Für meine Eltern, die mir halfen, Körper und Seele zusammenzuhalten, während ich dieses Buch schrieb.
»Doch dieses grause Zaubern
Schwör’ ich hier ab …«
WILLIAM SHAKESPEARE, Der Sturm
Die junge Frau fuhr wie ein Messer zwischen die Passanten auf dem belebten New Yorker Bürgersteig. Rot besohlte Stilettos, in denen sie sehr groß wirkte, schwarze Kleidung, die sich wie Rauch an sie schmiegte, schwarzes Haar mit roten Spitzen, das ihr Gesicht mit den schiefergrauen Augen scharfkantig einrahmte. Sie war eine Frau, die auffallen müsste, bei deren Anblick die Leute stehen bleiben und sie anstarren müssten.
Doch keiner tat es.
Sie schritt die Wall Street entlang, wo der Kirchturm der Trinity Church sich vor ihr erhob, glitt zwischen Anzugträgern und Touristen hindurch wie ein Geheimnis, zog keine Blicke auf sich, keine »Hey, Süße«-Rufe, kollidierte im Gedränge nicht einmal versehentlich mit einer Schulter. Sie hätte ein Gespenst sein können. Ein Schatten.
Die Sonne war grell, der Himmel von einem schrillen Blau, wolkenlos und nur von blendenden Spiegelungen durchbrochen. Die spätsommerliche Hitze verschmolz salzigen Schweiß und schweres Parfüm, vermengte sie mit den Essensgerüchen der Imbissstände am Straßenrand. Ein strahlend schöner Tag, beinahe normal.
An einer Ecke blieb die Frau stehen. Ihr Blick zuckte kurz hinauf zu einem unauffälligen Fenster in einem der Gebäude, die an den nicht vorhandenen Wolken kratzten, als wollte sie sich vergewissern, dass ihr jemand zusah. Ihre blutroten Lippen verzogen sich zu einem knappen Lächeln, und dann trat Sydney vom Bürgersteig mitten hinein in den Verkehr.
Die Autofahrer schienen sie nicht zu bemerken.
Sydney ging bis in die Mitte der Kreuzung und hob dort wie eine Dirigentin zu Beginn eines Symphoniekonzerts die Arme. Reglos stand sie so da, einen Atemzug lang. Zwei. Drei. Hätte es irgendwo über dieser hektischen Stadt Augen gegeben, die alles beobachten konnten, hätten sie gesehen, wie ihre Lippen sich bewegten.
Und dann.
Erhoben sich sämtliche Autos um sie herum anmutig in die Luft.
Dort hielt Sydney sie: rostfleckige Taxis und schnittige schwarze Limousinen mit getönten Scheiben, Kurierdiensttransporter und einen Stadtrundfahrtbus, aus dem die Eröffnungsnummer des neuesten Broadway-Erfolgs plärrte. Sie alle schwebten in drei Metern Höhe über die Kreuzung wie ein bizarrer Zugvogelschwarm. Sydneys Gesicht verzog sich zu einem strahlenden, wilden Lächeln. Wenn die Menschen in den Autos es hätten sehen können, hätten sie es vielleicht als heiter bezeichnet. Als beglückt.
Doch die Menschen in den Fahrzeugen sahen sie nicht. Kein Hupen, kein Fluchen. Keinerlei Ehrfurcht – überhaupt keine Reaktion –, weder vonseiten der Menschen in den fliegenden Wagen noch seitens irgendeines Passanten. Bloß ein Schweben, da, wo es nicht hätte möglich sein dürfen.
Sydney lenkte die Autos mit Worten und knappen, präzisen Gesten, die ihre Finger und Hände in Origamikunstwerke verwandelten, allerdings ohne sichtbare Anstrengung, über die Kreuzung – durch die Luft.
Und dann.
Hielten ihre Hände inne. Wie man den Atem anhält. Zwei. Drei. Sie ließ die Arme sinken, und damit kehrten auch die Autos so anmutig, wie sie den Asphalt verlassen hatten, dorthin zurück, ohne dass der Verkehrsfluss unterbrochen worden wäre. Sydney ging zurück auf den Bürgersteig und mischte sich unter die Passanten. Niemand drehte den Kopf. Niemand schenkte ihr Beachtung.
Sie war noch keinen halben Häuserblock weit gekommen, da kündigte ihr Handy per Vibration eine SMS an: Sie haben den Job.
Die Nachricht, mit der alles begann, ging auf verschiedenen Wegen ein. Als E-Mail. Als SMS. Förmlich getippt auf schlichtem weißem Bürobriefpapier. Von Hand mit weinroter Tinte geschrieben und mit Wachs versiegelt. Doch gleichgültig, welches Medium, der Inhalt war immer der gleiche:
Das Rad des Schicksals hat mit seinem Umschwung begonnen. Wenn er abgeschlossen ist, wird alles neu sein.
Falls jemand, der kein Magier, kein Mitglied der Ungesehenen Welt war, irgendwie an diese Nachricht gelangt wäre, hätte er sich nichts dabei gedacht. Ein Glückskeksspruch, eine Spammail, vom Mailprovider übersehen. Uninteressant und im Nu gelöscht.
Miranda Prospero hingegen war eine Magierin und wusste genau, was da auf ihrem Schreibtisch gelandet war. Eine Überraschung, allerdings keine freudige.
Miranda war eine konservativ gekleidete, elegante Frau von Ende fünfzig mit einem Gesicht, das zu markant gewesen war, um schön genannt zu werden, bis sie das richtige Alter dafür erreicht hatte. Mittlerweile trug sie ihre Kleidung und ihr Make-up wie eine Rüstung, die ihr ebenso als Schild und Maske dienten wie alles, was sie hätte heraufbeschwören können. Sie sollten ein mit Bedacht gewähltes Bild von ihr präsentieren.
Das Arbeitszimmer, in dem Miranda an ihrem elegant geschwungenen antiken Rosenholzschreibtisch saß, war in kühles Morgenlicht getaucht. Sie legte die Fingerspitzen auf den Rand des Blatts. Dann viertelte sie mit ihren Händen die Luft darüber und sprach Worte, deren Echo streng und bitter roch. Die Nachricht schien echt zu sein. Zudem gab es eine magische Vorrichtung – Magie, die unantastbar und vor Einflussnahme sorgfältig geschützt sein müsste –, die verhinderte, dass eine solche Nachricht versehentlich versandt wurde. Doch es war noch früh, viel zu früh, für einen neuen Umschwung. Normalerweise lagen mindestens zwanzig Jahre zwischen zwei Umschwüngen. Nur dreizehn Jahre diesmal, kaum mehr als eine halbe Generation.
Nun ja, dreizehn Jahre, fünf Monate, eine Woche und vier Tage. Miranda war mit den Begleitumständen des vorherigen Umschwungs wohlvertraut. Sie hatten sie in vielerlei Hinsicht zu dem gemacht, was sie heute war.
Licht blitzte auf und dann schwebte ein Siegel über dem Blatt Papier in der Luft: die Rota Fortunae, die Glücksgöttin, die mit verbundenen Augen ein Rad dreht.
Also war dieses Schreiben tatsächlich echt.
Leise Angst beschlich sie, setzte sich mit feinen Widerhaken in ihrem Herzen fest. Es gab durchaus Gründe für einen verfrühten Umschwung. Keiner davon war erfreulich.
