Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH, Stuttgart
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Buchcode: 3659-MKDb
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Print: | ISBN: 978-3-7910-3659-5 | Bestell-Nr.: 20212-0002 |
ePDF: | ISBN: 978-3-7910-3660-1 | Bestell-Nr.: 20212-0151 |
ePub: | ISBN: 978-3-7910-4095-0 | Bestell-Nr.: 20212-0100 |
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
© 2017 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH
www.schaeffer-poeschel.de
info@schaeffer-poeschel.de
Umschlagentwurf: Goldener Westen, Berlin
Umschlaggestaltung: Kienle gestaltet, Stuttgart
Satz: Claudia Wild, Konstanz
Juni 2017
Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart
Ein Tochterunternehmen der Haufe Gruppe
Unsere unternehmerische Reise der letzten Jahre führt zur zweiten Auflage dieses Lehrbuchs. Das Phänomen Entrepreneurship hat durch neue technologische Entwicklungen noch einmal an Dynamik gewonnen. Die Digitalisierung und Vernetzung wirken auf nahezu alle Branchen ein und fordern innovative Lösungsansätze für neue Kundenprobleme mit unternehmerischem Potenzial. In einer Shared Economy sind andere Geschäftsmodelle mit größerer Reichweite möglich, als dies in der Old Economy der Fall war. Junge Unternehmen gewinnen auch in etablierten Märkten zunehmend an Einfluss und fordern die vorhandenen Marktteilnehmer heraus. Mit den neuen Marktverhältnissen wächst die Unsicherheit, mit bestehenden Strategien, Geschäftsmodellen, Technologien, Produkten und Dienstleistungen auch in Zukunft noch wettbewerbsfähig zu sein. Die beiden Welten der innovativen Gründer und der arrivierten Managerinnen verzahnen sich, indem der eine vom anderen lernt und neue Kooperationsformen und Partnerschaften entlang der Wertschöpfungskette entstehen.[2]
Der Fokus in der Forschung hat sich entsprechend von der Sicht auf den einzelnen Entrepreneur und die unternehmerische Gelegenheit (Individual-Opportunity-Nexus) verlagert auf unternehmerische Prozesse und die Interaktionen, die die neuen Technologien ermöglichen (Action-Interaction-Nexus). Dazu enthält die Neuauflage ein neues Kapitel zu Prozessen und Methoden unternehmerischen Handelns, das Ansätze wie Bricolage, Improvisation, Effectuation, Design Thinking, Lean Startup und das Gründen in Komponenten als systematische und wirkungsvolle Prozesse zur Reduzierung der unternehmerischen Unsicherheit erfasst.
Unsere zahlreichen Praxis- und Forschungsprojekte mit Start-ups, etablierten Unternehmen und staatlichen Stellen hat zu neuen Erkenntnissen geführt, die unmittelbar in die Neuauflage dieses Lehrbuchs eingeflossen sind und zu einer kompletten Überarbeitung aller Kapitel geführt haben. Beispiele sind das Bootstrapping, Crowdfunding und Crowdsourcing sowie neue Social-Impact-Messungen. Die Zusammenarbeit mit international führenden Forschern und unseren Hauptpersonen – den Unternehmerinnen und Unternehmern – hat uns persönlich weiterentwickelt und geprägt. Alle Autoren dieses Buches schauen auf die neue digitale Welt und die unternehmerischen Herausforderungen sowohl als Forscher als auch als praktizierende Entrepreneure. Nur so lässt sich empirische Evidenz aus wissenschaftlichen Studien mit den praktischen Einzelfällen zu einem sinnvollen Handlungsleitfaden für den Leser entwickeln.[3]
Die dargestellten Konzepte wurden mit Studierenden in den Bachelor-, Master-, Doktorats-, MBA- und EMBA-Programmen unserer vier beteiligten Hochschulen über die Jahre getestet, verfeinert und ergänzt. Die Universität St. Gallen, die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, die WHU – Otto Beisheim School of Management und die ESCP Europe stehen im deutschsprachigen Raum und im europäischen Kontext für eine einzigartige unternehmerische Exzellenz. Im Lehrbuch spiegelt sich dies in fünfzehn Fallstudien wider, von denen zehn Cases für die zweite Auflage neu erstellt wurden. Mit den neuen Fallstudien Avrios, Salonmeister, On Running, ComfyLight, Twitch.tv, getAbstract, DeinDeal, P&G Passion Club, Jivana Vitality und zum unternehmerischen Ökosystem der Schweiz sowie den aktualisierten Fällen zu Incelltec, Puron, Policen Direct, MRI Tools und RWTH Aachen erwarten den Leser ein reichhaltiges Reservoir an Best Practices aus verschiedenen Branchen.[4]
Eine solche umfassende Neuauflage ist nur möglich durch mehrere Teams, die hinter den Autoren stehen und denen wir zu großem Dank verpflichtet sind. An erster Stelle zu nennen ist Barbara Burkhard, die die Neuauflage mit großer Akribie und Umsicht organisatorisch und inhaltlich in St. Gallen begleitet hat. Ihr ist es maßgeblich zu verdanken, dass ein solches Ensemble von Mitwirkenden an verschiedenen Standorten orchestriert werden konnte. Einzelne Kapitel sind unter Mitwirkung weiterer wissenschaftlicher Assistentinnen und Assistenten an den beteiligten Lehrstühlen be- und überarbeitet worden. In der Übersichtstabelle sind alle Mitwirkenden namentlich erwähnt. Mit dem Schäffer-Poeschel Verlag stand uns erneut ein professioneller Partner zur Seite. Frau Marita Rollnik-Mollenhauer und Frau Claudia Knapp danken wir für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und die Geduld, die wir ihnen abverlangt haben.
