Cover

Titel

Martin Mucha

Seelenschacher

Kriminalroman

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2011

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Bubbels / sxc.hu

ISBN 978-3-8392-3632-1

Vorwort

Raymond Aronofsky appears courtesy of Thomas Welte

 

Patrick McAllister Dank für Rat und Ohr

»Eines Tages gebot die Vorsehung

den Kräften der Natur Einhalt.

Sie ließ dreizehn Tage wie Samt und Seide

über dem Nanga Parbat aufgehen …«

 

Paul Bauer über den Alleingang von Hermann Buhl,

den Erstbesteiger des Nanga Parbat

Kapitel 1

I

Ende Juli ist nicht viel los auf dem Institut für Klassische Philologie der Uni Wien. Die Hörsäle sind leer, das Sekretariat ganztags unbesetzt, und auch die Bibliothek hat nur für ein paar auserwählte Stunden, gewöhnlich Freitagvormittag, geöffnet. Dann, wenn sämtliche Philologen schlafen. Alles ist leer und still. Kein Wunder, bei der subtropischen Hitze, die zu der Zeit in Wien herrscht. Wenn das Hemd auf der Haut und die Schreibhand am Papier kleben bleibt. Wenn die Straßen nach Bananenschalen und Hundepisse riechen. Wenn nur ein Büro besetzt ist. Meines.

Die Sache schimpft sich wissenschaftlicher Journaldienst und bleibt immer am Jüngsten hängen. Wenigstens hatte ich das Büro ganz für mich allein. Die beiden Dissertanten, mit denen ich mir den winzigen Raum während des akademischen Jahres teilen muss, ließen sich nicht blicken. Somit bestand meine ganze Gesellschaft aus Aktenschränken und Topfpflanzen. Die Aktenschränke waren vollgeräumt, die Topfpflanzen tot. Also hielt sich der Zwang zu Smalltalk in Grenzen.

Ich verbrachte also den Sommer damit, in meinem Büro zu sitzen und an meiner Habil zu basteln. Während der langen, einsamen Stunden kann man förmlich zusehen, wie die angenehme Kühle des Morgens der brütenden Hitze des Mittags weicht, um im Laufe des Nachmittags in drückende Schwüle überzugehen. An guten Tagen beginnt es um halb vier zu regnen. In großen, schweren Tropfen. Wer dann keine brauchbare Tasche hat, dem verläuft auf dem Nachhauseweg die Tinte der Manuskripte, und ein ganzer Tag voller Arbeit ist dahin. Ist mir schon passiert, seitdem kleidet ein Plastiksackerl vom Hofer meine alte Ledertasche innen aus. Hässlich, aber zweckmäßig.

An jenem Mittwoch kletterten die kleinen Celsiusse fleißig nach oben, bis zum Mittag war es noch ein Stückchen Zeit. Ich hatte mir gerade eine neue Tasse Tee eingeschenkt, die Füße seitlich auf den Schreibtisch gelegt und weidete mich am Anblick der mumifizierten Topfpflanzen, die mir mein Vorgänger hinterlassen hatte, als es an der Tür klopfte. Den Blumenmumien ging es besser als mir, ihre Ruhe würde niemand mehr stören können. Sauer rief ich »Herein«, und die Türe öffnete sich. Ein kugelrunder Kopf auf einem kugelrunden Torso erschien. Der Torso steckte in einer schwarzen Cappa, unter der das Weiß des Habits hervorlugte. Die Kopfkugel war haarlos, glatt und glänzte schweißig. Um den unter Doppelkinnen verschwundenen Hals hing ein schönes, einfaches Silberkruzifix. Es schwang gegen seine Brust, die sich hob und senkte, als Bruder Erich nach Atem rang. Offensichtlich war er die Philosophenstiege zu Fuß heraufgestiegen. Einen Mann wie ihn konnte das umbringen.

»Servus, Erich, nimm Platz.« Ich wies auf einen der Studentenstühle hin, der vor meinem Schreibtisch stand. »Einen Tee?«

»Gern.« Erich setzte sich mühsam. Seitdem ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte, war er noch ein bisschen in die Breite gewachsen, der Stuhl war ihm zu klein. Eine fettgepolsterte Hand erschien und nahm die Teeschale entgegen. Die Hand war fast eine Kugel, die Finger schienen aus jeweils drei Kugeln zu bestehen.

»Wie ich sehe, eiferst du noch immer dem heiligen Thomas nach. Wie ich höre, mussten sie die Treppe seines Turms abreißen, um seine Leiche abtransportieren zu können.«

»Das kann mir nicht passieren, ich lebe nicht in einem Turm.«

»Gut zu wissen, dass du dir der Gefahr bewusst bist.«

»Arno, lass die Späße, ich bin wegen was Ernstem hier.«

»Meinst du, dein Leibesumfang sei keine ernste Angelegenheit? Fett ist tödlicher als Blei.«

Er ignorierte meine letzte Weisheit und zündete sich einen Zigarillo an. Das tut er nur, wenn er nervös ist. Ich schob ihm ein leeres, staubiges Glas hin. Er aschte hinein.

»Also, worum geht’s?«

Erich inhalierte tief, was den Kugeleindruck noch verstärkte, blies aus und schaute an mir vorbei zum Fenster hinaus in den Lichthof.

»Kannst du jemanden beschatten, herausfinden, was er so treibt, welche Motive er hat, ob es irgendeinen schwachen Punkt gibt und dergleichen?«

»Warum gehst du nicht zu einem Profi? Der ist nicht teurer als ich und kann das wahrscheinlich besser.«

»Weil das eine heikle Sache ist und ich nicht jedem zutraue zu verstehen, worum es da geht.«

»Handelt der Mann etwa mit geklauten altgriechischen Partikeln?«

»Nein.« Erich inhalierte und sah mich ernst an, dabei verschwanden seine kleinen schwarzen Äuglein fast hinter dem Fett seiner Tränensäcke und Lider. Wieder blies er aus, wie weiland Moby Dick. »Er handelt mit Seelen.«

Da musste ich schlucken. Schenkte mir Tee nach, leerte meine Schale mit einem Schluck, doch es half nichts. Also füllte ich sie wieder, führte sie an die Lippen und trank aus. So war es besser. Ich stellte die Schale ab.

»Mit Seelen?«

»Du hast es gehört.«

»Wie macht er das, en gros, Import-Export, kauft oder verkauft er sie?«

»Genau weiß ich das nicht, ich weiß nur, dass er mit Seelen Handel treibt.«

»Und woher weißt du das?«

»Das geht dich gar nichts an.«

»Doch, wenn ich für euch arbeiten soll, schon. Der Mann ist entweder ein Genie oder ein Idiot. Wahrscheinlich beides.«

Erich schwieg.

»Was willst du von ihm, hast du vor, deine Seele zu verschachern?«, bohrte ich nach.

