Der Herausgeber:
Walter Gerlach, Jahrgang 1943, Autor in Frankfurt am Main. Letzte Buchveröffentlichung: Frankfurter Walzer. Eine Groteske. Waldemar Kramer Verlag, Wiesbaden 2016 / Als Herausgeber: Dem Kuttel sein Daddel sein du. Komische Gedichte. Marixverlag, Wiesbaden 2014 / Schwarzbuch Rassismus (zus. mit Jürgen Roth). Wallstein Verlag, Göttingen 2012
99 Grotesken aus allen Zeiten
Ausgewählt von Walter Gerlach
»Es regnet Blut und ich hab keinen Schirm.«
Karl Kraus, Mein Weltuntergang
»CHINESEN STÜRZEN AUS DEN BETTEN,
MAN HÖRT AUCH EUROPÄER MUHN«
KOPF & KRAGEN
Reinhard Umbach: Fragen an einen bergsteigenden Sherpa
Alfred Lichtenstein: Der Barbier des Hugo von Hofmannsthal
Christian Morgenstern: Himmel und Erde
Selma Lagerlöf: Die Hexe vom Hochgebirge
Alfred Lichtenstein: Capriccio
Franz Hohler: Ein ganz schwerer Transport
Vasko Popa: Vor dem Spiel
Vasko Popa: Spiele des Verführers
Wilhelm Busch: Der Bleistift als Mordinstrument
Franz Kafka: Die Brücke
Detlev von Liliencron: Der Hunger und die Liebe
Heinrich Heine: Ein Weib
Ror Wolf: ruhe ruhe
H. C. Artmann: nun kommt der schreckliche taifun … *
Joachim Ringelnatz: Zum Aufstellen der Geräte
»AN BÄNDERN VOLL HONIG KLEBEN DIE MENSCHEN«
FLORA & FAUNA
Flann O’Brien: Das Schwein Ambrose*
Paul Scheerbart: Singende Schlangen
Wolfgang Hildesheimer: Warum ich mich in eine Nachtigall verwandelt habe
Paul Scheerbart: Glaubt mir!
Christian Morgenstern: Auf dem Fliegenplaneten
Gustav Meyrink: Blamol
Peter Hammerschlag: Der Tierfreund an der Arbeit
Paul Scheerbart: Ein Säufertraum
Bernhard Lassahn: Baby Gorilla
E.T.A. Hoffmann: Von dressierten Flöhen, geheimnisvollen Tulpen und verliebten Disteln*
Christian Morgenstern: Im Tierkostüm
Franz Kafka: Der Geier
Christoph Meckel: Goldfisch
»REICH MIR MEINE PLATZPATRONEN,
DENN MICH PACKT DIE RASEREI«
TOHU & WABOHU
Paul Scheerbart: Groglied
Hugo Ball: Bagatelle
Alfred Lichtenstein: Gespräch über Beine
Christian Morgenstern: Mondendinge
Lukian: Beinbauch*
Gisbert Haefs: Der Eremit im Pfälzer Wald
Joseph Victor von Scheffel: Der Tazzelwurm
Mynona (Salomo Friedlaender): Von der Wolke, welche so gern geregnet hätte
Jakob van Hoddis: Hymne
Hanns von Gumppenberg: Liebesjubel
Franz Kafka: Die Nachteile großer Reiche
Christian Morgenstern: Der Schaukelstuhl auf der verlassenen Terrasse
Paul Scheerbart: Donnerkarl, der Schreckliche
Jakob van Hoddis: Im Saale weiße Fliegenschwärme
Richard Huelsenbeck: DADA-Schalmei
Kurt Schwitters: Nießscherzo
Anne Sexton: Mit dem Fahrstuhl in den Himmel
François Rabelais: Gargantua und Pantagruel
Richard Huelsenbeck: Ende der Welt
Paul Scheerbart: Der einbeinige Trinker
Mynona (Salomo Friedlaender): Der zarte Riese
Hanns von Gumppenberg: Die entscheidende Schlittenpartie
Bohumil Hrabal: Bafler*
Gottfried Benn: Nachtcafé
Paul Scheerbart: Ingrimm
»SOPHIE, MEIN HENKERSMÄDEL, KOMM,
SCHAU MIR IN DEN SCHÄDEL!«
TOTE & UNTOTE
Mynona (Salomo Friedlaender): Verstellung
Christian Morgenstern: Nein!
Heinrich Heine: »Wie viel Grässliches mag sich schon zugetragen haben auf diesem Flecke, wo du eben liegst?«*
Hanns von Gumppenberg: Ballade
Georg Heym: Die Dämonen der Städte
Heinrich von Kleist: Mutwille des Himmels / Eine Anekdote
Adolf Glassbrenner und Moritz Gottlieb Saphir: Fürchterliche Ballade in drei schauderhaften Abteilungen und mit einigen überflüssigen Versfüßen
Daniil Charms: Vater und Tochter
Daniil Charms: Pakin und Rakukin
Nikolaj Gumiljow: Der verirrte Trambahnwagen
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Die Nonne
Friedrich de la Motte Fouqué: Undine weint den Ritter tot*
Christian Morgenstern: Galgenbruders Lied an Sophie, die Henkersmaid
Georg Trakl: Romanze zur Nacht
Hanns von Gumppenberg: Schwerer Unglücksfall
Klabund: Regen
Karl Kraus: Mein Weltuntergang
Erich Mühsam: Idyll
Franz Kafka: Der Jäger Gracchus
»ICH SCHÜTTELTE SO HEFTIG MIT DEM KOPFE,
DASS ER ABFIEL«
SEIN & NICHTS
Alfred Lichtenstein: Café Klößchen
Christian Morgenstern: Das Knie
Franz Kafka: Der Ausflug ins Gebirge
Paul Scheerbart: Was nie ein Mensch gesehn!
