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www.vahlen.de

 

ISBN 978-3-8006-4565-7

 

© 2015 Verlag Franz Vahlen GmbH
Wilhelmstraße 9, 80801 München

Satz: EDV-Beratung Frank Herweg, Hirschberg
Umschlaggestaltung: Ralph Zimmermann – Bureau Parapluie
Bildnachweis: © tom – fotolia.com
eBook‐Produktion: datagroup int. SRL, www.datagroup.ro

Dieser Titel ist auch als Printausgabe beim
Verlag und im Buchhandel erhältlich.

VIInhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

Einleitung zur zweiten Auflage

1. Grundlagen der Bilanzierung und Bilanzanalyse

1.1 Bedeutung und Entwicklung des Rechnungswesens

1.1.1 HGB/IFRS-Vergleich sowie US-GAAP

1.1.2 Begrenzte Aussagekraft von Abschlüssen

1.1.3 Besonderheiten der Finanzbranche

1.2 Aufbau und Struktur von Jahresabschlüssen

1.2.1 Gewinn- und Verlustrechnung

1.2.2 Aufwandsquoten im Gesamtkostenverfahren

1.2.3 Aufwandsquoten im Umsatzkostenverfahren

1.2.4 Bilanz

1.2.5 Cashflowrechnung

1.2.6 Eigenkapitalveränderungsrechnung

1.2.7 Anhang

2. Kennzahlen zu Ertrag und Rentabilität

2.1 Eigenkapitalrendite

2.2 Umsatzrendite

2.3 EBIT/EBITDA-Marge

2.4 Kapitalumschlag

2.5 Gesamtkapitalrendite

2.6 Return on Capital Employed

2.7 Umsatzverdienstrate

3. Kennzahlen zur finanziellen Stabilität

3.1 Eigenkapitalquote

3.2 Gearing

3.3 Dynamischer Verschuldungsgrad

3.4 Net Debt/EBITDA

3.5 Sachinvestitionsquote

3.6 Anlagenabnutzungsgrad

3.7 Wachstumsquote

3.8 Cash-Burn-Rate

3.9 Umlauf- und Anlageintensität

3.10 Anlagendeckungsgrad I und II

3.11 Goodwill-Anteil

4. Kennzahlen zum Working Capital Management

4.1 Debitoren- und Kreditorenlaufzeit

4.2 Liquidität 1. Grades

4.3 Liquidität 2. Grades

4.4 Liquidität 3. Grades/WC-Quote

4.5 Vorratsintensität

4.6 Umschlagshäufigkeit der Vorräte

4.7 Geldumschlag

4.8 Kennzahlen zum Auftragseingang und -bestand

5. Analyse des Geschäftsmodells

5.1 Kompetenzbereich

5.2 Charakteristika

5.3 Rahmenbedingungen

5.4 Informationsbeschaffung

5.5 Branchenstrukturanalyse

5.6 SWOT-Analyse

5.7 BCG-Analyse

5.8 Wettbewerbsstrategie

5.9 Management

6. Ausschüttungspolitik

6.1 Dividende

6.2 Aktienrückkäufe

6.3 Schlussfolgerung

7. Bewertungskennzahlen

7.1 Kurs-Gewinn-Verhältnis

7.2 Kurs-Buchwert-Verhältnis

7.3 Kurs-Cashflow-Verhältnis

7.4 Kurs-Umsatz-Verhältnis

7.5 Enterprise-Value-Ansatz

7.6 EV/EBITDA

7.7 EV/EBIT

7.8 EV/FCF

7.9 EV/Sales

8. Unternehmensbewertung

8.1 Discounted-Cashflow-Modell

8.1.1 Equity-Verfahren

8.1.2 Entity-Verfahren

8.1.3 Adjusted-Present-Value (APV)-Verfahren

8.1.4 Operativer und finanzieller Hebel

8.1.5 Alternative Verwendung des DCF-Modells

8.1.6 Fallbeispiele zum DCF-Verfahren

8.2 Multiplikatorenmethode

8.2.1 Faires Kurs-Gewinn-Verhältnis

8.2.2 Faires Kurs-Buchwert-Verhältnis

8.2.3 Faires Kurs-Umsatz-Verhältnis

8.2.4 Faires Enterprise Value-EBIT-Verhältnis

8.2.5 Mathematik der Multiplikatoren

8.2.6 Liquidationsansatz

8.3 Jahresabschlussbereinigung

8.3.1 Pro-forma-Abschlüsse und Sondereffekte

8.4 Zusammenfassung der Bewertungsmethoden

9 Value Investing

9.1 Ansatz der Margin of Safety

9.2 Value-Investing-Strategien

9.2.1 Qualitätsinvestments

9.2.2 Zigarettenstummel

9.2.3 Net-Nets/Liquidationssicht

9.3 Auffinden von Investitionsmöglichkeiten

9.4 Portfoliomanagement

9.4.1 Diversifikation

9.4.2 Risiko

9.4.3 Liquidität

9.5 Kaufen und Verkaufen: Anlagehorizont

9.6 Schlusswort

Stichwortverzeichnis

VIIVorwort

Werden Sie ein Unternehmer!

Manchmal ist es schon zum Verzweifeln. Kaum ist in lockerer Runde das Gespräch auf meine Tätigkeit gekommen, werde ich mit nahezu 100 %-iger Wahrscheinlichkeit gefragt: „Na Philipp, wo steht der DAX am Ende des Jahres“? Eine Frage, die eigentlich fast alles über die Investmentphilosophie von uns Deutschen aussagt: heimmarktfokussiert und indexgesteuert.

Um nicht ungerecht zu werden, muss man natürlich eingestehen, dass der Heimmarktfokus (im englischen Home Bias) kein rein deutsches Phänomen ist. Überall dort, wo sich Investoren in einer großen, leistungsfähigen Volkswirtschaft wähnen, vergisst man nur allzu leicht, dass auch jenseits der Grenzen erstklassige Unternehmen und prosperierende Ökonomien zu finden sind. Den Home Bias findet man also genauso in den USA, in Japan oder auch in Großbritannien. Die Folge davon ist, dass bei den knapp 3,9 Millionen deutschen Aktionären – gemäß Analysen des deutschen Aktieninstituts – drei Viertel der direkt gehaltenen Unternehmen aus Deutschland stammen. Dies steht im drastischen Widerspruch zur Bedeutung des deutschen Aktienmarktes an der globalen Marktkapitalisierung. Der Anteil liegt nämlich lediglich bei ca. 5 Prozent.

