THIRDS
Vergessen & Vergeben
Roman
Ins Deutsche übertragen
von Silvia Gleißner
Eine Reihe von Bombenanschlägen erschüttert die Stadt und schürt die Konflikte zwischen Menschen und Gestaltwandlern. Dafür verantwortlich ist Isaac Pearce, der versucht einen Krieg anzuzetteln, um den Tod seines Bruders zu rächen. Die THIRDS sollen ihn aufspüren und den Frieden wieder herstellen, doch Sloane und seine Männer geraten immer mehr zwischen die Fronten. Umso wichtiger ist es, dass das Team zusammenhält. Aber die sexuelle Spannung zwischen Sloane und Dex belastet die Ermittlungen …
»Sicher, dass wir hier richtig sind?«
Dex verlagerte seine Waffe und trat hinter seinen Bruder an die Überwachungskonsole, während das übrige Team auf der anderen Seite des BearCat noch einmal die Ausrüstung überprüfte. Cael tippte etwas ein und rief damit ein Raster des Zielgebietes auf, eine Satellitenkarte sowie zahlreiche Überwachungsvideos von örtlichen Geschäften, die er sich zweifellos »ausgeborgt« hatte.
»College Point, Queens, neben der Canada Dry Abfüllanlage. So hat es unsere Quelle gesagt.«
»Vertrauenswürdig?«, fragte Dex und erhielt ein knappes Nicken als Antwort.
»Hat uns noch nie im Stich gelassen.«
Hoffentlich war dies dann nicht das erste Mal. Im Moment konnten sie sich keine Zeitverschwendung durch eine weitere Sackgasse leisten. Nach vier langen Monaten der Aufklärung und Datenerfassung durch die Agenten von Intel, dem Nachrichtendienst, und Recon, der Aufklärungseinheit, hatten die Defense-Agenten endlich eine nützliche Spur, um den Aufenthaltsort des Ordens der Adrasteia aufzuspüren. Auch wenn sie immer noch nicht wussten, wie groß oder wie weit verbreitet diese Gruppe war.
Zwar waren die Täter Menschen und hätten damit unter die Zuständigkeit der Human Police Force fallen sollen, doch ihre Drohung richtete sich gegen Therianer – ganz zu schweigen davon, dass der Orden durch die Hinrichtung eines THIRDS-Agenten den THIRDS den Krieg erklärt hatte. Das Onlinevideo von Agent Morellis Tod hatte sich wie ein Virus verbreitet und war zwei Tage vor Weihnachten im Fernsehen ausgestrahlt worden. Dex konnte immer noch die Stimme des Bastards in seinem Kopf hören, als hätte er das Video erst gestern gesehen und die von Hass vergifteten Worte gehört:
Um unsere Stadt von ihrer Krankheit zu heilen, müssen wir uns ihrer Träger entledigen, und wir beginnen mit der Organisation, die diese Seuche vor allem fördert. Wir werden die Hölle über diese Sünder bringen, und wir beginnen mit den THIRDS.
Sekunden nach Ausstrahlung dieser Nachricht waren die THIRDS auf Alarmstufe Rot gegangen. Sie mussten den Orden stoppen, ehe sie noch mehr Tote zu beklagen hatten und noch mehr Eiferer auf den Zug dieser Irren aufsprangen. Seitdem wurde die ohnehin schon von Furcht geprägte Beziehung zwischen Menschen und Therianern von Tag zu Tag instabiler – genau das, was der Orden wollte.
Zur Unterstützung hatten die THIRDS Freiwillige rekrutiert, um durch die Stadt zu patrouillieren und die Hasspropaganda des Ordens zu entfernen, aber das war vergebliche Liebesmüh. Für jedes abgerissene Poster, das einem »Humans 4 Dominance« entgegenschrie oder das Symbol der Göttin Adrasteia zeigte, tauchten drei oder vier neue auf. Auf den Straßen lagen so viele Flugblätter herum, dass es aussah wie nach einer Konfettiparade. Wohin Dex auch sah – überall hinterließ der Orden sein blutrotes Mal, versprach Höllenfeuer und Chaos und dass er nicht aufgeben würde, bis er sich entweder durchgesetzt hatte oder die Stadt in Flammen stand – je nachdem, was zuerst passierte. Die Medien waren auch keine Hilfe. Wenn man den Fernseher einschaltete und die grotesken Vorwürfe und die kindischen Versuche, die jeweils gegnerische Seite zu diskreditieren, zu hören bekam, konnte man glatt meinen, es wären Präsidentschaftswahlen.
Und die THIRDS waren mittendrin. Seit dem Auftauchen des Ordens hatte sich die Organisation alle möglichen Vorwürfe anhören müssen: angefangen damit, dass sie es sich zwischen den Fronten bequem mache (und zu feige sei, Partei zu ergreifen), bis zu der Beschuldigung, dass die THIRDS Verräter an der eigenen Spezies seien. Zudem seien sie die Quelle des Bösen höchstselbst, gleichzeitig aber auch das Einzige, was die Stadt vor dem Zerfall bewahre. Egal was sie taten – irgendwer warf ihnen immer irgendwas vor. Sie waren nicht hart genug, zu gleichgültig oder würden nicht schnell genug arbeiten.
Hätte er es an sich herangelassen, hätte Dex das alles schier um den Verstand gebracht. Deshalb ließ er das lieber bleiben. Wichtiger war ihm allerdings, dass sein Team sich davon nicht beeinflussen ließ.
Sloane kam heran, gab Dex seinen Helm und fragte Cael: »Was wissen wir über die Gegend?«
Dex nahm den Helm von seinem Partner entgegen und stöhnte. »Ich hasse dieses Ding.«
»Wenn eine Kugel erst mal deinen Helm statt deinen Kopf trifft, Frischling, dann wirst du ihn lieben.«
Verdammt. Dagegen kann man nichts sagen.
Cael gab sich keine Mühe, seine Belustigung zu verbergen, als er auf Sloanes Frage antwortete. »Hauptsächlich Industrieparks und Baugesellschaften. Die Fifteenth Avenue hört am East River auf, aber es gibt einen schmalen Kiesweg, der zum Parkplatz der Schilder- und Fensterfabrik führt – falls man das so nennen kann.« Dann wurde seine Miene ernst, und die Therianerpupillen seiner silbrigen Augen weiteten sich. »Aber unmittelbar darum herum befindet sich ein Wohngebiet, und Popps ist nur ein paar Blocks entfernt.«
»Was ist Popps?«, fragte Dex. Er war mit dem Gebiet nicht sehr vertraut, und nachdem er monatelang durch die ganze Stadt gejagt war, verschwammen die verschiedenen Viertel langsam ineinander.
