Die Weltmeere bedecken den größten Teil unseres Planeten: 1,3 Milliarden Kubikmeter Wasser, durchschnittlich mehr als 4000 Meter tief. Aber nur ein winziger Bruchteil davon ist erforscht.
Alex Rogers hat auf zahlreichen Expeditionen die Meere erkundet. Anschaulich schildert er die Eigenheiten und Lebensvielfalt dieser verborgenen Welt, erklärt die komplexen Zusammenhänge und seine neuesten Erkenntnisse: So gibt die Biosphäre der heißen Tiefseequellen neue Aufschlüsse über die Evolution; in bisher als unbelebt geltenden Tiefen existiert eine erstaunlich vitale biologische Vielfalt.
Eindringlich führt Rogers vor Augen, wie Überfischung, Vermüllung, Raubbau und CO2-Belastung das Gleichgewicht des Ozeans gefährden. Zudem eröffnet er sehr erhellende Einblicke in die mühsame Arbeit, Politiker und Interessenvertreter von der dringenden Notwendigkeit zu überzeugen, verstärkt für den Schutz der Meere zu sorgen.
»Im verlöschenden Dämmerlicht sah ich
einen einsamen Stern wie ein Edelstein
über der Bucht stehen.«
Diese Worte schrieb Ernest Shackleton am 4. Januar 1922
in sein Tagebuch. Es waren seine letzten, verfasst an Bord
des Expeditionsschiffs »Quest« im Hafen von Grytviken in Südgeorgien.
Stunden später erlag er einem Herzanfall.
Sein Grab über der Bucht ist eine Pilgerstätte für
Erkundungsreisende aus aller Welt.
Alex Rogers verbrachte als Kind die Ferien oft bei seinem Großvater, einem Fischer an der irischen Küste, und die Faszination der See hat ihn tief geprägt. Heute ist er Professor für Conservation Biology in Oxford und einer der international bedeutendsten Ozeanologen. Er ist Mitglied diverser Forschungsgruppen, wissenschaftlicher Direktor des Internationalen Programms zur Lage der Ozeane (IPSO) und berät die UN, Greenpeace, den WWF und die G8-Länder. Regelmäßig ist er als Experte für die BBC-Serie ›Der blaue Planet II‹ gefragt.
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
© 2019 Alex Rogers
Titel der englischen Originalausgabe:
›The Deep.The Hidden Wonders of Our Oceans and How We Can Protect Them‹
(Wildfire, an imprint of Headline Publishing Group 2019)
© 2019 der deutschsprachigen Ausgabe:
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
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eBook-Herstellung: Datagrafix GSP GmbH, Berlin (01)
eBook ISBN 978-3-423-43662-5 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-28204-8
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Für Candida, Freya und Zoe
Meine Liebe zu euch ist so
grenzenlos wie der Ozean.
Der tiefste Teil des Ozeans hat bislang noch nicht einmal so viel menschlichen Besuch bekommen wie der Mond. Bis ins Challengertief im westpazifischen Marianengraben sind bis heute ganze drei Personen hinabgetaucht, während auf dem Erdtrabanten schon zwölf Astronauten standen. Dieses Missverhältnis hat komplizierte Gründe. Die Weltraumerkundung löste stets Staunen und Ehrfurcht aus – als ein gefährliches und heldenhaftes Abenteuer, das die Fantasie beflügelt: Die Menschheit überwindet die letzten Grenzen in dem Versuch, den eigenen Platz im Universum zu verstehen. Faszinierend sind auch die aufregende Technik und die einzigartigen Bilder, die futuristischen weißen Raumanzüge mit ihren spiegelblanken Visieren, die gewaltigen Raketen und jetzt sogar Raumflugzeuge. Von der Apollo-11-Mission 1972, der letzten, die Menschen auf den Mond brachte, stammt die zur Ikone gewordene Weltraumaufnahme von der Erde als einer blauen Kugel, die anschaulich zeigt, dass die Oberfläche unseres Planeten hauptsächlich von Wasser bedeckt ist.
Ich stellte mir immer vor, dass zu der Zeit von Ferdinand Magellan, Christoph Kolumbus oder später James Cook Erkundungsreisen in die Weltmeere so spannend und sicher ebenso herausfordernd waren wie heute Reisen durchs All. Aber wir haben irgendwie aus dem Blick verloren, was unter der Meeresoberfläche liegt und warum es wichtig ist, dass wir es herausfinden. Bis heute blieb der Großteil dieser scheinbar unberührten Weiten – das größte Ökosystem der Erde – dem menschlichen Auge verborgen, ganz zu schweigen davon, dass Wissenschaftler sie erkundet oder erforscht hätten. Die meisten Menschen, die – vielleicht von einer Küstenstadt aus oder im Urlaub am Meer – auf den Ozean hinausblicken, sehen einfach nur die Meeresoberfläche. Viele gehen schwimmen, Abenteuerlustigere mögen schnorcheln und dabei ein paar hübsche Fische entdecken, die in geringer Wassertiefe leben. Nur wenige erkunden bei Tauchgängen die Oberflächenschicht des Meeres, die gewissermaßen dessen Haut bildet. Leicht vergisst man, dass der Ozean durchschnittlich 4200 Meter tief ist und im Marianengraben bis auf fast 11 000 Meter abfällt. Im Challengertief könnte man mühelos den Mount Everest versenken. Die Weltmeere sind entlegene Weiten, die sich nicht nur unserer Wahrnehmung entziehen, sondern wenn überhaupt, dann zumeist mit schlechten, ja erschreckenden Nachrichten bedacht werden, sei es von Überfischung, Verschmutzung oder der schleichenden Auswirkung des Klimawandels. So gewaltig sind viele dieser Probleme, dass manche von uns sie einfach ausblenden. Wir blicken lieber nicht in die Tiefe auf das Desaster, das wir selbst anrichten, sondern hinauf in den wunderbaren Weltraum. Vielleicht bietet das All, wie manche behaupten, eine Fluchtmöglichkeit, um unseren zerstörten Planeten zu verlassen. Sie glauben an eine neue Chance, sich anderswo häuslich niederzulassen. Aber ich bleibe überzeugt, dass wir uns stattdessen in den heimischen Gefilden umschauen müssen.