Nr. | Kapitel | unter Mitarbeit von |
---|---|---|
A | Formen und Bedeutung unternehmerischen Handelns | |
1 | Erscheinungsformen unternehmerischen Handelns | Barbara Burkhard |
2 | Gesamtwirtschaftliche Bedeutung unternehmerischen Handelns | Barbara Burkhard |
B | Unternehmerische Gelegenheiten und Denkweisen | |
3 | Opportunity Map des unternehmerischen Entscheidungsprozesses | Henrik Wesemann |
4 | Entstehung unternehmerischer Gelegenheiten | |
5 | Bewertung und Wahrnehmung unternehmerischer Gelegenheiten | |
6 | Prozesse und Methoden unternehmerischen Handelns | Alexander Meister, David Lehmann |
7 | Geschäftsmodell | |
C | Ressourcenbeschaffung zur Nutzung unternehmerischer Gelegenheiten | |
8 | Organziational Capital als intangible Ressource | Philipp Bierl |
9 | Human Capital als intangible Ressource | Nicolas van de Sandt |
10 | Social Capital als intangible Ressource | Ronny Baierl, Manuel Heß |
11 | Financial Capital als tangible Ressource | Anna-Christina Fredershausen |
D | Grundformen unternehmerischen Handelns | |
12 | Geschäftsplanung | David Lehmann, Alexander Meister |
13 | Markteintritt, Marketing und Positionierung | |
14 | Wachstumsplanung und Wachstumsmanagement | |
15 | Unternehmensaustritt | |
E | Sonderformen unternehmerischen Handelns | |
16 | Corporate Entrepreneurship | Nael Ahmad |
17 | Academic Entrepreneurship | Sebastian Szambelanczyk |
18 | Social Entrepreneurship | Florian Forster, Torben Antretter[5] |
Übersichtstabelle Mitwirkende
Uns alle eint die Überzeugung, dass unsere veränderte Welt unternehmerisch denkende und handelnde Menschen benötigt, um die neuen Herausforderungen bewältigen zu können. In diesem Lehrbuch lernen Sie die besten Konzepte kennen, um unternehmerisch erfolgreich zu sein. Bei der Anwendung wünschen wir Ihnen viel Freude. Bekanntlich zählen Unternehmerinnen und Unternehmer zu den glücklichsten Menschen der Welt. Gehören auch Sie dazu!
St. Gallen, Aachen, Vallendar, Zürich und Berlin, im Januar 2017
Dietmar Grichnik, Malte Brettel, Christian Koropp und René Mauer
Unternehmerisches Handeln ist das Ergebnis eines Prozesses, der den Kern von Entrepreneurship ausmacht. In diesem Kapitel lernen Sie, welche Formen unternehmerischen Handelns existieren und welche Elemente Entrepreneurship als wissenschaftliche Disziplin beschreiben.
Nachdem Sie dieses Kapitel durchgearbeitet haben, werden Sie insbesondere:
Ausprägungsformen von Entrepreneurship in der Realität beschreiben können,
das Erfahrungsobjekt von Entrepreneurship kennen und damit Entrepreneurship vom reinen Management kleiner und neuer Unternehmen unterscheiden können,
Definitionen von Entrepreneurship diskutieren und das Erkenntnisobjekt im Entrepreneurship identifizieren können,
die Entwicklung neuer Technologien als Treiber unternehmerischer Aktivität kennen,
Entrepreneurship von anderen wissenschaftlichen Disziplinen mit dem Individual-Opportunity-Nexus und dem Action-Interaction-Nexus abgrenzen können,
die Entwicklung der Forschung und Schulen zu unternehmerischen Gelegenheiten und neuen Forschungsfeldern im Entrepreneurship kennen.
Im Alltag wird unternehmerisches Handeln oft mit erfolgreichen Persönlichkeiten assoziiert, die als Gründer und Unternehmenslenker das Bild der Wirtschaft prägen. Prominente Beispiele sind Steve Jobs (Apple-Gründer) als Vorbild für innovatives Handeln und Bill Gates und Paul Allen (Microsoft-Gründer) als Unternehmer mit Weitblick für das Marktpotenzial. Diese US-amerikanischen Protagonisten für das Hero Entrepreneurship sind gleichwohl wenig repräsentativ für das Phänomen und die Bedeutung unternehmerischen Handelns in einer Volkswirtschaft. Schon das Solo Entrepreneurship der Britin Anita Roddick ist weniger bekannt, wenngleich die von ihr gegründete Kosmetikkette „The Body Shop“ mit ihrer ökologisch nachhaltigen Produktionsweise große öffentliche Wahrnehmung genießt. Auch das Serial Entrepreneurship, das die Gründung gleich mehrerer Unternehmen durch Entrepreneure als „Serientäter“ kennzeichnet, wird durch Persönlichkeiten wie den Briten Richard Branson (Virgin Group) noch publik, aber könnten wir ad hoc hier ein deutsches Beispiel nennen? – Die Aldi-Brüder oder Otto Beisheim, der Metro-Gründer, scheuten die Öffentlichkeit und sind als Rollenmodelle wenig präsent.[7]
Eine Zwischenform von Entrepreneurship ist Hybrid Entrepreneurship. Es bezeichnet eine Alternative zur Vollzeitgründung, bei der der Entrepreneur parallel zu einem Angestelltenverhältnis gründet. So reduziert er die Opportunitätskosten und das Risiko, welche im Zusammenhang mit der Neugründung stehen (Raffiee und Feng, 2014; Schulz et al., 2016). Gegenüber den angloamerikanischen Unternehmerpersönlichkeiten tritt im deutschsprachigen Raum das Family Business Entrepreneurship in den Vordergrund, bei dem Unternehmerfamilien über mehrere Generationen erfolgreich unternehmerisch handeln. Die Personen treten jedoch oft nach der Gründung und dem schnellen Wachstum hinter das Unternehmen zurück, wie das Beispiel der Quandt-Familie und BMW zeigen.[8]
Im Kontext großer etablierter Unternehmen (Corporates) gewinnt die Form des Corporate Entrepreneurship zunehmend an Bedeutung (Grichnik und Gassmann, 2013). Unternehmen wie Google, Hewlett-Packard oder 3M versuchen, ihren unternehmerischen Ansatz zu bewahren, indem sie unternehmerische Rahmenbedingungen für innovative Teams schaffen, die wie im Fall 3M zu innovativen Produktideen wie den „Post-Its“ oder zu Ausgründungen innovativer und technologieorientierter Unternehmungen (Ventures) führen, wie im Fall von Steve Jobs und Steve Wozniak, beide Apple Computers Inc. und ehemalige Mitarbeiter von Hewlett-Packard Corporation. Technologiegründungen kennzeichnen das besonders potenzialreiche Technology Entrepreneurship mit technischen Entwicklungen, die zu einem marktfähigen Produkt geführt werden. Neben Corporates sind vor allem Universitäten (Academic Entrepreneurship), technische Hochschulen und Forschungseinrichtungen (Scientific Entrepreneurship) Quellen für Technologiegründungen. Im Umkreis dieser Forschungseinrichtungen bilden sich ganze Forschungscluster wie das IT-Cluster Silicon Valley oder das Münchner Biotech-Cluster, die in ihrer Netzwerkstruktur (Interpreneurship) ideale Bedingungen für die Entwicklung neuer Start-ups bieten.
