Katarina Mazetti
Die Karlsson-Kinder
Gruselschiff mit schwarzer Dame
Aus dem Schwedischen von Anu Stohner
Deutscher Taschenbuch Verlag
Katarina Mazetti, 1944 geboren, war bis 1989 als Schwedisch- und Englischlehrerin tätig. Sie arbeitet als Rundfunkjournalistin und Kolumnistin. Ihre Bücher für erwachsene Leser sind internationale Bestseller. Nach »Die Karlsson Kinder – Spukgestalten und Spione« (dtv 64004), »– Wombats und Wilde Kerl« (dtv 64007), »– Wikinger und Vampire« (dtv 64010) und »– Diebe und Dämonen« (dtv 64016) folgt nun das fünfte Abenteuer in der Reihe Hanser.
Wie schön, wieder auf Tante Fridas Insel Ferien zu verbringen: Doppingö erkunden, lesen, faulenzen und natürlich schwimmen.
Aber mit dem Schwimmen ist das so eine Sache, denn am Strand ist schwarze Schmiere angeschwemmt worden. Werden da etwa gefährliche Flüssigleiten unerlaubt ins Meer verklappt?
Etliches deutet darauf hin, und die Karlssons stellen sofort Ermittlungen an. Natürlich finden sie die Übertäter. Nur kümmert es keinen. Diese üble Umweltverschmutzung darf nicht so weitergehen, beschließen die Karlssons, und machen den Erwachsenen auf ihre ganz spezielle Art klar, dass sie der Sauerei ein Ende setzen müssen.
Deutsche Erstausgabe 2016
© 2014 Katarina Mazetti
Titel der Originalausgabe: ›Kusinerna Karlsson – Skräckbåten och svarta damen‹
(Alfabeta Bokförlag AB, Stockholm 2014)
Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe:
© 2016 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
Reihengestaltung und Umschlag: Katrin Engelking
Karten: Annie Palmgren
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
eBook-Herstellung im Verlag (01)
eBook ISBN 978-3-423-42908-5 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-64021-3
Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website www.dtv.de/ebooks
ISBN (epub) 9783423429085
Wer mehr darüber wissen möchte, kann es in »Die Karlsson-Kinder – Diebe und Dämonen« nachlesen.
Die Bücher, in denen von diesen Abenteuern erzählt wird, heißen »Die Karlsson-Kinder – Wombats und wilde Kerle« und »Die Karlsson-Kinder – Spukgestalten und Spione«.
Touristen hat Frida erst mit den Wombats anlocken wollen, von denen schon die Rede war, und dann – in »Die Karlsson-Kinder – Wikinger und Vampire« – mit einer »Wikingerwelt«.
In dem bereits erwähnten Buch über »Wombats und wilde Kerle« war das.
Im Abenteuer mit der Maskenbande war das gewesen.
Stammbaum der Karlsson-Kinder
Großvater und Großmutter Karlsson (mütterlicherseits)
4 Töchter:
Ulla, Forscherin, verheiratet mit Allan, Mutter von Julia und Daniella, genannt Hummel
Molly, Schauspielerin, Mutter von George
Ellen, Köchin, lebt zusammen mit Claude Bouclé, Mutter von Alex
Frida, Künstlerin
Es war ein warmer Sommerabend im kleinen Städtchen Östhamn an der schwedischen Ostseeküste. Jetzt, Mitte Juli, waren die Tage lang und hell, und die Sonne ging nicht vor zehn Uhr abends unter. Am Badestrand nicht weit vom Hafen wurden die Schatten auf dem Sand allmählich länger.
Aber erst als es fast dunkel war, tauchte eine Reihe geduckter Gestalten auf, die sich leise über den Strand bewegten. Sie trugen irgendetwas auf dem Rücken, Säcke offenbar, und ein aufmerksamer Beobachter hätte bemerkt, dass es sowohl Erwachsene als auch Jugendliche und sogar Kinder waren. Allerdings gab es keinen solchen Beobachter, denn es war ein normaler Abend unter der Woche, an dem die meisten Bewohner des Städtchens zu Hause vor dem Fernseher saßen – wenn sie nicht schon zu Bett gegangen waren.