Ich habe die letzten 30 Jahre damit zugebracht zu verstehen, wie das Leben in den Ozeanen verteilt ist. 2016 habe ich bei der Nekton Foundation einen Tauchgang zur Plantagenet Bank unternommen, einem Seeberg, der nur 40 Kilometer südlich von Bermuda Island liegt. Dieser schlummernde Vulkan erhebt sich aus einer Tiefe von über 2000 Metern bis auf 40 Meter unter der Wasseroberfläche. Im Kalten Krieg hat er eine U-Boot-Abhörstation beherbergt. Auf seiner Spitze stand ein Stahlturm, an dessen unter Wasser liegenden Resten noch heute ein Konglomerat aus Kabeln herabhängt. Einst an die Horchgeräte angeschlossen, ziehen sie sich wie ein Netz über die steilen Flanken des Vulkans. Weil der Turm »Argus« hieß, wurde der Unterwasserberg in Argus Bank umgetauft. Heutzutage ist er ein Ziel für Sportfischer, die vor Bermudas Küste Speerfisch, Thun oder anderes Meeresgetier jagen.
Wie ich zugeben muss, kletterte ich an diesem Tag mit einem Kribbeln im Bauch in das Tauchboot. Die Nemo, ein Triton 1000-2, war insofern ungewöhnlich, als die gesamte Druckkammer aus Acryl bestand. Man stelle sich ein riesiges Goldfischglas vor, mit dem man bis auf 300 Meter Tiefe hinabtaucht und sich, vom Begleitschiff völlig unabhängig, frei in allen drei Dimensionen bewegt. Bathynauten (Taucher, die bis unter 200 Meter Tiefe gehen) bietet dieses neuartige Tauchboot eine spektakuläre Sicht, die sich über fast 360° erstreckt, auch nach oben über dem Kopf und nach unten zwischen den Füßen. Das Befremdliche war, dass die Fische natürlich anstatt – wie in einem Aquarium – zu einem heraus, zu uns hereinblickten, ganz nahe heranschwammen, einem plötzlich über die Schulter schauten oder über dem Kopf auftauchten. Vor diesem Tauchgang hatten wir auf unserem Schnellboot mit Echolot festgestellt, dass die Seekarten der Plantagenet Bank falsch waren. Auch hatten uns die Linien auf dem Monitor angezeigt, dass die Flanken des Seebergs ab einer Tiefe von 70 Metern über Hunderte von Metern nahezu senkrecht abfielen. Erst nach geraumer Zeit stießen wir schließlich in 200 Metern Tiefe auf einen schmalen Felsvorsprung. Ein Tauchboot ist immer auf einen Untergrund angewiesen, der auf der Höhe seiner maximalen Tauchtiefe oder weiter oben liegt, damit es irgendwo aufsetzen kann, wenn es bei einem Stromausfall sinkt. Wenn der Außendruck mit zunehmender Tiefe übermäßig ansteigt, kann die Druckkammer implodieren – und die Insassen pulverisieren. Auch wenn es bei der maximalen Tauchtiefe eine breite Sicherheitsmarge gibt, versuchte ich, über so einen Unfall lieber nicht nachzudenken.
Robert, der Pilot, war vor seinem ersten Tauchgang zur Argus Bank erkennbar aufgeregt. Als er die Luke geschlossen und von innen verriegelt hatte, führte er die notwendigen Checks durch. In der Druckkammer wurde es unter der hochstehenden Sonne ziemlich schnell heiß: Sobald das Team die Außenkameras versiegelt hatte, hoben wir vom Deck ab: Ein A-Frame-Kran in Form eines umgedrehten U hievte unser Tauchboot am Heck über die Bordwand. Als wir ins Wasser platschten, fuhr ein Schlauchboot mit dem »Schwimmer« heran, der die Nemo von den Haken an den Tragriemen befreite. Schließlich waren wir tauchbereit. Von der Brücke aus rief Shane über Funk mit seinem südamerikanischen Akzent: »Ready to dive, dive, dive, dive«. Unser Boot taumelte nach vorn und nach unten. Über der Frontseite der Acrylsphäre stieg blaues Wasser empor und gab mir ein eindrückliches Gefühl, als ob wir in die Tiefe stürzten. Mein Magen hob sich, weil die Sphäre nach vorn gekippt eintauchte, aber auch aus Nervosität. Wir hatten nicht alles gesichert: Ein Bleistift und eine Wasserflasche kullerten um meine Füße herum. Dicht unter der Oberfläche, die wie aufgewühltes Quecksilber über uns glitzerte, brachte Robert die Nemo in eine ebene Lage. Mit einem Gluckern, das wie abfließendes Badewasser klang, ließen wir Luft ab und traten die Fahrt nach unten an.
Das Erste, was einem auffällt, ist die plötzliche Stille. Auch wenn im Inneren leise Ventilatoren rauschen und die Strahlruder surren, verläuft die Tauchfahrt weitgehend geräuschlos. Wir blickten in die Tiefe zwischen unseren Füßen, während das Tauchboot unter seinem eigenen Gewicht weiter nach unten sank. Als der Gipfel des Seebergs auftauchte, entdeckte ich in einer Tiefe von 60 bis 70 Metern überrascht einen Teppich aus grünen Tangstreifen, die wie zerfetzte Putzlappen aussahen. Diese Algen, eine blassgrüne Spezies der Gattung Sporochnus, wurden von Strömungen flachgedrückt und in kräuselnde Bewegungen versetzt. Unterwasserberge wirken auf vorbeiziehende Wassermassen als gewaltige Hindernisse, die sie seitlich oder nach oben hin ablenken und dabei beschleunigen. Sie bieten Lebensraum für ein spektakuläres Wachstum, weil Nährstoffe für Algen und Nahrungshäppchen für Tiere herangetragen werden, darunter Plankton, winzige Organismen, die nahe der Oberfläche leben. Auf dem Gipfel des Seebergs wimmelte es vor Leben wie in einer hektischen Großstadt. Fische balancierten in der Strömung, ruderten mit den Brustflossen und schlugen gelegentlich mit dem Schwanz, tauchten tiefer, um nach Bissen zu schnappen, ehe sie unter der Seetangdecke verschwanden. Karibik-Juwelenbarsche erschienen, kleine Zackenbarsche mit weißem Bauch und karmesinrotem Rücken. Kleine Chromis, Schwalbenschwänzchen, tummelten sich in leuchtendem Blau und mit gelben Schwänzen in wolkengleichen Schwärmen. Ein Trauerrand-Zackenbarsch, ein Recke seiner Familie, spähte mit dicken Lippen und einem blassgrauen, rotgesprenkelten Rumpf aus dem Tang. Blassgelbe diskusförmige Falterfische mit schwarzen Balken jagten sich gegenseitig hin und her, um ihre Territorien oder Brutplätze zu verteidigen. Ein gespenstisch anmutender Großaugenbarsch schwebte im Wasser, silbern mit einem flachgedrückt erscheinenden, aber breiten Rumpf und einem großen Maul unter riesigen Augen, ganz offensichtlich ausgelegt für die Jagd im Dunkeln. Wie Schneeflocken schwirrten Partikel mit verklumpten Tangblättern am Tauchboot vorüber. Während wir auf die Nomad, das zweite Tauchboot, warteten, kämpfte Robert darum, die Nemo in Position zu halten. Aber sie wurde in der Strömung wie ein Drachen im Sturmwind hin und hergeworfen. Deswegen setzten wir auf dem Felsmassiv auf und gönnten uns erst einmal einen Imbiss – in meinem Fall Erdnüsse. Nur wenige können von sich behaupten, ihr Mittagsmahl schon einmal auf einem Seeberg eingenommen zu haben.
