Eine etwas andere Einführung in das Recht
C.H.Beck
Jugendliche lesen keine Bücher, Jugendliche loaden down. Ausgeschnitten, eingefügt, fertig ist das Referat. Wozu also ein Buch? Ein Buch zum Thema «Recht»? Antwort: Weil unser Recht zu den wichtigsten und spannendsten Dingen zählt, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Nur wer unser Recht versteht, versteht auch unsere Gesellschaft, unsere Politik und natürlich unsere Rechtsprechung. Mit dem Downloaden einzelner Stichwörter ist es da nicht getan.
Kaum jemand weiß: Die Wahl zum Klassensprecher folgt den gleichen Regeln wie die Wahl zum Deutschen Bundestag. Kaum jemand versteht: Auch ein Mörder hat Rechte – etwa das Recht auf einen Verteidiger. Oder das Recht, nicht bis zu seinem Lebensende im Gefängnis sitzen zu müssen. Ungerecht? Falsches Recht? Oder doch gerecht?
Wer dieses Buch liest, weiß hinterher mehr über unser Recht als die allermeisten Erwachsenen. Versprochen.
Dr.Nicola Lindner ist Richterin am Amtsgericht Frankfurt am Main. Ihr Aufgabenbereich ist das Jugendstrafrecht.
Das Leben hat seine eigenen Regeln.
In Erinnerung an
Christina Baum (1969 bis 2014)
Kirsten Baumann (1967 bis 2017)
Ihr fehlt.
1. Auflage in der beck’schen Reihe. 2013
2., aktualisierte und erweiterte Auflage in C.H.Beck Paperback. 2015
3., aktualisierte und erweiterte Auflage in C.H.Beck Paperback. 2015
© Verlag C.H.Beck oHG, München 2013
Umschlaggestaltung: Geviert, Grafik & Typografie, Christian Otto
ISBN Buch 978 3 406 73672 8
ISBN eBook 978 3 406 73673 5
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Vorwort zur dritten Auflage
Vorwort
1. Kapitel
Recht – Was ist das?
I. Von Regeln und Gesetzen
1. Ohne Regeln herrscht Chaos
2. Je mehr Menschen, desto mehr Regeln
3. Aus einer Regel wird ein Gesetz
4. So sehen Gesetze aus
II. So entsteht ein Gesetz
1. Gesetze fallen nicht vom Himmel
2. Die Volksvertreter machen Gesetze
3. Von der Idee für ein Gesetz bis zu seiner Verkündung
a. Die Idee zu einem Gesetz
b. Drei Beratungen im Bundestag
c. Oft muss der Bundesrat zustimmen
d. Der Bundespräsident unterschreibt und verkündet
2. Kapitel
Wie das Recht regiert
I. Wir leben in einem Rechtsstaat
1. In einem Rechtsstaat herrscht das Recht, sonst keiner
2. Alle müssen sich an das Recht halten – auch die Polizei
a. «Finaler Rettungsschuss»
b. Keine «Rettungsfolter»
3. «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» – Die Gewaltenteilung
a. Die erste Gewalt macht die Gesetze – Die Gesetzgebung
b. Die zweite Gewalt führt die Gesetze aus – Die Verwaltung
c. Die dritte Gewalt kontrolliert – Die Rechtsprechung
d. Welche Gewalt hat die meiste Macht?
II. Auch Gesetze müssen Regeln folgen
1. Ist auch ein ungerechtes Gesetz gültig?
2. Keine schwammigen Gesetze – Gesetze müssen klar sein
3. Gesetze gelten nur für die Zukunft – Das Rückwirkungsverbot
4. Gesetze müssen die Grundrechte beachten
III. Nur der Staat darf bestrafen
1. Rache und Selbstjustiz sind verboten
2. Aber wehren darf man sich – Die Notwehr
3. Der Staat setzt das Recht bei den Bürgern durch
a. Mein Geld darf ich mir nicht selber holen
b. Die Blendung – ein Fall aus dem islamischen Recht
3. Kapitel
Alles was Recht ist
I. Das Strafrecht: Gehe in das Gefängnis …
1. Was man alles nicht tun darf – Die Straftaten
2. Darum müssen Strafen sein
3. Wer bestimmt, wie ein Täter bestraft wird?
4. Geldstrafe oder Gefängnisstrafe?
a. Meistens verhängt der Richter eine Geldstrafe
b. Nur bei schweren Straftaten muss man ins Gefängnis
5. Wer 14 Jahre alt ist, kann bestraft werden – Das Jugendstrafrecht
6. Nicht so schlimm, aber doch verboten – Die «Owis»
II. Das Zivilrecht: Wenn zwei sich streiten
1. Da steht (fast) alles drin – Das Bürgerliche Gesetzbuch
2. Allgemeiner Teil – Mit deinem Taschengeld kannst du dir kaufen, was du willst!
3. Schuldrecht – Das Recht der Schuldverhältnisse
a. Wer etwas geschenkt bekommt, schließt einen Vertrag
b. Auch Kinder und Jugendliche können schadensersatzpflichtig werden
4. Sachenrecht – Mit deinen Sachen kannst du machen, was du willst!
5. Familienrecht – Alles rund um die Familie
a. Was passiert, wenn sich Eltern scheiden lassen?
b. Was passiert, wenn es dir zu Hause nicht gut geht?