»Keineswegs.«

»Aha! Er wildert in eurem Revier, einzig die allein selig machende Mutter Kirche hat das Recht, ein Interesse an Seelen zu haben. Es geht also um euer Monopol. Darum willst du, dass ich ihm nachschnüffle.«

»Mach dich nicht lächerlich, wir haben kein merkantiles Interesse an den Seelen unserer Mitmenschen.«

»Wirklich nicht? Habt ihr nicht so den Petersdom finanziert?«

»Na ja, damals schon, aber diesmal ist es anders.« Erich druckste herum.

»Es geht darum herauszufinden, was hinter dem Mann steckt. Hab ich recht? Dass er hier und da Seelen kauft, stört euch nicht so, aber dass …«

»Jede Seele ist gleich wichtig und muss gerettet werden«, unterbrach mich Erich. »Und warum sagst du immer ›Euch‹, ich will dich engagieren.«

»Ach wo, du kommst direkt vom Kardinal, er will zuerst Fakten haben, bevor er etwas gegen den Mann unternimmt. Darum bist du hier.«

»Ja, schon. Es ist eine heikle Angelegenheit, wir müssen über den Mann so viel in Erfahrung bringen wie möglich. Wir sind in letzter Zeit in ein paar Fettnäpfchen getreten, das muss unter allen Umständen vermieden werden. Wir können uns keine weiteren Patzer leisten.« Erich wand sich wie ein Wurm, er fühlte sich sichtlich unwohl. Irgendwas war da noch im Busch.

Plötzlich wurde mir klar, was Erich so verunsicherte.Ich lächelte und schenkte mir nach. Als ich ausgetrunken hatte, bemerkte ich beiläufig: »Ihr habt Angst, dass der Mann nicht einfach ein gerissener Geschäftemacher ist, sondern dass mehr dahintersteckt. Pferdefüße und Bockshörner etwa, und ein bisschen Schwefel.«

Erich sah mich erstaunt an, hatte sich jedoch gleich wieder im Griff.

»Es wäre möglich. Na, was ist, hast du Interesse?«

»Sicher. Klingt enorm spannend. Was hast du dir dabei vorgestellt?«

»Du könntest herausfinden, in welchem sozialen Umfeld er lebt, was er sonst noch so treibt. Über welche Kontakte der Mann verfügt und wie viele Seelengeschäfte er abgeschlossen hat. Vor allem wollen wir wissen, welche Absichten er hegt.«

»Du meinst, wie er darauf gekommen ist, gerade diese Art von Geschäft zu machen.«

»Genau. Außerdem etwas, das sich im Notfall als Druckmittel verwenden lässt. Kannst du das?«

»Ein Versuch ist möglich. Billig wird es nicht.«

»Ich hab dich um einen Freundschaftsdienst gebeten und du denkst dabei nur an Geld? Stell dir doch vor, wenn …«

»Das ist mir alles egal, die Wirtschaftskrise hat mir meinen Sommerjob genommen. Ich kann die Miete noch genau einen Monat zahlen, so wie’s aussieht, lande ich um Weihnachten herum auf der Straße. Da sind mir deine Schauermärchen völlig gleich. Das Fressen kommt vor der Moral, wie der große Bert es so schön formuliert hat.«

»Viel können wir dir nicht zahlen, das musst du verstehen.«

»Sterben muss ich, sonst nichts. Wenn ihr zu wenig zahlt, mach ich’s nicht.«

»Gut, ich werde mit den anderen sprechen, aber eigentlich war dafür kein Geld vorgesehen. Du musst verstehen, alle sind furchtbar nervös, ich weiß nicht, was sie sagen werden, wenn ich ihnen klarmache, dass unser Mann nur für Geld zu haben ist.«

»Nur für Geld.«

Erich nickte. »Na gut, ich werde schauen, was sich machen lässt. Du hörst von mir am Nachmittag.« Er erhob sich schnaufend.

»Erich«, unterbrach ich seine Bemühungen, »du weißt, dass es in Wirklichkeit keine Seelen gibt?«

»Arno, du kennst schon das Stoßgebet des Atheisten?« Er machte sich auf den Weg zur Tür.

»Nein.«

»Lieber Gott, wenn es dich gibt, rette meine Seele, wenn ich eine habe.«

Mit diesen Worten war er zur Tür hinaus. Ich blieb allein zurück. An Arbeit war jetzt nicht mehr zu denken. Kurz nach drei läutete das Telefon, ich nahm ab, nickte, packte meine Sachen zusammen und ging hinaus. Der Journaldienst würde sich auch von alleine machen. Draußen öffneten sich zu meiner Begrüßung die Wolken, und als ich in der U-Bahn saß, war ich völlig durchnässt. Aber meine Wohnung war bis Silvester bezahlt.

II

Ich kannte Erich noch vom Studium her. Einmal hatte ich an einer Exkursion ins Dominikanerkloster an der gleichnamigen Bastei im ersten Bezirk teilgenommen. Erich war damals unser Führer gewesen, als wir uns die Handschriften ansahen, die dort aufbewahrt wurden. Irgendwie gerieten wir in eine Diskussion über die Summa Theologica, und danach liefen wir uns öfter über den Weg. Bruder Erich war ein scharfsinniger und belesener Mann, der nicht nur an Leibesumfang dem Aquinaten gleichkam. In letzter Zeit hatten wir uns ein wenig aus den Augen verloren, auch weil er wusste, mit was ich mein mageres Lektorengehalt so aufzubessern pflege. Er musste ordentlich Karriere gemacht haben, denn wie kam er sonst dazu, pikante Aufträge für den Kardinal auszuführen, Gutbrunner war ein äußerst vorsichtiger Mann. Doch wie alle in seiner Umgebung hatte er einen Fehler, er nahm seinen Glauben zu ernst. Warum sollte er sonst einen Mann bezahlen, der ausziehen sollte, um den Teufel zu fassen? Wenn der denn hinter der Sache stecken sollte.

Ich konnte sie in meinem Geiste vor mir sehen, die aufgeregten alten Herren, in ihrer Angst vor dem Antichristen, wild durcheinander rufend. Ein paar mit Verstand mussten dabei sein, ein paar, die wussten, dass sie mit so etwas nicht an die Öffentlichkeit gehen konnten, ohne ausgelacht zu werden. Ich musste unwillkürlich vor mich hin lachen. Dass mein Gegenüber in der U-Bahn, ein älterer Herr mit Anzug und Regenschirm, mich missbilligend betrachtete, war mir egal.

