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Der Prunk und die Pracht königlicher Paläste suggerieren vergangenen Luxus und übersprudelnde Lebensfreude, doch hinter der glänzenden Fassade verbergen sich nicht selten Unglück und Leid. So gibt es wohl kaum einen Fürstenhof, an dem sich nicht im Laufe der Jahrhunderte die eine oder andere Ehetragödie abgespielt hat. Dass die Leidtragenden dabei fast immer Frauen waren, wundert nicht. Denn Glück und Macht hingen oft eng zusammen. Und da Männer zumeist über weitaus mehr Macht verfügten als Frauen, hatten sie auch mehr Möglichkeiten, ihr Privatleben zu gestalten und ihr persönliches Glück zu finden, wenn die Verbindung aus Staatsräson nicht die Erwartungen erfüllte.
Frauen stand diese Freiheit natürlich nicht offen. Sie mussten ausharren, wohin hohe Politik und Staatsräson sie hingestellt hatten, und erdulden, was man ihnen antat. Und das bis zum bitteren Ende. Jene, die »nur« betrogen wurden und sich damit abfinden mussten, dass ihnen eine Mätresse den Rang als erste Dame des Hofes ablief, durften sich geradezu glücklich schätzen. Denn die Palette des Eheleids, das so mancher Königin zugemutet wurde, reichte von Vernachlässigung und Demütigung bis hin zu psychischer und physischer Misshandlung.
Hinzu kam der bisweilen unerträgliche Druck von Seiten der eigenen als auch der angeheirateten Familie. Man erwartete von den Frauen nicht nur, dass sie ihr Los stumm und mit königlicher Würde und Haltung hinnahmen, sondern dass sie auch tunlichst ihre oberste Pflicht erledigten, sprich Nachkommen in die Welt zu setzen. Eine Fürstin, der Kinder versagt blieben, wurde nicht selten in tiefste Verzweiflung gestürzt. Denn die Geburt eines Erben entschied nur allzu oft Glück, Anerkennung, Stellung und manchmal sogar das Leben der königlichen Gemahlin.
Wie wenig Frauen galten, wie respektlos mit ihnen umgegangen wurde, selbst wenn sie eine Krone trugen, und wie sehr sie ihren Ehegatten, im wahrsten Sinne, mit Leib und Seele ausgeliefert waren, das bewies wohl am spektakulärsten Heinrich VIII. von England, der gleich zwei seiner Gemahlinnen aufs Schafott schickte, als er ihrer überdrüssig geworden war.
Andere bezahlten zwar nicht mit dem Leben dafür, dass sie die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllten, doch war ihr Schicksal kaum weniger grausam. Josepha von Bayern etwa, die ihrem Gemahl, Kaiser Joseph II., innig zugetan war und alles tat, um seine Zuneigung zu erringen, erntete von ihm nichts als Grobheit, Demütigung und Verachtung. Ähnlich wie der unglücklichen Josepha erging es auch Elisabeth Christine von Braunschweig an der Seite Friedrichs des Großen. Und Leopoldine von Österreich musste im fernen Brasilien sogar körperliche Misshandlungen von ihrem Gemahl hinnehmen, während die Ehehölle von Kronprinz Rudolf und Stephanie von Belgien vor allem durch gegenseitiges Unverständnis und seelische Grausamkeit geprägt war.
Die meisten dieser Frauen litten pflichtgemäß und verschwanden schließlich im Dunkel der Geschichte, ohne besondere Spuren zu hinterlassen. Einigen wenigen aber gelang es, durch ihre starke Persönlichkeit Akzente zu setzen und das politische Geschehen ihrer Zeit mitzuprägen. So ist der Name Anne Boleyns etwa eng mit dem Beginn der Reformation in England verbunden, Brasilien verdankt seine Unabhängigkeit zu einem Gutteil dem Wirken Leopoldines von Österreich und die Habsburgerin Maria Christine führte als Regentin Spanien ins 20. Jahrhundert.
Aufgrund der Vielzahl unglücklicher Ehen an Europas Fürstenhöfen fiel die Auswahl für das vorliegende Buch nicht leicht. Sie wurde schließlich nach dem persönlichen Interesse der Autorin getroffen und in dem Bestreben, neben bekannteren auch weniger bekannte Schicksale zu präsentieren.
Anne Boleyn und Katherine Howard, Gemahlinnen Heinrichs VIII. von England
Anne Boleyn
Am 2. April 1502 starb Arthur, Prinz of Wales, ältester Sohn König Heinrichs VII. von England. Er war nur fünfzehn Jahre alt geworden, hinterließ jedoch bereits eine Witwe: die sechzehnjährige Katharina von Aragon, jüngste Tochter der Katholischen Könige, Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon.
Die hoffnungsvolle Ehe, welche die guten Beziehungen zwischen England und Spanien festigen sollte, hatte nur wenige Monate gedauert und Katharina befand sich nun in der wenig beneidenswerten Situation, abwarten zu müssen, wie man weiter über sie verfügen würde. Ihre Eltern und Schwiegereltern kamen jedoch rasch überein, sie praktischerweise mit Prinz Heinrich, dem jüngeren Bruder ihres verstorbenen Gatten, wieder zu verheiraten. Dies würde einerseits die Fortsetzung der eingeschlagenen Politik Gewähr leisten, andererseits war der als ausgesprochen geizig bekannte Heinrich VII. damit seine Sorge los, die ansehnliche Mitgift, die er für Katharina kassiert hatte, wieder hergeben zu müssen. So wurde am 23. Juni 1503 der Verlobungsvertrag unterzeichnet.
Einer Ehe zwischen Katharina und Heinrich standen jedoch zunächst zwei Dinge im Wege. Das eine war die Jugend des Bräutigams – Heinrich zählte damals erst zwölf Jahre und es würde noch eine geraume Zeit dauern, bis er das heiratsfähige Alter erreichte. Zum Zweiten war eine päpstliche Dispens notwendig geworden, da nach Auffassung der damaligen Zeit Katharina durch ihre Ehe mit Arthur zu dessen Bruder in ein Verwandtschaftsverhältnis ersten Grades[1], getreten war. Allerdings bedeutete dies kein absolutes Hindernis, denn es gab diesbezüglich mehrere Präzedenzfälle. König Manuel I. von Portugal etwa hatte nach dem Tode seiner Gattin Isabella deren Schwester Maria – die beiden waren übrigens Katharinas ältere Schwestern – geheiratet. Da außerdem erst der Vollzug der Ehe die Verwandtschaft bewirkte und Katharina ja beteuert hatte, immer noch Jungfrau zu sein, wurde die Dispens von Papst Julius II. ohne weiteres Zögern erteilt.
Alles schien sich für Katharina zum Guten zu wenden, als nun plötzlich Heinrich VII. Schwierigkeiten zu machen begann. Er wollte sich auf einmal nicht mehr festlegen, für den Fall, dass sich eine bessere Partie für seinen Sohn ergab. Etwa eine aus dem aufstrebenden Hause Habsburg.