Warum dies so ist, das können wir uns alle leicht vorstellen. Es sind Gründe wie die Sprache, die Vertrautheit mit dem lokalen Rechtssystem, der tägliche Kontakt mit den Produkten heimischer Unternehmen, das fehlende Wechselkursrisiko und vieles andere mehr. Alles Faktoren, die nicht von der Hand zu weisen sind, die es allerdings nicht rechtfertigen, ganze Regionen oder Sektoren komplett aus dem Portfolio zu verbannen. Oder können Sie beispielsweise in ein führendes deutsches Rohstoffunternehmen oder einen großen deutschen Hersteller von Unterhaltungselektronik investieren?

Immerhin hat sich dieser Fokus auf den Heimmarkt bei deutschen Anlegern in den letzten Jahren etwas abgeschwächt. Auslöser dafür waren einerseits die stärkere Einbeziehung europäischer Unternehmen nach der Einführung des Euros, andererseits die fulminante Entwicklung der Schwellenländer, die vielen Investoren klar gemacht hat, dass Deutschland auch ökonomisch nicht mehr der Nabel der Welt ist.

Nochmals verschärft hat sich hingegen in den letzten Jahren der Trend zum Indexinvestment, egal ob direkt durch einen ETF, ein Zertifikat oder einen benchmarknahen Aktienfonds. Wurde im Jahr 2000 an der Xetra noch ein ETF-Volumen von 0,4 Mrd. Euro gehandelt, so waren es Ende 2009 über 120 Mrd. Euro. Wurden im Jahr 2000 ganze 2 ETFs gehandelt, so waren es 2010 über 600 VIII– zugegeben nicht alle auf den DAX. Besser kann man den Trend weg von der Einzelaktie hin zur Benchmark fokussierten Geldanlage nicht belegen.

Dieser Umstand ist für eine Volkswirtschaft, die noch immer die Bezeichnung Marktwirtschaft, wenn auch soziale, trägt, traurig und langfristig schädlich, denn die Investoren und Bürger verlieren immer stärker den Bezug zu den realen Unternehmen, deren Chancen, Sorgen und Nöte. Unsere Firmen, egal ob in der Form einer Aktiengesellschaft, eines mittelständischen Familienbetriebes oder dem Handwerker um die Ecke, sind zusammen mit ihren gut ausgebildeten Arbeitnehmern das Rückgrat unseres Wohlstandes. Wenn die Mehrheit der Bevölkerung aber diese Unternehmen, wenn überhaupt, nur noch über ihre Produkte kennt, dann besteht die große Gefahr, dass die Standortvoraussetzungen für leistungsfähige, international wettbewerbsfähige Firmen in der politischen Diskussion kaum mehr Gehör finden. Ein aktiver Aktionär bei BASF hingegen wird Themen wie Umweltschutz, Energieversorgung, Arbeitszeiten, Ausbildung der Mitarbeiter oder Steuern – um nur einige zu nennen – in einer zusätzlichen Dimension betrachten, verglichen mit dem Bürger, der nie versucht hat, sich in die Schuhe eines Unternehmers zu versetzen.

In einer Marktwirtschaft muss Eigenkapital (Aktie) langfristig immer deutlich mehr rentieren als Fremdkapital (Anleihe), sonst gäbe es bald keine Unternehmen mehr. Das bedeutet nichts anderes, als dass derjenige, der bei der Anlage seiner Ersparnisse nicht kurzfristig orientiert ist, immer den Großteil seines Geldes in gute Unternehmen anlegen sollte, und nicht in Sparbriefe oder Anleihen. Was aber bedeutet dann das massive Übergewicht von Anleihen und Sparanlagen beim durchschnittlichen Deutschen? Glaubt er nicht mehr an die positiven Wohlstandseffekte einer Marktwirtschaft … oder schlimmer noch, hat er nie wirklich daran geglaubt? Sind viele Deutsche im tiefen Inneren ihres Herzens in Tat und Wahrheit noch immer Verfechter einer staatlich gelenkten Planwirtschaft? Ich hoffe nein, aber zumindest die Art und Weise, wie viele Deutsche ihr Vermögen bewirtschaften, und so manche Tendenzen in Politik und öffentlicher Meinung der letzten Jahre lassen hier und da Zweifel aufkommen.

Was Investoren aber primär interessieren sollte, ist die Frage, wie finde ich die besten Unternehmen, wie schneide ich mit meinem Aktienportfolio langfristig besser ab als mit dem Index, der ja nichts anderes darstellt als den Durchschnitt aus guten und schlechten Unternehmen? Die erste Grundvoraussetzung dafür ist etwas Zeit. Denn egal für welche Analysemethodik Sie sich am Ende entscheiden werden, ohne Zeit für Recherche wird es nicht gehen! Selbst wenn man diese Zeit nur dafür aufwendet, die besten Fonds oder die besten Vermögensverwalter ausfindig zu machen, die Idee bei einem 60-minütigen Besuch eines Bankberaters sein Vermögen sinnvoll anzulegen, ist sehr naiv. Die Mehrheit von Ihnen hat für Ihr Vermögen zu hart und zu lange gearbeitet, um es in so kurzer Zeit aufs Spiel zu setzen – das hat Ihr Geld nicht verdient!

Wenn Sie sich die Zeit genommen haben – und genau deshalb halten Sie ja dieses Buch über die fundamentale Unternehmensanalyse in Ihren Händen – dann stellt sich noch die Frage nach der richtigen Methodik. Ist nun eher ein IXtechnischer, ein quantitativer, ein verhaltensgesteuerter oder ein fundamentaler Ansatz der richtige für Sie? Eine eindeutige Antwort dafür gibt es nicht. Es gibt für jeden Ansatz genügend Beispiele von Investoren, die mit diesem extrem erfolgreich gearbeitet haben. Und selbst überzeugte „Fundamentalisten“ wie Warren Buffett vermischen manchmal die Signale mehrerer Techniken, um den richtigen Einstiegszeitpunkt für ein Investment zu definieren.