Nach der kurzen Verschnaufpause beschlossen wir, keine Zeit mehr zu verlieren und nicht unnötig Batterie zu verbrauchen. Über Funk kontaktierten wir die Nomad und teilten mit, dass wir auf den Grat des Berggipfels zusteuerten, um uns zum Absprung in die Tiefe bereit zu machen. Neben uns tauchte ein gewaltiger Barrakuda auf, der mit den dunkel abgesetzten blauen Bändern auf seinem Leib an ein mittelalterliches Breitschwert erinnerte. Er beäugte uns mit spitzen Zähnen, die aus den Winkeln seines Mauls herausragten, das auf Mord aus war. Geschmeidig und todbringend, bot er einen staunenswerten Anblick, als wir über die Gipfelkante glitten und das Gefühl hatten, vom Rand der Erde aus in ein uferloses Blau einzutreten. In schwindelerregender Fahrt glitten wir entlang einer fast senkrecht abfallenden Kalksteinklippe hinab, die aber, wie vom Echolot auf dem Vermessungsboot angegeben, in ungefähr 100 Meter Tiefe in einen Steilhang überging. Bei 200 Metern Tiefe hielten wir das Boot schließlich auf Position, um mit der Erkundung der Tierwelt an den Flanken des Seeberges zu beginnen.
Ich konzentrierte mich darauf, einer geraden Erkundungslinie mit konstantem Abstand zum Meeresgrund zu folgen, hatte aber alle Mühe, mich nicht ablenken zu lassen. Vor unseren Augen breitete sich eine herrliche Szenerie aus. Der Steilhang bestand aus zartgrünem Kalksteinfels. Sporadisch begegneten wir Graten und bizarr erodierten Formationen, darunter einem Felsbogen, der wie gemeißelt und in sich verdreht aussah. Über allem schien eine weiße Sedimentschicht verteilt, die an Schnee erinnerte. Stellenweise war der Fels, insbesondere an den Graten und Kuppen, dicht mit bis zu zwei Meter hohen Drahtkorallen bewachsen. Rosa und orangefarbene Schlangensterne klammerten sich an diese zartweißen Nesseltierkolonien. Hier und da entdeckten wir einen Seeigel mit langen gebogenen nadelfeinen Stacheln und einem sternförmigen schwarz-weißen Muster auf der Haut. Sobald sich unser Tauchboot näherte, machten sie sich mit einem hektischen Wedeln ihrer Stacheln über den Fels eilends davon. An Löchern, Zinnen oder unregelmäßigen Formationen im felsigen Untergrund schossen Schwärme kleiner rosa Fische, 7 bis 8 Zentimeter lang, mit gelben Rücken und Schwänzen in kurzen Stößen davon – manche verjagt von Sägebarschen, sofort erkennbar an ihren dunklen vertikalen Balken auf den Seiten und dem fluoreszierenden senkrecht verlaufenden blassgoldenen Streifen am Bauch. Die Lichter der Nemo lockten Fische an, die sich gewöhnlich im Dunkeln verbergen, Miniräuber , die sich stets in der Nähe der rosa Winzlinge aufhalten (die wir leider nicht sicher bestimmen konnten). Eine ziemliche Überraschung war eine große gelbe Muräne von wohl eineinhalb Metern Länge. Sie inspizierte die Höhlen und Ritzen im Kalkstein und suchte das Gelände zwischen verstreuten sogenannten Rhodolithen ab, an Kanonenkugeln erinnernde Kalksteinbrocken, die Rotalgen im flacheren Wasser durch Ausfällung wachsen lassen und die entlang von Erosionsrinnen an den Hängen des Seebergs in größere Tiefe hinabgepurzelt waren. Mehrere Minuten lang beobachteten wir die zitronengelbe Muräne mit den weißen Sprenkeln, ohne dass sie sich vom hell erleuchteten Tauchboot stören ließ. Später sollte ich feststellen, dass diese Spezies im Bermuda-Archipel bislang noch nicht registriert worden war, im Gegensatz zu einigen sporadischen Aufzeichnungen um Inseln im Nordatlantik. Erstmals beschrieben worden war sie nach einer Sichtung vor Madeira.
Eines aber werde ich von diesem Tauchgang niemals vergessen, etwas, das mir die gewaltige Größenordnung der anstehenden Aufgabe für die Menschheit nahebrachte. Als wir nach der nächsten Erkundung umdrehten, entdeckte ich in der Ferne das andere Tauchboot, die Nomad, in Spielzeuggröße, als einen leuchtenden Fleck im Blassblau über einer Untiefe, die sich vom bläulichen Schwarz des umliegenden Meeres abhob. In dem Moment verschwamm die Realität. Ich hatte die plötzliche Vision, in einem kleinen Raumschiff zu sitzen und ein anderes zu beobachten, das um die steile Front eines riesigen Asteroiden herum oder über einen fremden Planeten manövrierte. Mir stockte der Atem. Welch ein Anblick, im riesigen blauen Meer zu treiben. Ich hatte in meiner Laufbahn schon so vieles gesehen, aber dieses Bild brannte sich mir ins Gedächtnis. Für mich fasste dieser Augenblick die ganze Weite des Ozeans, dieses innere Universum unserer Erde zusammen. Wir erkundeten ein Umfeld, das jeden Menschen sofort töten würde ohne die Technologie, die in dieser Plastikblase und den Geräten um uns herum bestand. Wir waren tatsächlich mit einem heldenhaften Unternehmen befasst, mit der Erkundung des Ozeans an Stellen, zu denen sich bislang noch kein Mensch vorgewagt hatte. Nur so konnten wir unseren Mitmenschen die Schönheit und die Bedeutung der Tiefe offenbaren und ihnen zugleich eindringlich die Schäden aufzeigen, die diesem Planeten zugefügt werden.
