Über das Buch:
Eigentlich ist für Hannah alles im grünen Bereich. Doch dann der Schock: Sie soll ins Internat! Wie furchtbar!! Nur fremde Gesichter um sie herum, und alle ihre Freunde sind weit weg. Aber vielleicht kann sie neue Freunde finden? Vielleicht ist alles gar nicht so schlimm? Ohne den ,,Eichenhof“ hätte sie jedenfalls Leonie, Lissy und Isabell nie kennen gelernt. Und dann ist da noch Constanze, die ganz entschieden an Gott glaubt. Den gibt’s doch gar nicht, meint Hannah. Kann Constanze Hannah vom Gegenteil überzeugen? Nimmt Hannahs Leben eine entscheidende Wende?

Über die Autorin:
Marion Birkigt, Mutter von drei Kindern, lebt in Hamburg und Spanien und ist als Lehrerin in der Erwachsenenbildung tätig. Sie hat 20 Kinder-Krimis, 9 Mädchen-Romane und eine heitere Erzählung für Erwachsene veröffentlicht.

8. Veränderungen

Leonie ist wieder da. Sie ist nicht sauer, dass ich bei Conny geschlafen habe.

„Hätte ich genauso gemacht. Aber sagt mal: Was ist eigentlich mit Ann-Kathrin los? Als ich ihr auf dem Flur begegnet bin, hat sie nur mit gesenktem Kopf ,Hallo Leonie‘ gemurmelt und ist sofort in ihrem Zimmer verschwunden. Hat sie was gegen mich?“

„Ne, das siehst du falsch. Sie geht uns allen aus dem Weg. Ihre Pickel sind schlimmer geworden, das ist das Problem“, kläre ich Leonie auf.

„Das ist auch schon Melanie, Yvonne und Midori aufgefallen“, ergänzt Conny. „Midori ist natürlich viel zu höflich, um etwas zu sagen. Aber ich habe gehört, wie die beiden anderen sich darüber unterhalten haben.“ Die drei sind die Einzigen aus der zehnten Klasse, die die Herbstferien im Internat verbringen, und an manchen Tagen haben wir zusammen gefrühstückt.

„Melanie meinte, Ann-Kathrin solle mal zum Hautarzt gehen.“

„Und? Tut sie’s?“

Ich zucke mit den Schultern: „Keine Ahnung.“

„Auf äußere Schönheit kommt es doch nicht an. Die inneren Werte zählen doch viel mehr!“

„Mensch, Conny, du hörst dich an wie deine eigene Großmutter! Glaubst du, dass Ann-Kathrin das hören will? Wir möchten doch alle attraktiv sein. Gib’s zu!“

„Ja, okay. Ich finde es auch nicht gut, wenn ich plötzlich einen Pickel am Kinn kriege“, räumt Conny ein. „Und Ann-Kathrins Pickel sind echt nicht schön.“

„Was können wir denn dabei tun?“

„Also, wir sollten wenigstens mal mit ihr reden“, findet Leonie. „Die Idee mit dem Hautarzt ist doch nicht schlecht.“

„Aber wir können doch nicht einfach zu ihr hingehen und sie auf ihre Pickel ansprechen“, wende ich ein. Ich muss daran denken, wie ich am Anfang Ann-Kathrin und Maja gekränkt habe, als ich bewusst taktlose Bemerkungen über ihr Aussehen gemacht habe.

„Na ja, da müssen wir natürlich diplomatisch vorgehen. Es muss von vornherein klar sein, dass wir ihr helfen wollen“, sagt Leonie.

„Vielleicht ist es ganz gut, dass unsere Beautys Vanessa und Isabell zurzeit nicht da sind. Mit uns kann Ann-Kathrin sicher leichter darüber sprechen“, glaubt Conny.

„Versuchen können wir es ja.“

* * *

Am nächsten Morgen ergibt sich eine gute Gelegenheit: Als wir den Waschraum betreten, macht sich Ann-Kathrin gerade fertig. Obwohl sie nur halb angezogen ist, rafft sie sofort ihre Sachen zusammen und will schnell verschwinden.

„He, nun lauf doch nicht weg! Wir sind’s doch bloß!“ Leonie hält sie am Arm fest. „Nächste Woche, wenn der Unterricht wieder beginnt, treffen wir hier sowieso alle aufeinander!“

Ann-Kathrin bleibt stehen und lässt den Kopf hängen.