c. Wer heiratet, schließt einen Vertrag
6. Erbrecht – Was passiert, wenn deine Oma stirbt?
III. Das Öffentliche Recht
IV. Mit einem «Faustschlag»: Strafrecht, Zivilrecht, Öffentliches Recht
4. Kapitel
Das höchste Recht
I. Als dein Opa ein kleiner Junge war
II. Deutschland soll es wieder besser gehen – die Entstehung des Grundgesetzes
III. Unser Grundgesetz
Erster Teil: Die Grundrechte
a. Die Menschenwürde
b. Die Religionsfreiheit
c. Die Meinungsfreiheit
d. Die Kunstfreiheit
e. Das Eigentum
Zweiter Teil: So ist unser Staat organisiert
a. Wie der Bundestag gewählt wird
b. Der Bundestag wählt seinen «Chef» und dann den Bundeskanzler
c. Der Bundeskanzler bestimmt die Regierung
d. Wer ist «Chef» von Deutschland? – Der Bundespräsident
e. Der Bundesrat hat auch was zu sagen – 16 Bundesländer mischen mit
f. Verfassungswidrig! – Das Bundesverfassungsgericht
5. Kapitel
Hier wird Recht gesprochen
I. Die ordentlichen Gerichte
II. Auch ein Richter kann sich irren – Die Überprüfung von Urteilen
1. Die Amtsgerichte – «kleine Fische»
a. Der Amtsrichter als Strafrichter
b. Der Amtsrichter als Zivilrichter
c. Der Bürger braucht keinen Anwalt
d. Berufung zum Landgericht
2. Die Landgerichte – «große Fische»
a. Das Landgericht als Strafgericht
b. Das Landgericht als Zivilgericht
c. Vor das Landgericht nur mit einem Anwalt!
3. Das Oberlandesgericht überprüft
4. Der Bundesgerichtshof
a. Der Weg zum BGH ist schwer
b. Fünf Richter entscheiden
III. Gerichte der besonderen Gerichtsbarkeit
6. Kapitel
Berufe im Namen des Rechts
I. So wird man Jurist
II. Der Richter
1. Richter entscheiden Streitigkeiten
2. Der gesetzliche Richter
3. Ein typischer Arbeitstag eines Zivilrichters
4. Der Richter spricht «im Namen des Volkes»
5. Die Göttin Justitia und die Neutralität des Richters
6. Warum Richter Roben tragen
7. Der Richter ist unabhängig
8. Hat kein Recht studiert – Der Schöffe
9. Der Schiedsrichter
III. Der Rechtsanwalt
1. Warum gibt es Rechtsanwälte?
2. Der Rechtanwalt als Strafverteidiger
3. Und wenn man sich keinen Rechtsanwalt leisten kann?
4. Der Rechtsanwalt muss schweigen – Das Anwaltsgeheimnis
5. Rechtsanwälte verhindern Streitereien
IV. Der Staatsanwalt
1. Liegt eine Straftat vor?
2. «Ich erstatte Anzeige!»