Auf der Ebene der handelnden Personen können drei verschiedene Unternehmeridentitäten unterschieden werden. Fauchart und Gruber (2011) identifizieren in einer qualitativen Studie den sogenannten Darwinisten, bei welchem der Wettbewerb und das ökonomische Eigeninteresse Hauptmotive sind, um ein Unternehmen zu gründen und zu führen. Beim Kommunitaristen steht bei einer unternehmerischen Tätigkeit die Anerkennung seiner Bezugsgruppe im Vordergrund. Er sieht seine Tätigkeit als Entrepreneur als wichtigen Katalysator für die Entwicklung der Gemeinschaft mit der er die Passion für sein Produkt teilt. Der Antrieb der dritten Unternehmeridentität, der Missionarin, liegt darin, die Welt ein Stück besser zu machen. Missionare verfolgen ihre Vision, welche in der Regel von sozialer oder ökologischer Natur ist, und glauben, dass ihr Unternehmen Agent des Wandels in der Gesellschaft ist. Die Darwinisten, Kommunitaristen und Missionare unterscheiden sich nicht nur in ihrem Selbstverständnis, sondern auch in ihren unternehmerischen Entscheidungen. Gemeinsam ist ihnen das unternehmerische Streben nach neuen und besseren Lösungen für existierende Kundenprobleme.[9]
Innovative und technologieorientierte Unternehmungen bilden das reale Erfahrungsobjekt dieses Lehrbuchs. Entrepreneurship – so wie wir es verstehen mit dem Fokus auf Innovationen – darf damit nicht mit dem Handeln in vielen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) oder vielen neuen Unternehmen gleichgesetzt werden.
Technologische Entwicklungen spielen eine wichtige Rolle bei der Entdeckung und Schaffung von unternehmerischen Gelegenheiten. Beim sogenannten Technologieschub, „technology push“ ,[10] erfolgt der Impuls zur Innovation durch technologische Neuerungen. Entrepreneure erkennen dabei die ungenutzten oder nur zum Teil genutzten Ressourcen und versuchen, deren Anwendungsmöglichkeiten zu optimieren (Homburg und Krohmer, 2009; Martin, 1994). Die Schlüsseltechnologie ist in der Regel verfügbar, bevor das entsprechende Anwendungsgebiet dafür gefunden wurde. Dabei handelt es ich oft um bahnbrechende, radikale Innovationen. Ein anschauliches Beispiel für einen Technology Push ist die Entwicklung des World Wide Web am europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf. Das Internet wurde ursprünglich konzipiert und entwickelt, um den automatischen Informationsaustausch zwischen Wissenschaftlern an Universitäten und Instituten weltweit zu ermöglichen. Damals entschied das CERN, die World Wide Web-Software der Öffentlichkeit kostenlos zugänglich zu machen, ohne das genaue Anwendungsgebiet zu kennen.
Die vierte industrielle Revolution, die durch eine zunehmende Digitalisierung und Vernetzung von Produkten, Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodellen gekennzeichnet ist, bietet den Entrepreneuren neue Chancen, unternehmerische Gelegenheiten auszuschöpfen. Diese sogenannte Industrie 4.0, welche für die intelligente Vernetzung von Produktentwicklung, Produktion, Logistik, Produkten und Kunden steht, ermöglicht und erfordert eine Reihe von neuen Geschäftsmodellen, die zuvor nicht realisierbar waren.[11]
Eine weitere Quelle von unternehmerischen Gelegenheiten sind die Kundenbedürfnisse. Ausgangspunkt beim sogenannten Marktsog oder „market pull“ sind die Bedürfnisse der Gesellschaft und des Marktes. Anders als beim Technology Push besteht beim Market Pull die Marktnachfrage bereits und der Anreiz zur Innovation wird durch das Kundenbedürfnis bestimmt (Homburg und Krohmer, 2009; Martin, 1994). Es handelt sich dabei meistens um inkrementelle Innovationen. Ein Beispiel für den Market Pull ist die Erfindung der Digitalkamera. Die Digitalkamera war die Reaktion auf die Marktnachfrage nach einer Kamera ohne Film, welche unzählige Sofortbilder machen kann.
Nicht selten gehen Technology Push und Market Pull miteinander her. Es gibt beispielsweise einen klaren Technologieschub des Internet of Things (IoT) – das Internet der großen und kleinen Dinge – zum Beispiel durch leistungsstärkere mobile IT-Technologie, 5G-Netzwerke und Big Data Analytics. Gleichzeitig gibt es einen Marktsog von Kunden, die ein Bedürfnis nach anspruchsvollen IoT-basierten Lösungen haben, um ihr Leben zu verbessern oder die Arbeitsproduktivität zu erhöhen. Ein weiteres prominentes Beispiel sind innovative Geschäftsmodelle der Sharing Economy, deren Haupttreiber die Kombination von neuen digitalen Technologien (z. B. Apps, mobiles Internet) und veränderte Kundenbedürfnisse (Nutzen statt Besitzen) sind. Mithilfe der digitalen Technologien wurden die Transaktionskosten für die Vermittlung von Gütern und Dienstleistungen gesenkt. So entstanden Märkte, die in dieser Form mit großer Reichweite zuvor nicht organisiert werden konnten. Das veränderte Kundenbedürfnis – zu nutzen statt zu besitzen – und die damit verbundene Bereitschaft, auf Eigentum zu verzichten und lediglich für die Nutzung online zu bezahlen, hat zur Entstehung der Sharing Economy beigetragen (Eichhorst und Spermann, 2015).[12]
Der Exkurs „Die zehn wichtigsten Zukunftstechnologien“ zeigt aufkommende Technologien, die alle das Potenzial haben, das Entdecken und Schaffen unternehmerischer Gelegenheiten maßgeblich zu beeinflussen.