»Das Poppenhusen-Institut. Ein Gemeindezentrum, das Programme für Kinder und Familien anbietet.«
Ash gesellte sich zu ihnen und gab sein gewohnt heiteres Knurren von sich. »Na, toll. Die Bastarde wissen, was sie tun. Die Industrieflächen bieten jede Menge Deckung, aber das Wohngebiet macht ein aggressiveres Vorgehen schwierig. Das Letzte, was wir brauchen, ist eine verirrte Kugel, die irgendein Kind erwischt.«
Sloane nickte zustimmend und zeigte dann auf den großen Flachbildschirm der Konsole. »Haben wir eine genaue Ortsbestimmung?«
»Hier.« Cael wies auf einen kleinen Bereich nahe dem Flussufer am Ende der Fifteenth Avenue. Das Grundstück bestand aus zwei kleinen Gebäuden auf einem kleinen Fleckchen Erde. An der Vorderseite befand sich ein Maschendrahtzaun, und dahinter verlief der East River. »Das Ganze wird als IGD Construction Supply Services geführt, aber das ist nur Fassade. Inzwischen jedenfalls. Ich habe eine Suche nach Unternehmen und Personen durchgeführt, die Verträge mit ihnen hatten, und dabei auch jede Menge Treffer erhalten, aber das waren alles Jobs, die vor über einem Jahr getätigt wurden, seitdem läuft nichts mehr. Ich habe von einer unserer sicheren Leitungen bei Recon dort angerufen und mich als Kunde ausgegeben. Die Sekretärin sagte mir, die Firma befinde sich mitten in einer Restrukturierung und würde derzeit keine neuen Aufträge annehmen.«
»Sicherheit?«
»Miserables Sicherheitsnetz, Otto-Normalverbraucher-Schrott. Es gibt eine Kamera an der Nordseite, eine an der Südseite und eine hier an diesem Haus, das als Bürogebäude dient. Ich kann dort schneller eine Dauerschleife legen, als Dex den Refrain von Alice Coopers Poison singen kann.«
Dex machte den Mund auf, doch Sloane legte eine behandschuhte Hand darüber. »Nein. Cael, ermutige ihn nicht auch noch. Ash, Zugang.«
»Mir gefällt das nicht.« Ash studierte den Bildschirm, die kräftigen Arme über der taktischen Weste verschränkt. »Wir reden hier über begrenzten Raum. Wenn sie da drin sind, müssen sie vorbereitet sein. Das zweite Gebäude ist unser primäres Ziel, denn dort werden sie sich am ehesten aufhalten. Es hat keine Fenster, zwei kleine Eingänge an der Seite und vorn drei Garagentore. Die gute Nachricht ist, dass sie aus Aluminium sind, also dürften sie sich leicht sprengen lassen.« Ashs Stirnrunzeln vertiefte sich.
»So oder so, die 110th Street kommt nicht infrage. Da sehen sie uns kommen. Ich schlage vor, wir bilden drei Teams. Team eins kommt von der Fifteenth Avenue, an der Abfüllanlage vorbei, bis hier«, erläuterte Ash und zeigte auf ein mittelgroßes braunes Ziegelhaus auf dem Bildschirm. »Sie können diesen Eingang hier nehmen. Der Holzzaun und das Gebäude bieten Deckung. Sie gehen hinten herum, durchschneiden den Maschendrahtzaun und landen dann im Hof hinter der IGD. Von dort schleichen sie sich von hinten an, schalten alle im Büro aus und stürmen dann vorn herein. Das ist sinnvoller, da die Fenster Einbruch-Schutzgitter haben, sodass unsere Täter auf diesem Weg nicht abhauen können. Wenn irgendwer auf das Team losgeht, können sie die Bastarde in den Fluss jagen, aber das ist nur meine Meinung.«
Ash machte eine kleine Pause und blickte seine Leute an, dann fuhr er fort. »Team zwei nimmt dieselbe Route, kommt dann hinter dem Primärziel raus und verschafft sich über diese Tür hier Zugang. Das sollte euch Raum zum Manövrieren geben, falls die Kerle durch den zweiten und dritten Zugang oder die Seitentüren kommen. Und wenn wir schon dabei sind, für diesen Fall haben wir auf der anderen Straßenseite ein drittes Team in Bereitschaft, das von der Schilder- und Fensterfabrik her kommt. Dort gibt es genug Baumaschinen und Schutt, um eine gute Deckung zu bieten.«
Mit einem knappen Nicken klopfte Sloane Ash auf die Schulter. »Gute Arbeit. Leute, ihr habt ihn gehört. Cael, du dienst uns als Augen. Halt uns über sämtliche Aktivitäten auf dem Laufendem.«
»Verstanden.« Cael wandte sich wieder der Konsole zu, während Sloane sich an das übrige Team richtete.
»Letty, Rosa, ihr bildet Team eins und übernehmt das Büro. Calvin, Hobbs, ihr beide seid Team zwei. Geht hinten um das Primärziel herum, brecht durch die Tür und räuchert sie aus.«
Calvin nickte knapp und ging mit Hobbs im Schlepptau los, um die nötigen Sprengstoffe und Waffen vorzubereiten.
»Ash, Dex, ihr kommt mit mir. Wir schleichen uns hinter der Schilder- und Fensterfabrik heran.« Sloane tippte an sein Headset. »Agent Stone, Agent Taylor, Agent Brodie hier.«
Die bärbeißigen Stimmen der Teamleader waren zu hören: »Hier Agent Stone. Wie lauten Ihre Befehle, Agent Brodie?«
»Hier Agent Taylor. Dito.«
Sloane verdrehte die Augen. »Agent Stone, postieren Sie sich mit Ihrem Team an der Ecke 119th Street und Fourteenth Road. Sorgen Sie dafür, dass niemand rein- oder rauskommt. Halten Sie Beta Pride in Bereitschaft und haben Sie ein Auge auf Zivilisten.«
»Verstanden.«
»Agent Taylor, Sie übernehmen mit Ihrem Team die Ecke 112th Street und Fifteenth Avenue. Sie wissen schon: Halten Sie Beta Ambush in Bereitschaft und haben Sie ein Auge auf Zivilisten. Und versuchen Sie, heute mal keine Kinder zu erschrecken.«
Am anderen Ende war tiefes Lachen zu hören. »Und Keeler den Spaß verderben? Gott, bewahre.«
»Leck mich, Taylor.«
»Komm doch einfach mal rüber und bück dich, Keeler. Dann machen wir uns ein nettes Stündchen zu zweit. Taylor Ende.«
»Pussy«, brummte Ash.
»Das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was mich an dir interessieren würde«, meinte Agent Taylor lachend.
Ash machte schon den Mund auf, um zu antworten – zweifellos mit einer Obszönität, bei der den anderen die Ohren schlackern würden, aber Sloane war schneller.
Er tippte gegen Ashs Headset und drohte ihm zugleich mit dem Finger. »Deinen verbalen Wettstreit mit Taylor kannst du ein andermal fortführen.« Er ignorierte Ashs finsteren Blick und konzentrierte sich wieder auf das Team.