3. Der Staatsanwalt hat einen Helfer – Die Polizei
4. Unschuldige gehören nicht «hinter Gitter»
5. Der Staatsanwalt braucht eine Erlaubnis des Richters
6. Nicht, dass der Beschuldigte entwischt – Die U-Haft
7. Der Staatsanwalt klagt an
8. Der Staatsanwalt vollstreckt das Urteil
V. Andere juristische Berufe
1. Der Jurist im Gefängnis
2. Der Jurist im Unternehmen
a. Darf man «Drückebergern» kündigen? – Das Arbeitsrecht
b. Wie darf ich meine Nudeln nennen? – Das Wettbewerbsrecht
c. Hilfe, es brennt! – Der Jurist als Feuerwehr
3. 1001 Behörde – Der Jurist in der Verwaltung
7. Kapitel
Recht in der Schule
I. Schulrecht
II. Entscheidungen des Lehrers sind grundsätzlich hinzunehmen
1. Mündliche und schriftliche Noten sind nicht überprüfbar
2. Zeugnisse und das Abitur sind in engen Grenzen überprüfbar
III. Bauchfreie Tops und knappe Röcke …
IV. Handys in der Schule
V. Täuschungshandlungen
1. Handys
2. Falsche Angabe der geschriebenen Worte
VI. «Pädagogische Maßnahmen» und Ordnungsmaßnahmen
VII. Schuleschwänzen
VIII. Cybermobbing
1. Straftaten mit dem Handy
a. SMS
b. Tonaufnahmen
c. Bildaufnahmen
2. Die Polizei ermittelt
3. Wie wird der Täter bestraft?
8. Kapitel
Recht ganz praktisch
I. Ein Strafverfahren: Achmed und die gefährliche Körperverletzung
II. Ein Zivilverfahren: Der misslungene Urlaub
9. Kapitel
Recht ganz spannend
I. Strafrecht – Kaum zu glauben
1. «Sirius-Fall»
2. «Rose-Rosahl»
3. «Katzenkönig»
4. Wahrsagerin im Gefängnis
II. Zivilrecht – Über was man sich alles streiten kann
1. Chanelle legt für dich die Karten
2. Wenn einer eine Reise tut …
a. Das fehlende Doppelbett
b. Grüne Haare
3. Pippi Langstrumpf
4. Hinweispflichten
a. Jeden Tag Lakritze
b. Großes Fischsterben
c. Zu Risiken und Nebenwirkungen von Bier
III. Verwaltungsrecht – Wenn sich der Bürger mit dem Staat streitet
1. Sexualkunde
2. Feuerwehrkosten
3. Kirmesverbot
Sachregister
Jura für Kids ist kein Lehrbuch, derer gibt es bereits viele und bessere. Es ist ein Buch, das Kindern und Jugendlichen – und wohl auch Erwachsenen, was mich sehr freut – einen Überblick über unser Rechtssystem geben soll. Die dritte Auflage habe ich dazu genutzt, zwei Bereiche des Zivilrechts näher zu beleuchten: Eine Regelung aus dem Schuldrecht, wonach Kinder und Jugendliche für einen Schaden, den sie angerichtet haben, haftbar gemacht werden können. Das ist bereits ab dem 7. Geburtstag der Fall. Und dann sind es Vorschriften rund um das Familienrecht: Was passiert, wenn sich Eltern trennen? Zu wem gehen die Kinder? Wer zahlt für sie? Und wieviel? Und was passiert, wenn es Kindern zuhause nicht gut geht? Wer hilft? Und wie? Und dann noch die Sache mit der Heirat, die ja eigentlich ein Vertrag ist. Schönes Kleid und rote Rosen ein Vertrag? Ja, ein ganz wichtiger sogar.
Frankfurt, im November 2018 |
Nicola Lindner |
Vielleicht hast du dir einmal die Frage gestellt, ob ein Jugendlicher ins Gefängnis muss, wenn er einen Mitschüler «abrippt»? Oder ob man zur Polizei gehen muss, wenn man weiß, dass ein Mitschüler mit Drogen dealt? Oder ob ein Polizist den Entführer eines Kindes foltern darf, um das Leben des Kindes zu retten? Oder ob eine Türkin mit Kopftuch an einer Schule unterrichten darf?
Wenn dich diese und ähnliche Fragen interessieren, dann ist dieses Buch für dich geschrieben. Aber auch für Sie, lieber erwachsener Leser, der Sie sich mit dem Recht vielleicht noch nicht näher beschäftigt haben, dürften sich viele neue Blickwinkel ergeben – vorausgesetzt es stört Sie nicht, geduzt zu werden. Und für diejenigen, die Recht studieren möchten, könnte es auch nützlich sein, einen Blick hineinzuwerfen. Dann weiß man, was einen erwartet. Und das ist ziemlich spannend.
Ich entschuldige mich bei meinen Kindern dafür, dass ich ihnen die Zeit für dieses Buch genommen habe. Umso mehr danke ich meinen beiden großen «Testlesern» für ihre Hilfe. Meiner Freundin Kirsten Baumann danke ich für ihre wertvollen Anregungen aus der Sicht einer Nichtjuristin. Über den Augenblick hinaus gilt mein besonderer Dank meinem langjährigen Lebensgefährten Jörg Risse, der nicht nur die Idee zu diesem Buch hatte, sondern mich auch mit Rat und Tat unterstützt hat. In Dankbarkeit dafür, dass es sie gibt, widme ich dieses Buch meinen Kindern Julius, Karoline, Björn und Malte.
Frankfurt am Main, im Januar 2013 |
Nicola Lindner |
Möglicherweise hast du schon einmal eine Straftat begangen. Vielleicht bist du in einen Bus oder eine Straßenbahn eingestiegen ohne eine Fahrkarte zu kaufen. Dann wärst du ein Schwarzfahrer gewesen und hättest dir «Leistungen erschlichen». Oder du hast eine gute CD mehrmals kopiert und sie an Mitschüler verkauft. Dann hättest du gegen das Urheberrechtsgesetz verstoßen, du hättest nämlich «Raubkopien» verkauft. Oder du hast dir schon einmal selbst eine Entschuldigung für die Schule geschrieben und sie mit dem Namen deiner Eltern unterschrieben. Dann hättest du eine Urkundenfälschung begangen. Oder du warst schon einmal als Graffiti-Sprayer unterwegs. Dies wäre eine Sachbeschädigung gewesen.
In allen Fällen hättest du gegen das Recht verstoßen. Ein Recht, das du konkret gar nicht kennst. Und trotzdem weißt du, dass man nicht «schwarzfährt», keine Raubkopien verkauft, keine Unterschriften fälscht oder keine Sachbeschädigung begeht. Aber was ist das genau, dieses Recht, an das wir uns alle halten müssen, von dem wir aber keine Ahnung haben, wo es steht und was es genau bedeutet?
Jeder Mensch kommt jeden Tag mit dem Recht in Berührung. Auch du. Als Fahrradfahrer musst du vor der roten Ampel anhalten. Das sagt dir eine Rechtsvorschrift, nämlich die Straßenverkehrsordnung. Wenn du ein Computerspiel haben willst, dann musst du es bezahlen, sonst begehst du einen Diebstahl. Du musst zur Schule gehen, das schreibt dir das Schulgesetz vor. Und du darfst kein Taschenmesser haben, das du nur mit einer Hand öffnen kannst oder das über eine feststehende Klinge verfügt. So steht es im Waffengesetz. Es gibt also eine Vielzahl an Rechtsvorschriften, die für dich gelten, ohne dass du sie überhaupt kennst. Es gibt auch viele Berufe, die sich mit dem Recht beschäftigen. Vielleicht kennst du einen Rechtsanwalt, Staatsanwalt oder einen Richter. Jedenfalls hast du schon einmal von diesen Berufen gehört. Und dass diese Berufe mit dem Recht zu tun haben und dass das Recht irgendwo in Gesetzen steht, das hast du schon mitbekommen. Wenn nicht, dann wirst du es in diesem Buch noch erfahren. Vielleicht haben dir deine Eltern auch schon einmal erklärt, dass ein Rechtsanwalt anderen Menschen hilft, damit sie zu ihrem Recht kommen. Oder, dass ein Staatsanwalt die Aufgabe hat, Straftaten zu ermitteln und anzuklagen. Und dass dann der Richter entscheidet, ob der Angeklagte tatsächlich ins Gefängnis muss und wenn ja, für wie lange. Das ist alles richtig. Wenn du aber wirklich verstehen willst, was ein Rechtsanwalt, ein Staatsanwalt oder ein Richter genau machen, welche Funktion sie in unserem Land haben und warum auch ein Mörder einen Rechtsanwalt hat, der für seine Rechte kämpft, dann musst du dir etwas mehr Zeit nehmen.
