiedlichen Talente entwickeln. Da gibt’s den ›Onkel‹, der sich eifrig um die Welpen kümmert, den ›Wächter‹, der die Ohren spitzt, und echte Charaktere wie den Leitwolf.« Sie kennt das Rudel seit seinem Einzug: Ein Jahr vor der Einrichtung des Geheges kam Sandra Hertweck als Auszubildende in den Park. Laub rechen war der erste Arbeitsauftrag – ganztägig, denn in der Nacht hatte ein Sturm das Gelände kräftig durchgeschüttelt. So etwas gehöre auch dazu, neben Aufgaben wie Misten, Einstreuen, Heu auffüllen, Tränken und Suhlen zu bewässern und der Fütterung. Die lässt Besucher, je nach Charakter, die Luft anhalten oder jubilieren, wenn der Seeadler im Flug seine Beute greift, Luchse, vom Futtersimulator zu fast echtem Jagdverhalten animiert, senkrecht einen Baum hinaufspurten oder wieselflinke Frettchen durch ihr Biotop sausen. Die täglichen Fütterungsrunden sind für Besucher und Tierparkpersonal ein Höhepunkt des Tages. Dann sind die Pfleger nicht nur den Tieren nah, sondern auch den Besuchern, ihren Fragen, ihrem Staunen, ihrer Begeisterung. Sandra Hertweck kann sich keinen schöneren Beruf und keinen besseren Ort vorstellen. Sie wuchs mit Hamster, Hund und Vogel auf, das prägte den Berufswunsch schon in Kindertagen.
Bei Wildpark-Chef Marcus Rügamer gehörten die Wildtiere von klein auf dazu: Er kam 1969, vier Jahre vor der Gründung des Hochwildparks Bad Mergentheim auf die Welt. Ab 1979, als sein Vater Rolf Rügamer, ein erfahrener bayerischer Landwirt und Gutsverwalter, die Betriebsleitung übernahm, war der Park fester Bestandteil des Rügamer’schen Familienlebens. Ernst A. Mensinger, Betreiber des Freizeit-Lands Geiselwind, hatte den Park vom Düsseldorfer Gründer Helmut Schniedenharn gekauft. Innerhalb kürzester Zeit krempelten der neue Eigentümer und sein Betriebsleiter den Park um. Ende 1980 standen 20 neue Gehege und Volieren, Exoten wurden ausquartiert. Mensinger und Rügamer setzten mit Alpensteinbock, Bussard, Dachs, Eule und Weißstorch auf die heimische Tierwelt – und bald auf ein innovatives Parkkonzept, das die Tiere in möglichst natürlichen Lebensräumen präsentiert. »Wir wollen Menschen nicht nur für die Tiere, sondern auch für Natur und Umwelt begeistern«, fasst Marcus Rügamer die Philosophie des Parks zusammen, den die Familie mit der eigens gegründeten Fauna Wildpark GmbH 1988 übernahm. Zug um Zug ersetzten Rügamers Drahtzäune durch unauffällige Holzeinfriedungen, auf einer Holzbrücke geht’s über das Bärenareal. In begehbaren Volieren begegnen Besucher unter anderem einer Schnee-Eule, die an Harry Potters Hedwig erinnert, bei der Greifvogel-Schau stehen nicht die Falkner, sondern die Tiere im Mittelpunkt. Selbst bei der Haustierschau, bei der ein Ziegen-Sechsspänner ein Schwein auf die Wiesenbühne kutschiert, spielen die Tierpfleger mit heiterer Selbstironie trotz ihres Informationsauftrags eher eine Nebenrolle.