Ich sollte so etwas wie den Advocatus Diaboli spielen. Das war derjenige, der im Verfahren der Heiligsprechung dem zukünftigen Sanktus alle Fehler, die er finden konnte, anzukreiden hatte. Ein Schutzmechanismus, der verhindern sollte, dass allzu vielen Unwürdigen diese Ehre zufiel. Allein ich hatte hingegen die Aufgabe herauszufinden, ob der Mann unschuldig war. Darum war auch Erich zu mir gekommen. Weil ich Atheist bin und an den ganzen Hokuspokus nicht glaube. Man wollte einen Außenstehenden, einen Neutralen. Offensichtlich nahmen die hohen Herren die Angelegenheit noch ernster, als ich ursprünglich angenommen hatte. Ich hatte höllisch aufzupassen, nicht dass ich noch einen unschuldigen Kredithai der Inquisition auslieferte.

Damit ließ ich die unangenehmen Gedanken beiseite, stieg aus und ging die U-Bahn-Station Schweglerstraße hinauf, dorthin, wo der Kredithai sein Büro hatte, Ecke Tannengasse/Märzstraße, mitten im 15. Bezirk, direkt vor meiner Haustür. Als ich aus dem U-Bahn-Schacht heraus in den Regen trat, der in warmen, großen Tropfen vom Himmel fiel, konnte ich es kaum mehr erwarten, diesem Mann von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen.

Sein Büro lag genau an der Ecke. Zwischen einer kroatischen Bar mit Flachbildschirm und einem Kindergarten der Stadt Wien. Auf der anderen Seite der Tannengasse, vis-à-vis des Kindergartens, befindet sich der Reithofferpark. Mit Tauben, Fußballkäfigen und einem Gewusel kleiner, dunkelhaariger Kinder, deren Mütter auf den Bänken saßen und Sonnenblumenkerne knackten.

Neben der Eingangstür prangte ein großes Schild, in der Farbe milchigen Hellblaus, auf der in schwarzer, serifenloser Schrift stand: »Korkarian Kredite«, nebst jeder Menge Zusatzinformationen über fiskalische Produkte, die angeboten wurden. Außerdem noch ein paar Zeilen in verschiedenen Sprachen, die ich nicht beherrsche. Von Seelenhandel stand dort nichts. Die Öffnungszeiten waren jedoch wohlwollend, von sieben Uhr morgens bis elf Uhr nachts. Außerdem gab es die Möglichkeit, 24 Stunden am Tag telefonisch einen Termin zu vereinbaren, wenn man um drei Uhr morgens einen Ferrari kaufen wollte, etwa. Oder eine neue Knarre, um endlich ein gewichtiges Argument in den Ehestreit mit einbringen zu können. Es war einer jener Läden, die man aufsucht, wenn einem die Bank kein Geld mehr gibt, das Konto unter Lohnpfändung steht und der Privatkonkurs nur noch durch den plötzlichen Tod der Erbtante aufgehalten werden kann. Alles schon gehabt. Diese Art von Läden sah man neuerdings öfters im Straßenbild. Sie waren im Zuge der Kreditkrise aus Dönershops oder Handyläden entstanden und wie Pilze aus dem Boden geschossen. Die meisten waren schon wieder verschwunden.

Während ich so dastand, dass man mich von drinnen nicht sehen konnte, und las, tropfte das Wasser aus den vollen Regenrinnen herunter, bildete Lachen auf dem Asphalt des Trottoirs und erreichte endlich auch meine Unterhose. Nun, da an meinem Körper kein trockener Fleck mehr zu finden war, beschloss ich, zuerst in der kroatischen Bar nebenan mein Glück zu versuchen. Immerhin hatten die Segafredo.

In der winzigen Bar war ich der einzige Gast. Der Fernseher an der Hinterwand lief und zeigte irgendeine Premier-League-Partie. An der Wand hingen ein paar Fotos und eine kroatische Fahne. Bei einem hübschen Mädchen bestellte ich einen doppelten Espresso, und als meine Bestellung kam, versuchte ich, sie ein wenig über den Kredithai nebenan auszufragen. Nebenbei trank ich meinen Espresso, er war weder heiß noch gut, und wenn es ein Segafredo war, na dann wollte ich einen Besen fressen, samt Putzfrau.

Das Mädchen war noch keine 20, blond, mit ein paar Sommersprossen auf der Nase, und da ihr offensichtlich langweilig war, unterhielt sie sich mit mir, während mir das Regenwasser aus der Hose lief, um auf dem Boden kleine Lachen zu bilden. Über den Kredithai wusste sie nichts. Als ich schon aufgeben wollte und zahlte, beugte sie sich ein wenig nach vorn, schielte nach links und rechts, und meinte: »Er ist Jude.« Dann steckte sie mein Geld ein, nickte ernst, und ich ging hinaus.

Es regnete noch immer. In meinen Schuhen quatschte es. Ein Jude als Seelenhändler, das hatte mir noch gefehlt. Meine würdentragenden Auftraggeber waren sicher aufgeklärte Weltbürger, aber schon allein das Wort klerikaler Antisemitismus ließ mich im warmen Sommerregen frösteln. Wenn ich das Erich erzählen würde, wer weiß, vielleicht würde ich noch ein Autodafé erleben. Jetzt, wo der gegenwärtige Papst das Haupt der Inquisition gewesen war, bevor er Petris Amt übernommen hatte. Würde in der Kronenzeitung sicherlich eine nette Schlagzeile abgeben, und was Wolf Martin darauf reimen würde, ließ sich denken. Ich holte tief Luft und trat ein.

Das Innere des Kreditbüros war ein bisschen enttäuschend. Fast hatte ich ein paar rauchende Kerzen, Totenschädel und Phiolen mit blubberndem Inhalt in Rot und Grün erwartet. Doch es gab nur zwei Schreibtische, eine Tür, die nach hinten führte, und neben ihr einen Wasserspender. An den Wänden hingen ein paar Kurstafeln und Werbeplakate. Das leise Surren der Computerkühler war das einzige Geräusch, das zu hören war. Alles war modern und sachlich, nicht die geringste Spur von Eschatologie hing in der Luft.

Die beiden Arbeitsplätze waren unbesetzt, und es lagen ein paar Ausdrucke mit Tabellen darauf herum. Ich schaute mich um, doch es war niemand zugegen. Fast wäre ich an einen der Tische herangetreten, um mir das Papier und die Computer ein wenig näher anzuschauen, als ich mich dann doch entschloss, mein Hirn einzuschalten, und zuerst einmal an den Wänden hochschaute. Und da waren sie ja auch: zwei kleine Überwachungskameras. Unter beiden leuchtete ein roter Punkt, also waren sie eingeschaltet. Das mit dem Herumstöbern konnte ich mir aus dem Kopf schlagen. Ich räusperte mich und rief: »Hallo, ist jemand anwesend?« Dabei bemühte ich mich, einen respektablen Ton zu treffen.