Zum Glück bist du nicht allein auf der Welt. Du bist Sohn oder Tochter deiner Eltern, Bruder oder Schwester deiner Geschwister, Enkelkind deiner Großeltern, Schüler deiner Schule, Patient deines Zahnarztes, Torwart deiner Fußballmannschaft, Fahrradfahrerin im Straßenverkehr und so weiter. Mit all diesen Menschen zusammen bildest du eine Gemeinschaft. In Deutschland leben etwa 83 Millionen Menschen. Bei so vielen Menschen ist es klar, dass nicht jeder das machen kann, was er will. Sonst ginge es drunter und drüber. Also muss es Regeln geben. Vorschriften, an die sich jeder halten muss. Das klingt einleuchtend. Richtig klar wird es aber erst, wenn man begreift, wie eine Gemeinschaft überhaupt funktioniert. Dazu verkleinern wir unsere große Gemeinschaft auf eine «Mini-Gemeinschaft».
Stell dir vor, du lebst auf einer einsamen Insel mit dem Namen Urangatonga. Auf der Insel steht eine Palme, am Ufer liegt ein kleines Boot, und dann denken wir uns noch eine Bananenstaude hinzu, damit du nicht verhungerst. Deine Eltern musst du dir wegdenken, du lebst nämlich allein auf dieser Insel. Und das hat durchaus Vorteile. Du stehst morgens auf, wann du willst, du gehst in keine Schule und schreibst keine Diktate. Wenn du eine Banane gegessen hast, wirfst du die Schale hinter dich in den Sand. Und abends gehst du schlafen, wann du es für richtig hältst. Kurz: Du tust und lässt, was du willst. Auf deiner Insel gibt es keine Regeln.
Du brauchst auch keine Regeln. Denn egal, was du tust, du störst niemanden. Zwar könntest du Regeln aufstellen, etwa die, auf der Insel keinen Lärm zu machen. Gegen diese Regel könntest du aber jederzeit verstoßen. Auf deiner Insel gibt es niemanden, den es stört, wenn du trotzdem Lärm machst. Daher spricht man bei so einer «Regel» nicht von einer wirklichen Regel – unter Regeln versteht man Vorschriften, die für mehrere Menschen gelten. Deine «Regeln» gelten aber nur für dich – du kannst dich an sie halten oder auch nicht.
Die Situation ändert sich, als deine Eltern und dein kleiner Bruder zu dir auf die Insel ziehen. Das erste, was deine Mutter sagt, ist: «Wie sieht es denn hier aus? Überall liegen Bananenschalen rum!» Und du sagst: «Wieso, das stört mich nicht.» Und deine Mutter sagt: «Aber mich stört das, so geht das nicht weiter! Stell’ dir vor, jeder von uns würde seine Bananenschalen in den Sand werfen. Vor lauter Schalen könnten wir uns am Strand nicht mehr richtig sonnen.» Kurzerhand baut deine Mutter aus Blättern einen Korb und stellt die Regel auf, dass alle Inselbewohner ihre Schalen in diesen Korb werfen müssen. Damit bist du nicht einverstanden: «Ich habe keine Lust, jedes Mal, wenn ich gemütlich in der Sonne sitze, aufzustehen, zum Korb zu rennen und die Schale reinzuwerfen. Wie umständlich. Mach ich nicht.»
Bevor es zu einem großen Streit kommt, schlägt deine Mutter vor, über diese Frage abzustimmen – Korb ja oder nein? «Ganz klar: Nein», brummst du. «Ganz klar: Ja», brummen dein Vater und deine Mutter, und dein Bruder sagt nach kurzem Zögern: «Ok, dann machen wir das halt so.» Du wirfst deinem Bruder einen bösen Blick zu und murmelst was von Verräter, aber das Ergebnis ist klar: 3 zu 1 für die Korbregel. Du konntest dich leider nicht durchsetzen, und so bleibt es dabei, Bananenschalen müssen in den Korb geworfen werden.
Sobald zwei und mehr Menschen zusammenleben, brauchen sie Regeln. Was auf der Insel die Korbregel ist, sind bei euch zu Hause die Regeln, schmutzige Wäsche in den Wäschekorb zu werfen und die Schuhe an der Haustür auszuziehen. Das sind aber nur Regeln, die innerhalb einer bestimmten Familie gelten. In der nächsten Familie gelten wieder ganz andere Regeln – aus deiner Sicht weniger strenge. Da räumt die Mutter die Wäsche hinter einem her, und man kann mit Straßenschuhen durchs Haus laufen. Und es gibt mehr Taschengeld, und man darf abends länger aufbleiben. Zu ärgerlich, dass man ausgerechnet in der Familie wohnt, in der nichts, aber auch gar nichts erlaubt ist.