Ulrich Holbein: Wie glücklich sind Musiker?
Anonym: Die Rabenklippen
Wilhelm Klemm: Abrüstung
Jaroslav Hašek: Schwejk als Simulant
Kurt Tucholsky: Wo kommen die Löcher im Käse her –?
Konstantin Balmont: Die Nixe
E. T. A. Hoffmann: Geschichte des Schneiderleins aus Sachsenhausen
Pórdís Björnsdóttir: Am Strand
Nikolai Gogol: Die Nase
Georg Heym: Die Professoren
Franz Kafka: Eine Gemeinschaft von Schurken
Max Dauthenday: Der Metzgerlehrling Paul
Alfred Lichtenstein: Der Rauch auf dem Felde
Hans Arp: Willkommen Willkommen
Joachim Ringelnatz: Zum Keulenschwingen
Frank Wedekind: Marasmus
Alfred Lichtenstein: Die Zeichen
Jakob van Hoddis: Weltende
Klabund: Das Schreibmaschinenbureau
Autoren- und Quellenverzeichnis
Editorische Notiz
Sherpa, Sherpa in der Wand!
Hast du denn kein Seil zur Hand?
Glaubst Du, nur mit Klammeraffen
den K2 im Sturm zu schaffen?
Und der Gips ums rechte Bein
scheint ein frischer Bruch zu sein.
Von dem Holzbein links zu schweigen …
Tapfer, damit bergzusteigen!
Und das schwarze Ding auf Dir –
ist das etwa ein Klavier?
Trägt man das jetzt so im Nacken,
ohne was drumrumzupacken?
Klar, dass sich beim Aufwärtsstemmen
Finger in der Klappe klemmen!
Das sind, Sherpa, nur’n paar Fragen …
Doch den Kindersitz zu tragen,
drin sich ein Herr Messner lümmelt –
hat noch jeden Stolz verstümmelt!
Und der Kerl isst auch noch Kuchen … –
Yeti hilf! Geh Reinhold suchen!
So steh ich nun die trüben Wintertage
Von früh bis spät und seife Köpfe ein,
Rasiere sie und pudre sie und sage
Gleichgültge Worte, dumme, Spielerein.
Die meisten Köpfe sind ganz zugeschlossen,
Sie schlafen schlaff. Und andre lesen wieder
Und blicken langsam durch die langen Lider,
Als hätten sie schon alles ausgenossen.
Noch andre öffnen weit die rote Ritze
Des Mundes und verkünden viele Witze.
Ich aber lächle höflich. Ach, ich berge
Tief unter diesem Lächeln wie in Särge
Die schlimmen, überwachen, weisen Klagen,
Dass wir in dieses Dasein eingepresst,
Hineingezwängt sind, unentrinnbar fest
Wie in Gefängnisse, und Ketten tragen,
Verworrne, harte, die wir nicht verstehen.
Und dass ein jeder fern sich ist und fremd
Wie einem Nachbar, den er gar nicht kennt.
Und dessen Haus er immer nur gesehen hat.
Manchmal, während ich an einem Kinn rasiere,
Wissend, dass ein ganzes Leben
In meiner Macht ist, dass ich Herr nun bin,
Ich, ein Barbier, und dass ein Schnitt daneben,
Ein Schnitt zu tief, den runden frohen Kopf,
Der vor mir liegt (er denkt jetzt an ein Weib,
An Bücher, ans Geschäft) abreißt von seinem Leib,
Als wäre er ein lockrer Westenknopf –
Dann überkommts mich plötzlich … Dieses Tier
Ist da. Das Tier … Mir zittern beide Knie.
Und wie ein kleiner Knabe, der Papier
Zerreißt (und weiß es nicht, warum),
Und wie Studenten, die viel Gaslaternen töten,
Und wie die Kinder, die so sehr erröten,
Wenn sie gefangner Fliegen Flügel brechen,
So möchte ich oft wie von ungefähr,
Wie wenn es eine Art Versehen wär,
An solchem Kinn mit meinem Messer ritzen.
Ich säh zu gern den roten Blutstrahl spritzen.
Der Nachtwindhund weint wie ein Kind,
dieweil sein Fell von Regen rinnt.
Jetzt jagt er wild das Neumondweib,
das hinflieht mit gebognem Leib.
Tief unten geht, ein dunkler Punkt,
querüberfeld ein Forstadjunkt.
So ist die Hexe durch viele Ortschaften gewandert. Jetzt ist sie nach Borg gekommen, und sie zaudert nicht, das Grafenschloss zu besuchen. Durch die Küche geht sie nur selten. Sie steigt geradewegs die Terrassenstufen hinan, sie setzt ihren breiten Holzschuh auf die blumenumhegten Kieswege, so ruhig, als wandere sie den Sennpfad hinan.
