SCM R.Brockhaus ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
ISBN 978-3-417-22927-1 (E-Book)
ISBN 978-3-417-25368-9 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck
© 2019 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH
Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: info@scm-brockhaus.de
Die Bibelverse wurden folgender Ausgabe entnommen:
Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der
SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen.
Umschlaggestaltung: Laura Strehl, Witten/
Tobias Hermann, Gelsenkirchen
Titelbild: unsplash.com, Evie Shaffer
Satz: Christoph Möller, Hattingen
Über den Autor
Vorwort
1 Der Heilige Geist in der Vielfalt seiner Wirkungen
1.1 Wie redet die Bibel vom Heiligen Geist?
1.2 Der Heilige Geist in der Schöpfung
1.3 Der Heilige Geist und das Wort Gottes
1.4 Die Innewohnung des Heiligen Geistes
1.5 Die Frucht des Geistes
1.6 Die Gaben des Geistes
1.7 Die Kraft des Heiligen Geistes
1.8 Die Freiheit des Heiligen Geistes
2 Wie empfangen wir den Heiligen Geist?
2.1 Die christliche Grunderfahrung
2.2 Die christliche Grunderfahrung und die heutige kirchliche Wirklichkeit
2.3 Die Geistestaufe
2.4 Geistempfang im Neuen Testament
2.5 Das Zweistufenschema
2.6 Kann man den Geistempfang wahrnehmen?
2.7 Die Geistvergessenheit überwinden
3 Die Gaben des Heiligen Geistes im Neuen Testament
3.1 Charismen in 1Kor 12–14
3.2 Der »spontan-charismatische« Gottesdienst
3.3 Die Charismen in Röm 12
3.4 Eine »Gebrauchsanleitung« für den Umgang mit den Charismen
3.5 Die Charismen in 1Petr 4
4 Die Charismen in der Geschichte der Christenheit
4.1 Die Charismen in der Urchristenheit
4.2 Die Charismen in der Zeit der frühen Kirche und des Mittelalters
4.3 Die Charismen in der Zeit seit der Reformation
4.4 Die Pfingstbewegung
4.5 Die charismatische Erneuerung
4.6 Die »freien« Charismatiker
5 Die Gaben des Heiligen Geistes
5.1 Neutestamentliche Grundlagen
5.2 Offene Fragen
5.3 Eine Gesamtübersicht über die Gaben des Heiligen Geistes
6 Die allgemeinen Charismen
6.1 Das Charisma des ewigen Lebens
6.2 Das Charisma des Redens und Handelns aus dem Geist
6.3 Das Charisma der Begegnung
7 Die Charismen des Wortes
7.1 Das Charisma der Prophetie
7.2 Das Wort der Weisheit
7.3 Das Wort der Erkenntnis
7.4 Das Charisma der Deutung von Geisteswirkungen
7.5 Das Charisma der Glossolalie
7.6 Das Charisma der Auslegung der Glossolalie
7.7 Das Charisma der Lehre
7.8 Das Charisma der Leitung
7.9 Das Charisma der Offenbarung
7.10 Das Charisma der Seelsorge
7.11 Das Charisma des Singens im Geist
8 Die Charismen des Handelns
8.1 Das Charisma der Diakonie
8.2 Das Charisma der Glaubenskraft
8.3 Das Charisma der Krankenheilung
8.4 Das Charisma der Kraftwirkungen
8.5 Das Charisma der Fürsorge
8.6 Das Charisma des Teilens
8.7 Das Charisma der Sendung
8.8 Das Charisma der Evangelisation
8.9 Das Charisma der Barmherzigkeit
8.10 Eine offene oder eine geschlossene Liste?
9 Entdecken und Entfalten der Charismen
9.1 Die Erfüllung mit dem Heiligen Geist wahrnehmen
9.2 Um die Weckung der Gaben bitten, die Gott mir zugedacht hat
9.3 Die Gaben entdecken, die ich empfangen habe
9.4 Die Gaben entfalten, die ich entdeckt habe
9.5 Meine Gaben in meine Person integrieren
10 Der persönliche Umgang mit den Gaben des Heiligen Geistes
10.1 Die Gegenwart des Heiligen Geistes
10.2 Charismen und Bibellesen
10.3 Charismen und persönliches Gebet
11 Die Charismen im Leben der Gemeinde
11.1 Der freie Gebetsgottesdienst
11.2 Beten aus dem Hören
11.3 Der Segnungsgottesdienst
11.4 Charismen in Gemeindegruppen
11.5 Charismen im traditionellen Gottesdienst
11.6 Charismatische Akzente im Gemeindeleben
12 Die Charismen im Alltag
12.1 Die Gegenwart des Heiligen Geistes im Alltag
12.2 Die Gaben des Heiligen Geistes im Alltagsgewand
12.3 Charismen in der Gesellschaft
13 Gefahren im Umgang mit den Gaben des Heiligen Geistes
13.1 Power-Charismatik
13.2 Manipulation
13.3 Kontrollverlust
13.4 Realitätsverlust
13.5 Fremdbestimmung beim Entdecken der eigenen Gaben
13.6 Gaben des Geistes ohne Frucht des Geistes
13.7 Kriterien
14 Charismatische Spiritualität: Eine Vision
Werkstattbericht
Literaturverzeichnis
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Siegfried Großmann ist eine der prägenden Personen der deutschen charismatischen Erneuerungsbewegung. Er hat sie seit ihren Anfängen Ende der 1960er-Jahre fördernd und kritisch begleitet. Zu seinem Lebens thema liefert er einen klugen, biblisch fundierten und herausfordernden Wurf.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Als 1906 durch die Azusa-Street-Mission in Los Angeles eine Erweckung ausbrach, konnte niemand ahnen, dass dies eine kirchengeschichtliche Stunde war. Denn aus dieser Erweckung entstanden die ersten Pfingstgemeinden, und von da aus hat sich die charismatische Spiritualität über die ganze Welt ausgebreitet und fast alle Konfessionen erreicht. Aber was ist das eigentlich, die charismatische Bewegung? Wir spüren, dass hier ein vom Heiligen Geist gewirkter Aufbruch begonnen hat. Und gleichzeitig sehen wir, dass an vielen Stellen fragwürdige Entwicklungen eingetreten sind. Und so stellt sich die Frage: Wie sieht das Leben aus dem Geist aus – von den biblischen Grundlagen her und als Teil des Lebens im 21. Jahrhundert? Und welchen Beitrag können die Gaben des Heiligen Geistes dazu leisten?
