Verlag C.H.Beck
Viele Überzeugungen der alternativen Medizin und Esoterik stellen eine extreme Herausforderung der heutigen Wissenschaft dar. Wenn ihre zentralen Aussagen, insbesondere die der Homöopathie und der anthroposophischen Medizin, zutreffen, muß die heutige Physik in wichtigen Aspekten falsch oder doch zumindest grob unvollständig sein. Dies gilt um so mehr für streng esoterische Verfahren und ihre Überzeugungen, wie z.B. die der Geistfernheilung oder des Pendelns.
Martin Lambeck erläutert die wichtigsten Aspekte und Phänomene, aus denen sich das besondere Spannungsverhältnis von moderner Physik einerseits und alternativer Medizin und Esoterik andererseits speist, und beschreibt Möglichkeiten, wie der Streit vernünftig ausgetragen und entschieden werden könnte. Ein provokatives Buch über eine ebenso lange wie heftige Kontroverse, in der es keineswegs nur um wissenschaftliche Wahrheit, sondern auch um die Gültigkeit von Weltbildern geht. Es werden zahlreiche Tests der parawissenschaftlichen Aussagen angegeben, die der Leser selbst ausführen kann.
Für die dritte Auflage hat der Verfasser sein Buch um ein Kapitel «Rückschau auf ein Jahrzehnt skeptischer Arbeit» erweitert. Er diskutiert konkrete Medikamente der Alternativmedizin, weitverbreitete Fehldeutungen der Quantenphysik und sein eigenes neues physikalisches Weltbild.
Martin Lambeck ist Physiker, Professor i. R. an der TU Berlin sowie Mitglied des Wissenschaftsrates der Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP).
1. Einleitung und Übersicht
2. Aussagen der Physik
2.1 Die Atomlehre
2.2 Die Vierkräftelehre
2.3 Physik und Mensch
3. Erkenntnisfortschritt durch Untersuchung von Paraphänomenen
3.1 Was nennt die Physik «unmöglich»?
3.2 Existenz und Erklärung eines Phänomens
3.3 Was ist Wissenschaft?
3.4 Naturgesetze und Paraphänomene
3.5 Mein Ketten-Argument und mein psychophysikalischer Hauptsatz
3.6 Falschheit als Unvollständigkeit
3.7 Zuständigkeits- und Perfektionsanspruch der Physik
3.8 Gedanklicher Rahmen für die Anwendung physikalischer Aussagen
3.9 Mensch und Kosmos – Zeitqualität und Astrologie
3.10 Statistik
3.11 Wie testet man eine Vermutung?
4. Homöopathie nach Hahnemann
4.1 Homöopathie: Pro und Contra
4.2 Was ist Naturheilkunde?
4.3 Was ist Homöopathie?
4.4 Die Behandlung durch einen homöopathischen Arzt
4.5 Beispiele für Hahnemann-Homöopathie
4.6 Physikalische Fragen zur Homöopathie
4.7 Lösungsvorschläge für die Fragen
4.8 Fragen zu Differenzen innerhalb der Homöopathie
5. Homöopathieähnliche esoterische Heilverfahren
5.1 Der Begriff «Esoterik»
5.2 Anthroposophisch erweiterte Heilkunst nach Rudolf Steiner
5.3 Kosmologie nach Rudolf Steiner
6. Tests der Homöopathie, Politik und Krankenkassen
6.1 Bisherige Tests der Homöopathie
6.2 Eigene Vorschläge für Tests der Homöopathie
6.3 Alternative Medizin, Politik und Krankenkassen
6.4 Zusammenfassung der Homöopathie-Kapitel
7. Parapsychologie
7.1 Parapsychologie nach Bender
7.2 Parapsychologie nach Lathan
7.3 Medizinisch wirksame Parapsychologie (Geistiges Heilen)
7.4 Paraphänomene im Test der Großversuche
7.5 Paraphänomene und Quantenphysik
7.6 Das Hamlet-Argument
7.7 «Ich weiß immer ganz genau…»
8. Erdstrahlen, Wünschelruten, Pendel und Feng Shui
8.1 Wünschelrute und Pendel
8.2 Erdstrahluntersuchung durch König und Betz
8.3 Erdstrahlen, Pendel und mentale Phänomene nach Rohrbach
8.4 Mein Haupt-Test der Radiästhesie
8.5 Heutige Anwendung von Erdstrahlen und Feng Shui
8.6 Eigene Vorschläge für Erdstrahl-Tests
9. Alternative physikalisch-medizinische Verfahren
9.1 Wilhelm Reich und das Orgon
9.2 Heiko Lassek und medizinische Anwendungen des Orgon
9.3 Elektroakupunkturdiagnose nach Voll (EAV)
9.4 EAV und Bluttest nach Aschoff
10. Gedanken zur Politik, Forschungspolitik und Gesellschaft
10.1 Bedeutung der Forschung für den Menschen
10.2 Kosten der Forschung
10.3 Konkrete Forschungsvorschläge
10.4 Kollateral-Ergebnisse
10.5 Mögliche Ergebnisse und politische Konsequenzen
10.6 Paraphänomene, PUSH und Verbraucherschutz
10.7 Berliner Gespräch
11. Rückschau auf ein Jahrzehnt skeptischer Arbeit
11.1 Erdstrahlen und Hufelandgesellschaft
11.2 IntraG
11.3 Homöopathie
11.4 Anthroposophische Medizin
11.5 Homotoxikologie
11.6 Fernmedizin, Quantenphysik und holistisches Weltbild
11.7 Mein nesistisches Weltbild
11.8 Hinweise für eigene Versuche
12. Anhang (Organisationen und Binomialformel)
12.1 IGPP und WGFP
12.2 CSICOP/GWUP/Skeptics Society
12.3 Anomalistik
12.4 Die Binomialformel
13. Anmerkungen und Literatur
«Ich verstehe aber unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Vernunft denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht.» (Immanuel Kant[1])
Gegen meine Frage: «Ist die Physik falsch?» erheben sich sofort zwei Einwände. Erstens: Lambeck ist selbst Physiker, er kann also die Frage nicht beantworten, denn die Richtigkeit eines Systems kann nur von außen beurteilt werden. Zweitens: Die Frage verlangt den Einblick in die Zukunft, denn wir müßten wissen, welche physikalischen Effekte und Theorien es einmal geben wird. Doch wenn wir wüßten, heißt es bei Karl Popper, was wir in 20 Jahren wissen werden, wüßten wir es schon heute. Beide Einwände vor Augen versuche ich, mich der Frage mit einem Blick auf die Situation der Physik vor hundert Jahren anzunähern. Offenkundig unvereinbar standen zwei Tatsachen einander entgegen:
Erstens: Die Sonne scheint.
