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LEKTÜRESCHLÜSSEL
FÜR SCHÜLERINNEN UND SCHÜLER

Jeremias Gotthelf

Die schwarze Spinne

Von Walburga Freund-Spork

Reclam

Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe: Jeremias Gotthelf: Die schwarze Spinne. Stuttgart: Reclam, 2002 [u. ö.]. (Universal-Bibliothek. 6489.)

Alle Rechte vorbehalten
© 2003, 2013 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2013
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-960204-2
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015336-9

Inhalt

1. Erstinformation zum Werk

2. Inhalt

3. Personen

4. Werkaufbau, Sprache, Gattung

5. Wort- und Sacherläuterungen

6. Interpretation

7. Autor und Zeit

8. Rezeption

9. Checkliste

10. Lektüretipps

Anmerkungen

1. Erstinformation zum Werk

Die Novelle Die schwarze Spinne von Jeremias Gotthelf (d. i. Albert Bitzius) entstand im Jahre 1841. Sie erschien zum Jahreswechsel 1841/42 im ersten Band der sechsbändigen Ausgabe Bilder und Sagen aus der Schweiz. Damals fasste Gotthelf auch den Plan, die Geschichte der Schweiz bis zur Gegenwart in »Schweizersagen und Bildern« darzustellen. Motive der Schwarzen Spinne hatte er bereits in seinem ersten Roman mit dem Titel Bauernspiegel (1837) entwickelt. Hier wie dort kritisiert er die moralischen und sittlichen Schwächen und die religiöse Verunsicherung und stellt ihnen das Bild einer idealen Gesellschaft und eines idealen Staats gegenüber. Im Vorwort zum Bauernspiegel nennt Gotthelf die Gründe für sein leidenschaftliches Bekenntnis zu einem intakten Gemeinwesen.

»Was kann ich dafür, daß es in mir sprudelt und kocht, wenn ich das Glück dieses Ländchens durch selbstsüchtige Leidenschaftlichkeit niedergetreten, durch Frechheit zerstört und durch Laster aufgezehrt, durch schnöde Geldsucht ausgebeutet, durch Rechthaberei oder Leichtsinn untergraben sehe. Verzeiht mir nun, wenn es auch überkocht!«1

Gotthelf glaubt, in seiner Art zu schreiben alle Voraussetzungen eines Volksschriftstellers zu erfüllen. Kennzeichnend für den Volksschriftsteller ist aus seiner Sicht, dass dieser das Leben, das er beschreibt, »aus eigener Anschauung« kennt, am »Volkshumor« teilhat und die »heilige Liebe zum Volk« in ihm wohnt. Dabei darf die kritische Darstellung nicht ausgeschlossen werden, aber der Leser muss spüren, dass die Kritik nicht aus Bosheit, sondern aus »innigem Erbarmen« erwächst. Auch muss sich der Volksschriftsteller aller Schichten des Volkes annehmen und ihnen so begegnen wie sie sind und nicht wie sie sein sollten.«2 Inwieweit dies für die Schwarze Spinne zutrifft, wird zu erläutern sein.

Der Schwarzen Spinne liegen verschiedene, im Einzelnen nicht immer auszumachende und exakt nachzuzeichnende Quellen zugrunde. Es handelt sich dabei um eine Viehseuchensage, in der das Tiersterben durch eine schwarze Spinne verursacht wurde, um die örtliche Überlieferung über das Grassieren der Pest im Emmental, im Volksmund auch Schwarzer Tod genannt, um eine Rittersage, die an den Namen des Deutschritters Hans von Stoffeln anknüpft, dessen Wappen in der Sumiswalder Kirche zu sehen ist, und um die Erzählung von einer Lindauerin, die als Frau eines Kriegers nach Trub, einem Ort im schweizerischen Emmental, gekommen war und von der behauptet wurde, sie sei vom Teufel besessen. Gotthelf legt daher seiner Novelle im Volk lebendige Erinnerungen zugrunde.