»In Ordnung, passt auf euch auf. Und jetzt zeigen wir diesen Hundesöhnen, was passiert, wenn sie solch ein Chaos in unserer Stadt verbreiten. Letty, Rosa, gebt uns fünf Sekunden Vorsprung.«
»In Ordnung.« Rosa setzte ihren Helm auf und klappte das Visier herunter. Der Rest des Teams folgte auf dem Fuße.
Sloanes Stimme erklang laut und deutlich. »Los geht’s.«
Der BearCat von Destructive Delta – so hieß ihre Einheit – parkte an der Ecke 112th Street und Fifteenth Avenue. Sie winkten dem Transporter von Beta Ambush kurz zu, als der nicht weit von ihnen am Gehweg anhielt. Alle kletterten zügig hinaus und marschierten auf die jeweiligen Ausgangspunkte zu.
Dex reihte sich hinter Sloane in die Formation ein, Ash war direkt hinter ihm. Mit den Waffen in der Hand liefen sie zügig über den Gehsteig und bogen in die Fourteenth Road ein. Dort konnten sie den geparkten BearCat von Beta Pride an der Ecke sehen und steuerten darauf zu. Die Umgebung behielten sie genau im Auge, während sie an den zweistöckigen Häusern mit den weißen Lattenzäunen vorbeigingen.
Der Himmel war blau, ein paar dünne Wolken schwebten über ihnen und die Temperaturen näherten sich der Zwanzig-Grad-Marke. Die Gegend war still zu dieser Tageszeit. Niemand würde je vermuten, dass etwas nicht in Ordnung wäre, es sei denn, man blickte aus dem Fenster und bemerkte drei schwer bewaffnete THIRDS-Agenten, die gerade vorbeieilten.
Bevor sie den Truck erreichten, gab Sloane das Signal, die Straße zu überqueren, wo sie dann an der Ecke zur 110th Street anhielten. Sie waren zwar noch einen Häuserblock von IGD entfernt, doch Sloane wollte kein Risiko eingehen, dass sie vielleicht doch bemerkt würden. Daher bogen sie um die Ecke und folgten seinem stummen Signal, indem sie hinter die geparkten Autos huschten und warteten. Sobald sie grünes Licht bekamen, liefen sie über die Straße, an einem der Unternehmen entlang und hinten herum zum Parkplatz.
Ein Mann im grauen Anzug mit einer Aktenmappe und dem Arm voller Papiere blieb bei ihrem Anblick wie angewurzelt stehen und riss erschrocken die Augen auf. Dex bedeutete ihm, hineinzugehen, aber es brauchte drei Versuche, bis der Typ endlich aus seiner Erstarrung erwachte. Dann allerdings rannte er wie der Wind zurück zum Ausgang des Gebäudes und lief dabei beinahe gegen die Glastür.
Sloane deutete nach vorn, und Dex machte sich bereit, indem er einmal tief durchatmete. Acht Monate im Team, und manchmal konnte er immer noch nicht glauben, dass er ein Defense-Agent bei den THIRDS war. Seine Erkennungsmarke, die sich unter der Uniform an seine Haut presste, erinnerte ihn daran, dass er nun nicht mehr bei der Mordkommission arbeitete, sondern ein Soldat war. Er hatte die »Hundemarke« – so wurde sie im Soldatenslang genannt – nach sechs Monaten erhalten, nachdem er seine Probezeit mit Bravour bestanden hatte.
Trotz seines anfänglichen Widerstrebens, zu den THIRDS zu wechselm, nachdem die Bürokraten von der Human Police Force (HPF) ihn praktisch dazu gezwungen hatten, war es ein wunderbarer und glücklicher Moment, als sein Lieutenant ihm diese Hundemarke um den Hals gehängt hatte. Sein Dad und sein Bruder waren dabei gewesen und beinahe vor Stolz geplatzt. Die Marke war eine Erinnerung an sein neues Leben, und daran, dass seine Kollegen und Vorgesetzten sich ab jetzt auf ihn verließen. Destructive Delta hatte ihn aufgenommen, auch wenn der Start etwas holprig gewesen war. Aber eins wusste Dex ganz sicher: Er hatte nicht vor, die anderen jemals hängen zu lassen.
Sie erreichten den Holzzaun, der sie von der Hinterseite der Schilder- und Fensterfabrik trennte. Sloane trat beiseite und nickte Dex zu. Der Frischling machte auf. Nun konnte der Spaß beginnen. Dex drehte sich um, damit Sloane an seinen Rucksack und das Hooligan Kit darin herankam. Sekunden später gab Sloane ihm eine kleine Brechstange, und Dex jagte ein Ende zwischen zwei Holzbretter und zog dann mit einem Ruck an. Das Holz ächzte und splitterte. Mit einer Hand im Schutzhandschuh packte er das loseste Holzbrett und riss es ab. Sobald auch das zweite Brett herunter war, ging es leichter, ein drittes herauszureißen. Er drehte sich um, damit er Sloane die Brechstange geben konnte – und fand sich zwei finsteren Blicken gegenüber.
»Was ist?«
Ash zeigte auf den Zaun. »Dein magerer Menschenhintern mag da ja durchpassen, Daley, aber wir können von Glück sagen, wenn wir nur eine Schulter da durchkriegen.«
Im Ernst jetzt? Dex drehte sich wieder zum Zaun um und brummelte unwillig vor sich hin, während er die Brechstange zwischen zwei weitere Holzbretter stemmte. War doch nicht seine Schuld, dass seine Therianer-Teamkameraden gebaut waren wie Kleiderschränke. Er konnte von Glück sagen, wenn er nicht den halben Zaun abreißen musste. Er musste sich nicht nur daran gewöhnen, Teil eines taktischen Teams zu sein, sondern auch noch eines Teams mit Therianern. Unauffällig zu wirken, wenn man bis zu den Zähnen bewaffnet war, war schon eine Kunst. Doch dies bei über zwei Metern Körpergröße zu bewerkstelligen, mit ungefähr 130 Kilo Gewicht und dazu noch schwer bewaffnet, erforderte schon eine Art Voodoo-Magie. Dex versuchte immer noch herauszufinden, welche Art von Zauberei Hobbs bei ihrem letzten Auftrag angewandt hatte, um sich hinter einem Kleinstwagen zu verbergen.
»Beweg deinen Hintern, Frischling«, knurrte Ash.
»Das hättest du wohl gern, oder?«, antwortete Dex mit einem Stöhnen, während er ein besonders störrisches Holzbrett entfernte. »Du musst wirklich aufhören, ihn ständig anzustarren, Mann, sonst komme ich noch auf komische Ideen.« Er kicherte, als Ash ihn mit einer Reihe unterdrückter Flüche bedachte.
Als Dex fertig war, gab er die Brechstange zurück an Sloane, der sie rasch wieder an ihrem Platz in Dex’ Rucksack verstaute. Dann trat Dex beiseite und reihte sich in die Formation ein. Er hielt kurz inne und sah dann Ash mit hochgezogener Augenbraue an.
