KAPITEL 1
Das Feststellen der Schwerkraft

Solange ich denken kann, hatte mein Mann einen blonden Schnurrbart. Eines Tages, vor nicht allzu langer Zeit, kam er jedoch zu mir und sagte: »Sieh dir das an, mein Schnurrbart ist ganz weiß.« So ist es tatsächlich und war es wohl schon seit gut drei Jahren, bevor es ihm auffiel.

Ich weiß nicht, was eine Fliege beim Anblick ihres Spiegelbilds denkt … Doch um das Älterwerden im Griff zu haben, müssen wir in den Spiegel schauen und uns wirklich sehen, innerlich wie äußerlich. Viele von uns machen sich etwas vor. Wir sehen nicht die Person, die wir jetzt sind. Wir sehen die Person, die wir mal waren. Oder wir sind geblendet durch die Person, die wir sein wollen oder zu sein glauben.

Nur wer sich wirklich kennt, kann gut altern, sich wohlfühlen in seiner Haut und eine gesunde, realistische und positive Einstellung zum Älterwerden entwickeln.

Um mit Haltung zu altern, müssen wir uns unbedingt in regelmäßigen Abständen sehr genau im Spiegel ansehen.

Auf was sollte man dabei achten? Man kann zu diesem Thema kein Buch und keine Zeitschrift aufschlagen, man kann im Fernsehen oder im Radio keine Sendung hören, ohne dass darin die immer wiederkehrenden Themen mit den »üblichen Verdächtigen« auftauchen: Gesundheit, Aussehen, Bewegung, Ernährung, Lebensstil, medizinische Wundermittel (zu denen ich als Unterkategorie die Schönheitschirurgie zählen würde) und Beziehungen.

Und zwecks Selbsteinschätzung und gegebenenfalls ein wenig Selbstmodifikation möchte ich als eigene Kategorie hinzufügen:

Haltung.

Zu den spezifischeren Fragen, die man sich beim Blick in den Spiegel stellen könnte, kommen wir später. Lassen Sie uns trotzdem von Anfang an die Macht der richtigen Grundhaltung hervorheben. Sie ist ein Wundermittel. Und nach Zaubertränken gegen das Altern suchen die Menschen wahrscheinlich schon, seit es Menschen gibt.

Die Haltung der französischen Frauen

Die Schwerkraft funkioniert in Frankreich genauso wie in der restlichen Welt, vor allem, wenn man in seine Sechziger und Siebziger kommt, manchmal sogar schon früher. Französische Frauen sehen das Älterwerden aber anders als die Frauen in den meisten anderen Kulturen. Der größte Unterschied zwischen französischen Frauen und den meisten anderen besteht nicht in Fragen der Körperpflege, Kleidung, Ernährung, Gesichts- oder Hautpflege, sondern in der Einstellung. Das fängt damit an, dass französische Frauen das Wort »alt« anders definieren. Eine jüngere, multinationale Studie hat gezeigt, dass sich Französinnen am wenigsten Gedanken um das Altern machen, und ein lässiges Drittel war der Ansicht, »alt« beginne erst mit achtzig.

Natürlich gilt in Frankreich eine Frau in ihren Vierzigern und Fünfzigern noch immer als attraktiv und begehrenswert. Sie spürt das und verhält sich entsprechend, wobei sie keineswegs so tut, als wäre sie alterslos. Sie ist mit sich im Reinen. Sie ist gepflegt, achtet meist auf Gewicht und Erscheinung, versucht aber nicht, wie zwanzig auszusehen. Amerika und viele andere Kulturen sind Jugendkulturen, Frankreich dagegen nicht. Nehmen Sie die bekanntesten französischen Schauspielerinnen. Sie alle strahlen eine Anmut und betörende Schönheit aus, die weder makellos ist noch an ihre Jugendjahre oder Zwanziger erinnert. Juliette Binoche? Geboren 1964. Catherine Deneuve, nach wie vor eine Ikone. Geboren 1943. Selbst Enddreißigerinnen wie Marion Cotillard wirken »reif« und strahlen Ausgeglichenheit und Erfahrung aus.

