KARL MAY’s
GESAMMELTE WERKE
BAND 62
IM TAL DES TODES
Zweiter Band der Bearbeitung von
Deutsche Herzen, deutsche Helden
ROMAN
VON
KARL MAY
Herausgegeben von Dr. Euchar Albrecht Schmid
© 1951 Karl-May-Verlag
ISBN 978-3-7802-1562-8
KARL-MAY-VERLAG
BAMBERG • RADEBEUL
1. Eine seltsame Prärie-Post
2. Die Taube des Urwalds
3. Old Firehand greift ein
4. Noch ein Bundesgenosse: Winnetou
5. Bei den Marikopas
6. Der Kampf um die alte Mission
7. Señorita Miranda
8. Fallen und Stricke
9. Auf dem ‚Seelenverkäufer‘
10. David Lindsay, der Waldläufer
11. Eine Jagd auf dem Colorado
12. Im Schutz der schwimmenden Insel
13. Vorboten des Grauens
14. Bestien in Menschengestalt
15. Das ist die Hölle!
16. Zwei Brüder
17. Bill Newton, der Fuchs
18. Allüberall Allah!
19. Sam Hawkens findet etwas
20. Ich – ich – ich!
21. Hinter Wolken die Sonne
Der vorliegende Roman spielt in der ersten Hälfte der 70er-Jahre des 19. Jahrhunderts und ist der zweite Teil des von Karl May in den Jahren 1885/1886 geschriebenen vierten Münchmeyer-Romans „Deutsche Herzen, deutsche Helden“ (Bde. 61-63 der Ges. Werke). Über die Entstehungsgeschichte, den Werdegang und die Geschicke der fünf Münchmeyer-Romane findet man Näheres in Bd. 34 der Ges. Werke „ICH“ und in den Sonderbänden „Karl-May-Bibliografie 1913-1945“ und „Der geschliffene Diamant“.
Einsam und bedächtig ritt ein Mann einem kleinen Bach entgegen, der von einer fernen Höhe kam. Diese Höhe schien das Ziel des Reiters zu sein, denn er hob bisweilen den Kopf und suchte sie mit den Blicken.
Der Mann war nicht mehr jung und hatte jedenfalls die fünfzig hinter sich. Sein Gesicht war wetterbraun und die Augen blickten hell in die Ferne.
Doch nicht bloß in die Ferne – sie suchten auch rechts und links die Büsche zu durchdringen. Zuweilen neigte er den Kopf zur Seite, um auf irgendein Geräusch zu lauschen. In solchen Augenblicken hielt er das Gewehr schussfertig in der Hand.
So ritt er langsam weiter. Sein mageres Pferd war ermattet und auch er selber schien ermüdet. Eben kam er an einem kleinen Gebüsch vorüber und es war ihm, als hätte er darin ein leises Rascheln vernommen. Er hielt das Pferd an und lauschte – vergeblich. Eine Täuschung nur. Gleich darauf aber fuhr er erschrocken zusammen, denn das Gebüsch bewegte sich und ein Mann trat heraus, bei dessen Anblick der Gaul sich hoch aufbäumte, sodass der Reiter Mühe hatte, das Tier zu zügeln. Der Anblick des Fremden war aber auch seltsam genug.
Unter der wehmütig herabhängenden Krempe eines vorsintflutlichen Filzhutes blickte zwischen einem Wald von verworrenen Barthaaren eine Nase von erschreckenden Ausmaßen hervor. Von den übrigen Gesichtsteilen waren nur die zwei beweglichen, klugen Äuglein zu bemerken, die mit einem Ausdruck von List auf dem Reiter ruhten. Der übrige Körper steckte in einem alten, bockledernen Jagdrock, der augenscheinlich für eine weit größere Person angefertigt worden war und dem kleinen Mann das Aussehen eines Kindes gab, das sich zum Vergnügen einmal in den Schlafrock des Großvaters gesteckt hat. Aus dieser mehr als zulänglichen Umhüllung guckten zwei dürre, sichelkrumme Beine hervor, die in einem Paar riesiger Indianerstiefel beinahe verschwanden. In der Hand trug er eine Flinte, die einem Knüppel viel ähnlicher sah als einem Gewehr.
„Good day!“, grüßte das Männchen lachend.
„Good day!“
„Nun, seid Ihr fertig mit Eurer Verwunderung? Ihr sperrt ja den Schnabel auf wie ein Storch, der den Frosch mit Hörnern, Haut und Haaren verschlingen will!“
„Danke für die Belehrung. Wusste nicht, dass ein Frosch Hörner und Haare hat. Außerdem seht Ihr nicht so appetitlich aus, dass ich anbeißen möchte.“
Der Kleine musterte den Reiter mit scharfen Blicken und schüttelte den Kopf.
„Wo habt Ihr denn Euren Wagen?“
Der andere machte eine Bewegung des Schreckens und betrachtete den Frager mit einem Blick, worin sich das deutlichste Misstrauen aussprach.
„Wie kommt Ihr auf den Gedanken, mich nach einem Wagen zu fragen?“
„Weil Ihr einen habt, wenn ich mich nicht irre.“
„Verdammt! Habt Ihr etwa mit den Halunken gesprochen?“
„Nein.“
„Hört, Mann, Ihr kommt mir verdächtig vor! Ihr habt mich nach meinem Wagen gefragt und das fällt mir auf. Ihr leugnet, die Halunken gesehen zu haben, und ich verlange aufrichtige Antwort, sonst werde ich Euch zwingen. Ihr dürft nicht denken, dass ein Westmann nur zu seinem Spaß fragt!“
Der Kleine lachte lustig auf.
„Ihr ein Westmann? Pshaw! Das macht Ihr mir nicht vor! Wisst Ihr, wie Ihr mir in diesem Augenblick vorkommt?“
„Nun?“
„Wie ein ehrsamer, deutscher Förster, der einen Holzdieb ertappt hat und ihn nun nach Pflicht und Gewissen ins Gebet nimmt.“
„Eure Augen sind wirklich nicht übel, Männchen!“
„Könnt Euer Männchen beiseite lassen, wenn ich mich nicht irre. In diesem Punkt verstehe ich keinen Spaß, Sir!“
„Wollte Euch nicht beleidigen. Verzeiht! Aber Euer Vergleich mit einem deutschen Förster – sagt, was wisst Ihr von Deutschland?“
„Wohl mehr als Ihr. Oder solltet Ihr – hm, Euer Englisch schmeckt stark nach Holzasche. Es wäre wahrhaftig möglich, dass Ihr da drüben am Rhein oder an der Elbe Euern ersten Zulp zerbissen hättet.“
„Das habe ich auch.“
„Also doch! So seid Ihr ein Deutscher?“
„Yes.“
„Haltet den Schnabel mit Euerm dummen ‚yes‘! Wenn ein Deutscher Deutsch reden will, so schreit er doch nicht ‚yes‘ oder ‚oui‘! Auch ich bin von drüben“, fuhr er in deutscher Sprache fort. „Sind also sozusagen Landsleute! Hier meine Patsche – willkommen!“
Der Reiter aber zögerte und schlug nicht sofort in die dargereichte Hand. Er musterte den Mann noch einmal von dem vorsintflutlichen Filzhut bis zu den gewaltigen Indianerstiefeln.