Ausgerechnet Katharinas Nichte Eleonore von Österreich, die Tochter Philipps des Schönen und der Johanna von Aragon, zog er als Braut für seinen Sohn in Erwägung. Und im Juni 1505 veranlasste er den soeben volljährig gewordenen Heinrich, das Verlöbnis mit Katharina zu lösen. Der Gipfel war jedoch, als der seit kurzem verwitwete König – seine Gemahlin Elisabeth von York war 1503 gestorben – schließlich sogar allen Ernstes mit dem Gedanken spielte, Johanna von Aragon ungeachtet ihres Wahnsinns zur Frau zu nehmen, nachdem diese 1506 Witwe geworden war. Die Gründe dafür lagen auf der Hand: Johanna war seit dem Tod ihrer Mutter im Jahre 1504 Alleinherrscherin des Königreiches Kastilien. Doch die Spanier machten Heinrich VII. einen Strich durch die Rechnung: Sie bestanden auf der Einhaltung des Heiratsvertrages zwischen Prinz Heinrich und Katharina,
Als wären die unerträglichen Heiratsspekulationen rund um ihren Bräutigam nicht ohnedies schon Demütigung genug für Katharina gewesen, musste sie in all diesen Jahren auch noch Vernachlässigung und materielle Entbehrungen erdulden, ohne dass sie sich hätte wehren können. Sie war dem König von England ausgeliefert. Und der behandelte sie schlecht. Zunächst betrachtete er die Braut seines Sohnes als eine Art Geisel, dann jedoch nur noch als eine lästige und vor allem kostspielige Bürde. Da sie bei Hofe unerwünscht war, lebte Katharina zurückgezogen in Durham House. Es war ein entbehrungsreiches Leben, einer königlichen Prinzessin ganz und gar unwürdig, das sie dort führen musste. Heinrich VII. ließ ihr nämlich nur eine lächerlich geringe Summe für ihren Unterhalt zukommen, sodass sie ständig gezwungen war, bei ihrem Vater um Geld zu betteln, um ihre Bedienten, Kleider und Essen zu bezahlen. Ganze zwei Kleider hatte sie seit ihrer Ankunft im Jahre 1501 erworben und dafür ihre Armbänder versetzen müssen. Sogar ihr Tafelgeschirr hatte sie in Zahlung gegeben, um Lebensmittel kaufen zu können. Es war schon bewundernswert, mit welcher Haltung die kaum zwanzigjährige Katharina ihr Schicksal ertrug. Weder Krankheit noch Verzweiflung und Zukunftsängste ließen sie je ihre Würde verlieren und vergessen, dass sie die Tochter großer Könige war.
Einer der wenigen Lichtblicke in dieser für Katharina so bitteren und von quälender Ungewissheit bestimmten Zeit war ihr Bräutigam. Trotz des Altersunterschieds von sechs Jahren entwickelte sich zwischen den jungen Leuten eine wachsende Zuneigung, die auch König Heinrich nicht mehr unterbinden konnte, als er die beiden trennte.
Im Frühjahr 1509 aber hatte die unglückliche Prinzessin endgültig genug. Sie konnte und wollte die Hinhaltetaktik ihres Schwiegervaters nicht mehr ertragen und war drauf und dran nach Spanien zurückzukehren, um sich dort in ein Kloster zurückzuziehen. Da erbarmte sich der Himmel ihrer buchstäblich in letzter Minute: Am 21. April 1509 starb Heinrich VII. nach kurzer Krankheit.
Mit noch nicht 18 Jahren war Heinrich VIII. König von England geworden. Der junge Mann, der bis jetzt im Schatten des übermächtigen Vaters gestanden war, bewies alsbald, dass er durchaus einen eigenen Willen hatte. Welche taktischen Manöver sein Vater hinsichtlich seiner Heirat einst auch unternommen haben mochte, er, Heinrich, fühlte sich an sein Verlöbnis mit Katharina von Aragon gebunden. Doch nicht allein Vertragstreue, sondern echte Zuneigung bewog ihn, sich bereits sechs Wochen nach seiner Thronbesteigung mit ihr zu vermählen.
Am 11. Juni 1509 fand in einer Kapelle in der Nähe des Palastes von Greenwich die Hochzeit statt. Es war eine Liebesheirat, wie man sie in königlichen Kreisen selten fand. Die beiden gaben auch wirklich ein hübsches Paar ab. Katharina entsprach mit ihrem wundervollen, hüftlangen Blondhaar, der hellen Haut und den ebenmäßigen Gesichtszügen ganz dem herrschenden Zeitgeschmack. Sie war jetzt 24 Jahre alt und stand in der Blüte ihrer Schönheit. Ihr Auftreten war das einer Königin: hoheitsvoll und liebenswürdig zugleich. Durch ihre Frömmigkeit und Güte erwarb sie sich rasch die Liebe des Volkes, während der Hof ihre Bildung – sie sprach neben Spanisch und Englisch auch noch Französisch und Flämisch – bewunderte.
Eigentlich hatte Katharina nur einen einzigen Makel: ihre winzige Statur. Diese stand in starkem Kontrast zu der ihres Gemahls, denn Heinrich VIII. war mit 1,80 m überdurchschnittlich groß. Noch hatte dieser junge Mann mit den blauen Augen und dem rotblonden Haar nichts von dem feisten, Furcht erregenden Koloss, als den ihn die Nachwelt kennt. Ja er galt sogar als einer der schönsten Männer seiner Zeit, denn abgesehen von einem angenehmen Gesicht hatte ihn die Natur auch mit einem ausgesprochen gut gebauten Körper bedacht, wie die Maße seiner erhalten gebliebenen Rüstungen bestätigen. Heinrich war sich seines guten Aussehens durchaus bewusst und seine Eitelkeit war legendär. Besonders stolz war er auf seine wohlgeformten Waden, die er dank der damals herrschenden Mode der gepolsterten Oberschenkelhosen hervorragend zur Geltung bringen konnte. Als ausgezeichneter Sportsmann brillierte der attraktive junge König auch beim Lanzenstechen und auf dem Tennisplatz. Das größte Lob aber zollten ihm seine Zeitgenossen für seine geistigen Interessen und die Förderung von Wissenschaft und Kunst.
Politisch jonglierte Heinrich geschickt zwischen den beiden Erbfeinden Frankreich und Habsburg, die damals um die Vorherrschaft in Italien kämpften. Er bemühte sich um ein gutes Verhältnis mit beiden, während seine Gemahlin, die sich zwar niemals offen in die Regierungsgeschäfte einmischte, begreiflicherweise eine Vertiefung der Beziehungen zu ihrer spanisch-habsburgischen Verwandtschaft unterstützte.