Zweitens: Die Annahme der Physik, Energielieferung könne nur durch mechanische oder chemische Prozesse zustande kommen.
Die Physiker konnten damals ausrechnen, wie lange die Sonne leuchten würde, wenn ihre Energie durch das Verbrennen von Kohle, den Einschlag von Meteoren oder Kontraktion zustande käme und stellten fest: Etwa 20.000 bis einige Millionen Jahre. Andererseits wußte man aus der Geologie, daß die Sonne schon sehr viel länger mit derselben Intensität geleuchtet haben muß. Also kann – neben vielen anderen Gründen – die Energie der Sonne nicht allein aus den genannten Prozessen stammen. Zwischen der Existenz der leuchtenden Sonne und der genannten Annahme bestand also eine – wie ich es nennen möchte –
erklärungsfordernde Spannung.
Daher will ich versuchen, meine Frage, ob die Physik falsch sei, durch Überprüfung der erklärungsfordernden Spannungen zwischen Aussagen der heutigen Physik und gegenwärtig vorliegenden – oder unterstellten – Erscheinungen zu vertiefen und Kriterien vorzutragen, die der Aufklärung dieser Spannungen dienen. Man mag darin die Absicht eines Skeptikers erkennen, der weiter zu fragen gelernt hat, um dem Erkenntnisfortschritt zu dienen.
Im Jahre 1900 bestand ein Widerspruch zwischen dem Leuchten der Sonne und dem Kenntnisstand der Physik. Dieser Widerspruch wurde nur von einem kleinen Kreis von Fachleuten wahrgenommen; er hatte keinerlei gesellschaftliche Bedeutung. Dagegen besteht heute ein Widerspruch z.B. zwischen der Physik und der Homöopathie. Das Homöopathische Arzneibuch und zwei zugehörige Gesetze wurden von einem Bundespräsidenten, einem Bundeskanzler sowie sechs Bundesministern unterschrieben, so daß es auf der ersten Seite den Bundesadler tragen darf. Der Gesetzgeber hat beschlossen, ein nicht unerheblicher Teil der in Deutschland verwendeten Medikamente stehe als Teil der «besonderen Therapierichtungen» außerhalb der wissenschaftlichen Wirksamkeitsprüfung. Einzelne Vorschriften des Homöopathischen Arzneibuches verraten die Nähe zur Astrologie bzw. Alchemie. Die betreffenden Medikamente, die auch von einigen gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden, können nur wirken, wenn nicht nur die heutige Physik falsch oder zumindest unvollständig ist, sondern auch die gesamte Wissenschaft seit Galilei. Im Jahre 1996 wurde der in der Öffentlichkeit stark beachtete «Alternative Nobelpreis» an den griechischen Homöopathen Georges Vithoulkas verliehen. Der Umsatz der entsprechenden Medikamente liegt im dreistelligen Millionenbereich.
Der in der politischen Öffentlichkeit ausgetragene Streit der Schul- und alternativen Medizin wird überwiegend nur als ein Streit zweier Schulen innerhalb der Medizin gesehen. Daß es hierbei um die Auseinandersetzung zwischen zwei Weltbildern und verschiedenen Auffassungen von Wissenschaft geht, wird bisher von der Öffentlichkeit und den Politikern, die das Homöopathische Arzneibuch mit ihrer Unterschrift zugelassen haben, gar nicht wahrgenommen. Diese Wahrnehmungssperre möchte ich beseitigen.
Die Lehren Rudolf Steiners beeinflussen über die Waldorfschulen Zehntausende von Schülern. Wenn die esoterischen Lehren der anthroposophisch erweiterten Heilkunst und der biologisch-dynamischen Landwirtschaft nach Rudolf Steiner richtig sind, dann ist auch im Blick darauf die heutige Physik unvollständig. Wenn ein in der alternativen Medizin weitverbreitetes Verfahren, die Elektroakupunkturdiagnose nach Voll (EAV) funktioniert, dann müssen Physik, Chemie, Pharmakologie, Medizin und Elektrotechnik radikal geändert oder mindestens erweitert werden. In jüngster Zeit wurden in Deutschland millionenschwere Investitionen in Wohn- und Industrieanlagen unter Berücksichtigung von Erdstrahlen und Feng-Shui-Energien durchgeführt und andererseits Erdstrahlen in einem Kurort eingesetzt. Analoge Aussagen gelten für Parapsychologie, Fernheilung und Pendel.