„So schnell geht das nicht“, meinte er nun ebenfalls auf Deutsch. „Erst muss ich gewiss sein, dass Sie nicht zu den Schuften gehören, die mich bestohlen haben.“
„Habe Schufte genug kennengelernt in meinem Leben; aber ich lasse mich fressen, wenn ich Ihnen nicht sagen kann, welcher von ihnen allen grad Sie bemaust hat. Wann ist es denn geschehen?“
„Vor vier Tagen.“
„Und wo?“
„In einer Gegend, die ganz aus Felsen besteht, glatt wie eine Tischplatte.“
„Hm! Eine solche Gegend kenne ich; aber sie liegt nicht vier, sondern nur eine knappe Tagereise weit von hier.“
„Dann ist sie es. Wir kamen nur langsam vorwärts und mussten oft rasten. Wir sind vier Personen, haben aber nur ein Pferd, nämlich dieses hier.“
„Da kommt auf die Person nur ein Pferdebein, wenn ich mich nicht irre. Aber da sitzen Sie auf dem armen Gaul und fallen selber fast vor Müdigkeit aus dem Sattel. Steigen Sie doch ab und gönnen Sie dem Tier die Ruhe und ein paar grüne Halme! Zwei Landsleute, die sich im Felsengebirge treffen, können schon eine Viertelstunde miteinander plaudern.“
„Ich weiß nicht, ob ich Ihnen trauen kann.“
„Hört, Freund, einem anderen hätte ich dafür meine Faust zwischen die Zähne gesetzt. Kommt da so was auf einem lahmen Klepper und weiß nicht, ob er Sam Hawkens trauen darf! Gewiss, man darf hier niemand trauen, nicht einmal einem Landsmann. Aber bei mir können Sie ruhig eine Ausnahme machen. Ich fresse Sie nicht, hihihihi!“
„Sam Hawkens? Sie sind Sam Hawkens? Von dem habe ich schon viel gehört! Hier ist meine Hand!“
„Na also! Steigen Sie in Gottes Namen ab!“
„Aber ich versäume dabei meine Zeit! Ich will jagen, und wenn ich nichts schieße, so haben meine Leute heute Abend nichts zu essen.“
„Wenn es nur das ist, so machen Sie sich keine Sorge! Ich habe genug Proviant für Sie und Ihre drei.“
Der Reiter stieg jetzt vom Pferd, ließ es weiden und setzte sich neben Sam ins Gras.
„Wer sind denn die drei anderen Personen, die sich bei Ihnen befinden?“
„Meine Frau, mein Sohn und meine Schwägerin. Ich will aufrichtig sein und Ihnen alles sagen. Sie haben mich für einen Förster gehalten und ich bin auch wirklich einer. Mein Name ist Rothe. Die Besitzung, auf der ich diente, kam in fremde Hände. Es gab Reibereien mit dem neuen Herrn. Ich hatte Recht und bestand darauf. Er vergaß sich im Zorn und griff nach der Reitpeitsche. Das ging mir doch zu weit, ich wehrte mich und schlug ihn nieder. Natürlich wurde ich abgedankt. Bei der Überfüllung in meinem Beruf wollte es mir nicht glücken, eine neue Anstellung zu finden. Ich wartete, ich gab mir Mühe – vergebens. Da lief mir die Galle über. Mein Sohn wollte schon längst nach Amerika. Ich entschloss mich kurz. Wir packten ein und fort ging’s. Aber ich hatte mir alles viel leichter gedacht. Wir wollten quer durch das Land nach Kalifornien. Wir kauften einige Wagen, Pferde und Zugochsen, luden auf, was wir hatten, und gelangten nach Santa Fe. Dort trafen wir auf eine Gesellschaft, die auch nach Kalifornien wollte. Wir schlossen uns an. Vor vier Tagen erreichten wir die Felsenplatte, von der ich vorhin sprach. Da stellte es sich heraus, dass ich ein ganzes Paket Decken vom Wagen verloren hatte. Ich ritt zurück und fand sie nach mehreren Stunden; doch war es indes Abend geworden. Als ich an den Lagerplatz zurückkam, war die Karawane nicht mehr dort, aber meine Frau, der Sohn und die Schwägerin lagen gefesselt am Boden. Man hatte sie kurz nach meinem Fortgehen überfallen und gebunden. Gleich darauf waren die Strolche aufgebrochen. Meine Wagen hatten sie mitgenommen.“
„Natürlich sind Sie den Spitzbuben nach?“
„Ja. Aber ich habe sie nicht entdeckt.“
„Sie müssen doch ihre Spuren gefunden haben!“
„Auf dem felsigen Boden?“
Da lachte Sam Hawkens nach seiner Art in sich hinein. „Das ist nun ein Forstmann und Jäger! Ja, wenn ein Wagengleis nicht so breit und so tief wie die Elbe ist, so findet man’s nicht. Selbstverständlich! Haben Sie alles verloren?“
„Alles bis auf das, was wir auf dem Leib tragen.“
„O weh! Also das Geld auch?“
„Auch. Es befand sich im Wagen, von den beiden Frauen bewacht.“
„Wie viel?“
„Wir haben es in New York umgewechselt. Ich erhielt fünfzehnhundert Dollar, meine Schwägerin aber achttausend.“
„Alle Wetter!“
„Ja, sie ist wohlhabend, oder vielmehr: leider Gottes war sie es nur einmal.“
„Ich hoffe sehr, dass sie es wieder sein wird. Natürlich nehmen wir den Halunken das Geld wieder ab!“
„Sie sagen das, als ob sich das so ganz von selber verstände! Wir wissen ja gar nicht, wohin die Diebe sind!“
„Wir werden es erfahren. Wir reiten nach der Stelle zurück, wo die Tat geschehen ist. Dort werde ich die Spuren finden, denen wir ganz einfach folgen.“
„Nach vier Tagen?“, fragte der Förster ganz erstaunt.
„Warum nicht? Wenn es dort Grasboden gäbe, so hätte sich das niedergedrückte Gras allerdings inzwischen aufgerichtet und es wäre nichts zu sehen. Da es sich aber um Steinboden handelt, so dürfen wir hoffen, dass wir noch Spuren finden. Ein schwerer Ochsenkarren lässt selbst im festesten Gestein sichtbare Fährten zurück. Seit vier Tagen hat es weder bedeutenden Wind noch Regen gegeben, die Spuren sind also nicht verweht oder verwaschen worden. Wir werden den Weg sicherlich nicht vergebens machen.“
„Selbst wenn wir die Strauchdiebe erreichen, werde ich nichts wiederbekommen!“
„Wie viele sind es denn?“
„Zwölf.“
„Und da meinen Sie, dass wir uns vor ihnen fürchten müssen? Dieses lumpige Dutzend nehme ich auf mich allein, wenn ich mich nicht irre. Aber zu langen Auseinandersetzungen haben wir jetzt keine Zeit. Wir wollen aufbrechen. Sind die Ihrigen weit hinter Ihnen?“
„Nein. Ich schätze, dass wir sie in einer Stunde erreichen.“
„So spät?“
„Ja, weil Sie doch laufen müssen.“
„Ich? Hm! Passen Sie auf!“
Sam Hawkens steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus. Ein Wiehern antwortete und sogleich kam ein Tier aus dem Gebüsch hervorgeschossen, bei dessen Anblick der ehemalige Förster in ein lautes Gelächter ausbrach.