„Was ist denn los, Kati?“, fragt Conny mitfühlend.

„Sieh mich doch an!“, bricht es da aus Ann-Kathrin heraus. „All die roten Pickel – das ist doch eklig!“

„Machst du denn nichts dagegen?“, erkundigt sich Leonie ganz sachlich. Ich halte mich lieber zurück.

„Doch, schon. Bis letzte Woche habe ich immer ,Clearasil‘ draufgetupft, da sah man es nicht so deutlich. Aber dann war ich bei einer Hautärztin, und die hat gesagt, dass so ein Pickelstift es nur schlimmer macht und ich keinen mehr benutzen soll.“

Aha, beim Arzt war sie also schon deswegen.

„Sie hat mir dann eine Salbe verschrieben, aber die ist fast weiß. Für nachts kann ich sie ja nehmen, aber ich kann doch nicht tagsüber mit weißen Flecken im Gesicht rumlaufen!“

„Also machst du morgens gar nichts?“

Unglücklich schüttelt Ann-Kathrin den Kopf. Eine Träne rollt ihr über die Wange. Conny sieht genauso unglücklich aus, sie zerfließt fast vor Mitleid. Ich bin unsicher, wie ich mich verhalten soll, Leonie ist eindeutig die Tatkräftigste von uns dreien. „So können wir Kati nicht rumlaufen lassen, da müssen wir was unternehmen! Wo ist Maja?“

„Die ist schon unten in der Küche.“

„Gut. Wir duschen und ziehen uns an, dann holen wir Maja dazu und treffen uns in zwanzig Minuten in eurem Zimmer. Da besprechen wir alles.“

Genauso machen wir es. Wir verteilen uns auf beide Betten, und Leonie beginnt: „Ann-Kathrin muss ihre Salbe auch tagsüber nehmen, denn nur so wird sie ihre Pickel los. Damit sie sich unter Leute traut, kommt oben drüber ein hautverträgliches Make-up ohne Reizstoffe. So was bekommt man bestimmt in einer guten Apotheke.“

„Du meinst, das geht?“, fragt Ann-Kathrin hoffnungsvoll.

„Versuchen können wir es doch. Du hast nichts zu verlieren.“

Jetzt mische auch ich mich ein. „Vielleicht könntest du auch eine andere Frisur tragen, eine, die – na ja, sagen wir mal: die ein bisschen moderner ist als deine jetzige ...“

„Du brauchst nicht drum herumzureden, Hannah. Meine Dauerwelle ist scheußlich, ich weiß. Viel zu krisselig.“

„Du musst doch nicht warten, bis sie rausgewachsen ist! Die kann man auch rausziehen lassen. Kostet ein bisschen was, aber das ist doch egal. Schönheit hat ihren Preis!“

„Ja, ein flotter Kurzhaarschnitt mit einem fransigen Pony steht dir bestimmt besser“, findet auch Maja. Mittelscheitel und eine freie Stirn – beides sehr unvorteilhaft für jemanden mit unreiner Haut. Da sind wir uns alle einig.

„Die Frisur muss ein bisschen von deinen Problemzonen ablenken“, findet Leonie.

„Aber mein ganzes Gesicht ist doch eine einzige Problemzone“, seufzt Ann-Kathrin.

„Quatsch! Du hast zwar Pickel, aber wunderschöne Augen. Die musst du betonen: Was meinst du, was ein bisschen Lidschatten für Wunder wirken kann!“

„Und mehr Mascara für die Wimpern“, verlangt Conny.

„Ich habe auch einen Vorschlag!“ Maja ist ganz aufgeregt. „Ann-Kathrins Augenfarbe ist grün, das Haar braun: Was haltet ihr davon, wenn sie ihre Haare nicht nur schneiden, sondern auch tönen lässt? So ein rötlicher Schimmer, das sähe doch bestimmt gut aus, oder?“

„Super Idee!“

„Wo wir schon mal dabei sind: Wie steht’s denn mit dir, Maja?“

„Mit mir?“ Maja reißt erstaunt die Augen auf.