Verstehen Sie eine Aktie aber als strategische Teilnahme am Erfolg eines Unternehmens, dann kommen Sie an der fundamentalen Unternehmensanalyse nicht vorbei. Wenn Ihnen die Metamorphose vom Aktionär zum Unternehmer gelingt, dann beginnen Sie Ihr Unternehmen und die Entscheidungen Ihres Managements Schritt für Schritt zu verstehen. Dann können Sie früher oder später auch beginnen, die nächsten Entwicklungen zu antizipieren, und gewinnen damit einen entscheidenden Vorsprung zum durchschnittlichen Anleger, dem sogenannten Konsensus-Investor.

Ein unrealistisches Ziel? Nein, wenn Sie sich nicht vornehmen, in kurzer Zeit Unternehmer bei zu vielen Gesellschaften zu werden. Beginnen Sie Ihr Unternehmertum bewusst bei einer kleinen Zahl von Aktiengesellschaften, durchaus aus unterschiedlichen Branchen und Regionen. Und wenn Sie das Grundprinzip der Bewertung anhand dieser wenigen Unternehmen verstanden haben, dann ist es anschließend mit jedem neuen immer einfacher, die Grundmuster auf weitere Firmen und deren Entscheidungsprozesse zu übertragen.

Das vorliegende Buch über Unternehmensbewertung ist für Sie eine erste wichtige Etappe. Ohne das Verständnis für das Zahlenwerk einer Gesellschaft bleiben für einen Investor zu viele Fakten im Dunkeln. Aber auch das Kennen der Zahlen alleine macht Sie noch lange nicht zu einem guten Investor. Dafür müssen Sie beim Interpretieren dieser Kennzahlen Erfahrungen sammeln und sich auch einmal eine „blutige Nase“ holen. Egal, ob Sie Ihr Finanzchef nicht vollständig informiert hat oder Sie es selbst waren, der die Zahlen zu optimistisch ausgelegt hat, beim Investieren gilt wie in anderen Bereichen des Lebens auch „aus Schaden wird man klug“ und „Übung macht den Meister“.

Philipp Vorndran
Kapitalmarktstratege
Würzburg

XVIIEinleitung zur zweiten Auflage

Aber das Leben ist kurz und die Wahrheit wirkt ferner und lange: Sagen wir die Wahrheit.

Arthur Schopenhauer

Dies ist ein ehrliches Buch mit einer Meinung. Ehrlich, da es den Bewertungs- und Investitionsprozess eher als Kunst denn als Wissenschaft darstellt. Garantien gibt es an der Börse nicht. Die Meinung wird notwendig, da die moderne Betriebswirtschaftslehre zwar viele Theorien hervorgebracht hat, diese gleichzeitig in der Praxis aber nicht ohne Weiteres umsetzbar sind und durch tatsächlich anwendbare Herangehensweisen ersetzt oder zumindest angepasst werden müssen.

Die Motivation dieser zweiten Auflage besteht hauptsächlich in der Erweiterung der Praxisnähe und Anwendbarkeit des Buches. Zu diesem Zweck wurde besonders das abschließende Kapitel zum Thema Value Investing erweitert. Den Themen Portfoliomanagement, Auffinden von Investitionsmöglichkeiten und die Vorstellung unterschiedlicher Value-Investing-Strategien wurde dabei besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Auch wurde eine neue Methode zur Ableitung des Unternehmensrisikos aus Fundamentaldaten eingeführt.

Ich hoffe, hiermit dem Investor ein Handbuch mit auf den Weg zu geben, welches in der Theorie spannend ist und in der Praxis Mehrwert schafft – oder mit anderen Worten: Die Unternehmensbewertung vom Kopf auf die Füße stellt.

Nicolas Schmidlin
London, im Januar 2013

11. Grundlagen der Bilanzierung und Bilanzanalyse

Welche Vorteile gewährt die doppelte Buchhaltung dem Kaufmanne! Es ist eine der schönsten Erfindungen des menschlichen Geistes […]

Sie lässt uns jederzeit das Ganze überschauen, ohne dass wir es nötig hätten, uns durch das Einzelne verwirren zu lassen.

Johann Wolfgang von Goethe

Das Rechnungswesen ist die Sprache der Unternehmen. Wer langfristig erfolgreich bewerten und investieren will, muss Jahresabschlüsse verstehen und interpretieren können. Der Hauptzweck des Rechnungswesens besteht in der Erfassung, Auswertung und Quantifizierung betrieblicher Prozesse. Die kompakte Abbildung dieser Prozesse bildet der Jahresabschluss, in dem Vermögen und Schulden aber auch Erfolgsgrößen wie Umsatz, Gewinn und Kapitalfluss dargestellt werden. Die Auswertung und Interpretation dieser Daten vor dem Hintergrund der betrieblichen Tätigkeit des Unternehmens ist ein wesentlicher Bestandteil der Unternehmensbewertung. Ein Verständnis für diese „Sprache der Unternehmen“ zu entwickeln und gleichzeitig auch qualitative Faktoren mit in die Analyse einfließen zu lassen, bildet eine solide Grundlage für die anschließende Bewertung. Das Rechnungswesen zeigt damit in einem Modell die Unternehmenswelt, wie sie war und aktuell ist. Die Unternehmensbewertung setzt nun an diesem Punkt an und versucht, unter anderem mithilfe der Daten aus dem Rechnungswesen, eine Prognose über die zukünftige Entwicklung und das Risiko einer Unternehmung zu treffen. In diesem Kapitel wird auch auf die Schwächen und Grenzen der modernen Rechnungslegung eingegangen. Ein besonderer Nachteil liegt beispielsweise in der Natur der Rechnungslegung als hauptsächlich quantitatives Modell. Die Bilanzanalyse lebt daher von der Verbindung aus quantitativen Fakten und qualitativen Merkmalen. In diesem Kapitel wird vorrangig auf die verschiedenen Rechnungslegungen, die Bestandteile des Jahresabschlusses und die Berechnung erster Kennzahlen eingegangen. Kapitel 1 legt damit die Basis für die weitere kennzahlenbasierte Analyse, aber auch für die folgenden qualitativen Analysen, die sich zumindest am Jahresabschluss orientieren.

21.1 Bedeutung und Entwicklung des Rechnungswesens

Bis zum Jahr 2003 bilanzierten die meisten kapitalmarktorientierten Unternehmen in Deutschland nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs, kurz HGB.

In diesem Regelwerk ist das Vorsichtsprinzip sowie der Grundsatz des Gläubigerschutzes vorherrschend. Generell wird nach dem HGB konservativ bilanziert und ein tendenziell niedriger Gewinn ausgewiesen. Die Vorschriften des Handelsgesetzbuchs sind weiterhin relevant für die Einzelabschlüsse vieler Unternehmen und dienen als Ausschüttungs- und Steuerbemessungsgrundlage.