Ich kenne die charismatische Bewegung aus eigener Erfahrung, seitdem sie 1963 die Kirchen in Deutschland erreicht hat. Ich habe dabei eigene charismatische Erfahrungen gemacht und in vielen Begegnungen die unterschiedlichen Ausprägungen der charismatischen Spiritualität kennengelernt. Dabei hat sich eine spannungsvolle Beziehung zwischen mir und der charismatischen Bewegung entwickelt. Denn ich verstehe mich weder als »charismatischen Insider«, der voll in dieser Spiritualität aufgeht, noch als einen reinen Beobachter, der die charismatische Bewegung von außen betrachtet. Aus dieser »Zwischenposition« reflektiere ich meine eigenen charismatischen Erfahrungen und die der anderen.
Mit diesem Buch möchte ich einladen, nach gangbaren und biblisch orientierten Wegen zu suchen, diesen Schatz der Gnadengaben Gottes zu heben. Dabei habe ich drei Zugänge zu unserem Thema genutzt: die Erfahrungen, die ich selbst mit den Gaben des Heiligen Geistes gemacht habe, die Beobachtung der einzelnen Kirchen, Strömungen und Gruppen, die es in der charismatischen Bewegung gibt; und schließlich die fast uferlose Literatur zum Thema. Zugunsten der leichteren Lesbarkeit habe ich auf Fußnoten verzichtet und dafür im Anhang einen Werkstattbericht geschrieben, der Hinweise auf wichtige Quellen und weiterführende Literatur enthält. Die gesamte Literatur, die ich eingesehen habe, ist im Literaturverzeichnis zusammengestellt.
Die charismatische Bewegung ist immer noch im Gärungsprozess: vielschichtig, gegensätzlich und manchmal grenzwertig. Deswegen gibt es in der Literatur auch noch keine gemeinsame Terminologie. Um nicht missverstanden zu werden, muss ich also meine eigenen Bezeichnungen erklären:
Charismatische Bewegung: alle Kirchen und Gruppen mit charismatischer Spiritualität, unter Einschluss der Pfingstbewegung;
Pfingstbewegung: die inzwischen weitverzweigte Konfessionsfamilie der Pfingstkirchen;
Charismatische Erneuerung: die charismatischen Gruppen in den traditionellen Kirchen – in Deutschland in der evangelischen und katholischen Kirche und in einigen Freikirchen;
freie Charismatiker: die freien charismatischen Gruppen, Zentren und Gemeinden, unter Einschluss der »Dritten Welle«.
Mit dem Titel »Beschenkt mit den Gaben des Heiligen Geistes« knüpfe ich an die Charismenlehre des Paulus an, der die Gaben des Heiligen Geistes Gnadengaben nennt, die Gott uns gibt, weil wir sie brauchen, und die allen Menschen verheißen sind, die ihr Leben an Jesus Christus übergeben haben. Sie sind uns für das ganze Leben gegeben, vom Leben der Gemeinde bis zu unserem Beruf und zu unserem Leben in der Gesellschaft. Sie zu erkennen, sie mit anderen Christen zu teilen und mit ihnen anderen Menschen so zu dienen, dass der Wille Gottes geschieht – das nenne ich charismatische Spiritualität. Und dabei geht es nicht um spektakuläre Ereignisse, sondern um das geisterfüllte Leben in unserem Alltag, in unseren Beziehungen und in unserer Verantwortung, die Gott uns gibt, weil er uns begabt hat.
Um diesen Kern der charismatischen Spiritualität geht es mir in diesem Buch, das viele Menschen ermuntern möchte, sich mit ganzer Hingabe für die Wirkungen des Heiligen Geistes zu öffnen.
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Es ist nicht gut, die Gaben des Heiligen Geistes aus ihrem Zusammenhang zu reißen, denn sie sind nur ein Teil der vielfältigen Wirkungen des Heiligen Geistes. Für sich allein werden sie schnell einseitig und können »über ihr Ziel hinausschießen«. Deshalb wollen wir uns zunächst zwei grundsätzlichen Fragen zuwenden: Wer ist der Heilige Geist? Und wie zeigt er sich in seinen Wirkungen?