Es ist ein Phänomen für Psychologie/Soziologie/Politologie, daß heute in Deutschland mehrere einander ausschließende Lehren vertreten, vom Staat gefördert, von gesetzlichen Kassen bezahlt bzw. industriell angewendet werden, ohne miteinander in einen Dialog zu treten. Diese Tatsachen erfordern dringend Diskussion und Forschung.
Heute handelt es sich nicht um Diskussionen über Philosophien oder spezielle physikalische Probleme. Vielmehr treffen wir auf ein im Alltagsleben wirksames dichtes Geflecht aus Weltanschauung, Esoterik, Medizin, Politik, Gesetzen, Lobby der Pharmaindustrie, Gesundheitswesen und Beihilfevorschriften. Die dabei verwendeten Begriffe erzeugen mehr Vernebelung als Klarheit. Daher erkläre ich Begriffe wie Naturheilkunde, Homöopathie, Strahlen, Wellen, Erdstrahlen, Geistheilung, Parapsychologie, Esoterik, biologisch-dynamische Landwirtschaft usw. so, daß eine fruchtbare Diskussion möglich wird.
Nach der Auffaltung dieser Begriffe wird die erklärungsfordernde Spannung zur heutigen Physik kommentiert. Ich möchte zum Selbst-Denken und Selbst-Handeln auffordern. Daher sind, wann immer angängig, als Tests dieser Lehren Experimente angegeben, die von interessierten Kreisen wie Volkshochschulvereinen oder schulischen/studentischen Projektgruppen selbst durchgeführt werden können. Alle Tests sind so angelegt, daß mit ihnen die Physik als falsch erkannt (falsifiziert) werden kann.
Als ich studierte, trugen Verantwortung für das Gelernte die, die es mich lehrten. Nachdem ich die entsprechenden Prüfungen absolviert hatte, erhielt ich selbst die Lehrbefugnis für Physik. Für das, was ich seitdem in mehr als einem Vierteljahrhundert lehrte, trage ich die Verantwortung. Dieses Buch kann daher auch gelesen werden als die Frage: Wie ernst nehme ich selbst, was ich lehrte? Ich könnte leicht ertragen, wenn falsch wäre, was ich lernte. Es wäre schwerer zu ertragen, wenn falsch wäre, was ich lehrte. Es ist sehr schwer zu ertragen, wenn die Behauptung, meine Lehre sei falsch, von dem kommt, in dessen Auftrag ich ein Vierteljahrhundert lang gelehrt habe – dem Staat. Der Bundesadler auf dem Homöopathischen Arzneibuch ist für mich eine der Herausforderungen, die zur Niederschrift dieses Buches geführt haben.
Die Physik erscheint im Blick auf die Freunde der alternativen Medizin und Esoterik wie eine belagerte Festung. Das «mechanistisch-materialistische» Weltbild der Physik soll geschleift werden. Ich sehe mich als den Verräter in der Festung, der durch die Tests den Belagerern den unterirdischen Gang zur Pulverkammer weist.[2] Warten wir ab, ob die Zündhölzer der Eindringlinge trocken sind. Die Parawissenschaftler sind nicht meine Gegner, ich begegne ihnen, suche diese Begegnung, um die Wissenschaft weiterzuentwickeln. Sie alle sind für mich, was der Zöllner – nach Bertolt Brecht – für Laotse war: Sie haben mir dieses Buch «abverlangt».[3]
Mein besonderer Dank für viele wertvolle Diskussionen und Kontakte gilt Prof. Dr. Irmgard Oepen, der langjährigen Präsidentin der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), Pfarrer Dr. Thomas Gandow, dem Provin-zialpfarrer für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Dr. Richard Fichtner von der Akademie für Lehrerfortbildung Dillingen und Rouven Schäfer, dem stellvertretenden Vorsitzenden der GWUP.
∗ Wegen häufiger Fragen weise ich darauf hin, daß ich mit dem bekannten Journalisten Martin S. Lambeck weder identisch noch verwandt bin.
Der amerikanische Physiker Richard Feynman (1918–1988, Nobelpreis 1965) bringt in seinen berühmten «Lectures on Physics» den heutigen Kenntnisstand auf den Punkt:
«Materie ist aus Atomen aufgebaut. Wenn in einer Sintflut alle wissenschaftlichen Kenntnisse zerstört würden und nur ein Satz an die nächste Generation von Lebewesen weitergereicht werden könnte, welche Aussage würde die größte Information in den wenigsten Worten enthalten? Ich bin davon überzeugt, daß dies die Atomhypothese (oder welchen Namen sie auch immer hat) wäre, die besagt, daß alle Dinge aus Atomen aufgebaut sind, – aus kleinen Teilchen, die in permanenter Bewegung sind, einander anziehen, wenn sie ein klein wenig voneinander entfernt sind, sich aber gegenseitig abstoßen, wenn sie aneinander gepreßt werden. In diesem einen Satz werden Sie mit ein wenig Phantasie und Nachdenken eine enorme Menge an Information über die Welt entdecken.»[1]
Die Atomlehre ist für die heutige Physik – wie man in der Soziologie oder Politik sagen würde – ein «hohes Gut», ein «Essential» oder eine «Errungenschaft». Mit ihr steht und fällt die gesamte heutige Physik.
Wenn es mehrere Arten gibt, ist die Mindestzahl der Arten gleich zwei. Die Welt könnte also aus zwei Arten von Atomen bestehen. Eine solche Feststellung würde sicher von vielen Philosophen begrüßt. Aber Chemie und Physik lehren uns, daß die Natur mehr als zwei Arten von Atomen bereithält. Es ließe sich angesichts der Vielfalt der Erscheinungen in der Natur auch denken, die Zahl der Atomarten müßte sehr groß sein, etwa so groß wie die Zahl der Medikamente in deutschen Apotheken, circa 50.000. Die Physik lehrt jedoch, daß es nur 92 verschiedene Atomarten (Elemente) gibt.