Es war kein Pferd, sondern ein Maultier, aber augenscheinlich so alt, dass seine Eltern kurz nach der Sintflut gelebt haben mussten. Die langen Ohren, mit denen es wie mit Windmühlenflügeln spielte, waren kahl; eine Mähne hatte es wohl schon längst nicht mehr, der Schwanz bestand aus einem nackten Stummel und dazu war das Tier zum Erschrecken dürr. Aber seine Augen waren hell wie bei einem jungen Füllen und von einem Ausdruck, der einem Kenner Achtung eingeflößt hätte.
Der Heiterkeitsausbruch seines neuen Bekannten berührte Sam Hawkens unangenehm.
„Warum lachen Sie, Herr Rothe?“
„Da können Sie noch fragen? Ist dieser Ziegenbock wirklich Ihr Reittier?“
„Ziegenbock? Es ist ja wahr, meine Mary ist noch nie als Schönheit preisgekrönt worden, aber ich vertausche sie dennoch nicht gegen tausend edle Rosse. Sie hat mir hundertmal das Leben gerettet und Sie müssen sie erst kennenlernen, bevor Sie über sie urteilen, wenn ich mich nicht irre. Steigen wir jetzt auf! Es wird bald Abend sein. Wir müssen uns sputen.“
Die beiden Männer saßen auf und ritten in der Richtung zurück, woher der Förster gekommen war.
„Erst war ich misstrauisch gegen Sie“, sagte Rothe, „weil Sie sagten, dass ich einen Wagen gehabt hätte. Ich habe Sie noch gar nicht gefragt, woher Sie das so genau wissen.“
„Wenn Sie sich seit längerer Zeit in der Prärie befänden, würden Sie gar nicht fragen. Hier im Gürtel haben Sie Peitschenschmitzen hängen. Die braucht man nur, wenn man fährt. Und wer fährt, der hat einen Wagen. Nicht? Aber lassen Sie uns nicht schwatzen, sondern schneller reiten!“
Es ging nach Osten und sie hatten die untergehende Sonne im Rücken, die weite, von einzelnen Buschinseln besetze Savanne vor sich. Sam Hawkens glaubte nicht, Veranlassung zu besonderer Vorsicht zu haben, da sich in der letzten Zeit in weitem Umkreis kein Indianer hatte blicken lassen.
Darum stieß er einen Ruf der Überraschung aus, als er plötzlich links zwei Reiter bemerkte, von denen er und der Förster auch schon erspäht worden waren, denn sie hatten ihre Pferde in Galopp gesetzt und kamen auf die beiden zugesprengt.
„Donnerwetter“, sagte er zu Rothe, „das wird eine allerliebste Geschichte. Nehmen Sie nur um Gottes willen Ihre Büchse jetzt noch nicht von der Schulter!“
„Warum denn nicht? Ich glaube, das sind Indianer, und da sagen Sie, ich soll mein Gewehr in Ruhe lassen?“
„Ja, gewiss. Sehen Sie die Adlerfedern auf ihren Köpfen? Es sind Häuptlinge, und wo die sind, da befindet sich gewöhnlich eine Anzahl Krieger in der Nähe. Häuptlinge reiten nicht so allein in der Prärie umher; und da sie zu zweien sind, lässt sich vermuten, dass es sich um eine wichtige Angelegenheit handelt. Zu sorgen brauchen wir uns übrigens jetzt noch nicht. Aber aus Vorsicht wollen wir absteigen. Tun Sie ganz das Gleiche wie ich!“
Er hielt an, stieg ab und stellte sich hinter sein Maultier. Dann erst griff er zu seiner Büchse und wartete, dass die Indsmen näher kommen sollten. Der Förster folgte seinem Beispiel.
Die Indianer ritten ohne Scheu in große Nähe heran und zügelten ihre Pferde kaum zwanzig Schritt vor den Weißen.
„Halt, nicht weiter“, rief Sam, „sonst schießen wir!“
Die Roten berieten leise miteinander, lachten laut auf, was sonst nicht in der Gewohnheit ihrer ernsten Rasse liegt, und dann antwortete der eine von ihnen in einem Gemisch von Indianisch, Englisch und Spanisch, das dort zwischen Indianern und Weißen gesprochen wird.
„Fürchtet sich etwa das Bleichgesicht?“
„Fällt uns gar nicht ein!“
„Kommt hervor, damit wir mit euch sprechen können!“
„Ich wüsste nicht, was wir mit euch zu beraten hätten. Wer seid ihr?“
„Das werden wir dir sagen.“
„Ah, ihr verschweigt eure Namen? Das empfiehlt euch nicht. Wir werden also wieder aufsteigen und weiterreiten.“
„Dann werden wir eurer Fährte folgen.“
„So will ich euch sagen, dass wir euch unsere Kugeln zu kosten geben, wenn ihr uns lästig fallt!“
„Die Prärie gehört allen Menschen. Jeder kann hier reiten, wohin er will.“
„Was sprechen Sie denn mit ihnen?“, fragte Rothe. „Ich verstehe dieses Kauderwelsch nicht.“
Sam erklärte es ihm.
„Das klingt feindselig“, meinte der Förster. „Was tun wir?“
„Ich bin mir selber noch unklar. Weiß nicht, was ich aus ihnen machen soll. Komantschen sind sie nicht, wie ich jetzt sehe.“
„Was sonst?“
„Pawnees auch nicht. Sioux ebenso wenig, denn die kommen jetzt nicht so weit nach dem Süden herab. Sie haben sich die Gesichter bemalt, aber freilich nicht mit den Kriegsfarben, aus denen man den Stamm zu erkennen vermag. Ich weiß wirklich nicht, woran ich bin. Sie haben bei ihren Gäulen noch zwei ledige, gesattelte Pferde. Die führt doch sonst kein Häuptling mit sich.“
Sam Hawkens trat jetzt kurzentschlossen hinter seinem Maultier hervor und schritt auf die Indianer zu, das Gewehr im Anschlag. Diese waren auch abgestiegen und kamen ihnen, da der Förster Sams Beispiel befolgt hatte, entgegen, ihre Gewehre schussfertig in der Hand. Fünf Schritte voneinander entfernt blieben die Parteien stehen.
„Seid ihr gekommen, die Pfeife des Friedens mit uns zu rauchen?“, fragte Sam Hawkens.
„Vielleicht rauchen wir sie mit dir“, antwortete der, der schon vorhin gesprochen hatte. „Willst du dich zu uns setzen?“
„Ja.“
Jetzt hockten sich die vier nieder, zwei und zwei gegenüber, die Gewehre quer über die Knie gelegt. Sie betrachteten sich prüfend.
Die beiden Häuptlinge waren von fast gleicher Gestalt, lang und hager, mit sehnigen Gliedern, ganz in Büffelfell gekleidet. Sie hatten ihr Haar in einen Schopf gebunden, in dem die Häuptlingsfedern befestigt waren. Ihre Züge waren nicht zu erkennen, da die Gesichtsmalerei sehr dick aufgetragen war.
„Also, was wollt ihr?“, fragte Sam Hawkens. „Warum haltet ihr unseren Ritt auf?“
„Wir wollen eure Namen wissen.“
„Ich heiße Daniel Willers und mein Gefährte nennt sich Isaak Balten.“
„Und ich bin der ,Brüllende Stier‘“, sagte der Häuptling würdevoll.