„Ja! Deine Haarfarbe ist auch ein bisschen langweilig. Etwas Aufhellen könnte meiner Meinung nach nicht schaden. Und dann deine Brille – hast du es schon mal mit Kontaktlinsen versucht?“ Leonie ist jetzt richtig in Fahrt. Maja dagegen wirkt plötzlich sehr unsicher. „Du meinst, das würde was bringen?“

„Probieren geht über studieren!“, antwortet Leonie altklug.

„Aber an meiner Figur ändert das nichts – ich bin einfach zu dick“, seufzt Maja. „Ich hab absolut keine Taille: Genau wie die Biene, nach der ich heiße! Ihr glaubt gar nicht, wie ich meinen Namen hasse!“

„Der Name ist doch schön, ich würde viel lieber ,Maja‘ heißen als ,Ann-Kathrin!‘“

„Ja, und ich hätte gern deine Figur! Die Pickel gehen irgendwann weg, dann bist du richtig attraktiv, aber ich bleibe die Dicke!“, meint Maja.

„Hast du es schon mal mit einer Diät versucht?“, frage ich vorsichtig.

Maja winkt ab. „Mit einer? Mit Dutzenden! Die letzte habe ich in den Sommerferien gemacht, als ich zu Hause war, eine Spinatdiät. Da durfte man zwei Wochen lang nur Mineralwasser trinken und den ganzen Tag nichts anderes essen als Spinat mit hartgekochtem Eiweiß.“

„Und? Hat es was gebracht?“, fragt Ann-Kathrin.

„Ja“, Maja nickt ernsthaft. „Ich mag keine Eier mehr und Spinat kann ich nicht mehr sehen!“

„Du Arme! Aber abgenommen hast du nicht?“, hakt Leonie nach.

„Nicht wirklich, gerade mal ein Kilo. Ich muss einfach mit meinen Pfunden leben.“

„Aber es zwingt dich keiner, immer nur in schlabberigen grauen T-Shirts und schwarzen Pullovern in Größe XXL herumzulaufen!“

„Damit kann ich aber meinen Hintern verdecken. Und enge Sachen kann ich nun wirklich nicht tragen, dann sehe ich aus wie eine Wurst!“

„Trotzdem: So zeltartig müssen die Shirts nicht sein!“ Leonie lässt nicht locker. „Und immer nur schwarz oder grau zu schwarzen Jeans – das sieht auch nicht gerade toll aus. Du bist doch kein Trauerkloß!“

„Du meinst: Wenn schon Kloß, dann wenigstens ohne Trauer?“ Maja grinst schief. So was nennt man Galgenhumor!

„Blau müsste dir gut stehen“, meint Conny. „Vielleicht verschiedene Blautöne miteinander kombiniert ...“

„Aber keine Querstreifen!“, werfe ich ein.

Wir versuchen alle, uns eine neue Maja vorzustellen: Ohne Brille, mit Kontaktlinsen, und neuen, blauen Klamotten, vielleicht ein, zwei Nummern kleiner als bisher, passend zu ihren blauen Augen. Und die Haarfarbe ein wenig heller.

„Das müsste eigentlich hinhauen“, meint Leonie. „Also, ich fasse noch mal zusammen: Zwei Friseurtermine, eine Beratung in der Apotheke, ein Besuch beim Optiker und Klamottenkauf. Möchte sich noch jemand an unserem Verschönerungsprogramm beteiligen?“

Ich fahre mir mit beiden Händen durch meine Haare. „Die könnten einen Nachschnitt vertragen. Am liebsten hätte ich deinen Haarschnitt, Leo. Das sieht richtig schick aus!“

„Also drei Friseurtermine“, korrigiert Leonie. „Den Salon in Hemmlingen können wir uns sparen, so ein Wald- und Wiesenfriseur kriegt das bestimmt nicht hin.“

„Nee, der hat meine Dauerwelle verbrochen!“, kommt es von Ann-Kathrin.

Hemmlingen ist das Dorf, zu dem der „Eichenhof“ gehört. Zu Fuß sind es vom Internat ungefähr acht Minuten bis zur Ortsmitte. Dort gibt es einen Tante-Emma-Laden, einen Bäcker, besagten Friseur, den Gasthof Reichelt, der auch einige Gästezimmer vermietet, eine private Tankstelle und neuerdings einen Getränkemarkt. Dazu die Dorfkirche mit ihrem kleinen Friedhof, und am Ortsausgang die Busstation des Überlandbusses, der bis nach Celle fährt.