Im Alten Testament wird Geist durch das hebräische Wort ruach ausgedrückt. Das ist überraschend, denn eigentlich heißt das Luft in Bewegung und wird für alle Stärkegrade des Windes vom Hauch bis zum Sturm verwendet. Bei genauerer Betrachtung ist das aber ein sehr treffendes Bild für den Heiligen Geist: Luft kann man nicht sehen, sondern nur an ihrer Bewegung erkennen. So ist es auch mit dem Heiligen Geist: Man kann ihn nicht beschreiben, sondern nur an seinen Wirkungen wahrnehmen. Er kann sanft wehen und einen Menschen beruhigen; er kann aber auch stürmisch sein und einen Menschen erschrecken. Und wie die Luft ist auch der Heilige Geist überall gegenwärtig. Wir dürfen mit seiner Wirkung rechnen, aber wir können sie nicht berechnen.
Das Neue Testament spricht von pneûma und drückt dabei dasselbe Bild aus, denn pneûma heißt in vielen Zusammenhängen zunächst einfach der Wind, der weht. Und so spricht auch das Neue Testament von der Unberechenbarkeit des Heiligen Geistes: »Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht; so ist jeder, der aus dem Geist geboren ist« (Joh 3,8). Das heißt aber nicht, dass wir wie ein gestrandetes Boot vom Wind hin und her geworfen werden, denn wir dürfen uns dem Heiligen Geist anvertrauen, weil er uns im Auftrag Gottes bewegt. Wir wissen nicht, warum der Geist Gottes so oder so handelt, aber es ist besser, »mit dem Wind Gottes zu segeln« als gegen ihn.
Die beiden Bilder von ruach und pneûma beschreiben den Geist Gottes als eine Kraft. Er ist aber auch eine Person als Teil des dreieinigen Gottes: »Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe« (Joh 14,26). Jesus nennt den Heiligen Geist den paráklētos, wörtlich den, den man herbeirufen kann, den Beistand, den Anwalt oder den Berater. Und durch das Erlösungswerk Jesu ist er uns so nahe gekommen, dass er Wohnung in uns nehmen kann: »Ihr aber seid nicht im Fleisch, sondern im Geist, wenn wirklich Gottes Geist in euch wohnt« (Röm 8,9). Als Kinder Gottes können wir mit der Gegenwart des Heiligen Geistes rechnen.
Bereits ganz am Anfang der Bibel wird der Geist Gottes als Mitgestalter der Schöpfung beschrieben: »Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis war über der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser« (1Mo 1,1-2). Denn der Geist Gottes sollte das Chaos so gestalten, dass ein Raum für das Leben entstand. Und diese schöpferische Mitwirkung des Heiligen Geistes hat bis heute nicht aufgehört: »Du sendest deinen Lebenshauch aus: Sie werden geschaffen; du erneuerst die Flächen des Ackers« (Ps 104,30). Und so ist der Geist Gottes der Spender des Lebens, indem er neues Leben erschafft und vorhandenes erneuert.
Im Kolosserbrief wird das Schöpfungshandeln Gottes auf Christus bezogen: »… er ist vor allem, und alles besteht durch ihn« (Kol 1,17). Der Glaube an den Erlöser isoliert uns also nicht vom Schöpfungshandeln Gottes, und deshalb ist das Wirken des Geistes immer ganzheitlich zu sehen und auf den Menschen wie auf die ganze Schöpfung bezogen. Daher ist es fatal, wenn »charismatisch geprägte« Christen nur nach innen schauen und »alternativ geprägte« nur nach außen. Das Evangelium kennt diese Grenze nicht, und so sind die Gaben des Heiligen Geistes auch dazu da, einen Lebensraum zu erhalten oder neu zu schaffen, in dem alle Menschen und mit ihnen alle Geschöpfe Gottes schöpfungswürdig leben können.
Das schöpferische Wirken des Heiligen Geistes betrifft mich aber auch ganz persönlich. Denn ich bin ja als Mensch Gottes Geschöpf, und mein Genom und mit ihm die Grundstruktur meiner Person ist aus dem Schöpfungshandeln Gottes hervorgegangen. Trotz meiner Sünde und meiner Unvollkommenheit bin ich eine Wohnung für den Heiligen Geist. Und der Geist Gottes will das, was er mitgestaltet hat, so wachsen lassen, dass »Christus in mir Gestalt gewinnt«. So ist es meine Aufgabe, meine ganze Person meinem Schöpfer zur Verfügung zu stellen, damit die Frucht des Geistes wachsen kann, die Gaben des Geistes entfaltet werden und ich die Kraft des Geistes erfahre.
»Alle Schrift ist von Gott eingegeben« (2Tim 3,16), wörtlich theó-pneustos, Gott-gegeistet. Hier ist der Heilige Geist ganz unmittelbar beteiligt, indem er die Autoren der biblischen Texte so inspiriert, dass sie das zum Ausdruck bringen können, was Gott den Menschen sagen will. Der Heilige Geist hat die Texte den Autoren aber nicht wörtlich diktiert, sondern ihnen nur den göttlichen Inhalt geoffenbart. Das sieht man daran, dass sie so schrieben, wie es ihrer Zeit, ihrem Denken und ihrer Erfahrung entsprach. Wir können der Bibel vertrauen, denn ihre Texte sind inhaltlich vom Geist Gottes eingegeben. Und weil sie von den Menschen im Denken ihrer Zeit geschrieben wurden, fällt es uns heute leichter, sie in die Lebenswirklichkeit und das Denken unserer Zeit zu übertragen.