In französischen Filmen gibt es jede Menge junge Frauen, aber auch sie sind keine ewigen Drei Engel für Charlie. Denken Sie an die herzensgute, flachbrüstige Amélie (Audrey Tautou). In Filmen haben Frauen in ihren Fünfzigern nicht selten einen (jüngeren) Liebhaber. Im Film wie im Leben können Frauen im Beruf zwar kleinliche Bürokraten (eine typisch französische Eigenschaft) oder das Objekt diskreter Begierde sein, doch in ihrem Privatleben jenseits der Leinwand huldigen sie im Kleinen wie im Großen dem Intellekt. Französische Frauen können noch aus der Schulzeit Rousseau und Descartes zitieren und wollen immer alles diskutieren, vom Essen auf ihrem Teller bis hin zum jüngsten politischen Skandal. Erwachsen zu sein bedeutet, sich entwickelt zu haben. Und erwachsen zu sein heißt auch, manch eine Unsicherheit abgelegt zu haben, zum Beispiel, sich allzu sehr von der Schwerkraft verrückt machen zu lassen. Das Leben einer nicht mehr ganz jungen Frau hat viel damit zu tun, offensiv in der Gegenwart zu leben.

Sie kennen den Spruch »Fünfzig ist das neue Vierzig«. Ich habe mal geschrieben, Neunundfünfzig sei bisweilen das neue Sechzig. Und im New Yorker gab es eine traurige Karikatur mit dem Spruch: »Fünfundsiebzig ist das neue gar nichts«. Das hoffe ich zwar nicht, aber immerhin legt es nahe, dass man sich in seinen Siebzigern nicht zurückzuhalten braucht … wozu auch? Übrigens auch nicht in seinen Sechzigern und Fünfzigern à la française. Also, carpe diem.

Ein tolles Gefühl

Wie oft haben Sie Sprüche gehört wie »Man muss nur wollen« oder »Denk bloß nicht mehr drüber nach, das macht dich nur krank« oder »Sie hat sich aufgegeben«? Das sind alte Hüte.

Neu jedoch ist – wenn man nach fünfzig Jahren noch von neu sprechen kann –, dass die Macht des Geistes inzwischen wissenschaftlich erwiesen ist und eine eigene wissenschaftliche Disziplin darstellt. Das Feld hat sogar einen hochtrabenden Namen: Psychoneuroimmunologie. Der Glaube kann medizinische Wunder wirken.

Der Placeboeffekt ist Ihnen sicherlich ein Begriff. Je mehr ein Mensch an eine Behandlung oder ein Medikament glaubt, desto wahrscheinlicher ist es oft, dass er eine Verbesserung seines Gesundheitszustands erfährt. Placebos helfen mitunter gegen Ängste, Schmerzen, Depressionen und diverse andere Störungen. Vor wenigen Jahrzehnten wurde wissenschaftlich nachgewiesen, dass das Immunsystem mit dem Gehirn verknüpft ist und zwischen Hormonen und Neurotransmittern ein komplexer Informationsaustausch stattfindet.

Wenn dies auch keine rundherum probate Anti-Aging-Pille ist, so können doch mit bewusstem Glauben wie auch mit unbewusster Konditionierung körperliche Abläufe gesteuert werden, Immunreaktionen zum Beispiel und das Freisetzen von Hormonen. Klebt man einem Kind ein Pflaster auf, ist das Kind getröstet und fühlt sich besser, ohne dass es einen klaren medizinischen Grund dafür gibt. Wir wissen, dass ein starkes soziales Netzwerk Krebskranken bei der Genesung hilft. Das mag nun vielleicht kein Placeboeffekt im engeren Sinne sein, aber immerhin ein klares Indiz dafür, dass das Hirn für die körperliche und somit für die geistige Gesundheit eine entscheidende Rolle spielt. Durch Meditation zum Beispiel befreien wir uns von Selbsttäuschung und Stress und können dadurch inneren Frieden finden. Meditationstechniken wirken bekanntlich blutdrucksenkend und schmerzlindernd und sind imstande, Veränderungen in verschiedenen Hirnbereichen sowie allerhand andere Körperfunktionen auszulösen.