Sie war vorbereitet. Seit gut dreizehn Jahren bereitete sie sich täglich darauf vor. Doch sie hatte auf mehr Zeit gehofft. Sie hatte alles getan, was in ihrer Macht stand, um dafür zu sorgen, dass Prospero ein starkes Haus war. Gut positioniert. So etabliert und mächtig, dass sie keine Schwierigkeiten haben dürfte, jemanden zu finden, der bereit war, es zu repräsentieren.
Sie presste die Fingerspitzen an die Schläfen, dann legte sie die Hände auf den Schreibtisch. Mittlerweile wusste sie, was ein Umschwung bedeutete, kannte die Regeln und den Einsatz – sie hatte das alles bereits erlebt –, doch der Teufel lag im Detail, und hier ganz besonders. Daher las sie weiter:
Jedes Haus darf sich durch einen Dritten repräsentieren lassen. Ein hierzu unter Vertrag genommener Champion gilt für die Dauer seines Engagements als Angehöriger des Hauses mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten. Einmal unter Vertrag genommen, kann ein solcher Champion nicht ausgetauscht werden. Jedes Haus, das keinen externen Champion beauftragt, akzeptiert sämtliche Konsequenzen, die daraus gegebenenfalls für seine Mitglieder entstehen, einschließlich Tod und Verschwinden, und verzichtet auf jegliche Racheakte jenseits der offiziellen Duelle. Die Handlungen eines ob hauseigenen oder per Vertrag gebundenen Champions während eines Duells sind verbindlich.
Jedes Haus, das durch die Handlungen eines seiner – ob durch Geburt oder Vertrag gebundenen – Angehörigen die Aufmerksamkeit der Magielosen auf die Ungesehene Welt zieht, wird aufgelöst. Jedes Haus, das sich gegen eine Teilnahme am Umschwung entscheidet, wird aufgelöst. Böswillige Einmischung in ein aktives Duell kann nach sich ziehen, dass der fragliche Magier seiner Magie entblößt oder sein Haus aufgelöst wird.
Miranda verzog den Mund. All dies würde so ernst genommen werden wie eh und je: Spätestens Ende der ersten Woche, wenn nicht schon bis zum Ende des ersten Duells, würde es den ersten schweren Verstoß gegen eine der Regeln zu verzeichnen geben, was mit einem Achselzucken und irgendeiner Variante von »Das Rad des Schicksals dreht sich nun mal« quittiert werden würde. Die Ungesehene Welt mochte ihre Regeln, aber nur, wenn sie ihr gelegen kamen.
Jedes Haus, dessen Champion – ob durch Geburt oder Vertrag gebunden – im Verlauf eines Duells stirbt, wird vom nächsten obligatorischen Opfer für das Haus der Schatten freigestellt.
Dasjenige Haus, das bei Abschluss des Umschwungs den höchsten Rang innehat, wird Oberhaupt der Ungesehenen Welt.
Und diese letzten Klauseln würden befolgt werden, ob sie den Leuten nun gelegen kamen oder nicht. Denn bei allem Pomp und allem Glanz waren sie der eigentliche Zweck des Umschwungs.
Alles war genau so, wie sie es erwartet hatte. Die üblichen Bedingungen. Keine Überraschungen. Die würden während des Umschwungs auftreten. Wie immer.
Miranda faltete den Brief genau entlang des Falzes wieder zusammen und legte ihn beiseite. Das Haus Prospero würde seiner Tradition treu bleiben und einen externen Champion unter Vertrag nehmen. Es gab immer Magier, die bereit waren, sich im Gegenzug für eine große Summe Geldes oder die Zusicherung der Mitgliedschaft in einem etablierten Haus auf die Risiken einzulassen, die mit dem Umschwung verbunden waren. Sie nahm sich ihre Unterlagen vor, ihre Aufzeichnungen über all jene fähigen jüngeren Söhne und Töchter sowie talentierte Cousins, die keine Aussichten hatten, ein eigenes Haus zu erben. Die Angst, die sich wie ein Eisklumpen in ihrer Brust eingenistet hatte, schob sie beiseite. Dann schmiedete sie Pläne.
»Deine Mutter«, sagte Laurent, »wird aus ihrer Chanel-bekleideten Haut fahren, wenn sie das herausfindet.«
»Für Miranda bin ich nicht mehr ihr Sohn, insofern bezweifle ich, dass sie mehr tun wird, als ihrem Champion klarzumachen, dass ich bloß ein beliebiges Hindernis bin, das bei ihrem Griff nach der Macht neutralisiert werden muss.« Grey goss ihnen beiden einen schweren, torfig-rauchigen Whiskey ein und stellte die Flasche zurück auf den Barwagen. »Prost.«
Sie saßen an einem langen Holztisch in Laurents Wohnung: Glas und Chrom, Granit und helles Holz, hoch genug gelegen, um New York City unter ihnen mit seinen Lichtern und seinem Lärm in eine Szene wie aus einem Stummfilm zu verwandeln. Laurent war besonders talentiert in Magie, die mit Glück und Zufall verbunden war, und hatte sowohl dies als auch eine Reihe weltlicherer Fähigkeiten genutzt, um sich ein ziemlich gesundes Investmentportfolio aufzubauen.
»Meinst du?«, fragte er jetzt. »Auch wenn sie erfährt, dass du dich selbst repräsentierst? Ich meine, irgendwann enden die Duelle tödlich. Ich weiß, ihr zwei redet nicht miteinander, aber glaubst du wirklich, sie hätte kein Problem damit, wenn du am Ende tot bist?«
Laurent hatte seinen Eltern fünf Jahre zuvor einen Alterswohnsitz im Pazifischen Nordwesten gekauft, zwei Stunden von Seattle entfernt. »Wälder und Wasser, das will ich«, hatte sein Vater immer gesagt. Seine Mutter hatte hinzugefügt, sie hätte gerne ein paar Enkelchen zum Verwöhnen: »Und hier ist auf jeden Fall genug Platz für Besuch.« Er hatte ihnen gesagt, er werde erst mal mit den Wäldern und dem Wasser anfangen, und der Tag, an dem er ihnen die Schlüssel in die Hände gedrückt hatte, war einer der glücklichsten in seinem ganzen Leben gewesen. Ihre Wohnorte an entgegengesetzten Küsten und das Leben selbst verhinderten, dass er seine Eltern häufiger als ein, zweimal jährlich sah, aber sie hingen aneinander. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie jemandem kaltschnäuzig erzählten, ihr Sohn sei lediglich ein Hindernis.
»Falls sie sich dazu herabließe, mit mir zu reden, würde sie mich lediglich daran erinnern, dass«, nun äffte Grey Mirandas Stimmlage und Sprechmelodie nach, »ich einen ausgezeichneten und sicheren Platz als Erbe des Hauses Prospero hatte und den Umstand, dass ich diesen verloren habe, einzig und allein mir und meiner eigenen Dummheit zuzuschreiben habe. Ich hätte mich einverstanden erklärt, die Konsequenzen meiner Handlungen zu tragen, und dies sei nichts weiter als die Fortsetzung dieser Konsequenzen.« Er grinste und trank einen Schluck.