Wenige Menschen können sich schnell auf einige Regeln einigen. Je mehr Menschen es gibt, desto schwieriger wird eine solche Einigung.
Auf Urangatonga ist es wunderschön. So wunderschön, dass auch andere Menschen kommen, um hier zu wohnen. Jeden Tag landen mehrere Boote am Strand. Nach kurzer Zeit sind es Hunderte von Menschen. Sie bringen Surfbretter, Radios, Grills und Limokisten mit. Einer hat sogar ein aufblasbares Partyzelt dabei.
Ihr seid entsetzt. Mit der Ruhe und Ordnung ist es vorbei. Limoflaschen liegen herum, Musik schallt über die halbe Insel, man stolpert über herumliegende Surfbretter, und Bananenschalen liegen im Sand. Deine Familie und du, ihr wisst nicht, was ihr tun sollt, ihr wisst noch nicht einmal, wie diese Menschen heißen. Und wenn ihr sie bittet, die Limoflaschen wieder zurück in die Kisten zu tun, bekommt ihr als Antwort: «Keine Lust.» Aber nicht nur ihr, sondern auch einige andere neue Inselbewohner finden die Situation auf der Insel chaotisch. Einer ist sogar in eine Scherbe getreten und hat sich schwer am Fuß verletzt. Er schimpft: «Ist denn hier alles erlaubt? Muss ich mir das gefallen lassen?»
Ihr habt alle den gleichen Gedanken – es müssen Regeln her. Mehr Regeln als früher. Aber wie macht man Regeln für viele Menschen? Und was passiert, wenn sich nicht alle daran halten?
Sobald viele Menschen zusammenleben, brauchen sie Regeln. Diese Regeln gelten für alle, auch für die, die mit einzelnen Regeln nicht einverstanden sind. Solche Regeln, die für alle gelten, nennt man unter zwei Voraussetzungen Gesetze: Erstens, wenn überwacht wird, dass die Regeln eingehalten werden, und zweitens, wenn die Regeln zwangsweise durchgesetzt werden, falls sich jemand nicht an die Regeln hält.
In Deutschland herrscht kein König, der bestimmt, was Recht und Gesetz ist. Deutschland ist ein demokratisches Land. Der Begriff Demokratie kommt vom griechischen Wort «demos», und das heißt Volk. Demokratie heißt, dass die Macht vom Volk ausgeht: Das Volk bestimmt, was Recht ist. Und das Volk ist unsere Gemeinschaft, es sind wir alle – du, deine Eltern, die Bäckersfrau, deine Lehrerin und ihr Mann, dein Zahnarzt und der Müllmann. Jetzt kann man aber nicht jeden Einzelnen fragen, welche Gesetze erlassen werden sollen und mit welchen Gesetzen er einverstanden wäre. Das wäre sehr unpraktisch. Ständig würde jemand an der Tür klingeln und fragen: «Guten Tag, was meinen Sie: Sollen Autos auf der Autobahn so schnell fahren dürfen, wie sie wollen?» Da würde der Eine sagen: «Ja, das wäre eine super Sache, man kommt heutzutage nicht recht voran.» Und der Nächste würde sagen: «Nein, auf keinen Fall, diese rücksichtslosen Autofahrer sollten eins hinter die Ohren kriegen.» Und der Dritte würde sagen: »Ist mir egal, ich fahre sowieso nur Fahrrad.»
Es können also nicht alle Menschen dauernd über Regeln diskutieren und neue Regeln beschließen. Daher wählen die Mitglieder einer großen Gemeinschaft, in unserem Fall die Bürger von Deutschland, einzelne Mitglieder aus, die alle anderen bei der Schaffung von Regeln vertreten. Diese gewählten Mitglieder nennt man Volksvertreter. Volksvertreter deshalb, weil sie bei ihrer Arbeit das gesamte Volk vertreten. Ihr Beruf ist es, über Regeln zu diskutieren und Regeln zu beschließen. Die Regeln, die sie machen, sind Gesetze.
Deine Mutter nimmt ein Blatt Papier und schreibt auf, welche Regeln sie wichtig findet. Eine davon ist die Regel, dass leere Limoflaschen in die Kiste gestellt werden müssen. Eine weitere ist, dass man Musik nur leise hören darf. Werner, einer der neuen Inselbewohner, liest sich die Regeln deiner Mutter durch. «Alles Quatsch», sagt er, «du hast hier gar nichts zu sagen.»
Werner hat Recht. Niemand hat deiner Mutter das Recht gegeben, Regeln aufzustellen, an die sich alle halten müssen. Deshalb würden die Inselbewohner diese Regeln nicht beachten.
Werner beruft eine Versammlung ein. Alle Inselbewohner sollen nach Sonnenuntergang am Bootssteg erscheinen. Als alle da sind, fragt er: «Leute, wer soll hier die Regeln machen? Sie (er meint deine Mutter) oder ich?» Mehr als die Hälfte stimmt für deine Mutter. Werner ist enttäuscht, kann es aber nicht ändern.
Deine Mutter ist jetzt Volksvertreterin, sie vertritt das Inselvolk. Die «Gesetze», die sie macht, gelten für alle Inselbewohner.
