Einführung
Katze, Kerze, Feuerwehr
Was dieses Buch bewirken soll
Wir hier oben, ihr da unten
Warum Sie Reden halten sollten
Steuerung-C und Steuerung-V
Warum Sie ein Manuskript verwenden sollten
Vor der Rede
Geboren in Castrop-Rauxel
Über Tagungsprogramme und Vortragstitel
Stummfilm und Pantomime
Der Veranstalter und Sie
Obst und Gemüse
Die Tücken des Tagungsorts
Das Orakel von Bergneustadt
Der Tagungsleiter und die Anmoderation
Willkommen im Club Die Sekunden „davor“
Die Rede
Horror vacui
Über den Inhalt und die Form
Datum, Stempel, Unterschrift
Der Redeanfang und seine Funktion
Endlich zu Ende und alle sind froh
Über den Schluss und den Applaus
Nächster Halt: Hauptbahnhof
Der gegliederte Hauptteil
Sozusagen absolut
Die vermeidbaren Fallen
Aufbewahren Sie kaltes Blut
Ironie, Satire und Sarkasmus
Die Schule des Lebens
Wie Sie Ihre Rede witzig machen
Trennt seinen Abfall nicht
Die Tücken von Powerpoint
Sagen Sie mal „Butterbrot“
Von Sprechlesen und Kopfsenkwinkeln
Nach der Rede
Von Sokrates und Sherlock Holmes
Die Diskussion nach Ihrer Rede
Mitten im Weg
Die Kontakte nach dem Vortrag
Ganz rechts außen
Die erfolgreiche Podiumsdiskussion
Schlummerndes Kapital
Die Presse und das Internet
Sorge dich nicht, rede
Ein Fazit
Checklisten
Es regnete in Strömen. Das ist für Cannes in dieser Jahreszeit ungewöhnlich, und so hatte niemand einen Schirm dabei. Ich lief quer über die Croisette, auf der die Autos ungebremst durch Pfützen brausten. Leicht durchnässt erreichte ich das „Palais des Festivals“. Mein Ziel war das „Auditorium A“, in dem in ein paar Minuten die Eröffnungsrede zur größten Fernsehmesse Europas stattfinden sollte. Die Rolltreppe zur Konferenzebene war schon gut gefüllt und vor dem Vortragssaal hatten sich lange Schlangen gebildet. Ich glaubte zunächst, dass der Raum noch nicht geöffnet sei und stahl mich an den Wartenden vorbei. Doch an der Tür war Schluss. „Der Saal ist überfüllt“, wiederholten zwei junge Hostessen immer wieder, „gehen Sie in einen der anderen Säle. Dort wird die Rede per Video übertragen.“ Ich wurde unruhig. Wegen dieser Veranstaltung war ich extra an die Côte d’Azur gereist; sollte man mir jetzt den Zutritt verweigern? Ich ärgerte mich darüber, dass ich nach dem Essen noch auf das Soufflé gewartet hatte. Das Soufflé dauert dreißig Minuten und genau die fehlten mir jetzt. Aber dann besann ich mich auf die entscheidenden französischen Vokabeln, die ich brauchte, um doch noch Einlass zu erhalten. „Ecoutez“, sagte ich freundlich, „hören Sie“, und: „Ich verstehe ja, dass der Saal voll ist. Aber Sie sollten mich reinlassen. Ich bin der Redner.“
So eine Geschichte vergisst man im Leben nie. Ich werde sie wohl eines Tages noch meinen Enkeln erzählen. „Damals“, werde ich sagen, „damals hat der Opa eine Rede vor zwölfhundert Leuten gehalten. Die wurde in vier Säle übertragen. Und auf der Straße haben mir die Menschen am Abend zugerufen: „Das war eine tolle Rede!“ Ja, das werde ich erzählen und dabei in meiner Strickjacke verstohlen nach einem Taschentuch suchen. Nun habe ich auf absehbare Zeit noch gar keine Enkel, die ich mit dieser Geschichte belästigen könnte. Deswegen habe ich mir Sie als Opfer ausgesucht.