Der Punkt ist: Es liegt in unserer Hand, uns besser zu fühlen. Das muss man sich erst einmal klarmachen. Und dass wir das können, ist einfach großartig.

Sich realistische Ziele stecken, Optionen abwägen und dann in die Wege leiten, was wir über die verschiedenen kommenden Lebensabschnitte hinweg tun können und sollten: Das ist unsere wirkmächtige mentale Medizin, mit der wir einige unserer Leiden kurieren und für mehr Lebensfreude sorgen können. Ist das nicht ein tolles Gefühl?

Darf ich vorstellen: Yvette, Ü-Achtzig

Ich bin in Lothringen aufgewachsen und hatte damals ein Kindermädchen, das praktisch zur Familie gehörte. Jeden Sommer wurde ich beispielsweise für ein bis zwei Monate zu meiner Großmutter auf den Bauernhof geschickt, und Yvette übernahm das Kofferpacken und vermittelte jeden Tag zwischen mir und meiner strengen Großmutter … jahrein, jahraus. Irgendwann heiratete Yvette und bekam selbst einen Sohn und eine Tochter, und ich ging von zu Hause weg, zunächst auf die Highschool in der Nähe von Boston, dann zum Studieren nach Paris und später mit meinem Mann nach New York. So blieben wir hauptsächlich über meine Mutter in Kontakt und trafen uns hin und wieder auf eine Tasse Kaffee. Trotzdem waren wir uns immer sehr nahe. Als meine Mutter schließlich »in den Ruhestand« nach Südfrankreich ging, war es Yvette, die nach ihr sah und zuverlässig Bericht erstattete. Und nach dem Tod ihres Mannes zog auch sie nach Südfrankreich in den Ruhestand, und zwar nach Toulon an der französischen Riviera (die Heimat des Airbus). Sie hat einen wunderbaren Gefährten gefunden und genießt als über Achtzigjährige mit ihm zusammen das Leben. Die beiden besitzen sogar einen Luxus-Caravan und gehen auf einem Wohnwagenplatz eine halbe Fahrstunde von ihrer Stadtwohnung aus »campen«. Jedes Jahr im Sommer kommen sie mich in meinem Haus in der Provence besuchen, und ich freue mich immer riesig darauf.

Letzten Sommer kam Yvette in Begleitung ihres charmanten Gefährten und ihres Sohnes Claude, der ganz im Norden von Frankreich lebt. Bei einer Tasse Kaffee und einem Stück Tropézienne, dem köstlichen Kuchen, dem Brigitte Bardot seinen Namen gab (ja, Yvette und ich sind immer noch richtige gourmandes, auch wenn wir uns etwas mehr zurückhalten als früher), kamen wir auf das Thema New York zu sprechen – ihr Sohn war vor ein paar Jahren mit seinen drei Töchtern dort gewesen, und alle vier hatten sich in die Vereinigten Staaten verliebt. Yvette sagte: »Weißt du, Mireille, ich bin auch hier, um mit dir über New York zu reden, denn ich möchte dich wirklich gern mal dort besuchen, um zu sehen, wie du lebst.« Und mit Nachdruck fügte sie hinzu: »Und zwar avant de vieillir (bevor ich alt bin).« Wenn das mal kein Altern mit Haltung ist!

Wir einigten uns sogleich auf die erste Novemberwoche für einen einwöchigen Besuch, und dass wir das taten, ist bezeichnend für die Lebensfreude und Spontaneität, die mit dem Alter kommt. Nachdem sie uns wieder verlassen hatte, bemerkte eine zweiunddreißigjährige Frau, die ebenfalls bei mir zu Gast war, dass Yvette viel jünger wirke, aber vor allem benehme sie sich überhaupt nicht ihrem Alter entsprechend. Und das stimmt. Yvette hat eine so angenehme Art, einem zu begegnen, ihr Blick hat etwas Verschmitztes, und man sieht ihr sofort an, dass sie das Leben liebt und jede Sekunde genießt.