Zum Verständnis für heute brauchen wir zweierlei: Das eine ist die theologische Arbeit an den Texten, also die Erforschung der sprachlichen Gestalt, des historischen Hintergrunds und der systematischen Einordnung in die größeren Zusammenhänge. Wenn es dann aber um die Frage geht, welche Botschaft uns Gott dadurch geben will – für mich, für meine Gemeinde oder für eine größere Gruppe –, sind wir wieder auf den Transfer durch den Heiligen Geist angewiesen. Das gilt für den einzelnen Bibelleser wie für den, der predigt, der auf einer Tagung einen Vortrag hält oder ein Buch schreibt. Und weil wir als Menschen Gottes Reden auch falsch verstehen können, brauchen wir eine Prüfung der Impulse, die wir aus dem Wort Gottes heraushören – am besten, wenn wir sie mit anderen gemeinsam prüfen und Gott bitten, uns vor Fehlern zu bewahren.
Das Bild vom Wohnen des Geistes Gottes im Menschen zeigt nicht nur die enge Verbindung zwischen Geist und Mensch, sondern hat darüber hinaus eine besondere Aussagekraft. Wer »Wohnrecht« hat, kann jederzeit kommen und dauerhaft bleiben, denn er hat ja einen Wohnungsschlüssel. Der »Schlüssel« in diesem Bild ist die Offenheit für das Reden und Handeln des Heiligen Geistes und unsere Einladung an ihn, unser Beistand und Berater zu sein. Er ist dazu bereit, und so kommt es allein darauf an, dass wir ihn einladen und einlassen. Paulus beschreibt das so: »Denn so viele durch den Geist Gottes geleitet werden, die sind Söhne Gottes« (Röm 8,14). Man kann es auch so sagen: Wer den Heiligen Geist in die »Wohnung seines Lebens« eingelassen hat, gehört zur Familie Gottes.
»Innewohnung« ist ein recht fremd wirkendes Wort. Ich stelle mir den Heiligen Geist wie einen Radiosender vor, der auf verschiedenen Frequenzen unterschiedliche Programme sendet, die man einstellen muss. Die erste Frequenz ist das Wort Gottes, durch das der Geist Gottes mit uns ins Gespräch kommt. Die zweite Frequenz ist das Gebet, das aber zu einem hörenden Gebet werden muss, damit ich nicht nur Gott meine Anliegen sage, sondern auch seine Anliegen höre. Die dritte Frequenz ist mein alltägliches Leben, in dem der Heilige Geist durch bestimmte Ereignisse, durch Menschen oder durch Impulse, die ich empfange, reden kann. Im Gegensatz zum Bild vom Radiosender bedeutet die Innewohnung des Heiligen Geistes aber keine Einbahnstraße, denn ich kann auf sein Reden und Handeln antworten oder ihm meine Fragen stellen.
»Die Frucht des Geistes aber ist: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit« (Gal 5,22-23). Jede Frucht ist das Ergebnis eines längeren Wachstums, das mit einem Samenkorn beginnt, während des Wachstums auf Erde, Licht und Nährstoffe angewiesen ist und sich im Laufe einer bestimmten Zeit zur Frucht entwickelt. Das »Samenkorn« ist die Lebensübergabe an Jesus Christus, die zusammen mit der Taufe zum Empfang des Heiligen Geistes führt. Die »Nährstoffe« habe ich bereits beschrieben: die Bibel, das Gebet, das unmittelbare Wirken des Geistes und die Gemeinschaft mit anderen Christen. Die Frucht des Geistes zeigt neun einzelne Ausformungen, die alle ein »Persönlichkeitsmerkmal« beschreiben: Liebe, Freude und Friede als Grundlage der Persönlichkeit; Langmut, Freundlichkeit und Güte als Beziehungsmerkmale und Treue, Sanftmut und Enthaltsamkeit außerdem als Elemente des Umgangs mit sich selbst. So soll und kann die Person zur menschlichen und geistlichen Reife heranwachsen.
Der Zusammenhang zwischen der Frucht des Geistes und den Gaben des Geistes zeigt, dass die Frucht das ethische Fundament für die Gaben ist. Nur wenn die Gaben auf der Basis der Liebe und der anderen Merkmale angewandt werden, können sie ihre vom Geist Gottes gewiesenen Aufgaben erfüllen. Ohne Liebe sind sie, wie Paulus sagt, »nutzlos« (1Kor 13,1-3). So entscheidet nicht das »Können« des Gabenträgers über den Nutzen wie über den Segen, sondern nur die Verwurzelung in der Frucht des Geistes. Diese Einsicht ist in den Gruppen der charismatischen Bewegung oft viel zu wenig verankert, obwohl es sich im Wesentlichen hier entscheidet, ob die Gaben des Heiligen Geistes im Segen angewendet werden können oder nicht.