Gesetze werden nicht nur auf ein Blatt Papier geschrieben. In Ländern wie Deutschland gibt es ein bestimmtes Verfahren, nach dem Gesetze erlassen werden. Dieses Verfahren sehen wir uns im nächsten Kapitel näher an.
Auf eurer Insel gibt es kein bestimmtes Verfahren für den Erlass von Gesetzen. Und weil deine Mutter die einzige Volksvertreterin ist, muss sie neue Gesetze auch mit niemandem diskutieren und muss sich mit niemandem einigen. Deine Mutter schreibt also einfach auf einen Zettel, welche Regeln sie wichtig findet. Dann befestigt sie den Zettel für alle sichtbar an einer Palme. So erlässt deine Mutter als Vertreterin des ganzen Inselvolkes ihr erstes Gesetz:
Gesetz zur Erhaltung der Sauberkeit der Insel und zum Schutze der Gesundheit ihrer Bewohner (GSG) vom 20. November 2012:
§ 1. Leere Flaschen. Leere Flaschen müssen in die Getränkekiste gestellt werden.
§ 2. Behandlung von Müll. Müll muss in die Körbe am Strand geworfen werden. Auch Bananenschalen sind Müll.
§ 3 Musik. Nach Sonnenuntergang darf nur so laut Musik gehört werden, dass kein anderer Bewohner gestört wird.
§ 4 Surfbretter. Surfbretter müssen an der Bootsanlegestelle festgemacht werden.
§ 5 Strafe. Wer sich dreimal nicht an die Vorschriften in § 1 bis § 4 hält, muss zur Strafe die Insel verlassen.
Das Zeichen «§» steht für das Wort «Paragraf». So nennt man in Gesetzen die einzelnen Regeln. Anstatt «Regel Nr. 1» sagt man also § 1.
Was passiert eigentlich, wenn deine Mutter Gesetze erlässt, die niemandem gefallen und die die meisten Inselbewohnern für falsch halten? Dann gelten die Gesetze trotzdem und müssen von allen Inselbewohnern beachtet werden. Wenn jeder für sich selbst bestimmen würde, ob er ein Gesetz gut findet und beachten möchte, würde ein Chaos ausbrechen. Das geordnete Zusammenleben, das Gesetze ja organisieren sollen, würde zusammenbrechen. Wenn die Inselbewohner die Gesetze deiner Mutter für falsch halten, haben sie nur die Möglichkeit, deine Mutter abzuwählen und einen neuen Volksvertreter zu bestimmen. Dieser kann dann die schlechten Gesetze ändern und neue, hoffentlich bessere Gesetze erlassen. Aber solange das schlechte Gesetz nicht geändert worden ist, gilt es für alle Inselbewohner.
Nun hast du eine Vorstellung davon, warum es Gesetze gibt und wie Gesetze entstehen. Natürlich ist das in einem Land wie Deutschland viel komplizierter als auf der kleinen Insel Urangatonga. Wie in Deutschland Gesetze entstehen, schauen wir uns nun an.
Auf eurer Insel hat sich deine Mutter ein Blatt genommen und notiert, was alles nicht erlaubt ist. Und dann hat sie noch «Gesetz» darüber geschrieben. So einfach geht das in Wirklichkeit nicht.
Gesetze kommen weder von Gott, noch waren sie schon immer da. Und vom Himmel fallen sie auch nicht. Früher hat der König die Gesetze erlassen. Oft waren es Gesetze, die ihm selbst nutzten. Heute ist das anders. In einem Land, in dem die Macht vom Volke ausgeht, erlassen die Bürger eines Landes die Gesetze. Das ist auch vernünftig, denn die Bürger müssen die Gesetze später auch beachten. Wir haben aber gesehen, dass es unmöglich ist, alle 83 Millionen Deutsche dauernd zu Gesetzen zu befragen. Eine solche Diskussion würde ewig dauern, und die meisten Menschen hätten dazu keine Lust. Also wählen wir Vertreter, die für uns die Gesetze diskutieren und die für uns entscheiden, ob ein Gesetz neu erlassen, abgeschafft oder geändert werden soll. Sie sind die Volksvertreter. Die Volksvertreter vertreten auch dich.
Auf der Insel gab es nur einen Volksvertreter, deine Mutter. Da es in Deutschland aber mehr Einwohner gibt als auf eurer Insel, reicht ein Volksvertreter nicht aus. Bei 83 Millionen Menschen müssen es viele Volksvertreter sein. Einer allein kann nicht gleichzeitig alle Interessen vertreten. Die Volksvertreter sollen nämlich ein «Abziehbild» Deutschlands sein: Sie sollen die armen und die reichen Menschen vertreten, die alten und die jungen Menschen, die Menschen mit Kindern und die ohne Kinder, die Menschen mit Arbeit und die ohne, die Menschen, denen die Umwelt wichtig ist, und die Menschen, denen die Umwelt nicht so wichtig ist. Daher gibt es Hunderte von Volksvertretern, wie viele genau, steht im Bundeswahlgesetz: «Der Deutsche Bundestag besteht … aus 598 Abgeordneten». Mindestens 598. Im Moment sind es sogar deutlich mehr, nämlich 709 Volksvertreter. Der eine Volksvertreter ist mehr für die Umwelt, der andere mehr für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Der eine setzt sich besonders für kinderreiche Familien ein, der andere besonders für alte Menschen. Das Gebäude, in dem die Volksvertreter sitzen und Gesetze erarbeiten, nennt man den Deutschen Bundestag, und der befindet sich in der Hauptstadt Berlin.