Und es trifft sich gerade so, dass Gräfin Märta auf die Terrasse hinausgetreten ist, um sich an der Pracht des Junitages zu erfreuen. Auf dem Kiesgange unterhalb der Treppe sind gerade zwei Mädchen auf dem Wege zum Vorratshause stehen geblieben. Sie kommen aus der Räucherkammer, wo der Speck im Rauch hängt, und tragen die frisch geräucherten Schinken auf einer Stange zwischen sich. »Will die gnädige Frau Gräfin die Schinken einmal besehen und riechen, ob sie stark genug geräuchert sind?« fragt eins der Mädchen.
Gräfin Märta, die zurzeit Hausfrau in Borg ist, beugt sich über das Treppengeländer und betrachtet den Speck, aber im selben Augenblick legt die Finnin die Hand auf einen der Schinken.
Ei, seht doch diese braune, glänzende Schwarte, diese dicke Fettschicht! Dieser frische Duft von Wacholderzweigen, der dem Schinken entströmt! Das ist ein Festschmaus für die Götter! Den muss die Hexe haben! Sie legt ihre Hand auf die Speckseiten.
Die Tochter der Berge kennt kein Bitten oder Betteln. Ist es nicht die Folge ihrer Gnade, dass die Kräuter wachsen, dass die Menschen leben? Frost und Unwetter und Hochflut – alles vermag sie zu senden. Deswegen geziemt es sich nicht für sie, zu bitten oder zu betteln. Sie legt ihre Hand auf das, was sie wünscht, und es gehört ihr.
Aber Gräfin Märta weiß nichts von der Macht der Alten. »Weg mit dir, du Bettelweib!« ruft sie.
»Gib mir den Schinken!« sagt die Wolfsreiterin aus dem Hochgebirge.
»Sie ist verrückt!« ruft die Gräfin und befiehlt den Mägden, mit ihrer Last ins Vorratshaus zu gehen.
Die Augen der Hundertjährigen flammen vor Zorn und Begierde. »Gib mir den braunen Schinken«, ruft sie, »oder es wird dir übel ergehen!«
»Lieber gebe ich ihn den Elstern als so einer wie dir!«
Da erbebt die Alte vor Zorn. Sie hebt ihren Stab mit den Runen in die Höhe und schwingt ihn wild. Ihre Lippen stoßen wunderliche Worte aus. Das Haar steht ihr zu Berge, die Augen sprühen Funken, ihr Antlitz verzerrt sich.
»Dich selbst sollen die Elstern fressen!« schreit sie schließlich.
Und dann geht sie, Flüche murmelnd und den Stab schwingend. Sie wendet ihre Schritte heimwärts, weiter nach Süden wandert sie nicht. Jetzt hat die Tochter der Wildnis den Zweck erfüllt, um dessentwillen sie aus den Bergen herabgestiegen ist.
Gräfin Märta bleibt auf der Gartentreppe stehen und lacht über ihr verrücktes Gebaren, aber das Lachen soll gar bald auf ihren Lippen verstummen. Denn da kommen sie! Sie kann ihren eigenen Augen nicht trauen. Sie glaubt, dass sie träumt, aber da kommen sie, die Elstern, die sie fressen sollen.
Aus Park und Garten kommen sie auf sie herabgesaust, Elstern zu Dutzenden mit ausgestreckten Klauen und gierigen Schnäbeln, bereit, auf sie einzuhauen. Sie kommen mit Lärmen und Schreien. Schwarze und weiße Flügel flimmern vor ihren Augen. Sie sieht wie im Schwindel hinter diesem Schwarm alle Elstern aus der ganzen Gegend heranfliegen, sieht den ganzen Himmel voll schwarzer und weißer Flügel. Die Metallfarben der Federn schimmern in der scharfen Mittagssonne. Die Schwanzfedern brausen wie bei kämpfenden Raubvögeln. In dichteren und dichteren Kreisen umfliegen die Ungetüme die Gräfin und zielen mit Schnabel und Krallen nach ihrem Gesicht. Sie muss auf die Diele fliehen und die Tür hinter sich schließen. Sie taumelt gegen die geschlossene Tür, atemlos vor Angst, während die schreienden Elstern draußen flattern und fliegen.
Damit war sie aber abgeschlossen von der lichten Schönheit des Sommers, von allen Freuden des Lebens. Für sie gab es hinfort nichts mehr als geschlossene Türen und herabgelassene Rouleaus, für sie gab es nur Verzweiflung, Angst, Verwirrung, die an Wahnsinn grenzte.
So will ich sterben:
Dunkel ist es. Und es hat geregnet.
Doch du spürst nicht mehr den Druck der Wolken,
Die da hinten noch den Himmel hüllen
In sanften Sammet.
Alle Straßen fließen, schwarze Spiegel,
An den Häuserhaufen, wo Laternen,
Perlenschnüre, leuchtend hängen.
Und hoch oben fliegen tausend Sterne,
Silberne Insekten, um den Mond –
Ich bin inmitten. Irgendwo. Und blicke
Versunken und sehr ernsthaft, etwas blöde,
Doch ziemlich überlegen auf die raffinierten,
Himmelblauen Beine einer Dame.