Wenige Monate später mailte ich ihrem Sohn und bat ihn um ein paar Tipps, um Yvettes Besuch so angenehm wie möglich für sie zu machen, und ihr Sohn bestätigte mir, dass sie topfit, voller Elan und Neugierde sei und nie ihren Sinn für Humor verliere. Sie esse alles, nur kleinere Portionen als früher, und auch wenn sie vielleicht ein paar Pfund abnehmen könnte, fühle sie sich gesund und wohl in ihrer Haut. Ich fragte ihn, was sie denn machen wolle, außer sehen, wie ich lebte? Ins Musical und in die Oper gehen, verriet er mir. Ein paar Wochen später kam noch ein Profibasketballspiel dazu. Vielleicht ist an der Behauptung etwas dran, dass Madison Square Garden die berühmteste Arena der Welt sei (und ich dachte immer, es sei das Kolosseum in Rom). Ob sie irgendwelche körperlichen Beeinträchtigungen habe, fragte ich. Sie sei prima zu Fuß, erfuhr ich, nur das Treppensteigen falle ihr schwer. Halleluja. Ich wies ihn darauf hin, dass wir einen Fahrstuhl haben, der bis zu uns in den fünfzehnten Stock fährt!

Darf ich vorstellen: Jack

Jack besiegte den Krebs. Und er hat immer gern gegen die Schwerkraft gekämpft. Jack kannte ich seit den Anfängen meiner Berufsjahre in New York. Er war unser Drucker und kam zweimal pro Woche in unserem Büro vorbei, um mit mir an diversen Projekten zu arbeiten. Ich habe ihn nie nach seinem Alter gefragt, aber er war damals bestimmt schon in den Siebzigern, wobei er mir eher wie vierzig vorkam. Eines Tages erzählte er mir von seiner Liebe zu Frankreich, und ich fragte ihn freiheraus nach seinem Erfolgsrezept für seine Lebensfreude, Energie und Vitalität, von seiner Herzenswärme und Heiterkeit ganz zu schweigen. Da erfuhr ich, dass er in seinen Fünfzigern an Krebs erkrankt war und dass die Krankheit sein Leben verändert hatte. Seine Behandlungen in New York hatten nicht angeschlagen, worauf er sich der alternativen Heilkunst zuwandte und sich außerhalb der Vereinigten Staaten medizinisch versorgen ließ. Ich erinnere mich, dass Mexiko zu seinen Stationen zählte. Was er im Ausland fand, war ein Lebensstil, bei dem Yoga und ganzheitliche, gesunde Ernährung eine entscheidende Rolle spielten. Es war eine lange Reise gewesen für diesen koboldhaften Mann mit der Halbglatze aus Brooklyn.

Was war also sein Erfolgsrezept? Seine Antwort lautete: »Ich mache jeden Morgen Yoga, vor allem einen zwanzigminütigen Kopfstand … und ich esse gesund.« Die Verblüffung war mir wohl ins Gesicht geschrieben, denn ehe ich mich’s versah, hatte er sich zu meiner absoluten Fassungslosigkeit mitten in meinem Büro auf den Kopf gestellt. »Seit ich Mitte fünfzig bin«, erklärte er, als er wieder richtig herum vor mir stand, »esse ich weniger. Ich esse einmal die Woche Fleisch oder Fisch und hauptsächlich Getreide, Eier, Obst und Gemüse, und gutes Brot, das ich jeden Samstag selbst backe.« (Also kein schwammiges Industrietoastbrot.) »Backen beruhigt die Nerven, aber vor allem esse ich ganz oft Suppen mit Kräutern und Gewürzen, und Joghurt« (für französische Frauen das Grundnahrungsmittel par excellence), und zwar selbst gemachten, denn er weigere sich, den »Dreck« (O-Ton) aus dem Supermarkt zu kaufen. Zugegeben, es war noch die Zeit, bevor man im Supermarkt auch naturbelassenen, vernünftigen Joghurt bekam. Dafür haben wir heute Hunderte von Joghurts, die Jack und ich, ohne zu zögern, dem Junkfood zurechnen würden, weil sie viel zu viel Zucker enthalten und teils auch noch den üblen Maissirup, pappsüße Fruchtzubereitungen und reichlich Konservierungsstoffe.