Vom Tage ihrer Hochzeit an blühte Katharina auf. Vergessen waren die sieben Jahre der Frustration und der Demütigung, die sie hatte hinnehmen müssen. Jetzt strahlte sie vor Glück. Sie war die gesalbte Königin von England und hatte einen liebevollen, gut aussehenden Gatten an ihrer Seite, der kein Hehl aus seiner Zuneigung zu ihr machte. Die Ehe verlief ausgesprochen harmonisch, was allerdings in erster Linie Katharinas sanftmütigem, liebevollem Wesen zu verdanken war. Sie war die perfekte Gattin, die es sich nicht nehmen ließ, eigenhändig die Hemden ihres Gemahls zu nähen. Heinrich schätzte Katharinas Fürsorge und ihre Unterwürfigkeit, durch die sie ihn in seinem ohnedies sehr ausgeprägten Selbstbewusstsein noch bestärkte. Trotzdem sollte man aus der Nachgiebigkeit der Königin keine falschen Schlüsse ziehen. Katharina entsprach damit lediglich dem Frauenideal ihrer Zeit. Als hochgebildete Frau scheute sie sich keineswegs mitzureden und ihre Meinung zu äußern. Ihre Klugheit bestand jedoch darin, stets zu wissen, wie weit sie Heinrich widersprechen durfte und wann sie einlenken musste.
Eine weitere Stärke Katharinas war ihre Großzügigkeit. Huldvoll sah sie über die Affären hinweg, die ihr Gemahl mit ihren Hofdamen hatte, meist in der Zeit, in der sie schwanger war. Sie war viel zu stolz, um die Konkurrenz einer Bessie Blount oder einer Mary Boleyn zu fürchten. Und sie hatte auch keinerlei Grund dazu, denn sobald Heinrich das Interesse an seinen Mätressen verloren hatte, wurden sie gut verheiratet und verschwanden vom Hof. Der einzige Wermutstropfen für die Königin war die Tatsache, dass die erwähnte Bessie Blount 1519 einem Sohn das Leben schenkte, der nach seinem Vater Henry Fitzroy[2] benannt wurde und später den Titel eines Herzogs von Richmond erhielt. Sie selbst hatte sich zwar als fruchtbar erwiesen und wurde auch laufend schwanger, doch zu ihrem großen Kummer kamen die Kinder entweder tot zur Welt oder es war ihnen nur ein kurzes Leben beschieden. Nur die 1516 geborene Mary überlebte.
Zwar gaben Heinrich und Katharina die Hoffnung auf einen Sohn nicht auf, doch stellte auch die Aussicht auf eine Thronbesteigung Marys keine Katastrophe dar, denn in England gab es kein salisches Gesetz, das die weibliche Thronfolge verbot. Außerdem bestand ja auch die Möglichkeit, dass einer von Marys zukünftigen Söhnen einmal das Erbe seines Großvaters antreten würde. Aus diesem Grunde hielt man es für angebracht, sich so bald wie möglich nach einem passenden Schwiegersohn umzusehen. Die beste Partie schien zu jenem Zeitpunkt zweifellos Marys Vetter Karl, der 1500 geborene Sohn Philipps des Schönen und der Johanna von Aragon, seit 1516 König von Spanien und seit 1519 Nachfolger seines Großvaters Maximilians I. als römisch-deutscher Kaiser. Aber wie so oft kam alles anders, als es die Beteiligten geplant hatten. Anfang 1526 vermählte sich Kaiser Karl V. mit seiner anderen Cousine, Isabella von Portugal, der Tochter Manuels I. mit Maria von Aragon. Heinrich VIII. tobte vor Zorn und seine Gemahlin, der viel an einer Verbindung mit Spanien gelegen war, war maßlos enttäuscht. Doch das Jahr 1526 hielt ein noch größeres Unglück für Katharina bereit. Es bedeutete nämlich den Wendepunkt in ihrer bisher so mustergültigen Ehe. Etwa um die Zeit des Karnevals dürfte Heinrich VIII. eines der Ehrenfräulein seiner Gemahlin aufgefallen sein. Das war an sich nichts Außergewöhnliches, denn der König hatte ja schon bisher die eine oder andere Affäre mit einer der Schönen des Hofes gehabt. Königin Katharina war daher auch nicht im Geringsten beunruhigt.
Doch bei dieser jungen Frau war alles anders. Sie hieß Anne Bo-leyn und war die jüngere Schwester jener bereits erwähnten Mary Boleyn, die eine Zeit lang das Bett des Königs geteilt hatte. Mary war längst mit William Carey verheiratet und von der Bildfläche verschwunden.
Die Verwandtschaft war das Einzige, was Anne mit Mary verband. Im Gegensatz zu ihrer oberflächlichen und frivolen Schwester war Anne zurückhaltend, klug und berechnend. Sie machte von Anfang an klar, dass sie nicht gewillt war, sich mit der Position einer königlichen Mätresse zu begnügen. Sie ließ sich zwar die Verehrung des Königs gefallen, doch verweigerte sie ihm konsequent jede Intimität. Damit schürte sie nur noch Heinrichs Leidenschaft für sie, eine Leidenschaft, die ungeahnte Auswirkungen auf die Politik und die Religion Englands haben sollte.
Wer war diese Anne Boleyn, die einen Mann wie Heinrich VIII., einen von sich selbst so sehr überzeugten Herrscher, dazu bringen konnte, ihretwegen seine legitime Gemahlin zu verstoßen, sein Land an den Rand eines Krieges mit dem Kaiserreich zu bringen und ihm obendrein eine neue Religion zu verordnen? Es gibt kaum eine umstrittenere und gleichzeitig faszinierendere Persönlichkeit in der Geschichte als Anne Boleyn. Von den einen verabscheut und als Hexe und Hure beschimpft, wurde und wird sie von den anderen als starke, selbstbewusste Frau von hoher Intelligenz und politischem Weitblick bewundert. Bis heute konnten sich die Historiker auf kein einheitliches Bild dieser Frau einigen, und ihren Zeitgenossen war es nicht anders ergangen.
Neuesten Forschungen zufolge wurde Anne Boleyn um das Jahr 1501 geboren und nicht, wie bisher angenommen, 1504 oder 1507. Sie durfte sich rühmen, ein paar Tropfen königliches Blut in den Adern zu haben, denn ihre Mutter, Elisabeth Howard, die Schwester des Herzogs von Norfolk, stammte von Edward I. ab. Die Boleyn-Seite dagegen hatte sich erst aus bürgerlichen Niederungen durch kaufmännisches Talent und Begabung emporarbeiten müssen. Mit dem Urgroßvater Sir Geoffrey Boleyn, der es zum Bürgermeister von London gebracht hatte, begann gewissermaßen der Aufstieg.
Annes Vater, Sir Thomas Boleyn, spielte am Hofe Heinrichs VIII. bereits eine einigermaßen bedeutende Rolle. Wegen seiner hervorragenden Sprachkenntnisse – er beherrschte Latein und Französisch perfekt – wurde er immer wieder für wichtige Missionen im Ausland herangezogen. So weilte er etwa 1512 als Gesandter am Hof von Brüssel und zwischen 1519 und 1520 war er Englands Botschafter in Frankreich. 1522 erhielt er das Amt des Schatzmeisters des königlichen Haushaltes und 1525 wurde er zum Viscount of Rochford und Pair von England erhoben. Seine Verbindungen erlaubten es Sir Thomas, seinen Kindern eine ausgezeichnete Erziehung angedeihen zu lassen, vor allem seiner Tochter Anne, deren Begabung ihm früh aufgefallen war. Mit 12 oder 13 Jahren wurde sie zunächst an den Hof von Brüssel zu Erzherzogin Marga-rethe, der Regentin der Niederlande, als Ehrenfräulein geschickt. Im Jahre 1514 übersiedelte sie nach Frankreich, wo Mary Tudor, die Schwester Heinrichs VIII., für kurze Zeit Königin an der Seite Ludwigs XII. war. Im Gefolge Mary Tudors befand sich auch Annes Schwester Mary. Doch während Letztere 1515 mit ihrer verwitweten Herrin nach England zurückkehrte, blieb Anne am Hofe der neuen Königin Claude, der Gemahlin Franz’ I. von Frankreich. In den sechs oder sieben Jahren ihres Aufenthalts erlernte sie perfekt Französisch, höfische Umgangsformen, Tanzen und sich nach der neuesten Mode zu kleiden.