Ein Gesetz entsteht in vier Schritten: Idee – Beratung – Abstimmung – Verkündung
Ein neues Gesetz kann nur entstehen, wenn jemand einen Vorschlag für ein neues Gesetz macht. Die allermeisten Vorschläge kommen von den Ministerien. In den Ministerien arbeiten Spezialisten – Spezialisten für den Bereich der Justiz, der Wirtschaft, der Finanzen, der Arbeit, der Verteidigung, der Gesundheit, der Umwelt, der Bildung oder des Verkehrs. Diese Spezialisten beobachten die aktuellen Entwicklungen und überlegen, ob man ein neues Gesetz erlassen oder ein altes ändern müsste.
Es ereignen sich mehr als je zuvor schwere Autounfälle, die von jungen Autofahrern verursacht werden. Viele haben gerade ihren Führerschein gemacht und «drücken mächtig auf die Tube». Dabei unterschätzen sie die Geschwindigkeit, und es kommt zu schweren Unfällen. Viele junge Menschen sterben dabei. Die Spezialisten im Verkehrsministerium überlegen, ob man etwas dagegen unternehmen kann. Sie meinen, dass junge Autofahrer vorsichtiger fahren würden, wenn ein älterer Autofahrer neben ihnen säße. Daher schlagen sie vor, dass Jugendliche bereits mit 17 Jahren den Führerschein machen, aber bis 18 nur in Begleitung eines Erwachsenen fahren dürfen. Der Erwachsene müsste mindestens 30Jahre alt sein und schon fünf Jahre den Führerschein haben. Die Spezialisten nennen diesen Gesetzesentwurf «Führerschein ab 17». Der Entwurf bekommt die Nummer17/3022. Er wird den Abgeordneten des Bundestages vorgelegt, die darüber abstimmen sollen.
Viele Gesetzesinitiativen kommen auch «aus Brüssel». Dort sitzt der Rat der Europäischen Union, der zusammen mit dem Europäischen Parlament in Straßburg Gesetze macht. Deutschland ist mit 27 anderen Staaten Mitglied der Europäischen Union, die aus insgesamt etwa 500 Millionen Menschen besteht. Gesetze, die in Brüssel beschlossen wurden, gelten im Regelfall nicht automatisch in Deutschland. In Deutschland gelten nur Gesetze, die die Abgeordneten des Bundestages beschließen.
Nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen Ländern der Europäischen Union ist mehr als die Hälfte der Erwachsenen zu dick. Die 28 Mitglieder der Europäischen Union beschließen daher, dass in ganz Europa auf jeder Nahrungsmittelverpackung angegeben sein muss, was in dem Nahrungsmittel an Fett und Zucker enthalten ist. Zum Beispiel, dass in Chips viel Fett und in Schokolade viel Zucker ist. Sie erhoffen sich davon, dass die Kunden so auf die «Dickmacher» aufmerksam werden und sie meiden. Damit diese Regelung auch in Deutschland gilt, muss ein deutsches Gesetz gemacht werden: «Gesetz zur Kennzeichnung von Nährwertangaben auf Lebensmitteln». Über dieses Gesetz stimmen die Abgeordneten im Bundestag ab. Ist die Mehrheit dafür, ist das Gesetz beschlossen und gilt auch in Deutschland.
Es wäre möglich, dass alle 709 Bundestagsabgeordneten über jeden Gesetzesentwurf diskutieren und beraten. Es wäre aber auch schrecklich unpraktisch. Daher wird ein Gesetzesentwurf zunächst von einer kleineren Gruppe von Abgeordneten diskutiert, die sich auf ein bestimmtes Teilgebiet der Politik spezialisiert haben. Eine solche Spezialistengruppe nennt man Ausschuss. Im Deutschen Bundestag gibt es über 20 Ausschüsse, wie etwa die Ausschüsse «Recht», «Gesundheit» und «Sport». Der Gesetzesentwurf «Führerschein ab 17» kommt in den Ausschuss «Verkehr». Dort besprechen die Abgeordneten den Entwurf.
Der Abgeordnete Huber findet, dass 17-Jährige noch halbe Kinder seien, denen man kein Auto anvertrauen könne, selbst wenn ein Erwachsener daneben sitzt. Die Abgeordnete Maier-Holstein weist hingegen darauf hin, dass man viele Untersuchungen zum «Führerschein ab 17» gemacht hat. Darin habe sich gezeigt, dass das Fahren unter Aufsicht eines Erwachsenen zu weniger Unfällen geführt habe. Die Abgeordneten diskutieren lange. Die Mehrheit der Abgeordneten entscheidet sich schließlich für den Gesetzesentwurf. Sie schreiben einen Bericht, den sich alle Bundestagsabgeordneten ansehen können. Dort sind die Argumente für und gegen den Gesetzentwurf dargestellt. Jeder kann sie dort nachlesen, auch du: Drucksache des Deutschen Bundestages vom 27.10.2010 (17/3450).
Jetzt kommt der Gesetzesentwurf wieder in den Bundestag, und die Abgeordneten beraten darüber. Diese Beratung nennt man «Lesung». Insgesamt gibt es drei Lesungen. Jeder Abgeordnete soll die Möglichkeit haben, sich die Argumente der anderen Abgeordneten anzuhören oder selber etwas zu dem Gesetz zu sagen. Nach der dritten Lesung ist es dann gut, und die Abgeordneten stimmen über den Gesetzesvorschlag ab.