In seinem vorigen Leben müsse er entweder Buddhist oder Franzose gewesen sein, scherzte ich. Er war wirklich eine vollendete Mischung, und er versicherte mir, seit er mit Mitte fünfzig den Krebs besiegt habe, sei er fit wie nie zuvor in seinem Leben. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er in Anzug und Krawatte seinen Kopfstand machte, und stelle mir vor, was passiert wäre, wenn genau in dem Moment jemand in mein Büro gekommen wäre. Jedes Mal muss ich bei dem Gedanken lachen. Ich war immer ein großer Fan von Jack und habe mich stets auf seine Besuche gefreut.

Kann man bei Jacks Genesung von einem Placeboeffekt sprechen? Zum Teil vielleicht schon, aber es funktionierte, weil er den Willen hatte zu leben. Es war seine innere Einstellung. Dass er auf Yoga und gesunde Ernährung kam, liegt nahe, denn beides sorgt erwiesenermaßen für ein langes Leben, und das hatte Jack tatsächlich.

Darf ich vorstellen: Denise

Seien wir mal ehrlich: Wir kennen doch alle jemanden, bei dem wir uns insgeheim fragen, ob er oder sie beim Blick in den Spiegel die Augen aufmacht.

Ich habe eine alte Schulfreundin namens Denise, mit der ich in meinen Zwanzigern bis Anfang dreißig viel Zeit verbrachte. Inzwischen sehen wir uns nur noch etwa einmal im Jahr. Und jedes Mal macht mir ihr Aussehen Sorgen. Denise müsste wirklich mal richtig in den Spiegel schauen. Müssen wir das nicht alle? Wenn wir – obwohl kein Halloween ist – aussehen, als gingen wir auf ein Kostümfest, nun, dann wird es Zeit, noch einmal genauer hinzuschauen.

Manchmal frage ich mich, ob ich ihr nicht ein paar Frisuren- oder Make-up-Tipps geben soll. Wir können so viel tun, um Körper und Geist bei der Stange zu halten und einen gesünderen und glücklicheren Marsch in Richtung des Unabwendbaren anzutreten. Ich müsste meine Hinweise einfach nur in freundliche Worte kleiden. Oder ist sie etwa glücklich mit ihrem Aussehen?

Nein, glücklich wirkt sie nicht. Im Gegenteil, sie scheint sich aus einem mir nicht ersichtlichen Grund »aufgegeben« zu haben. Vielleicht wissen Sie, was ich damit meine. Meine Freundin trägt immer nur Schwarz oder dunkle, unvorteilhafte Kleidung. Den dezenten Lippenstift und den Lidschatten von früher lässt sie heute weg. Ihre Frisur ist altmodisch und steht ihr nicht. Für mich sieht sie aus wie auf einem Foto aus den 1940er-Jahren. Ich will so nicht denken, aber ich kann nicht anders. Und sie ist im Grunde noch gar nicht alt, denn ihrer Familiengeschichte und Veranlagung nach hat sie noch einige Jahrzehnte vor sich.

Jahr für Jahr betrübt es mich mehr, dass die Kluft zwischen unserer jeweiligen »Haltung« immer größer wird. Ich habe beschlossen, mit einer positiven Einstellung, beherzt und mit Selbstachtung älter zu werden. Sie dagegen scheint eine Verfechterin des Prinzips »Altern mit Apathie« zu sein.