Während mich ein Auto so zerschneidet,
Dass mein Kopf wie eine rote Murmel
Ihr zu Füßen rollt …
Sie ist erstaunt. Und schimpft dezent. Und stößt ihn
Hochmütig mit dem zierlich hohen Absatz
Ihres Schuhchens
In den Rinnstein –
Als die Maschinenfabrik Schaffner in Stilli den neuen Superthronger für das Atomkraftwerk Beznau fertiggestellt hatte, feierte die Belegschaft ein kleines Fest. Zum erstenmal in der Geschichte des Betriebs war ein 800 Tonnen schwerer Superthronger fabriziert worden. Chefschlosser Sägesser hatte ihn mit seinen Gehilfen aus einem unmäßigen Klumpen Gußstahl herausgeformt und blickte nun gerührt auf den mit Margeriten und Nelken bekränzten Doppelsattelschlepper, auf dem das Ding ruhte. Alle stießen mit dem Chauffeur auf eine gute Fahrt an, und dann setzte sich der Doppelsattelschlepper zitternd und dröhnend in Fahrt, begleitet von zwei blinkenden Kleinwagen der Aargauer Kantonspolizei.
Von Stilli bis Beznau sind es sechs Kilometer, darum hatte man die Bestellung auch bei der sonst ziemlich kleinen Firma Schaffner aufgegeben. Eine geringe Komplikation ergab sich nur daraus, daß die Brücke, die bei Stilli über die Aare nach Beznau führt, für eine solche Belastung zu schwach war. Zum Glück gab es aber wenige Kilometer flußabwärts die starke Aarebrücke von Kleindöttingen nach Döttingen, welche dieses Gewicht ohne weiteres aushielt. Bei den paar Kilometern nach Kleindöttingen mußte man einzig darauf achten, die Schmittenbachbrücke vor Villingen zu vermeiden, aber auch dieses Problem war lösbar. Man umfuhr den ganzen Schmittenbach, indem man über den Bözberg auswich und bei Stein in die Route nach Laufenburg einbog, über welche man mühelos nach Kleindöttingen gelangte. So hatte es das Schwertransportbüro vorgesehen, und wenn alles gut ging, war der ganze Transport die Sache einer Nacht.
Um zwei Uhr in der Frühe fuhr der Superthronger bereits durch Stein, und eine halbe Stunde später war er im Schrittempo in Sisseln angelangt. Wie man weiß, fließt durch Sisseln die Sisseln, und als der Chauffeur, Herr Lätt, zur Überquerung der Sisselnbrücke ansetzte, mußte er brüsk bremsen und fuhr sofort wieder von der Brücke zurück. Was war geschehen? Herr Lätt hatte gespürt, wie sich auf der Höhe des Brückenkopfes der Boden unter ihm leicht zu senken begann, und war daraufhin sogleich wieder rückwärts gefahren. Eine Prüfung der Lage ergab, daß sich einzelne Steine aus dem Unterbau gelöst hatten. Man beschloß hierauf, bis zum Morgen zu warten und dann einen Geologen kommen zu lassen, der ein Gutachten abgeben sollte. Herr Lätt konnte bei einer Familie Jegge übernachten und war am andern Morgen zeitig auf den Beinen, um das Urteil des Geologen zu hören. Der ließ sich aber Zeit, stocherte mit Sonden in den Böschungen herum, watete mit hohen Stiefeln durch den Bach, hantierte mit Meßbändern und Latten und machte sogar eine kleine Sprengung, bei der das Eisengeländer ein bißchen beschädigt wurde. Gegen Abend erklärte er, er habe nun genug gesehen und notiert und müsse sich zu den Berechnungen zurückziehen, berichten könne er frühestens in einer Woche. Für Herrn Lätt, der die ganze Zeit unruhig dabeigestanden hatte, war das ein unangenehmer Bescheid. Aber er schickte sich darein, ließ den Superthronger in Sisseln stehen, kettete ihn diebstahlsicher an den Wagen und ging nach Suhr zurück, wo er wohnte.
Neun Tage später traf das Schreiben des Geologen bei der Aargauer Kantonspolizei ein. Der Wissenschaftler legte darin ausführlich dar, weshalb die Brücke, vielmehr ihr geologischer Unterbau, das Gesamtgewicht des Transports nicht vertrüge, und untermauerte die Aussage mit Diagrammen und Tabellen. Damit hatte man allerdings nicht gerechnet, aber Herr Lätt wußte, was er dem Atomkraftwerk Beznau schuldig war.
Er setzte sich mit der Kantonspolizei zusammen und arbeitete eine neue Route aus, die direkteste von Sisseln nach Beznau. Die Brücke nach Döttingen war jetzt unerreichbar geworden, und so gab es keinen andern Weg, als von Norden her, also über den Rhein, nach Beznau zu stoßen, und zwar über die Brücke bei Schaffhausen, die einzige in der Nähe, die stark genug war. Einmal in Schaffhausen, galt es nur noch, die Töss zu umfahren, wegen ihrer durchwegs ungenügenden Brücken, somit über Wil. Das Toggenburg kam auch nicht in Frage, hauptsächlich wegen der Brücke bei Dietfurt, und so ging die Route über St. Gallen ins Rheintal bis nach Sargans, dann Richtung Zürich bis Sihlbrugg, von dort über Baar, Zug, Cham nach Affoltern am Albis und Dietikon und anstatt über die hohe Brücke bei Baden über die kleine, jawohl die kleine Holzbrücke bei Wettingen, die immer noch stark genug war, man mußte ihr bloß vorübergehend das Dach abnehmen und dazu eine Bewilligung des Heimatschutzes einholen, und schon war man in Beznau. Die Bewilligung würde allerdings einige Zeit brauchen, vielleicht mußte sich der Große Rat noch damit befassen, weil es ins Ressort des Baudepartements fiel, aber es würde ohnehin noch einige Zeit dauern, bis man mit dem Superthronger in Wettingen war, denn erst mußte man in Schaffhausen sein, und dazu mußte man den Rhein überqueren. Nun gab es ja die neue Rheinbrücke in Basel, die auch diesem Anspruch gewachsen war, und von dort brauchte man bloß über Freiburg durch das Höllental via Hüfingen nach Schaffhausen zu fahren.