Laurent lachte. »Deine Mutter ist wirklich der Hammer.«
»Glaub mir«, sagte Grey, »das weiß ich.«
Es war nun gut drei Jahre her, dass sie ihn enterbt hatte. Diese spezielle Prozedur war unblutig verlaufen – Federstriche auf Dokumenten, die ein Kurier von einer Kanzlei zur anderen getragen hatte.
Die Ursache der Kluft zwischen ihnen war eine magische Angelegenheit gewesen. Grey testete gern Grenzen aus und suchte auch dort nach einem Zugang zur Macht, wo Miranda niemals suchen würde. Im Herzen war sie eine Traditionalistin. Ihrer Meinung nach hatte er eine rote Linie überschritten und so hatte sie ihm alles genommen.
Seither hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen.
»Ach, wo wir schon von deiner Familie reden«, sagte Laurent.
»Müssen wir?« Grey lehnte sich zurück.
»Neulich habe ich in der City deine Cousine Madison getroffen. Sie sah gut aus. Wir sind einen Kaffee trinken gegangen.«
»Ach, so gut sah sie aus, ja?« Grey grinste anzüglich.
»Nicht immer geht es darum, jemanden abzuschleppen, du Casanova.« Gespielt missbilligend schüttelte Laurent den Kopf.
»Stimmt, aber meistens schon. Und? Wie geht es ihr? Seit sie von der Schule abgegangen ist, habe ich sie nicht mehr gesehen.«
»Sie hat gesagt, sie sei gerade zur Partnerin in irgendeiner großen Anwaltskanzlei aufgestiegen – Wellington & Ketchum vielleicht?«
»Gute Kanzlei. Prospero nimmt ihre Dienste in Anspruch. Genau genommen ist sie wahrscheinlich deshalb auch dort. Fast alle Häuser haben an verschiedenen Stellen Leute sitzen, die sich um ihre nichtmagischen Angelegenheiten kümmern. Es ist besser, wenn diese Leute zur Familie gehören. Dann verstehen sie, wie wichtig Magie ist, und beklagen sich nicht über die Heimlichtuerei.«
Das war etwas, worüber man im Allgemeinen nicht sprach, doch hin und wieder geschah es, dass ein Angehöriger eines der Häuser als Magier nicht stark genug war, um die Zugehörigkeit zur Ungesehenen Welt zu behalten, oder dass jemand beschloss, auf die Ausübung seiner Magie zu verzichten. Diese Personen wurden ausgestoßen, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Die Ungesehene Welt mochte ihre Geheimnisse vor der magielosen Welt haben, doch allen war klar, dass sie trotzdem ein Teil davon waren und irgendjemand nun einmal die Routinearbeit erledigen musste.
»Sie hat sich nach dem Umschwung erkundigt und schien nicht überrascht zu sein, dass du dabei bist«, sagte Laurent.
»Ich hätte nicht gedacht, dass sie sich für so etwas interessiert.« Grey schüttelte den Gedanken ab und leerte sein Glas. »Hast du deinen Champion gefunden?«
»Ich glaube schon.«
»Du glaubst?« Grey goss sich noch einen Whiskey ein und hielt Laurent die Flasche hin, doch der schüttelte den Kopf. »Bald geht es los und dann musst du jemanden haben. Es sei denn, du hättest es dir anders überlegt und wolltest selbst antreten. Es ist ja nicht so, als hättest du nicht das Talent und den Mumm dafür.«
Laurent schnaubte. »Danke. Nein, ich will nach wie vor erst einmal zusehen, bevor ich es selbst probiere, also suche ich mir einen Champion. Aber sie hat den Vertrag noch nicht unterzeichnet.«
»Glaubst du ernsthaft, es besteht die Möglichkeit, dass sie absagt? Vielleicht solltest du sie hierher in deine Wohnung einladen und mit all dem beeindrucken, was du ihr bieten kannst.« Grey deutete zum Fenster, durch das man die Lichter der Stadt wie Juwelen auf Samt glitzern sah.
»Haha. Das ist es nicht – ich glaube, mit den Vertragsbedingungen ist sie einverstanden, aber sie ist gut genug, um es sich aussuchen zu können. Mehr als gut genug.« Laurent fuhr sich mit der Hand über die kurzen schwarzen Haare. »Ihr Zauber war ganz erstaunlich – komplex und filigran und vor den Magielosen vollständig verborgen. Sogar vor denen, die darin gefangen waren. Eine so beeindruckende Magie habe ich noch nie gesehen, und dabei hat sie das Ding durchgezogen, als täte sie so was jede Woche.«
Greys Augen wurden schmal. »Woher kommt sie, hast du gesagt?«
»Habe ich nicht gesagt – sie gehört zu keinem der Häuser.«
»Eine Außenseiterin mit einer solchen Macht? Das dürfte interessant werden«, sagte Grey. »Dann haben wir endlich neuen Gesprächsstoff und müssen nicht ständig darauf herumreiten, wie schnell dieser Umschwung gekommen ist. Ich hätte gedacht, dass es noch mindestens zehn Jahre dauert.«
»Es ist für uns beide der einzige Weg, ein Haus zu gründen«, entgegnete Laurent. »Besser, es passiert jetzt.«
»Stimmt. Ich bin es müde zu warten.« Greys Meinung nach war der Umschwung lange überfällig.
»Außerdem«, sagte Laurent grinsend, »ein gewaltiger Zauberwettstreit? Das wird ein riesiger Spaß.«
Hoch über der Stadt stießen sie auf sich, ihr Potenzial und die kommende Drehung des Schicksalsrads an.
Nicht zum ersten Mal wünschte Harper Douglas, ihre Magie wäre stärker. Wünschte, sie verfügte überhaupt über echte Magie, die über die Fähigkeit hinausging, eine Kerze mit einem Wort zu entzünden. Wofür sie tatsächlich viel mehr Energie verbrauchte, als wenn sie ein Streichholz verwendete, und anschließend hatte sie immer rasende Kopfschmerzen.
Sie hatte die Frau mit dem rot-schwarzen Haar gesehen, die außer ihr offenbar niemand bemerkt hatte. Hatte beobachtet, wie sie den Bürgersteig entlang und dann mitten auf die Straße gegangen war. Dabei war ihr zuerst schwindelig und dann übel geworden, doch sie hatte die Frau nicht aus den Augen gelassen, bis sie die Kreuzung betreten hatte, denn sie hatte gewusst, was dieser Schwindel und die Übelkeit bedeuteten. Sie bedeuteten, dass sie nahe dran war.
Dann hatte Harper die Magie der Frau gespürt, als mattbronzenes Elektrozaun-Gefühl im Mund, doch sie war nicht stark genug gewesen, um den Zauber selbst zu sehen. Sie hatte versucht, näher heranzugehen, aber die Macht der Frau hatte sie wie eine Flutwelle getroffen.
Harper war zusammengebrochen. Als sie die Augen öffnete, lag sie vor einer Bodega und spürte, dass ihr linker Ellbogen in etwas besorgniserregend Matschigem gelandet war. Sie versuchte, sich aufzusetzen.