Bin ich überkritisch? Wahrscheinlich ja, aber ich bin dennoch realistisch genug, um auch einmal das Negativbeispiel einer Frau ins Spiel zu bringen, die sich nicht selbst sieht und ohne Haltung altert. Ich habe hart daran gearbeitet, um das Älterwerden positiv anzugehen, und ich will meine Position verteidigen. Wenn sich Frauen (und Männer) in unserem Umfeld aufgeben, hat es etwas Deprimierendes, mit ihnen zusammen zu sein!

Ist es möglich, meine alte Freundin aus ihrer Lethargie aufzurütteln? Wenn sie nur ein paar Vorschläge aus diesem Buch annähme, würde es schon Wunder wirken. Vielleicht merkt sie sich ja wirklich das eine oder andere. Aber das würde voraussetzen, dass sie sich selbst sieht, und manchen Frauen fällt es offenbar schwer, sich dem, was sie im Spiegel sehen, zu stellen.

Frauenfreundschaften sind etwas sehr Wichtiges im Leben, aber gerade in späteren Jahren ist es entscheidend, dass wir uns mit positiv denkenden Menschen umgeben – Menschen, die eine ähnliche Sicht auf die Dinge haben wie wir selbst. Denken Sie an den alten Spruch »Man ist immer so alt, wie man sich fühlt«. Suchen Sie die Gesellschaft von Menschen, die im Herzen jung sind und sich körperlich und geistig fit halten … und schauen Sie mal, was passiert. Ich verspreche Ihnen, es macht einen Unterschied!

Vergessen Sie die Sphinx

Wie richten wir also unser Denken und unser Verhalten so aus, dass wir mit Haltung altern können? Ich sage, vergessen Sie das Rätsel der Sphinx, vergessen Sie das Gehen am Stock, und hören Sie auf, das Alter als »drittes Lebensalter« zu betrachten; das zieht einen nur runter und bringt einen auf falsche Gedanken. Stattdessen stelle ich Ihnen nun die organisatorische Gliederung in drei Teile vor, mit der ich das Altern mit Haltung in Angriff nehmen will: Das Mentale, das Physische und das Optische (wobei ich bei Letzterem vor allem an unsere persona denke, unsere Maske, die wir aufsetzen, um anderen zu begegnen). Wie sehen wir aus, wie wirken wir auf uns selbst und andere? Wie fühlen wir uns körperlich, also gesundheitlich, und darüber hinaus? Was ist in unserem Kopf los?

Natürlich stellen das körperliche, geistige und das äußerliche Altern keine parallelen Entwicklungslinien dar. Nicht selten sind die drei Faktoren eng miteinander verknüpft. Hautpflege zum Beispiel schafft einen gesunden rosigen Teint, und das gibt einem ein gutes Gefühl. Auf jeden Fall wirkt sich Gesundheit auf die äußere Erscheinung und Einstellung aus, und umgekehrt.

Es gibt allerhand Fragen, die wir uns stellen müssen, wenn wir im Lauf des Älterwerdens einen Blick in den Spiegel werfen … allgemeine wie spezifische Fragen.

Fragen Sie sich erst mal ganz allgemein: Gefällt mir mein Äußeres? Gibt es etwas, das Sie tun könnten, um Ihr Äußeres zu optimieren? Wollen Sie das? Manche Dinge, die Schwerkraft zum Beispiel, lassen sich nur mühsam ändern, aber ihre Auswirkungen können entschärft werden. Wie steht es mit Ihrer Gesundheit? Könnten Sie mehr für Ihre Gesundheit tun? Wollen Sie das? Und weiter. Wie steht es mit Ihrer Einstellung zu sich und dem Älterwerden? Könnten Sie etwas tun für eine bessere Einstellung? Weiter geht’s. Irgendwann kommt die Zeit, da müssen Sie Ihren Bikini in Rente schicken. Ist das vielleicht jetzt? Und wie sieht es mit Ihren High Heels aus? Und mit Sex?