„Und ich“, meinte der andere ebenso stolz, „bin der ,Tanzende Bär‘.“
„Ich habe eure Namen nie gehört.“
„Wir die eurigen auch noch nicht. Ihr könnt noch nicht lange in dieser Gegend jagen.“
„Wir kennen diese Prärie, aber wir sind stille Jäger. Wir jagen nicht nach Berühmtheit, sondern nach Bibern und Büffeln.“
„Habt ihr auch andere Jäger kennengelernt?“
„Einige.“
„Ist euch vielleicht einer begegnet, der sich Sam Hawkens nennt?“
„Nein.“
„Es sollen noch zwei andere bei ihm sein, lang und dünn wie die Stangen eines Zeltes. Sind diese drei Jäger vielleicht Freunde von euch?“
„Nein.“
„Das ist sehr gut. Wir würden euch sonst töten!“
„Ist denn Sam Hawkens ein Feind von euch?“
„Ja. Er hat einige Brüder von uns ausgelöscht.“
„Zu welchem Stamm gehört ihr?“
„Zum Stamm der Pawnees.“
Bei dieser Eröffnung empfand Sam Hawkens ein unangenehm prickelndes Gefühl unter seiner Kopfhaut. Ach nein, nicht unter der Kopfhaut, denn der kleine Trapper trug schon seit vielen Jahren eine Perücke, weil ihm bei einem Kampf mit Indianern der Skalp genommen worden war, worauf sie ihn für tot liegen ließen. Und diese Indianer waren ebenfalls Pawnees gewesen. Kein Wunder, dass die jetzige Begegnung die Erinnerung an das damalige verhängnisvolle Ereignis in lebhafter Weise wachrief.1
„Woher weißt du, dass sich Sam Hawkens in dieser Gegend befindet?“, forschte der Kleine weiter.
„Seine Freunde sagten es uns.“
„Welche Freunde?“
„Sie nennen sich untereinander Dick und Will.“
„Sie haben euch das mitgeteilt, obgleich sie eure Feinde und seine Freunde sind?“
„So ist es.“
Die Brauen des Trappers zogen sich zusammen, aber nur für einen Augenblick. Er war in schwerer Sorge um die Freunde, verbarg jedoch seine Gedanken.
„Ihr seid also mit ihnen zusammengetroffen?“
„Ja.“
„Wo sind sie jetzt?“
„Sie sind fortgeritten, wir wissen nicht, wohin.“
„Und ihr sucht nun diesen Sam Hawkens?“
„Ja. Wir dachten, du hättest ihn gesehen.“
„Ich habe ihn nicht gesehen, aber ich bin mit meinem Gefährten hier erst seit einigen Stunden beisammen. Er war längere Zeit in dieser Gegend und hat ihn vielleicht getroffen. Soll ich ihn fragen, da er eure Sprache nicht zu reden weiß?“
„So frag ihn!“
Das hatte Sam Hawkens beabsichtigt. Er wollte mit seinem Gefährten sprechen dürfen, ohne das Misstrauen der Indsmen zu wecken. Jetzt hatte er die Gelegenheit dazu. Er machte also eine unbefangene Miene und sagte in deutscher Sprache zu ihm:
„Beherrschen Sie sich! Wir befinden uns in großer Gefahr. Machen Sie ein nachdenkliches Gesicht, als ob Sie sich auf irgendetwas besinnen wollten! Schauen Sie diese Kerle freundlich an, obgleich wir alle Ursache haben, sie zum Teufel zu wünschen.“
„Weshalb?“
„Sie suchen mich, um mich auszulöschen. Sie haben schon meine zwei besten Freunde getötet. Sie sind zwar viel zu klug, mir das zu sagen, aber ich habe soeben bemerkt, dass ihre Gewehre meinen Gefährten gehörten. Sie haben sie ihnen abgenommen.“
„Dafür soll sie der Teufel holen!“
Aber bei diesen Worten blickte der Förster die Indsmen freundlich an und nickte ihnen vertraulich zu, die ihm befohlene Verstellung glückte ihm ausgezeichnet.
„Es sind Pawnees. Diese Schufte sollen erfahren, was es heißt, Freunde von Sam Hawkens zu töten. Beobachten Sie mich genau! Wenn ich zu Ihnen das Wort ,jetzt‘ sage, so ergreife ich das Gewehr des einen; Sie nehmen in demselben Augenblick das des anderen. Wir springen auf, treten einige Schritte zurück und legen die Gewehre an; sie haben dann nur noch die Messer, mit denen sie gegen die Gewehre nicht aufkommen können. Machen sie nur eine Miene, sich zu wehren, so schießen wir sie nieder. Getrauen Sie sich, das zu tun, was ich sage?“
„Natürlich.“
„Passen Sie also genau auf!“
Jetzt wandte sich Sam Hawkens wieder an die beiden Häuptlinge:
„Ja. Er hat ihn hier gesehen.“
„Hier? Das ist nicht gut möglich. Es gibt hier keine Spuren außer den eurigen und den unsrigen.“
„Nun, da ist eben die Spur von Sam Hawkens dabei.“
„Ich verstehe dich nicht.“
„Du wirst mich sogleich begreifen. – Jetzt!“
Beide griffen nach den Gewehren der Indianer, rafften sie ihnen weg, sprangen einige Schritte zurück und legten die Büchsen an. Doch auf den dickbeschmierten Gesichtern der Roten zeigte sich keine Überraschung; sie blieben sonderbarerweise sogar ganz gemütlich sitzen, als wäre nichts geschehen.
„So, ihr Hunde, jetzt habe ich euch!“, rief Sam Hawkens drohend.
„Und wir dich!“, entgegnete einer der Häuptlinge in ruhigem Ton. „Glaubt ihr, dass sich zwei Häuptlinge allein befinden? Hinter uns, in jenem Gebüsch, stecken unsere Krieger. Ich brauche nur die Hand zu erheben, so strecken ihre Kugeln euch nieder.“
„Verdammt!“, meinte Sam und schielte besorgt zu dem Gesträuch hinüber.
„Legt die Gewehre ab!“, befahl der Rote. „Sonst seid ihr verloren!“
Sam ließ das Gewehr sinken.
„Meint ihr, dass ich mich vor euch fürchte?“, knurrte er. „Da irrt ihr euch gewaltig! Ich will euch zeigen, dass ich selbst einen ganzen Haufen roter Krieger nicht fürchte. Ich bin Sam Hawkens, den ihr sucht.“
„Wir wissen es. Aber du bist nicht nur das, sondern noch etwas dazu.“
„Was denn?“
„Ein Knabe ohne Augen und Ohren. Außerdem hast du uns für sehr dumm gehalten. Meinst du, dass die roten Männer die Sprachen der Bleichgesichter nicht verstehen? Wir haben gehört, was du mit deinem Gefährten verabredet hast.“
Sam machte ein verblüfftes Gesicht.
„Das war ja Deutsch!“
„Ja. Wir verstanden, was du ihm vorschlugst. Du berietest mit ihm, uns die Gewehre wegzunehmen.“
„Indianerhäuptlinge, die Deutsch verstehen? Das ist mir doch noch nicht vorgekommen, wenn ich mich nicht irre.“
„Du bist wirklich ein gewaltiger Esel. Du hättest uns doch an unseren Büchsen erkennen sollen!“
Jetzt hatte der Sprecher auf einmal eine sehr bekannte Stimme.