»Sie sehen gar nicht gut aus. Bleiben Sie, wo Sie sind.« Eine ältere Russin ging neben ihr in die Hocke, durchsuchte ihre Stofftasche und reichte Harper schließlich eine Plastikflasche mit Orangensaft. »Trinken Sie das.«
»Haben Sie sie gesehen?«, fragte Harper. Sie war so nahe dran gewesen – noch immer hatte sie den Geschmack von Elektrizität im Mund.
»Wen gesehen? Hat jemand Sie gestoßen?« Grimmig blickte die Frau sich um.
»Nein, nein. Niemand hat mich gestoßen. Ich dachte bloß, ich hätte jemanden gesehen. Jemand Wichtiges.« Doch ihre Helferin konnte nichts gesehen haben, es sei denn, sie gehörte zur Ungesehenen Welt, und dann würde sie Harper niemals von dieser Frau erzählen.
»Haben Sie sich den Kopf angestoßen? Vielleicht haben Sie Halluzinationen. Brauchen Sie einen Arzt?« Die Augen zusammengekniffen, die Lippen geschürzt.
»Nein, das genügt. Vielen Dank«, sagte Harper zwischen zwei Schlucken Orangensaft. Sie spürte, wie ihr Blutzuckerwert wieder nach oben ging, und ihre Hände hörten auf zu zittern.
»Sie fallen mir aber nicht noch mal um, oder?«, fragte die Frau in einem Ton, der durchblicken ließ, es sei nicht sonderlich klug von Harper gewesen, hier auf dem Bürgersteig umzukippen.
»Nein, Ma’am. Es geht mir schon viel besser. Warten Sie, ich bezahle Ihnen den Saft.«
Die Frau schlug Harpers Hand weg. »Was hat man Ihnen denn für Manieren beigebracht? Man bezahlt einen Menschen nicht für seine Freundlichkeit. Man bedankt sich.«
»Vielen Dank. Ganz ehrlich.« Harper rappelte sich hoch, klaubte angewidert die Überreste eines cremegefüllten Donuts von ihrem Arm und ging in die Richtung, wo sie die Magierin zuletzt gesehen hatte, auf das große Bronzeportal der Trinity Church zu.
Nichts. Nicht einmal ein Anflug von Magie war zurückgeblieben. Sie hatte auch nichts anderes erwartet. Wenn ein Magier für magielose Augen nicht zu sehen sein wollte, war er auch nicht zu sehen. Und Harper hatte sich zwar mit großer Hartnäckigkeit das allerwinzigste bisschen Magiegebrauch erkämpft, doch sie war definitiv keine Magierin. Vorsichtshalber drehte sie sich ein letztes Mal um sich selbst und achtete dabei auf jede Kleinigkeit, doch schließlich lief sie die Treppe in die Wall Street Station hinab, hinein in das Rattern und Brausen der U-Bahn.
So nahe. Sie war so nahe dran gewesen. Wenn sie bloß noch ein bisschen näher herankäme, würde sie einen Weg in die Ungesehene Welt finden. Und dann würde sie ihr Versprechen halten können.
Sobald Sydney über die Schwelle des Gebäudes trat, in dem ihre Wohnung lag, fiel der magische Schleier, in den sie sich gehüllt hatte, von ihr ab und sie war wieder sichtbar für die Welt um sie herum. »Irgendwelche Nachrichten, Henry?«, fragte sie den Portier.
»Heute nicht, Miss.«
Zum Dank lächelte sie ihn an, dann fuhr sie mit dem Aufzug in den sechsten Stock. Sydney wohnte ganz bewusst in der magielosen Welt – niemand aus der Ungesehenen Welt käme auf die Idee, hier nach ihr zu suchen. Dieser Snobismus war ebenso nützlich wie vorhersehbar – als sie ein halbes Jahr zuvor eingezogen war, hatte sie eine Reihe von Schutzzaubern installiert, doch in den gesamten sechs Monaten waren sie niemals auf die Probe gestellt, geschweige denn überwunden worden.
Sie machte die Wohnungstür zu, schloss hinter sich ab, schlüpfte aus ihren Stilettos und rollte so lange die Füße ab, bis sich der Schmerz im Spann aufgelöst hatte. Zog ihr Telefon aus der Tasche und textete Laurent, sie akzeptiere.
Erledigt.
Barfuß ging Sydney an ihre Kücheninsel und schenkte sich ein Glas dunkelroten Wein ein. Sie hatte die Sache ins Rollen gebracht. Nicht das Rad des Schicksals – für das Brimborium der Ungesehenen Welt hatte sie nicht viel übrig –, sondern ihre eigenen Pläne.
Sie trank einen Schluck, genoss es, wie der Wein ihr sanft die Kehle hinunterrann, und kostete den vollen Geschmack aus. Sich eine Freude gönnen zu können, auch wenn es sich nur um ein Glas Wein handelte, war noch immer neu für sie. Ein Luxus, für den sie so hart gearbeitet hatte, dass sie noch immer darin schwelgte.
Für Laurent zu arbeiten würde nützlich sein. Sie hatte ein Kandidatenhaus gewollt, hatte auf einen Außenseiter gehofft. Auf jemanden, der noch nicht etabliert war und für den die ganzen schmutzigen kleinen Geheimnisse der Ungesehenen Welt hoffentlich noch nicht das Evangelium darstellten. Auf jemanden, der in gewissen Punkten vielleicht irgendwann ihre Sichtweise übernehmen, womöglich sogar zum Verbündeten werden würde.
Sie beabsichtigte, die besagten schmutzigen kleinen Geheimnisse allesamt aus den Schatten ans Licht zu zerren, notfalls auch ans Licht der Flammen, mit denen sie die Ungesehene Welt womöglich niederbrennen würde.
Sydney hob ihr Glas und trank auf die Zerstörung dieser Welt.
Mit einem Mal durchliefen Zuckungen ihren ganzen Körper. Der Wein schwappte über den Rand des Glases und versprühte blutrote Tropfen. Ein dumpfer Schmerz setzte sich in ihren Handgelenken und Schultern fest, und sie fühlte sich ausgehöhlt, so, als ob ein Fieber sie in der Gewalt hätte. Auf ihrer Haut bildeten sich Schweißperlen.
Dies war der Preis, den sie für die Magie von heute zahlen musste.
Sydney stellte das Glas ab und atmete in das Zittern, in den Schmerz, in ihre wie ausgehöhlten Knochen hinein. Sie konzentrierte sich ganz darauf, bis sie sich wieder gefangen hatte und die Schmerzen annehmen konnte. Sie war daran gewöhnt, Schmerzen anzunehmen. Im Lauf der Zeit hatte sie so viel Übung darin bekommen, dass es zu einer regelrechten Spezialität von ihr geworden war. Wieder hob sie das Glas und hielt es ganz still: Ihre Hand zitterte nicht mehr.
Sie trank.
Um 0.01 Uhr erinnerte nur noch ein Weinglas auf dem Abtropfständer an ihre kleine Feier, und Sydney stand im Central Park am Südufer des Reservoir. Mit dem Daumennagel riss sie Streichhölzer an. Eines, zwei, drei.
Ehe der Rauch des letzten Hölzchens sich verzogen hatte, kam ein Boot über das dunkle Wasser auf sie zu. Es war alt und morsch und sah aus, als könnte schon eine einzige Berührung es versenken. Das Boot stieß sanft ans Ufer und wartete.