Der Einzige, der die dunklen Gestalten sah, war ein seltsamer Hund: eine Kreuzung zwischen Labrador und chinesischem Nackthund. Seine Ohren waren so groß wie Fledermausflügel und hatten weiße Haarbüschel an den Spitzen. Er war schwarz-weiß gefleckt mit einem gedrungenen Körper und übergroßen Pfoten, auf denen er zwischen den Menschen auf dem Strand herumwuselte. Ab und zu wurde er von ihnen getätschelt.
Was immer die dunklen Gestalten Geheimnisvolles zu erledigen hatten, sie erledigten es schnell und verließen den Strand genauso leise, wie sie gekommen waren. Sie gingen, die Säcke auf dem Rücken, im Gänsemarsch, und der seltsame Hund folgte ihnen und wedelte mit dem Schwanz. Erst ein Stück vom Strand entfernt versammelten sie sich im Kreis und flüsterten miteinander, bevor sie in Richtung Marktplatz weiterzogen.
Der Marktplatz lag vollkommen verlassen, sogar die Würstchenbude hatte schon geschlossen. Die dünnen Wasserstrahlen des Springbrunnens in der kleinen Grünanlage glitzerten im gelben Schein der einzigen Laterne auf dem Platz. Vom schwachen Plätschern des Wassers abgesehen, war es vollkommen still.
Dann wurden die glitzernden Wasserstrahlen von den dunklen Gestalten verdeckt, die sich um den Brunnen drängten.
In einer eleganten Villa direkt am Marktplatz wohnte der Gemeindevorsteher Tore Hörnman. Er war einer der wichtigen Männer in Östhamn, wenn nicht der wichtigste. Jetzt gerade saß er bei zugezogenen Vorhängen in seinem Wohnzimmer und schaute sich die Spiele der englischen Premier League im Fernsehen an. Seine Frau Lilian stand, ihre Topfpflanzen gießend, am Fenster und sah durch den Vorhangspalt, dass auf dem Marktplatz irgendetwas vor sich ging.
»Tore!«, sagte sie. »Tore, da draußen sind Leute, die … Ich weiß nicht … was machen die denn?«
»Pst!«, machte ihr Mann. »Na bitte, jetzt weiß ich nicht, wie Tottenham gegen Arsenal ausgegangen ist!«
Er sollte es noch bereuen, dass er nicht aus dem Fenster schaute, um zu sehen, wovon seine Frau sprach.
Früh am darauffolgenden Morgen kam Pelle Penna, der einzige Reporter des Lokalblatts Östhamns Allehanda, über den Marktplatz geschlendert. Er hatte die Angewohnheit, morgens als Erster durchs Städtchen zu gehen, damit er es auch als Erster erfuhr, wenn in der Nacht etwas passiert war, worüber es sich zu berichten lohnte.
Allerdings passierte in Östhamn nicht besonders viel. Die letzte große Sensation waren die Einbrüche der Maskenbande letztes Jahr an Halloween gewesen.1 Seither hatte es einen Zwischenfall mit einer der neuen Straßenlaternen gegeben, die zu Bruch ging, als jemand einen Stein nach einer schreienden Katze schmiss, und ein paar Wochen später einen Fahrraddiebstahl, bei dem das entwendete Fahrrad tags darauf im nahen Storvalla auftauchte. Pelle Penna, der immer seinen Notizblock und seinen Stift bereithielt, seufzte. Reporter in einem verschlafenen Städtchen wie Östhamn zu sein war nicht einfach.
Pelle fuhr sich mit der Hand über die feuchte Stirn unter den roten Haaren. Er war ein dicker, tapsiger Mensch in ausgeleierten Jeans, den schon die Wärme des frühen Morgens ins Schwitzen brachte. Jetzt beschloss er, sich für ein Weilchen in die Grünanlage am Rand des Marktplatzes zu setzen, wo ihm der plätschernde Springbrunnen hoffentlich ein wenig Kühlung verschaffen würde.
Aber was war das? Pelle Penna blieb mit weit aufgerissenen Augen stehen. Was war denn um Himmels willen mit dem Brunnen passiert?
Es war ein schöner und stattlicher Springbrunnen, in dem, umgeben von Wasser speienden Bronzefischen, eine Seejungfrau auf einer Klippe saß.