»Ich werde dir nicht auf den Hintern starren, Daley. Und wenn du das letzte fickbare Etwas auf diesem Planeten wärst.«
Dex grinste breit. »Dann findest du mich also fickbar?« Gott, er liebte es, diesen Kerl zu verarschen. Es war so verdammt einfach.
Ash schubste ihn durch den Zaun. »Hör zu, wenn du nicht endlich die Klappe hältst, dann schaue ich mir beim nächsten Mal deinen Hintern genau an, um ihn als Zielscheibe für meine Knarre anzuvisieren.«
»Beim nächsten Mal?«, lachte Dex. »Oh, Shit. Keeler hat mir auf den Hintern gestarrt.«
»Sloane«, brummte Ash genervt.
Sloane schüttelte den Kopf, während sie sich zwischen den schweren Maschinen im Hof der Schilderfabrik bewegten, um in Deckung zu bleiben. »Dex.«
Das war nicht so sehr eine Warnung, sondern mehr eine freundliche Erinnerung, die Klappe zu halten. Trotzdem warf Dex einen Blick über die Schulter auf Ash, der ihn selbstzufrieden angrinste. Er formte lautlos »Petze«, woraufhin Ashs Grinsen verschwand und einem finsteren Ausdruck wich. Schon besser.
Zügig bewegten sie sich am Gebäude entlang und behielten dabei das Ziel auf der anderen Straßenseite im Blick. Ein kleiner Bulldozer stand nicht weit vom Hintereingang des Gebäudes entfernt, also kauerten sie sich auf den mit vertrockneten Grasflecken bedeckten Boden daneben. Im Headset hörte Dex Sloanes leise Worte.
»Letty, Rosa, wo seid ihr?«
»Sind gerade hinter dem Büro angekommen.«
»Verstanden. Calvin?«
»Wir machen gerade die Sprengschnur an der Tür fest. Sollen wir …«
Calvin wurde unterbrochen, als ein Schuss zu hören war.
»Calvin?« Sloane schob sich auf die Vorderseite des Bulldozers zu. Sie konnten ein Stöhnen im Headset hören, und Dex rutschte das Herz in die Hose. Sloane fluchte und versuchte weiter, eine Antwort von ihrem Teamkameraden zu bekommen. »Gottverdammt, Calvin, rede mit mir. Was ist passiert?«
»Heckenschütze«, keuchte Calvin atemlos. »Bei mir ist alles in Ordnung. Treffer in die Weste. Verdammt, tut das weh. Sind unter Beschuss.« Seinen Worten folgten weitere Schüsse. Sie kamen von irgendwo in der Nähe.
Sloane spähte um den Bulldozer und versuchte, den Standort der Heckenschützen zu bestimmen. »Ich habe Sichtkontakt. Direkt voraus steht ein Bus. Er ist ausgeschlachtet und alle Fenster sind zerdeppert. Ich kann innen zwei Schützen ausmachen.«
»Da war wohl jemand mit dem Service unzufrieden«, brummte Ash.
»Cael, ist das Gebiet sicher?«, fragte Sloane.
»Abgesehen von euren Heckenschützen, ja. Keine Zivilisten.«
»Agent Stone, Agent Taylor?«
»Agent Stone hier. Gebiet gesichert.«
»Agent Taylor hier. Gebiet gesichert.«
»Verstanden. Destructive Delta, wir stürmen. Los, los, los!« Sloane kam hinter dem Bulldozer hervor, Dex und Ash direkt hinterher, während um sie herum ein Getöse von Schüssen, Knallerei und Geschrei erklang. Sie sprinteten auf den ausgeschlachteten schwarz-goldenen Bus zu, und Sloane warf einige Rauchbomben durch eines der eingeschlagenen Fenster, bevor sie durch die offene Fahrerseite den Bus stürmten.
»Auf den Boden! Sofort auf den Boden«, brüllte Sloane. Die beiden menschlichen Heckenschützen warfen ihre Waffen weg, während Ash sie packte und grob auf den Boden des Busses drückte.
»Hände hinter den Rücken«, rief er, holte Kabelbinder aus seinem Gürtel und fesselte ihnen die Hände.
Über das Headset kam eine Warnung von Calvin: »In Deckung!«
»Dex, Seitentüren!« Sloane schob Dex zur Vorderseite des Busses. Sie rannten über die Straße auf das Aluminiumgebilde zu, als das dritte Garagentor in einer Explosion aus Rauch aus dem Gebäude katapultiert wurde, über die Erde schlitterte und dann im Fluss landete. Als wäre da nicht schon genug Müll drin.
Dex und Sloane postierten sich zu beiden Seiten der kleineren Zugänge, mit dem Rücken an der Aluminiumwand, und warteten ab. Sie mussten nicht lange warten. Die Türen gingen auf, und ein Gewehrlauf schob sich neben Dex durch die Türöffnung. Dex packte die Waffe mit der rechten Hand und rammte ihrem Besitzer den linken Ellbogen ins Gesicht, woraufhin dessen Kopf nach hinten ruckte und ihm das Blut aus der Nase lief. Dex warf die Knarre neben sich ins Gras und richtete seine eigene Waffe auf die Leute, die hustend und keuchend herauskamen, die Augen blutunterlaufen und tränend vom Rauch.
»Auf den Boden! Sofort auf den Boden«, befahl Dex. »Hände dahin, wo ich sie sehen kann!« Einer der Bewaffneten wollte unter sein offenes Holzfällerhemd greifen, aber Dex stieß ihm den Stiefel in den Rücken und drückte ihn grob bäuchlings auf die Erde. »Ich sagte, Hände dahin, wo ich sie sehen kann!« Er hakte eine Handvoll Kabelbinder von seinem Gürtel los, ging in die Hocke und schob das Hemd des Typen etwas hoch, woraufhin ein Revolver zum Vorschein kam. Den warf er außer Reichweite der Burschen weg, legte dann einen Kabelbinder um die Handgelenke des Kerls und zog noch einmal an, fest genug, um ihm ein Zischen zu entlocken. Sobald er alle drei auf weitere Waffen hin durchsucht und gefesselt hatte, stand er auf und tippte gegen sein Headset. »Ich habe drei in Gewahrsam.«
Rosas rauchige Stimme antwortete. »Wir haben vier in Gewahrsam.«
»Wir haben fünf in Gewahrsam«, mischte sich Calvin ein und brüllte einem der Täter etwas zu. Sein Teamkamerad klang grantig, aber wer wäre das nicht nach einem Treffer in die Schutzweste?
Dex trat einen Schritt zurück und sah amüsiert zu, wie Ash die zwei Heckenschützen aus dem Bus herüberzerrte und diese dabei praktisch in der Luft baumelten. Sämtliche therianischen Defense-Agenten der Unit Alpha bestanden aus Raubtieren der Oberklasse, Großkatzen, und jeder von ihnen hatte so viel Kraft wie zwei menschliche Agenten zusammen. Wenn die Teams mit Therianer-Straftätern zu tun hatten, waren die Chancen in etwa ausgeglichen, und der Vorteil eines Therianer-Agenten war abhängig von seiner Fitness, seinen Fähigkeiten und seiner Intelligenz. Wenn es um Menschen ging, kamen die Therianer nicht einmal ins Schwitzen. Dex mochte es, wenn die Quoten zu ihren Gunsten standen.