Sydney ging an Bord, und der Kahn fuhr knarrend und schwankend los.
Sie verbrachte die gesamte Überfahrt im Stehen. Die Magie, die das Boot antrieb, schloss das Trocknen der Sitzbänke nicht mit ein, und ihre eigene Magie mochte sie hier, wo das Haus es bemerken könnte, nicht einsetzen. Und das Haus würde es bemerken. Das Haus bemerkte alles.
Die Dunkelheit vor ihr verdichtete sich und verwandelte sich in das Haus der Schatten. Gedrungen und gut verborgen hockte es wie eine Kröte am Wasser, auf einer Insel, die aus Knochen und Elend errichtet war, die es niemals hätte geben dürfen. Dies war ihr Zuhause gewesen von dem Tag an, als sie zur Tilgung der Schuld anderer fortgegeben worden war, bis zu dem Tag, an dem sie mächtig genug geworden war, um die Türen des Hauses aufzustoßen und hinauszugehen.
Sydney hasste es.
Das Boot landete an der Treppe und Sydney ging ins Haus.
Kälte. Die Art Kälte, die durch die Schuhsohlen drang und einem in die Knochen fuhr, bis sie schmerzten. Solange sie im Haus war, konnte sie keine Magie wirken, die das Haus nicht erlaubte, jedenfalls nicht, ohne mit ihm um dieses Privileg zu kämpfen, und sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass es ihr keine Annehmlichkeiten gewähren würde. Mittlerweile war es eine Frage des Stolzes, nicht darum zu bitten. Sie hielt den Rücken gerade, den Kopf hoch erhoben und weigerte sich, zu zittern. Keine Schwäche.
Sie würde dem Haus nichts geben, was es sich nicht nahm, und es hatte sich bereits genug genommen.
Trübe Lampen flackerten an den Wänden. Glühwürmchen unter Wasser, Lumineszenz unter Glas. Die einzigen Geräusche das gedämpfte Hallen ihrer Schritte.
Das Haus hätte sie direkt zu Shara bringen können. Hätte sich so anordnen können, dass sie in ein warmes, hell erleuchtetes Zimmer gekommen wäre. Hätte alles Mögliche tun können, um Sydney das Leben leichter zu machen.
Selbstverständlich konnte es sie auch hierbehalten, hinter seinen Türen, indem es sich wie ein Labyrinth anordnete, bis sie vor Erschöpfung tot zusammenbrach, konnte seinen Boden über einer Oubliette öffnen und sie dort einschließen, konnte zu allen möglichen anderen tödlich-unerfreulichen Überraschungen greifen. Es konnte sie an den Räumen vorbeiführen, in denen den glückloseren Bewohnern des Hauses ihre Magie entzogen wurde, denen, die aufgebraucht und dann entsorgt wurden, die niemals von hier fortkamen. Es konnte sie zwingen, ihren Schreien zu lauschen, den Lauten aus wunden Kehlen, dem Flehen. Konnte ihr den Geruch von Blut und Angst in die Nase steigen lassen. Konnte sie zwingen, stehen zu bleiben, zuzusehen und noch einmal zu durchleben, was sie selbst hatte ertragen müssen.
Ihre frühesten Erinnerungen spielten sich in diesen Räumen ab. Phantomnarben spukten über ihre Haut. Echos vergangener Schreie stiegen in ihrer Kehle auf. Sie schluckte schwer. Ein langer Fußweg durch die kalte Dunkelheit war gar nichts dagegen.
»Du kommst zu spät.« Sharas Stimme ertönte, noch bevor das Licht aufleuchtete. Das Licht war wässrig blau, kalt genug, um zu brennen, und verlieh den Schatten messerscharfe Umrisse. Das Haus war heute Nacht schlecht aufgelegt.
Sydney schwieg. Auch wenn sie die Streichhölzer exakt zur vereinbarten Zeit entzündet hatte, auch wenn es der schlechten Laune des Hauses zu verdanken war, dass sie zu spät gekommen war. Dies war weder der rechte Zeitpunkt noch der rechte Ort für Small Talk.
»Ich hoffe, du hast heute nicht noch in anderer Hinsicht versagt«, bemerkte Shara, das Gesicht so marmorkalt wie die Stimme. Fischbauchbleich nach einem ganzen Leben im Haus der Schatten, langes, wirres Haar wie das einer mittelalterlichen Zauberin und ein Kleid, das aus den Schatten, über die sie gebot, hätte gewebt sein können. Leuchtend blaue Augen allerdings, Lichter in der Finsternis. Sydney hatte noch nie ein gütiges Wort von ihr gehört. »Was hast du zu berichten?«
»Wie du befohlen hast, stehe ich für die Dauer des Umschwungs bei einem Haus unter Vertrag«, sagte Sydney. Es gab einen Plan und dies war sein Beginn.
»Welches Haus?« Shara kam näher und ihr Schatten wurde länger. Er zuckte hinter ihr im flackernden Licht, doch die Ränder waren glatt. Unversehrt.
»Laurent Beauchamps.« Sydneys Hände schmerzten und sie spürte, wie sich Reif auf ihrem Haar sammelte. Shara hingegen wirkte selbstverständlich völlig entspannt.
»Ein Kandidatenhaus. Interessante Wahl.«
Sydney schwieg. Falls Shara Streit suchte oder Sydney dieses oder jenes vorwerfen wollte, würde sie das bald genug zu erkennen geben. Doch ohne Not wollte Sydney nichts sagen, was sie hinterher womöglich bereuen würde. Es gab Geheimnisse, die gewahrt werden mussten, sogar hier.
Besonders hier.
»Nun gut. Geh weiter so vor, wie wir es besprochen haben. Das wäre für den Moment alles.«
Sydney machte auf dem Absatz kehrt.
»Bis auf den Kontrakt selbstverständlich.«
Verschlagen und zufrieden klang Sharas Stimme und zum ersten Mal in dieser Unterhaltung beinahe fröhlich.
Bis auf … Selbstverständlich.
Lange bevor sie sich vertraglich an Laurent gebunden hatte, um ihm zu helfen, sich in den Augen der Ungesehenen Welt zu legitimieren, indem er ein Haus gründete, hatte Sydney einen Kontrakt mit dem Haus der Schatten abgeschlossen. Dass sie das nicht freiwillig getan hatte, spielte keine Rolle. Das Haus führte penibel Buch über Schulden. Und Sydneys Schuld war noch lange nicht getilgt.
Auf einem Tisch neben Shara: der Füller, der Kontrakt und ein Messer mit Knochengriff. Die Klinge schattendunkel, die Schneide so scharf und dünn wie die Wahrheit.
Shara nahm das Messer in eine Hand und raffte mit der anderen Sydneys Schatten zusammen. Das Gefühl, das damit einherging, war ein Kribbeln auf der Haut, eine Gänsehaut, bloß innerlich, so, als müsste sie erschauern und sich zugleich übergeben.
Shara trennte so viel ab, wie zusammengerollt in den Kolben des Füllers passte, um es als Tinte zu verwenden. Der Schnitt war ein Schaben über einen gereizten Nerv, Salz in einer Wunde, Feuer auf ihrer Seele, nichts, was nicht schon einmal geschehen wäre, nichts, was nicht erneut geschehen würde, und dies – die nicht enden wollende Schuld – war das Schlimmste daran.