1521 verließ sie Frankreich, denn ihr Vater plante – übrigens mit Unterstützung des Königs – sie mit James Butler zu verheiraten, dem Erben sowohl eines Grafentitels als auch eines beachtlichen Vermögens.
Anne verbrachte zunächst einige Zeit auf Hever Castle, dem Sitz der Familie einige Meilen südlich von London, bevor sie als Ehrenfräulein von Königin Katharina an den Hof kam. Obwohl keine Schönheit im herkömmlichen Sinne, hob sich Anne Boleyn doch sehr von den übrigen Hofdamen ab. Ihr dunkler Typ, das beinahe schwarze Haar und ebensolche Augen verliehen ihr eine ungemein erotische Ausstrahlung und setzten sie in einen starken Kontrast zu ihrer blonden, hellhäutigen Herrin. Im Gegensatz zu Katharina war Anne eher groß, schlank und biegsam. Besonders auffallend war ihr langer, schmaler Hals, der die Dichter zu wahren Lobeshymnen anregte. Sie selbst wusste ihn durch geschickt gewählte Kleidung à la française ins rechte Licht zu rücken. Ihre ausgeschnittenen Roben und die kecken französischen Hauben, die viel mehr Haar sehen ließen als die züchtigen Kopfbedeckungen der meisten Engländerinnen, zogen die Blicke an. Vor allem jene der Männer.
Einer von ihnen hieß Henry, Lord Percy, Erbe einer bedeutenden Adelsfamilie. Er verliebte sich in Anne und auch sie verlor ihr Herz an ihn, doch die Heirat wurde ihnen verwehrt, weil Annes Vater damals noch auf das Zustandekommen der Butler-Ehe für seine Tochter hoffte, eine Hoffnung, die sich jedoch später aus finanziellen Gründen zerschlug.
Außer Henry Percy, zu dem eine sehr enge, möglicherweise sogar intime Beziehung bestanden hatte, war da auch noch Sir Thomas Wyatt, der sich aber wohl darauf beschränkte, Anne in seinen Gedichten anzuhimmeln.
Abgesehen von ihrer physischen Anziehungskraft bestach diese junge Dame zudem durch außergewöhnliche Bildung, die sie – Königin Katharina ausgenommen – weit über ihre meist am Rande des Analphabetismus wandelnden Zeitgenossinnen erhob. Darüber hinaus besaß Anne Boleyn Witz und Schlagfertigkeit, Eigenschaften, die auf manche Männer besonders herausfordernd wirkten. Zu diesen gehörte auch Heinrich VIII., der dem Charme der jungen Frau, die mit ihren 25 Jahren damals in voller Blüte stand, rettungslos verfiel. Die rassige, temperamentvolle, dunkle Anne war das genaue Gegenteil seiner blonden, sanften Gemahlin. Jetzt erst wurde auch der Altersunterschied von sechs Jahren, der zwischen den königlichen Ehepartnern bestand, richtig bemerkbar. Katharina zählte nun schon 41 Jahre und nichts erinnerte mehr an ihre einstige Schönheit. Die zahlreichen Schwangerschaften hatten sie deutlich in die Breite gehen lassen, sie war schwerfällig geworden und tanzte schon seit einiger Zeit nicht mehr auf den Hofbällen. Heinrich dagegen fühlte sich mit seinen 35 Jahren jugendlich wie eh und je. Auch sah er damals noch recht passabel aus, wenngleich auch er nun langsam an Gewicht zuzulegen begann. 1526 befand er sich auf dem Höhepunkt seines Lebens, als Mann und als Herrscher. Er hatte alles erreicht, wonach er gestrebt hatte: Ruhm und Ansehen vor der Welt. Sein Name stand in der Reihe der großen Fürsten seiner Zeit. Nur ein Sohn war ihm nicht vergönnt gewesen. Es war eine klassische Midlifecrisis, in die Heinrich VIII. durch die Begegnung mit Anne Boleyn gestürzt wurde. Eine neue Lust am Leben, am Vergnügen und an der Liebe überkam ihn – und in seinem Hinterkopf nistete sich eine neue Hoffnung auf einen Sohn ein. Durch ihre geschickte Taktik des Sich-Verweigerns machte Anne diesen Mann, der gewohnt war, alles zu bekommen, was er wollte, zu Wachs in ihren Händen. Er begehrte sie, wie er noch nie zuvor eine Frau begehrt hatte, er wollte, er musste sie haben, egal um welchen Preis.