Sofort machte sich Herr Lätt daran, die Genehmigung zu dieser Fahrt in Deutschland einzuholen, und füllte die elf Begleitformulare aus, die hierzu erforderlich sind. Nach zehn Wochen erhielt er die Erlaubnis zur Durchfahrt und holte seinen Superthronger in Sisseln wieder ab, sehr zum Leidwesen der Sissler, die daraus bereits eine Attraktion gemacht und ihn gegen Geld gezeigt hatten. Die Bewilligung des Heimatschutzes zur Entfernung des Daches auf der Wettinger Holzbrücke war zwar noch nicht eingetroffen, aber Herr Lätt nahm an, daß sich das schon ergeben werde, wenn er einmal mit seinem Superthronger dort sei, und machte sich auf den Weg. Beim Zollübergang in Basel suchte man den Superthronger kurz nach Rauschgift ab, doch sonst gab es keine Schwierigkeiten, da es sich um eine reine Transitangelegenheit handelte. Zu einer heiklen Situation kam es erst im Höllental. Herr Lätt hatte nämlich bei seinen Berechnungen immer nur das Gewicht des Wagens in Betracht gezogen und hatte vergessen, daß sich auch aus der Länge Probleme ergeben könnten. Sein Doppelsattelschlepper war aber insgesamt 42 Meter lang. Resigniert mußte Herr Lätt mit den Hinterrädern voran aus der ersten schmalen Kurve der Ravennaschlucht herausfahren und die ganzen 23 Kilometer nach Freiburg zurück im Retourgang hinter sich bringen. Dort überprüfte er die Situation neu und stellte fest, daß er gebirgige Gebiete wegen der engen Kurvenradien unbedingt vermeiden mußte. Als beste Ausweichmöglichkeit bot sich der Weg über Karlsruhe, Ulm, Singen an, den Herr Lätt auch schon in der nächsten Nacht in Angriff nahm. Aber er hatte kein Glück. Sein 800 Tonnen schwerer Superthronger drückte bei Offenburg einige Asphaltplatten ein, und er wurde mit der Weisung von der Autobahn geschickt, sie erst wieder von Karlsruhe an zu benützen.
Das war ein harter Schlag. Es zeigte sich nämlich, daß die beiden gewöhnlichen Straßen nach Karlsruhe in tiefgreifenden Reparaturen waren, so daß Herr Lätt nur mehr der Umweg über Straßburg offenblieb. In Kehl wartete er vier Monate auf die französische Durchreisebewilligung, während die Forderungen der Beznauer immer dringlicher wurden. Jeden Tag sprach er auf dem Straßburger Polizeisekretariat vor, jeden Tag wurde er mit dem Hinweis auf Paris weggeschickt. Als er die Bewilligung endlich in den Händen hielt, wollte er es zuerst gar nicht glauben, setzte sich jedoch unverzüglich in seinen Doppelsattelschlepper und machte sich auf den Weg.
Nun war aber in der Wartezeit die Brücke zwischen La Wantzenau und Drusenheim vorübergehend abgebrochen und durch eine provisorische Holzbrücke ersetzt worden, so daß an eine direkte Weiterfahrt Richtung Karlsruhe nicht zu denken war. Herrn Lätts Erhebungen ergaben, daß nur der Weg über Nancy und Metz in Frage kam, und als er nach fünf Tagen Nachtfahrt von Metz nach Saarbrücken abzweigen wollte, überraschte ihn der Metzer Polizeikommandant mit der Frage, ob er eigentlich wisse, daß vor Longeville-les-St.-Avold eine Unterführung komme, die nur 3,80 Meter hoch sei. Herr Lätt wußte bloß, daß sein Wagen mit der Bepackung 4,23 Meter hoch war, daß es also mit Saarbrücken vorderhand nichts war. Nach einer eingehenden Besprechung mit dem Polizeipräfekten fuhr Herr Lätt nach Luxemburg weiter. Das Warten an der Grenze machte ihm jetzt schon weniger aus, er verdingte sich in Evrange als Lastwagenchauffeur und verdiente einige Wochen ganz gut. Da es ihm mit der Zeit zu teuer kam, immer in Hotels zu übernachten, schlief er in einem Schlafsack im Innern des Superthrongers, wo er sich ein gemütliches Eckchen mit einer Petroleumlampe und einem Foto von seiner Frau und seinen beiden Töchterchen Rösli und Marianne eingerichtet hatte. Luxemburg ist ein kleines Land, und so brauchte er nur anderthalb Monate auf die Transitbewilligung zu warten.