Alle Atome einer Art sind untereinander gleich, wie etwa die Eisenatome, so daß sie (im Bereich der Chemie und daher auch der Lebensvorgänge) nicht voneinander unterschieden werden können – sie sind identisch. Daher gelten heute als eherne Lehrsätze der Physik:
Die Materie besteht aus Atomen in Bewegung.
Gleichartige Atome sind identisch.
Durch die Untersuchungen der Physiker in den letzten 100 Jahren wissen wir auch, wie groß ein Atom ist und welche Masse es hat, und wissen daher auch, wie viele Atome in einer bestimmten Substanzmenge enthalten sind. Man spricht von dem «Mol» einer Substanz. Ein Mol ist die Substanzmenge, die soviel Gramm hat, wie die Molmasse angibt.
Beispiel: Ein Molekül Wasser besteht aus zwei Atomen Wasserstoff und einem Atom Sauerstoff. Wasserstoff hat (rund) die Masse Eins, Sauerstoff die Masse 16. Also hat Wasser eine Molmasse von 18. Ein Mol Wasser hat demnach eine Masse von 18 Gramm – das ist ein schlecht eingeschenktes Schnapsglas bzw. der Inhalt der üblichen homöopathischen Fläschchen. Die Zahl der Moleküle pro Mol nennt man nach dem italienischen Physiker Amadeo Avogadro (1776–1856) die Avogadro-Zahl. Nach heutiger Kenntnis beträgt sie rund 6∗1023. Das ist eine 6 mit 23 Nullen! Zum Vergleich: Die Zahl der Menschen auf der Erde beträgt «nur» rund 6∗109. Die Zahl der Wassermoleküle in dem schlecht eingeschenkten Schnapsglas ist demnach 1014 mal größer als die Zahl der Menschen auf der Erde.
Die Avogadro-Zahl ist zwar so groß, daß sie außerhalb unseres Vorstellungsvermögens zu liegen scheint (ebenso wie die Entfernung neu entdeckter Galaxien im Weltraum); wir werden aber sehen, daß sie für das Verständnis der Homöopathie von entscheidender Bedeutung ist. Der ausführlichen Beschreibung in 4.6 vorgreifend, weise ich darauf hin, daß in der Homöopathie die Ausgangssubstanz in Schritten von Zehnerpotenzen verdünnt wird, die mit dem Buchstaben D (vom lateinischen Wort für zehn) bezeichnet werden. D6 bedeutet also eine Verdünnung von 1:1 Million, D24 eine Verdünnung von 1:1024. Dabei ist dann gerade nur noch ein Molekül der Ausgangssubstanz vorhanden. Daher bezeichne ich diese Verdünnung als Avogadro-Grenze. Die in der Homöopathie viel verwendete Potenz D30 liegt somit jenseits der Avogadro-Grenze, enthält also praktisch mit Sicherheit kein Molekül der Ausgangssubstanz mehr.
Die erste Kenntnnis einer Kraft verdanken wir Isaac Newton (1643–1727). Er untersuchte die Schwerkraft (Gravitation).[2] Sie bewirkt, daß die Erde uns alle anzieht. Deshalb fliegen wir nicht in den Raum hinaus, sondern «stehen mit beiden Beinen auf der Erde». Aus den Forschungen der Astronomen wissen wir, daß alle Himmelskörper sich gegenseitig anziehen, die Sonne die Erde, die Erde den Mond usw.
Die Kraft zwischen zwei Massen ist proportional zum Produkt der beiden Massen (also z.B. Masse der Sonne mal Masse der Erde) und sie nimmt umgekehrt mit dem Quadrat der Entfernung ab. Befindet sich die Erde in der Entfernung von der Sonne, die sie tatsächlich hat, hat die Schwerkraft die Größe, die erforderlich ist, um die Erde auf ihrer jetzigen Bahn zu halten. Setzen wir die Erde in die doppelte Entfernung, so beträgt die Anziehungskraft nur noch ein Viertel der ursprünglichen, in dreifacher Entfernung nur noch ein Neuntel, in zehnfacher Entfernung nur noch ein Hundertstel usw. Wir sehen, daß die Kraft zwar mit zunehmender Entfernung stark abnimmt, aber doch im Prinzip bis ins Unendliche reicht. Jedenfalls erstreckt sich die Anziehungskraft viel weiter in den Raum hinaus als der Körper selbst: Die Kraft hat eine «große Reichweite».
Die Schwerkraft beeinflußt das gesamte Leben auf der Erde; auf ihr beruht der Lauf der Planeten und die Entwicklung im Weltall. Zwar sind alle Menschen der Schwerkraft unterworfen, sie können sie jedoch nicht beeinflussen.
In unserer Umgebung kennen wir noch eine zweite, die elektrische Kraft. Bereits in der Antike wurde entdeckt, daß geriebener Bernstein Staub anzieht. Bernstein heißt auf griechisch «Elektron», woher die Erscheinung ihren Namen hat. Jeder weiß, daß manche Textilien sich so aufladen können, daß sie beim Ausziehen Funken sprühen. Halten wir zwei solche «geladenen» Textilien nebeneinander, so sehen wir, daß sie sich manchmal anziehen, manchmal abstoßen.