(World Economic Forum (WEF), Top 10 Emerging Technologies of 2016)
1. Nanosensoren und Internet of Nanothings: Das Internet of Things (IoT) wird sich in den nächsten Jahren massiv ausweiten: Bis 2020 wird mit weltweit über 30 Milliarden Gegenständen, Maschinen und Geräten gerechnet, die mit dem Internet verbunden sein werden. Das Internet of Nanothings (IoNT) ist der nächste Schritt. Dabei geht es um kleinste Sensoren, die im menschlichen Körper zirkulieren oder Baustoffen zugesetzt werden können, um Informationen zu sammeln. Sobald diese Informationen mit dem Internet verbunden sind, verspricht sich das WEF vom Internet of Nanothings großen Einfluss auf die Medizin, Agrarwissenschaft und Pharmazie.
2. Die nächste Generation der Power-Batterien: Nur etwa 5 % des Elektrizitätsbedarfs wird durch erneuerbare Energie gedeckt. Neue Batterien, die auf Natrium, Aluminium oder Zink basieren, sollen eine Alternative darstellen. Der Vorteil dieser Batterien verglichen mit den Lithium-Batterien ist der niedrigere Preis und deren Sicherheit. Somit können auch kleinere Stromnetze mit sauberer, zuverlässiger 24-Stunden-Elektrizität ganze Fabriken und Städte versorgen. Durch diese Technologie lassen sich unterversorgte Regionen an das Stromnetz anbinden. So speist zum Beispiel die Firma Fluid Energy rund 100 Dörfer in Madagaskar mit Energie aus solarbetriebenem Mini-Grid mittels Zink/Sauerstoff-Batterien.[13]
3. Blockchain: Blockchain ist die Technologie hinter der Kryptowährung Bitcoin. Vereinfacht muss man sich diese Technologie wie ein großes digitales Kassenbuch vorstellen, in der Geldein- und -ausgänge verzeichnet werden und deren Kopien auf tausenden Rechnern liegen. Das Kassenbuch wird aber nicht zentral geführt, sondern stattdessen gleichzeitig dezentral von einem Netzwerk von Computern gepflegt und unveränderbar abgespeichert. Das WEF sieht darin mehr als ein Mittel für monetäre Transaktionen. Vielmehr bietet die offene, globale Infrastruktur Einzelpersonen neue Möglichkeiten geschäftlicher Tätigkeiten. Alleine im Jahr 2015 wurden über 1 Milliarde US-Dollar in Start-ups investiert, die sich mit der Blockchain-Technologie beschäftigen. Die Anwendungsmöglichkeiten dieser Technologie stehen noch am Anfang.
4. Zweidimensionale Substanzen: Zweidimensionale Substanzen wie Graphen werden dank verbesserter Produktionstechniken zunehmend erschwinglicher. Die Substanz Graphen, eine spezielle Variante des chemischen Elements Kohlenstoff, zählt zum bekanntesten einatomigen Schichtmaterial. Diese Substanz ist stärker als Stahl, härter als Diamant, leichter als fast jedes andere Material, transparent, flexibel, und sie dient als ultraschneller elektrischer Leiter. Da die Produktionskosten von Graphen stark gesunken sind, bietet dieses Material ein breites Spektrum von Anwendungsmöglichkeiten. Laut dem WEF haben Graphen zum Beispiel das Potenzial in Wasserfiltern zum Einsatz zu kommen und so zu einer besseren Aufbereitung von Trinkwasser beizutragen.[14]
5. Selbstfahrende Autos: Die Massennutzung von selbstfahrenden Autos ist nach dem WEF nur eine Frage der Zeit. Bis dahin sind zahlreiche rechtliche Hürden zu überwinden und versicherungstechnische Fragen zu klären. Das Potenzial selbstfahrender Autos, wie Leben zu schützen, Umweltverschmutzung zu verringern und die Lebensqualität für ältere und jüngere Menschen zu verbessern hat zu einer schnellen Entwicklung der Schlüsseltechnologien von teilautonomen hin zu vollautonomen Fahrsysteme geführt. Die Technologie überzeugt, sodass die Massennutzung nur zu einer Frage des „wann“ und nicht des „ob“ wird.
6. Organ-Chip-Technologie: Miniaturmodelle von menschlichen Organen in der Größe von Memory Sticks könnten die medizinische Forschung und Pharmazie revolutionieren. Die Idee ist, Miniatur-Organe auf Mikrochips herzustellen um reale Vorgänge des menschlichen Organismus zu simulieren. Mit der Organ-Chip-Technologie können medizinische Tests durchgeführt und Verhaltensweisen des biologischen Mechanismus erforscht werden, was zum Beispiel Tierversuche ersetzen kann.[15]
7. Perowskit-Solarzellen: Perowskit sind metallorganische Verbindungen, die durch eine spezielle Kristallstruktur gekennzeichnet sind. Das neue Photovoltaik-Material bietet drei Verbesserungen gegenüber der klassischen Silizium-Solarzelle: Es ist einfacher und kostengünstig herzustellen, kann vielfältig verwendet werden und Energie effizienter erzeugen.
