KAPITEL 2
Wie man sich stilvoll und mit Haltung kleidet

Quelle coquette! Das ist ein schönes Kompliment für eine Frau. Es ist nicht ganz leicht zu übersetzen, da es, wie so oft im Französischen, immer auch auf die Intonation ankommt, aber grundsätzlich bezeichnet es eine Person, die um ihr Äußeres bemüht ist – was ja zunächst eine gute Sache ist, bien sûr –, es bezeichnet eine Person, die ein Händchen für Mode hat, aber auch bewundert werden, gefallen, flirten oder verführen will oder, je nachdem, alles zusammen. Geschieht das auf eine bestimmte Art und Weise – und ich sehe dabei immer eine ungezwungene Frau mit einer gesunden Selbsteinschätzung vor mir –, fällt es auf. Ebenso, wenn es zu forciert wirkt. Balzac schrieb einmal sehr treffend: »La coquetterie ne va bien qu’à une femme hereuse.« (Coquetterie steht nur einer glücklichen Frau.)

Ich bin inzwischen überzeugt, dass Stil die Manifestation einer Haltung ist und der persönliche Stil einen wichtigen Teil dessen verkörpert, wie man zu sich selbst und seinem Umfeld steht.

Wenn wir uns anziehen, um Eindruck zu machen, geht Stil automatisch mit coquetterie einher. In Frankreich liegt die Betonung auf Verführung, da soziale Interaktion für die gesamte Nation schon immer auf der Kunst der Verführung basierte. Und dazu gehört es, coquette zu sein. Französinnen kleiden sich, um zu verführen, aber nicht in dem Sinne, jemanden ins Bett zu kriegen (nun gut, zumindest nicht in erster Linie). Zudem ist es etwas, was französische Frauen in späteren Jahren nicht mal im Traum aufzugeben bereit wären, denn das ist es, was sie inspiriert … zu dem inspririert, was sie anziehen, wie sie denken und wer sie sind. Schauen Sie in den Spiegel. Wenn Sie nicht coquette aussehen, fragen Sie sich mal, woran das liegt. Einige meiner Freundinnen würden sagen: »Stirb nicht, lebe!«

Damals im Beruf musste ich eine Zeit lang halbjährliche Gewinn-und-Verlust-Rechnungspläne höchstpersönlich bei Bernard Arnault abliefern, dem Vorsitzenden von LVMH und dem reichsten Menschen Frankreichs (in manchen Jahren war er auch nur der Zweitreichste). Ich weiß noch genau, wie ich ihm zum ersten Mal anlässlich einer dieser Präsentationen begegnet bin.

Er ist ruhig und zurückhaltend, obwohl er gnadenlos direkt sein kann, und er ist dafür bekannt, mit seinem scharfen Verstand und ausgesprochenen Sinn für Ästhetik – vor allem in Bezug auf Kunst, Musik und Stil –, Arbeitsprozesse mit Präzision zu kombinieren. Davon abgesehen ist er ein französischer Mann.

Als er mich zum ersten Mal in Empfang nahm, ganz der Franzose, musterte er mich unverfroren und im Zeitlupentempo von oben nach unten und von unten nach oben. Es fühlte sich endlos an. Il m’a déshabillée, wie man auf Französisch sagt (er hat mich mit Blicken ausgezogen). Was geht ihm gerade durch den Kopf?, fragte ich mich. Ich werde es nie erfahren, aber ich erinnere mich an einige alberne Unsicherheiten, die sich prompt bei mir auftaten. Ich weiß noch, wie ich dachte: Ich trage nichts von Dior (Dior gehörte ihm). Zudem hatte ich eine Bottega-Veneta-Mappe dabei und keine von Louis Vuitton. Auweia. Er gab mir die Hand und sagte: »Bonjour, Madame Guiliano.« C’est tout. Das war erst einmal alles.

Es besteht wenig Zweifel, dass wir einen Menschen nach seinem Äußeren beurteilen. Unser Erscheinungsbild liefert unserem Gegenüber wirksame Argumente hinsichtlich unserer Person. Offensichtlich wusste Monsieur Arnault bereits vor unserem Treffen einiges über mich, unter anderem, dass mein Team exzellente Ergebnisse erzielte, aber mich als Person kannte er überhaupt nicht.

Was sagte ihm meine Erscheinung? Was sagt es den Menschen, denen ich heutzutage im Flugzeug, auf dem Wochenmarkt, auf einer Party begegne? Es kommt natürlich immer darauf an, was man anhat und was Gesicht und Körper ausstrahlen. Und das sind Dinge, die Sie und ich in der Hand haben. Es ist alles eine Frage des Stils.

Unsere größte Angst

Während wir Frauen älter werden, ist unsere größte Angst vermutlich die, unsere Attraktivität einzubüßen, unsere Präsenz schlechthin. Wir sorgen uns plötzlich um Fältchen, einen schlaffen Po, dünnere Haare, dickere Taillen, und, ach, einen Hängebusen. Und es wird nicht besser. Hörgeräte sind ein Kreuz (wobei sie heutzutage glücklicherweise schon fast unsichtbar sind), hinzu kommt, dass wir auch noch zwei bis drei Zentimeter schrumpfen … und wir nehmen die gefürchtete Körperhaltung einer gebeugten alten Dame an. Kurz gesagt, wir fürchten, alt zu wirken.

Die französische Grundhaltung zu dieser Angst sieht etwa so aus: »Ich sehe mich im Spiegel als das, was ich bin. Ich akzeptiere es, und ich bin mit mir im Reinen; dennoch werde ich tun, was in meiner Macht steht, um die Botschaft, die ich aussende, zu beeinflussen. Und dann werde ich mich nicht darum scheren, was die Leute denken. Ich werde auf mich aufpassen und ein Image kultivieren, das mich in meinem jeweiligen Bestzustand zeigt, und werde weiterhin am Leben teilhaben.«

So stehen Französinnen zum Thema Stil und zum Älterwerden. Es ist eine angeborene, positive Haltung zu sich selbst und seinem Äußeren, zu seiner Individualität – das heißt, eine Frau zu sein mit einem klaren inneren wie äußerlichen Stil, der sowohl »tragbar« als auch charakteristisch ist. Und wenn französische Frauen irgendetwas sind, dann individualistisch in dem, wie sie sich präsentieren. Ihr Auftreten strotzt vor Stil und innerer Schönheit und einer Grundhaltung, die Nonchalance signalisiert (was oft sogar stimmt, und trotzdem machen sich Französinnen chic, um morgens ihr Baguette zu holen).


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