Die Kraft zwischen zwei elektrischen Ladungen ist von gleicher Art wie die Schwerkraft: Sie ist proportional zum Produkt der beiden Ladungen und fällt umgekehrt zum Quadrat des Abstandes ab. Daher hat auch sie eine «große Reichweite». Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied zwischen der elektrischen Kraft und der Gravitation: Da es nur eine Art von Massen gibt, gibt es auch nur eine Richtung der Kraft, die Anziehung. Dagegen gibt es – wie wir an den Textilien sehen – Anziehung und Abstoßung. Wir erkennen also zwei Arten von Ladungen: Positive und negative. Gleichnamige Ladungen stoßen sich ab, ungleichnamige ziehen sich an. Die Wirkung der elektrischen Kraft läßt sich in drei Erscheinungsformen einteilen, weil eine elektrische Ladung drei Bewegungsformen haben kann:
Die erste Art der «Bewegung» ist das Fehlen von Bewegung, die Ruhe. Eine ruhende elektrische Ladung erzeugt in ihrer Umgebung ein elektrisches Feld, womit sie eine Kraft auf andere Ladungen ausübt, wie wir es von den geladenen Textilien kennen. Im Atom bzw. Molekül bewirkt die elektrische Kraft die Wechselwirkung zwischen Elektronen und Atomkernen; sie ist damit verantwortlich für alle chemischen Vorgänge, somit auch für Riechen und Schmecken. Sie bewirkt die gegenseitige Abstoßung der Atome, also alle Materiebewegungen (durch die gegenseitige Abstoßung der Luftmoleküle den Schall, das Hören), im Festkörper den Zusammenhalt der Materie (Maschinen, Technik). Berühre ich mit einem Finger einen Gegenstand, so erzeugt die Undurchdringlichkeit beider Gegenstände einen Druck auf die Berührungsfläche, der als elektrisches Signal von den Nerven ins Gehirn weitergeleitet wird. Mithin beruht auch das Fühlen auf der elektrischen Kraft.
Die zweite Art ist die geradlinig gleichförmige Bewegung: es ist der elektrische Strom. Er erzeugt magnetische Felder (Grundlage der Elektrotechnik). Im Haushalt haben wir elektrische Leitungen in den Wänden, die z.B. zu einer Lampe führen. Wird die Lampe nicht eingeschaltet, fließt kein Strom. Die Leitungen sind nur von einem elektrischen Feld umgeben. Schalten wir die Lampe ein, so fließt Strom; daher erzeugen die Leitungen in ihrer Umgebung zusätzlich ein magnetisches Feld. Dies ist die Wirkung der Leitungen, die an das allgemeine Wechselstromnetz angeschlossen sind, dessen Stromrichtung 50mal in der Sekunde wechselt. Man sagt, der Wechselstrom hat eine Frequenz von 50 Hertz.
Die dritte Art der Bewegung ist die Schwingung. Schwingende elektrische Ladungen in Drähten erzeugen «elektromagnetische Wellen», die mit Lichtgeschwindigkeit in den Raum hinaus wandern. Die Anlage ist zum «Sender» geworden; der Draht ist die «Antenne». Diese Erscheinung, die von Heinrich Hertz (1857–1894) im Jahre 1886 entdeckt wurde, ist die Grundlage unserer heutigen Nachrichtenübermittlung und Meßtechnik über große Entfernungen, wie Radio, Fernsehen und Radar.
Steigert man die Frequenz noch weiter bis in den Bereich von 1014 Hertz, so werden die Wellen nicht mehr von Antennen ausgesandt, sondern von einzelnen Atomen. Wir erhalten die Art der elektromagnetischen Wellen, die uns besonders vertraut ist, das sichtbare Licht. Mit diesen elektromagnetischen Wellen schickt uns die Sonne das Licht, Lebensgrundlage der Menschen- und Pflanzenwelt.
Der Atomkern besteht aus Protonen und Neutronen. Durch die elektrische Abstoßung der Protonen würde der Kern auseinanderfliegen, wirkte nicht zwischen den Protonen eine stärkere Kraft, die die Protonen und Neutronen zusammenhält und die daher als starke Kraft bezeichnet wird. Sie wirkt nur zwischen Protonen und Neutronen, die sich «berühren». Man kann sie sich also wie einen Klebstoff vorstellen. Ihre Reichweite beträgt etwa 10–15 m und ist somit auf den Atomkern begrenzt. Diese Erklärung des Kernaufbaus stammt von Hideki Yukawa (1907–1981), der dafür 1949 den Nobelpreis erhielt.
Hat ein Kern mehr Neutronen als dem Gleichgewicht entspricht, so wandelt sich ein Neutron in ein Proton und ein Elektron (und ein elektronisches Antineutrino) um. Dies geschieht auch ständig im menschlichen Körper, indem sich Kalium-40 in Kalzium-40 umwandelt. Die hierbei wirkende Kraft wird als schwache Kraft bezeichnet; ihre Reichweite ist noch kürzer als die der starken Kraft. Für die Entdeckung der schwachen Kraft erhielten 1979 Sheldon Glashow, Abdus Salam und Steven Weinberg den Nobelpreis.
Die starke und schwache Kraft bewirken gemeinsam die Radioaktivität und die Energieproduktion im Inneren der Sterne, sind also durch die Sonnenstrahlung konstitutiv für das Leben. Wegen ihrer kurzen Reichweite spielen die starke und die schwache Kraft in der Chemie und damit auch in der Biologie und Medizin keine Rolle.
Die Sonne bietet ein schönes Beispiel für das Wirken der vier Kräfte: Im Inneren der Sonne läuft unter der Wirkung der starken und schwachen Kräfte die Kernfusion ab, wodurch die Sonne ihre Energie erhält. Diese Energie wird als Licht- und Wärmestrahlung (elektromagnetische Wellen) nach außen abgegeben, womit das Leben auf der Erde ermöglicht wird. Die Sonne als Ganzes wirkt, wie schon gesagt, auf uns durch Gravitation, so daß die Erde auf ihrer Bahn gehalten wird. Außerdem findet Materietransport statt durch von der Sonne ausgesandte Teilchen (Sonnenwind), die die Polarlichter hervorrufen.