Heinrich, der nie gerne schrieb, verfasste nun glühende, rührende Liebesbriefe an die Angebetete, Briefe, die eine unbekannte Seite seiner Persönlichkeit aufzeigen, die man ihm in Kenntnis der Geschichte kaum zugetraut hätte. Als Anne einige Tage nicht am Hofe weilte, schrieb er ihr: »Meine Herrin und Freundin, ich und mein Herz geben sich in Eure Hände und bitten Euch, uns Eurer Gunst zu empfehlen und in Eurer Zuneigung zu uns nicht durch die Trennung nachzulassen. Es wäre gar zu grausam, unseren Kummer noch zu vergrößern, da Eure Abwesenheit uns schon genug bereitet … Da ich nicht selbst bei Euch sein kann, sende ich Euch, was meiner Person am nächsten kommt, mein Bild, in ein Armband gefasst … und wünsche mich an seine Stelle, wann es Euch gefallen mag. Dies von der Hand Eures ergebenen Dieners und Freundes, H.R.«
Anne ließ sich nicht beeindrucken. Sie blieb zurückhaltend, sodass sich Heinrich auch nach einem Jahr immer noch nicht sicher war, wie es um ihre Gefühle zu ihm stand: Leider ist keiner von Annes Briefen an den König erhalten geblieben, doch ließ sie ihn offenbar manchmal vergeblich auf Antwort warten, denn er beklagte sich: »Obwohl es Euch, meiner Herrin, nicht gefallen hat, Euch an das Versprechen zu erinnern, welches Ihr mir bei unserer letzten Begegnung gegeben, dass ich nämlich von Euch Neuigkeiten erfahren und eine Antwort auf meinen letzten Brief erhalten solle, denke ich doch, es zieme sich für einen treuen Diener (da er doch anders nichts erfahren kann), sich nach dem Befinden seiner Herrin zu erkundigen. Um der Pflicht des treuen Dieners zu genügen, sende ich Euch diesen Brief und bitte Euch, mir über Euer Befinden Bericht zu geben … und damit Ihr öfter an mich denkt, lasse ich Euch durch diesen Boten einen Rehbock schicken, den ich gestern Abend mit eigener Hand erlegt, in der Hoffnung, dass Ihr öfter an mich denkt, wenn Ihr ihn verspeist.«
Unermüdlich warb Heinrich VIII. um Anne, bettelte um ihre Liebe. Doch sie wollte keine Mätresse sein, um dann »abserviert« zu werden wie ihre Schwester; sie wollte mehr: Sie wollte Königin sein! Anne Boleyn war eine starke Frau im modernen Sinn, selbstbewusst und energisch. Gleichzeitig war sie aber auch eine Frau ihrer Zeit, der Renaissance, einer Epoche mit zwei Gesichtern: denn neben Schönheitssinn, verfeinerter Lebensform, Kunstsinnigkeit und Bildungsstreben bestimmten machiavellistisches Denken, Skrupellosigkeit, Machthunger und Egoismus das Handeln der Menschen. Man war gleichgültig gegen die Gefühle und die Leiden anderer, besonders wenn es um den eigenen Vorteil ging. Es war eine grausame Zeit, in der ein Menschenleben nicht viel galt. Intrigen und Meuchelmord gehörten zum Alltag der Menschen des 16. Jahrhunderts, vor allem, wenn sie in den hohen und höchsten Schichten der Gesellschaft verkehrten. Ohne mit der Wimper zu zucken, schickte Heinrich VIII. seine näheren und entfernteren Verwandten[3] wegen angeblicher Verschwörung aufs Schafott, weil ihm ihre Thronansprüche ein Dorn im Auge waren. Auch das Justizwesen spiegelte die ganze Grausamkeit und Brutalität der Zeit wider. Schon auf geringe Vergehen wie z. B. Diebstahl von Lebensmitteln standen unverhältnismäßig hohe Strafen. Das Leben war hart in jenen Zeiten und Tod und Folter waren allgegenwärtig. Öffentliche Hinrichtungen erregten kaum Mitleid, sondern wurden als spannendes Schauspiel mit Volksfestcharakter betrachtet.
Anne Boleyn unterschied sich in nichts von ihren Zeitgenossen. Sie war sich selbst die Nächste. Rücksichtslos ging sie ihren ehrgeizigen Weg. Und sie erreichte ihr Ziel.
Ab dem Frühjahr 1527 beschäftigte Heinrich VIII. nur noch ein Gedanke: Wie konnte er seine Gemahlin loswerden? Eine Scheidung, besser gesagt eine Annullierung der Ehe, war zwar nicht einfach, aber auch nicht unmöglich. Heinrichs Schwester Margaret hatte sich von ihrem zweiten Mann getrennt, um einen anderen zu heiraten, und Ludwig XII. von Frankreich hatte seine erste Gemahlin, Jeanne, verstoßen, um die weitaus begehrenswertere Anna von Bretagne zu ehelichen. Natürlich brauchte man plausible Gründe, etwa – wie im Falle Ludwigs XII. – dass die Ehe nicht vollzogen worden war oder aber dass sie wegen eines früheren Eheversprechens oder Ähnlichem ungültig war. Der Vollzug der Ehe Heinrichs war natürlich mehr als erwiesen, aber vielleicht konnte man ja hinsichtlich der Ungültigkeit etwas machen.
Ausgerechnet in der Bibel wurde Heinrich VIII. fündig auf seiner Suche nach einem passenden Argument für eine Scheidung von Katharina. Im 3. Buch Mose stand geschrieben: »Wenn jemand die Frau seines Bruders nimmt, so ist dies eine schändliche Tat. Sie sollen ohne Kinder sein, darum dass er seines Bruders Blöße aufgedeckt hat.«
Heinrich VIII. war, wie wir noch mehrfach sehen werden, ein wahrer Meister des Selbstbetrugs, und so begann er sich einzureden, er habe durch seine Ehe mit Katharina gesündigt, weil sie die Frau seines Bruders gewesen war. Zur Strafe für dieses Vergehen habe ihm Gott einen Sohn verwehrt. Doch die Sache hatte einen Haken, denn es gab ja die päpstliche Dispens aus dem Jahre 1503 und außerdem stand eine andere Bibelstelle – aus dem 5. Buch Mose – in direktem Widerspruch zu dem oben zitierten Text: »Wenn Brüder beieinander wohnen und einer stirbt ohne Kinder, so soll des Verstorbenen Weib nicht einen fremden Mann draußen nehmen; sondern ihr Schwager soll sich zu ihr tun und sie zum Weibe nehmen und sie ehelichen.«
Papst Klemens VII. zeigte wenig Interesse, die von seinem Vorgänger erlassene Dispens in Frage zu stellen. Zudem fürchtete er auch Kaiser Karl V., Katharinas Neffen, dessen Truppen gerade in Rom wüteten. Außerdem hatte Karl damals wahrscheinlich ganz andere Sorgen als die Eheangelegenheiten seiner Tante, denn kaum hatte er mit den Franzosen Frieden geschlossen, waren die Türken im Anmarsch und standen 1529 vor Wien.
Wider alle Erwartungen entpuppte sich Katharina aber als Heinrichs größte Widersacherin. An ihrem eisernen Willen sollte er sich die Zähne ausbeißen.
Damit hatte er wohl am allerwenigsten gerechnet. Er hatte gehofft, die bisher so Sanftmütige und Unterwürfige würde sich widerstandslos in ein Kloster zurückziehen und ihn freigeben. Doch Katharina hielt an der Rechtmäßigkeit ihrer Ehe unerschütterlich fest, da konnte Heinrich auf sie einreden, was immer er wollte, mit Gewissensbissen und göttlicher Strafe drohen – es war vergeblich. Trotz der Stärke, welche die Königin nach außen hin an den Tag legte, war sie begreiflicherweise zutiefst getroffen und gedemütigt. Heinrichs Wunsch nach einer Scheidung hatte sie vollkommen überrascht, denn sie hatte seiner Affäre mit Anne Boleyn bislang keine besondere Bedeutung beigemessen. Ihr Seelenzustand wirkte sich alsbald auf ihre Gesundheit aus, sie war nun häufig krank. Die beschämenden Untersuchungen und Befragungen und natürlich der ständige Druck von Seiten des Königs belasteten die Königin sehr. Heinrich aber hatte keinerlei Mitleid mit ihr. Ihn interessierte nur die Scheidung. Er betraute in- und ausländische Religionsgelehrte und Universitäten mit der Untersuchung seines Falles und Kardinal Wolsey, sein Lordkanzler, unternahm wiederholt Vorstöße beim Papst, um ihn zu einer Annullierung der Ehe seines Herrn zu bewegen.