Darüber hinaus verwendet er aber auch Motive aus der Literatur, wie das vom Pakt mit dem Teufel, dem der Mensch verfällt, wenn er sich mit ihm einlässt, oder die Erscheinung des Teufels als Jägersmann. Hier gilt als sicher, dass er an die gleichnamige Novelle von A. F. E. Langbein (1819) anknüpft. Aber gerade der Vergleich mit der Langbein-Novelle zeigt, »was von Gotthelf geleistet wurde, wobei sich die mythische und dichterische Kraft kaum voneinander trennen lassen«.3

Bei Langbein wird der Teufel, ebenfalls in Gestalt einer Spinne, aus dem Astloch einer Königstanne im Wald befreit. Doch gelingt es einem jungen Förster, um dessen Braut des Teufels Sohn buhlt, ihn auf listige Weise ohne die geringste Gefahr für Leib und Leben in die Tanne zurückzubannen. Langbein stattet die Handlung mit schwankhaften Zügen aus, indem alle dem Teufelsspuk verfallenen Personen am Ende als Geprellte und Betrogene dastehen, und auch der Teufel selbst nur ein dummer, leicht zu überlistender Tölpel ist. Demgegenüber wird der Teufel bei Gotthelf dort handlungsbestimmend, wo der Mensch auf unbillige Weise über den Mitmenschen herrscht und so zu einer fundamentalen Bedrohung der bestehenden Gemeinschaft wird. Originärer Verursacher des Geschehens ist der Ritter Hans von Stoffeln. Nicht die Forderung von Fronarbeit an sich ist Anlass für die Not der Bauern, sondern die Maßlosigkeit seiner Forderung. Die intakte Gemeinschaft der Bauern lehnt sich deshalb auch nicht gegen den Ritter auf, sondern kommt gehorsam den Forderungen nach, obwohl der Schlossbau sie bereits überforderte. An der Werthaftigkeit der bestehenden hierarchischen Ordnung lässt Gotthelf keinen Zweifel aufkommen, wohl aber an der mangelnden Verantwortung des Ritters gegenüber den seiner Herrschaft anvertrauten Bauern. Die Bedrohung erwächst daher aus Maßlosigkeit, Egoismus und Verantwortungslosigkeit, aber auch aus mangelnder Solidarität. So ist die Ausgrenzung Christines aus der Gemeinschaft, die sie nach der Begegnung mit dem Grünen bitter beklagt, eine weitere Ursache für den Pakt mit dem Bösen und für die hybride Selbstüberschätzung ihrer eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten, durch die der Fortbestand des Gemeinwesens gefährdet wird. Rettung bringt allein Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft gottesfürchtiger Menschen. Die Ursachen der Bedrohung liegen in den Menschen, die sich in egoistischer Selbstüberschätzung falsch entscheiden und deren solidarisches Verhalten angesichts von Angst und Bedrohung auseinander bricht. Die beiden Binnenerzählungen zeigen die Bedrohung der menschlichen Gemeinschaft durch Maßlosigkeit von außen in einer feudalistisch bestimmten Gesellschaft und Ordnungslosigkeit von innen in einem bäuerlich-patriarchalischen Gemeinwesen.

Demgegenüber entwirft Gotthelf in der Rahmenerzählung bewusst eine idyllische, intakte Gemeinschaft, deren Bestand so lange gesichert ist, wie das Böse im schwarzen Fensterpfosten gebannt bleibt, der als mahnendes Symbol stets gegenwärtig ist. Für Gotthelf besteht kein Zweifel, dass dies nur geschieht, wenn der Mensch an dem festhält, was Moral und Sitte vorschreiben, und wenn durch Gerechtigkeit das gegenseitige Vertrauen gestärkt wird. Das Gemeinwesen ist darauf angewiesen, dass jeder gewissenhaft die ihm zugefallene Aufgabe erfüllt. Standfestigkeit im Innern bannt die Bedrohung von außen. Die Idylle der Rahmenerzählung stellt die intakte Familie in den Mittelpunkt. Dem Teufelsspuk der Binnenerzählungen wird das Tauffest gegenübergestellt, die Feier zur Aufnahme des Kindes in die Gemeinschaft der Christen: der Gegensatz von Gut und Böse tritt in Gotthelfs Novelle als Erzählprinzip stark hervor. Die Rahmenidylle, von Gotthelf bewusst als Utopie gestaltet, weist dem Einzelnen die Richtung seiner Handlungsentscheidungen zu, die sich niemals gegen die Gemeinschaft als hohes Gut richten dürfen.