Sloane blieb neben Dex stehen und klopfte ihm anerkennend auf den Rücken, während er seine Anweisungen gab. »Beta Pride, Beta Ambush, geht rein. Ich will unsere Täter aufgereiht mit dem Hintern auf dem Boden sehen. Agent Taylor, Agent Stone, sehen Sie zu, ob Sie irgendwelche Informationen aus ihnen rausholen können.«
Sobald ihre Kollegen von Beta Pride und Beta Ambush auftauchten, überließen sie die Täter ihnen, und Sloane bedeutete Dex, ihm zu folgen. Unterwegs nahmen die beiden ihre Helme ab und übergaben sie einem in der Nähe stehenden Agenten. Sie marschierten ins Hauptgebäude, in dem es immer noch von der Sprengung durch Calvin und Hobbs rauchte.
»Was haben wir?«, fragte Sloane, während sie sich umsahen. Das Aluminiumgebäude sollte eigentlich eine Garage für drei Fahrzeuge sein, war stattdessen aber zu einem Stützpunkt umfunktioniert worden. Die Wände waren isoliert, an zweien davon standen reihenweise Metallregale, und an einer dritten hingen Pinnwände mit Landkarten, Zeitungsartikeln, Rechnungen und einer Menge anderem Papierkram. In der Mitte befanden sich drei große Metalltische mit Zubehör, Schachteln, Wegwerf-Handys, Maurerwerkzeug und Waffen.
Dex fing einen Blick von Hobbs auf und folgte mit den Augen dem stummen Fingerzeig des Agenten zu einem der großen Regale.
Calvin gesellte sich zu seinem Partner und rief alle zu sich. »Schwefelsäure, Nitroglyzerin, Batterien, Zeitzünder.« Calvin hob eine Schachtel mit kräftigen Nägeln auf. »Sieht so aus, als hätten sie nicht nur darüber nachgedacht, Gebäude zu demolieren.«
Kranke Bastarde. Dass sie Bomben legen wollten, war schon schlimm genug, aber Bomben zu bauen mit dem ausdrücklichen Ziel, unschuldige Bürger zu verletzen und zu töten? Wie verblendet konnte man sein, um zu glauben, dass man damit etwas Gutes tat? Als wäre die Kriminalität in dieser Stadt nicht schon hoch genug. Aber jetzt hatten sie es mit einer ganz anderen Dimension von Irrsinn zu tun.
»Irgendwelche bereits fertig konstruierten explosiven Geräte?«, fragte Sloane.
Calvin schüttelte den Kopf. »Nein, nur das Material, wobei Hobbs sagt, sie bräuchten noch mehr als das hier. Er glaubt, dass sie sich vielleicht in einem frühen Stadium befanden und noch dabei waren, das gesamte Material zusammenzubekommen, um dann die Bomben zu bauen.« Er warf Hobbs einen Blick zu, und der große Therianer nickte ernst.
»Okay, danke Jungs.« Sloane seufzte, und Dex wusste, was sein Partner dachte. Wenn nicht einer von diesen Bastarden draußen redete, dann hatten sie nicht viel, womit sie weiterermitteln konnten. Dass sie diese Mistkerle von der Straße geholt hatten, war schon ein Gewinn, aber solange sie Isaac Pearce nicht hatten, war die Gefahr alles andere als gebannt. Wer konnte schon wissen, wie viele solcher Stützpunkte es da draußen noch gab? In wie vielen befanden sich bereits Bomben, die nur darauf warteten, hochzugehen?
Dex trat an die Pinnwände, in der Hoffnung, Informationen zu finden, irgendwas, das ihnen einen Hinweis darauf geben könnte, wo der Anführer des Ordens zu finden wäre. »Hier ist alles so ordentlich.«
»Wie meinst du das?«
Sloane kam zu ihm, und Dex zeigte auf die Pinnwände. »Die Pläne sind alle noch brandneu, so als wären sie eben erst gekauft worden, und sie zeigen keine spezielle Region. Es gibt eine Straßenkarte von Brooklyn, einen U-Bahnplan von New York City, eine Radwegekarte von Manhattan, und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Karte hier von diesem Gebiet ein Ausdruck aus dem Internet ist. Die Zeitungsartikel sind perfekt ausgeschnitten und stammen durch die Bank von den letzten zwei Monaten. Meine Güte, die haben sogar die Rechnungen an die Wand gepinnt. Welcher Bombenleger pinnt seine Rechnungen für Zubehör an die Wand? Wollen sie die Ausgaben etwa steuerlich absetzen?«
Er beugte sich vor. »Die sind auch alle auf vor zwei Monaten datiert.« Dann sah Dex sich im Raum um, ging zu einem der Regale und fuhr mit dem Finger über einen Zeitzünder. »Auf den meisten Sachen hier liegt eine dünne Staubschicht. Als hätte man sie ins Regal gelegt und dann nicht mehr angerührt. Die Leute könnten auf Befehle gewartet haben, oder …«
»Sie könnten auf uns gewartet haben«, beendete Sloane den Gedanken. Er fuhr sich mit der Hand übers Kinn. »Gute Arbeit, Dex. Du hast recht. Das alles wirkt viel zu … einfach. Mal sehen, ob schon einer eingeknickt ist.« Er aktivierte sein Headset. »Cael?«
»Spurensicherung anfordern?«, antwortete Cael.
»Genau. Ich will, dass hier alles bis in jede Ecke durchsucht wird, und ich will benachrichtigt werden, sobald sie die detaillierte Inventarliste in die Fallakte geben.«
»Schon erledigt.«
Dex folgte Sloane hinaus, wo fünfzehn Täter in ordentlicher Reihe auf dem Boden saßen, die Hände hinter den Rücken gefesselt und umringt von beinahe doppelt so vielen schwer bewaffneten Agenten, für den Fall, dass einer von ihnen auf dumme Gedanken kam. Schon erstaunlich, was manche Kriminelle anstellten, wenn sie verzweifelt waren. Und genau in dem Moment, als ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging, sprang einer der Männer auf und rannte los.
Ash starrte dem Typen hinterher. »Was in aller Welt glaubt der denn, wo er hinrennt?«
Als nun aus jedem Winkel Agenten näher rückten, kam der Typ schlitternd zum Stehen und verblüffte dann alle, indem er in den East River sprang. Dort spuckte und keuchte er dann und rief halb ertrinkend nach Hilfe.