Wachstum führt schon in der Natur über das Sterben: »Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht«, sagt Jesus in Joh 12,24. Wenn die Frucht des Geistes wachsen soll, muss sich der Mensch entscheiden, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. Und das garantiert keine menschliche Erfolgsgeschichte, sondern führt uns eher unter das Kreuz Jesu. Das bedeutet für viele Gruppen in der charismatischen Bewegung, dass sie nicht in dem Maße auf »Erfolg« setzen dürfen wie in der Gesellschaft üblich. Auch als Gabenträger müssen wir unsere Sünden erkennen und bekennen und uns so in die Gemeinschaft der Gemeinde einordnen, dass wir Seelsorge und Korrektur erfahren können. Wer mit seinen Gaben »punkten« will, wird scheitern – wenn nicht vor den Menschen, dann letzten Endes vor Gott.
Weil das ganze Buch von den Charismen als den Gaben des Heiligen Geistes handelt, will ich hier nur die sprachliche Seite ansprechen. In der griechischen Umgangssprache ist chárisma ein seltenes Wort und bedeutet ganz allgemein Geschenk. Der Wortstamm cháris, Gnade, macht deutlich, dass es um ein Geschenk geht, das man sich nicht verdient hat, sondern aus freien Stücken erhält. Das angehängte -ma zeigt, dass es sich um ein Ergebnis handelt, dass also aus der Gnade das Geschenk der Gnadengabe entsteht. Theologisch gedeutet heißt das: Die Charismen sind aus der Gnade Gottes gegebene Geschenke, die ihre Träger fähig machen, anderen Menschen in ganz bestimmten Situationen zu dienen.
Das Wort chárisma kommt im Neuen Testament nur bei Paulus und im 1. Petrusbrief vor. Trotzdem ist der Sprachgebrauch auch dort nicht einheitlich. In den Charismenlisten von 1Kor 12 und Röm 12 und in 1Petr 4 sind auf jeden Fall die speziellen Gaben des Heiligen Geistes gemeint, die durch den Heiligen Geist »zugeteilt« werden. Bei einigen anderen Stellen sind sich die Ausleger nicht einig, ob ein spezielles Charisma oder ein allgemeines Geschenk gemeint ist. Ich rechne das Charisma des ewigen Lebens, das Charisma des Redens und Handelns aus dem Geist (1Petr 4,11) und das Charisma der Begegnung zu den speziellen Charismen und werde das später bei der ausführlichen Beschreibung dieser Gaben begründen.
»Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist; und ihr werdet meine Zeugen sein« (Apg 1,8). Das Wort dýnamis, das hier für Kraft steht, beschreibt im Neuen Testament fast immer die Kraft, die von Gott, von Jesus oder vom Heiligen Geist ausgeht. Wir haben sie nicht in der Hand, denn sie ist uns für einen bestimmten Auftrag gegeben, oder wir bekommen sie, weil wir sie in einer bestimmten Situation dringend brauchen. Bei der dýnamis bleibt allein der Geist Gottes der Beweger, und so können wir nur die Bewegten sein. So wissen wir nicht, wann und wo der Heilige Geist seine Kraft einsetzen will, und sind ganz auf das Vertrauen zu ihm angewiesen.
Es gibt noch eine weitere Ausprägung der Kraft des Heiligen Geistes, die Paulus in 1Kor 12,6 als enérgēma bezeichnet. Das kann man am besten mit Wirkung übersetzen, denn hier geht es nicht um ein spezielles kraftvolles Ereignis, sondern um die dauerhaften energēmata, die wir für den Einsatz unserer Charismen brauchen. Auch bei den energēmata können wir über Stärke und Dauer nicht selbst verfügen, aber doch davon ausgehen, dass uns der Geist Gottes ausreichend damit versorgt. Denn Paulus sagt in 1Kor 12, dass die Gaben des Heiligen Geistes charísmata (Gnadengaben), diakoníai (Dienste) und energēmata (Wirkungen) sind. So ist das enérgēma keine spezielle Hilfe für eine bestimmte Situation, sondern ein Wesensmerkmal der Charismen selbst. Gott gibt uns eine Gabe, und er schenkt uns die Energie dazu, damit wir die entsprechende Aufgabe erfüllen können.
»Der Herr aber ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, ist Freiheit« (2Kor 3,17). Diese Aussage hat zu vielen Missverständnissen geführt, die entstehen, wenn wir die »Freiheit zu …«, die Paulus hier meint, mit der »Freiheit von …«, die üblicherweise in unserer Gesellschaft gilt, verwechseln. Denn die Freiheit von Bindungen und Verantwortungen, die in unserer Gesellschaft als eines der höchsten Ziele gilt, führt den Menschen zu einer schrankenlosen Selbstbezogenheit. Die Freiheit des Heiligen Geistes aber führt uns in die Partnerschaft mit dem Geist Gottes, der uns in den Fragen unseres Lebens berät und uns frei macht, das zu werden, was wir durch das Schöpfungshandeln Gottes sein sollen. Dabei ist der Mensch eine Person, die aus freier Entscheidung in den Bund mit Gott eintritt und sich für die schöpferischen Kräfte des Heiligen Geistes öffnet. Und so kann der Heilige Geist zur Wirkung kommen – frei in seiner Kreativität und unerschöpflich in seinen Möglichkeiten.