Faszinierende Begegnung mit charakterstarken Wölfen
Rund 30 Festangestellte gehören zur Tierparkfamilie. Dass darunter etliche Quereinsteiger wie Schreiner, Schlosser und Landmaschinentechniker sind, erleichtert kreative Entwicklungen, die in der Eigentümerfamilie zu sprießen scheinen wie andernorts das Unkraut. 1989 entstand die Greifvogel-Freiflugvoliere, im Folgejahr naturnahe Freigehege für Fischotter, Luchse und Großbären, 1992 der von Kindern heiß geliebte Streichelzoo, 1993 der Schaubauernhof. Im Jahr darauf bewunderten Besucher Waschbären und Eisfüchse in artgerecht naturnah gestalteten Anlagen, 1995 zogen die Gämsen ins Gebirge um, 1997 folgte die neue Geiervoliere, 1998 der neu gestaltete Wolfswald, wo das Rudel jährlich rund zwölf Tonnen Fleisch, Knochen, Innereien und Felle vertilgt. 2003 zogen Biber im Park ein, 2004 beschnüffelten erste Flughunde ihr neues Zuhause im dauerwarmen begehbaren Höhlenbau – nichts für Nervenschwache, auch wenn die Tierchen ihren Gewohnheiten treu bleiben und tagsüber meist schlummern.
Natur- und Umweltpädagogik für Wildparkkinder hielt bereits 2000 mit WiPaKi Einzug – zur Freude von Kindergärten, Schulen und Behinderteneinrichtungen, die auch die Möglichkeit zur Übernachtung im Tipi, auf dem Heuboden, in der Katzenberghütte oder – besonders knuffig – in der Koboldburg gern nutzen.
Wildpark Bad Mergentheim
Fauna Wildpark GmbH
Wildpark 1
97980 Bad Mergentheim
www.wildtierpark.de
Im über 200 Jahre alten Haus in der Wettgasse 11 leben zwei Personen, ein gutes Dutzend Schlangen, die Vogelspinne Engelchen und Papageiendame Flori. »Alarm, Alarm«, krächzt Flori. Die rot geschwänzte neunjährige Graupapageienschönheit aus dem Kongo ist zu Recht besorgt. Anette Hirt hat die 17-jährige Kaiserboa Fluffi aus ihrem schrankgroßen beheizten Terrarium herausgeholt. »Flori passt genau ins Beuteschema«, erklärt Anette Hirt, die nicht umsonst weit über die Grenzen Bad Mergentheims hinaus als Snakemum bekannt ist. Wenn Schlangen für Unruhe sorgen, klingelt im Haus Heußler das Telefon.
Perfekt zum Abhängen: die selbstgemachte Hängematte.
Die Polizei holte die Schlangenspezialistin schon mal in den Kurpark. »Es war nur eine kleine heimische Ringelnatter, völlig ungefährlich, aber das wissen Laien natürlich nicht auf Anhieb.« Einer Ringelnatter wegen holte die Feuerwehr Anette Hirt auch schon nach Althausen. »Das allerdings war ein ausgewachsenes Tier. Ungefährlich, aber ich kann verstehen, dass die Hausbewohner nicht unbedingt eine knapp 130 Zentimeter lange Schlange unmittelbar am Wohnhaus haben wollen – auch wenn die fast nur Amphibien und Fische frisst.« Das Tier in schlangenkompatible Gefilde umzusetzen, war für die Liebhaberin züngelnder Wesen kein Problem. Beim Urlaub in Brasilien hat »die schlangenverrückte Deutsche« auch schon mal vor den Augen leicht panischer Hausbewohner eine Boa vom Verandadach gepflückt. »Die eigentlich zuständige Naturschutzbehörde war am Wochenende, noch dazu abends, nicht erreichbar«, erklärt sie lakonisch.