»Echt jetzt?« Dex hatte ja schon so einigen Blödsinn in seinem Leben gesehen, aber der hier war genauso dämlich wie der Typ, der ihm damals als Neuling bei der HPF den Streifenwagen klauen wollte, während er noch auf dem Rücksitz saß. Ash gab ein schnaubendes Lachen von sich. »Was für ein Idiot.«
Einer der Therianer-Agenten von Beta Ambush fing an, sich auszuziehen, nachdem er eine Runde Schere-Stein-Papier verloren hatte, und gab dabei die ganze Zeit wüste Flüche von sich. Nackt bis auf die bunten Boxershorts zeigte er seinen pfeifenden und johlenden Kameraden den Mittelfinger und sprang in den Fluss. Ein paar Atemzüge später tauchte er wieder auf und zerrte den keuchenden Mann mit sich. Dann zog der dunkelhaarige Agent sich mit einer Hand hoch und warf den Typen mit der anderen auf die Erde.
Der Agent kletterte ans Ufer, schnappte sich von einem Kameraden ein Handtuch und funkelte die Gefangenen finster an. »Das ist das letzte Mal, dass ich so was mache. Falls noch einer von euch hier den Schwachkopf spielen will, kann er absaufen. Scheiße, ist das kalt.« Er schnupperte. »Bäh, und es stinkt. Muss ich in Quarantäne? Dieser Mist riecht giftig.«
Seine Kameraden lachten, bis Sloane eine Hand hob, woraufhin alle verstummten. Er trat auf die nebeneinander aufgereihten, ernst dreinblickenden Männer zu. Ein paar von denen sahen nicht älter als Cael aus. Genau genommen weckte besonders einer Dex’ Aufmerksamkeit. Der Junge war gerade mal sechzehn, höchstens siebzehn Jahre alt.
»Wo ist Isaac Pearce?«, fragte Sloane. Er marschierte langsam vor den Tatverdächtigen auf und ab und studierte sie mit dem eindringlichen Blick seiner bernsteinfarbenen Augen.
Dex war nicht überrascht, zu sehen, dass sich Furcht in einige der trotzigen Blicke schlich. Keiner von denen sah wie ein abgebrühter Krimineller aus. Und mit einer Körpergröße von knapp zwei Metern und einem Gewicht von über einhundert Kilo – ohne die etwa fünfunddreißig Kilo schwere Ausrüstung am Mann – wirkte Sloane Brodie auf die meisten imposant, auch wenn er sich nicht im Einschüchterungsmodus befand. Hinzu kam die Tatsache, dass er ein Therianer war, dessen Regierungstattoo am kräftigen Hals ihn als Jaguar auswies. Zudem besaß er locker zwanzig Jahre Felderfahrung, und man musste schon noch dümmer sein als der Typ, der eben in den Fluss gesprungen war, um sich nicht vor Angst in die Hose zu machen.
»Ist euch der Ernst eurer Lage bewusst? Glaubt ihr, die THIRDS nehmen Terrorismus auf die leichte Schulter? Euer sogenannter Anführer hat vor aller Welt einen Agenten ermordet. Er hat Drohungen gegen unschuldige Bürger, gegen unschuldige Kinder ausgesprochen. Wenn er Glück hat, steht ihm ein Leben im Gefängnis bevor. Das hier ist eure Chance, das Richtige zu tun und das zu retten, was von eurer Zukunft noch übrig ist.«
Ein Idiot mit Bierbauch spuckte Sloane vor die Füße. »Wir reden kein Wort mit dir, du Therianerfreak. Deine Rasse ist ein Fehler der Natur. Die menschliche Rasse ist die überlegene. Ihr seid doch nicht mehr als bessere Haustiere. Man sollte euresgleichen zu den übrigen Tieren in den Zoo sperren oder abknallen. Menschen an die Macht!« Der Typ fing an zu skandieren, und Dex verdrehte genervt die Augen. »Menschen an die Macht! Menschen an die …«
Sloanes Stiefel, der gegen den Oberkörper des Typen drückte und ihn rücklings auf die gefesselten Arme kippen ließ, setzte dem Geschrei ein Ende. Es war kein Tritt. Ein leichtes Tippen von Sloane reichte schon, um den Typen umkippen zu lassen, sodass er wie eine Schildkröte auf dem Rücken lag und sich wild zappelnd wieder aufzurichten versuchte. Dex drückte sich die Faust vor den Mund, um nicht loszuprusten. »Hat irgendwer etwas Brauchbares zu sagen?«, fragte Sloane.
Dex musterte die schweigenden, finster dreinblickenden Kerle, und sein Blick fiel wieder auf den Teenager. Der Junge schluckte schwer und hielt den Blick starr auf den Boden gerichtet. Neben ihm kniete ein älterer Mann, der ihm sehr ähnlich sah. Dex aktivierte sein Headset. »Sloane.«
Sein Partner warf ihm einen Blick zu, kam wortlos herüber und folgte Dex zur Seite. »Was ist los?«
»Ich denke, wir sollten es mal mit dem Dash-Manöver versuchen.«
Sloane sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. »Du glaubst, das wird funktionieren?«
»Der Kleine macht sich vor Angst gleich in die Hosen. Ich vermute, der Typ neben ihm ist sein alter Herr. Der hat ihn wahrscheinlich in diese Bredouille geritten.«
Sein Partner fuhr sich mit der Hand übers Kinn und nickte schließlich. »Okay.« Dann drehte er sich um und winkte Ash heran.
»Was gibt’s?«, fragte der, und Dex sah, dass Sloane sich alle Mühe gab, ernst zu bleiben, als er antwortete.
»Wir versuchen es mit dem Dash-Manöver.«
Wie erwartet gab Ash ein tiefes Stöhnen von sich. »Ach, du Scheiße.« Er sah Sloane finster an. »Das glaube ich echt nicht. Du hast ihm nicht nur erlaubt, eine Strategie daraus zu machen, sondern auch noch, dass er dem Ding einen Namen gibt.«
Sloane zuckte mit den Schultern, und in seinen Augen blitzte Belustigung auf. »Dir ist nichts Besseres eingefallen.«
»Weil ich mit der blöden Idee nicht einverstanden war.«
»Na ja, das Ding funktioniert, also finde dich damit ab.« Sloane klopfte Ash herzlich auf die Schulter und schmunzelte, als dieser einen Flunsch zog.
»Zielperson?«, grummelte Ash.
»Der Junge.« Dex aktivierte sein Headset. »Cael, fahr den BearCat her.«
»Verstanden.«
Dex marschierte zum sich nähernden BearCat und stieg hinten ein, als sein Bruder die Türen öffnete.
»Was gibt’s?«
»Wir machen das Dash-Manöver.« Dex trat im Truck zur Seite, als er Ash fluchend und knurrend kommen hörte.