Wenn Sie ein Haus kaufen, bestätigt der Notar auf dem Grundbuchauszug, daß dieser richtig und vollständig ist. Vollständig heißt, Sie dürfen darauf vertrauen, daß das Grundbuch keine weiteren Belastungen enthält. Ebenso ist nach Ansicht der heutigen Physik die Aufzählung der vier Kräfte vollständig, d.h. mehr Kräfte gibt es nicht. Die Tests in diesem Buch gelten daher weitgehend der Frage: «Gibt es eine fünfte Kraft?» Der Nachweis einer fünften Kraft würde die Physik radikal umgestalten oder erweitern. Jeder Physiker weiß, daß die Entdeckung einer fünften Kraft nobelpreiswürdig ist.
Da sich dieses Buch mit Paraphänomenen beschäftigt, die für den Menschen relevant sind, kann die Zahl der interessierenden Kräfte eingeschränkt werden. Die starke und schwache Kraft treten nur im Bereich der Atomkerne auf, haben daher für die Handlungen, die ein Mensch selbst ausführen kann, keine Bedeutung. Die Gravitation wirkt zwar auf uns alle, wir können sie jedoch nicht beeinflussen. Daher laufen alle menschlichen Aktivitäten durch Vermittlung der elektrischen Kraft ab. Somit reduziert sich unsere Frage in Verbindung mit der Atomlehre auf den Punkt (der Begriff «unvollständig» wird in Abschnitt 3.6 erläutert):
Gibt es im menschenrelevanten Bereich Materie, die nicht aus Atomen besteht oder eine Kraft, die über die elektrische Kraft hinausgeht? Wenn ja, dann ist die Physik unvollständig.
Standardthema jeder Diskussion sind Einwände der Art: Vor hundert Jahren hat ja auch niemand gedacht, daß man in 5 Stunden von Berlin nach Teneriffa fliegen könnte – heute geht das. Also sollten Sie nicht mit der Behauptung kommen, extrem verdünnte Medikamente könnten keine Wirkung haben, nur weil das der jetzigen Lehre widerspricht. Auf diesen sehr berechtigten Einwand möchte ich antworten mit der Unterscheidung zwischen verschiedenen Stufen heutiger Aussagen über das, was «nicht geht». Ich denke an eine eigene Erfahrung: Den James-Bond-Film «Goldfinger» von 1964. Er zeigt das Durchschneiden einer massiven Goldplatte mit einem Laser und einen Wagen mit einem Navigationssystem im Cockpit. Das erschien mir damals zwar physikalisch nicht prinzipiell unmöglich, aber doch im Reich der technischen Utopie angesiedelt. Heute ist beides längst Wirklichkeit.
Es geht also darum, Kriterien aufzustellen für das, was heute nur an technischen Voraussetzungen oder am Geld scheitert gegenüber dem, was nach dem heutigen Kenntnisstand prinzipiell unmöglich ist. Beides ist abzugrenzen von den Phänomenen, über die die Physik überhaupt keine Aussage macht.
Ich erläutere diese Unterscheidung an einem Lehrsatz der heutigen Physik: Keine Nachricht kann schneller als mit Lichtgeschwindigkeit übertragen werden (Kernaussage der Relativitätstheorie). Dies ist gleichbedeutend mit der Aussage, daß die genannten vier Kräfte sich höchstens mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten und eine «schnellere» Kraft bisher nicht bekannt ist. Anders ausgedrückt: Es gibt keine Maschine, die eine Nachricht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit übertragen kann.
Betrachten wir hierzu einige Entfernungen in unserem Sonnensystem. Von der Erde zum Mond braucht das Licht etwas mehr als eine Sekunde, zur Sonne acht Minuten. Die Laufzeit bis zum Mars hängt von der Stellung von Erde und Mars auf ihren Bahnen ab – zwischen rund 5 und 20 Minuten. Denken wir an einen Tag, an dem die Lichtlaufzeit zum Mars 15 Minuten betragen möge. Phantasieren wir uns ein wenig in die Zukunft, vielleicht ins Jahr 2200. Dann könnte der Mars schon gut besiedelt sein. Es ist der 3. Oktober, also gibt der deutsche Botschafter, der übrigens aus Thüringen stammt, auf dem Mars einen Empfang.
Allmählich treffen die Gäste ein. Es begegnen sich der französische und der japanische Botschafter; beide stellen fest, daß sie für deutsche Musik schwärmen. Allerdings zeigt sich, daß der französische Botschafter sich für Wagner begeistert, der japanische für Beethoven. Schon beginnt eine angeregte Diskussion über Musik. Schließlich treffen beide den deutschen Botschafter und fragen ihn: «Heute feiern wir den 3. Oktober, was war denn da in der deutschen Geschichte?» Worauf der deutsche Botschafter sagt: «Da war eigentlich gar nichts, aber die Tage, an denen was war, können wir nicht feiern.» Und sofort haben wir eine lebhafte Diskussion über die deutsche Geschichte.
Diese Fragen, ob Ludwig van Beethoven oder Richard Wagner der größere Komponist war oder welcher Tag in Deutschland gefeiert werden sollte, kann ich als Physiker nicht entscheiden, denn die Physik kann sie nicht erklären, weil diese Fragen vom Menschen abhängen. Der Mensch ist auch ein historisch-soziales und ästhetisch-emotionales Wesen. Auch dieser Bereich ist der Physik unzugänglich.