Früher war ich eher schüchtern. In der Schule kam es vor, dass ich bei einer Frage puterrot wurde, verlegen zur Decke schaute und keinen ganzen Satz zustande bekam. Das waren beste Voraussetzungen, um für das Amt des Schülersprechers zu kandidieren. Nachdem ich die Wahl gewonnen hatte, besuchte ich in einer Bildungsstätte das Seminar „Rhetorik für Schülervertreter“. Die Dozenten machten geduldig Übungen mit mir. Sie gaben mir Stichworte wie „Katze, Kerze, Feuerwehr“, die ich notieren und zur Grundlage spontaner Vorträge machen sollte. Nach einer Woche intensiven Trainings hatte ich zweihundert Karteikarten und fünf Filzstifte verbraucht. Meine Lehrer hatten ganze Arbeit geleistet. Statt puterrot wurde ich nun kreidebleich. Statt der Decke hatte ich nun die Vorhänge im Visier. Und statt halber Sätze artikulierte ich nun solche ohne Ende. Die Dozenten meinten, ich müsse wohl noch mal wiederkommen. Später habe ich noch viele Rhetorik-Seminare besucht, Karteikarten beschrieben und Filzstifte verbraucht. Doch reden gelernt habe ich damit nicht.
Anders wurde es, als ich während meines Studiums das Angebot erhielt, Assistent im Deutschen Bundestag zu werden. Mein Arbeitgeber war der Abgeordnete Professor Hans Hugo Klein. Er hatte die Angewohnheit, jedes Wort einer Rede sorgfältig zu formulieren und mit bewundernswerter Ruhe in kleinen Buchstaben handschriftlich zu Papier zu bringen. Das zahlte sich aus; Kleins Vorträge wurden sehr geschätzt und er bekam eine Redeanfrage nach der anderen. Ich wurde zuerst mit Recherchen und Zulieferungen, nach kurzer Zeit aber schon mit dem Verfassen ganzer Vorträge beauftragt. Manchmal sprang ich sogar für meinen Chef ein und so bekam ich nach und nach Übung darin, Reden zu halten. So sprach ich dann zur Befruchtung außerhalb des Mutterleibs und zum Abbau von Manganknollen vom Tiefseeboden. Eigentlich war es mir egal, worüber ich sprach – die Faszination, im Mittelpunkt zu stehen, hatte mich voll erfasst. Daher wurde mir auch meine Tätigkeit als Ghostwriter langsam lästig. Eines Tages sollte ich für Helmut Kohl eine Rede zur Pressepolitik schreiben. Ich entledigte mich dieser Aufgabe, indem ich sie, ohne Kohls Wissen, an den Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger delegierte. Letzterer war für diese Ehre so dankbar, dass er mir später einen Job anbot. Ersterer hat es nie rausgekriegt.
Zu jener Zeit endete meine Errötungs- und Erbleichungsphase. Denn bei Klein hatte ich gelernt, nicht so sehr auf rhetorische Finessen wie Gestik, Mimik und scheinbare Spontaneität beim Vortrag zu achten, sondern den Schwerpunkt auf die exakte Vorbereitung des Auftritts zu legen, inhaltlich, textlich und organisatorisch. Auch Klein war nicht von Geburt an ein charismatischer Redner, sondern „nur“ ein fleißiger Formulierer, der genau wusste, wovon er sprach, die Macht der Worte konsequent nutzte und nichts dem Zufall überließ. Selten war er im ersten Anlauf zufrieden; oft waren seine Notizen mit Zahlen übersät, mit denen er die Reihenfolge seiner Gedanken optimierte und seine Sekretärin angesichts der fliegenklecksgroßen Regieanweisungen zur Verzweiflung trieb. Er war noch nicht einmal besonders eloquent oder witzig; er schrieb seine Reden einfach nur so, dass jeder alles verstand und den Saal mit der Erkenntnis verließ, eine nützliche halbe Stunde verbracht zu haben.
Meine so „abgeschauten“ rhetorischen Fähigkeiten führten dazu, dass ich immer öfter eingeladen wurde, Vorträge zu halten. Die meisten davon waren erfolgreich und zogen weitere Engagements nach sich, denn Veranstalter von Tagungen und Kongressen gehen gerne den sicheren Weg und scheuen das Risiko. Oft wurde ich sogar gebeten, „die gleiche Rede“ noch einmal zu halten, natürlich vor anderem Publikum. Zwar war auch viel Zufall dabei. In Cannes zum Beispiel, ich hatte dies bereits erwähnt, regnete es an jenem Tag; bei Sonnenschein wären die meisten Kongressteilnehmer wohl in den Strandcafés geblieben. Aber letztlich war mein Aufstieg als Redner vorprogrammiert, weil ich konsequent Methoden verwendete, die das Gelingen meiner Vorträge geradezu garantierten.