Jetzt mußte er aber unbedingt danach trachten, wieder nach Deutschland zu kommen, damit er endlich die Richtung nach Schaffhausen einschlagen konnte. Bei Trier war der Übergang nicht möglich, weil die Brücke bei Wasserbillig über die Sauer nur 600 Tonnen aushielt, und auch das nur bei extrem tiefem Wasserstand, während die Moselbrücke bei Remich als solche der Belastung wohl standgehalten hätte, nicht aber der Belag, der gegenwärtig versuchsweise von einem Pfälzer Kies- und Quetschwerk aufgelegt war und die Schleudergefahr bei Asphaltschmelzung erheblich herabsetzen sollte. Auch Anfragen in Echternach, Roth und Dasburg wurden negativ beantwortet, und Belgien, das die ganze Zeit drohend im Hintergrund gelegen hatte, war nun nicht mehr zu vermeiden.
In Wemperhardt, diesem traurigen luxemburgischen Grenzdörflein, wartete Herr Lätt neun Wochen auf die Einfuhrerlaubnis für Belgien. Es war Winter geworden, und den Heiligen Abend feierte er allein in seinem Superthronger mit einem Tannenbäumlein, das er auf dem Christbaummarkt von Tois-Vierges gekauft hatte. Seine Frau schickte ihm einen Pfeifenstopfer und die Töchterchen ein paar selbstgestrickte Pulswärmer. Herr Lätt schrieb einen langen Brief und versprach, es werde nun nicht mehr lange dauern, denn einmal in Deutschland, sei er im Hui in Schaffhausen, und ob die Bewilligung zum Abdecken der Wettinger Holzbrücke schon eingetroffen sei.
Ende Januar kamen seine 18 Fragebogen mit sämtlichen Stempeln versehen zurück, und Herr Lätt steuerte frohgemut über St. Vith nach Aachen, wo die sichere Autobahn wartete. Daß er den verschneiten Straßen des Hohen Venn über Lüttich ausweichen mußte, brachte ihn nicht aus der Fassung, ebensowenig die Tatsache, daß in Belgien Schwertransporte auf der Autobahn verboten sind. Unruhig wurde er erst, als man ihm die Höhe der Autobahnunterführung bei Herve mitteilte, 4,20 Meter, und er nach dem schon bedenklich weiter nördlich gelegenen Visé abdrehen mußte.
Die niederländischen Formulare waren etwas einfacher, es waren nur sechs, und da jedes Formular eine Woche zur Behandlung brauchte, öffnete sich der Schlagbaum für Herrn Lätt schon nach sechs Wochen. Die 48 Kilometer bis zur deutschen Grenze legte er in einer Nacht zurück, aber am anderen Morgen erwartete ihn bei der Zollstelle in Aachen eine unangenehme Überraschung. Seine seinerzeitige Transitbewilligung durch Deutschland war nämlich, wie im Kleingedruckten deutlich vermerkt, längstens acht Monate gültig, und da seit seiner damaligen Einreise über ein Jahr verstrichen war, mußte ein neues Durchreisegesuch gestellt werden, im Verkehr mit Holland auf zwölf Formularen. An eine Verlängerung der alten Bewilligung war auch nicht zu denken, da es sich jetzt um die Zollabteilung NordrheinWestfalen handelte und nicht mehr, wie zuvor, um diejenige von Baden-Württemberg.
Herr Lätt arbeitete dreieinhalb Monate in Vaals als Torfstecher, bis er aus Düsseldorf die Genehmigung zu seiner neuerlichen Einreise erhielt. Um nun diesmal wirklich sicherzugehen, fuhr er gleich zum Bundesfernstraßenbelastungsamt in Köln, welches, wie er inzwischen durch Schwertransportkollegen erfahren hatte, über Probleme dieser Art erstaunlich informiert sei. Dort machte man ihm auf seine Gewichts-, Längen- und Höhenangaben hin innerhalb weniger Minuten klar, daß der einzige Weg in die Schweiz über die Autobahn nach München führe, und zwar wegen schlechten Straßenzustands bei Heidelberg und zu geringer Belastungsfähigkeit der Aischbrücke bei Adelsdorf über die Zonenautobahn Berlin-Leipzig-Hof. Beim Wort Zonenautobahn knickte Herr Lätt ein bißchen zusammen, und einen Moment lang hätte er fast den Mut verloren. Dann aber dachte er daran, daß er in den neunzehn Jahren seiner Chauffeurlaufbahn noch keinen einzigen Transport nicht zu Ende geführt hatte, und nahm sich vor, entweder mit dem Superthronger in die Schweiz zurückzukehren oder gar nicht. Entschlossen füllte er die Gesuchsformulare für die Zonendurchfahrt aus, vergaß auch den kleinen gelben Zusatzzettel nicht und schickte alles nach Ost-Berlin. Dann fuhr er nach Helmstedt, wo er eine Stelle als Garndreher fand.
Da er ein zuverlässiger und solider Arbeiter war, der sich in Abendkursen weiterbildete, stieg er schon nach zwei Jahren zum pensionsberechtigten Garndrehermeister auf und hatte alle Aussichten, es zum Obergarndreher zu bringen, als die Bewilligung aus Ost-Berlin eintraf. Für Herrn Lätt war klar, was er tun mußte, und nach einer kleinen Abschiedsfeier im engsten Garndreherkreise bestieg er die Führerkanzel seines Doppelsattelschleppers und fuhr nach einer zweitägigen Zollkontrolle in die DDR ein. Einmal drin, waren die Schwierigkeiten gering, es reute ihn bloß, daß er fast seine ganzen Ersparnisse vom Garndrehen in die nach Transittonnenkilometern berechnete Transitgebühr stecken mußte, die sich in den zwei Jahren verfünffacht halte. Erleichtert legte er nach wenigen Tagen an der Grenzstelle Juchhöh bei Hof an und stellte sich zur Ausfahrt in die Bundesrepublik ein. Als ihn aber der Zollbeamte nach Durchsicht der Formulare ins Zollgebäude kommen ließ, ahnte Herr Lätt Schlimmes, und das mit Recht, hatte er doch tatsächlich auf dem vierundzwanzigsten Formular den schräggesetzten Zusatz übersehen, daß diese Transitpapiere nur für die Durchreise in ein weiteres sozialistisches Land gültig seien, nicht aber zum Austritt in die Bundesrepublik. Da die Papiere zudem nur für die Autobahn Gültigkeit besaßen, war die Ausreise über Stettin oder Frankfurt an der Oder nach Polen die einzige Möglichkeit.