Wir erinnern uns, daß der deutsche Botschafter aus Thüringen stammt, also wird es beim Empfang Thüringer Rostbratwürste geben. Wir beobachten die Empfangsvorbereitungen von der Erde aus und sehen, der Koch bemerkt soeben, daß im Nebenzimmer eine Übertragung vom Fußballspiel Energie Cottbus gegen 1. FC Köln zu sehen ist. Er geht rüber – das Spiel wird immer spannender –, er vergißt die Würste auf dem Rost. Also rufen wir ihm über unsere Antennen zu: Junge, nimm die Würste vom Rost! Aber das, was wir sehen, ist vor 15 Minuten geschehen; unsere Warnung erreicht ihn erst nach weiteren 15 Minuten. 30 Minuten liegen die Würste auf dem Rost, bis ihr Rauch oder die Halbzeit des Fußballspiels den Koch wieder in die Küche treiben.
Also sagt jeder, dem der Empfang der deutschen Botschaft am Herzen liegt: Dann müßt Ihr eben einen Mechanismus erfinden, mit dem Ihr die Warnung schneller als mit Lichtgeschwindigkeit rüberbringt. Dazu behauptet die heutige Lehrbuchphysik: Das geht nicht, das wird niemandem gelingen, wieviel Intelligenz und Geldmittel er auch aufwendet, und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern: Die Lichtgeschwindigkeit wird von niemandem überschritten werden. Und die Erfahrung der Physikgeschichte fügt hinzu: Sollte es doch jemandem gelingen, erhält er den Nobelpreis.
Dieses Bratwurstbeispiel zeigt alle Argumente bzw. die Unterscheidung zwischen dem, worüber die Physik etwas sagt und dem, worüber sie nichts sagen kann:
Eine Marsbesiedlung ist aus heutiger Sicht prinzipiell möglich. Die Frage, mit welchen technischen und finanziellen Mitteln man auf den Mars kommen kann, welchen Sinn das für wen hat, wird von der Physik nicht beantwortet, denn all dies gehört zur historischsozialen Seite des Menschen, und das gleiche gilt für das ästhetischemotionale Umfeld. Zugleich gilt aber auch, daß die Physik nicht durch Erfahrungen aus dem ästhetisch-emotionalen oder historischsozialen Umfeld des Menschen widerlegt werden kann.
Im Gegensatz dazu hat die Aussage der Physik, es sei unmöglich, eine Signalübertragung mit Überlichtgeschwindigkeit durchzuführen, nichts mit den Eigenschaften von Menschen zu tun. Daher lautet hier die Aussage der Physik: «Es geht nie», es wird keinem Menschen gelingen, auch in Zukunft nicht! Und weil dies eine Aussage der Physik ist, kann sie auch nur «an der Erfahrung scheitern». Sollte irgend jemand in Zukunft die «Rettung der Bratwurst», also die Signalübertragung mit Überlichtgeschwindigkeit gelingen, dann wäre damit die Unzulänglichkeit der Physik erwiesen und sie müßte auf eine heute noch nicht bekannte Weise ergänzt oder umgestaltet werden.
Mein eher gemütvolles Beispiel von der «Rettung der Bratwurst» sollte nicht darüber hinweg täuschen, daß es hier um sehr viel mehr geht: Nach aller Erfahrung wird jede physikalische Entdeckung oder Entwicklung auch militärisch genutzt. Die Seite, die ihre Truppen auf dem Mars mit Überlichtgeschwindigkeit informieren kann, ist der anderen, die die heutige Technik verwendet, überlegen. Der Über-Einstein, der eine Methode der Informationsübertragung mit Überlichtgeschwindigkeit erfindet, erlangt also nicht nur den wissenschaftlichen Ruhm des Nobelpreises und (wenn er sie gut patentiert hat) auch sehr viel Geld, sondern auch noch das patriotische Verdienst, den eigenen Truppen zum Siege verhelfen zu haben. Diese Überlegung verdeutlicht den Druck, der hinter der Suche nach der Überlichtgeschwindigkeit steht. Bisher ist es noch niemandem gelungen.
Eine ähnliche Unmöglichkeitsaussage ergibt sich aus der Atomlehre. Heute ist es möglich, eine Genanalyse von Kaspar Hauser (1812–1833) zur Klärung der Verwandtschaftsverhältnisse aus den Blutflecken in seiner Kleidung durchzuführen.[1] Das wäre ver fünfzig Jahren noch als unmöglich bezeichnet werden. Warum hindert mich das nicht, die Wirksamkeit von Hochpotenzen wie D30 für unmöglich zu halten? Weil die Atomlehre gegen D30 spricht, nicht gegen die Genanalyse. Die Genanalyse untersucht Atome und Moleküle, liegt also innerhalb der Avogadro-Grenze; die Hochpotenz-Homöopathika liegen jenseits dieser Grenze.
Grundlegend für diese Argumentation ist meine Unterscheidung zwischen der Existenz eines Phänomens und seiner Erklärung durch einen Mechanismus. Ich erläutere diesen Unterschied an einigen Beispielen:
Dieses Buch spricht auch von Paraphänomenen. Was ist ein Paraphänomen? Eine naheliegende Antwort wäre: Es handelt sich um ein Phänomen, das wir nicht erklären können. Untersuchen wir also genauer, was wir meinen, wenn wir «erklären» sagen. Wir «erklären» eine Uhr anhand des Pendels, der Zahnräder und der Zeiger. Auch andere Geräte oder Mechanismen können wir auf diese Weise erklären, den Hausschlüssel, einen Nußknacker, ein Fahrrad usw.