Es gibt dabei zwei Gefahren, denen die Menschen in der charismatischen Bewegung besonders ausgesetzt sind. Wer durch sein Charisma eine besondere Kompetenz zeigt und von anderen bewundert wird, kann schnell stolz werden und mit seiner Gabe nur noch in eigener Souveränität umgehen. Hier gilt ein geistliches Grundgesetz: Je stärker ein Charisma wirkt, desto stärker muss es an Christus angebunden sein und vom Heiligen Geist gesteuert werden. Die zweite Gefahr liegt darin, andere Menschen durch unsere Charismen von uns abhängig zu machen, etwa durch Prophetien oder die Gabe der Leitung, vor allem dann, wenn wir unsere Gaben autoritär ausüben. Besonders gefährlich wird es, wenn Formen der Manipulation und Suggestion dazukommen, wie es gerade bei charismatischen Großveranstaltungen oft geschieht. Dann kann der Heilige Geist nicht mehr wirken – wie beim Kohlenmonoxid, dessen tödliche Wirkung darin liegt, dass es den Sauerstoff verdrängt.
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Ausgerechnet in dieser für den christlichen Glauben zentralen Frage erleben wir in der Christenheit eine tiefe Zerrissenheit, in der Theologie wie in der kirchlichen Praxis. Wird der Heilige Geist in der Taufe vermittelt? Wenn ja, gilt das auch für die Säuglingstaufe? Oder empfangen wir den Heiligen Geist bei der Lebensübergabe an Jesus Christus? Brauchen wir dafür die Geistestaufe als eine zweite Erfahrung? Woran ist der Empfang des Heiligen Geistes zu erkennen? In welchem Status stehen die Menschen, die in einem christlichen Lebensbezug leben, aber nie eine spezielle Erfahrung mit dem Heiligen Geist gemacht haben? Benutzt der Geist Gottes ganz unterschiedliche Wege, um den Menschen zu erreichen und zu erfüllen?
Die charismatische Erneuerung in den Volkskirchen hat die Frage nach dem Entscheidungscharakter des christlichen Glaubens neu in den Mittelpunkt gestellt. Daraus entstand, vor allem in der katholischen charismatischen Erneuerung, eine neue Begrifflichkeit, die ich wegen ihrer Prägnanz und der Verbreitung in der charismatischen Bewegung hier verwenden will. Für die Umkehrerfahrung hat man den Begriff der Lebensübergabe an Jesus Christus gewählt und für den gesamten Prozess des Christwerdens die Formulierung christliche Grunderfahrung geprägt. Sie sind verständlicher als die traditionellen Bezeichnungen Bekehrung und Wiedergeburt.
Apg 2 beschreibt die christliche Grunderfahrung als Folge der Pfingstpredigt des Petrus folgendermaßen:
Als sie aber das hörten, drang es ihnen durchs Herz, und sie sprachen zu Petrus und den anderen Aposteln: Was sollen wir tun, ihr Brüder? Petrus aber sprach zu ihnen: Tut Buße, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden! Und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen. … Die nun sein Wort aufnahmen, ließen sich taufen; und es wurden an jenem Tag etwa dreitausend Seelen hinzugetan (Apg 2,37-38.41).
Dieser Text hat eine grundsätzliche Bedeutung, denn er beschreibt die »Urerfahrung des Christwerdens« und nennt alle Elemente der christlichen Grunderfahrung in einer nachvollziehbaren Reihenfolge. Für die charismatische Bewegung ist dabei besonders wichtig, dass hier der Empfang der Gabe des Heiligen Geistes in das gesamte Geschehen eingeordnet ist. Und so zeigt Apg 2 die fünf Elemente des Christwerdens, welche die christliche Grunderfahrung ausmachen.
Die Botschaft von Jesus Christus als dem Sohn Gottes »traf sie mitten ins Herz« und »wühlte sie auf«, wie man den Text auch übersetzen kann. Obwohl dabei Menschen mitgewirkt haben, etwa der Verkündiger und diejenigen, die sich aufwühlen ließen, kann nur der Heilige Geist bewirken, dass Menschen von der Botschaft bis ins Mark getroffen werden. Sein Handeln – wenn auch im Zusammenhang mit dem menschlichen Tun – steht am Anfang der christlichen Grunderfahrung.
Petrus ruft die Menschen zur Umkehr auf, denn im Text steht metanoéō, und das heißt wörtlich nach-denken. Weil metanoéō auch das Ergebnis des Nachdenkens einschließt, können wir auch von umdenken sprechen. Und weil noéō nicht nur das Denken im engeren Sinn meint, sondern auch das Gefühl und den Willen, spreche ich statt von Umkehr lieber von der Lebensübergabe. Denn diese »Urerfahrung des Christwerdens« beschreibt eine tief greifende Lebenswende, die alle Ebenen des Menschseins umfasst. Und dabei geht es um das Umdenken, also um eine bewusste Entscheidung, die einen mündigen Menschen voraussetzt.