Immerhin entsandte Klemens VII. im Mai 1529 einen Vertreter, der gemeinsam mit Kardinal Wolsey den Vorsitz einer Kommission führen sollte, die mit der Untersuchung der Scheidungsfrage betraut war. Am 21. Juni 1529 hatte Königin Katharina ihren Auftritt vor dem Tribunal in Blackfriars. Trotz körperlicher Schwäche machte sie einen hervorragenden Eindruck. Stolz und sicher, jeder Zoll eine Königin, beantwortete sie die an sie gerichteten Fragen. Doch bevor sie den zum Bersten mit Zuschauern gefüllten Saal wieder verließ, kam es zu einer ergreifenden Szene. Katharina trat auf ihren Gemahl zu und warf sich ihm zu Füßen mit den Worten: »Sir, ich beschwöre Euch um all der Liebe willen, die zwischen uns herrschte, lasst mir Gerechtigkeit und Recht widerfahren, erbarmt Euch meiner und habt Mitleid, denn ich bin eine arme Frau und eine Fremde, außerhalb Eures Reiches geboren. Ich habe keinen Freund hier und noch viel weniger unparteiische Ratgeber. … Ich nehme Gott und die ganze Welt zu Zeugen, dass ich Euch eine treue, demütige und gehorsame Ehefrau gewesen bin, Euch stets zu Willen und Gefallen …, was Euch Freude und Vergnügen bereitete, das machte auch mich froh und zufrieden. … Ich liebte all die, die Ihr liebtet, allein um Euretwillen, ob ich einen Grund hatte oder nicht, und gleichgültig, ob sie meine Freunde oder Feinde waren. … Und als ihr mich zum ersten Male erkanntet, ich nehme Gott zu meinem Richter, da war ich wahrhaftig eine Jungfrau, von keinem Mann berührt. Und ob dies wahr ist oder nicht, überlasse ich Eurem Gewissen.«
Mit dem Hinweis auf ihre Jungfräulichkeit brachte sie Heinrich in Bedrängnis, denn seine Argumentation unterstellte ja, dass ihre Ehe mit seinem Bruder vollzogen worden war. Andernfalls wäre der von ihm zitierte Bibeltext nicht anwendbar. Heinrich wusste, dass Katharina die Wahrheit sagte, deshalb schwieg er. Er wagte nicht ihr zu widersprechen.
Nach diesem emotionsgeladenen, verzweifelten Ausbruch hatte sich Katharina wieder in der Hand. Sie machte einen tiefen Hofknicks vor ihrem Gemahl und verließ den Saal. Der Ehestreit des Königspaares spaltete den Hof und so manche Familie. So stand etwa Heinrichs Schwester Mary auf Katharinas Seite, während Marys Gatte, der Herzog von Suffolk, für Anne Partei ergriff. Mit geradezu quälender Langsamkeit zog sich »des Königs große Sache« dahin. Klemens VII. ließ sich weder durch Drohungen noch durch Versprechungen drängen. 1530 ordnete er schließlich an, der Fall solle in Rom verhandelt werden, damit er sich ein besseres Bild machen könne. Heinrich tobte und sein ganzer Zorn ergoss sich auf Kardinal Wolsey, der für diesen Rückschlag mit seinem Amt und seinem Vermögen bezahlte. Seiner Verurteilung wegen Hochverrats entging er nur dadurch, dass er rechtzeitig (am 29. November 1530) starb.
Fast könnte man Heinrich VIII. in seiner vertrackten Situation bedauern. Der Papst zeigte keinerlei Eile, zu einer Entscheidung zu kommen, und Katharina trieb ihn mit ihrem Widerstand an den Rand der Verzweiflung. Sie hatte einfach immer die besseren Argumente. Und jetzt begann ihm auch noch Anne Boleyn zuzusetzen. Sie warf ihm vor, dass er sich gegenüber der Königin nicht durchsetzen könne: »Habe ich Euch nicht gesagt, wann immer ihr Euch auf einen Streit mit der Königin einließt, gewann sie die Oberhand?«, herrschte sie Heinrich einmal an. Dann brach sie in Tränen aus und lamentierte, sie habe seinetwegen ihre Jugend vertan und auf eine vorteilhafte Heirat verzichtet.
Immer noch gestattete sie Heinrich nicht die volle Erfüllung seiner Liebe. Sie pokerte hoch, doch sie war sich ihres Sieges offenbar sehr sicher, denn Heinrich behandelte sie auch in der Öffentlichkeit, als wäre sie seine Gemahlin. Er küsste sie vor aller Augen und überschüttete sie mit Geschenken. Er bestellte für sie violetten Samt und blutroten Satin sowie Pelze für den Besatz ihrer Kleider. Bei Hoffesten hatte sie nun den Vortritt vor Heinrichs Schwester, der Herzogin von Suffolk, ihr Vater erhielt den Titel eines Grafen von Wiltshire und ihr Bruder avancierte zum Viscount Rochford. Anne spielte sich bereits als Königin auf und wurde von Tag zu Tag kühner und hochfahrender. Ihre berüchtigten Zornausbrüche und ihre scharfe Zunge machten ihr unter den Höflingen jedoch wenig Freunde. So drohte sie etwa im Juni 1531 Sir Henry Guildford, dem Vorsteher des königlichen Haushalts, mit dem sie in Streit geraten war, sie würde ihn bestrafen und seines Amtes entheben, sobald sie Königin wäre.
Vor allem die Anhänger Königin Katharinas ließen in ihren Berichten kein gutes Haar an der Favoritin. Besonders gehässig äußerte sich stets Chapuys, der kaiserliche Botschafter, in seinen Briefen. Er sprach – auch als sie bereits Königin von England war – immer nur von »dieser Dame«, wenn er Anne meinte. Außer ihrer Familie hatte sie kaum Anhänger. Nicht einmal ihr Onkel, der Herzog von Norfolk, hieß ihr herrisches Benehmen gut. Und das englische Volk stand fast geschlossen hinter der verstoßenen Katharina, die es wegen ihrer Wohltätigkeit liebte. Mit sicherem Instinkt spürten die Menschen, dass Katharina großes Unrecht geschah. Sie gaben nichts auf die angeblichen Gewissensbisse ihres Königs oder irgendwelche gelehrten Bibelauslegungen. Für das Volk war Katharina die rechtmäßige Gemahlin Heinrichs und die verehrte Königin. »Zurück zu deiner Frau!«, riefen sie daher, als er einmal mit Anne zur Jagd ritt. Anne selbst wurde als »Hure« beschimpft und es gab kaum jemanden in England, der ihr zugetan war.
Vielleicht war dies eine gewisse Genugtuung für Katharina, die immer noch hoffte, Heinrich würde seiner Geliebten bald überdrüssig werden und wieder zu ihr zurückkehren. Immerhin bestand ihre Beziehung bis zum Juni 1531 zumindest nach außen hin weiter, denn offizielle Auftritte absolvierten König und Königin immer noch gemeinsam. Am 11. Juli aber verließ Heinrich ohne ein Wort des Abschieds den Palast, um sich auf die Jagd zu begeben. Es war das letzte Mal, dass Katharina ihren Gemahl sah. Wenig später erhielt sie den Befehl, sich nach The More in Hertfordshire zu begeben, wo sie fortan ein sehr zurückgezogenes Leben führte. Sie war zutiefst verletzt. Ihre Briefe unterschrieb sie von nun an: »… von meinem Ehemann getrennt, ohne ihn beleidigt zu haben, Katharina, die unglückliche Königin«.