Es dauerte ein bisschen, dann hörte ich hinter der Tür ein paar Geräusche, und es trat jemand ein. Eine junge Frau schloss die Tür hinter sich und kam auf mich zu. Sie hatte langes, lockiges, dunkles Haar und dunkle Augen mit den geschwungenen Augenbrauen einer byzantinischen Prinzessin. Sie trug einen dunkelbraunen, dünnen Pullover und einen grauen, glockenartigen Rock, der knapp über den Knien endete. Beides eng anliegend, denn da war nichts, weswegen sie sich schämen hätte müssen. Eine silberne Kette trug sie um den Hals, ansonsten keinen Schmuck. Auch geschminkt war sie fast gar nicht.

Mit einer Armbewegung bot sie mir einen Platz an und während wir uns setzten, fragte sie: »Was kann ich für Sie tun?«

»Ich bin wegen eines Kredits gekommen …«

»Dass Sie nicht zum Kokosnüsseernten da sind, kann ich mir denken. Schließlich ist das ein Kreditbüro.«

Sie sprach mit einer leichten Melodie, und ihre Verschlusslaute waren undeutlich moduliert, so als würde sie sich ein wenig über sie hinwegmogeln. Außerdem sprach sie in vollem Ernst. Da war keine Spur eines Lächelns, weder in ihrer Stimme noch in ihren Augen. Das Gesicht war sowieso ganz Pokerface. Ich hatte genug Stunden als Croupier hinter Spieltischen verbracht, um das beurteilen zu können.

»Ich habe gehört, es gibt bei Ihnen spezielle Konditionen, die man woanders nicht finden kann. Deswegen bin ich hier.«

»Wir haben jede Menge sehr guter Angebote, welches schwebt Ihnen vor?« Dabei blätterte sie in einem der Prospekte, die vor ihr auf dem Schreibtisch lagen, ohne mich auch nur eine Millisekunde aus den Augen zu lassen.

»Da wären Blitzkredite, sehr beliebt, Sie können das Geld sofort mitnehmen, in bar selbstverständlich. Die Zinsen hängen von der Laufzeit ab, zwischen drei und 21 Tagen. Ansonsten gibt es noch …«

»Nein«, unterbrach ich sie, »ich bin wegen meiner Seele hier.«

Augenblicklich hielt sie in ihrem Sermon inne und fixierte mich. Wenn ich geglaubt hatte, vorher im Fokus ihrer Aufmerksamkeit zu sein, hatte ich mich geirrt. Jetzt war ich es, und mir war nicht wohl dabei. Irgendwie kam ich mir vor wie ein Impala, dem der Löwe ins Auge blickt.

»Wir sind keine Kirche, die befindet sich die Märzstraße hinauf, am Kardinal-Rauscher-Platz, vis-à-vis des Elisabethspitals.«

»Ich habe gehört, Sie würden Seelen kaufen. Deswegen bin ich hier, ich habe eine anzubieten, ein bisschen abgewohnt zwar, aber immerhin.«

»Na gut.« Wenn möglich, war sie jetzt noch ernster als zuvor. »Allerdings kaufen wir keine Seelen, sondern nehmen sie lediglich als Sicherheit. Wenn Sie Ihren Kredit nicht bedienen können, dann und nur dann wechselt sie den Besitzer.«

»Was ist, wenn ich von vornherein gar keine Absicht habe, den Kredit zu bedienen? Schicken Sie mir dann ein Inkassokommando nach Hause?«

»Nein. Ganz sicher nicht. Uns gehört ja dann Ihre Sicherheit.«

»Sie wären das erste Büro dieser Art, das kein Inkassokommando unterhält. Für gewöhnlich sind das die großen Kerle mit den Baseballschlägern und den Problemen mit der Aggressionskontrolle. Die wahrscheinlich dort hinter der Tür gelagert sind. Haben Sie sicher schon gesehen.«

»Ich bin nicht naiv. Natürlich haben wir gewisse Mittel zur Verfügung, wenn es die Zahlungsmoral säumiger Kunden zu stärken gilt. Wenn wir allerdings Sicherheiten haben, dann ist das nicht nötig.«

»Aber es ist doch nur eine Seele.«

»Genaugenommen ist es nur ein Stück Papier, auf dem das steht.«

»Also kann jeder kommen und sich Geld abholen? Einfach so?«

»Nein, keineswegs. Er oder sie hinterlässt ja die eigene Seele.«

»Und ich kann nicht zweimal kommen?«

»Nein, der Schöpfer in seiner Gnade hat jedem Menschen nur eine Seele verliehen. Wenn die weg ist, ist sie weg.«

»Und was ist mein Unikat wert?«

»Sie ist uns gut für 500 Euro.«

»Nicht mehr? Schließlich hat Gott der Herr nur Einzelstücke angefertigt. Wird das nicht honoriert?«

»Die Bewertung Ihrer Sicherheiten obliegt uns allein. Wenn unsere Konditionen Ihnen unangemessen erscheinen, können Sie sich ja einen anderen Kreditpartner suchen.«

»Na gut, Sie haben mich in der Hand, ich brauche das Geld. Schließlich zahlt der Pfandleiher auch nie den vollen Wert für das Familiensilber. Wie steht es mit den Zinsen?«

»Laufzeit fünf Monate, jeden Monat 20%.«

»Das ist Wucher.«

»Genau.«

»Ich lasse Ihnen nur meine Seele, sonst nichts?«

»Sicherlich, nur Ihre Seele.«

»Na gut, wo muss ich unterschreiben?« Ich hatte schon in meine Jackentasche gegriffen und meine Füllfeder herausgeholt.

»Diese speziellen Fälle betreut mein Vater, aber er ist momentan geschäftlich unterwegs. Wenn Sie also wollen, dann kommen Sie heute Abend so gegen acht noch mal vorbei. Wir haben dann den Vertrag aufgesetzt und Sie haben noch etwas Zeit, sich die ganze Sache durch den Kopf gehen zu lassen.«

»Sehr gut, bis heute Abend dann.« Ich steckte meinen Füller wieder ein und stand auf.

»Wenn Sie es sich bis dahin anders überlegt haben sollten, ist das für uns überhaupt kein Problem. Bedenken Sie gut, es ist Ihre Seele, die Sie einsetzen.«

Ich verabschiedete mich und ging hinaus. Der Regen hatte inzwischen aufgehört, heiß und schwül war es noch immer. Auf dem Gehsteig befanden sich große Regenlachen, in denen die Blüten der Sommerlinden schwammen. Ich ging nach Hause.

III

Zu Hause holte ich meine Flasche aus der Ledertasche und schenkte mir einen Schluck Tee ein. Ich trank ihn aus und legte die nassen Kleider ab. Dann ging ich nackt zum Fenster, öffnete es und setzte mich in meinen Lehnstuhl, den ich vors Fenster zog. Ich wollte schon die Musik einschalten, besann mich jedoch eines Besseren und holte stattdessen mein Handy heraus und wählte. Es läutete ein paar Mal, dann wurde abgenommen.