„Alle guten Geister! Das ist am Ende gar – ihr seid – o ihr gottvergessenen Racker!“
Förster Rothe stand mit einem unbeschreiblich dummen Gesicht da und fingerte verdutzt an seiner Büchse herum.
„Mich nicht zu erkennen!“, lachte Will Parker und dehnte seine langen Glieder.
„Und mich!“, fügte Dick Stone hinzu und bog sich vor Lachen.
„Na, eigentlich ist das nicht zu verwundern“, verteidigte sich Sam Hawkens ärgerlich. „Ein Schaf sieht immer dem anderen gleich. Diese Anzüge, der Schopf mit den Adlerfedern, die dicke Schmiere im Gesicht, und – und, ja, wie kommt ihr zu dieser Verkleidung?“
„Verkleidung? Pshaw! Es ist jetzt unser richtiger Anzug. Wir kamen in sehr freundschaftlicher Weise mit einem Pawneehäuptling zusammen. Das heißt, die Sioux hatten ihn gefangen genommen und wollten ihn ein wenig am Marterpfahl rösten. Wir befreiten ihn und brachten ihn glücklich in seinen Wigwam. Aus Dankbarkeit erhielten wir diese beiden indianischen Anzüge geschenkt nebst den vier Pferden, die du hier siehst. Unsere alten Anzüge haben wir sorgsam in zwei Decken gewickelt, die uns die guten Pawnees gleichfalls abließen, und den Pferden aufgepackt.“
„Aber es ist gefährlich, hier als Indsmen zu gehen.“
„Zuweilen, zuweilen aber auch nicht. Wir werden bald Rothäute sein, bald Bleichgesichter, ganz wie es die Lage fordert. Daher ja die Maskerade!“
„Hallo, boys, da will ich euch schon gleich eine gute Gelegenheit verschaffen! Wir haben einen kleinen Streich vor, wozu dieser Mummenschanz ganz geeignet ist. Setzen wir uns! Ich will’s euch kurz erklären.“
Aus der vorher so feindseligen Szene wurde nun eine sehr friedliche Beratung.
Das Zusammentreffen der drei Trapper war wieder einmal ein Beispiel von dem Scharfsinn, mit dem die Leute im Wilden Westen zu verfahren pflegen. Sam Hawkens hatte einfach irgendeinen Punkt der Prärie bestimmt, wo er mit Dick und Will wieder zusammenkommen wollte, und sie hatten sich da wirklich gefunden, ohne Weg und Steg, ohne Kompass und Uhr.
„Was sagt ihr dazu?“, fragte Sam, als er mit seinem Bericht über den Raub an Förster Rothe zu Ende war.
Will Parker hob die Achseln.
„Wir reiten diesen Schurken nach und nehmen ihnen ihre Beute wieder ab. Das versteht sich doch ganz von selber! Es fragt sich nur, wie wir es anfangen wollen. Hast du einen Plan?“
„Noch nicht. Wir müssen warten, wie und wo wir auf sie treffen. Jetzt wollen wir die Zeit nicht unnütz verschwatzen, sondern aufbrechen, damit wir die Burschen bald zwischen die Finger kriegen.“ –
Sam ließ sein Maultier ausgreifen und Förster Rothe wunderte sich im Stillen, wie der dürre ,Ziegenbock‘ den Weg zwischen die Beine zu nehmen verstand.
Schon war die Sonne gesunken. Die Reiter kamen endlich in eine offene Prärie, wo es in einem beträchtlichen Umkreis keine Büsche gab. Dort erspähte Sam Hawkens drei einzelne Punkte, die sich in gerader Linie von Osten her bewegten.
„Das sind meine Leute“, sagte der Förster. „Sie laufen ziemlich schnell, um noch vor Dunkelheit wieder mit mir zusammenzutreffen.“
„Reiten Sie ihnen entgegen! Sie könnten erschrecken, wenn sie Fremde von Weitem sehen. Wir werden hier auf Sie warten.“
In kaum zwei Minuten erreichte Rothe die Seinigen. Sie waren müde, die gute Nachricht aber ließ sie alle Erschöpfung vergessen.
„Unsere Freunde werden Hunger haben, wenn ich mich nicht irre“, sagte Sam Hawkens, als alle beieinander waren und besonders Frau Rothe und ihre Schwester sich in Dank ergehen wollten. „Halten wir hier eine kleine Rast. Ich habe da ein gutes Stück Hirschrücken, das ich mir heute früh am Feuer gebraten habe. Das muss alle werden. Morgen schieße ich einen anderen Braten.“
Sie setzten sich in das großflockige, duftende Büffelgras und begannen zu essen.
Sam Hawkens überlegte hin und her, wie er den beiden Frauen, die ja nicht an die Entbehrungen der Prärie gewöhnt waren, Anstrengungen und Gefahren ersparen könnte.
„Es wird am besten sein“, sagte er, „wir suchen uns für die Frauen ein Versteck, wo sie bleiben können, bis wir von unserem Zug zurückkehren. Meinst du nicht, Will?“
„Hm! Wollen einmal rechnen. Vor vier Tagen ist der Raub geschehen. Wie viele Marschstunden kann man mit Ochsenwagen in einem Tag zurücklegen?“
„Acht oder neun.“
„Also etwa dreißig Marschstunden. Die reiten wir nötigenfalls in einem Tag. Heute ist keine Spur mehr aufzufinden. Es ist zu dunkel. Aber wir wollen noch am Abend dahin, wo die Tat geschah. Da lagern wir, um die Pferde auszuruhen. Bei Tagesanbruch finden wir hoffentlich die Fährte, und wenn wir ihr sofort folgen, können wir die Schufte noch am Abend erreichen. Meinst du nicht, Sam?“
„Ich bin derselben Ansicht. Aber diese Ladys! Einen solchen Ritt wie den morgigen können sie nicht mitmachen, das ist gewiss. Für heute aber können wir ihnen nicht erlassen, mit zu Pferd zu steigen.“
„Was das betrifft“, meinte Förster Rothe, „so werden sie uns keine große Mühe machen. Sie sind zwar keine Reiterinnen, aber während der langweiligen Wagenfahrt haben sie sich, um Abwechslung zu haben, zuweilen in den Sattel gesetzt. Ich bin darum überzeugt, dass sie wenigstens nicht herabfallen werden.“
Der junge Rothe hatte das Paket Decken getragen, das für die Familie so verhängnisvoll geworden war. Diese wurden auf die Sättel gelegt, sodass die beiden Frauen einen weichen Sitz hatten. Dann ritt man wieder los.
Der Weg war nicht weit, da der Förster mit seinem ‚Pferd für vier Personen‘ keine großen Strecken zurückgelegt hatte. Die Mary Sam Hawkens zeigte sich den Indianerpferden Dicks und Wills vollkommen gewachsen und es war erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit sie ihre alten Beine hinter sich warf. Eins der Ersatzpferde wurde vom Sohn des Försters geritten und die beiden Frauen teilten sich in das zweite.