Sydney ließ ihren Kopf leer werden und unterzeichnete wieder einmal mit ihrem Namen. Wie sie es jedes Mal, wenn man sie hierher zitierte, tat, wie sie es immer wieder würde tun müssen, bis sie die Waagschalen ausgeglichen hatte und frei war. Das Haus der Schatten würde entscheiden, wann es so weit war – Sydney konnte also nicht einmal die Tage bis dahin zählen.
Am Tag, als sie den Kontrakt zum ersten Mal unterzeichnete, hatte sie geglaubt, das Ritual würde mit der Zeit leichter und der Schmerz erträglicher werden. Sie hatte sich geirrt. Wenigstens hatte sie gelernt, die Hand ruhig zu halten, dachte sie, während die Tränen, die durch ihre Wimpern gesickert waren, auf ihrer Haut gefroren.
»Man wird dich erneut rufen, wenn du gebraucht wirst, und du wirst nicht wieder zu spät kommen«, sagte Shara. »Das wäre alles für heute.«
Sydney ging ohne einen Blick zurück. Das Haus öffnete sich für sie unmittelbar zur Außenwelt, zum halb versunkenen Boot, das sie übers Wasser getragen hatte. Aufrecht stand sie da, die Fäuste so fest geballt, dass ihre Fingernägel sich in die Haut bohrten, und konzentrierte sich ganz auf diesen hellen, scharfen Schmerz, nicht auf die frische, nässende Wunde in ihrem Schatten, nicht auf irgendetwas anderes, nur auf ihre Hände sowie auf das Holz und das Wasser unter ihren Füßen, auf die Nachtluft an ihrer Haut, bis sie am anderen Ufer war, bis das Boot wieder mit der Nacht und den Schatten verschmolz.
Erst jetzt, wieder an Land, ließ sie zu, dass ihre eigenen Pläne ihre Gedanken ausfüllten. Die Pläne, die am selben Punkt begannen wie die des Hauses der Schatten, aber an einem völlig anderen Punkt endeten.
Tief im Inneren des Hauses der Schatten lag Grace Valentine in der Kälte, in der Dunkelheit, und wartete darauf, dass das Blut an ihren Händen trocknete. Sie beugte und streckte die Finger und zuckte zusammen, als einige der noch nicht verheilten Schnitte wieder aufplatzten.
Die Hände waren am schlimmsten – dort hielten sich die Schmerzen am längsten, ebenso wie die Magie. Zudem waren die Schnitte eine Erinnerung daran, wie sie überhaupt hier gelandet war, eine Erinnerung, bei der ihre Hände wieder zu bluten begannen, weil sie unwillkürlich die Fäuste geballt hatte und auch die restlichen Wunden wieder aufgeplatzt waren.
Dennoch: Das Ritzen ihrer Hände war das Einzige, wozu man sie heute gezwungen hatte. Sie hatte den Eindruck, dass sie in den letzten paar … Wochen? Monaten? Sie war sich nie ganz sicher, wie viel Zeit hier drinnen verging, selbst wenn das Haus der Schatten ihre Wahrnehmung der Ereignisse nicht veränderte, damit es noch stärker schmerzte oder noch länger. Jedenfalls hatte sie den Eindruck, dass die Phasen, in denen man ihr Magie entzog und ihr Schmerzen zufügte, um die Macht in dem, was gesammelt wurde, zu steigern, kürzer wurden und sie stattdessen häufiger Gelegenheit hatte, die einzigartige Magie des Hauses der Schatten zu erlernen.
Auch dies tat natürlich weh. Alles hier tat weh, manchmal sogar das Atmen. Doch es war eine bessere Art von Schmerz. Denn wenn sie diese neue Art von Schmerz ertragen konnte – diejenige Art, hinter der Macht wartete –, wenn sie lernen konnte, was das Haus der Schatten sie lehrte, dann konnte sie das nutzen, um von hier fortzugehen.
Sie hatte davon gehört, dass so etwas vorkam, einmal, lange bevor man sie hier weggesperrt hatte. Später war es noch jemandem gelungen – sie hatte die kleinen Wellen gespürt, die durchs Haus liefen, hatte es bluten sehen. Sie bewahrte diese Möglichkeit in ihrem Herzen, das dunkelste aller Geheimnisse.
Verborgen und vergessen lag Grace Valentine in der Dunkelheit des Hauses der Schatten. Während das Blut an ihren Händen trocknete, zählte sie Narben, bis sie einschlief. Sie träumte von Rache.
Miranda hatte beschlossen, die Vorstellungsgespräche mit den Champion-Anwärtern für das Haus Prospero persönlich zu führen. Auffällige Zauber waren ja gut und schön und sie würde natürlich Kostproben ihres Könnens von ihnen verlangen, ehe sie eine Entscheidung traf, aber Tatsache war nun einmal, dass dieser Champion das Haus repräsentieren würde. Sie wollte sicher sein, dass es ihn mochte.
Außerdem wollte sie sicherstellen, dass sie selbst denjenigen zumindest respektieren, wenn nicht sogar mögen konnte. Der Champion und seine Magie würden Prospero vertreten, würden das Gesicht ihres Hauses sein. Macht und Können – gewiss, das war wichtig, aber Gleiches galt für den Charakter, zumal die Entscheidungen, die die Champions im Verlauf einer Herausforderung trafen, verbindlich waren. Wenn die Ziele eines Champions nicht völlig mit den ihren übereinstimmten, bestand immer die Gefahr, dass er eine falsche oder eine eigennützige Entscheidung traf. Und sobald die Duelle tödlich wurden, verlangte Miranda immerhin von ihrem Champion, möglicherweise für ihr Haus zu sterben. Sie wollte sicher sein, dass er dazu bereit war.
Als letzte Vorbereitung auf die Vorstellungsgespräche des heutigen Vormittags sammelte Miranda Verteidigungsmagie um sich, wickelte sie sich um die Finger und entließ sie als eisernen Vorrat in ein leeres Tintenfass. Wenn man es umwarf, wurde der Zauber ausgelöst. Sehr wahrscheinlich würde sie keinen Gebrauch davon machen müssen, doch es war nicht völlig ausgeschlossen, dass jemand Prospero schon vor Beginn der Duelle angreifen wollte. Besser, sie war vorbereitet.
Nochmals sah sie sich in ihrem Arbeitszimmer um, musterte prüfend die Anordnung der Gegenstände auf ihrem Schreibtisch, die Blumen, die auf einem Beistelltisch standen – reinweiß mit grünen Akzenten, keine übermäßig schweren Düfte –, registrierte den Winkel, in dem das Licht durch die Fenster hinter ihr hereinfiel. Sie verschob einen Brieföffner um den Bruchteil eines Zentimeters nach rechts; dann nickte sie.
»Na schön. Schick den ersten Kandidaten herein«, trug sie dem Haus auf.
Er steht noch nicht in deinem Terminkalender.