8. Open-AI(Artificial-Intelligence)-Ecosystem: Künstliche Intelligenz wie der Sprachassistent Siri von Apple bieten die Grundlage für ausgefeiltere digitale persönliche Assistenten. Offene AI(Artificial Intelligence)-Ecosysteme verbinden nicht nur die mobilen Geräte und Computer, sondern vernetzen beispielsweise das Smartphone mit der Heizung zu Hause, dem Armband am Handgelenk und dem Auto in der Einfahrt. Durch die Möglichkeit, mit dem persönlichen Assistenten zu sprechen, wird dem Einzelnen der Alltag erleichtert. Dies kann die Produktivität im Arbeitsleben erhöhen und gleichzeitig die Gesundheit der Menschen verbessern.
9. Optogenetik: Die Optogenetik verwendet Licht, um genetisch modifizierte Zellen zu kontrollieren. Die Idee ist, bestimmte funktionelle Ereignisse in spezifischen Zellen oder lebenden Geweben mithilfe des Lichts an- oder abzuschalten. Diese Methode birgt großes Potenzial bei der Erforschung von chronischen Schmerzen, Depression und der Parkinson-Krankheit.[16]
10. Systems Metabolic Engineering: Mithilfe der Disziplin Systems Metabolic Engineering sollen möglichst viele Produkte aus lebenden Organismen wie aus Mikroben gewonnen werden, welche im Gegensatz zu fossilen Energieträgern unbegrenzt erneuerbar sind und relativ wenig Treibhausgas ausstoßen. Ziel ist es, Rohmaterialien herzustellen, statt nach Bodenschätzen zu graben.
Diese Vielfalt der Formen unternehmerischen Handelns in der Realität hat in der Wissenschaft dazu geführt, dass für Entrepreneurship keine einheitliche Definition existiert. Vielmehr findet sich eine Vielzahl an unterschiedlichen Definitionen, die je nach Blickrichtung und Zielsetzung variieren. Da Definitionen weder wahr noch falsch sein können, vielmehr immer zweckorientiert sind und daran gemessen werden müssen, wie sie einen gewünschten Zweck am besten erfüllen, lassen sich auch diese Definitionen nur nach ihrem Grad der Zweckerfüllung beurteilen.
Allen Definitionen ist gemein, dass sie einen klassisch ökonomischen Input-Output-Prozess auf unterschiedlichen Untersuchungsebenen von der Individual- über die Organisations- bis hin zur makroökonomischen Ebene der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung betrachten. Entsprechend lassen sich die prominenten Definitionen in der Entrepreneurship-Theorie in input-bezogene und output-bezogene Definitionen einordnen:
Input-bezogen definiert z. B. Stevenson (1999) Entrepreneurship als das Verfolgen einer unternehmerischen Gelegenheit ohne Rücksicht auf fehlende verfügbare eigene Ressourcen und Mittel. Dagegen formulieren Morris et al. (2008) – in Rückgriff auf Schumpeters Vorstellung von Innovation als die Rekombination existierender Ressourcen – Entrepreneurship als Prozess der Wertschöpfung durch die Kombination einzigartiger Ressourcen, um eine unternehmerische Gelegenheit auszuschöpfen. Sarasvathy (2008) gibt einen Hinweis darauf, dass diese Definition nicht im Widerspruch zu Stevensons „Mittellosigkeit“ des Unternehmers beim Verfolgen der unternehmerischen Gelegenheit steht, indem sie die Mittel und Ressourcen eines jeden Entrepreneurs mit den Fragen adressiert „Wer bin ich?“, „Was habe ich?“ und „Wen kenne ich?“: Damit sind die Input-Faktoren beschrieben, die jedem (potenziellen) Gründer und Unternehmer ganz individuell zur Verfügung stehen, von persönlichem Wissen und Fähigkeiten, der eigenen Identität, über das eigene Sach- und Geldkapital bis hin zum Sozialkapital, über das ich weitere Ressourcen aus meinem Umfeld erschließen und sie im Sinne Morris et al. in einer einzigartigen Kombination zusammenbringen kann.[17]
Output-bezogen definieren Hisrich et al. (2009) Entrepreneurship als Prozess der Kreation von etwas Neuem mit Wert unter Annahme der damit verbundenen Risiken und Entlohnungen. Das Risiko und die Entlohnung sind zwei Seiten einer Medaille, die sich in monetären, psychischen oder sozialen Ausprägungen wie Rendite, Selbstwertgefühl und sozialem Status äußern können. Wenngleich Baron und Shane (2008) das Fehlen einer allgemeingültigen Definition für Entrepreneurship feststellen – nicht überraschend in diesem frühen Stadium der Disziplin –, kann die Definition von Shane und Venkataraman (2000) als die in der Literatur am weitesten verbreitete angenommen werden: Entrepreneurship als Bereich der Ökonomie versucht zu verstehen, wie unternehmerische Gelegenheiten zur Schaffung von etwas Neuem (neue Produkte oder Dienstleistungen, neue Märkte, neue Produktionsprozesse oder Rohstoffe, neue Wege der Organisation existierender Technologien) entstehen und entdeckt oder geschaffen werden durch bestimmte Individuen, die dann verschiedene Mittel und Ressourcen einsetzen, um diese unternehmerischen Gelegenheiten auszuschöpfen und damit eine breite Spanne von Effekten erzielen (Baron und Shane, 2008). Sarasvathy (2008) kontrastiert zu Shanes Entrepreneur den Effectual Entrepreneur, der unternehmerische Gelegenheiten nicht entdeckt, sondern auf Basis seiner individuellen Ressourcen und Wertesysteme kreiert.[18]
Zentral für beide Sichtweisen und die zugrunde liegenden Schulen der „discovery theory“ und der „creation theory“ sind die Individuen und die unternehmerische Gelegenheit als Opportunität (Alvarez, 2005). Dieses Verständnis von Entrepreneurship erfasst neben dem Erfahrungsobjekt „innovative und technologieorientierte Unternehmungen“, die wir in der Realität in vielfältiger Form beobachten und die Untersuchungsgegenstand mehrerer Disziplinen wie im Innovationsmanagement und im Technologiemanagement sind, auch das Erkenntnisobjekt für Entrepreneurship und damit für dieses Lehrbuch. Analog zu Wöhe (2002), dem Klassiker der Betriebswirtschaftslehre, kann als Erkenntnisobjekt die Summe der unternehmerischen Entscheidungen rund um die unternehmerische Gelegenheit bzw. in innovativen und technologieorientierten Unternehmungen definiert werden. Dies schließt das der Entscheidung vorgelagerte Denken und nachgelagerte Handeln des Unternehmers mit ein. Das unternehmerische Denken, Entscheiden und Handeln ist somit ein kognitiv und emotional geprägter Prozess des Entdeckens oder Kreierens, des Bewertens und Ausschöpfens einer unternehmerischen Gelegenheit, der in einer innovativen und technologieorientierten Unternehmung münden kann.[19]
Wie aber lässt sich geleitet von diesem Erkenntnisinteresse eine Annäherung an den Kern des Entrepreneurships als eigenständige wissenschaftliche Disziplin begründen? Zunächst einmal ist dazu die Feststellung wichtig, dass es sich beim Entrepreneurship um eine eigenständige Disziplin handelt. Als wissenschaftliche Disziplin muss sie lehrbar und erforschbar sein. Dann ist auf die Entwicklung verschiedener Denkschulen und Forschungstheorien einzugehen.