Wer sich gegen die Gemeinschaft entscheidet, stellt sich außerhalb und verliert ihren Schutz. Schutzwürdig aber erweist sich nur der, der seine Verantwortung für das Gemeinwohl an seinem Platz übernimmt.

Gotthelf hat mit seiner Schwarzen Spinne auf die bestehenden Gefahren in seiner Zeit aufmerksam gemacht und eine Lösung im Festhalten an Religion und Sitte gesehen. Seine Lösungen sind unter Umständen nicht die Lösungen für eine moderne Gesellschaft. Sollten Gotthelfs Lösungen aber ihren Sitz in unserem Leben verloren haben, lohnte es sich darüber nachzudenken und darüber zu diskutieren, welche anderen an ihre Stelle treten sollten. Wo, wenn nicht im Unterricht, wäre dafür der angemessene Ort?

2. Inhalt

Es ist Frühling im engen Tal, dem Blick zeigt sich ein mustergültig gepflegtes, reinliches und stattliches Haus, das innen und außen mit Leben erfüllt ist. Die Bewohner, der Großvater, die Großmutter, das Gesinde, Knechte und Mägde legen letzte Hand an die Vorbereitung einer Kindtauffeier, während im Innern des Hauses von der Hebamme gekocht und gewirtschaftet wird, um den erwarteten Taufpaten, der jungen Götte und den beiden männlichen Göttenen, dem Brauchtum entsprechend, ein Mahl zu bereiten, wie es der Sitte, der Behaglichkeit und dem Wohlstand der Eltern angemessen ist.

Als man sich endlich mit dem Säugling auf dem Weg zur Kirche befindet, alle vorgeschriebenen Rituale beachtend, entdeckt die Götte, dass sie nicht nach dem Namen des Bübchens gefragt hat, dem Pfarrer daher nicht Auskunft geben kann, wie es Brauch ist. Jetzt nachfragen darf sie nicht mehr, weil dann das Kind neugierig werde. Der Taufakt verläuft jedoch ohne Zwischenfälle. Der Pfarrer kennt den Namenswunsch der Eltern, und so kann man nach der Taufe und der Predigt getrost den Rückweg über die wohlbestellten Felder antreten, Stolz eines im Tal noch gesunden Bauernstands und gottesfürchtiger Menschen.

Im Haus angekommen, erwartet die Paten und die zahlreich geladenen Gäste ein Mahl, das in seiner Speisenfolge einschließlich aller Zutaten vom Erzähler, versetzt mit kleinen Anekdoten aus der Nachbarschaft, gastfreundlich dargeboten wird.

Die Reichhaltigkeit der Speisen gebietet eine Unterbrechung des Mahls. Die Gäste begeben sich mit dem Großvater in den Garten, von wo aus der Blick auf das neue Haus fällt, was einen Gast zu der Frage nach dem unpassenden, schwarzen Pfosten in der sonst neuen Umgebung veranlasst. Nach anfänglichem Zögern entschließt sich der Großvater, die Geschichte des dunklen Pfostens wahrheitsgemäß zu erzählen, weil die Kenntnis um dessen Bewandtnis den Bewohnern des Tals und des Ortes Sumiswald sehr nützlich sein könne bei der Bewahrung von Glauben und Gottesfurcht.

Die Geschichte des Großvaters hat sich vor 600 Jahren, zur Zeit der Kreuzzüge und Kreuzritter zugetragen. Die Bauern waren zu dieser Zeit unfrei und leibeigen, zu Fronarbeit für die herrschende Ritterschaft nach deren Gutdünken verpflichtet. Der aus dem Heidenkrieg zurückgekehrte Ritter Hans von Stoffeln aus Schwaben, ein wüster Ordensritter, rücksichtslos, wild und hart gegen die Bauern des Tals, verlangt von ihnen den Bau eines Schlosses auf dem kahlen Bärhegenhubel.