Meine Liebesaffäre mit den Weltmeeren begann vor vielen Jahren. Als kleiner Junge verbrachte ich die Sommer damit, mit meinem Großvater zu fischen oder in den Gezeitentümpeln einer ruhigen Ecke der Küste von County Sligo in Irland nach Meereslebewesen zu suchen. Das Jagdfieber hat mich nie wieder verlassen, auch wenn es jetzt um die Fahndung nach neuen Lebensräumen oder neuen Arten und nicht mehr um Beute fürs Abendessen geht. Meine Arbeit führte mich von den stürmischen Gewässern des Nordatlantiks zum entlegenen Indischen Ozean und bis ins Südpolarmeer. Sie ist aufregend, voller Geheimnisse, Überraschungen und – falls man sie sucht – auch Gefahren. Schätzungen zufolge haben Wissenschaftler bislang nur von 0,0001 Prozent des Tiefseebodens Proben entnommen. Von dem größten Ökosystem der Erde, das 1,3 Milliarden Kubikkilometer Wasser auf einer Fläche von mehr als 360 Millionen Quadratkilometern enthält, ist somit noch am wenigsten bekannt. Bemerkenswerterweise verfügen wir über bessere Karten vom Mond und vom Mars als vom Boden der Weltmeere – schlicht deshalb, weil die Oberfläche beider Himmelskörper für Satelliten im Orbit sichtbar ist, während sich der Meeresgrund unter Wasser verbirgt und so für Satellitensensoren unterhalb weniger Dutzend Meter selbst in den klarsten Meeren weitgehend unsichtbar bleibt. Diese wilden Weiten sind zwar größtenteils noch nicht kartiert, stellen aber wohl 90 Prozent des Lebensraumes auf der Erde dar. Und die sich darin abspielenden physikalischen und biologischen Abläufe tragen auf entscheidende Weise zum Erhalt des Lebens auf der Erde bei.
In diesem Buch hoffe ich dem Leser zu zeigen, wie Entdeckungen der Tiefsee unsere Vorstellungen davon verändert haben, wie das Leben entstanden sein könnte, unter welchen Extrembedingungen es gedeihen kann und letztlich auch, welche Stellung wir im Universum einnehmen. Zeigen werde ich auch, welche katastrophalen Schäden die Weltmeere trotz ihrer gewaltigen Größe durch Überfischung, Verschmutzung oder die schleichenden globalen Auswirkungen des Klimawandels durch uns erleiden. Dieses Thema ist für mich im Hintergrund immer präsent und macht mir Angst, vor allem um meine Kinder.. Wir schädigen die Meere zuweilen achtlos, oft aber auch vorsätzlich aus Profitgier und aufgrund eines Wirtschaftssystems, das auf unsere ureigenen Lebensgrundlagen, auf die Natur, keinerlei Rücksicht nimmt. Von dem zerstörerischen Kurs, den wir bei den Weltmeeren fahren, auf einen der Regeneration umzuschwenken, ist entscheidend, damit das Leben auf der Erde, wie wir es kennen, erhalten bleibt. In absehbarer Zukunft wird es keinen zweiten Planeten Erde geben.
Zu den Weltmeeren sind schon viele Untergangsszenarien entworfen worden. Auch wenn dieses Buch ein aufrichtiges Bild von den Gefahren zeichnet, denen die Meere und Meereslebewesen ausgesetzt sind, bin ich überzeugt, dass wir noch alle Optionen haben. Ich entführe Sie, verehrte Leser, in die Tiefsee mit der Hoffnung, Ihnen einige ihrer Wunder zeigen zu können: Seeberge und heiße Quellen, Meeresgeschöpfe jedweder Art und überwältigende Korallengärten. Auf dieser Reise hoffe ich Ihnen eine ganz neue Welt nahezubringen, die originell, bizarr und einzigartig ist – so sehr – dass klar wird, wie angemessen und wichtig es ist, sich für ihren Erhalt einzusetzen, für künftige Generationen, die wie wir auf sie angewiesen sind.
Abyssal-Ebenen Die ausgedehnten Bereiche des tiefen Meeresbodens, die gewöhnlich flache Reliefs aufweisen und weitgehend mit feinem Schlamm und Schlick bedeckt sind. Allgemein für eine Wassertiefe zwischen 3000 und 6000 Metern definiert, bergen sie in manchen Bereichen Manganknollen.
Algenblüte Eine explosionsartige Vermehrung mikroskopischer Algen in den Oberflächenschichten des Ozeans. Auch durch das Wachstum von Cyanobakterien ausgelöst, äußert sich das Phänomen durch eine (rote oder grüne) Verfärbung des Wassers.
Anoxie Das Fehlen von Sauerstoff.
Anthropozän Das Zeitalter, in dem menschliche Aktivitäten einen erheblichen Einfluss auf das Klima und die Umwelt der Erde gewonnen haben.
Archaeen Eine Domäne einzelliger Organismen in ähnlicher Größe wie Bakterien. Wie diese haben Archaeen keinen Zellkern und zählen deswegen ebenfalls zu den Prokaryoten. Eukaryoten, Organismen wie der Mensch, bestehen aus Zellen mit Kern, einer klar abgegrenzten Struktur, welche die DNA enthält, und bilden eine dritte Domäne des Lebens (die zweite sind Bakterien). Archaeen unterscheiden sich von Bakterien im Aufbau ihrer Zellmembranen, ihrer Zellwände und den Vorgängen beim Ablesen der DNA. Erstmals entdeckt wurden sie in Biotopen mit Extrembedingungen (z. B. heiße Tiefseequellen, siehe Hydrothermale Vents), sind aber, wie heute bekannt ist, weiter verbreitet.