Auch wenn die eingangs genannten Hero Entrepreneurs den Eindruck erwecken, sie seien als solche geboren, räumt die Forschung mit dem Mythos des geborenen Unternehmers eindeutig auf. Schon Drucker (1985) stellte zur „entrepreneurial mystique“ fest: Es ist nicht magisch, es ist nicht geheimnisvoll und es hat nichts zu tun mit den Genen. Es ist eine Disziplin. Und, wie jede Disziplin, kann sie gelehrt werden (Kuratko und Hodgetts, 2008; Grichnik, 2016). Weitere Studien (Gorman, Hanlon und King, 1997; Rauch und Hulsink, 2015; Walter und Block, 2016) untermauern diesen Standpunkt wie auch die Untersuchung des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) (Metzger et al., 2010), die den Mythos des jungen High-Tech-Gründers statistisch entlarvt. Das Zerrbild eines typischen High-Tech-Gründers zeigt demnach junge Unternehmerinnen und Unternehmer – wie den amerikanischen Facebook-Gründer Mark Zuckerberg –, die direkt vom Hörsaal aus ein eigenes, dynamisch wachsendes Unternehmen gründen. Dagegen belegt die ZEW-Studie, dass High-Tech-Gründerinnen und -Gründer immer älter werden und dass entgegen dem Stereotyp die deutschen High-Tech-Gründer im Vergleich zu den USA im Schnitt jünger sind. Mithin ist der Mythos eindeutig widerlegt, und auch andere Studienergebnisse zeigen, dass die Erfahrung und das Lernen eine große Rolle im Entrepreneurship spielen (Mayer-Haug et al., 2013). Entrepreneure sind wie auch große Sportler und virtuose Künstler nicht als solche geboren, sondern „gemacht“ – they are made, not born. Auch ein Roger Federer oder eine Ann-Sophie Mutter werden nicht als Weltranglistenerster im Tennis oder beste Geigerin der Neuzeit geboren. Vielmehr bedarf es jahrelangen Trainings, bevor sie diesen Erfolg erzielen. Ronstadt (1987) fragte konsequent zur Entrepreneurship Education demnach nicht mehr, ob unternehmerisches Handeln lehrbar sei, sondern was man lehren sollte und wie man es lehren sollte. Martin et al. (2013) bestätigen in einer Meta-Analyse, dass Entrepreneurship Education und Training einen positiven Einfluss auf Entrepreneurship-spezfisches Humankapital und unternehmerische Aktivität ausüben. Die Meta-Analyse von Bae et al. (2014) zeigt auf, dass Entrepreneurship Education die Intention, unternehmerisch aktiv zu werden, positiv beeinflusst und dass dieser Effekt stärker ist verglichen mit der betriebswirtschaftlichen Ausbildung. Walter und Block (2016) weisen darauf hin, dass Entrepreneurship Education im unternehmerfeindlichen institutionellen Rahmen, d. h. hohe regulatorische Vorschriften, geringe Verfügbarkeit von Finanzierungen, geringe Kontrolle der Korruption, negatives Image von Unternehmern, effizienter ist, als im unternehmerfreundlichen institutionellen Umfeld.[20-21]
Zu einer wissenschaftlichen Disziplin bedarf es des Weiteren, dass sie eine zu erforschende Einheit darstellt, die klare Konturen und Grenzlinien zu anderen Disziplinen aufweist. Die Theoriebildung zum Entrepreneurship zeigt den Bedarf, das ökonomische Denken, Entscheiden und Handeln mit ökonomischen, psychologischen und soziologischen Ansätzen nicht losgelöst voneinander – multidisziplinär – anzuwenden, sondern – interdisziplinär – zu verzahnen, damit sowohl Variationen zwischen den beteiligten Personen und den zugrunde liegenden unternehmerischen Gelegenheiten als auch die jeweiligen Kontextbedingungen Berücksichtigung finden (Grichnik, 2006a). Die mit dem Erkenntnisobjekt eingeführte entscheidungsorientierte Perspektive bietet für das Integrationserfordernis der ökonomischen, psychologischen und soziologischen Perspektiven den geeigneten Ansatz, da sich die Entdeckung, Kreation, Bewertung und Ausnutzung unternehmerischer Gelegenheiten in ihrem Fassettenreichtum auf das Entscheidungsverhalten der Beteiligten zurückführen lässt. (Um das Potenzial, aber auch die Grenzen der Disziplin auszuloten, analysiert Grichnik (2006b) aus dieser Perspektive, was den Kern des „Entrepreneurship“ als eigenes Paradigma – als wissenschaftliche Denkschule – ausmacht. Die Wissenschaftstheorie liefert hierfür das notwendige Instrumentarium.)[22]
Obwohl Entrepreneurship kein neues Phänomen ist, kann das Forschungsfeld als relativ jung bezeichnet werden. Die Entrepreneurship-Forschung hat sich in den letzten drei Jahrzehnten von einem „embryonalen“ und fragmentierten Zustand (Shane und Venkataraman, 2000; Busenitz et al., 2003; Zahra, 2005; Schildt et al., 2006) hin zu einer eigenständigen und international akzeptierten Disziplin entwickelt (Busenitz et al., 2014; van Burg und Romme, 2014). Im Mittelpunkt der Disziplin stand lange die Frage nach der Herkunft der unternehmerischen Gelegenheit (Alvarez und Barney, 2008; McMullen et al., 2007). Die Debatte drehte sich um die Frage, ob unternehmerische Gelegenheiten kreiert (Creation Theory) oder entdeckt (Discovery Theory) werden. Diese Frage ist in den wissenschaftstheoretischen Diskurs über empiristische, realistische und konstruktivistische Paradigmen eingebettet, welcher die organisationswissenschaftliche Forschung seit über vier Jahrzehnten beschäftigt (Moldoveanu und Baum, 2002). Sowohl die Creation- als auch die Discovery-Schule gehen davon aus, dass unternehmerische Gelegenheiten aufgrund des unvollkommenen Wettbewerbs in einem Markt entstehen und dass es das Ziel des Entrepreneurs ist, die unternehmerischen Gelegenheiten auszuschöpfen (Shane und Venkatraman, 2000; Shane, 2003).[23]