Wer vom Geist Gottes angerührt ist und sich für die Lebensübergabe an Jesus Christus entschieden hat, lässt sich taufen. Weil der Mensch selbst ins Taufwasser steigt, zeigt er seinen Anteil an der Taufe, die Entscheidung zur Nachfolge Jesu. Das Entscheidende in der Taufe geschieht jedoch durch Gott, denn nur er kann Sünden vergeben. Das, was Gott tut, soll der Mensch aber mit allen Sinnen erleben. Und so wird der Täufling durch das Untergetauchtwerden mit Christus »begraben … in den Tod« und im Auftauchen mit der Verheißung beschenkt, als »in Neuheit des Lebens [zu] wandeln« (Röm 6,4).
Nach Apg 2 muss für den Empfang des Heiligen Geistes nichts weiter getan werden, denn der ursächliche Zusammenhang der drei Schritte wird klar zum Ausdruck gebracht: »Kehrt um, jeder lasse sich taufen, und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.« Lebensübergabe, Wassertaufe und Geistempfang sind hier zeitlich und von der Erfahrung her unmittelbar verbunden. Allerdings ist der Geistempfang kein unsichtbares Geschehen, sondern soll nach den Berichten der Apostelgeschichte so erfahren werden, dass er vom Täufling und der Gemeinde wahrgenommen werden kann.
Damit ist die christliche Grunderfahrung zwar abgeschlossen, aber noch nicht an ihr Ziel gelangt, denn sie ist zweierlei: der Abschluss des Christwerdens und der Beginn des Christseins. Aus der Ersterfahrung der Geisterfüllung soll die dauerhafte Innewohnung des Geistes werden, damit er uns als Beistand und Berater auf unserem Lebensweg begleiten kann. Und dieser Weg der Nachfolge Jesu ist kein Weg für Alleingänger, sondern braucht die Erfahrung der koinōnía, der Gemeinschaft im Geben und Nehmen. Dabei ist die Gemeinde als Leib Christi genau der Ort, an dem die Gaben des Heiligen Geistes an die koinōnía der Gemeinde angebunden sind – wie es Paulus zum Ausdruck bringt: »Denn in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft worden, … und sind alle mit einem Geist getränkt worden« (1Kor 12,13).
Bis heute ist es keiner Konfession gelungen, die Weite und Tiefe der christlichen Grunderfahrung voll abzubilden. Und es ist besonders tragisch, dass ausgerechnet in der Frage, wie man zum Glauben kommt, die Theologie und Praxis in den Konfessionen einem »Flickenteppich« gleicht. Die ökumenische Situation, die hinter diesem Problem steht, ist allerdings kompliziert, und eine gründliche Bearbeitung würde den Umfang dieses Buches sprengen. Ich möchte aber wenigstens einen Weg skizzieren, wie aus den bisher trennenden Unterschieden hilfreiche Ergänzungen werden könnten.
Apg 2 zeigt den »Normalfall« des Christwerdens, denn die fünf Elemente (Verkündigung, Lebensübergabe, Taufe, Geistempfang und Eingliederung in eine Gemeinde) bilden eine vollständige christliche Grunderfahrung und bauen sinnvoll aufeinander auf.
Der Weg zum christlichen Glauben kann auf keines dieser Elemente verzichten: Der Ruf Gottes muss uns treffen, wir müssen in den Bund mit Gott einwilligen, ihn in der Taufe besiegeln lassen, uns für den Heiligen Geist öffnen und die koinōnía der Gemeinde in Anspruch nehmen.
Deshalb ist die Vollständigkeit der christlichen Grunderfahrung wichtiger als die in Apg 2 beschriebene Reihenfolge, auch wenn alle Abweichungen von dieser Reihenfolge zu Problemen führen, die es vielen Menschen verwehren, die vollständige christliche Grunderfahrung zu erleben.
Wird die Taufe an Säuglingen oder kleinen Kindern vollzogen, muss die Lebensübergabe »nachgeholt« werden, sobald jemand als mündiger Mensch dazu bereit ist. Das sollte mit einer Feier der Tauferneuerung verbunden werden, damit das Bewusstwerden der Taufe wenigstens in Ansätzen möglich wird.
Fehlt bei der Lebensübergabe und der Taufe die Erwartung und Erfahrung des Geistempfangs, was oft auch bei der Gläubigentaufe der Fall ist, muss auch die Erfahrung des Geistempfangs »nachgeholt« werden. Das kann durch ein Segensgebet mit Handauflegung und der Bitte um die Erfüllung mit dem Heiligen Geist geschehen.
In der Pfingstbewegung wird im Allgemeinen ein Zweistufenschema gelehrt, bei dem die Wiedergeburt von der Geistestaufe unterschieden wird. Bei der Wiedergeburt schenkt der Heilige Geist den Glauben, bei der Geistestaufe wird die »Salbung zum Dienst« erfahren. Sie ist an der Gabe des Zungenredens zu erkennen und zieht meist das Bewusstwerden anderer Gaben des Geistes nach sich. Der wiedergeborene Christ muss selbst etwas dazu tun, damit die Voraussetzungen zum Empfang der Geistestaufe gegeben sind: das eigene Leben bewusst dem Willen Gottes unterwerfen, ernstlich um die Gaben des Heiligen Geistes bitten und die Geistestaufe persönlich erwarten.