Neues Jahr, neues Ich

So sicher, wie die Sonne im Osten aufgeht, kommt jedes Jahr der Januar und damit die Zeit der großen Werbefeldzüge für Selbsthilfe-Aktionsprogramme. Fitnessclubs verkaufen vergünstigte Mitgliedschaften, aber annullieren sie dann wieder, weil die Leute die Gymnastikkurse und Trainingsgeräte nach ein paar Monaten doch nicht mehr nutzen. In Zeitschriften, Büchern und auf Videos wimmelt es nur so von Wunderdiäten. Und Ratschläge, wie man in Schule und Beruf neu durchstartet, schwirren umher.

Gewiss stellt der Beginn eines neuen Jahres eine günstige Zeit für gute Vorsätze dar (wobei man genauso gut heute oder morgen damit anfangen kann, einen Zwölfmonatsplan aufzustellen). Die Realität hinter all den guten Absichten sieht jedoch so aus, dass sie schnell wieder aufgegeben werden, weil sie illusorisch und unhaltbar sind. Der Jo-Jo-Effekt im Anschluss an die vielen Diäten, die im Januar, Mai und Juni (vor der Freiluftsaison) und in dem Monat vor einem großen Ereignis wie einer Hochzeit gestartet werden, ist beklagenswert. Ja, es ist möglich und durchaus machbar, innerhalb eines Monats fünf, ja sogar zehn Pfund abzunehmen. Und dann kommt das Jo-Jo ins Spiel … Wie wahrscheinlich ist es, dass man diese Pfunde am Ende des Jahres für immer losgeworden ist? Wenig wahrscheinlich, und das wiederum ist der Grund, warum uns jedes Jahr im Januar wieder irgendeine neue Wunderdiät verkauft wird.

Und deswegen glaube ich von ganzem Herzen, dass im peu à peu der Schlüssel zu allen Verwandlungen liegt. Drastische Veränderungen sind selten von Dauer. Die Dinge schrittweise anzugehen heißt, dass man allmählich ans Ziel kommt, und wenn man vom Weg abkommt, fällt die Umkehr nicht schwer. Das wird dann nicht unter Scheitern, sondern unter Umweg verbucht. Ebenso glaube ich daran, dass man eine Vorgehensweise braucht, die das Positive hervorhebt, nämlich das, was man tun kann, und nicht das Unmögliche. Ja, man kann Schokolade essen und ein Glas Wein trinken und dabei nicht dick werden.

Mit einer positiven Grundeinstellung vermehren Sie Ihr Leben um viele gute Jahre, aber das allein ist noch kein Plan für Ihre zweite Lebenshälfte. Altern mit Haltung heißt, einen individuellen Plan zu machen für ein paar mentale, physische und optische Neuausrichtungen im kommenden Jahr – und in Hinblick auf das, was am Horizont liegt. Wenn Sie beim Lesen dieses Buches auch nur ein halbes Dutzend Ideen finden, die Sie für sich annehmen und im Lauf des nächsten Jahres umsetzen können, werden Sie Ihrem Leben gute und hoffentlich auch viele Jahre hinzufügen. Vielleicht würden Sie sogar noch mehr hinkriegen, aber nehmen Sie sich nicht zu viel auf einmal vor, sonst verlieren Sie den Fokus und schaffen eher weniger als mehr. Ein paar kleine wie große Vorschläge werden Ihnen hoffentlich direkt ins Gesicht springen. Wenn es Ihnen so geht wie mir und Sie gern mal den ein oder anderen Posten aus dem Blick verlieren, wäre es ratsam, sich hin und wieder ein paar Notizen zu machen. Das ist ein guter Anfang. Schon nach den ersten Schritten in Ihrem »Altern mit Haltung«-Programm werden Sie sich gesünder und rundherum besser fühlen, und von heute an gesehen in einem Jahr werden Sie allzeit bereit sein für den nächsten Blick in den Spiegel, um weiterhin der Schwerkraft zu trotzen. Legen wir also los!