Allerdings unterscheiden sich die beiden Theorien in ihrer Analyse in der Herkunft des unvollkommenen Wettbewerbs. Die Discovery Theory nimmt an, dass unternehmerische Gelegenheiten exogen entstehen (Kirzner, 1973). Als Quelle für unternehmerische Gelegenheiten nennt Shane (2003) technologische, politische und regulatorische sowie soziale und demografische Veränderungen, welche das Wettbewerbsgleichgewicht in einem Markt stören können. Diese Sichtweise basiert auf Annahmen des wissenschaftstheoretischen Empirismus. Unternehmerische Gelegenheiten existieren als reale und objektive Phänomene unabhängig von der Handlung oder Wahrnehmung des Entrepreneurs und warten darauf, entdeckt und ausgeschöpft zu werden. Der einflussreichste Beitrag zur Discovery Theory ist der Artikel von Shane und Venkataraman (2000) „The Promise of Entrepreneurship As a Field of Research“. Die Autoren beschreiben die Entdeckung und Ausschöpfung von objektiven unternehmerischen Gelegenheiten als definierendes Merkmal des Entrepreneurship-Phänomens. Zentral dabei ist der sogenannte Individual-Opportunity-Nexus (Alvarez, 2005), der mit der Verbindung aus Individuum und unternehmerischer Gelegenheit den Kern von Entrepreneurships definiert. Seit dieser Publikation lag der Schwerpunkt der Entrepreneurship-Forschung insbesondere auf den Charakteristika der unternehmerischen Gelegenheiten. Die Definition von Entrepreneurship als Prozess – anstelle eines Ereignisses oder der Verkörperung eines bestimmten Typus Mensch – wird im Forschungsfeld bis heute aufrechterhalten. Obwohl der Bezugsrahmen von Shane und Venkataraman (2000) mit fast 10.000 Zitationen die moderne Entrepreneurship-Forschung nachhaltig geprägt hat, ließ der Beitrag auch kritische Stimmen aufkommen. In die Kritik gerieten insbesondere die Ansicht der objektiven, exogen vorhandenen unternehmerischen Gelegenheiten, die fehlende Berücksichtigung des Kontexts und der sozialen Faktoren. Letzteren pflichtete Shane in einer späteren Publikation bei (Shane, 2012). Venkataraman selber hat sich in der Rückschau (Venkataraman et al., 2012) distanziert und sich mit der konstruktivistischen Neuorientierung deutlich in Richtung der Creation Theory bewegt.[24-25]
Die Creation Theory betrachtet unternehmerische Gelegenheiten als endogen geschaffen durch die Aktionen, Reaktionen und Handlungen der Entrepreneure. Im Mittelpunkt steht der Perspektivenwechsel von der Verbindung zwischen Individuum und der unternehmerischen Gelegenheit hin zum handlungsorientierten Nexus. Die Aktion und die Interaktion der Entrepreneure mit anderen Personen und Artefakten werden damit in den Fokus gerückt. Dieser sogenannte Action-Interaction-Nexus postuliert, dass das Schaffen einer unternehmerischen Gelegenheit davon abhängt, wie die Faktoren innerhalb eines Individuums (z. B. Kognitionen, Emotionen) und die Elementen der äußeren Umgebung (z. B. sozialer Austausch, Institutionen, Ressourcen) miteinander interagieren. Der Interaction-Learning Nexus von Grichnik, Dew, Read und Sirén (2016) geht der jüngsten Aufforderungen nach, unternehmerische Gelegenheiten als aktive und sich entwickelnde Möglichkeitsräume zu rekonzeptualisieren (Dimov, 2011) und die Interaktion zentral im unternehmerischen Prozess zu positionieren (Shepherd, 2015). Die Annahme, dass unternehmerische Gelegenheiten durch den Entrepreneur subjektiv wahrgenommen werden (Kirzner, 1979; Shane, 2000), wird damit infrage gestellt. Stattdessen schlagen die Autoren vor, dass Entrepreneure mittels sogenannter „boundary objects“, wie Prototypen, Geschäftsmodelle oder Businesspläne, interagieren und lernen.[26]
Eine neue Richtung der Entrepreneurship-Forschung ist die „actualization theory“ von Ramoglou und Tsang (2016). Diese Sichtweise basiert auf der von Karl Popper vorgeschlagenen objektivistischen Interpretation von Wahrscheinlichkeiten und stützt sich auf die Annahmen des Realismus. Unternehmerische Gelegenheiten sind demnach objektive Wahrscheinlichkeiten, die unabhängig von Entrepreneuren in Form von ungedeckten Marktnachfragen existieren und in Gewinne umgesetzt werden können. Sie weist damit Elemente der Discovery Theory auf, auch wenn die Autoren eine eigenständige Denkschule für sich proklamieren.