Bärlapppflanzen Eine schon in frühen Erdzeitaltern vorkommende Klasse von Pflanzen, mit Moosfarnen als heutigen Vertretern. Sie verbreiten sich typischerweise über Sporen, kleine Strukturen, die zu neuen Pflanzen heranwachsen. Manche Bärlapppflanzen trotzen auch widrigsten Bedingungen.
Basalt Ein dunkles Vulkangestein, das durch rasche Abkühlung stark magnesium- und eisenhaltiger Lava entsteht.
Beifang Fische und andere Meerestiere, die beim Fang bestimmter Arten unbeabsichtigt mit ins Netz oder an die Haken geraten (und dabei häufig getötet werden).
Biodiversität Die biologische Vielfalt, die die genetischen Unterschiede zwischen Individuen und Populationen, von den Arten bis zu den Lebensräumen und Ökosystemen umfasst.
Biolumineszenz Die biologische Erzeugung von Licht, an der gewöhnlich ein lichtemittierendes Molekül (Luciferin) und ein Enzym (Luciferase) beteiligt sind. Biolumineszenz ist in der Dämmerzone, dem Mesopeligial, weit verbreitet – um Signale auszusenden, Beute oder Räuber zu beleuchten, Beute anzulocken und Fressfeinde oder Beutetiere zu verwirren oder auch zur Tarnung.
Biosphäre Die Bereiche der Erde, in denen Leben existiert.
Clathrate Verbindungen aus zwei Stoffen, bei denen ein Molekül in ein Gitter oder Käfig aus Wirtsmolekülen eingeschlossen ist. Typisch ist Methanhydrat, das bei tiefen Temperaturen und hohem Druck häufig unter dem Meeresboden an den Rändern der Kontinente entsteht. Dieses Clathrat erscheint als weiße eisartige Substanz, die an der Luft entflammbar ist und abbrennt.
El Niño Ein großflächiges Klimaphänomen, verursacht durch die Erwärmung des Wassers im Westpazifik, das dann in den Ostpazifik strömt. Dadurch erwärmt sich das Oberflächenwasser, das gewöhnlich durch den kalten Humboldtstrom gekühlt wird: Durch den sinkenden Sauerstoffgehalt sterben Meereslebewesen ab. In Südamerika kommt es zu sintflutartigen Regenfällen. El Niño beeinflusst die globalen Klimaschwankungen.
Epifauna Die am Meeresboden lebende Tierwelt.
Eutrophierung Starke Anreicherung des Meerwassers mit Nährstoffen, gewöhnlich Nitraten und Phosphaten. Diese können eine Algenblüte zur Folge haben.
Foraminiferen Ein Typ Einzeller, die gewöhnlich Gehäuse aus Calciumcarbonat, Silikat, Sandkörnchen oder anderem Material tragen. Auch nackte Formen kommen vor.
Gaia-Hypothese Eine Theorie, wonach die lebenden Organismen mit den unbelebten Teilen der Erde zusammenwirken und so ein sich selbst regulierendes komplexes System bilden, das die Bedingungen für den Fortbestand des Lebens aufrechterhält. Erstmals vertreten wurde die Hypothese von James Lovelock.
Goldilocks zone siehe Habitable Zone.
Habitable Zone Der Abstandsbereich von einem Stern, der Leben auf einem Planeten ermöglicht.
Hadaikum Die Zeit von vor 4,6 bis 4 Milliarden Jahren, als sich das Sonnensystem herausgebildet hat.
Hydrothermalquellen, hydrothermale Tiefseequellen siehe Hydrothermale Vents
Hydrothermale Vents Heiße Quellen am Meeresboden der Tiefsee, die dann entstehen, wenn Meerwasser in die Erdkruste (der Tiefsee) eindringt und mit heißem Gestein, oft in der Nähe einer Magmakammer, in Kontakt kommt. Das Wasser heizt sich stark auf, nimmt Minerale auf und schießt aus dem Meeresboden wieder heraus. Bei Reaktionen mit den Mineralen im Gestein hat es sich mit chemischen Substanzen wie Schwefelwasserstoff und Metallen wie Kupfer angereichert, dabei aber seinen Sauerstoff verloren.
Hypoxie Ein Sauerstoffmangel in Gewässern, der das dortige Leben beeinträchtigt.
Kleine Eiszeit Die klimahistorische Periode mit kühleren Temperaturen vom Spätmittelalter (nach der mittelalterlichen Warmzeit) bis um 1850.
Kontinentalschelf Auch Schelf, Kontinental- oder Festlandssockel, der Randbereich einer kontinentalen Landmasse, der von flachem Meer (bis zu 200 Metern Tiefe, um die Antarktis auch mehr) bedeckt ist.
Kosmezeutika Inhaltsstoffe von Kosmetika mit angeblich gesundheitsfördernder Wirkung.
Krill Winzige garnelenartige Krebstiere, die in riesigen Schwärmen aus Millionen von Individuen auftreten. Von höchster Bedeutung in Ökosystemen wie denjenigen im Südpolarmeer, bilden sie ein wichtiges Glied in der Nahrungskette vom Phytoplankton bis hinauf zu den größten Meerestieren wie Walen.
Lava Geschmolzenes Gestein, das an der Erdoberfläche oder am Meeresboden austritt.
Magma Geschmolzenes oder halbgeschmolzenes Gestein unter der Erdoberfläche.
Mittelalterliche Warmzeit Eine Periode mit wärmerem Klima im Mittelalter, die ungefähr von 950 bis 1250 dauerte.
Megafauna Die größten Tiere innerhalb eines Ökosystems im Unterschied zur (mittleren) Makro- und (kleinsten) Mikrofauna.
Mesopelagial Die Zone im Meer in einem Bereich zwischen 200 und 1000 Metern Tiefe, in die noch Sonnenlicht eindringt, in der Photosynthese aber nicht mehr stattfindet. Sie bildet den Lebensraum für viele Tiere, die an das Dämmerlicht angepasst sind.
Mesophotisch Arten und tierische Gemeinschaften, die in der unteren Zone der durchlichteten Wasserschicht – unterhalb der Grenze von Sporttauchern – leben. Gemeinschaften mesophotischer Korallen leben in Tiefen zwischen 30 und 165 Metern Tiefe, in tropischen Meeren vertreten durch zooxanthellate Korallen – die von der Photosynthese symbiotischer Algen profitieren –
und anderen am Meeresboden lebenden Tieren und Pflanzen.