Mit der EU-weiten, verbindlichen Einführung der International Financial Reporting Standards (IFRS) für kapitalmarktorientierte Unternehmen musste das vom Gläubigerschutz dominierte HGB auf Konzernebene der neuen Rechnungslegung IFRS weichen. In den IFRS steht weniger der Gläubigerschutzgedanke, als vielmehr die Vermittlung von Informationen über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens im Mittelpunkt. Da die IFRS hauptsächlich bei der Erstellung von Konzernabschlüssen Anwendung finden, ist diese Rechnungslegung maßgeblich bei der Analyse der meisten europäischen börsennotierten Unternehmen.

Während im HGB die Vermögenswerte beispielsweise höchstens zu Anschaffungskosten bilanziert werden und somit Wertsteigerungen nur unzureichend abbilden, erlauben die IFRS einen deutlich größeren Bewertungsspielraum. Diese und andere Neuerungen haben zur Folge, dass in den nach IFRS aufgestellten Abschlüssen tendenziell ein höherer Gewinn ausgewiesen wird und die Vermögenswerte zu aktuelleren Werten angegeben werden, als dies im HGB der Fall ist.

Neben den europäischen IFRS existieren weltweit weitere relevante Rechnungslegungsvorschriften. In den USA wird nach den US-GAAP, in Großbritannien teilweise auf Grundlage des UK-GAAP und in der Schweiz auf Basis der IFRS/Swiss GAAP FER bilanziert. Zwischen den Bilanzierungsvorschriften in Europa und den USA bestehen inhaltlich nur geringfügige Unterschiede, was die den Konzernabschlüssen entnommenen Zahlen international relativ vergleichbar macht. Im Zuge eines Harmonisierungsprozesses zwischen US-GAAP und den IFRS ist zudem eine weitere Annäherung zu erwarten. Die optischen Unterschiede zwischen US-amerikanischen und europäischen Geschäftsberichten sind dagegen frappierend. Während in den europäischen Geschäftsberichten nahezu keine Auflagen bezüglich des Formats und der zusätzlichen Informationen gegeben sind, müssen die meisten US-Unternehmen ein standardisiertes Formblatt (sogenanntes 10-K) ausfüllen, welches kaum Spielraum für zusätzliche Daten oder Grafiken bietet. Diese Entwicklung ist unter anderem auf zahlreiche US-Bilanzierungsskandale Ende der 90er Jahre zurückzuführen, woraufhin der US-Kongress 2002 den sogenannten „Sarbanes-Oxley Act“ verabschiedete. Demzufolge muss jeder Jahresabschluss in den USA von der Unternehmensleitung unterzeichnet und bei der Börsenaufsicht SEC hinterlegt werden.

3Für die Jahresabschlussanalyse bietet dies Vor- und Nachteile. Zum einen sind die US-Abschlüsse (10-K) klar strukturiert und nach Gewöhnung an die juristischen Passagen auch sehr übersichtlich. Markt- und Branchendaten oder weitere Grafiken finden sich in diesen Abschlüssen jedoch nur in Ausnahmefällen. In europäischen Geschäftsberichten finden sich neben dem Jahresabschluss in vielen Fällen Zusatzinformationen zu relevanten Themen und erleichtern so das Verständnis von Markt und Unternehmen. Da viele der eingefügten Grafiken jedoch suggestiv sein können, ist die Meinungsbildung bei den US-Berichten gegebenenfalls unverfälschter. Europäische Geschäftsberichte weisen daher eine geringere Vergleichbarkeit auf, da den Unternehmen größere Freiheiten bezüglich Gestaltung und Inhalt zugestanden werden. Während die USamerikanischen Jahres- (10-k) und Quartalsabschlüsse (10-Q) bequem über die Webseite der SEC eingesehen werden können, sind die Abschlüsse von europäischen Unternehmen in der Regel nur direkt über die Investor-Relations Seiten der Unternehmen abrufbar. Um auf die relevante Webseite zu gelangen, bietet sich der Suchbegriff „Unternehmensname + Investor“ in einer Suchmaschine an.

Börsennotierte Unternehmen veröffentlichen in der Regel quartalsweise Zwischenberichte und jährlich einen ausführlichen Geschäftsbericht mit Konzernabschluss, Lagebericht und weiteren Informationen. Bei kleineren Unternehmen, die in weniger regulierten Märkten notieren, besteht oft eine gelockerte Berichterstattungspflicht. In diesem Fall muss meist nur halbjährlich oder in geringerem Umfang berichtet werden. Diese Daten bilden die Grundlage der Bilanzanalyse und werden von den Unternehmen wenige Monate nach Geschäftsjahres- beziehungsweise Quartalsende veröffentlicht.

Da es sich bei börsennotierten Unternehmen in der Regel um Konzerne, also einen Verbund mehrerer Einzelunternehmen unter einer Konzernmutter handelt, ist der Konzernabschluss in der Regel der wichtigste Bezugspunkt der Bilanzanalyse. Der Konzernabschluss ist ein Jahres- oder Zwischenabschluss der gesamten Gruppe, in dem die einzelnen Abschlüsse der Töchterunternehmen und des Mutterunternehmens zu einem Zahlenwerk konsolidiert werden, um so einen Überblick über die finanzielle Leistungsfähigkeit des Konzerns zu vermitteln. Dabei wird die Fiktion einer rechtlichen Einheit des Konzerns unterstellt. In IAS 27.18 heißt es dazu: „the consolidated financial statements present information about the group as that of a single economic entity“. Der Abschluss wird also aufgestellt, als ob nur eine Konzerngesellschaft bestehen würde. Dabei werden besonders Verflechtungen zwischen den einzelnen Gesellschaften korrigiert. Gewährt eine Untergesellschaft der anderen einen Kredit, so entsteht innerhalb des Konzerns sowohl eine Forderung als auch eine Verbindlichkeit. Der Konzernabschluss eliminiert diese Verflechtungen und gibt somit einen genaueren Einblick, als die separate Betrachtung der verschiedenen Einzelabschlüsse liefern könnte.

Das folgende Beispiel zeigt, weshalb die Aufstellung von Konzernabschlüssen notwendig ist und warum die Analyse von Einzelabschlüssen unter Umständen zu falschen Ergebnissen führen kann.