Anne Boleyn übernahm nun für alle sichtbar die Rolle Katharinas. Im Oktober 1532 begleitete sie, inzwischen zum Marquis[4] von Pembroke avanciert, Heinrich nach Frankreich zu einem neuerlichen Treffen mit Franz I. Die Reise wurde für Anne zum Triumph, denn sie bedeutete ihre Anerkennung als Gefährtin des Königs vor aller Welt. Behängt mit den Kronjuwelen, die Katharina auf Befehl Heinrichs hatte herausgeben müssen, absolvierte Anne Boleyn die Generalprobe für ihre künftige Rolle als Königin von England. Denn kurz nach dem Frankreich-Aufenthalt kam es zum entscheidenden Wendepunkt in ihrem Leben und in der Geschichte Englands.
Ihr Einfluss auf Heinrich VIII. war unübersehbar geworden und nahm stetig zu. Sie war es, die das Interesse des Königs an der reformierten Religion weckte. 1517 hatte Martin Luther seine 95 Thesen angeschlagen und damit eine religiöse Erneuerungsbewegung ausgelöst, die seither die Geister schied. Die Familie Boleyn gehörte zu jenen, die mit den Ideen der religiösen Reformer sympathisierten, während der Rest des Howard-Clans streng dem Katholizismus verhaftet blieb. Ebenso wie Heinrich VIII., der 1521 für seine Anti-Luther-Schrift »Assertio Septem sacramentorum« (Verteidigung der Sieben Sakramente) von Papst Leo X. den Titel »Fidei Defensor« (Verteidiger des Glaubens) erhalten hatte. Nun aber änderte sich seine Haltung gegenüber Rom.
Es muss wohl in jenen Wochen kurz nach der Rückkehr aus Frankreich gewesen sein, dass Anne Boleyn dem Drängen des Königs nachgab, zumindest stellte sie Ende Dezember 1532 fest, dass sie schwanger war. Nun musste Heinrich rasch handeln, wenn das Kind, von dem er selbstverständlich annahm, dass es ein Sohn sein würde, legitim zur Welt kommen sollte. Am 25. Januar 1533 heiratete er daher Anne Boleyn in einer stillen Zeremonie in einer Kapelle in der Nähe des Greenwich-Palastes. Vorerst wurde die Vermählung geheim gehalten, denn es bedurfte noch einiger wichtiger Schritte. Heinrich war ja immer noch nicht geschieden und lebte daher in Bigamie.
Um dieses heikle Problem zu lösen, hatte er mittlerweile jedoch die richtigen Männer gefunden. Der eine hieß Thomas Cromwell, seit 1530 Heinrichs Sekretär, der nun als Lordkanzler die Nachfolge des gestürzten Kardinals Wolsey antrat. Der andere war der Theologe Thomas Cranmer, der in enger Verbindung mit der Familie Boleyn stand und darüber hinaus mit der reformierten Religion sympathisierte. Mit ihm besetzte der König im März 1533 den vakant gewordenen einflussreichen Posten des Erzbischofs von Canterbury. Cranmer und Cromwell gelang es, Englands Geistlichkeit und das Parlament so unter Druck zu setzen, dass schließlich am 23. Mai unter dem Vorsitz von Cranmer in Dunstable ein Scheidungsgericht über die Bühne gehen konnte, das die Ehe Heinrichs VIII. mit Katharina von Aragon für ungültig und damit seine neue Ehe mit Anne Boleyn für gültig erklärte. Der erste Schritt zur Abkehr von Rom war getan.
Am 31. Mai 1533 trug man Anne Boleyn in einer prunkvollen Sänfte durch die festlich geschmückten Straßen von London zur Westminsterabtei. Sie hatte eine prächtige Robe aus karminrotem Brokat angelegt, die über und über mit Edelsteinen bestickt war, dazu einen mit Hermelin verbrämten Purpurmantel. Ihren schönen, langen Hals schmückte eine Perlenkette mit einem diamantenen Anhänger; das herrliche lange, dunkle Haar hing ihr lose wie einer Braut über den Rücken, in der Hand trug sie Blumen. Doch es lag etwas Gespenstisches über der Stadt. Natürlich waren viele gekommen um zu schauen, doch blieben die Leute stumm, nur ganz selten war ein Hochruf zu hören. Anne kümmerte sich nicht um die unverhohlene Feindseligkeit der Bevölkerung, sie war zu glücklich, endlich ihr Ziel erreicht zu haben, als sie aus den Händen von Thomas Cranmer die heiß ersehnte Krone erhielt.
Zum Zeitpunkt ihrer Krönung war Annes Schwangerschaft bereits deutlich sichtbar. Heinrich schwelgte im Glück kommender Vaterfreuden. Umso größer war die Enttäuschung, als Anne am 7. September 1533 mit einer Tochter niederkam. Das Kind wurde nach Heinrichs Mutter Elisabeth getauft und erhielt sogleich einen eigenen Hofstaat.
Obwohl er seine Enttäuschung nicht verhehlen konnte, war Heinrich damals noch zuversichtlich, dass das nächste Kind ein Sohn sein würde. Anne hatte ihre Fruchtbarkeit bewiesen und das kleine Mädchen war gesund und kräftig. Tatsächlich wurde Anne auch bald wieder schwanger, doch erlitt sie Anfang 1534 eine Fehlgeburt.
1534 hatte Anne Boleyn den Zenit ihrer atemberaubenden Karriere auch schon wieder überschritten. Trotzdem drückte sie in der kurzen Zeit ihrer Herrschaft durch ihre Bildung, ihre unleugbar französisch inspirierte Eleganz und ihren Sinn für Kunst und Kultur dem Londoner Hof ihren Stempel auf. Eine Reihe von Künstlern fand in Anne Boleyn eine interessierte Mäzenin. Als echte Dame der Renaissance hatte sie natürlich einen Hang zur Prachtentfaltung und zur Extravaganz, der sich in der Ausstattung ihrer Gemächer niederschlug. In Hampton Court etwa ließ sie sogar an der Decke ihrer Appartements Spiegel anbringen. Da Königin Anne wie ihr Gemahl Tanz und Musik liebte, erhielt das Hofleben, das unter der ältlichen behäbigen Katharina etwas langweilig geworden war, nun wieder Schwung und frischen Glanz. Doch der Höhenflug ließ nun auch die negativen Seiten im Charakter Anne Boleyns zu Tage treten. Ihr viel gerühmter Esprit und ihr überschäumendes Temperament konnten nur allzu oft verletzend sein. Ihre Zornausbrüche waren gefürchtet und machten auch vor Heinrich nicht Halt. Anders als Königin Katharina gestattete ihm Anne keine Seitensprünge während der Zeit ihrer Schwangerschaft. Mit Argusaugen beobachtete sie ihre Umgebung aus Furcht, es könnte ihr in einer Schönen des Hofes eine Konkurrenz erwachsen. Nicht nur einmal machte sie Heinrich eine heftige Eifersuchtsszene, wenn sie sich vernachlässigt fühlte.