Metalle der Seltenen Erden Eine Gruppe von Elementen, die in der Erdkruste weit verstreut und häufig als Beimischung anderer Minerale mit ähnlichen Eigenschaften vorkommen und dadurch schwer zu gewinnen sind. Sie sind wichtige Rohstoffe u. a. für Mobiltelefone, Lasergeräte, Supraleiter und Magnete.
Mikrobiom Die Gemeinschaft der Mikroorganismen, die in oder auf mehrzelligen Lebewesen siedeln – wichtig für die Gesundheit von Schwämmen, Korallen und Menschen.
Mikronekton Kleine tierische Organismen, die dank ausreichender Kraft in der Lage sind, gegen Meeresströmungen anzuschwimmen, darunter kleine Fische, Garnelen und Kalmare sowie manche gallertartige Tiere und weitere Gruppen.
Mikroorganismen Winzige Organismen, die nur unter dem Mikroskop sichtbar sind.
Mittelozeanischer Rücken Gebirgszüge an Nahtstellen von Kontinentalplatten, an denen aus der Tiefe Magma hervorquillt und neuen Meeresboden schafft. Manche sind eher glatt, andere bergig zerklüftet. Bei manchen zieht sich ein Grabenbruch durch die Längsachse.
Neandertaler Eine ausgestorbene Art oder Unterart des archaischen Menschen.
Nekton Große Tiere, die ausreichend starke Schwimmer sind, um sich unabhängig von Strömungen aktiv im Wasser fortzubewegen. Dazu gehören größere Fische wie Thun und Haie.
Nutrazeutika Aus Nahrungsmitteln gewonnene Stoffe, denen besondere gesundheitliche Wirkungen nachgesagt werden, zum Beispiel Nahrungsergänzungsmittel wie Lebertran.
Ökosystem Eine Lebensgemeinschaft aus verschiedenen Organismen, die in ihrem Lebensraum, auch mit den unbelebten Bestandteilen, als ein System zusammenwirken.
Omega-3-Fettsäuren Eine Gruppe von Fetten, die für uns Menschen lebensnotwendig sind und die unser Körper nicht selbst synthetisieren kann. Diese essenziellen Stoffe müssen mit der Nahrung aufgenommen werden.
Organophosphate Auch Phosphorsäureester, phosphorhaltige organische Verbindungen, die weithin als Pestizide eingesetzt wurden. Sie wirken höchst toxisch auf Menschen. Die Gruppe umfasst auch einige Nervengifte, die in chemischen Kampfstoffen enthalten sind.
Ozeanbodenspreizung Die Bildung von neuem Meeresboden oder neuer Kruste im Meer an Mittelozeanischen Rücken.
Ozeanisches euxinisches Ereignis Ein Sauerstoffmangel im Meerwasser, bei dem sich freier Schwefelwasserstoff bildet, der die meisten Meereslebewesen vergiftet.
Paläozän/Eozän-Temperaturmaximum (PETM) Ein Ereignis vor 55 Millionen Jahren, als die globalen Temperaturen in einem Zeitraum von knapp 20 000 Jahren um 5 bis 8 Grad Celsius anstiegen. Es führte zu einem Massenaussterben von Arten der Tiefsee.
pH-Wert Ein Maß dafür, wie sauer oder alkalisch (basisch) eine Flüssigkeit ist. Der Wert ist die Gegenzahl des Zehnerlogarithmus der Wasserstoffaktivität. Dadurch liegt er bei Säuren niedrig und bei Basen hoch. Chlorwasserstoffsäure hat einen pH-Wert von 0,1, Essig von rund 3, normales Leitungswasser von rund 7, vorindustrielles Meerwasser von rund 8,2 und Haushaltsbleichmittel von 12.
Photosynthese Ein Prozess, bei dem Pflanzen, Algen und Cyanobakterien mithilfe von Lichtenergie aus Kohlendioxid die Biomoleküle aufbauen, aus denen sämtliche lebenden Organismen bestehen.
Phytoplankton Algenzellen, die in den oberen, durchlichteten Wasserschichten der Meere leben und die Grundlage der Nahrungskette für die meisten marinen Ökosysteme bilden.
Plankton Winzige Organismen, die im Meer treiben, ohne sich gegen die Strömung bewegen zu können.
Polymerisation Ein chemischer Prozess, der kleine Moleküle (Monomere) zu größeren (Polymere) miteinander verbindet.
Protozoen Einzellige Eukaryoten, Organismen mit Zellkern, in dem die DNA enthalten ist.
Rhodolith Ein kugelförmiger Kalksteinbrocken, der durch Ausfällungen von Algen entsteht.
ROV Remotely Operated Vehicle, ein mit einem Schiff verbundener, ferngesteuerter Tauchroboter, der zur Erkundung und Beprobung des Meeres eingesetzt wird.
Schichtungsstabilität, Erhöhte Ein verminderter Austausch zwischen Wasserschichten von unterschiedlicher Temperatur und Salzgehalt.
Sauerstoff-Minimum-Zone Eine Zone mit geringem Sauerstoffgehalt unter den Oberflächenschichten des Meeres, entstanden durch den Sauerstoffverbrauch von Bakterien, wenn sie organisches Material zersetzen, das von der Meeresoberfläche in die Tiefe absinkt.
Schwefelwasserstoff Eine chemische Verbindung, die als wichtiger Energieträger für die mikrobielle Chemosynthese fungiert. Schwefelwasserstoff ist für die meisten Tiere, auch für Menschen hochgiftig!
Schwarze Raucher siehe Hydrothermale Vents
Seltene Erden siehe Metalle der Seltenen Erden
Symbiose Eine Beziehung zwischen zwei Arten, die beiden nützt und in der beide in hohem Maße wechselseitig voneinander abhängen.
Thermokline Der Übergang zwischen Wasserschichten unterschiedlicher Temperatur. Diese nimmt nach untenhin gewöhnlich stark ab.
Thermohaline Zirkulation Die weitläufige Wasserströmung durch die Ozeane, hauptsächlich angetrieben durch Unterschiede der Temperatur und des Salzgehalts.