»Ich kann echt nicht glauben, dass du Sloane überzeugt hast, das als offizielle Strategie aufzunehmen«, meinte Cael lachend und setzte sich an die Überwachungskonsole. Es war zu vermuten, dass sein Brüderchen sich die Show anschauen würde. »Ash hasst es.«
Dex wackelte mit den Augenbrauen. »Weiß ich.« Allerdings wusste er auch, dass Ashs Missbilligung des Manövers daher rührte, dass es Dex’ Idee war und dass es funktionierte. Und ganz besonders missfiel Ash, dass sein Name mit dem von Dex zu »Dash« verschmolzen worden war. Doch bei allem Maulen konnte Ash nicht leugnen, dass ihre widerstreitenden Persönlichkeiten gemeinsam gute Ergebnisse erzielten, wenn es um Verhöre ging. Ash war der Typ, der Babys schon zum Weinen brachte, indem er sie nur ansah. Das Ganze war weniger »guter Bulle – böser Bulle«, sondern eher so etwas wie »Ach, du Scheiße, haltet mir den vom Leib – mit Ihnen rede ich, weil Sie kein Irrer sind.« Das Beste dabei: Sie mussten nicht groß schauspielern.
»Rein da mit dir.« Ash stieß den Teenager, dessen Augen nun weit aufgerissen waren, so grob hinten in den BearCat, dass dieser stolperte. Dex fing ihn auf, bevor er kopfüber in etwas rennen und sich selbst außer Gefecht setzen konnte.
»Jesus, Keeler, komm wieder runter.« Dex senkte den Kopf und sah den Jungen an. »Alles okay?«
Der Junge presste die Lippen zusammen und runzelte die Stirn.
Dex deutete auf die lange Bank, wo sonst das Team saß. »Wieso setzt du dich nicht dorthin, ähm … wie heißt du eigentlich?«
»Singst du ihm auch noch ein Schlafliedchen, Daley?«, schnaubte Ash.
Dex ignorierte Ash und konzentrierte sich auf den Jungen, der sich widerstrebend auf die Bank gesetzt hatte. »Wie heißt du?«
Keine Antwort. Ash stürmte herüber, packte den Jungen am Hemd und zerrte ihn mit einem Knurren auf die Füße. »Er hat dir eine verdammte Frage gestellt. Willst du jetzt kooperieren, oder muss ich mich wandeln und deine dürren Knochen als Zahnstocher benutzen?«
Dex verzog keine Miene. Er gab sein Bestes, um nicht angesichts Ashs übertriebener Sprüche loszuprusten. Der Junge schaute ihn verängstigt an und kiekste, als Ash ihn grob auf die Bank fallen ließ und drohend über ihm aufragte. »Du hast fünf Sekunden, um deinen Namen preiszugeben, bevor ich richtig sauer werde. Fünf.«
»Keeler«, seufzte Dex, »das wird nicht helfen.«
Ash drehte sich zu ihm um und bohrte ihm den Finger in die Schutzweste. »Das ist dein Problem, Daley. Du bist viel zu beschäftigt damit, Ketten aus Gänseblümchen zu basteln und Witze zu reißen, um dir die Hände schmutzig zu machen.«
»Was zum Teufel soll das denn heißen?« Dex stemmte die Hände in die Hüften. Ash kam näher, und seine Stimme war nur noch ein tiefes Knurren, aber Dex ließ sich nicht einschüchtern.
»Das soll heißen, dass du nicht die Eier hast, da reinzugehen und zu tun, was du tun musst, weil du immer der Gute sein willst.«
»Ich bin der Gute. Wir sind doch alle die Guten! Leck mich, Mann. Ich weiß, wie ich meinen Job zu machen habe, und nur weil ich nicht herumlaufe und alte Damen erschrecke oder Zorn und Vergeltung auf die Welt regnen lasse, heißt das noch lange nicht, das ich Angst habe, mir die Hände schmutzig zu machen.«
Mit geweiteten Nasenflügeln stürmte Ash wieder auf den Jungen zu und hob ihn erneut von seinem Sitz. »Dann hör mir jetzt mal zu, du Fliegenschiss. Jede Minute, die du nicht redest, ist eine Minute mehr, die ich hier mit diesem Gummibären und Cheez Doodles mampfenden, Achtzigerjahre-Lieder grölenden Arsch verbringen muss, und davon kriege ich echt schlechte Laune. Willst du, dass ich schlechte Laune kriege?«
Der Junge schüttelte heftig den Kopf.
»Dann beantworte seine gottverdammten Fragen, oder ich schwöre dir beim Grab meiner Mutter, ich sorge dafür, dass du dir wünschst, du wärst nie geboren worden.«
»Simon«, platzte der Junge heraus. »S-Simon Russell.«
Ash ließ den Jungen grob auf den Hintern plumpsen, drehte sich dann um und fuhr Dex an: »Mach weiter, Daley.«
Dex setzte sich neben Simon. Der Junge sah verunsichert und elend aus, ließ die Schultern hängen und sah misstrauisch zwischen Ash und Dex hin und her.
»Ich entschuldige mich für meinen Teamkameraden, Simon. Er wird immer unleidlich, wenn es Zeit wird für seine Schnabeltasse O-Saft und ein Nickerchen.« Dex hätte schwören können, dass er Simons Mundwinkel zucken sah. »Ich bin Agent Daley, und trotz allem, was du vielleicht denkst, bin ich hier, um dir zu helfen.«
Simon musterte Dex abschätzend. »Dad sagt, alle menschlichen THIRDS-Agenten sind Verräter an ihrer Rasse.«
Die Worte kamen leise, aber Dex konnte die Unsicherheit darin hören. Er würde sein Gehalt darauf verwetten, dass der Junge da nie hineingeraten wäre, wenn sein Idiot von Vater ihm nicht diesen hasserfüllten Mist in den Kopf gepflanzt hätte. »Ich bin kein Verräter, Simon. Ich bin nur ein ganz normaler Kerl, der versucht, das Richtige zu tun. Mein Job ist es, unschuldige Bürger zu schützen und denen zu helfen, die sich verloren fühlen. Ich glaube, jeder hat eine Chance auf ein sicheres und glückliches Leben, egal welcher Spezies er angehört. Weißt du, bevor ich THIRDS-Agent wurde, war ich bei der HPF, genau wie mein Dad.«
Simon legte den Kopf schief und rutschte etwas tiefer auf der Bank. In diesem Augenblick wusste Dex alles über den jungen Mann, was er wissen musste, und er fuhr fort, solange er Simons Aufmerksamkeit hatte.
»Mein Dad war bei der Mordkommission auf dem Sechsten Revier. Er und sein Freund Tony waren die Besten in ihrem Job. Ich war so stolz auf ihn. Meine Freunde konnten es schon gar nicht mehr hören, wenn ich ihnen erzählte, wie toll mein Dad war«, erzählte er mit einem Schmunzeln und spürte dabei immer noch, wie ihm das Herz schwer wurde, wenn er an seinen Vater dachte. Es verging kein Tag, an dem er seine Eltern nicht vermisste. »Er war mein Held.«
»War?«, fragte Simon stirnrunzelnd.