Das Haus sprach nicht im eigentlichen Sinne mit einer Stimme. Vielmehr hatte Miranda, als sie Oberhaupt des Hauses Prospero geworden war, eine Reihe von verzauberten Spiegeln erschaffen, die auf ihre Stimme und Präsenz eingestimmt waren. Wenn das Haus ihr etwas mitteilen wollte, ohne dass sie zuerst das Wort an es gerichtet hatte, erschienen seine Worte auf einem der Spiegel, begleitet von einem leisen Klingeln. Niemand sonst im Raum konnte die Worte sehen oder das Klingeln hören. Der Zauber ermöglichte es ihr auch, mental zu antworten, sodass sie notfalls komplett unbemerkt mit ihrem Haus kommunizieren konnte.
Miranda nahm die Eigenmächtigkeit des Hauses mit erhobener Augenbraue zur Kenntnis. Dann trat auch schon Ian Merlin ein und sie legte die linke Hand auf den Schreibtisch, in die Nähe des magiegefüllten Tintenfasses.
»Madame Prospero.« Er neigte den Kopf im korrekten Winkel. Überdies war er manierlich gekleidet – schwarzer Anzug, schwarzes Hemd, gut geschnitten und unauffällig. So etwas war nicht jedem wichtig, ihr jedoch schon, daher wusste sie die Geste zu schätzen.
»Ian. Hatten wir einen Termin vereinbart?« Sie ließ milde Neugier in ihrer Frage anklingen.
Er faltete seine langen Glieder zusammen wie ein Klappmesser und setzte sich in einen antiken Sessel. »Ich hörte, Ihr Haus braucht einen Champion, und würde Sie gern davon überzeugen, dass ich der Richtige bin.«
Sie hatte seine Magie bereits gesehen. Es bestand keine Notwendigkeit, eine Probe seines Könnens von ihm zu verlangen – falls es einen besseren Magier gab, war Miranda ihm noch nicht begegnet. »Es wird Ihnen nicht neu sein, aber Sie sind der Erbe des Hauses Merlin.« Das bedeutete nicht, dass er kein anderes Haus repräsentieren oder keinen Versuch unternehmen durfte, ein eigenes Haus zu gründen, aber eine solche Entscheidung war unüblich. »Und in letzter Zeit haben Sie sich in der Ungesehenen Welt nicht oft blicken lassen. Daher bin ich ein wenig überrascht, Sie hier zu sehen.«
»Sie sind zu bescheiden«, entgegnete Ian. »Sicherlich wissen Sie längst, dass ich nicht der Erbe des Hauses Merlin bin. Als ich fortging, habe ich auf alle Ansprüche verzichtet. Mein Vater hat meine Schwester nur deshalb noch nicht als Erbin eingesetzt, weil er hofft, ich ändere meine Meinung, was ich allerdings nicht beabsichtige.«
»Verstehe.« Miranda setzte sich aufrechter hin und dachte nach. Ihn unter Vertrag zu nehmen wäre ein echter Coup, doch sie wusste noch nicht, was Ian dabei zu gewinnen hatte, indem er sich als Champion verdingte. »Warum Prospero? Warum nicht den Umschwung nutzen, um Ihr eigenes Haus zu gründen?«
»Mir gefällt nicht, wie die Ungesehene Welt funktioniert. Ich würde sie gern verändern und aus dem Inneren eines mächtigen, etablierten Hauses heraus wäre das einfacher.
Außerdem kann mein Vater Sie nicht leiden, und mir ist danach, ihn zu ärgern. Ihnen dabei zu helfen, den Umschwung zu gewinnen – ihm die Führung der Ungesehenen Welt abzunehmen –, wäre dafür wunderbar geeignet.« Er hielt inne. »Verzeihen Sie meine Unverblümtheit, aber es scheint mir besser, aufrichtig zu sein.«
Miranda trommelte mit der linken Hand auf den Schreibtisch. Das war ein Motiv, das sie nachvollziehen konnte. »Ich mag Miles auch nicht sonderlich und seine Vorgehensweise in den letzten dreizehn Jahren gefällt mir noch weniger. Aber ich weiß immer gern, was ich unterstütze. Was genau hoffen Sie zu verändern?«
»Die Abhängigkeit vom Haus der Schatten. Wenn Sie mich unter Vertrag nehmen und falls das Haus Prospero am Ende dieses Umschwungs die Ungesehene Welt anführt, müssen Sie mich darin unterstützen, diese Abhängigkeit zu beenden. Sie verstehen, warum ich dafür die Unterstützung eines anderen Hauses brauche.« Es war das Haus Merlin gewesen, genauer gesagt, Ians Urgroßvater, der das Haus der Schatten gegründet hatte. Er hatte den Zauber in Gang gesetzt, der es Angehörigen der Ungesehenen Welt ermöglichte, auf ein Reservoir zuvor gesammelter Macht zurückzugreifen und so ihre Magie ohne persönliche Nachteile bis auf eine Opfergabe pro Haus und Generation zu wirken. Seither war das Haus Merlin ununterbrochen an der Macht gewesen, auch wenn das Rad des Schicksals sich tatsächlich gedreht hatte.
Miranda erwiderte in sachlichem Ton: »Ich denke, darauf könnte ich mich einlassen. Gibt es noch etwas, was Sie wollen?«
»Nein. Nur Ihre Unterstützung und nur unter den besagten Umständen.«
»Dann akzeptiere ich Ihre Bedingungen«, sagte sie. »Haben Sie noch Fragen?«
»Ich habe Greys Namen auf der Liste der Kandidatenhäuser gesehen. Wie soll ich in einem Duell mit ihm verfahren?« Er hielt die Frage wie auch seinen Tonfall sorgfältig neutral.
Miranda zuckte nicht einmal mit der Wimper, als sie bestätigt sah, dass Grey am Umschwung teilnehmen würde. Nichts anderes hatte sie von ihm erwartet. »Sollte er Prospero herausfordern, verfahren Sie so mit ihm, wie es die Vertragsbedingungen vorsehen.«
Eine sehr höfliche Antwort, die bedeutete, sollte es zu einem tödlichen Duell zwischen ihrem Haus und Grey kommen, durfte Ian ihn töten. Ian wartete einen Moment. Als Miranda dem nichts hinzufügte, sagte er: »In Ordnung. Verlangen Sie eine magische Demonstration?«
»Ich habe Sie aufwachsen sehen, Ian, und kenne Ihre magischen Fähigkeiten zur Genüge. Den Vertrag unterzeichne ich gerne, falls das auch für Sie gilt.«
»Ich habe es schon getan.« Er lächelte, öffnete die rechte Hand und spreizte die Finger. Die oberste Schublade ihres Schreibtischs glitt auf.
Sie fand ein Blatt schweres Papier darin: die Standardvereinbarung. Nur die Zahlungsbedingungen hatte er geändert. Ganz unten seine Unterschrift; die Tinte war noch nicht trocken. »Und wenn wir uns nicht einig geworden wären?«
»Dann wäre das Blatt leer geblieben und ich wäre enttäuscht gewesen.«
Er hatte diesen Zauber gewirkt, während er ihr hier gegenübergesessen hatte. Sehr elegant – sie hatte es nicht einmal gespürt. Lächelnd zeichnete Miranda die Vereinbarung gegen, im sicheren Wissen, dass ihr Haus diesen Umschwung nicht nur überleben, sondern triumphieren würde. »Wunderbar«, sagte sie. »Das Haus Prospero weiß Ihre Dienste zu schätzen.«
»Ich denke, das wird es tatsächlich.« Wieder dieses knappe Neigen des Kopfes, ehe er ging.