Ist die Mehrheit der Abgeordneten gegen den Gesetzesentwurf, ist er abgelehnt. Ist die Mehrheit der Abgeordneten dafür, ist er angenommen. Dann liegt ein Gesetzesbeschluss vor.
Am 28. Oktober 2010 stimmen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages über den Gesetzesentwurf «Führerschein ab 17» ab. Alle Abgeordneten sind dafür, und das Gesetz ist beschlossen.
Wenn du regelmäßig Nachrichten siehst, dann kommt dir der Satz «Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates ein Gesetz über … erlassen» sicher bekannt vor. Aber wer ist der Bundesrat? Berät er den Bund? Nein. Der Bundesrat ist das Vertretungsorgan der Länder: Deutschland besteht – wie ein Flickenteppich – aus 16 Bundesländern: Bremen, Hamburg, Berlin, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen, Bayern, Baden-Württemberg, Saarland, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Die Bundesländer sind kleine, eigenständige Länder. Da viele Gesetze, die der Bundestag erlässt, Arbeit für die Bundesländer bedeutet, müssen die Bundesländer den Gesetzen zustimmen. Stimmen sie nicht zu, kommt das Gesetz nicht zustande.
Verabschiedet der Bundestag das Gesetz zum «Führerschein ab 17», haben die Bundesländer ganz schön viel zu tun. Sie müssen darauf achten, dass das Gesetz eingehalten wird, und müssen kontrollieren, ob neben dem 17-jährigen Autofahrer ein Erwachsener sitzt, der mindestens 30Jahre alt ist und seit mindestens fünf Jahren einen Führerschein hat. Diese Kontrolle ist die Aufgabe der Polizei. Weil das Gesetz Arbeit für die Bundesländer bedeutet, müssen die Bundesländer zu diesem Gesetz ihre Zustimmung erteilen.
Es muss nicht jedes Bundesland zustimmen, damit das Gesetz gilt. Es reicht, wenn die Mehrheit der Stimmen, die die Bundesländer haben, zustimmt. Weil die Bundesländer unterschiedlich viele Einwohner haben, haben sie auch unterschiedlich viele Stimmen im Bundesrat. Nordrhein-Westfalen hat viele Einwohner und hat sechs Stimmen im Bundesrat, Bremen hat wenig Einwohner und hat nur drei Stimmen.
Der Bundesrat stimmt am 26. November 2010 dem Gesetzesbeschluss zum «Führerschein ab 17» zu.
Zum Schluss bekommt der Bundespräsident das Gesetz. Der Bundespräsident ist der «erste Mann» im Staat. Er prüft, ob das Verfahren für den Erlass des Gesetzes eingehalten worden ist. Wenn das so ist – wie meistens –, unterschreibt er das Gesetz. Jetzt liegt es beim ihm auf dem Schreibtisch. Aber kein Bürger kennt es.
Da das Gesetz noch niemand kennt, muss es als letzter Schritt öffentlich bekannt gemacht werden. Früher, im alten Babylon, hat man Gesetze in einen Stein graviert und diesen auf dem Marktplatz aufgestellt. So konnte ihn jeder sehen. Oder das Gesetz wurde einfach laut von einem Gesetzesverkünder ausgerufen: «Achtung, Achtung – es gibt ein neues Gesetz. Hört alle gut zu …». So geht das heute natürlich nicht mehr. Deshalb gibt es das Bundesgesetzblatt. Das Bundesgesetzblatt ist der «Gesetzesverkünder» in Deutschland. Es wird BGBl. abgekürzt. Das ist eine Zeitung, in der sämtliche Gesetze stehen, die in Deutschland gelten. Jeder kann sie dort nachlesen. Und wer das Bundesgesetzblatt nicht bestellen möchte: Im Internet können alle Gesetze kostenlos eingesehen werden – www.bundesgesetzblatt.de oder www.gesetze-im-internet.de. Damit jeder auch jedes Gesetz finden kann, steht bei Gesetzen immer dabei, wo es abgedruckt ist. Der «Führerschein ab 17» ist am 8. Dezember 2010 im Bundesgesetzblatt auf Seite 1748 verkündet worden: BGBl. I S. 1748. So kann niemand sagen: «Das wusste ich aber nicht.»
Vielleicht ist es bei dir zu Hause auch schon einmal vorgekommen: Dein Vater haut auf den Tisch und ruft: «Das kann ja wohl nicht wahr sein. Leben wir in einem Rechtsstaat oder leben wir in keinem Rechtsstaat?» So etwas rufen Eltern immer dann, wenn sie meinen, etwas Ungerechtes sei passiert. Wenn zum Beispiel ein Gericht einen Bankräuber zu drei Jahren Gefängnis verurteilt hat und deine Eltern der Meinung sind, dass er mindestens für sechs Jahre hinter Gittern hätte gehen müssen. Oder wenn deine Mutter ein Bußgeld zahlen muss, weil sie zu schnell gefahren ist, sie aber schwört, dass sie nicht zu schnell gefahren ist, weil sie nie zu schnell fährt. In solchen Fällen rufen Eltern dann: «Leben wir in einem Rechtsstaat oder in einer Bananenrepublik?
Um die Frage zu beantworten: Ja, wir leben in einem Rechtsstaat. Aber was versteht man unter einem Rechtsstaat und was hat man davon, in einem Rechtsstaat zu leben?