»Hi, Reichi, Arno da.«

»Servus.«

»Juristische Auskünfte zu haben?«

»Sicherlich. Wenn du zahlen kannst.«

»Lass die Witze. Kann man seine Seele als Sicherheit bei einem Kreditabschluss einsetzen? Hält so was vor Gericht?«

»Wie meinen?«

»Kann man einen Vertrag über eine Seele schließen? Verstößt das nicht gegen die guten Sitten?«

»Hm, weiß nicht. Wie sollte es überhaupt zu einem Verfahren kommen? Der eine hat die Seele, der andere das Geld. Der mit dem Geld wird doch nicht so blöd sein und seine Seele zurückfordern, er hat ja schließlich das Geld. Der andere wollte ja die Seele, die hat er auch.«

»Was aber, wenn er sich das anders überlegt. Das meine ich. Was ist, wenn er das Geld hat und der andere will es wiederhaben, kann er einen Prozess anstrengen?«

»Anstrengen schon, doch den wird er verlieren. Wenn das Ganze auf Papier steht. Sag bloß, du hast deine Seele verkauft.«

»Noch nicht. Kommt aber noch.«

»Wo kann man das? Ich hätte auch so was. Brauch’s nicht und würd’s verkaufen.«

»Sag ich dir später, ich weiß noch nicht sicher, ob es da nicht einen Haken bei der Sache gibt.«

»Muss es geben, sonst macht das doch niemand. Seelen gibt es nicht. Ach ja, und schau in den Spiegel. Wenn du dich nicht mehr siehst, dann hat’s funktioniert.«

Damit legte Reichi auf. Was eine Seele mit einem Spiegelbild zu tun hat, verriet er mir nicht.

Ich setzte mich in meinen Lehnstuhl, langte hinüber zum Computer, drückte auf Play, und Robert Johnson legte los, während das letzte Regenwasser draußen vor dem Fenster von den Blättern der Kastanie tropfte, in die grauen Lachen im grünen Gras.

Herinnen saß ich nackt in meinem Sessel, spürte dessen rauen Stoff auf der Haut, schmeckte das leicht bittere Aroma des kalten Grüntees auf der Zunge und hatte den Blues im Ohr. Robert Johnson war ein wandernder Bluessänger der 30er-Jahre, der im Mississippidelta herumzog, von Auftritt zu Auftritt. Nur er, seine Stimme und seine Akustikgitarre. Er singt seinen Blues über Geldmangel, Liebeskummer und Arbeitslosigkeit. Die besten Stücke sind die, in denen er über seine Wanderschaft singt, die Sehnsucht nach dem Zuhause und der Angst davor, was er finden würde, sollte er je zu Hause ankommen. Der Legende nach hatte er an einem Eisenbahnübergang um Mitternacht dem Teufel seine Seele verkauft, um der beste Gitarrist aller Zeiten zu werden. Ein faustischer Charakter, der einen langsamen Tod durch vergifteten Whiskey gestorben war. Er hatte die falsche Frau gevögelt.

Das konnte mir nicht passieren, in allem anderen sprach er mir allerdings aus der Seele. Derjenigen, die mir 500 Euro wert war.

Während ich so dasaß und grübelte, war Robert bei ›Come on, into my kitchen‹ angelangt. Ein dunkler, schwerer Blues, in dessen Slideguitar-Licks sich der Duft von verfaulten Verandabrettern, Maiswhiskey und Regen finden lässt. »You better come on«, sang Robert, »into my kitchen, it’s gonna be rainin’ outdoors.« Keine andere mir bekannte Einladung ist so unheilschwanger wie die von Robert an die unbekannte Frau, die ihm nicht unbedingt treu gewesen war. Vielleicht mit Ausnahme der von Krimhild an die Burgunderkönige. Und wie das endete, ist bekannt.

Robert schloss den Song mit einer sanften Phrase, die aus dem stampfenden Blues in eine kleine, verhaltene Note führt, in deren leisem Vibrato der Song endet. Ich schaltete den Sound aus und setzte mich an den Schreibtisch, bis zum Abend ordnete ich meine Notizen, die ich vor Erichs Besuch gemacht hatte. Wie immer war das meiste davon unbrauchbar, aber so verging wenigstens die Zeit bis zum Termin bei Korkarian. Als dann die Schatten draußen länger zu werden begannen, kam eine leichte Brise durchs offene Fenster herein. Wie immer im Sommer kühlte sie nicht wirklich, sondern brachte mir die drückende Hitze nur noch mehr zu Bewusstsein. Ich stand von meinem Stuhl auf und ging in die Küche, duschen. Das Wasser war lauwarm, aber besser als nichts. Noch nass, ging ich zum Kühlschrank, holte eine Gurke heraus und schälte sie. Dann teilte ich sie in der Mitte, streute ein wenig Salz darauf, ließ ein paar Tropfen Rotweinessig darauffallen und biss in das knackige, kühle, grüne Gemüse. Ein bisschen Olivenöl wäre nicht schlecht gewesen, aber das war ausgegangen.

Schließlich zog ich mich an, ein leichtes blaues Hemd und meine dünne, braune Leinenhose. Die Schuhe waren noch immer nass, ich quatschte bei jedem Schritt. Dann schnappte ich mir meine Tasche und machte mich auf den Weg.

Draußen hatte sich die Hitze des Tages im Asphalt der Straße und in den dicken Mauern der Häuser gespeichert, alles war schon lang wieder trocken. Der Duft des Regens war verflogen, um dem Geruch der großen Stadt, die schwitzte und Müll produzierte, zu weichen. Außerdem waren viel zu viele Hunde unterwegs. Ich bog in die Tannengasse ein. Vor der Minibar, die mit einladender Leuchtreklame protzte, standen ein paar Mädchen und zeigten ihre Reize. Augenscheinlich war nicht viel los, normalerweise sind nicht alle vier gleichzeitig auf Kundenfang. Wahrscheinlich war es den Freiern auch zu heiß. Wer konnte es ihnen verdenken.

Oben am Reithofferpark saßen die Mütter mit ihren Kopftüchern noch immer auf den Bänken und knackten Sonnenblumenkerne, aber inzwischen hatten sich ihre Männer und Söhne hinzugesellt. Deren blank geputzte Autos standen auf der Straße, die Männer lehnten an ihnen und redeten. Inzwischen hatten meine Schuhe aufgehört zu quatschen, dafür begann ich mein Hemd durchzuschwitzen, alles im Leben hält sich die Waage.

Ich stand an der Kreuzung, blickte die Straße unentschlossen hinunter und holte tief Luft. Ein Moment der Schwäche, aber als ich dann in die »Korkarian Kredite« eintrat, war ich wieder gefasst. Die Computer surrten, doch es war niemand da.

»Hallo«, rief ich. Es kam keine Antwort.

