Finn Ritter
Die 40 fiesen Tricks des Arminius
So kämpften die alten Germanen
Schwaigverlag
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation (Taschenbuch-Version) in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind abrufbar unter: http://dnb.d-nb.de
Cover-Gestaltung: Daniela Mecklenburg
Grafik-Support: Johannes Munker
Lektorat: Michael Lohmann
Cover-Motive: AKG-Images; Adobe Stock
ISBN der Taschenbuch-Ausgabe: 978-3-948211-00-4
Arminius war ohne Zweifel der Befreier Germaniens, der nicht wie andere Heerführer das römische Volk in seinen Anfängen, sondern ein Reich in seiner ganzen Blüte herausgefordert hatte.
Publius Cornelius Tacitus
Der Aufstand des Arminius war zum Scheitern verurteilt – eigentlich. Viele Völker des Altertums haben sich mit dem Schwert in der Hand gegen die Fremdherrschaft der Römer aufgelehnt. Sie kämpften vergeblich: die Gallier des Vercingetorix, die iberischen Kantabrer, die wilden Sugambrer am Rhein oder die Pannonier; in späterer Zeit die Britannier, die Juden oder die Bataver, um nur einige zu nennen.
Arminius und seine Cherusker hatten im Jahr 9 im Teutoburger Wald drei römische Legionen unter dem Statthalter Varus vernichtet – doch nur ein Jahr später standen sechs neue am Rhein. Die Germanen ahnten: Die Zeit der Bewährung rückte näher.
Wir wissen heute, dass die Krieger die Prüfung bestanden. Doch wie haben sie das geschafft?
Das vorliegende Buch stellt vierzig Maßnahmen und mitunter fiese Tricks der Krieger vor. Warum beispielsweise haben die Germanen um die Zeitenwende ihre Schwerter verkürzt und schließlich abgeschafft? Warum kamen die Römer einem germanischen Schild besser nicht zu nahe? Warum wurde es gefährlich für die Legionäre, wenn die Krieger vor ihnen flohen? Oder warum kämpfte die germanische Reiterei lieber zu Fuß, obwohl sie der römischen überlegen war?
Die Gründe für das Scheitern des Imperiums in Germanien (Augusteische Germanenkriege) waren komplex. Die Tricks beleuchten nur einen kleinen Ausschnitt. Viele Aspekte auf römischer Seite können nur gestreift werden.
Obwohl die Betrachtung also unvollständig und einseitig germanisch bleiben muss – bei der umfangreichen Literatur zu Rom und seinen Legionen sicherlich kein übermäßiger Schaden –, soll dennoch versucht werden, die Bedeutung der dargestellten Tricks zumindest grob einzuordnen. Das Ergebnis visualisieren Sternchen am Ende jedes Kapitels. Überdies zeigen Punkte an, wie sicher der Trick durch die Quellen oder die Archäologie belegt ist.
Bedeutung des Tricks:
* * * Entscheidende Bedeutung
* * Mittlere bis große Bedeutung
* Geringe Bedeutung
Sicherheit der Überlieferung:
° ° ° Eindeutig belegt
° ° Nicht eindeutig belegt, aber anzunehmen
° Unsicher überliefert oder für die Arminius-Zeit spekulativ
Stichwort: Arminius | Arminius (um 17 v. Chr. – um 21 n. Chr.) führte die Rebellion der Germanen gegen Varus sowie die Kämpfe in den Jahren danach an. Tacitus nennt den Cherusker liberator germaniae, Befreier Germaniens. Der germanische Name des Arminius ist unbekannt. Die Bezeichnungen ›Armin‹ oder ›Hermann‹ sind ebenso spekulativ wie die Gleichsetzung mit dem Siegfried der Nibelungensage. Arminius erwies sich zunächst als treuer römischer Bundesgenosse und fähiger Anführer germanischer Hilfstruppen. Ab dem Jahr 9 jedoch setzte er seine profunden Kenntnisse über die Legionen erfolgreich gegen die Römer ein.
Weniger erfolgreich war am Ende die Innenpolitik des Cheruskerfürsten. Gegen den Willen des Fürsten Segestes heiratete er dessen Tochter Thusnelda und vertiefte damit die Kluft zwischen den Adelsfamilien. Schließlich machte ihn der Machtzuwachs nach der Vertreibung der Römer zur Zielscheibe von Adelsintrigen. Wohl im Jahr 21 wurde Arminius von der eigenen Verwandtschaft ermordet.
Die Burg des Germanen war der Wald. In seine Tiefen flüchtete er bei Gefahr, in seinen Schutz verbrachte er die bewegliche Habe. Die Hütten und Dörfer gab er preis – mochte der Feind sie niederbrennen, sie waren rasch wieder aufgebaut.
Ganz ähnlich hielten es noch tausend Jahre später die Geächteten um den legendären Robin Hood. Unter der Führung des angelsächsischen Bogenschützen machten sie den Sherwood Forest zum Sperrgebiet für die Soldaten des Sheriffs von Nottingham. Auf freiem Feld waren sie den Truppen unterlegen, in den Wäldern hingegen galten ihre Regeln. In Germanien entzogen sich ganze Stämme auf diese Weise dem Zugriff der Legionen.