Genau diesen Überlandbus wollen wir nehmen.

„Werktags fährt er alle zwanzig Minuten. Wartet, ich hole den Fahrplan!“ Conny springt von Ann-Kathrins Bett. Sie fährt fast jeden Sonntag mit dem Bus nach Priessdorf, das zwar dem Namen nach ein Dorf, in Wirklichkeit aber ein größerer Ort ist als Hemmlingen. Conny geht dort in den Gottesdienst der Marien-Kirche, der moderner und lebendiger ist als der in der alten Backsteinkirche in Hemmlingen. In Priessdorf gibt es im Gewerbegebiet auch einen „ALDI“ und einen „Penny“ und im Ortszentrum mehrere Restaurants, zwei Banken, eine Postagentur, eine Apotheke sowie ein paar Boutiquen.

Aber wir wollen nach Celle. Dort sind die Chancen am größten, dass wir das passende Outfit für Maja bekommen, und dort ist auch der Friseur, den Lissy Leonie empfohlen hat und der für ihren Haarschnitt verantwortlich ist. Er trägt den schlichten Namen „Cut“, das englische Wort für „Schneiden“, und ist ziemlich teuer. Vorsichtshalber ruft Leonie an und macht die Termine für uns aus. Wenn wir um die Mittagszeit kommen, ist es kein Problem.

Wir frühstücken schnell, dann sucht Conny die passende Abfahrtszeit des Busses aus ihrem Fahrplan, und wir melden uns bei Frau Mayer ab. Das muss sein, wenn man privat das Internat verlassen will.

Wir marschieren die Landstraße hinunter Richtung Hemmlingen.

„Hier war ich auch schon“, sagt Constanze, als wir an der Dorfkirche vorbeikommen. „Aber nur einmal. Da waren etwa zwanzig Besucher im Gottesdienst, und alles alte Leute, fast nur Frauen. Jetzt fahre ich lieber nach Priessdorf. Dort kommen rund achtzig Besucher, auch junge Leute in meinem Alter. Da fühle ich mich wohler.“

„Tss, tss, tss! Dabei hast du doch gesagt, Gott könne überall zu einem sprechen“, neckt Leonie die Freundin.

„Tut er ja auch! Aber er hat auch nichts dagegen, wenn man sich das passende Umfeld sucht!“

Der Bus kommt mit Verspätung, aber trotzdem haben wir in Celle noch fast anderthalb Stunden Zeit, um diverse Bekleidungsgeschäfte abzuklappern, ehe wir beim Friseur sein müssen. Das Make-up für Ann-Kathrin zu besorgen, ist nicht so eilig: Sie hat verbotenerweise noch mal ihren Antipickel-Stift benutzt, sonst hätte sie sich überhaupt nicht nach Celle getraut.

Wir bringen Maja dazu, eine blaue Jeans zu kaufen und mehrere Oberteile in verschiedenen helleren Blautönen, dazu einen kornblumenblauen Pullover mit V-Ausschnitt – Originalton Leonie: „Bloß nichts mit Rundhals! Ein V-Ausschnitt streckt!“ –, sowie eine zartlila Tunika und eine Strickjacke mit Kragen und Reißverschluss in einem dunkleren Lila. Ich hätte nicht gewusst, dass das Teil „Tunika“ heißt, aber so hat es die Verkäuferin genannt. Ich hätte es als längeren Kittel mit einer Borte am spitzen Ausschnitt, unten an den Ärmeln und an den Seitenschlitzen beschrieben. „Das steht dir super, echt!“

Beladen mit den diversen Tüten machen wir uns auf zu „Cut“ und kaufen auf dem Weg dorthin das Make-up für Ann-Kathrin, „medizinisch entwickelt für die Problemhaut in der Pubertät“, wie uns die Apothekerin versichert, also genau das, was wir wollten. Nur zum Optiker können wir erst nach unserem Friseurtermin.

Bei Ann-Kathrin dauert es doppelt so lange wie bei Maja und mir: Zuerst muss die Dauerwelle raus, dann wird das Haar getönt mit dem Farbton „Edelkastanie“ und zum Schluss geschnitten. Aber das Ergebnis kann sich sehen lassen, Ann-Kathrin ist nicht wiederzuerkennen!