4Beispiel 1.1 – Konzernabschluss: Holdingstruktur

Die Mutter AG weist den folgenden Einzelabschluss auf. Neben der Mutter AG bestehen zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Gesellschaften, der Einzelabschluss entspricht somit dem Konzernabschluss.

Mutter AG

 

Aktiva

in €

Passiva

Sachanlagen

100

Eigenkapital

150

Forderungen

50

Fremdkapital

50

Finanzanlagen

0

Kasse

50

Bilanzsumme

200

Bilanzsumme

200

Nun beschließt die Mutter AG, die operative Sparte in eine eigenständige Gesellschaft, die Tochter GmbH, auszugliedern. Dazu wird die neu gegründete Tochter GmbH mit den Sachanlagen von 100 € und einem Darlehen der Mutter über 50 € ausgestattet. Die Bilanzen der Mutter AG und Tochter GmbH stellen sich damit wie folgt dar:

Mutter AG

 

Aktiva

in €

Passiva

Sachanlagen

0

Eigenkapital

150

Forderungen

100

Fremdkapital

50

Finanzanlagen

100

Kasse

0

Bilanzsumme

200

Bilanzsumme

200

Tochter GmbH

 

Aktiva

in €

Passiva

Sachanlagen

100

Eigenkapital

100

Forderungen

0

Fremdkapital

50

Finanzanlagen

0

Kasse

50

Bilanzsumme

150

Bilanzsumme

150

Nach der Ausgliederung der operativen Sparte weist der Einzelabschluss der Mutter AG einen deutlich geringeren Informationsgehalt auf. Die Sachanlagen wurden komplett auf die Tochter GmbH übertragen, die Kasse nahm aufgrund des gewährten Darlehens ab, im Gegenzug stiegen die Forderungen um 50 € an. Auffällig ist die Position „Finanzanlagen“, welche die Beteiligung an der neu gegründeten Tochter beinhaltet. Die Mutter AG tritt in diesem Fall als sogenannte Konzernholding auf und übernimmt lediglich administrative und strategische Aufgaben, wohingegen die operative Geschäftstätigkeit von den Tochtergesellschaften durchgeführt wird. Um externen Interessenten nun einen Einblick in die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu ermöglichen, muss die Gruppe einen Konzernabschluss aufstellen, indem die verschiedenen Einzelabschlüsse zu einem Abschluss zusammengefasst werden.

5Dies geschieht durch einfaches Aufaddieren der einzelnen Bilanzpositionen mit anschließender Eliminierung von internen Verflechtungen. Erst der daraus resultierende konsolidierte Konzernabschluss gibt einen adäquaten Einblick in das Zahlenwerk der gesamten Gruppe.

In Deutschland dient der Konzernabschluss ausschließlich der Informationsfunktion und ist damit für Investoren besonders interessant. Ein typischer Konzernabschluss enthält die folgenden Bestandteile:

Bei der Analyse ist darauf zu achten, stets die Zahlen des Konzernabschlusses zu verwenden, da im hinteren Teil des Geschäftsberichts oft zusätzlich noch der Einzelabschluss der Konzernmutter angegeben ist, der aber von nachrangiger Bedeutung bei der Analyse ist. Der Konzernabschluss wird in Europa in der Regel nach den Vorschriften der International Financial Reporting Standards erstellt, wohingegen der Einzelabschluss des Mutterunternehmens oft nach den nationalen Rechnungslegungsvorschriften, in Deutschland dem Handelsgesetzbuch, erstellt wird. Relevant für die Bilanzanalyse ist demnach stets der Konzernabschluss, aufgestellt nach den International Financial Reporting Standards oder den im jeweiligen Land gültigen Vorschriften wie den US-GAAP in den USA oder den UK-GAAP in Großbritannien.

1.1.1 HGB/IFRS-Vergleich sowie US-GAAP

Die folgende Tabelle zeigt eine Gegenüberstellung wichtiger Begriffe in deutschen und US-amerikanischen Abschlüssen. Die nach den IFRS aufgestellten, englischsprachigen Berichte verwenden in der Regel vergleichbare Begriffe wie die US-GAAP.

US-GAAP

IFRS (deutsch)

Statement of financial position (balance sheet)

Bilanz

Statement of earnings (income statement)

Gewinn- und Verlustrechnung

Statement of cash flows

Kapitalflussrechnung (Cashflowrechnung)

Statement of investments and distribution to owners

Eigenkapitalveränderungrechnung

Notes

Anhang

6Bei der Bilanzanalyse sollte berücksichtigt werden, dass Bilanzierung immer nur ein Modell ist, welches versucht die unternehmerische Wirklichkeit abzubilden.

Beispiel 1.2 – Unterschiede der Rechnungslegungen

Betrachten wir zum Beispiel die unterstehenden Bilanz- und Erfolgspositionen zweier Unternehmen zum 31.12.2000.

Unternehmen V

in Mio. €

Unternehmen W

Umsatz

85.554

Umsatz

83.127

Jahresüberschuss

2.061

Jahresüberschuss

2.614

Eigenkapital

11.267

Eigenkapital

21.371

Gesamtkapital

81.592

Gesamtkapital

92.565

Vorräte

8.389

Vorräte

9.335

Quelle: Unternehmensangaben

Einige Positionen wie Umsatz und Vorräte weisen ähnliche Werte auf, andere Punkte wie der Jahresüberschuss oder das Eigen- und Gesamtkapital weichen dagegen deutlich voneinander ab. Bei einer spontanen Bewertung könnte somit keine eindeutige Aussage getroffen werden, welches der beiden Unternehmen interessanter ist. Tatsächlich handelt es sich bei diesen Angaben um ein und dasselbe Unternehmen zum Bilanzstichtag am 31.12.2000. Grund für die teilweise deutlichen Unterschiede sind die verschiedenen Bilanzierungsvorschriften. Während Unternehmen V nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs bilanziert, verwendet Unternehmen W die IFRS. Die Daten stammen, wie die Kürzel V und W bereits andeuten, aus dem Konzernabschluss des deutschen Automobilkonzerns Volkswagen. Die Unterschiede erklären sich unter anderem durch die geänderten Nutzungsdauern von Vermögensgegenständen und abweichenden Abschreibungsmethoden sowie der Aktivierung von Entwicklungskosten. Diese bilanziellen Änderungen erhöhten das Eigenkapital des Konzerns „über Nacht“ um mehr als 7 Mrd.€. Weitere erhebliche Aktivierungsmöglichkeiten im Bereich der Behandlung von Leasingverträgen und bestimmter Aufwandsarten führen zu zusätzlichen Abweichungen. Für die Gewinn- und Verlustrechnung ergibt sich ein ähnliches Bild. Auch hier erhöhten die Aktivierung von Entwicklungskosten und die Bewertung der Leasinggeschäfte den ausgewiesenen Gewinn deutlich. Während nach dem HGB (vor BilMoG) Entwicklungskosten meist direkt aufwandswirksam wurden, erlauben die IFRS die Aktivierung von Entwicklungskosten. Diese Kosten werden somit als Vermögensgegenstand in die Bilanz aufgenommen und über die Nutzungsdauer des entwickelten Produkts abgeschrieben. Dadurch verteilt sich der Aufwand über mehrere Perioden und steigert so den Gewinn. Diese Besonderheiten lassen ein und dasselbe Unternehmen auf dem Papier wie Fremde erscheinen.