Die Verkündigung in den Pfingstgemeinden ist stark auf die Erwartung der Geistestaufe ausgerichtet, vor allem dann, wenn es Menschen in der Gemeinde gibt, die auf dieses Ereignis warten. Dann geschieht häufig Folgendes: Zunächst entsteht durch das Singen von rhythmischen Liedern, oft mit Körperbewegungen verbunden, eine emotionale Atmosphäre. Dann gibt es kurze Ansprachen oder Zeugnisse und drängende Gebete, die schließlich in ein gemeinsames Zungenreden übergehen. Den Menschen, welche die Geistestaufe erwarten, werden die Hände aufgelegt, und meistens dauert diese Phase so lange an, bis auch bei den Neulingen das Zungenreden durchbricht und sie die erwartete Geistestaufe erfahren.
Bei den freien Charismatikern hat die Geistestaufe nicht den festen Platz wie in der Pfingstbewegung, sie wird aber von vielen erwartet und oft bei größeren Versammlungen oder Konferenzen erfahren. Die Emotionalisierung der Veranstaltungen verläuft ähnlich wie in der Pfingstbewegung, und auch hier ist die Musik ein Mittel der Suggestion. Neben dem Zungenreden treten enthusiastische Phänomene auf, wie das »Fallen unter der Kraft«, das manche auch in der ruhigeren Form des »Ruhens im Geist« erleben, Formen des Außersichseins, von Zuckungen oder Schreien und manchmal auch Erfahrungen der Heilung. Im »Toronto-Segen« hat sich gezeigt, dass dadurch eine Grauzone entsteht, in der die Grenzen zwischen echten Geisterfahrungen und einer Massensuggestion verschwimmen. Ich werde später genauer auf diesen Fragenkomplex eingehen.
Durch die charismatische Erneuerung in den Volkskirchen kam es vermehrt vor, dass vor allem junge Menschen den Wunsch äußerten, ihre bewusste Lebensübergabe an Jesus Christus mit einem Übergabegebet und der Bitte um die Erfüllung mit dem Heiligen Geist zu verbinden. Dies geschieht in den meisten charismatischen Gruppen in einer schlichten Weise. Einige der Anwesenden, die schon eigene charismatische Erfahrungen gemacht haben, legen demjenigen, der sein Übergabegebet spricht, die Hände auf und bitten um den Empfang des Heiligen Geistes. Die meisten Menschen erleben bei diesem Gebet eine besondere Freude oder auch erste Ansätze der ihnen zugeteilten Gaben, dies aber eher in einer großen Ruhe und nicht in einer enthusiastischen Weise. Diese Art des Geistempfangs wird häufig Geisttaufe genannt, vor allem in der katholischen charismatischen Erneuerung.
Das Substantiv Geistestaufe kommt im Neuen Testament nicht vor, wohl aber die verbale Formulierung mit Heiligem Geist getauft werden, z.B. in Apg 1,5. Taufen ist allerdings nicht der einzige Ausdruck für den Empfang des Heiligen Geistes und bei Weitem nicht der häufigste. Wenn man alle Verben zusammenstellt, die im Neuen Testament in diesem Zusammenhang gebraucht werden, erhält man folgende Übersicht:
• empfangen (11)
• geben (7)
• voll werden (5)
• wohnen (4)
• haben, taufen (je 3)
• ausgießen, erfüllt werden, fallen, geboren werden, kommen (je 2)
• auf ihn legen, herabfallen, hinnehmen, salben, über dich kommen, versiegeln (je 1)
Zunächst fällt die Vielfalt der Formulierungen auf, mit denen im Neuen Testament der Geistempfang beschrieben wird. Dabei gibt es allerdings zwei deutlich unterscheidbare Gruppen: Formulierungen, die eher das Auffällige, und solche, die eher das Unauffällige betonen.
• Das eher Auffällige:
voll werden, taufen, erfüllt werden, ausgießen, fallen, herabfallen, auf ihn legen, über dich kommen, hinnehmen, salben (insgesamt 20 Nennungen);
• das eher Unauffällige:
empfangen, geben, wohnen, haben, geboren werden, kommen (insgesamt 29 Nennungen).
Es geht mir bei dieser Statistik nicht um das Zahlenverhältnis, sondern um die Tatsache, dass das Neue Testament den Empfang des Heiligen Geistes sowohl als auffälliges wie als unauffälliges Geschehen beschreibt. Beide Formen sind geistlich autorisiert, und so kann der Heilige Geist sowohl eher enthusiastisch als auch eher verborgen erfahren werden.
Ich ziehe daraus die Konsequenz, dass der Begriff Geistestaufe recht willkürlich und einseitig aus der Vielzahl der Möglichkeiten ausgewählt worden und damit kaum geeignet ist, als Hauptbegriff für die Erfüllung mit dem Heiligen Geist zu dienen. Damit ist keine Abwertung der Erfahrung der Geistestaufe verbunden. Ich kritisiere aber die Konzentration auf diesen Begriff und auf eine Form, die in einer ganz bestimmten Art und Weise ablaufen soll. Deshalb spreche ich lieber vom Geistempfang, denn dieser Begriff ist neutral und wird im Neuen Testament am häufigsten verwendet.
Die Vielfalt der Formulierungen zeigt uns, dass die Art und Weise, wie Menschen die Erfüllung mit dem Heiligen Geist erleben können, sehr unterschiedlich ist. Der Grund