„Wir hätten Fotos machen sollen: vorher – nachher“, meint Leonie. „Ihr kennt das doch aus den Zeitschriften: ,Leserinnen suchen ihren Stil‘. Jetzt gehen wir noch zu ,Douglas‘ und kaufen Lidschatten, einen Kajalstift und Mascara.“

„Ich hab’ aber kaum noch Geld“, wendet Ann-Kathrin ein.

„Schön, dann eben zu ,Woolworth‘, die werden auch so was haben, und da ist es billiger. Notfalls leihen wir dir was, nicht wahr, Mädels?“

Wir „Mädels“ nicken einträchtig. Jetzt ist es genauso, wie ich es mir vorgestellt habe: Arm in Arm bummeln wir durch die Celler Einkaufspassage, fünf Freundinnen, die lachen, reden und sehr zufrieden mit den Ereignissen des heutigen Tages sind. Ann-Kathrin zupft immer wieder an den ungewohnten Ponyfransen herum, die ihr jetzt in die Stirn fallen, und bleibt vor jedem Spiegel stehen, um die neue Frisur und das sanft schimmernde Rotbraun ihrer Haare zu bewundern.

„Wir müssen noch zum Optiker, vergesst das nicht!“, drängt Maja.

„Keine Bange, du wirst deine Brille heute noch los. Aber ein bisschen Lidschatten und Wimperntusche können dir auch nicht schaden. Ohne Brille sieht man viel mehr von deinen Augen!“

Wir finden uns echt schön, als alles erledigt ist. Na ja, jedenfalls schöner als vorher, und Maja und Ann-Kathrin sind richtig glücklich. Nur Conny hat gar nichts gekauft, nicht mal einen Lipgloss. Dafür will sie in die große Buchhandlung, an der wir vorbeikommen.

„Bin gleich wieder da! Geht ganz schnell.“

Wir anderen bleiben draußen stehen und wühlen in den Grabbeltischen mit den Sonderangeboten.

„Hier, das könnte ich meinem kleinen Bruder schenken!“ Leonie hält ein Buch mit dem Titel „Bizzy, das Eichhörnchen“ in die Höhe. „Er ist sehr tierlieb.“ Doch bevor sie sich entschieden hat, ob sie das Buch nun wirklich kaufen will oder nicht, ist Constanze wieder da. Sie will uns aber nicht verraten, welches Buch sie in der kleinen Tüte hat. „Ein Geschenk“, sagt sie nur. „Los, kommt, jetzt ist der Optiker an der Reihe. Wer weiß, wie lange das dauert!“

Bis Maja sich darüber klar geworden ist, ob sie es mit weichen oder harten Kontaktlinsen probieren will, ist es so spät geworden, dass wir vor Hunger fast umkommen. Wir beschließen, auf das Mittagessen im „Eichenhof“ zu verzichten und lieber zu „McDonalds“ zu gehen. So oft haben wir ja nicht die Gelegenheit dazu!

Dann laufen wir zurück zur Bushaltestelle.

„Wollt ihr nicht mal mitkommen in den Gottesdienst?“, fragt Conny, als wir an der Marien-Kirche von Priessdorf vorbeifahren.

„Warum nicht?“, meint Leonie gleichmütig, die grundsätzlich allem Neuen gegenüber aufgeschlossen ist. Ann-Kathrin und Maja sind unentschlossen.

„Und du, Hannah?“

Ich schüttele den Kopf. „Sei mir nicht böse, Conny, aber Kirche, das ist nichts für mich. Da spielt einer Orgel, dazu singt man alte Kirchenlieder, vielleicht liest einer aus der Bibel, und dann hält ein Pastor eine langweilige Predigt. Nein, danke, das muss ich nicht haben!“

„Wann warst du denn das letzte Mal in der Kirche?“

„Das muss wohl so zehn Jahre her sein, denke ich.“ Obwohl: War ich überhaupt schon mal bei einem Gottesdienst? Hat Mami mich mal mitgenommen? Ich kann mich nicht richtig erinnern.

„So, wie du dir das vorstellst, ist es überhaupt nicht. Und was ist so schlimm daran, wenn jemand einen kurzen Text aus der Bibel liest? Kennst du dich darin überhaupt aus?“, fragt Conny.