Und nun hatte irgendwer den Bronzefischen allen möglichen Müll in die Mäuler gestopft! Zeitungen, leere Zigarettenschachteln, Bonbontüten und Papier von Schokoriegeln. Die Folge war, dass die Fische das Wasser wild in die Gegend spien und jeden, der ihnen zu nahe kam, nass spritzten. Auch im Wasser schwamm haufenweise Unrat, und die Seejungfrau trug ein Halsband aus verbeulten Getränkedosen und eine Kappe aus einem halben Badeball.
»Schmutz und Dreck! So was ist Terrorismus, ist das!«, rief Pelle Penna und schaute sich nach allen Seiten um. Terrorismus war sein Lieblingsthema, und mit dem Verdacht, es könnten irgendwo Terroristen am Werk sein, war er schnell bei der Hand. »WER war das?«
Keine Antwort. Nur ein struppiger schwarz-weißer Hund mit Ohren wie Fledermausflügel kam vom Hafen angelaufen. Neben der Bank, auf die Pelle sich inzwischen hatte fallen lassen, krümmte er den Rücken und machte einen ordentlichen Haufen.
»Das ist ja wohl …!«, schrie Pelle. »Jetzt kacken schon wildfremde Hunde in unsere schöne Grünanlage! Hau ab, du hässliches Vieh!«
Unter einer Hängebirke nicht weit von Pelle entfernt stand eine Frau und beobachtete ihn durch die Zweige. Sie trug ein gut geschnittenes schwarzes Bolerojäckchen über einem engen schwarzen Rock und hatte ein auffallend blasses Gesicht und kalte blaue Augen. Als sie leise vor sich hin lachte, entblößte sie spitze Zähne. Dann wandte sie sich um und verschwand in einer der schmalen vom Marktplatz abgehenden Gassen.
Die Karlssons – Mutter Ulla, Vater Allan und die Töchter Julia, dreizehn, und Daniella, genannt Hummel, zehn – saßen um den Esstisch in der Küche und aßen zu Abend. Ihr fetter bunter Kater, der auch nur »Kater« genannt wurde, hockte unterm Tisch und schnappte nach allem, was gelegentlich herunterfiel.
»Sollen wir uns einen von diesen SUVs zulegen, wenn wir uns ein neues Auto anschaffen, was meint ihr?«, fragte Vater Karlsson nachdenklich. »So einen mit Vierradantrieb, mit dem man überall durchkommt. Für unsere Forschungsreisen wäre das schon praktisch, auch für das viele Material und die Ausrüstung, die wir immer mitschleppen müssen.«
Hummel schnaubte.
»Was denn für eine Ausrüstung?«, fragte sie. »Ihr braucht doch keine Maschinen und so was, oder? Solche Forscher seid ihr doch gar nicht. Ihr fahrt doch nur herum und fragt die Leute aus, was sie für Sprachen und Dialekte sprechen. Oder was sie essen und an welchen Gott sie glauben.«
Der Kater, der ein feines Gespür dafür hatte, was die Mädchen in der Familie gerade fühlten, schaute unter dem karierten Wachstuch vor und fixierte den Vater streng. »Nnniiiiaoooo!«, schimpfte er.
Julia runzelte die Stirn und fixierte ihren Vater ebenso streng.
»Du weißt doch wohl, wie schlimm diese Monsterautos für die Umwelt sind? Sie brauchen einen Haufen Sprit und …«
»Schon gut, Julia, lass uns essen! Das Auto hat sowieso noch Zeit«, sagte ihr Vater beschwichtigend.
Aber Julia, die gerade eine Fernsehsendung über den Anteil unterschiedlicher Verkehrsmittel an der Umweltverschmutzung gesehen hatte, war nicht zu stoppen.
»Und mit eurer ewigen Fliegerei ist euer Umweltkonto sowieso schon überzogen. Eigentlich sollten wir überhaupt kein Auto haben. Nicht mehr lange, dann ist das Eis in Grönland weggeschmolzen …«
Hummels Gesicht legte sich in Falten.