Von da an werden die Nachrichten über Herrn Lätt spärlicher. Ein paar Jahre hindurch erhielt Frau Lätt in Suhr noch Postkarten aus östlichen Ländern, einmal aus der Nähe von Warschau mit dem Satz »Auf in die Tschechoslowakei!«, später aber, viel später, aus Riga, mit der Feststellung, es sei doch schwieriger gewesen, als er gedacht hätte, da es ihm nicht möglich gewesen sei, die Weichsel zu überqueren. Er berichtete kurz, daß er sie mit einem Riesenfrachter durch die Ostsee umschifft habe und jetzt von Riga aus Kurs auf die Slowakei nehme, um durch das ungarische Flachland über Wien ins Rheintal zu fahren. Rheintal war übrigens »Reihntal« geschrieben. Zwei Jahre danach traf eine Karte aus Saratow an der Wolga ein, auf der Herr Lätt in zittriger Schrift die Hoffnung ausdrückte, demnächst über die Türkei und den Balkan … Seitdem fehlt von ihm jede Nachricht.
Das Beznauer Kraftwerk hat sich inzwischen einen Superthronger von der Firma Sulzer an Ort und Stelle fabrizieren lassen, Frau Lätt hat nach der Verschollenheitserklärung ihres Mannes wieder geheiratet, einen Elektrowickler aus Buchs, und ihre beiden Töchter besuchten das Seminar Aarau und sind jetzt beide Lehrerinnen, die eine in Zuzgen, die andere in Turgi.
Kürzlich aus der Sowjetunion zurückgekehrte Volkskundler berichten von einer neuen Sage im Ural, wonach ein brüllendes Eisenungeheuer, von einem weißbärtigen Fremden geritten, des Nachts die Straßen verwüste und sich langsam nach Osten bewege.
Man kneift das eine Auge zu
Man späht in sich hinein in jeden Winkel
Sieht man ob keine Nägel ob keine Diebe
Ob keine Kuckuckseier da sind
Man kneift sich das andere Auge zu
Man hockt sich hin dann springt man auf
Springt man hoch sehr hoch sehr hoch
Bis zur Spitze seiner selbst
Von dort fällt man zurück mit ganzem Gewicht
Tagelang fällt man tief sehr tief
sehr tief Auf den Grund der eigenen Tiefe
Wer nicht in tausend Scherben zerspringt
Wer heil bleibt und heil heraufkommt
Kann spielen
Der eine streichelt das Stuhlbein
Solange bis der Stuhl sich rührt
Mit dem Bein ihm ein süßes Zeichen gibt
Der andere küsst das Schlüsselloch
Küsst es und küsst es wie verrückt
Bis ihm das Schlüsselloch den Kuss zurückgibt
Der dritte hält sich abseits
Glotzt auf jene zwei
Er schüttelt den Kopf schüttelt ihn
Solange bis der Kopf ihm abfällt
In Madrid lebt’ einst ein Jüngling,
Der Pedrillo war genannt,
Dieser zeichnete und malte
Mit sehr kunstgeübter Hand.
Keiner trug wie Don Pedrillo
So ’nen hohen, steifen Hut,
Und den edlen Bleistift spitzen
Konnt’ er aus dem Grunde gut.
Meistens nahm er Nummer sieben,
Spitzt’ ihn an zwei Seiten an,
Was man sehr bequem, indessen
Niemals praktisch finden kann.
Bald bemerkte dies sein Meister,
Sprach zu ihm: »Als Mensch und Christ
Sag ich dir, dass das gefährlich
Und auch gar nicht nötig ist!«
Doch Pedrillo, welcher wenig
Von des Meisters Lehren hält,
Zeichnet fort, zu welchem Zwecke
Er sich ein Modell bestellt.
Abends aber, wenn ein jeder
Gerne seine Ruhe hat,
Führt Pedrillo dieses Mädchen
Dann spazieren vor der Stadt.
Bald bemerkte dies sein Meister,
Sprach zu ihm: »Als Mensch und Christ
Sag ich dir, dass das gefährlich
Und auch gar nicht nötig ist!«
Doch Pedrillo schlug die Lehren
Lirum, larum in den Wind,
Und spaziert schon nächsten Tages
Wieder mit dem schönen Kind.
Und er spricht: »Ich lieb dich, Rosa!«
Diese sagt nichts, doch sie lässt
Ruhig zu, dass sie Pedrillo
Fest und fester an sich presst.
»Au!« schreit plötzlich Don Pedrillo,
Und das Mädchen schreit es auch,
Sterbend sinken beide nieder
Unter einem Myrtenstrauch.