Die Liebe zu den schuppigen Tieren packte Anette Hirt als Kind bei einer Ausstellung in Konstanz. Gar nicht so einfach, Mitbewohner für dieses Hobby zu begeistern. Deshalb zog ihre erste eigene Schlange auch erst 1998 ins perfekt vorbereitete Terrarium. Zur in den USA heimischen Strumpfbandnatter gesellte sich zwei Jahre später eine Königspython, dann eine amerikanische Kornnatter. Spezialisierung spricht sich herum: Bald war Anette Hirt mit ihren Schlangen in Schulen und Kindergärten ein gern gesehener Gast. »Tschüss, Schlangenmutter«, verabschiedeten sie die Kinder nach ihrem allerersten Schulbesuch im Sanktus, wie Schüler ihre St. Bernhard Grund- und Realschule liebevoll nennen. Der Abschiedsgruß der Kinder gab der Homepage ihren Namen. Anette Hirt will irrationale Ängste abbauen und nachhaltig für einen respektvollen Umgang mit der Natur und ihren Bewohnern werben. Ihr selbst ist diese Achtung schon früh zugewachsen: Bei den Großeltern lebten Hund und Katz, im Elternhaus Papagei und Zebrafink, einen Winter lang sogar ein Igel, der als regelrechter Wegelagerer den menschlichen Hausbewohnern bei allfälligen nächtlichen Wanderungen durch den Flur nachdrücklich klar machte, dass sie ohne ein paar Streicheleinheiten nicht weiterkommen würden.
Zur Naturliebe gesellt sich bei Anette Hirt auch die Begeisterung für Bad Mergentheim: Sie hat den Wachbach noch als naturbelassenes Abenteuerparadies für Kinder erlebt, stand auf vertrautem Fuß mit Schäfer Breitenbach und seiner Herde, durfte die Lämmchen hüten – ein Traum von Kindheit in der Stadt, der Schäfer Gehrig zum Titel »Bad« verhalf. Dem Schäfer widmete auch der Münchener Fassadenmaler Karl Maria Lechner auf der Fassade des Hauses Heußler viel Platz. Schon zweimal restauriert wurde die Lüftelmalerei am Haus in der Wettgasse, das Anette Hirts Urgroßvater noch zu Goldmarkzeiten erwarb. Der älteste bislang gefundene schriftliche Beleg des Hauses datiert von 1748, die Anlage mit langem Flur und beidseits angeordneten, durch Verbindungstüren auch unmittelbar miteinander verbundenen Räumen könnte auf frühere Verwaltungs- oder Kasten-Nutzung hindeuten, mutmaßt die heutige Besitzerin Anette Hirt.
Dass die Wettgasse ihren Namen nicht von »wetten«, sondern aus der hiesigen Form von »waten« herleitet, hat sich ihr schon als Kind unmittelbar erschlossen: Auch unter diesem Haus verläuft die Weet, auch Hundskalkbach genannt, ein unterirdischer Nässezug, der bei längeren Regenepisoden den alten Gewölbekeller regelmäßig unter Wasser setzte. Anette Hirts Urgroßvater machte dieser Flutung durch Aufschüttung und Einziehen eines höher gelegenen Betonbodens ein Ende. Nicht beendet wurde dadurch natürlich das Mitschwanken des Fachwerkhauses auch bei kleineren Erdbeben im Schwarzwald. »Auf dem schwammigen Untergrund fühlt es sich dann schon mal an wie auf einer Luftmatratze«, berichtet Anette Hirt. Meist bekommt sie bereits ein, zwei Tage vorher eine Warnung: Die Tiere werden unruhig, eigentlich bodenlebende Spinnen klettern an den Wänden hoch, Vögel wollen aus dem Haus hinaus, und auch die Schlangen zeigen sich angespannt. Die Snakemum weiß, dass sie dann dreifach Vorsicht walten lassen muss.
Bad Mergentheim ist ihre Heimat von Geburt an. »Die Stadt muss ihren Charme erhalten, die schönen alten Häuser pflegen und neue – bitte, bitte! – angepasst einfügen«, appelliert sie. Und Flori, das clevere Papageienmädel, gibt auch gleich krächzend ihren Senf dazu: »Kammer lasse!«
Haus Heußler
Wettgasse 11
97980 Bad Mergentheim
www.snakemum.de