»Das Eis in Grönland? Aber was passiert dann mit den ganzen Eisbären und Walrössern? Und mit den kleinen runden Häuschen aus Schnee, die sie dort haben, den Iglos oder wie die heißen? – Das darfst du doch nicht machen, Papa!«
»Iglus mit u«, sagte Vater Karlsson, der jetzt ein bisschen beleidigt dreinschaute. »Dann bin ich also, neben allem anderen, auch noch ganz allein am Klimawandel schuld? Soll ich euch was sagen, ihr zwei Schlaumeier: Ich bin froh, dass ihr morgen zu Tante Frida auf die Insel fahrt. Da stört mich wenigstens keiner bei meinen Umweltsünden.«
Wenn er geglaubt hatte, dass seine Witzeleien reichten, damit Julia Ruhe gab, hatte er sich getäuscht.
»Aber vorher versprichst du uns, dass du keinen solchen Spritfresser kaufst!«, sagte sie.
»Er verspricht es«, sagte Mutter Karlsson und verpasste ihrem Mann den dritten strengen Blick an diesem Abend. Die Mädchen atmeten erleichtert auf. Mutter Karlsson pflegte Versprechen auch dann zu halten, wenn es ihr Mann war, der sie machte.
Tags darauf trafen die vier Karlsson-Kinder Julia, Hummel, George und Alex fast gleichzeitig am Busbahnhof von Östhamn ein, und das, obwohl sie mit unterschiedlichen Bussen aus unterschiedlichen Richtungen kamen. Der verabredete Treffpunkt war wie gewöhnlich die kleine Wartehalle. Erst kamen Julia und Hummel mit dem Kater in seinem Reisekäfig, dann Alex, der dreizehnjährige Cousin aus Frankreich.
»Ooooh, Alex!«, rief Hummel strahlend. »Wie groß du geworden bist! Genauso groß wie George! Ich will auch so groß werden! Isst du irgendwas Besonderes, dass du so wächst?«
Alex gab ihr Küsschen auf beide Wangen, wie es in Frankreich bei Verwandten üblich ist.
»’aferbrei!«, lachte er. »Mindestöns dreimal am Tag! Und manchmal ’ole ich mir sogar nachts noch eine Portion!«
Alex hatte immer nur bei seinen allerersten schwedischen Sätzen einen leichten französischen Akzent, danach höchstens noch, wenn er sehr aufgeregt war oder wollte, dass man ihn als Franzosen erkannte.
Hummel senkte stumm den Kopf. Sie hasste Haferbrei, das wusste jeder.
»Alex!«, sagte Julia und sah den Cousin stirnrunzelnd an. Anderen gegenüber nahm sie ihre kleine Schwester grundsätzlich in Schutz. Wenn jemand Hummel ärgern durfte, dann höchstens sie. »Er will dich nur piesacken, Hummel. Außerdem wär’s ja komisch, wenn er nicht wachsen würde, stimmt’s?«
»Wenn wer nicht wachsen würde? Redet ihr von mir?«, fragte da jemand hinter ihnen, und Julia drehte sich um.
»George! – Nein, von dir ganz bestimmt nicht! Du bist ja noch größer geworden! Sogar deine Haare sind gewachsen, stimmt’s? Willst du dir Zöpfe flechten? Ehrlich, damit wärst du bestimmt wahnsinnig süß …«
»Hör ich da so was wie Neid?«, lachte George. »Weil du selbst nur noch diese struppigen Büschel auf dem Kopf hast? Hast du’s mal mit Flüssigdünger probiert? Gibt’s in Sprühflaschen im Blumenladen …«
Julia lachte mit und haute George freundschaftlich auf den Rücken. George war ein knappes Jahr jünger, und sie verstanden sich wie beste Kumpel.
»Sag bloß, du Banause siehst nicht, dass das die neueste In-Frisur ist?«, sagte sie. »Frag Hummel, die erklärt’s dir genauer!«
Hummel wand sich erst, dann murmelte sie: »Es sollte nur ein bisschen was Neues sein, damit sie nicht immer gleich aussieht …«
»Sie hatte plötzlich die Wahnsinnsidee, dass Kater und ich besser zusammenpassen sollten«, erklärte Julia den beiden Cousins. »Darum hat sie mir abends, als ich schon tief und fest geschlafen habe, Farbe in die Haare geschmiert. Aus einem Krabbelkorb im Resteladen …«
»Es war ein klasse Sonderangebot für so tolle Haarfärbefarben!«, sagte Hummel.