Wann immer das Gespräch in meinem Bekanntenkreis auf das Thema „Reden“ kommt, höre ich Sätze wie „Da bist du zu beneiden“, oder „Ich wünschte, ich könnte so gut reden wie du.“ Meine Antwort darauf ist immer die Gleiche: Wenn ich das kann, dann könnt ihr das auch. Ihr müsst nur ein paar Grundregeln beachten, bei der Vorbereitung, beim Vortrag selbst und auch bei der Nachbereitung. Wenn ihr so konsequent vorgeht, dann werdet ihr sogar Spaß am Reden bekommen. Doch richtig überzeugt sind meine Bekannten noch nicht. Sie meinen, man könne kein erfolgreicher Redner werden, sondern müsse es von Geburt an sein. Sicher hätte ich, so scherzen sie manchmal, schon im Kreißsaal Ansprachen gehalten. Also beschloss ich, alle Zweifel zu zerstreuen und dieses Buch zu schreiben.
Es hat zum Ziel, Sie in kurzer Zeit in die Lage zu versetzen, Reden nicht mehr zu fürchten, sondern sich auf sie zu freuen, mit ihnen Ruhm und Ehre zu erwerben und so Ihre Selbstsicherheit, Ihren Bekanntheitsgrad und Ihre Karriere zu fördern. Um dies zu erreichen, werden wir auch über viele Aspekte sprechen, die gar nichts mit „Reden“ im Sinne des Artikulierens von Worten zu tun haben, sondern eher mit „Regie führen“ in eigener Sache. Denn Ihr Erfolg als Redner hängt maßgeblich davon ab, wie Sie Ihren „Auftritt“ vorbereiten, wie Sie vorteilhafte Rahmenbedingungen schaffen und wie Sie mit dem Veranstalter und Ihrem Publikum umgehen. Daher geht dieses Buch auch weit über die klassischen Themengebiete der Rhetorik hinaus. Es beginnt lange vor und endet lange nach Ihrem Vortrag. Denn das „davor“ und das „danach“, Ihre Strategie und Ihre Dramaturgie, sind für das Gelingen Ihrer Rede entscheidend.
Zwar werden wir auch über die zehn, zwanzig oder dreißig Minuten sprechen, die Sie im Vortragssaal verbringen. Aber meine diesbezüglichen Ratschläge werden nicht sehr niveauvoll sein. Sie werden lernen, auf die Stufen am Podium zu achten, weil Sie das Rednerpult sonst nicht auf-, sondern waagerecht erreichen. Sie werden den Tipp bekommen, das drahtlose Ansteckmikrofon, das man Ihnen lange vor dem Vortrag an die Krawatte geklemmt hat, beim Aufsuchen der Toilette noch einmal abzuschalten. Und Sie werden erfahren, dass Sie den Satz „Ich freue mich, heute bei Ihnen in Oberursel zu sein“ nur dann aussprechen sollten, wenn Sie auch wirklich in Oberursel sind. Sie merken schon: Ich beabsichtige nicht, Sie in filigrane Details lehrbuchmäßiger Rhetorik einzuführen. Sie werden nichts über neue Atemtechniken lesen, nichts über beeindruckende Gesten und nichts über besonders erfreuliche Gesichtsausdrücke. Weil Sie nämlich, so vermute ich jedenfalls, nicht Schauspieler oder Zirkusclown werden, sondern nur eine Rede halten wollen. Allzu oft mündet der Versuch, Rhetorik-Theorie umzusetzen, in grotesken Darbietungen. Mancher der reinen Lehre folgende Redner sieht aus, als leide er unter spastischen Lähmungen, Gesichtskrämpfen und Atemnot. Nein, ich möchte, dass Sie auch bei Ihren Reden so bleiben, wie Sie sind. Kein bisschen anders, kein bisschen verstellt.
Aber ich will, dass Sie Ihren Auftritt gut vorbereiten, die Wirkungen Ihres Vortrags im Voraus planen und Ihre Worte sorgsam wählen. Dazu werden Sie in diesem Buch viele Hinweise und Anregungen finden. Sie stammen alle aus der Praxis und sind erfolgreich erprobt. Auch die Redebeispiele sind nicht erfunden, sondern Teile realer (meist eigener) Vorträge (wodurch sich der inhaltliche Bezug zu den Medien erklärt). Auch insofern unterscheidet sich dieses Buch von vielen anderen: Wir sprechen nicht über Rede-Konstrukte, sondern über realistische Situationen. Daher analysieren wir hier auch keine literarischen Vorlagen. Denn es ist höchst unwahrscheinlich, dass Sie bei einem Ihrer Vorträge einmal sagen werden „Und Brutus ist ein ehrenwerter Mann.“ Sie sind nicht Antonius, Ihre Zuhörer nicht römische Mitbürger und Caesar kannten Sie wahrscheinlich auch nicht persönlich.
Nun aber los. Wir beginnen mit der Übung Katze, Kerze, Feuerwehr. Nein, natürlich nicht. Nie käme ich auf die Idee, Sie so sinnlos zu quälen.