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Kapitel 1. Wer wird denn gleich sterben? – Seekrankheit und Charakter – Salzwasser als Medizin – Lackel und Rabauken – Odysseus war nie seekrank – Heldenhafter Kampf im Taifun – Naturheilmittel gegen Seekrankheit Da lag ich also in der engen Hundekoje, mir war hundeelend und ich wollte eigentlich nur noch sterben. Aber für einen darin ungeübten Anfänger ist das gar nicht so leicht. Auf alle Fälle wusste ich jetzt, woher die Hundekoje ihren Namen hat. Das Wasser rauschte mit einem Höllenlärm an der Bordwand entlang und verstärkte dadurch die angsterregende Vorstellung, nur durch ein paar Zentimeter Kunststoff von einer fürchterlichen Wassertiefe getrennt zu sein. Die Koje taumelte in nicht vorhersehbaren Kurven in alle Richtungen. Es war stickig unter Deck, alle anderen saßen im Cockpit, und nur wenn ich mich dazu aufraffte, den Kopf zu heben, sah ich aus meiner Backbord-Hundekoje ein Stückchen bewölkten Himmels durch den Niedergang. Ab und zu beugte sich auch ein Kopf eines Mitseglers mit einem Gesichtsausdruck aus einer Mischung von Schadenfreude, Mitleid und Stolz auf die eigene Seefestigkeit herein, um das Häufchen Elend zu betrachten. Wollte doch da tatsächlich einer über den Atlantik und warf sich gleich auf den ersten Meilen der Seekrankheit zum Fraß vor! Seekrankheit! Was ist darüber schon alles geschrieben worden! Keiner, der sie nicht am eigenen Leib erfahren hat, kann sich eine Vorstellung davon machen! Die Antwort auf die Frage, nach welchen Kriterien die Natur die Gabe der Resistenz gegen und umgekehrt Disposition zur Kinetose verteilt oder – banal ausgedrückt – wem sie Seefestigkeit schenkt und wen sie mit Seekrankeitsanfälligkeit straft, hat sie bislang hartnäckig für sich behalten. Für mich allerdings steht fest, dass nur sensible, empfindsame und intelligente Naturen von der Seekrankheit befallen werden und dass alle, die schon mit Seebeinen auf die Welt kommen, grobe Lackel sind oder noch schlimmere Charakterfehler haben. Oft genug bringen Letztere nur Spott und Hohn, aber nichts Hilfreiches für ihre seekrankheitsgeplagten Mitsegler zuwege. Dann erzählen sie in solchen Krisen auch noch lustvoll von fettem, lauwarmem Speck und ähnlichen Delikatessen oder schlagen andere Heilmittel wie Salzwassertrinken und einen ordentlichen Schluck Rum vor. In solchen Augenblicken wünsche ich mir, ich hätte noch genügend Kraft, um diese Burschen zu erwürgen. Aber das ist ja das Heimtückische an der Bewegungskrankheit, dass man nicht einmal mehr dazu in der Lage ist. Als Beweis für meine These kann ich eine ganze Reihe von Seefahrern anführen: zum Beispiel Noah. In der Bibel steht nichts von Seekrankheit, obwohl er damals zum ersten Mal auf See war, und das bei diesem Wetter: 40 Tage und Nächte nichts als Regen und Sturm! Jedoch keine Seekrankheit! Aber man weiß ja, was Noah für ein Charakter war. Nach der Sintflut kaum wieder an Land, lässt er sich mit Wein so volllaufen, dass er nachher völlig weggetreten und nackt zum Gaudium beziehungsweise Ärger seiner Söhne im Zelt herumliegt. Dass so einer nicht seekrank wird, ist doch klar. Darin gleicht er vielen Seglern, die dazu allerdings keinen Anlass wie die Sintflut brauchen. Die werden nämlich auch nicht seekrank. Oder nehmen Sie die Griechen, die wegen der schönen Helena nach Troja segelten und unterwegs auch noch ihren Mitsegler Philoktetes auf der einsamen Insel Lemnos aussetzten, nur weil er ein bisschen streng roch. Auch heute noch erfüllen viele Segler diese Bedingung für ein Aussetzen ohne jede Mühe, werden von ihren Kameraden aber trotzdem klaglos an Bord behalten. Nicht so die Griechen! Lassen den Armen, allein und schwer krank, rücksichtslos auf der unwirtlichen Insel zurück. Neun Jahre später mussten sie ihn reumütig von dort wieder abholen, allerdings nicht, ohne ihm dabei falsche Tatsachen vorzugaukeln. Wenn das keine groben und wenig feinfühligen Rabauken waren! Aber dass irgendein Grieche seekrank geworden wäre, dafür findet der edle Homer kein einziges Wörtchen. Oder gar Odysseus, der maßgeblich an der miesen Behandlung des Philoktetes beteiligt war. Er erfindet das trickreiche Trojanische Pferd, um endlich in Troja morden und brennen zu können, schippert danach zehn Jahre lang mit den fadenscheinigsten Ausreden, wie viele Segler heute noch, auf dem Mittelmeer herum, poussiert überall mit allen möglichen Zauberinnen und Königstöchtern, brennt armen Zyklopen ihr einziges Auge aus und erschlägt beim Nachhausekommen Hunderte von Gästen auf einer von seiner Frau veranstalteten Party. Wer so etwas macht, zu dem passt auch, dass er nicht seekrank wird. Homer hätte sicher einen schönen Hexameter gedrechselt, wenn Odysseus