Die aktuelle Entwicklung der Kognitionsforschung im Bereich Entrepreneurship beschäftigt sich mit der Frage, wie kognitive Leistungen – also Strukturen oder Prozesse des Erkennens und des Wissens wie beispielsweise Denken, Entscheiden und Erinnern – durch Handeln in einem bestimmten Umfeld beeinflusst werden (z. B. Dew et al., 2015; Mitchel et al., 2011). In diesem Zusammenhang wird von „situated cognition“ gesprochen. Dabei geht es um die Betrachtung von Kognition und Umwelt als ein System: Die kognitiven Leistungen beschränken sich nicht nur auf eine zentrale Verarbeitungseinheit wie das Gehirn, sondern beziehen die reziproke Interaktion des menschlichen Gehirns mit seiner Umwelt mit ein (Walther, 2014). Hierzu zählen das Denken mit technischen Geräten wie Computern oder Smartphones genauso wie die Interaktion mit anderen Menschen, deren Denken zum Beispiel im Gründerteam den eigenen Denkprozess beeinflusst und damit das Ergebnis des gemeinsamen Handelns.[27]
Die lange vernachlässigte emotionale Seite des Unternehmertums hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend als Forschungsgegenstand etabliert (z. B. Shepherd, 2015; Grichnik et al., 2010; Welpe et al., 2012). Es wurde erkannt, dass das Erforschen der reinen Kognition des unternehmerischen Denkens und Handelns unvollständig ist, ohne die emotionale Seite zu berücksichtigen (Foo et al., 2015; Cardon et al., 2012). Entrepreneurship ist eine emotionale Reise (Baron, 2008). Ein neues Unternehmen zu gründen, ist ein langwieriger und herausfordernder Prozess. Die extreme Erfahrung (Schindehutte et al., 2006), die enge Bindung zwischen Gründer und Unternehmen (Cardon et al., 2005) sowie die hohe Unsicherheit und das damit verbundene persönliche Risiko (Baron, 2008) verstärken die emotionale Natur des unternehmerischen Prozesses. Gegenstand der zunehmend prominenter werdenden Forschung über Emotionen im Entrepreneurship ist der Begriff der „hot cognitions“, welcher die Wechselwirkung zwischen Kognition und Emotion betrachtet und der Frage nachgeht, welchen Einfluss Emotionen auf die kognitive Verarbeitung im unternehmerischen Kontext haben (Shepherd, 2015).
Die Entrepreneurship-Forschung hat sich lange Zeit auf den Solo Entrepreneur konzentriert. Die überwiegende Mehrheit der Start-ups wird aber von einem Team gegründet und nicht von Einzelpersonen. In den letzten Jahren wurde dieser Erkenntnis in der Forschung zunehmend Rechnung getragen (Klotz et al., 2013). Dabei wurden insbesondere die Teamzusammensetzung (z. B. Jin et al., 2016; Schjoedt et al., 2013) und verschiedene Teamprozesse wie Veränderungen im Gründungsteam (z. B. Boeker und Wiltbank, 2005) und Teamkonflikte (z. B. Butler und Williams-Middleton, 2014) untersucht.[28]
Ein Schwerpunkt der Entrepreneurship-Forschung liegt im Verständnis des Kontextes und der Quellen von Unsicherheit, die dem unternehmerischen Prozess zugrunde liegen. Durch die Einführung neuer digitalen Technologien und der Vernetzung, wie zum Beispiel Mobile Computing, Cloud Computing, Social Media und 3D-Druck, hat sich die Art der Unsicherheit und die Art und Weise damit umzugehen, grundlegend verändert. Diese Veränderung des Phänomens an der Schnittstelle digitaler Technologien und unternehmerischer Aktivitäten hat neue Forschungsmöglichkeiten eröffnet (Nambisan, 2016). Durch die Digitalisierung wurden die Grenzen von unternehmerischen Prozessen und Outputs fließender. Beim unternehmerischen Output handelt es sich um strukturelle Grenzen des Produkts oder Services (z. B. Merkmale, Umfang, Reichweite eines Angebots). Durch die Modifikation von digitalen Artefakten oder Komponenten war es Tesla beispielsweise möglich, neue Funktionalitäten und Produktnutzen einzuführen, auch nachdem die Fahrzeuge bereits auf dem Markt waren. Bei den unternehmerischen Prozessen sind räumliche und zeitliche Grenzen der unternehmerischen Aktivitäten (z. B. wann und wo Aktivitäten durchgeführt werden) relevant (Nambisan, 2016). Dank neuer digitaler Infrastrukturen – wie der 3D-Druck, digitale Makerspaces – ist es möglich, Produktideen und Geschäftsmodelle schnell zu konstruieren, zu modifizieren und in wiederholten Zyklen umzusetzen (Ries, 2011b), sodass es nicht mehr eindeutig definiert ist, wann eine bestimmte Phase beginnt oder endet. Außerdem hat die Digitalisierung dazu geführt, dass der Ort der unternehmerischen Aktivität weniger vordefiniert ist (d. h., der Ort, wo die unternehmerischen Ideen entwickelt und Ressourcen gesammelt werden). Neue Arten von digitalen Infrastrukturen wie Crowdfunding-Systeme (Mollick, 2014), digitale 3D-Drucksysteme, digitale Makerspaces (Mortara und Parisot (in press), Rayna et al., 2015) und Social-Media-Plattformen (Fischer und Reuber, 2011) haben zu kollektiveren Formen von unternehmerischer Aktivität geführt (Aldrich, 2014). Die intelligente Vernetzung in Form der Industrie 4.0, bietet eine Vielzahl an unternehmerischen Gelegenheiten und neue Möglichkeiten, diese auszuschöpfen. Die Entrepreneurship-Forschung der intelligenten Vernetzung steht noch in ihren Anfängen; sie wird aber in Zukunft einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung des Forschungsbereiches Entrepreneurship ausüben.[29]