Neben den Unterschieden der verschiedenen Rechnungslegungen soll dieses Beispiel auch vermitteln, dass Jahresabschlüsse immer nur der Versuch einer Abbildung der Realität sind und nie objektive Wahrheit verkörpern. Selbst innerhalb der IFRS ist durch zahlreiche Wahlmöglichkeiten Bewertungsspielraum vorhanden. Es ist daher ratsam, die zahlenbasierte Kennzahlenanalyse 7durch eine Auswertung des Geschäftsmodells zu erweitern. Überzeugt das Studium des Geschäftsmodells bereits, so wird dies von den Kennzahlen in der Regel auch bestätigt. Im Gegensatz zum HGB, sind IFRS und US-GAAP in vielen Bereichen kongruent.

Beispiel 1.3 – IFRS und US-GAAP: Allianz

Die nachfolgende Tabelle zeigt ausgewählte Positionen aus den Abschlüssen der Allianz Group im Jahr 2006 nach IAS/IFRS und US-GAAP. Dieser direkte Vergleich eines Konzernabschlusses nach zwei verschiedenen Rechnungslegungen ist deshalb möglich, da die Allianz neben der Börse Frankfurt auch in New York notiert ist und dort einen Abschluss nach den landestypischen Regularien gemäß den US-GAAP veröffentlichen muss. Inzwischen hat das Unternehmen die Notierung an der New Yorker Börse aufgrund zu hoher Kosten jedoch wieder aufgegeben.

Allianz Group (IFRS)

in Mio. €

Allianz Group (US-GAAP)

Jahresüberschuss

7.021

Jahresüberschuss

6.517

Eigenkapital

49.650

Eigenkapital

52.999

Gewinn je Aktie

17,09

Gewinn je Aktie

15,59

Quelle: Allianz SE (2006) [IFRS,US-GAAP]

Wie der Aufstellung zu entnehmen ist, bestehen auch zwischen IFRS und US-GAAP gewisse Abweichungen, jedoch fallen diese deutlich geringer aus als beim Vergleich von IFRS und HGB. Generell bieten die IFRS mehr Spielraum bei Wahlrechten als die US-GAAP, wodurch US-amerikanische Abschlüsse untereinander die höchste Vergleichbarkeit aufweisen sollten.

1.1.2 Begrenzte Aussagekraft von Abschlüssen

Trotz zahlreicher Auflagen und Regulierungen seitens der Börsenaufsicht und Regierung sind kriminelle Energien in der Wirtschaftswelt allgegenwärtig. Der beeindruckendste Fall von Bilanzfälschung, welcher später zu dem bereits angesprochenen „Sarbanes-Oxley Act“ führte, vollbrachte der damals zu den größten US-Unternehmen zählende Energiekonzern Enron. Durch Anwendung der klassischen Bilanzanalyse konnte der gigantische Betrug Enrons nicht aufgedeckt werden. Selbst Ratingagenturen wie Standard & Poors, die einen tieferen Einblick in das Zahlenwerk haben, bescheinigten dem Unternehmen noch kurz vor der Insolvenz im Jahr 2001 eine gute Bonität. Tatsächlich lagen in den „weichen“ Faktoren wie dem Unternehmensauftritt und der Kommunikation deutlichere Anzeichen, dass Enron etwas zu verbergen hatte. So bezeichnete sich das Unternehmen in seinen Geschäftsberichten beispielsweise als „The World’s Greatest Company“, darüber hinaus sind auch Beschimpfungen gegenüber kritischen Analysten während Bilanzpressekonferenzen bekannt. Wie fälschte Enron nun seine Zahlen? Zum einen wurden langlaufende Termingeschäfte schon zum heutigen Zeitpunkt komplett als Ertrag verbucht. Eine weitere Methode bestand darin, Geschäfte mit eigenen, vom Management gegründeten 8Offshore-Gesellschaften abzuschließen und diese als Gewinn zu verbuchen. Zudem führte Enron mehrere Milliarden an Verbindlichkeiten nicht in den eigenen Büchern und setzte Vermögenswerte durch fragwürdige Bewertungsmodelle zu inflationären Werten an.

In den meisten Fällen von Bilanzbetrug wird auf die folgenden Methoden zurückgegriffen:

  1. Off-Balance Sheet Accounting
  2. Gewinnsteuerung (verfrühter Ausweis von Gewinnen)
  3. Befangenheit von Wirtschaftsprüfern
  4. Aktivierung von fiktiven Wirtschaftsgütern

Werden Vermögenswerte und insbesondere Verbindlichkeiten außerhalb der Bilanz geführt, sind diese im Rahmen einer gewöhnlichen Bilanzanalyse in der Regel nicht aufdeckbar. Durch dieses Vorgehen wird die finanzielle Stabilität scheinbar erhöht, um beispielsweise die Kreditwürdigkeit zu verbessern. In weiteren Fällen des Bilanzbetrugs kam es zu einer Gewinnsteuerung des Managements. Dabei wurden Gewinne vor dem eigentlichen Umsatzakt ausgewiesen oder wie im Fall von Enron langlaufende Verträge unmittelbar als Ertrag gebucht. Die Befangenheit von Wirtschaftsprüfern ist als wichtigster Punkt bei Bilanzbetrug festzuhalten. Früher war es übliche Praxis, dass der Wirtschaftsprüfer gleichzeitig als Berater tätig war, wodurch unter Umständen Interessenkonflikte entstehen konnten. Dieses Verhältnis sorgte in einigen Fällen dazu, dass die genannten Methoden überhaupt angewandt werden konnten. Darunter fällt auch die Aktivierung fiktiver Wirtschaftsgüter, wodurch in der Bilanz eine nur scheinbare Substanz simuliert wird. Zusammen mit den oben angeführten Beispielen zeigt dies die Grenzen der Rechnungslegung an. Wer erfolgreich Unternehmen analysieren und investieren will, muss neben der Bilanzanalyse auch weitere Faktoren wie das Geschäftsmodell, das Management und die aktuellen Makrotrends mit in Betracht ziehen. Gleichwohl bietet eine ausführliche Bilanzanalyse einen guten und insbesondere quantifizierbaren Einblick in ein Unternehmen und bildet somit gewissermaßen das Fundament der weiteren Analyse.