»Ja, er wurde während der Unruhen getötet, zusammen mit meiner Mom.« Dex seufzte und schüttelte den Kopf. »Er ist im Dienst so manches Mal ausgerückt, um während der Unruhen für Ordnung zu sorgen, und dann geht er eines Abends mit meiner Mom ins Kino – es war ihre ›date night‹« – er schluckte schwer und fixierte den Blick auf seine fest verschränkten Hände – »und es gab eine Schießerei im Kinogebäude. Mein Dad hat versucht, die Leute hinauszubringen, auch meine Mom. Sie … wurde im Kreuzfeuer getroffen. Und mein Dad wurde in die Brust geschossen, als er versuchte, sie zu retten.«
»Tut mir leid«, murmelte Simon und sank noch mehr in sich zusammen.
Dex schniefte und blinzelte das Brennen in seinen Augen weg. Achtundzwanzig Jahre, und es fühlte sich immer noch so an, als wäre es gestern gewesen. »Ja, ich vermisse sie unheimlich. Aber kurze Zeit danach hat Tony mich adoptiert, und ein paar Monate später bekam ich einen kleinen Bruder. Ich würde ihn für nichts auf der Welt hergeben. Hast du irgendwelche Geschwister?« Dex hatte keine Ahnung, was ihn da ritt, Simon die Geschichte mit seinen Eltern zu erzählen, aber als er damit anfing, kam alles einfach so heraus. Simon war jung. Er hatte seine ganze Zukunft noch vor sich, wenn er nur für das eintrat, was er wollte, und nicht das, was sein Vater für ihn wollte.
Simon nickte. »Einen älteren Bruder, Matthew. Er wohnt jetzt in Boston.«
Wenigstens war Matthew da weggekommen. »Ist er ein guter großer Bruder?«, fragte Dex und bemerkte, wie Simons Augen aufleuchteten. Dex unterdrückte einen Fluch. Der Junge war noch jünger als er gedacht hatte. Nicht älter als fünfzehn.
»Er ist großartig. Er hat immer auf mich aufgepasst und Videospiele mit mir gespielt. Wir haben uns zwar auch gestritten, aber das ist eben so bei Brüdern. Er war sich nie zu cool dafür, mit mir herumzuhängen, selbst wenn seine Freunde ihn deswegen aufgezogen haben. Wie ist das bei Ihnen?«
Dex grinste breit. »Ob ich ein guter großer Bruder bin? Keine Ahnung. Finden wir es raus.« Er drehte den Kopf und grinste Cael an. »Was sagst du dazu? Sei nett.«
»Abgesehen davon, dass du manchmal echt nervig bist«, antwortete Cael, und sein Grinsen reichte bis zu den Augen, »ja, du bist ein echt toller großer Bruder.«
Dex drehte sich wieder zu Simon um, dem gerade die Kinnlade heruntergefallen war. Als er sich wieder erholt hatte, sprudelte er hervor: »Das ist Ihr Bruder? Aber … aber er ist doch ein Therianer!«
»Sag mir eins, Simon. Angenommen, es würde etwas passieren und du würdest … dich verändern, würde Matthew sich von dir abwenden?«
Simon öffnete den Mund, doch dann schien er sich zu besinnen. Er ließ die Schultern hängen und schüttelte den Kopf. »Nein. Er würde mich lieben, egal was passiert. Das weiß ich genau.«
»Also, wieso sollte ich meinem kleinen Bruder so was antun? Er ist ein ganz normaler Kerl, so wie du.« Dex zuckte mit den Schultern. »Seine DNA ist vielleicht anders, aber ich liebe ihn, genauso wie dein großer Bruder dich liebt. Außerdem ist er der Einzige, der mich bei Videospielen schlagen kann. Er ist ein totaler Nerd.«
»Wie Topf und Deckel«, sagte Cael prustend.
Dex legte Simon die Hand auf die Schulter. »Etwas sagt mir, dass Matthew die Dinge anders sieht als euer Dad.«
»Stimmt. Sie haben sich oft gestritten. Dad hat uns immer erzählt, dass Therianer etwas Falsches wären. Abscheulichkeiten aus der Hölle, die Gottes Kinder verderben wollen. Am Anfang hat Matthew es noch geglaubt.«
»Aber dann?«
»Ist er Jenny begegnet.«
»Ah.« Dex lächelte wissend. »Dein Bruder hat sich in eine Therianerin verliebt.«
»Ja. Ich hatte solche Angst um ihn. Als Dad es herausfand, ist er total durchgedreht. Hat Matthew gedroht, aber Matthew hat sich geweigert, Jenny zu verlassen, also hat Dad ihn rausgeworfen und gesagt, Matthew wäre für ihn gestorben. Dad hat mir gesagt, ich hätte keinen Bruder mehr, aber damit konnte ich nicht leben. Ich konnte nicht so tun, als wäre Matt tot. Ich wollte unbedingt mit ihm gehen, aber Matt war erst sechzehn, und Dad hat ihn ohne einen Cent rausgeworfen. Er hat ihn nicht mal ein paar Klamotten holen lassen.« Simons Stirnrunzeln vertiefte sich, und seine Stimme wurde wütend. »Wie konnte er das nur tun? Wie konnte er Matt so davonjagen? Ich wollte Dad damals so gern wehtun, aber ich war noch klein, und ich hatte Angst. Ich habe ihn gehasst.« Er ließ den Kopf hängen, und in seinen Augen standen Tränen. »Gott, ich bin so ein Weichei.«
»Hey.« Dex drückte ihm die Schulter. »Sei nicht so hart mit dir selbst. Du konntest nicht viel tun, und dein Dad ist für seine schlechten Entscheidungen selbst verantwortlich. Es ist in Ordnung, Angst zu haben, aber jetzt bist du kein Kind mehr, Simon. Du kannst deine eigenen Entscheidungen treffen. Das, woran dein Dad hier beteiligt ist, wird ihn für eine lange Zeit aus dem Verkehr ziehen. Er will unschuldige Therianer verletzen, Therianer wie Jenny und meinen kleinen Bruder.«
Simons Blick huschte zu Cael, bevor er schuldbewusst wegsah.
»Ist es das, was du für dich willst? Willst du jede Chance auf eine Zukunft aufgeben, darauf, dass du Matt wiedersiehst, wegen der Fehler deines Dads?«
Simon kaute auf seiner Unterlippe, und nach einer gefühlten Ewigkeit schüttelte er den Kopf. »Nein, ich will nicht ins Gefängnis, nicht für diesen Arsch. Ich wollte das hier nie, aber er hat gesagt, wenn ich ein Therianerliebhaber werde wie mein Bruder, dann soll ich abhauen, und es wäre besser, wenn ich tot wäre.« Eine Träne rollte über seine gerötete Wange. Er sah Dex in die Augen. »Können Sie mir wirklich helfen?«
Dex nickte. »Versprochen, Simon. Ich tue alles, was in meiner Macht steht, um dich zu Matt zu bringen, aber ich brauche deine Hilfe.«
»Okay.« Simon nickte knapp. Seine Miene war entschlossen. »Was muss ich tun?«
»Erzähl mir alles, was du über Isaac Pearce weißt.«