„Nee, eigentlich nicht“, gebe ich zu. Ich glaube, ich kriege nicht mal die zehn Gebote zusammen. ,Du sollst nicht lügen‘, ,Du sollst nicht töten‘, ,Du sollst nicht ehebrechen‘. Was noch? ,Du sollst keine anderen Götter neben mir haben‘, ,Du sollst Vater und Mutter ehren‘ und dann war da noch was, dass man nichts begehren soll, was einem anderen gehört. Das sind gerade mal sechs. Weit her ist es mit meinen Kenntnissen wirklich nicht.

„Na schön. Wenn Leonie mitkommt, gehe ich auch mit. Aber nur ein Mal, um zu sehen, wie es da so ist!“

„Abgemacht.“

* * *

Im „Eichenhof“ kann Ann-Kathrin es gar nicht abwarten, ihr neues Make-up auszuprobieren, wenn sie vorher die Salbe der Hautärztin auf die Pickel getupft hat. „Ob es wirklich deckt?“

Das tut es!

„Sehe ich nicht zu angemalt aus?“

„Keine Spur“, versichern wir, auch wenn klar ist, dass Ann-Kathrin geschminkt ist. Aber zu vorher ist es ein Unterschied wie Tag und Nacht! Kati ist ein richtig hübsches Mädchen, wenn man die Pickel nicht sieht, und auch Maja hat sich mit den aufgehellten Haaren und den weichen Kontaktlinsen sehr zu ihrem Vorteil verändert, ganz abgesehen von ihrer neuen Garderobe. Natürlich ist sie immer noch rundlich und hat keine Taille, aber die frischen Farben stehen ihr sehr viel besser als das triste Grauschwarz, in das sie sich vorher gehüllt hat.

„Da haben wir ganze Arbeit geleistet“, wispert mir Leonie zu und strahlt genauso wie Conny.

Auch Frau Mayer ist sehr angetan von Ann-Kathrins und Majas neuem Aussehen. „Ihr dürft es nur nicht mit dem Schminken übertreiben! Und kein knalliges Rot für die Lippen. Helle, dezente Farben, wenn ich euch das raten darf!“

Mein schicker Haarschnitt fällt ihr nicht weiter auf. Na, macht nichts, Hauptsache, mir gefällt er.

Ich will gerade zu Bett gehen – Leonie ist noch im Waschraum –, als es an der Tür klopft.

„Ja?“

Constanze kommt herein, eine Hand hinter dem Rücken. „Ich hab’ da was für dich. Vielleicht nützt es dir was.“

Sie streckt mir ein Buch entgegen, es hat einen peppig bunten Einband.

„Eine Bibel – für mich?“

Conny nickt. „Damit du weißt, wovon ich rede, wenn wir mal wieder über die Bibel diskutieren.“

„Und ich dachte, eine Bibel ist immer ein dicker Schinken in schwarzem Leder! Danke, Conny.“

„Fang mit der Bergpredigt an, steht am Anfang vom Neuen Testament“, rät sie mir und winkt noch einmal von der Tür her. „Schlaf schön!“

Ich schlage die Bibel an einer x-beliebigen Stelle auf: Noch kenne ich mich ja nicht darin aus. Man soll seine alten Kleider ablegen, neue Kleider anlegen, lese ich da. Das kann doch nicht wahr sein! Da gibt es Hunderttausende von Bibelstellen, und ich gerate ausgerechnet an eine, die das Thema Veränderung aufgreift. Es ist nicht zu fassen! Mir ist klar, dass die Aufforderung nicht wörtlich gemeint ist: Es geht nicht wirklich um neue Kleider wie bei Maja, sondern der Mensch soll sich in seinem Wesen verändern. Soll ich mich verändern? Will Gott mich verändern? Hat er mir Conny geschickt, um mir dabei zu helfen?

An diesem Abend bete ich zum ersten Mal, so wie Conny gesagt hat – ohne Floskeln, sondern was mich bewegt: „Lieber Gott, wenn du mich anders haben möchtest, als ich bin, dann zeige mir den richtigen Weg. Und danke, dass ich hier Freundinnen gefunden habe, und dass Conny sich so viel Mühe mit mir gibt. Amen.“