auch nur einen Anflug jener verfluchten Qual verspürt hätte: Da fällt aus Odysseus’ ergrüntem Gesichte und offenem Mund, das Schicksal verfluchend, gelehnt an des Schiffes gezimmert Geländer, gleich all das Tsatsiki, zudem die Souvlaki, erst gestern genossen. – Oder so ähnlich. Oder die Wikinger! Nicht ein einziger Hinweis auf Seekrankheit! Terrorisieren jahrzehntelang halb Europa, saufen fässerweise Met, gründen Russland, verdingen sich als Söldner oder veranstalten Berserkerläufe, aber werden nie seekrank, obwohl sie mehr Zeit auf See als an Land verbringen. Alles grobe Lackel! Man muss ihnen jedoch zugutehalten, dass sie Amerika entdeckten und es links liegen ließen. Als ob sie gewusst hätten, was einmal aus Amerika werden sollte. Wie habe ich all die Seefesten beneidet, trotz all ihrer charakterlichen Nachteile! Was habe ich nicht schon alles ausprobiert gegen diese Plage! Medikamente und Pflaster oder gar Akupunktur. Nichts hat geholfen. Bei der Akupunktur habe ich mich gewundert, dass der Medizinmann mir die Nadeln ins Ohr stach, wo mir doch immer im Magen übel wurde! Aber ich bin sicher, er hätte mich am ganzen Leib mit Nadeln spicken können wie ein Fakirbrett – es hätte doch nichts gebracht. Dann hatte ich vor einem Törn eine andere glänzende Idee. Es ist ja in Segler- und Medizinerkreisen allgemein bekannt, dass nach zwei, drei Tagen auf See der Spuk oft vorbei ist. Das hatte ich selbst so am eigenen Leib bereits erfahren, sonst hätte ich das Segeln schon längst aufgegeben. Aus dieser Tatsache heraus hatte ich auf einen Gewöhnungseffekt geschlossen. Das musste man doch zu Hause trainieren können! Mir wird auf jeder Schaukel nach kurzer Zeit übel, vor allem – nomen est omen – auf einer Schiffschaukel. Also sagte ich zu mir: „Bursche, du musst als Vorbereitung jeden Tag nur ein wenig schaukeln, bis die ersten Anzeichen der Übelkeit auftreten. Mit der Zeit werden dann die Zeitintervalle immer länger und eines Tages macht dir das Schaukeln gar nichts mehr aus und du kannst mit Zuversicht deinen Törn antreten.“ Ich ließ mich von mir selbst überzeugen und befestigte an der Kellerdecke zwei Augbolzen, riggte eine einfache Kinderschaukel auf und begann mein Training. Eigenartigerweise bemerkte ich nach einer halben Stunde noch keine Wirkung, wo mir doch sonst schon beim Zusehen schwindelig wird. Ich schob es auf die fehlende innere Einstellung, holte mir das Buch Taifun von Joseph Conrad, um die Vorstellung der Zustände an Bord bei schwerstem Wetter und schwerster See anzuregen, und begann bei meinem Training zu lesen. Nach einer Stunde spürte ich immer noch nichts. Hatte ich etwa eine Schnellmethode zur Heilung der Seekrankheit entdeckt? Da würden die Fachleute aber Augen machen! Ich sah mich schon auf dem Titelblatt des Journal of Medicine oder zumindest der Yacht. Schnell fand ich mich aber wieder auf dem Boden der Tatsachen – im wahrsten Sinn des Wortes –, als einer der Augbolzen wegen mangelnder Biegewechselfestigkeit brach und ich nach Grundberührung mit geprelltem Steißbein mein Training aufgeben musste. Trotzdem war ich sehr stolz, einen Taifun ohne Seekrankheit überstanden zu haben! Das sollte mir erst einmal einer nachmachen! Nach wie vor kennt die Welt kein Mittel gegen die Seekrankheit. Auf die Pharmaindustrie ist kein Verlass, die Mediziner müssten schamvoll ihre Häupter verhüllen und auch moderne Trainingsmethoden scheitern an Materialschwächen! Ein unfehlbares Heilmittel gegen diese Seuche gibt es allerdings. Keine Medikamente oder Pflaster oder gar Akupunktur. Nein, ein Naturheilmittel: Zehn Minuten auf einer grünen Sommerwiese liegen und das Übel ist wie weggeblasen. Leider sind nur die wenigsten Boote mit so etwas ausgerüstet. Darüber sollten sich die Bootshersteller doch einmal Gedanken machen oder die Seeberufsgenossenschaft! Doch nach all dem zurück zur harten Wirklichkeit in meiner Koje. Da lag ich also und litt unter dem Unvermögen der Wissenschaft, ein so dringendes Problem zu lösen. Ich fragte mich, wie ich überhaupt in diese Lage gekommen war: „Horst, wie bist du überhaupt in diese Lage gekommen?“ Natürlich konnte ich in diesem Augenblick und in diesem Zustand von mir keine vernünftige Antwort erwarten und so beendete ich diese interessante, aber ergebnislose Unterhaltung und versuchte, die nächste Welle der Seekrankheit zu überstehen. Mit deren Abebben fand ich erneut ins Grübeln und erinnerte mich nach und nach daran, wie ich in dieses masochistische Vergnügen geraten war.
  • Formate: epub
  • ISBN: 9783946014515
  • Verlag: MILLEMARI.
  • Autor: Horst Reindl
  • EAN: 9783946014515
  • Buchtyp: E-book
  • Sprache: Deutsch
  • Kopierschutz: Wasserzeichen
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