Tiefseequellen siehe Hydrothermale Vents
Tonminerale Hydratisierte Aluminiumsilikate, die zuweilen mit anderen Metallen verbunden sind. Mitunter feinkörnig auftretend, umfassen sie Minerale wie Kaolinit und binden oft Lockergestein. Sie spielen in manchen Theorien zur Entstehung des Lebens auf der Erde eine Rolle.
Treibhauseffekt Die Aufheizung der unteren Atmosphäre durch bestimmte Gase wie Kohlendioxid (CO2), die das Rückhaltevermögen für die Infrarotstrahlung der Sonne erhöhen. Dieser natürliche Prozess hält die Erdatmosphäre ausreichend warm, damit Leben auf ihr existieren kann. Dagegen lässt der anthropogene oder menschengemachte Treibhauseffekt die Durchschnittstemperaturen weltweit weiter ansteigen, hervorgerufen durch erhöhte Konzentrationen an Treibhausgasen, die durch menschliche Aktivitäten freigesetzt werden.
Versauerung der Meere Das Absinken des pH-Wertes des Meerwassers durch die Aufnahme von CO2, das in Kohlensäure umgewandelt wird. Dabei werden Karbonat-Ionen verbraucht, sodass die Fähigkeit kalkskelettbildender Organismen sinkt, ihre Schutzhüllen oder Innenskelette zu bilden. Ursache ist die menschliche Nutzung fossiler Energieträger mit einem Ausstoß von CO2, das zum Teil vom Meer aufgenommen wird.
Zellmembran Eine Hülle oder Umkleidung einer Zelle aus Lipiden und Proteinen.
Zooplankton Winzige tierische Organismen, die im Meer leben und sich nicht gegen die Strömung fortbewegen können.
Zooxanthellen Die mikroskopisch kleinen symbiotischen Algen, die in den Geweben riffbildender Flachwasserkorallen und anderer Tiere siedeln. Korallen sind für ihre Ernährung häufig auf sie angewiesen.
Die finsteren Ozeane waren der Schoß des Lebens: Aus dem schützenden Ozean ging das Leben hervor. In unseren Körpern – unserem Blut, der salzigen Bitterkeit unserer Tränen – tragen wir noch immer die Spuren dieser fernen Vergangenheit. Indem er die Vergangenheit nachzeichnet, kehrt der Mensch, der gegenwärtige Herrscher über die Erde, in die Tiefen der Ozeane zurück. Sein Eindringen in die Tiefen könnte den Anfang vom Ende des Menschen und tatsächlich des Lebens wie wir es auf dieser Erde kennen markieren: Es könnte auch eine einzigartige Gelegenheit sein, solide Grundlagen für eine friedliche und zunehmend wohlhabende Zukunft für alle Völker sein.
Arvid Pardo, maltesischer Vertreter
vor der UN-Generalversammlung 1967
Meine Reise in die Tiefsee begann mit Kindheitserfahrungen. Ich kann die Bedeutung, die für mich der Kontakt zur Natur hatte, nicht hoch genug veranschlagen, sei es auf einer örtlichen Wiese, am Meeresufer oder sogar vermittelt über Medien wie Bücher oder das Fernsehen. Als Kind war ich von Menschen umgeben, die bereit waren zuzuhören und sich auf meine Begeisterung für Fische, Meeresschnecken, Ameisen, Schmetterlinge oder Dinosaurier einzulassen. Meine natürliche Neugierde war geweckt. Weiter angefacht wurde sie auf Wanderungen durch umliegende Wälder, Ausflüge in den Zoo oder später durch Auslandsreisen. Aber es reichte schon, mir mit anderen im Fernsehen einen sagenhaften Film über Haie, Korallenriffe oder ein seltsames Landtier in einem tropischen Regenwald anzuschauen. Ich begann die Natur als etwas Wertvolles zu schätzen, über das ich mit Erwachsenen auf Augenhöhe reden und mit ihnen meine Faszination teilen konnte. Meine Reise zu einer Karriere als Meeresbiologe begann allerdings in Sommerferien in Irland in den 1970er-Jahren, über 40 Jahre vor den Unterwasserfahrten im Tauchboot in der Sargassosee vor Bermuda.
Das Boot meines Großvaters war ein offener Holzkahn von gut dreieinhalb Metern Länge mit einem abblätternden weißen Farbanstrich. Es lag vertäut am Dock in Cloonagh, das man vom Ferienhäuschen meiner Großeltern erreichte, indem man einfach der Südküste der irischen Grafschaft County Sligo folgte. Dock ist leicht übertrieben für diesen ganz grob und mörtellos gemauerten Pier, der über die Jahre immer wieder mit Beton wetterfest gemacht werden musste, wenn die Winterstürme ihren Tribut gefordert hatten. 1,20 bis 1,50 Meter hoch, reichte er nur ein kurzes Stück in die Fluten hinein, sodass das Boot bei Ebbe oft auf den umliegenden Kalksteinplatten trockenfiel. Ich schaute den Männern – meinem Großvater, meinem Vater und meinem Onkel – dabei zu, wie sie das schwere Boot in mehreren Schüben ins Wasser zogen. An dem sonnigen Tag in der Bucht glänzte der Ozean in sattem Königsblau, mit einer sanften Dünung, die vereinzelt in langsamen flachen Brechern auslief. Jedes Mal, wenn wir uns vom Ufer entfernten, war ich ganz gespannt. Welche Tiere würde ich zu sehen bekommen? Würden wir ein wenig angeln können?
Von meinem Sitz am Bug des Bootes blickte ich auf den Ozean hinaus, der sich bis zum Horizont erstreckte. Im Nordwesten lag Inishmurray Island, ein flacher Kalksteinaufschluss, in der Ferne umrahmt von den Klippen von Donegal. Wir hatten die Insel schon besucht, weil dort früher einige Verwandte von uns ansässig gewesen waren. Bekannt war Inishmurray wegen eines gut erhaltenen Klosters aus dem 6. Jahrhundert, der Frühzeit des Christentums in Irland. Während das Boot durch die See tuckerte, strich eine leichte Brise durch mein Haar und hielt die üblen Gerüche fern, die der Eimer mit den Fischködern, das Öl und das dreckige Salzwasser unter den Planken des Decks verströmten. Ich bin noch nie seekrank geworden. So machte mir weder der Gestank noch das Schwanken des Bootes etwas aus, auch nicht als kleiner Junge. Weiß-graue Eissturmvögel fegten mit ihrem gekrümmten Schnabel im Tiefflug vorbei und tauchten fast mit den Spitzen ihrer langen, schmalen Schwingen ins Wasser ein. Die Akrobatik, in der sie ständig über den Wellen kreisten, faszinierte mich schon damals. Tatsächlich zählen sie noch heute zu meinen Lieblingsvögeln auf See.