Noch vor Mitternacht wurde der Platz des Überfalls erreicht. Das Lager war bald bereitet. Feindliche Indianer oder Jäger vermutete man nicht in der Nähe und so wurde ein Feuer angebrannt, bei dem die Beraubten nochmals ausführlich erzählten, was sie hier an dieser Stelle erlebt hatten.
Dabei fiel der Name Jack. Das war nun gerade nichts Auffälliges, denn diesen Namen führen in den Staaten jedenfalls mehr als bloß ein Dutzend. Trotzdem fragte Sam in seiner gewohnten Gründlichkeit:
„Jack? Was für Haar hatte dieser Mann?“
„Er trug dichtes, rotes Kopfhaar“, entgegnete Förster Rothe.
„’s death! Sollte es am Ende gar der ,Blutige Jack‘ sein?“
„Er war es!“, rief der junge Rothe. „Ich erinnere mich, dass einmal zwei seiner Gefährten von ihm sprachen. Sie glaubten sich wohl unbelauscht und da nannten sie ihn den Blutigen Jack.“
„Lack-a-day! Ist es der? Na, dann gnade ihm Gott, wenn ich ihn erwische! Er hat sein letztes Brot gegessen, wenn ich mich nicht irre.“
„Das klingt ja bitterbös“, meinte der Alte. „Kennen Sie ihn?“
„Den soll ich nicht kennen! Wir drei da haben vor einiger Zeit einiges mit ihm zu tun gehabt. Er ist ein gefährlicher Junge und wollte eine Pflanzung überfallen. Haben ihn aber überlistet und mit seiner ganzen Bande gefangen genommen. Man schaffte die Sippschaft nach Van Buren, um ihr den Prozess zu machen. Mehrere wurden freigesprochen und sie benutzten die erste Gelegenheit, die anderen des Nachts aus dem Gefängnis zu holen. Der Blutige Jack fing natürlich sein Geschäft sofort wieder an. Als man hinter ihm her war, machte er sich davon, sodass man längere Zeit nichts mehr von ihm hörte2. Jetzt erfahre ich, dass er es gewesen ist, der euch beraubt hat. Nun, es soll ihm wohl bekommen, hihihihi!“
Als man gegessen hatte, diesmal von Dicks und Wills Vorräten, wurden die Wachen ausgelost; alle anderen legten sich zum Schlafen nieder.
Sam Hawkens erwachte, weil ihn jemand am Arm rüttelte. Will stand vor ihm mit schreckensbleichem Gesicht. Nach dem Stand der Sterne mochte es ungefähr zwei Uhr sein.
„Was gibt’s?“, fragte Sam, indem er sich die Augen rieb. „Es ist doch noch nicht Zeit zum Aufbruch, wenn ich mich nicht irre.“
„Sam, die Gewehre sind fort.“
Diese Nachricht brachte ihn sofort auf die Beine.
„Bist du verrückt? Siehst du nicht, dass ich meine Liddy im Arm habe?“
„Ja, aber die unsrigen!“, sagte Will kläglich. „Wir haben sie am Abend zusammengestellt und jetzt sind sie fort.“
„’s death! Du machst einen schlechten Spaß!“
„Fällt mir nicht ein. Ich hielt dort drüben auf dem Felsblock Wache, und als meine Zeit um war und ich Dick wecken wollte, bemerkte ich das Fehlen der Gewehre.“
„Will, Will, was muss ich an dir erleben! Du machst meiner Erziehung Schande. Lässt sich der Kerl während seiner Wache die Gewehre mausen! Du bist und bleibst ein Greenhorn, wenn ich mich nicht irre.“
Die anderen waren bei dem ziemlich laut geführten Zwiegespräch wach geworden und ergingen sich in Fragen. Sam winkte Schweigen.
„Legt euch schnell wieder auf die Erde nieder, damit ihr kein Ziel bietet! Wenn wir nur die Pferde noch haben! Bleibt ruhig liegen und wartet auf meine Rückkehr! Ich schleiche zu den Tieren.“
Tief am Boden hingestreckt kroch Sam Hawkens in die Nacht hinaus. Aber schon nach wenigen Sekunden hörten sie seine Stimme.
„Was ist das? Kommt einmal her!“
Sie eilten hin. Etwa fünfzehn Schritt von ihnen entfernt waren die fehlenden Gewehre zusammengestellt und an der Spitze der Pyramide prangte ein weißes Papier.
„Was hat das zu bedeuten?“, fragte Will.
„Werden es gleich erfahren“, erwiderte Sam und griff nach dem Zettel. „Nehmt eure Büchsen, ich schaue nach den Pferden!“
Er schlich davon und kehrte erst nach längerer Zeit zum Lagerplatz zurück.
„Alles in schönster Ordnung“, meldete er. „Die Pferde sind da und ich habe keinen Menschen bemerkt. Heavens – wenn das Feinde gewesen wären! Unsere Seelen befänden sich schon im siebten Himmel, wenn ich mich nicht irre.“
„Da siehst du, Will, was du mit deiner Achtlosigkeit hättest anrichten können“, brummte Dick.
„Rede nicht!“, verteidigte sich Will. „Du hättest auch nichts gehört. Es ist freilich stark, sich mitten zwischen uns hindurchzuschleichen und uns die Flinten wegzunehmen. Der Kerl, der das fertig gebracht hat, ist ein Meister. Aber ein Feind ist er sicherlich nicht.“
„Warum aber lässt er sich nicht blicken?“, widersprach Dick.
„Das ist mir auch ein Rätsel“, meinte Sam kopfschüttelnd, „wird sich aber aufklären, wenn wir uns das Papier betrachten. Da gibt es noch glühende Asche. Blase sie einmal an, Dick, und lege einige Zweige darauf!“
Als die Flamme aufprasselte, hielt Sam das Papier in die Helle und las. Es war wohl nicht leicht zu entziffern, da die Wörter mit Bleistift und im Dunkel geschrieben worden waren. Einige Zeit dauerte es. Dann aber sprang Sam Hawkens mit einem Freudenruf auf, legte die Hände wie ein Sprachrohr an die Gegend des Bartdickichts, wo man den Mund vermuten musste, und rief mit lauter Stimme, sodass es in der nächtlichen Stille wohl eine englische Meile weit schallte:
„Helloo, Sir, helloo! Thank you very much! – Hallo, Sir, hallo! Wir danken Euch sehr!“
Erschrocken fuhr Dick Stone auf und packte Sam Hawkens bei den Schultern.
„Bist du verrückt, Sam? Du brüllst uns ja alle Indianer des Felsengebirges auf den Hals!“
„Keine Sorge! Wo die sind, die ich meine, da reißen alle Indsmen aus. Ich hätte Will vorhin am liebsten ohrfeigen mögen, das ist wahr. Aber nun ist es anders. Jetzt, da ich weiß, wer uns diesen Streich gespielt hat, kann ich’s ihm vergeben. Wenn die zwei es wollen, so tragen sie euch alle vom Feuer fort, ohne dass ihr es merkt. Spitzt eure Ohren! Ihr habt den vornehmsten Besuch gehabt, den man hier im fernen Westen nur haben kann, wenn ich mich nicht irre.“
Er setzte sich nieder, um den Zettel abermals an die Flamme zu halten.