Der rot, schwarz, grau und braun gescheckte Kater in seinem Tragekäfig maunzte wie zur Bestätigung.
»Dann hast du erst gar nichts davon gemerkt?«, fragte Alex.
»Genau. Ich bin morgens aufgewacht und hab plötzlich ausgesehen wie ein Maulwurf mit ein bisschen Fuchs dazwischen«, sagte Julia. »Und das Schlimmste war, dass man’s nicht wieder abkriegte. Darum war die Farbe auch so billig!«
Es gab ein großes Gelächter, aber Hummel wollte trotzdem lieber das Thema wechseln und zeigte durch die gläserne Wand der Wartehalle ins Freie.
»Was ist das eigentlich für eine Menschenmenge drüben auf dem Marktplatz?«, fragte sie. »Sieht aus, als wollte halb Östhamn im Springbrunnen baden!«
Julia schaute auf die Uhr.
»Wir können ja mal nachsehen!«, sagte sie. »Frida kommt uns erst in einer halben Stunde abholen.«
Sie schoben ihre Rucksäcke in ein Schließfach und ließen den Kater aus dem Tragekäfig. Auf nicht so vertrautem Gelände würde er sich nicht weit von seinen Frauchen entfernen, da brauchten sie sich keine Sorgen zu machen.
Die Menge um den Brunnen stand so dicht gedrängt, dass sie sich durchzwängen mussten, wenn sie etwas sehen wollten. Die Leute waren aufgebracht, das hörte man.
»Es ist ein Skandal!«
»Wer macht denn so was?«
»Den Hintern versohlen sollte man denen!«
So und ähnlich tönte es von allen Seiten.
Die Karlsson-Kinder starrten still auf den verunstalteten Brunnen. Die Fische spritzten wild in die Gegend, und der Unrat schaukelte träge auf dem Wasser: Kippen, Bonbonpapierchen, Eisstiele, leere Flaschen – alles. Es sah so schlimm aus, dass Julia sich schüttelte. Neben sich hörte sie Alex etwas auf Französisch murmeln, und sie hätte gewettet, dass es Flüche waren. Wer hatte wohl Spaß daran, den schönen Springbrunnen von Östhamn dermaßen zu verschandeln?
Es herrschte echt keine gute Stimmung um den verschandelten Brunnen, und jetzt wurde sie sogar bedrohlich.
Ein Mädchen mit kurz geschnittenen Haaren sprang plötzlich und ohne auf die spritzenden Fische zu achten auf den steinernen Brunnenrand, und ein ulkiger schwarz-weißer Hund mit Haarbüscheln an den großen Ohren versuchte, ihr hinterherzuspringen.
»Blitz, sitz!«, sagte das Mädchen, das ungefähr in Julias Alter sein musste. Dann wandte es sich der wütenden Versammlung zu:
»Und was, wenn ihr das hier selbst angerichtet hättet!«
»Was soll das denn heißen?«, rief ein älterer Mann böse. »Ich hab mein Lebtag noch keinen Müll in den Springbrunnen geschmissen!«
»Nein, aber vielleicht anderswohin? So wie hier im Brunnen sieht es nämlich jeden Abend auf dem Badestrand aus. Ich weiß das, weil ich gleich daneben wohne.«
»Willst du damit sagen, du hast das hier …«
Ein Junge sprang jetzt neben dem Mädchen auf den Brunnenrand.
»Sie will gar nichts damit sagen«, sagte er. »Und ich würde euch gern fragen, ob es der erste Müll ist, den ihr an der falschen Stelle seht. Okay, jemand hat ihn anscheinend absichtlich hierhergeschleppt – aber seid ihr sicher, dass ihr selbst noch nie einen Eisstiel oder eine Kippe einfach irgendwo habt fallen lassen? Schauen wir doch einfach mal: Hand hoch, wer noch nie was achtlos hat fallen lassen!«
Es wurde mucksmäuschenstill um den Brunnen. Die meisten Leute schauten verlegen zu Boden, und kein Einziger hob die Hand.
»Für mich wird’s Zeit, was zwischen die Zähne zu kriegen«, hörte man eine Männerstimme murmeln.
»Himmel, ist es schon so spät?«, fragte eine zweite.