Endlich machte sich hinter der Tür ein Geräusch bemerkbar und ein älterer Herr betrat das Büro. Er war zart und feingliedrig gebaut, gut einen ganzen Kopf kleiner als seine Tochter. Er trug dunklen Zwirn, gut geschnitten, ein Hemd in der Farbe ungefärbter Seide und eine grüngoldene Krawatte mit verschlungenen Mustern. Sein Haar war eisengrau, voll und gescheitelt. Die dunklen Augen wirkten so, als hätten sie viel gesehen, was sein Mund niemandem erzählen würde. Ein Mann, dem das Leben schon ordentlich eingeschenkt hatte, ohne dass er deswegen weinen würde. Wortlos wies er mir mit der Rechten, an der er einen goldenen Ring mit rotem Stein trug, einen Platz an und setzte sich. Er stützte die Ellenbogen auf dem Tisch auf, sodass er seine Finger vor dem Mund ineinander verschränken konnte. Mit der Linken drehte er den Ring mit dem roten Stein um seinen Finger.

Da er nichts sagte, begann ich zu sprechen: »Ich bin wegen eines Kredits gekommen, man hat mir gesagt, dass …«

»Weiß ich.« Er sprach hart, ganz ohne die Melodie seiner Tochter, eher so wie ein Russe Deutsch spricht, ein wenig guttural und mit ausgeprägten Reibelauten.

»Vertrag habe ich aufgesetzt, ist hier.« Er öffnete eine Ledermappe, die ich bisher nicht bemerkt hatte, und entnahm ihr ein paar Seiten Papier, von einer Klammer zusammengehalten.

»Lesen Sie durch, dann unterschreiben. Hier und hier.« Er zeigte mir die Stellen. »Dann können Sie gehen, mit dem Geld.«

»Wenn ich die Raten nicht bezahlen kann, …«

»Dann gehört Ihre Sicherheit uns«, unterbrach er mich unwirsch. »Steht alles da drin.« Mit der Ringhand wies er auf das Papier.

»Wie viele derartige Kredite …«, haben Sie laufen, wollte ich fragen, aber wieder ließ er mich nicht aussprechen.

»Das hier ist Vertragsunterzeichnung, kein Interview. Schreiben Sie oder gehen Sie. Kein Problem für uns.«

Ich holte meinen Füller heraus und unterschrieb, zweimal. Die Feder kratzte auf dem schlechten Papier.

»Dann brauchen wir noch Name, Anschrift. Passport und Meldezettel haben Sie schon hier?«

»Sicherlich.« Einmal hatte ich wenigstens mitgedacht und kramte die Papiere aus meiner Ledertasche. Ich legte sie auf den Tisch. Er drehte sich um und rief etwas in einer Sprache, die ich nicht kannte, nach hinten. Seine Tochter kam heraus, nahm die Papiere und grüßte freundlich.

»Guten Abend. Wird alles kopiert, ist gleich erledigt.«

Dem Vater war das gar nicht recht. Noch ehe ich ein ›Guten Abend‹ erwidern konnte, fuhr er sie rüde an. Wieder in der Sprache, die ich nicht kannte. Sie antwortete nicht, nickte nur und war hinten verschwunden. Derweilen blickte ich angestrengt auf den Vertrag, bloß um ihr nicht nachzuschauen. Ihre Hinteransicht war sicher genauso schön wie die Front, allerdings wollte ich ihr nicht noch mehr Schwierigkeiten machen. Ein paar Minuten vergingen, eisiges Schweigen herrschte, dann kam die Tochter zurück, tat so, als wäre ich Luft, und legte meine Papiere vor ihren Vater. Der sagte kurz etwas zu ihr, worauf sie eine Tasche von ihrem Arbeitsplatz holte und wortlos hinausging.

Der Mann sah nochmals meine Dokumente durch, verglich die Unterschriften von Pass und Vertrag, händigte mir dann ein Exemplar aus. Anschließend öffnete er eine Schatulle, entnahm ihr fünf Hunderter, zählte sie erst für sich, danach für mich auf den Tisch. Ich ließ sie noch liegen und setzte erneut zu einer Frage an.

»Ist es schon vorgekommen, dass jemand seine Sicherheit nicht ausgelöst hat?«

»Wie gesagt, das ist kein Interview. Sie haben schon unterschrieben, nehmen Sie das Geld und gehen Sie.«

Ich hatte nicht vor zu gehen, deswegen sah ich ihn einfach weiter stumm an. Er hatte auch überhaupt nicht die Absicht zu antworten. So kam es, dass wir uns anstarrten. Es war heiß und stickig in dem Büro, mein Nacken war nass wie eine Katzennase. Schließlich gab ich auf, nahm Geld, Vertrag und einen kleinen Rest Würde, packte alles in meine Tasche und ging hinaus. Mein »Auf Wiedersehen« würdigte er keiner Antwort.

Das war gar nicht gut gelaufen. Ich hatte zwar meine Seele gegen 500 Euro eingetauscht, aber erfahren hatte ich rein gar nichts. Außer, dass die Tür massiv und das Schloss gut war, ohne Spezialwerkzeug und jede Menge Erfahrung unknackbar. Noch dazu lag die Tür direkt auf die Märzstraße hinaus, irgendwer würde da immer vorbeikommen. Drinnen entging nichts den Argusaugen der Videokameras. Safe hatte ich keinen gesehen, doch es gab sicherlich einen. Wenn schon die Türen so gut waren, dann Gnade mir Gott beim Eisenschrank. Vielleicht hatte er die Daten irgendwo elektronisch gesichert, aber das war ungewiss, und da ich die Tür nicht ohne großes Risiko angehen konnte, war das ohnehin belanglos. Vielleicht war in seiner Privatwohnung was zu finden. Doch wie das herausfinden? Der Knabe war nicht mehr grün hinter den Ohren, allein war eine Beschattung fast nicht machbar. Ich hatte so was mal für Bender durchgezogen, mit Fred und ein paar anderen. Wir waren zu sechst gewesen, mit Autos und allem, aber es hatte gar nicht gut funktioniert. Ich war allein, hatte kein Auto, das bedeutete, es würde nur funktionieren, wenn er einen Heimweg hatte, den er zu Fuß ginge. Dann könnte ich ihn jeden Abend einen Block weit verfolgen, um am nächsten Tag dann dort zu warten, von wo ich einen guten Überblick auf den Punkt hätte, an dem ich ihn am Abend zuvor sausen hatte lassen. Dann wieder einen oder zwei Blocks weiter, bis ich schließlich vor seiner Haustür stehen würde. Dann untertags in seine Wohnung einbrechen, wobei ich nur hoffen konnte, dass Mama Korkarian nicht mehr lebte, weil sonst immer wer zu Hause sein würde. Alles in allem keine verlockenden Aussichten. In Gedanken vertieft war ich bis nach Hause gekommen. Vor meiner Wohnungstür kam mir zu Bewusstsein, dass ich hungrig war, aber ich hatte keine Lust mehr, irgendwohin zu gehen. Ich wollte mich in meiner Wohnung vergraben und ein bisschen herumgrübeln. Irgendwas musste doch zu machen sein.