„Hört also und staunt! Hier steht groß und deutlich – Achtung, Ladys und Gents! – hier steht groß und deutlich ,Winnetou‘ und daneben lese ich...“
Wie von einer Feder hochgeschnellt, sprang der lange Will auf.
„Winnetou!“, schrie er. „Das ist etwas anderes! Steht das wirklich da?“
„Unterbrich mich nicht! Es steht da! Geschrieben aber hat den Brief ein anderer.“
„Wer?“, drängte Will, als Sam Hawkens wieder eine Kunstpause machte und sich an den großen Augen der Frauen und der beiden Rothes ergötzte. „Weiter!“
Aber Sam strich sich den Bart und kicherte vergnügt in sich hinein.
„Wirst nie ein guter Westmann werden, Will, wenn du deine Neugier nicht bezähmen kannst“, sagte er missbilligend. „Das Erste, was ein Prärieläufer lernen muss, ist Geduld. Wie hätte ich’s mit euch bis heute aushalten können, wenn ich nicht von dieser schönen Tugend...“
„Du redest wie ein Bibelprediger von Salt Lake City!“, knurrte Will. „Übrigens ist es unhöflich von dir, Damen so lange warten zu lassen!“
„Wäre längst fertig, du Greenhorn, wenn du mich nicht immer störtest. Der andere Name gilt in den dark and bloody grounds ebenso viel wie der Winnetous und...“
„Old Shatterhand?“, riefen Dick und Will wie aus einem Mund.
„No. Aber einer, der wohl ebenso berühmt ist und der ebenso wie Old Shatterhand mit Sam Hawkens und euch an manchem Lagerfeuer gesessen hat, wenn ich mich nicht irre: Old Firehand!“
„Alle Wetter!“
„Old Firehand?“, rief Will. „Good-lack! Das sind nun freilich die berühmtesten Männer, die es im Westen gibt. Da ist es gar nicht zu verwundern, dass sie uns so fein angeführt haben!“
„Winnetou? Old Shatterhand? Old Firehand?“, fragte Rothe. „Ich befinde mich erst kurze Zeit im Westen, habe aber doch schon ihre Namen rühmen hören. Es würde mich freuen, wenn Sie mir mehr über sie sagen könnten.“
Sam Hawkens zwinkerte vergnügt.
„Winnetou ist ein Häuptling der Apatschen, ein Krieger, Reiter, Ringer und Schütze wie kein Zweiter. Der klügste Indsman, der mir je begegnet ist und der es getrost mit dem besten Westmann aufnimmt. Und wehe den Weißen, wenn Winnetou einmal auf den Gedanken kommen sollte, sich an die Spitze der Indianerstämme zu stellen! Er ist noch jung, aber es gibt nur zwei unter den Westmännern, die sich mit ihm messen können: Old Shatterhand und Old Firehand.“
Förster Rothe beugte sich zu dem Trapper hinüber und tippte auf das Blatt Papier, das Sam wie etwas sehr Wertvolles hoch in der Hand hielt.
„Und dieser berühmte Firehand hat den Wisch da geschrieben?“
„Ich vermute“, antwortete Sam. „Kenne sein Handschrift nicht. Aber sein Name steht darunter.“
„Und dieser große Firehand ist ein Freund von Ihnen?“
Sam Hawkens strich sich den Bart.
„Wenn ich mich nicht irre“, kicherte er. „Er kennt den Westen wie ich die Linien meiner Hand. Die zweijährigen Indianerkinder schwärmen von ihm und die weißen Großväter und Großmütter erzählen von ihm. Er ist stark wie der Grizzly und doch ein Knabe von Gemüt. Er kommt und verschwindet wie ein Geist. Niemals lässt er Spuren zurück, und findet man ja einmal eine Fährte seines Pferdes, so hört sie plötzlich auf, als wären Reiter und Pferd davongeflogen. Ich sage euch, dass ich mich zu den Westmännern rechne, und zwar nicht zu den schlechtesten. Aber an die zwei komme ich nicht heran!“
Will Parker rückte unruhig hin und her.
„Willst du uns endlich gütigst mitteilen, was sonst noch auf deinem Zettel steht? Wenn uns Firehand und Winnetou mitten in der Nacht einen Eilbrief schreiben, dann wollen sie auch, dass wir ihn lesen!“
Sam beugte sich zum Feuer hin und las:
„Genau nordwest reiten, vier Stunden – enges Tal, drei Akazien am Eingang – drin die Wagen – zwei Mann Wache – die anderen nach Süden, um Paloma Nakana zu bestehlen – vorderster Wagen linkes Hinterrad Geld vergraben – haltet später besser Wacht – hätten euch alle auslöschen können.
Old Firehand – Winnetou.“
Dick und Will schüttelten die Köpfe.
„Sollte man das für möglich halten?“, sagte Will verwundert. „Stehen diese Worte denn wirklich da auf dem Papier?“
„Hier, lies es selber!“
Sam hielt ihm den Zettel hin.
„Behalte nur getrost das Papier! Ich will mich lieber mit fünfzig Indsmen als mit drei Buchstaben herumbalgen! Mit den Indsmen werde ich vielleicht fertig, mit dem Geschreibsel bestimmt nicht. Aber höre, Sam, die Sache kommt mir doch ein wenig unwahrscheinlich vor!“
„Weshalb?“
„Erstens weil diese Kerle nur vier Stunden entfernt von hier stecken sollen. Sie werden sich doch nicht so nahe hersetzen!“
„Man kennt ihre Gründe nicht.“
„Und zweitens, weil sie das Geld vergraben. Das steckt man doch ein und behält es bei sich!“
„Pshaw! Die Burschen sind zu einem Raubzug aufgebrochen. Sie wissen nicht, ob er gelingen wird. Glückt er nicht, so laufen sie Gefahr, das zu verlieren, was sie bei sich tragen. Es ist also ganz klug, dass sie es vergraben haben.“
„So willst du diesem schriftlichen Rat folgen?“
„Natürlich! Von großem Vorteil ist dabei, dass wir für unsere Ladys kein Versteck zu suchen brauchen. Vier Stunden werden sie es im Sattel schon aushalten. Wir können sie also gleich mitnehmen.“
„Warum aber tun die zwei so heimlich? Warum haben sie uns nicht geweckt, um uns ihre Mitteilung mündlich zu machen?“
„Sie werden ihre Gründe gehabt haben.“
„Aber woher wissen sie das alles?“
„Das ist ihre Sache. Wir sind überhaupt mit dem Schreiben noch nicht fertig. Da steht: ,Die anderen nach Süden, um Paloma Nakana zu bestehlen.‘ Wisst ihr, was das zu bedeuten hat?“ „Natürlich!“, antwortete Dick. „Man sagt, dass die Paloma große Schätze besitze. Die will der Blutige Jack holen.“
„Wer ist diese Paloma Nakana?“, erkundigte sich der Förster.