Miranda sah ihm hinterher und hörte, wie das Haus die Türen hinter ihm schloss. »Danke«, sagte sie zum Haus. »Das dürfte interessant werden.«
Falls das Haus dazu eine Meinung hatte, behielt es sie für sich. Der Spiegel blieb leer.
Harper schickte ihren neuesten Lebenslauf ab, rollte den Kopf von einer Seite zur anderen, bis es im Nacken knackte, und lehnte sich auf ihrem Schreibtischstuhl zurück. Sie schloss die Augen und hielt mit den Zehenspitzen gerade so eben die Balance, ohne ganz nach hinten zu kippen. Schließlich ließ sie sich seufzend wieder nach vorn fallen. In den letzten Monaten hatte sie bei verschiedenen alteingesessenen Anwaltskanzleien nach etwas gesucht, was üblicherweise »Abteilung Spezialprojekte« genannt wurde. Ihre Recherche hatte einige Zeit in Anspruch genommen, weil das im Allgemeinen nicht im Briefkopf aufgeführt wurde. Wenn eine Kanzlei eine solche Abteilung besaß, bedeutete das fast immer, dass sie die juristischen Belange mindestens eines der großen Häuser in der Ungesehenen Welt betreute. Auch Magier brauchten offenbar Juristen.
Für eine solche Kanzlei zu arbeiten, zu der beinahe sicher mindestens ein Magier in beratender Funktion gehören würde, wäre eine Möglichkeit, Zugang zur Ungesehenen Welt zu erlangen, und zwar die mit den größten Erfolgsaussichten. Zwei der Kanzleien, denen sie in letzter Zeit ihren Lebenslauf geschickt hatte, waren schon während des Jurastudiums an sie herangetreten, ehe sie auch nur von der Welt der Magier gewusst hatte. Beide hatten ihr geantwortet, sie freuten sich, nun von ihr zu hören. Bei einer dritten Kanzlei hatte sie noch diese Woche ein Vorstellungsgespräch.
Sie würde tun, was nötig war, um einen Weg hineinzufinden, denn sie musste ein Versprechen einlösen.
An der Wand über ihrem Schreibtisch hing ein gerahmtes Foto von Harper und der Frau, die ihre beste Freundin gewesen war: Rose Morgan. Sie hielten einander im Arm und lächelten – sie strahlten regelrecht. Rose war diejenige gewesen, die Harper gelehrt hatte, eine Kerze magisch zu entzünden, die Frau, die die Tür zur Ungesehenen Welt einen Spaltbreit für sie aufgestoßen und ihr einen Blick hinein gewährt hatte.
Vor zwei Jahren hatte jemand sie ermordet und Harper hatte ihre Leiche gefunden.
Sie wäre beinahe noch rechtzeitig gekommen. Immerhin rechtzeitig genug, um einen Mann zu sehen – sein Gesicht von Schatten verdunkelt –, der sich neben Rose’ Leiche erhob, die Hände voller Blut. Rechtzeitig genug, um zu sehen, wie er mit ebendiesen blutigen Händen eine Tür aus der Dunkelheit erschuf, hindurchtrat und verschwand. Selbstredend glaubte ihr niemand. Sie waren liebenswürdig gewesen, hatten es auf den Schock geschoben, den sie erlitten hatte, als sie ihre beste Freundin ermordet aufgefunden hatte, doch sie hatten sie nicht ernst genommen. Unterm Strich verstand sie die Polizei sogar. Wenn sie die Geschichte von jemand anderem gehört hätte, hätte sie demjenigen auch nicht geglaubt.
Die Polizei fand keinerlei Spuren. Harper glaubte auch nicht, dass sie je welche finden würde – Rose hatte gesagt, das, was die Ungesehene Welt am besten könne, sei, ihre Geheimnisse zu wahren. Und so hatte Harper beschlossen, einen Weg in diese Welt hineinzufinden.
Sie würde einen Weg hineinfinden und sie würde in Erfahrung bringen, wer Rose getötet hatte, und dann konnte sie ihrer besten Freundin endlich Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Harper berührte Rose’ Foto, dann wandte sie sich wieder ihrem Computer zu. Sie gab ein Passwort ein, öffnete die geschützte Datei, in der sie Informationen über Magie und Magier sammelte, und markierte die Stelle, an der sie jene Frau gestern hatte zaubern sehen, auf dem Stadtplan. Rose hatte gesagt, Magier neigten dazu, sich alle in denselben Stadtgebieten anzusiedeln, sodass sich Enklaven bildeten – das magische Gegenstück zur Billionaires’ Row, einer Reihe von Wolkenkratzern mit superluxuriösen Eigentumswohnungen. Harper standen nicht genügend Daten zur Verfügung, um Vermutungen anzustellen – noch nicht. Die meisten Einträge hatte sie in der Nähe des Central Park vorgenommen, doch dorthin ging nun wirklich jeder, daher maß sie dieser Häufung keine allzu große Bedeutung bei. Aber sie konnte beinahe, wie aus dem Augenwinkel, erkennen, wie sich Muster herausbildeten.
Dann sah sie nach ihren automatischen Suchaufträgen. Die meisten Ergebnisse, die dabei herauskamen, waren unbrauchbar, doch heute war da ein Link zu einem neuen Zaubertrick von Penn & Teller. Nicht direkt die Art von Magie, nach der sie suchte, doch sie setzte sich für später ein Lesezeichen. Es machte immer Spaß, ihnen zuzusehen.
Dann ein YouTube-Video. Siebenundzwanzig Sekunden lang und unter dem Titel »Sxxxy Hogwarts« hochgeladen. Wahrscheinlich nichts und sie würde es ziemlich sicher bereuen, wenn sie den Link anklickte, doch das Video dauerte nur siebenundzwanzig Sekunden und sie musste es sich auch nicht bis zum Ende ansehen, falls es wirklich grauenvoll war.
Sie startete es. Gleich darauf setzte sie sich auf und wechselte zur Vollbildanzeige. Da war die Kirchturmspitze der Trinity Church, unscharf, am rechten Bildrand.
Es war die Kreuzung, an der sie gestern gewesen war.
Die Aufzeichnung ruckelte, war kurz gestört, und dann: sie. Die Magierin. Sie stand auf der Kreuzung und Autos flogen um sie herum.
Autos. Flogen.
Sogar der Anblick von aufgezeichneter Magie genügte, um Harper Kopfschmerzen zu verursachen, aber sie sah es sich an, wieder und wieder. Adrenalin zuckte wie Blitze durch ihre Adern. Dies war es, wonach sie gesucht hatte.
Fliegende Autos. In der Luft, als wäre das gar nichts. Der Hammer! Beinahe atemlos verfolgte sie die Szene.
Dann hängte das Video sich auf. Die Fehlermeldung besagte, es gebe ein Problem beim Puffern. Harpers Internetverbindung brach zusammen. Sie wusste es. Sie wusste, was das bedeutete, wusste, dass die Ungesehene Welt wieder einmal ihre Geheimnisse wahrte. Harper verfluchte sich dafür, dass sie keinen Screenshot gemacht hatte; dann hätte sie jetzt wenigstens ein Bild vom Gesicht der Frau.
Als ihre Internetverbindung wieder stand, war das Video verschwunden.