Ich zog mich aus, hängte meine Sachen über einen Kleiderbügel und setzte mich mit einer Schale Tee in meinen Stuhl. Es war noch immer viel zu heiß, ich dachte fieberhaft nach, wollte zu keinem Ergebnis kommen, und der Sencha half auch nichts. Da hatte ich meinen Verstand im Studium geschärft, Erfahrung bei zwielichtigen Typen gesammelt, meine Seele verkauft, und, wie sagte Faust: »Hier sitz’ ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.« Dabei war ich gar nicht auf der Suche nach der Weltformel, sondern nur hinter ein paar Adressen her. Ich wollte mich gerade in Selbstmitleid ertränken, als es an der Tür klopfte.

Schnell schlüpfte ich in eine Shorts und ein T-Shirt und ging zur Tür. Das musste nun der Pudel sein. Ich öffnete, doch vor der Tür stand kein Pudel, sondern eine junge, sehr schlanke Frau. Etwa in meinem Alter, in Jeans und T-Shirt, mit einer Segeltuchtasche, die sie um die Schultern gehängt hatte. Sie trug ihr krauses, lockiges Haar sehr kurz. Der Teint war dunkel, die Augen groß und die Haltung stolz. Ihre Nase, die Stirn und die vollen Lippen verrieten, dass eines der Elternteile wohl aus Ostafrika stammte. Ich tippte auf Äthiopien. Schmuck und Schminke waren nicht ihr Ding.

»Entschuldigen Sie die späte Störung, ob Sie mir wohl ein paar Minuten Ihrer Zeit opfern könnten?« Ihre Stimme war sanft, die Aussprache sehr klar und ohne den geringsten Anflug von Akzent.

»Sicherlich. Wenn Sie hereinkommen wollen.« Ich öffnete die Tür und bat sie herein. Sie schüttelte jedoch nur kurz den Kopf.

»Lieber nicht.«

»Aber ich habe doch gar keinen Drudenfuß an der Tür hängen.«

Sie starrte mich kurz verständnislos an.

»Vergessen Sie’s, ich hab nur einen bizarren Sinn für Humor.«

»Ich habe heute noch nicht gegessen. Wenn Sie wollen, lade ich Sie zum Abendessen ein. Als Ausgleich für die Störung und ein paar Fragen.« Sie lächelte mich an. Ich war baff.

»Wenn Sie wollen, sehr gerne. Nur einen Augenblick, bis ich was Passendes angezogen habe.«

Ich schloss die Tür und suchte mein Gewand heraus. Während ich in das schweißklamme Hemd fuhr, hämmerte mir ein Gedanke im Kopf herum: In was für eine Sache hatte ich mich da bloß wieder hineingeritten?

IV

Ihr Auto parkte direkt vor der Haustür. Es war groß, schwarz und klobig, mit gelben Frontleuchten und augenscheinlich schon uralt.

»Was ist denn das?«, fragte ich. »Ein Wolga?«

Ich hatte ins Fahrzeuginnere gelinst, und einen Hirsch auf dem Lenkrad entdeckt.

»Genau. Steigen Sie ein.«

Ich blieb vorerst aber lieber draußen stehen. Sie hingegen saß schon drin.

»Der ist sicher älter als ich.«

»Kann sein, Baujahr ’73.«

»Erfüllt der überhaupt noch die Verkehrs- und Abgasnormen?«

»Wie ein Ökofreak schaun Sie mir nicht gerade aus.«

»Na ja, bloßes Interesse.«

»Mein Freund bastelt gerne. Wenn man ein bisschen herumschraubt, geht sich’s aus. Kommen Sie schon, zu Tode gefürchtet ist auch gestorben.«

Ich stieg ein und warf die Tür zu. Man sagt, die großen Automobilhersteller haben eigene Abteilungen, um den Türsound der Autos gut hinzukriegen, satt und voll soll es klingen. Damit der Kunde die gekaufte Qualität auch hört. So was hatten die tüchtigen Sowjetingenieure sicher nicht gehabt, aber der Sound war aberwitzig. Eine Mischung aus Panzerkuppel und Sargdeckel. Ich schnallte mich an, während sie den Motor anwarf. Ein Mangel an Pferdestärken konnte dem Auto nicht vorgeworfen werden.

»Wie viel hat der denn drauf?« Ich beugte mich hinüber. »Ist das wirklich eine siebenstellige Zahl?«

»Ja, wir haben diesen März die Million Kilometer geknackt.«

»Rechnen die Russen nicht in Werst?«

»Keine Ahnung. Großer Unterschied?« Sie blickte über die Schulter, als sie losfuhr.

»Nein.«

»Na, dann ist es egal.«

»Säuft er viel?«

»Sicher, ist ein echter Russe.«

»Was?«

»So ziemlich alles. Ich glaube, man kann sogar Rohöl tanken. Wenn der letzte Benz der Welt mit einem Kolbenfresser liegen bleibt, dann fährt noch irgendwo ein Wolga. Diese Autos sind unverwüstlich. Und irgendwie finde ich ihn sogar schön. Nicht George-Clooney-mäßig, sondern eher Richtung Jack Nicholson.«

Da war was dran. Der Wagen hatte was, was nicht alle haben. Stil. Die Fenster waren unten, die Abendluft kühlte wohltuend, und wir fuhren die Hütteldorferstraße nach Westen. Zwischen den Häusern blinzelte uns die untergehende Sonne entgegen, die rot hinter dem Wienerwald zu verschwinden begann. Schließlich kamen wir die Maroltingerstraße hinauf nach Ottakring. Zwischen ein paar Wohnblocks und einem niedrigen Ziegelgebäude bog meine Fahrerin links ab und wir kamen nach ein paar Metern vor einer Pizzeria zu stehen. ›Alfredo‹ stand auf dem Leinentransparent, das über dem Eingang hing. Die Wohnblocks hinter uns waren die letzten Vorposten der dicht bebauten Stadt. Vor uns lagen grüne Hügel, mit Einfamilienhäusern und Kleingartensiedlungen bebaut. Entfernt im Eichenwald glänzte die goldene Kuppel der Otto-Wagner-Kirche, die innen aussieht wie ein U-Bahn-Klo.

»Ich hoffe, Sie sitzen gerne draußen. Die Sommerabende in Wien haben für mich immer so ein Italiengefühl.«

Mit diesen Worten stieg sie aus und warf die Tür zu. Mir blieb nichts anderes übrig, ich musste auch aussteigen. Gegen italienisches Essen habe ich nichts einzuwenden. Draußen sitzen mag ich gar nicht. Ich will meine Bücher auf Papier, meinen Tee aus der Kanne und mein Essen unter Dach. Gegen Pixel, Teebeutel und Freiluft hege ich eine entschiedene Abneigung. Aber da sie das Geld hatte, musste ich wohl oder übel meine Abneigung hinunterschlucken. Also folgte ich ihr widerspruchslos.