Wenig später war die kleine Grünanlage beinahe menschenleer. Die wütenden Östhamner Bürger hatten sich getrollt. Nur der Junge und das Mädchen waren noch übrig. Inzwischen hatten sie den Fischen schnell die Mäuler sauber gemacht und saßen auf dem Brunnenrand.
George ging zu ihnen hin.
»Seh ich das richtig, dass jemand den ganzen Müll hierhergeschleppt und in den Brunnen geschmissen hat?«, fragte er an das Mädchen gewandt. »Wer immer das war, hat gründliche Arbeit geleistet, das muss man ihm lassen. – Wart ihr das?«
Das Mädchen antwortete nicht, sondern sah George nur misstrauisch an.
»Übrigens, ich heiße George«, setzte er freundlich hinzu.
»Und ich Hummel«, krähte Hummel, die inzwischen auch herangekommen war. »Wir wohnen auf Doppingö bei unserer Tante, also in den Sommerferien, meine ich, so wie zum Beispiel jetzt …«
»Doppingö …«, sagte das Mädchen nachdenklich. »Ist ja interessant.«
»Und wie!«, quasselte Hummel weiter. »Es ist eine Spitzeninsel, wisst ihr, mit tollen Badeplätzen und einem Wald mit einer Höhle und einem alten Leuchtturm und …«
»Ihr habt Georges Frage nicht beantwortet, ob ihr das mit dem Müll wart!«, fuhr Julia ihrer kleinen Schwester dazwischen. »Wenn ihr’s wart, find ich’s nämlich richtig gut. Vielleicht begreifen die Leute ja so, dass der ganze Müll, den sie machen, sich nicht irgendwie in Luft auflöst.«
Aber bevor das Mädchen oder der Junge antworten konnten, hörte man ein wütendes Fauchen. Es war der Kater, der auf den Brunnenrand gesprungen war und von oben auf den schwarz-weißen Hund hinunterfauchte. »Njääääääh!«, machte er mit weit ausgefahrenen Krallen.
Der Hund begann daraufhin, im Kreis zu laufen, als suchte er einen Platz, wo er sich verstecken konnte. Ein paarmal blieb er auch stehen und winselte unglücklich zu dem fauchenden Kater hin.
»Blitz, Platz!«, sagte das Mädchen, das eindeutig das Frauchen des Hundes sein musste. »Er hat Angst vor Katzen. – Ob das eure ist, brauch ich wohl nicht zu fragen«, fuhr sie mit einem lächelnden Blick auf Julias bunte Haarbüschel fort. »Die Verwandtschaft ist ja nicht zu übersehen.«
Julia konnte es sich nicht verkneifen zurückzulächeln. Trotzdem war ihr der Katzenlook ein bisschen peinlich, und sie ging in die Hocke, um Blitz hinter den Fledermausohren zu kraulen.
»Wie heißt ihr?«, fragte Alex. »Ich heiße Alex!«
Das Mädchen schien immer noch zu zögern, aber dann gab es sich einen Ruck.
»Ich bin Mirre, und er heißt Jocke. Er ist mein Cousin.«
»Ganz schön viele Cousins und Cousinen hier!«, lachte Hummel. »Wir sind nämlich auch alle welche, also untereinander natürlich, nicht von euch.«
Mirre war kleiner als Julia, die für ihr Alter allerdings recht groß war, und sie trug Shorts zu einem T-Shirt mit einem großen Pandabild. Jocke war sicher etwas älter und hatte Dreadlocks und fröhliche blaue Augen. Julia fiel eine Tätowierung an seinem Handgelenk auf: ein kleiner springender Delfin. Jocke lächelte sie an.
»Hab ich das richtig verstanden?«, frotzelte er. »Du findest es eine gute Idee, Springbrunnen einzusauen?«
Aber bevor Julia antworten konnte, schallte eine laute Stimme über den Marktplatz.
»KAAAAARLSSOOOON-KINDER!«
Es war unverkennbar Tante Frida, deren rotes Haargebirge auf dem Kopf immer aussah, als könnten Vögel darin wohnen. An der Seite hatte sie dazu noch Zöpfe, die auf und nieder wippten, während sie über den Marktplatz stürmte. Sie schnaufte und strahlte trotzdem übers ganze Gesicht.