„Man spricht seit einiger Zeit von ihr“, erwiderte Sam. „Sie soll jung sein, ein Mädchen von außergewöhnlicher Schönheit, eine Weiße, die aber von den Indsmen wie eine Göttin verehrt wird. Wir drei haben immer den Norden abgepirscht und sind seit langem nicht nach Süden gekommen, deshalb sind wir noch nicht bis zu ihr gelangt. Jetzt aber hoffe ich, dass wir sie sehen werden. Sie hat ihr Wigwam aufgeschlagen, wo die Gebiete der Komantschen und Apatschen zusammenstoßen. Diese beiden Stämme sind von jeher Todfeinde gewesen. Die Wohnung der Paloma aber ist ihnen heilig. Wo sich das schöne Mädchen befindet, ist neutraler Boden; die Komantschen kommen von Osten, die Apatschen von Westen her, um sie zu verehren und mit Geschenken zu überschütten. Vor zwei Wochen bin ich mit einem Scout3 zusammengetroffen, der bei ihr gewesen ist und mir den Weg zu ihr beschrieben hat. Sie lebt mit ihrem Vater in einer ehemaligen Mission. Habe nach dem Namen des Mannes gefragt, konnte aber nichts anderes erfahren, als dass sie ihn Pa nennt und er sie Almy, wenn ich mich nicht irre.“
„Du“, meinte da Will, „der Name kommt mir sehr bekannt vor. Hieß so nicht die junge Lady Wilkins auf Wilkinsfield, wo wir damals mit Walker-Hopkins zusammentrafen, den wir so hübsch wieder laufen ließen?“
„Ja, die junge Lady hieß so. War ein verteufelt hübsches Frauenzimmer.“
Er sah die fragenden Augen der beiden Rothes und der Frauen und berichtete deshalb über das Abenteuer von Wilkinsfield.
„Oh“, sagte Frau Rothe mitleidig, „das arme Mädchen! Haben Sie nicht gehört, wie die Geschichte ausging?“
„Ladys wollen immer wissen, wie die Geschichten ausgehen“, lachte er. „Diese hier hat eine böse Fortsetzung, aber sie ist noch nicht zu Ende, wenn ich mich nicht irre. Also, der Pflanzer Wilkins verlor seinen Prozess gegen den Nachbar Leflor. Er sollte in Schuldhaft gesteckt werden und schoss auf Leflor. Das brachte ihn in Untersuchung wegen Mordversuchs und er entfloh mit seiner Tochter Almy. Der deutsche Oberaufseher – Adler hieß er wohl – war schon vorher verschwunden, niemand wusste, wohin. Das ist alles, was ich berichten kann.“
„Und diese Paloma ist die Lady Wilkins?“, fragte die Försterin gespannt.
„Da fragen Sie mehr, als Sam Hawkens beantworten kann. Vielleicht ist sie’s; im Wilden Westen spielen sich manchmal die sonderbarsten Sachen ab.“
„O Gott!“, rief die Frau. „Und jetzt wollen die Schufte diese Paloma berauben wie uns? Das dürfen wir doch nicht zulassen! Wir müssen sie warnen und ihr helfen!“
„Sie hat die besten Beschützer, die man hier überhaupt haben kann: Winnetou und Firehand. Aber wir werden wohl doch einen Besuch bei ihr machen. Der Pfadfinder hat mir ihren Aufenthaltsort so beschrieben, dass ich ihn sehr wohl zu finden vermag. Wir lagern hier im Osten der Sierra de los Mimbres. Wenn wir noch einen halben Tag lang nach Süden reiten und sie nach Westen hin übersteigen, so kommen wir an die Sierra della Acha, die ihre Wasser hauptsächlich nach Süden entsendet. Da oben auf der Acha gibt es, eingefasst von steilen Felsen, einen wunderbaren Gebirgssee, das Tutlish-to4, an dessen Ufern ich vor über zehn Jahren einmal mit den Komantschen zusammengeraten bin. Sie halten das Gebiet sehr heilig, weil sie dort ihre berühmten Häuptlinge begraben. Sie litten deshalb kein Bleichgesicht da oben und ich war froh, mit dem Leben und einigen Messerstichen davonzukommen, wenn ich mich nicht irre. Am Ufer des Sees stehen die alten Gebäude einer katholischen Mission, die nicht mehr bewohnt waren. Dort hat die Paloma ihre Wohnung aufgeschlagen.“
„Was bedeutet denn das Wort Paloma?“, erkundigte sich Rothe.
„Eigentlich heißt es vollständig Paloma Nakana. Das eine Wort ist spanisch, das andere gehört der Tehuasprache an. Das erste bedeutet Taube und das zweite Wald, Urwald, zusammen also: die Taube des Urwalds. Warum dieses Mädchen von den Indianern so genannt wird, weiß ich freilich nicht. Vielleicht erfahren wir es noch.“
„Sie vergessen, dass wir nach Kalifornien wollen.“
„Der beste Weg von hier aus nach Kalifornien geht über die Sierra della Acha! Auch wissen wir die Taube des Urwalds in Gefahr und es ist unsere Pflicht, dass wir uns um sie kümmern.“
„Bravo!“, riefen die beiden Frauen.
„Eigentlich unnötig!“, widersprach Will. „Denkst du vielleicht, Old Firehand hat uns nur die Mitteilung gemacht, dass sich die Taube in Gefahr befindet? Er ist jedenfalls schon auf dem Weg zu ihr. Vielleicht hat er uns nur deshalb eine schriftliche Nachricht gegeben, um von uns nicht aufgehalten zu werden und dort schnell eintreffen zu können.“
„Sehr wohl. Aber gerade weil Old Firehand unterwegs zu ihr ist und Winnetou mit ihm, will auch ich hin. Ich will diese beiden Männer wieder einmal sehen. Verstanden, Langer?“
„Ja, und du hast allemal Recht!“
„Meint ihr aber nicht, dass es jetzt besser wäre, noch eine Stunde zu schlafen? Unsere Pferde sind klüger als wir, sie liegen im Gras und ruhen sich aus; wir aber sitzen hier und plaudern, als ob morgen Feiertag wäre. Klappt die Augen zu und schwatzt nach innen hinein!“
Die Wache trat an und bald lagen die anderen in tiefem Schlaf.
Mit Tagesanbruch war die Gesellschaft schon wieder munter. Für die Frauen wurde der Sitz auf dem Pferd möglichst bequem hergerichtet. Der Morgenimbiss war bald vorüber, und da die Schönheitspflege im Wilden Westen keine lange Zeit in Anspruch nimmt, so war die Sonne noch nicht am Himmel emporgestiegen, als sich der kleine Trupp auch schon in Bewegung setzte, gerade auf Nordwest zu, wie es der Zettel geraten hatte.
Sam Hawkens ritt voran; seinen scharfen, klugen Äuglein entging nicht das Geringste, was Beachtung verdiente. Trotzdem schüttelte er immer öfter den Kopf. Er begann, während die anderen geradeaus ritten, im Galopp Abstecher nach beiden Seiten zu machen und sagte, als er von einem solchen Erkundungsritt wieder ergebnislos zurückkehrte:
„Ich glaubte die Wagenspur zu finden, aber vergeblich. Hätte uns Old Firehand nicht seine Weisung gegeben, ständen wir wie die Ochsen vor dem Berg und kämen niemals hinauf.“
So ging es weiter und weiter. Sam hielt die Augen immer am Boden. Wohl zwei Stunden lang war man geritten, da hielt er plötzlich an.
„Will, siehst du etwas?“
„Nein, nichts als Gras.“
„Hm! Wenn ich mich nicht irre, so habe ich jetzt die Fährte! Blick einmal rück- und vorwärts! Entdeckst du nichts auf dem frischen Gras?“
„Dürre Halme! Soll das deine Fährte sein?“