Als Pedrillos Meister dieses
Hörte, sprach er sorgenschwer:
»Spitz, o Jüngling, an zwei Seiten
Keinen harten Bleistift mehr!
Führ auch Mädchen nicht spazieren,
Denn dies Beispiel zeigt es klar,
Dass sowohl es sehr gefährlich
Als auch gar nicht nötig war!«
Ich war steif und kalt, ich war eine Brücke, über einem Abgrund lag ich. Diesseits waren die Fußspitzen, jenseits die Hände eingebohrt, in bröckelndem Lehm habe ich mich festgebissen. Die Schöße meines Rockes wehten zu meinen Seiten. In der Tiefe lärmte der eisige Forellenbach. Kein Tourist verirrte sich zu dieser unwegsamen Höhe, die Brücke war in den Karten noch nicht eingezeichnet. – So lag ich und wartete, ich musste warten. Ohne einzustürzen kann keine einmal errichtete Brücke aufhören, Brücke zu sein.
Einmal gegen Abend war es – war es der Erste, war es der Tausendste, ich weiß nicht, –– meine Gedanken gingen immer in einem Wirrwarr und immer in der Runde. Gegen Abend im Sommer, dunkler rauschte der Bach, da hörte ich einen Mannesschritt! Zu mir, zu mir. – Strecke dich, Brücke, setze dich in Stand, geländerloser Balken, halte den dir Anvertrauten. Die Unsicherheit seines Schrittes gleiche unmerklich aus, schwankt er aber, dann gib dich zu erkennen und wie ein Berggott schleudere ihn ans Land.
Er kam, mit der Eisenspitze seines Stockes beklopfte er mich, dann hob er mit ihr meine Rockschöße und ordnete sie auf mir. In mein buschiges Haar fuhr er mit der Spitze und ließ sie, wahrscheinlich wild umherblickend, lange drin liegen. Dann aber – gerade träumte ich ihm nach über Berg und Tal – sprang er mit beiden Füßen mir mitten auf den Leib. Ich erschauerte in wildem Schmerz, gänzlich unwissend. Wer war es? Ein Kind? Ein Traum? Ein Wegelagerer? Ein Selbstmörder? Ein Versucher? Ein Vernichter? Und ich drehte mich um, ihn zu sehen. – Brücke dreht sich um! Ich war noch nicht umgedreht, da stürzte ich schon, ich stürzte, und schon war ich zerrissen und aufgespießt von den zugespitzten Kieseln, die mich immer so friedlich aus dem rasenden Wasser angestarrt hatten.
Tunkomar und Teutelinde,
Welch ein zärtlich junges Paar.
Er gemächlich, sie geschwinde;
Furie sie, er Dromedar.
Er phlegmatisch und platonisch:
»Süßes Lindchen, Mündchen her.«
Sie, dämonisch, denkt lakonisch:
»Er ermannt sich nimmermehr.«
Sonntags: Ausflug. Treubeflissen
Jedes Mal ein leckres Fest.
Er häuft ihr die besten Bissen,
Sich bescheidend mit dem Rest.
Dann nach Hause. Vor der Klause
Küsst er ihr galant die Hand.
Sitzt die arme, kleine Mause
Stets allein vor ihrer Wand.
Hindernisse aller Sorten
Türmen sich der schönen Braut,
Hier die Eltern, Geldschwund dorten,
Und der Bräutigam steht benaut.
Mais la femme: Teutelinden
Wird es glücken klipp und klar,
Sich mit Tunkomarn zu binden,
Wos auch sei, am Traualtar.
Sie beschließen, zu entfliehen,
Nicht zu warten, nein, sogleich!
Und Poseidon sieht sie ziehen
Durch sein großes Wasserreich.
Ihre Sehnsucht höchster Höhe
Heißt das Land Amerika.
Schicksalswanzen, Fehlschlagsflöhe
Weichen dort, Halleluja!
Glatter als des Spiegels Glätte
Breitet sich der Ozean.
Plötzlich fuchtelt durch die Stätte
Ein entsetzlicher Orkan.
Wale wimmern, Aale toben;
Wogenberg und Wogental.
Mast nach unten, Kiel nach oben;
Munter hält der Hai sein Mahl.
Tunkomar und Teutelinde,
Ach, erklettern mühsam nur
Eines Eilands Felsenrinde,
Triefend von der nassen Spur.
Unter einer Sykomoren
Ruhen sie die erste Nacht.
Und sie sehen sich verloren,
Als sie morgens aufgewacht.
Nur Korallen, nur Gerölle;
Selbst der alte Feigenbaum
Zeitigt auf der Inselhölle
Keine Frucht im Blätterraum.
Kaffee wünscht sich Teutelinde,
Und ein Brötchen Tunkomar.
Nirgends wächst ein Obstgebinde,
Grässlich, auf dem Steinaltar.
Strandschildkröten, Vögel, Eier,
Nichts von allem kommt hier vor,
Und der Hunger zieht als Freier
Frech ins kahle Siegestor.
Wer wird wohl den Ausgang finden?
Wo macht Stopp des Schicksals Lauf?
Tunkomar küsst Teutelinden.
Aber diese pfeift darauf.
Eilends wird der Hunger stärker,
Immer stärker, ganz enorm;
Endlich wird er Feuerwerker
Und zersprengt die Anstandsform.
Tunkomar springt aus der Tute,
Wird Berserker! Goliath!
Teutelindchen schwimmt im Blute,