Die antiken Autoren bezeichneten ein germanisches Waldversteck als refugium. Die refugia hatten sie im Sinn, wenn sie Germanien als Land der Urwälder und Sümpfe beschrieben. Gerecht wurden sie der Landschaft damit nicht. Sie prägten vielmehr ein Klischee, das bis heute nachwirkt. Tatsächlich hatten bereits die Bauern der Jungsteinzeit damit begonnen, den Wäldern Weide-, Acker- und Siedlungsland abzutrotzen. Fernwege mit genormten Spurweiten, darunter die legendären Bernsteinstraßen, verbanden die Landschaften der Bronzezeit miteinander. Große Siedlungskammern der Eisenzeit sorgten für offene Landstriche, zum Beispiel in der Wetterau oder im Leinetal. In der römischen Kaiserzeit schließlich waren alle fruchtbaren Landschaften bevölkert.
Selbstverständlich waren viele Wälder und Sümpfe unberührt geblieben. Doch sie bedeckten Germanien nicht flächendeckend. Sie bildeten vielmehr große Inseln, mitunter ausgedehnte Barrieren, in einer ansonsten durchaus zugänglichen Landschaft.
Erstmals Bekanntschaft mit den refugia machten die Legionen im Jahr 56 v. Chr. im Nordosten Galliens. Die Moriner und Menapier, keltisch-germanische Mischstämme, »gingen daran, den Krieg auf andere Art zu führen als die übrigen Gallier«, berichtet Caesar. »Sie brachten sich und ihre Habe in den Wäldern und Sümpfen in Sicherheit. Als Caesar am Rand der Waldgebiete angelangt war, stürmten die Feinde von allen Seiten aus dem Wald hervor und eröffneten den Angriff auf unsere Soldaten. Diese trieben die Feinde in die Wälder zurück, folgten ihnen jedoch zu lange in unwegsamem Gelände, sodass sie einige von ihnen verloren.«
Das zentrale Problem der Römer tritt in diesem Bericht zutage: Die Truppen konnten zwar in die Wälder eindringen, aber sie waren dabei gezwungen, große Verbände aufzuteilen und ihre taktische Ordnung aufzugeben – hochriskant für die Legionäre.
Die Lösung war radikal: »Caesar befahl nun, die Wälder abzuholzen. Innerhalb weniger Tage hatte man mit unglaublicher Schnelligkeit eine große Strecke kahlgeschlagen, sodass unsere Soldaten schon im Besitz des Viehs und des hintersten Trosses der Feinde waren, während diese sich in die dichteren Waldgebiete abzusetzen versuchten.«
In Germanien musste dieses Vorgehen an der Größe der Gebiete scheitern. Doch zumindest in der Nähe des Rheins trieben die Soldaten breite Schneisen, die limites, in die Waldgebiete vor. Die öffneten die Wälder, erleichterten die Überwachung und erlaubten den Marsch der Legionen in breiter und damit sicherer Formation. Später sollte sich der römische limes in mehreren Ausbau- und Befestigungsstufen aus solchen Schneisen entwickeln.
Die Strapazen einer Flucht in die Wälder waren groß, insbesondere wenn sie eilig zu erfolgen hatte. Germanen, die zu alt oder zu schwach waren, erwarteten ihr Schicksal in ihren Hütten. Tacitus berichtet über die Frühjahrsoffensive des Germanicus im Jahr 15: »Doch nahte man den Chatten so unerwartet, dass alle, die aufgrund ihres Alters oder Geschlechtes schwächlich waren, auf der Stelle gefangen oder totgeschlagen wurden.«
Arminius erlebte die Flucht in die Wälder als Kind mit. In den Jahren der Drusus-Feldzüge (12 bis 9 v. Chr.) mussten sich die Cherusker wiederholt dem römischen Zugriff entziehen. Auch während des immensum bellum, des ›Gewaltigen Krieges‹ (1 bis 5 n. Chr.) könnten die refugia eine Rolle gespielt haben. Auf wessen Seite Arminius in diesem Konflikt stand, ist nicht ganz klar. Es ist überliefert, dass sich zu jener Zeit eine cheruskische Adelsfamilie im römischen Exil befand, vielleicht die des Arminius. Möglicherweise kämpfte der Fürstensohn sogar auf römischer Seite mit. Jedenfalls hatte er Not und Elend der Flucht, aber auch die lebensrettenden Möglichkeiten der Waldverstecke früh kennengelernt. Später sollten ihm diese Erfahrungen als Anführer des germanischen Widerstands zugute kommen.
* * * / ° ° ° | Die refugia sind bestens belegt. Sie spielten eine entscheidende Rolle. Die Krieger verlagerten die Kämpfe in die Wälder und Sümpfe – und schufen damit das zentrale militärische Problem der Römer in Germanien. Tacitus stellt es ganz an den Anfang einer Aufzählung der strategischen Kernprobleme der Römer. Darüber hinaus boten die Wälder der Bevölkerung Schutz. Die Legionen mochten jedes Jahr von neuem sengend und brennend durch das Land ziehen – die Germanen waren einfach nicht zu packen.
Stichwort: Strategische Kernprobleme | Tacitus benennt sechs strategische Kernprobleme der Römer in Germanien (Ann. 2,5,3): »In offener Schlacht und auf richtigem Gelände würden die Germanen geschlagen, durch Wälder und Sümpfe, den kurzen Sommer und den vorzeitigen Winter aber unterstützt. Dem Heer würden nicht so sehr Verwundungen als vielmehr die weiträumigen Märsche und der Verlust an Waffen zusetzen. Gallien sei durch die Beschaffung von Pferden erschöpft. Ein langer Tross wäre Angriffen ausgesetzt und schlecht zu verteidigen.«
Näher beschrieben sind diese Kernprobleme in den Kapiteln 1, 2, 7, 31, 32 und 35.
[1] Caes. B.G. 3,28
[2] Caes. B.G. 3,29
[3] Tac. Ann. 1,56,3