Betrachten wir aber unsere Umgebung genauer, so kommen wir mit diesem Verfahren sehr schnell an ein Ende. Wie erklären wir, daß wir sehen, essen, schmecken, ein Buch lesen und diskutieren können? Ein «Erklären des Mechanismus» nach allgemeinem Verständnis – wie bei der Uhr – ist hier nicht möglich, und selbst hochspezialisierte Wissenschaftler verstehen diese Vorgänge nur zum Teil. Von einer Erklärungsmöglichkeit der Vorgänge, die sich im Gehirn beim Lesen eines Buches vollziehen, sind wir noch sehr weit entfernt.
Statt dessen begnügen wir uns mit dem Vertrauen auf das Kausalprinzip: Wenn A, dann B: Wenn ich etwas esse, werde ich satt; wenn ich die Lampe einschalte, kann ich etwas sehen. Bereits aus der antiken Literatur und aus der Bibel ist das Phänomen des Alkoholrausches bekannt. Die Existenz des Phänomens «Wenn Alkohol, dann Trunkenheit» steht außer jedem Zweifel. Seine Erklärung durch einen chemisch-biologisch-psychologischen Mechanismus ist selbst bis heute nicht vollständig gelungen. Hier ist also ein Verstehen des Mechanismus (noch) nicht möglich.
Ergebnis dieser Überlegung ist, daß wir uns in den meisten Fällen unseres Lebens und in unserer Umgebung damit zufrieden geben (müssen), daß wir nur die Existenz eines Phänomens feststellen, seinen inneren Mechanismus jedoch nicht erklären können. Für die Untersuchung der Paraphänomene ergibt sich daraus:
Aus dem Umstand, daß ich ein Phänomen nicht erklären kann, schließe ich nicht, daß es nicht existiert, sondern nur, daß seine Existenz geprüft werden sollte, um dem Fortschritt der Wissenschaft zu dienen. Einige eher dogmatisch eingestellte Skeptiker wollen z.B. die Homöopathie nur anerkennen, wenn diese einen Mechanismus für ihre Wirkung benennt. Ich erwarte nur den Existenznachweis. Ich bin bereit, die Existenz aller Paraphänomene bei entsprechendem Nachweis anzuerkennen, auch wenn (noch) kein Mechanismus zu ihrer Erklärung bekannt ist. Die Klärung des Mechanismus tritt hinter die Frage nach der Existenz zurück und mag in späterer Zeit erfolgen.
Beispiele: Galileis Entdeckung der Jupitermonde und ihrer Bewegung um den Jupiter im Jahre 1610 war ein starkes Argument gegen das damals noch gelehrte geozentrische System. Die Erklärung des Mechanismus, nämlich der Gravitation, erfolgte erst nach Galileis Tod durch Newton im Jahre 1687.
Wilhelm Conrad Röntgen (1845–1923) entdeckte 1895 die nach ihm benannten Strahlen. Die bloße Existenz dieses Phänomens war so beeindruckend, daß er bereits 1901 den Nobelpreis erhielt. Die Erklärung der Eigenschaften, des Entstehungsmechanismus und der Anwendungsmöglichkeiten der Strahlen erfolgte erst später und führte zu 20 weiteren Nobelpreisen.
«Irrtum verläßt uns nie; doch ziehet ein höher Bedürfnis/Immer den strebenden Geist leise zur Wahrheit hinan.»
(Johann Wolfgang von Goethe[2])
Es wird den Leser vielleicht verwundern, ist aber eine Tatsache, die in Diskussionen immer wieder erkennbar wird: Es gibt keine allgemein anerkannte und akzeptierte Definition des Begriffes Wissenschaft. Daher muß ich zeigen, was ich im folgenden unter Wissenschaft verstehen will: Mein Begriff von Wissenschaft beruht auf Karl Poppers Werk «Objektive Erkenntnis, ein evolutionärer Entwurf».[3]
Nach Popper verfügen wir nicht über eine absolut wahre Erkenntnis, sondern nur über ein Vermutungswissen. Der Fortschritt der Wissenschaft besteht darin, dieses Vermutungswissen immer wieder an der Erfahrung zu prüfen und es auf diesem Wege zu verbessern. Kurz: Wir irren uns empor! Popper faßt seine Definition der Wissenschaft in einem Satz zusammen:[4]
Die Methode der Wissenschaft ist die Methode der kühnen Vermutungen und der erfinderischen und ernsthaften Versuche, sie zu widerlegen.
Hier kommt es auf das Wort «vermuten» an. Dies ist ein feststehender Begriff aus der Wissenschaftstheorie nach Popper. Popper, der seine Bücher in englischer Sprache schrieb, verwendet das lateinischenglische Wort «conjecture» (lat. coniectura = Mutmaßung, Annahme). «Vermuten» im Popperschen Sinne geht auf die lateinische Wurzel des Wortes zurück, hat also eine andere Bedeutung als in der deutschen Umgangssprache. Das Erkennen dieses Unterschiedes ist entscheidend für das Verständnis dieses Buches.
In der Umgangssprache sage ich: «Ich vermute, daß morgen schönes Wetter ist.» Damit ist gemeint, daß ich es zwar nicht für ganz sicher, aber ziemlich wahrscheinlich halte. Wenn meine Vermutung zutrifft, freue ich mich über die Richtigkeit meiner Voraussage und über das schöne Wetter. Trifft die Voraussage nicht zu, indem es – im Gegensatz zu meiner Vermutung – regnet, muß ich eingestehen, daß ich mich geirrt habe und habe darüber hinaus den Nachteil, naß zu werden.
Vermutung