Auf einer Terrasse aus Waschbetonplatten standen unter ein paar Birken etwa zehn schön gedeckte Tische aus dunklem Holz, mit dazu passenden Stühlen. Ganz hinten war noch ein Zweiertisch frei, und ein Kellner führte uns hin. Auf der anderen Seite der Terrasse drehte sich ein Wasserrad, lebensfroh glucksend. Zusammen mit dem Gemurmel der Essenden ergab das eine nette Atmosphäre.

Wir bestellten, danach hielt ich es nicht mehr aus.

»Also, schießen Sie los. Was wollen Sie von mir?«

»Sie haben doch heute einen Kredit abgeschlossen, oder?«

»Worauf wollen Sie hinaus?«

Sie nippte an ihrem Weinglas. Ein roter Sizilianer, ein Primitivo. Dann holte sie ein Notizbuch heraus.

»Auf die Konditionen.«

»Das ist Privatsache.«

»Also soll die Rechnung auch Privatsache sein?«

»Ich habe gerade einen Kredit abgeschlossen. Ich schwimme im Geld.« In fünf Scheinen. Das sagte ich jedoch nicht dazu.

Sie nahm noch einen Schluck.

»Hm, der ist gut, so erdig und voll.« Sie ließ den Geschmack noch ein wenig nachwirken, bevor sie weitersprach. »Fangen wir noch mal von vorne an.«

»Einverstanden.«

»Ich bin Marianne Schauberger, Journalistin und hinter einer Story her.«

Schade, irgendwie hatte ich auf mehr gehofft, sowohl was Namen als auch Hintergrund anging. Das klang mehr nach Waldviertel als nach einer abessinischen Schönheit. Ich brach mir ein Stückchen Weißbrot ab und tauchte es in Olivenöl. Ausgezeichnetes Brot, weich, sanft, guter Biss und perfektes Öl, leicht bitter und scharf, mit einem Hauch Zitrusnote.

»Und Sie sind?«

»Arim Shirandzmi. Arbeitslos und hinter einem Abendessen her. Aber ich denke, das wissen Sie längst.«

»Wieso?«

»Weil es auf meiner Wohnungstüre steht.«

Sie lächelte.

»Wohnungstüren haben manchmal falsche Namen.«

»Wirklich? In meinem Fall nicht.«

»Gemeldet ist in der Wohnung ein anderer.«

»So? Wer?«

»Ein Dr. Arnold Linder, Lektor an der Uni Wien.«

»Kenn ich nicht, den Typen.«

»Ist ein interessanter Kerl. Hat eine Polizeiakte, so dick wie die von Udo Proksch.«

Sie öffnete ihr Notizbuch und orientierte sich einen Augenblick. Die Seiten waren voll mit einer kleinen, genauen Schrift in Blau. In dem Moment hätte ich meine Seele hergegeben, um in dem Notizbuch zu lesen, aber die hatte ich ja schon verkauft. Dann begann sie vorzulesen.

»Das Ganze beginnt ’97, da hat man Sie bei einer Razzia in einem Bordell mitgenommen. Haben dort gearbeitet. Im gleichen Jahr hat man Sie beim Autoklauen erwischt, leider stellte sich heraus, dass es Ihr eigenes Auto war. In den nächsten Jahren gibt es jede Menge Einträge wegen Verwicklungen in Eigentumsdelikte, Gewalttaten, illegales Glücksspiel, …«

Sie wollte die Liste offensichtlich fortsetzen, aber ich unterbrach sie.

»Ich weiß, was ich getan habe. Damit können Sie mich nicht unter Druck setzen. Ich wurde nie verurteilt. Nicht mal eine Vorstrafe können Sie mir nachweisen.«

»Das will ich auch gar nicht. Ich wollte Ihnen nur zeigen, dass ich gut recherchiere.«

»Gut recherchieren? Machen Sie sich nicht lächerlich. Ihre Zeitung zahlt in den Urlaubstopf der Polizei, dann reicht ein Anruf. Da sucht der Polizeipräsident persönlich. Nur bei heikleren Sachen muss nachgezahlt werden.«

Ich war sauer. Solche Quellen hätte ich auch gerne gehabt. Bei der Polizei saßen jedoch leider keine Freunde von mir, und wenn ich in den Topf gezahlt hätte, würde sich die Kiberei nur schiefgelacht haben.

»Der Umgang mit sensiblen Daten unterliegt der journalistischen Ethik.«

»Blödsinn, der Auflage. Ihr hättet Haider schon vor 15 Jahren den Garaus machen können, Ähnliches gilt für Strache, aber so hättet ihr mit ihnen keine Auflage mehr gemacht. Nur wenn es um normale Bürger geht, habt ihr keine Skrupel. Journalistische Ethik gabs vielleicht noch im 19. Jahrhundert. Heute gibt es nur mehr Vermarktbarkeit, Reichweiten und Anzeigenpreise.«

Ich brach mir noch ein Stück Brot ab. Weißbrot mit Olivenöl beruhigt kolossal.

»Aber wir wollen uns nicht streiten. Sie sind hinter einer Story her«, lenkte ich ein.

»Korkarian vergibt interessante Kredite. Ich bin ihm schon einige Zeit auf der Spur. Heute hab ich gesehen, wie Sie in sein Büro gingen. Dann bin ich Ihnen gefolgt und habe ein bisschen telefoniert. Sie können mir nicht einreden, dass Sie nur wegen eines Kredits dort waren. Also, was wissen Sie von ihm?«

»Warum gehen Sie nicht selbst hin und schauen es sich an? Fürchten Sie etwa um Ihr Seelenheil?«

»Ach wo, Seelen gibt’s nicht. Ich war schon dort, doch es hat nicht geklappt.«

»Warum?«

»Weil Korkarian ein Rassist ist. Er meinte, ›Negerseelen‹ nehme er nicht. Genau so hat er sich ausgedrückt.«

Sie nahm einen Schluck Wein. Ihr Glas war fast leer.

Ich glaubte eher, dass Korkarian gemerkt hatte, dass da was im Busch war. Als er den Braten gerochen hatte, wollte er kein unnötiges Risiko eingehen. Rassist war er vielleicht trotzdem, aber das hätte ihm sicher nicht das Geschäft vermasselt. Dafür war der harte kleine Mann zu beherrscht.

In dem Moment kam unser Essen. Für sie ein Nudelgericht, für mich Gnocchi mit Steinpilzen gefüllt und kurz angebratenen Lungenbratenstreifen garniert. Das Essen war sehr gut. Die Gnocchi waren kartoffelig und zäh, das Fleisch wunderbar zart, und alles eingehüllt in das Aroma von gutem Parmesan. Frau Schauberger bestellte sich noch ein Glas Primitivo.