Ihre Eifersucht verschonte weder die verstoßene Königin noch deren Tochter Mary. Anne sorgte dafür, dass Heinrich seine Tochter, die er trotz allem zärtlich liebte, nicht zu Gesicht bekam. Sie nannte Mary nur den Bastard und drohte dem begreiflicherweise widerspenstigen Mädchen, es zu ihrer Dienerin zu machen und mit irgendeinem Tunichtgut zu verheiraten. Die 17-jährige Prinzessin wurde durch die demütigende Behandlung in jenen Tagen für den Rest ihres Lebens geprägt und es ist kein Wunder, dass es später zu Spannungen zwischen ihr und ihrer Halbschwester Elisabeth kam, wodurch die Rivalität der Mütter eine Fortsetzung fand.
Annes Verhalten gegen die beiden Frauen war unwürdig, aber in gewisser Weise verständlich, zeigte es doch deutlich ihre Angst. Solange sie keinen Sohn geboren hatte, stand ihre Position auf tönernen Füßen. Solange Katharina von Aragon am Leben war, war sie nicht die einzige Königin im Lande, und solange Mary lebte, war auch ihre kleine Elisabeth nicht die einzige Thronerbin.
Das Urteil des Papstes, das im März 1534 gefällt wurde, verbesserte ihre Lage nicht im Mindesten, denn Klemens VII. entschied zu Gunsten Katharinas, für die das Urteil jedoch nur mehr theoretischen Wert besaß. Heinrich VIII. und seine Berater reagierten rasch auf die päpstliche Abfuhr. Noch am selben Tag verabschiedete das englische Parlament die so genannten Suprematsakte, welche den König zum Oberhaupt der Kirche Englands erklärten. Ein Nachfolgegesetz bestätigte außerdem die Gültigkeit von Heinrichs Ehe mit Anne Boleyn. Im Januar des folgenden Jahres war der Bruch mit Rom schließlich vollzogen. In England begann die Reformation, die mit der Auflösung der Klöster eingeläutet wurde. Während in Deutschland die religiöse Erneuerung einem tiefen Bedürfnis der Mehrheit der Bevölkerung entsprungen war, gab in England eine private Angelegenheit des Königs den Anlass. Die Leidenschaft zu einer Frau und der unerfüllte Wunsch nach einem Sohn waren es gewesen, die Heinrich VIII. dazu gebracht hatten, seinem Land eine neue Religion zu verordnen.
Doch als das Schisma vollzogen war, war Anne Boleyns Stern bereits deutlich im Sinken. Sie war jetzt Mitte dreißig und längst nicht mehr so anziehend wie ehedem. Von ihrer erotischen Ausstrahlung war nicht mehr viel zu bemerken. Mit sexuellen Verheißungen konnte sie Heinrich nicht mehr fesseln. Viel eher ging sie ihm jetzt auf die Nerven. Ihre Scharfzüngigkeit und ihre Diskutierfreudigkeit, die ihn früher fasziniert und erregt hatten, ärgerten ihn jetzt. Er war es nicht gewöhnt, dass man ihm widersprach. Katharina hatte stets gewusst, wann sie zu schweigen oder einzulenken hatte. Anne wusste das nie, sie hörte nicht auf zu reden und zu sticheln, zu fordern und zu kritisieren. Ihr immer schriller werdendes Gekeife entsprang allerdings nicht allein ihrem Temperament, sondern war auch Ausdruck von Angst. Denn sie musste feststellen, dass ihr die Macht über Heinrich langsam entglitt und er sich nach und nach von ihr entfernte. Dass es in der Ehe des englischen Königs kriselte, wurde bald offenbar. Im Sommer 1535 schrieb der venezianische Gesandte, der König von England sei »dieser neuen Königin schon müde bis zum Überdruss«. Er hatte Recht.
Schon Ende 1533 hatte Heinrich seinen Blick schweifen lassen. Und wieder einmal war es eine Hofdame seiner Gemahlin gewesen, die ihm auffiel. Ihr Name war Jane Seymour, ein eher unscheinbares, tugendsames Geschöpf. Sie entstammte einer alten, angesehenen Familie, die auf Edward III. zurückging, und in ihrer Art war sie das genaue Gegenteil zu der temperamentvollen Königin. Anne ahnte wohl die Gefahr und sie wusste, dass ihre einzige Chance in der Geburt eines Sohnes bestand. Doch einmal mehr erlitt sie im Sommer 1535 eine Fehlgeburt.
Ihre Hoffnungen, Heinrich einen Erben zu schenken, schwanden dahin, zumal auch die Gesundheit des Königs damals nachließ. Sein starkes Übergewicht und ein unangenehmes Blasenleiden machten ihm zu schaffen. Außerdem hatte er bereits häufig Potenzprobleme, wie Anne unvorsichtigerweise einmal ihrer Hofdame und Schwägerin Lady Rochford gegenüber andeutete. Dann aber durfte sie doch noch einmal hoffen. Im Oktober 1535 stellte sich erneut eine Schwangerschaft ein. Sollte sich vielleicht doch noch alles zu ihren Gunsten wenden? Und das gleich in zweifacher Hinsicht?
Am 7. Januar 1536 erlag nämlich Katharina von Aragon nach zehnjährigem vergeblichem Kampf um ihr Recht im Alter von 50 Jahren einem Krebsleiden. Heinrich empfand Erleichterung, denn Katharinas Existenz hatte sein Gewissen belastet. Anne ihrerseits konnte ihre Freude kaum verbergen. Jetzt endlich war sie die einzige Königin in England! Doch sie jubelte zu früh. Ende Januar hatte sie eine Fehlgeburt, wodurch alle ihre Träume mit einem Schlag zunichte gemacht wurden. Sie bekam einen hysterischen Anfall, als sie erfuhr, dass das Kind ein Knabe gewesen wäre.
Heinrich konnte kein Mitleid für seine Gemahlin aufbringen. Er fühlte sich betrogen und schwelgte in Selbstmitleid. Er sei von Anne verhext worden, »verführt und durch Wahrsagerei und Zauberformeln zu dieser zweiten Ehe gezwungen worden«, wagte er allen Ernstes zu behaupten. Dies sei der Grund, weshalb Gott ihm nach wie vor einen Sohn versage.
Paradoxerweise hatte Katharinas Tod Anne Boleyns Schicksal besiegelt. Denn jetzt hatte es der König leicht, Argumente zu finden, um auch seine zweite Gemahlin loszuwerden, Argumente, die ihn andernfalls zu einer lebenden Katharina hätten zurückführen müssen. Geschulte Höflinge begriffen rasch, dass Königin Anne ausgespielt hatte. Der aufgehende Stern am Londoner Hof hieß Jane Seymour. Sofort scharten sich Annes Feinde – von denen es nicht wenige gab – um die Seymour-Sippe. Der Bruder der neuen Favoritin, Edward Seymour[5], hat mit Sicherheit seine Schwester entsprechend »präpariert«, damit sie den zu erwartenden Aufstieg ihrer Familie nicht etwa verhindere. Sie sollte sich wie weiland Anne Boleyn dem König so lange verweigern, bis er sie zur Königin gemacht hatte.