Wir fuhren an einer Küste aus Kalksteinschichten entlang, die in verschiedenen Winkeln zum Meer hin abfielen, und winkten einem alten Mann zu, der von einem Felsen herab seine Angel ins Wasser warf, während mir Vater oder Onkel erklärte, wer er war, wo er wohnte und was er wohl angelte. Und wir begegneten gelegentlich einem anderen Fischerboot, ähnlich dem meines Großvaters, aber ein Stück größer und mit einer Schlupfkajüte für den Kapitän. Man winkte sich zu und tauschte einen kurzen Gruß aus, aber mit einem Unterton vorsichtigen Misstrauens, das zwischen allen herrscht, die auf dem Meer miteinander konkurrieren. Schließlich erreichten wir das erste Seil mit den Hummerkörben, markiert durch eine an der Oberfläche dümpelnde Boje aus Weichplastik. Diese Hummerkörbe oder Reusen bestanden aus einem hölzernen Boden, beschwert mit Beton, einem Gestell aus Holz- oder Plastikbögen, über das ein blassblaues oder orangefarbenes Netz gespannt war, und einem Eingangstunnel für Hummer oder Krabben. Ein verschließbares Loch oben im Netz diente dazu, einen Köder einzuführen, der an zwei Schnüren aufgehängt und mit einem Schiebeknoten befestigt wurde – gewöhnlich ein vergammeltes Stück Pökelfisch, Makrele, Knurrhahn oder manchmal eine unglückliche Krabbe, die auf dem Seitendeck zerschmettert worden war. Manche strampelten noch schwach mit den Beinen. Die Körbe wurden zu etwa einem Dutzend an einem Seil aufgereiht, das am Meeresboden entlang ausgespannt wurde.
Mit einem Bootshaken fing mein Vater die Boje ein, warf sie, bedeckt von glitschigen braunen Algen, aufs Bootsdeck, sodass überall Wasser herumspritzte. Weil es selbst im Hochsommer kalt war, duckte ich mich immer weg. Dann begann die harte Arbeit. Eine Hand vor die andere setzend, zog mein Vater das Seil mit den zwölf schweren Hummerkörben, die über den Meeresgrund schleiften, über das Seitendeck nach oben ins Boot. Für mich war die Spannung, was zum Vorschein kommen würde, fast unerträglich. Ich lehnte mich über die Bordwand, um den ersten Korb aus der bläulich schwarzen Tiefe auftauchen zu sehen und nachzuschauen, ob Hummer oder andere Kreaturen darin saßen. Der erste war leer, ebenso der zweite und dritte, was Stirnrunzeln und Grummeln auslöste. Mein Onkel band einen Korb nach dem anderen los, warf jeweils den verfaulten Köder über Bord, steckte ein Stück frisch filetierten Knurrhahn hinein, verschnürte wieder fachmännisch das Netz und stapelte die Körbe in der Mitte des Bootes auf. Als der nächste auftauchte und ins Boot gezogen wurde, meinte ich etwas zu erkennen. Von Aufregung gepackt, schrie ich: »Da ist was. Es bewegt sich. Ich glaube, es ist ein Hummer!« Mein Vater hievte den Korb an Deck. Zu meiner Begeisterung saßen im Korb zwei Krebstiere, die mit den Scheren schnappten und so heftig mit den Schwänzen peitschten, dass es spritzte.
Es waren Europäische Hummer, prachtvolle Krustentiere mit einem königsblauen Panzer, der ins Gelbliche überging und auf der Unterseite mit weißen Sprenkeln besetzt war. Kaum war das Wasser aus ihrem Korb abgelaufen, zogen sie sich rücklings in entgegengesetzte Ecken ins Maschenwerk zurück. An der Vorderseite schützte ein gepanzerter Schild ihren Kopf, aus dem ein Paar schwarzblauer Stielaugen und gebogene lange rote Antennen herausragten. Ihre langen gegliederten Beine liefen in feine Zangen aus, die mit kurzen orangefarbenen Haaren besetzt waren. Hinten saß ein langer segmentierter Schwanz mit einem Fächer aus Platten am Ende. Bewaffnet waren sie mit einer Knackschere, besetzt von Beulen und Knötchen, und einer schlankeren Greifschere mit feingezahnter Klinge. Als mein Onkel sie aus dem Korb hob, richteten sie in Abwehrstellung die Scheren auf, um nach einem unvorsichtigen Finger zu schnappen. Damit sie ihn nicht erwischten, ergriff er sie direkt hinter dem Kopf. Bei einer früheren Tour hatte ich miterlebt, wie mein Vater beim Herausheben eines Hummers von einer Schere erwischt worden war. In einer Schreckreaktion zog er den Arm so ruckartig zurück, dass das sich festklammernde Tier in hohem Bogen über Bord flog und ins Meer, in seine Freiheit platschte. Zum Glück hatte es schon eine Diskussion darüber gegeben, ob der Hummer nicht zu klein zum Mitnehmen sei.
Mein Onkel klemmte sich jeden Hummer zwischen die von Ölzeug geschützten Oberschenkel und band ihm mit Gummiringen die Scheren zusammen, damit sich die Tiere nicht gegenseitig verletzten. Ein großes Problem der Hummerzucht oder wenn man ein Habitat mit Jungtieren besetzt, besteht in ihrem schrecklich aggressiven Verhalten, mit dem sie erbittert ihr Territorium verteidigen. Sie töten und verspeisen jeden Rivalen, um sich die besten Löcher oder Spalten auf dem Meeresboden zu sichern. Die Hummer landeten in einem roten Fischcontainer aus Kunststoff, ausgepolstert mit altem Sackleinen, das in Salzwasser getränkt worden war. Das hielt die Tiere feucht, bis wir sie in einer glitschigen alten Holzkiste verstauen konnten, die unmittelbar vor dem Ufer am Pier vertäut war. Mein Onkel hatte mir gezeigt, wie ich Hummer anfassen musste. Ich hob einen vorsichtig hoch, um ihn ganz genau anzuschauen, während der nächste Korb an Bord gezogen wurde.