1.1.3 Besonderheiten der Finanzbranche

Die Jahresabschlussanalyse und Unternehmensbewertung wie sie in diesem Buch dargestellt wird bezieht sich ausdrücklich nicht auf Versicherungen und Banken. Der Grund für diese Einschränkung liegt in der grundsätzlich verschiedenen Kapitalstruktur von Finanzinstituten. Durch die gewaltigen Bilanzsummen mancher Banken – die Deutsche Bank kommt beispielsweise auf fast 2 Billionen € an Vermögenswerten – scheitert eine Analyse der Aktiva bereits an der schieren Masse. Auch unterscheidet sich das Geschäftsmodell zu deutlich von gewöhnlichen Unternehmen, wodurch ein Übertragen der Unternehmensbewertung auf Banken und Versicherungen nicht ohne Weiteres möglich ist. Neben diesen Faktoren weisen Finanzwerte in der Regel eine sehr unstetige 9Entwicklung auf, was eine langfristige Bewertung zusätzlich erschwert. Die Niedergänge von Northern Rock, Bear Sterns oder Lehman Brothers während der Finanzkrise 2008/09 verdeutlichen, dass in der Finanzbranche zwischen Rekordgewinnen und der Insolvenz oft nur ein schmaler Grat herrscht. Während um 1980 noch Investmentbanken wie Salomon Brothers, Drexel Burnham und Nomura (die größte Investmentbank in den 80ern) die Wall Street dominierten, sind die meisten dieser Häuser inzwischen größtenteils unter- oder in anderen Finanzinstituten aufgegangen. Zudem ist in dieser Branche mit weiteren Regulierungen im Zuge der Finanzmarktkrise zu rechnen, was eine Einschätzung der Zukunftsaussichten zusätzlich erschwert.

1.2 Aufbau und Struktur von Jahresabschlüssen

Der wichtigste Bestandteil eines Geschäfts- oder Zwischenberichts ist der Jahres- beziehungsweise Konzernabschluss. Er enthält Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang, Eigenkapitalveränderungsrechnung sowie eine Segmentberichterstattung. Zudem ist in der Regel ein Lagebericht angegeben. Je nach Größe des Unternehmens und Transparenzvorschriften beinhalten die einzelnen Bestandteile einen unterschiedlichen Detailgrad. Im folgenden Abschnitt sollen neben der Vorstellung der verschiedenen Bestandteile auch erste Kennzahlen zur Kosten- und Bilanzstruktur eingeführt werden.

1.2.1 Gewinn- und Verlustrechnung

Die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) stellt den Erträgen der Periode die entsprechenden Aufwendungen gegenüber. Der Saldo dieser Positionen ergibt den Gewinn oder Verlust der Periode. Die Gewinn- und Verlustrechnung wird in Deutschland entweder nach dem Gesamtkosten- (GKV) oder Umsatzkostenverfahren (UKV) aufgestellt. Zwar wird in den IFRS das Umsatzkostenverfahren als bevorzugt dargestellt, jedoch ist ebenso die Anwendung des Gesamtkostenverfahrens zulässig. International stellen die Unternehmen die Gewinn- und Verlustrechnung (Income statement) größtenteils nach dem Umsatzkostenverfahren auf. Das Gesamtkostenverfahren berücksichtigt alle angefallenen Kosten der Periode. Das Umsatzkostenverfahren stellt dagegen lediglich die Kosten der tatsächlich verkauften Produkte und Dienstleistungen den Umsatzerlösen gegenübergestellt. Aus diesem Grund wird im Gesamtkostenverfahren eine weitere Position, die Bestandsveränderungen der Vorräte, benötigt um letztendlich auf das gleiche Jahresergebnis zu kommen. Weitere für die Jahresabschlussanalyse relevante Punkte sind die unterschiedlichen Kostenarten. Im Gesamtkostenverfahren wird der Aufwand nach Kostenarten (Materialkosten, Personalkosten, etc.) aufgeführt, während das Umsatzkostenverfahren die Kosten nach Funktionsbereichen (Produktion, Vertrieb, etc.) gruppiert. Schematisch sind die beiden Verfahren nach IFRS wie folgt aufgebaut:

10Gesamtkostenverfahren

Umsatzkostenverfahren

Umsatzerlöse

Umsatzerlöse

Sonstige betriebliche Erträge

Materialaufwand

= Rohergebnis

Personalaufwand

Abschreibungen

Sonstige betriebl. Aufwendungen

= Bruttoergebnis vom Umsatz

Vertriebskosten

Verwaltungskosten

Sonstige betriebl. Erträge & Aufwendungen

= Betriebsergebnis (EBIT)

Finanzaufwendungen

= Betriebsergebnis (EBIT)

Finanzaufwendungen

= Ergebnis vor Steuern (EBT)

Steueraufwand

= Ergebnis vor Steuern (EBT)

Steueraufwand

= Ergebnis nach Steuern (EAT)

= Ergebnis nach Steuern (EAT)

Im Gesamtkostenverfahren sind die Posten Materialaufwand, Personalaufwand, Abschreibungen und sonstige betriebliche Aufwendungen einzeln aufgeführt. Dies ermöglicht eine einfache Berechnung von Material- und Personalaufwandsquoten. Das Umsatzkostenverfahren bietet dagegen Einblick in die Kostenblöcke Herstellungskosten, Vertriebskosten, allgemeine Verwaltungskosten, sonstige betriebliche Erträge und sonstige betriebliche Aufwendungen. Da Personal-, Material- und Abschreibungsaufwendungen in den Kostenblöcken enthalten sind, fällt eine Berechnung der Material- und Personalaufwandsquote schwer bis unmöglich. Im Gegenzug gewinnt man Einsicht über die Kostenarten und kann beispielsweise eine ineffiziente Verwaltung oder zu hohe Vertriebskosten ausfindig machen. Beide Verfahren haben daher für die Analyse Vor- und Nachteile. Nach Abzug der operativen Aufwendungen steht in beiden Verfahren das Betriebsergebnis (EBIT). Diese Kenngröße gibt den Gewinn oder Verlust aus der operativen Geschäftstätigkeit an. Um das Ergebnis vor Steuern zu erhalten, wird das Finanzergebnis bestehend aus Zinsaufwendungen, Zinsertrag und Beteiligungserträgen vom EBIT subtrahiert. Auf diese Summe, das Ergebnis vor Steuern (EBT), bezahlt das Unternehmen die Ertragssteuern. Nachdem alle Aufwandspositionen von den Umsatzerlösen beziehungsweise der Gesamtleistung (im Gesamtkostenverfahren) abgezogen wurden, ergibt sich der Jahresüberschuss bzw. bei negativem Saldo ein Jahresfehlbetrag. Im IFRS-Abschluss wird diese Position auch „Ergebnis der Periode“ oder „Konzernergebnis“ genannt. Wir beziehen uns im Folgenden auf den Jahresüberschuss, der synonym zu Konzernergebnis und Ergebnis der Periode verwendet wird. Mit diesem Wissen lassen sich nun die ersten Kennzahlen aus der Gewinn- und Verlustrechnung bestimmen. Aufgrund der genannten Unterschiede zwischen Gesamt- und Umsatzkostenverfahren existieren unterschiedliche Kennzahlen im jeweiligen Verfahren.

111.2.2 Aufwandsquoten im Gesamtkostenverfahren

Im Gesamtkostenverfahren bietet sich zur Berechnung von Aufwandskennzahlen die Gegenüberstellung von operativen Aufwendungen und der erzielten Gesamtleistung an. Mit Blick auf die oben abgebildete Gewinn- und Verlustrechnung können im Gesamtkostenverfahren somit Material-, Personal-, Abschreibungs- und sonstige operative Aufwendungsquoten bestimmt werden, um die Entwicklung der operativen Aufwendungen nachzuvollziehen.

Materialaufwandsquote

Da bei den meisten produzierenden Unternehmen der Materialaufwand die größte Kostenposition ausmacht, wird zu Beginn die Materialaufwandsquote (MAQ) beleuchtet.

img

Die Materialaufwandsquote ist ein Indikator für die Inputpreissensibilität eines Unternehmens. Der in der Periode angefallene Materialaufwand wird zur Berechnung mit der erzielten Gesamtleistung ins Verhältnis gesetzt. Je höher die Materialaufwandsquote, desto sensibler reagiert das Unternehmen auf Preissteigerungen bei Rohstoffen. Insbesondere Unternehmen aus der verarbeitenden Industrie wie Stahl- und Aluminiumhersteller weisen eine hohe Materialaufwandsquote auf und reagieren entsprechend stark auf die Rohstoffpreisentwicklung. Wichtig ist die Verlaufsauswertung der Materialaufwandsquote über mehrere Jahre. Dabei sollten Einflussfaktoren wie die Entwicklung der Rohstoffpreise, Währungsschwankungen (viele Rohstoffe werden in US-Dollar gehandelt), Energiepreise und Transportkosten berücksichtigt werden.

Beispiel 1.4 – Materialaufwandsquote: A.S. Creation

A.S. Creation

 

(in €)

2010

2009

Umsatzerlöse

184.603.379,32

181.325.232,61

Bestandsveränderungen

1.983.635,39

-4.111.330,99

Andere aktivierte Eigenleistungen

2.175,00

5.225,00

Gesamtleistung

186.589.189,71

177.219.126,62

Materialaufwand

96.064.012,85

90.216.262,90

Personalaufwand

39.335.859,68

37.714.495,25

Quelle: A.S. Crèation Tapeten AG (2010) [IFRS]

Anhand des Auszugs der nach dem Gesamtkostenverfahren aufgestellten Gewinn- und Verlustrechnung des deutschen Tapetenherstellers A.S. Creation Tapeten berechnet sich die Materialaufwandsquote wie folgt:

img

12Gegenüber dem Vorjahr stieg die Materialaufwandsquote um 0,5 Prozentpunkte. Der Anteil des Materialaufwands an der Gesamtleistung nahm somit zu. Diese Entwicklung kann beispielsweise auf gestiegene Rohstoffpreise zurückzuführen sein und belastet das Ergebnis. Im Zusammenhang mit der Materialaufwandsquote sollte stets die Fähigkeit eines Unternehmens die Preise an die Inflation anzupassen beachtet werden. Im Fall von A.S. Creation lässt sich der Materialaufwand beispielsweise in die Bestandteile PVC, Energie, Farbe und Papier unterteilen und durch eine Analyse der einzelnen Preisentwicklungen Rückschlüsse ziehen, welcher Inputfaktor für die Verschlechterung der Materialaufwandsquote verantwortlich ist.

Personalaufwandsquote

Analog zur Materialaufwandsquote berechnet sich die Personalaufwandsquote (PAQ) folgendermaßen:

img

Bei dieser Kennzahl sollte neben der Mitarbeiteranzahl auch auf Faktoren wie das allgemeine Lohnniveau an den Produktionsstandorten, den Einfluss der Gewerkschaften sowie die Entwicklung der Inflation geachtet werden. Gegenüber Industrieunternehmen, bei denen in der Regel die Rohstoffe den größten Kostenblock ausmachen, reagieren Unternehmen aus der Informations- und Beratungsbranche besonders sensibel auf Veränderungen im Lohnniveau. Der Personalaufwand unterteilt sich in der Regel in die Punkte Löhne und Gehälter sowie die Abgaben für Sozialversicherungen. Bei der Analyse sollte auch die Mitarbeiterproduktivität berücksichtigt werden, die dem Umsatz je Mitarbeiter entspricht.

Beispiel 1.5 – Personalaufwandsquote: A.S. Creation

Auf Basis des oben abgebildeten Auszugs der Gewinn- und Verlustrechnung der A.S. Creation Tapeten AG ergibt sich für 2010 eine Personalaufwandsquote von:

img