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Heiner Knell

Vom Parthenon zum Pantheon

Meilensteine der antiken Architektur

Impressum

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© 2013 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt
Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.
Redaktion: Dr. Harald Baulig, Trier
Satz: TypoGraphik Anette Klinge, Gelnhausen
Einbandabbildung: Blick in die Kuppel des Pantheon © picture alliance/Thomas Muncke
Einbandgestaltung: Burkhard Finken. Finken & Bumiller, Stuttgart

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-25751-5

Die Buchhandelsausgabe erscheint beim Verlag Philipp von Zabern; Darmstadt/Mainz
Einbandabbildung: oben: Der Parthenon, Athen/Griechenland © Mark Fiennes;
unten: Blick in die Kuppel des Pantheon, Rom/Italien © picture-alliance/All Canada Photos
Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt am Main
ISBN 978-3-8053-4636-8
www.zabern.de

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): 978-3-534-73501-3 (für Mitglieder der WBG)
eBook (epub): 978-3-534-73502-0 (für Mitglieder der WBG)
eBook (PDF): 978-3-8053-4735-8 (Buchhandel)
eBook (epub): 978-3-8053-4736-5 (Buchhandel)

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Inhalt

VORWORT

MEILENSTEINE GRIECHISCHER ARCHITEKTUR

Der Parthenon

Die Propyläen des Mnesikles

Das Erechtheion

Das Theater in Epidauros

Stadtplan und Stadtinventar von Priene

Der Apollontempel in Didyma

FARBTAFELN

MEILENSTEINE RÖMISCHER ARCHITEKTUR

Das Augustusforum in Rom

Überlegene Ingenieursarchitektur (Pont du Gard)

Das Amphitheatrum Flavium (Kolosseum)

Der Titusbogen am Forum Romanum

Die flavische Residenz auf dem Palatin

Die Trajanssäule und das Trajansforum in Rom

Das Pantheon in Rom

ANHANG

Literaturangaben zu den einzelnen Bauten

Register der Orts- und Personennamen

Glossar

Abbildungsnachweis

Vorwort

Mit den beiden im Titel dieses Buches genannten Bauwerken wird nicht zufällig und keineswegs wegen des sprachlichen Reizes der einander ziemlich ähnlich klingenden Namen auf zwei berühmte Exempel der Architekturgeschichte verwiesen. Als besondere Höhepunkte antiker Baukunst spannt sich mit ihnen ein weit ausgreifender Bogen, der den Rahmen dieses Themas umschreibt, zu dem – gleich Meilensteinen der Architektur – weitere Beispiele gehören. Mit ›Meilensteinen‹ sind dabei Bauwerke gemeint, die nicht nur – wie viele sonstige historische Bauten – im eiligen Vorübergehen flüchtig wahrgenommen werden, sondern bei denen es sich im Interesse von Erkennen und Verstehen historischer Grundlagen der Architektur lohnt, etwas geduldiger zu verweilen. Es sind dies Beispiele, die nicht zuletzt auch wegen ihrer besonderen Eigenart und hervorragenden Qualität sowie ihres ungewöhnlich guten Erhaltungszustands weltberühmt geworden sind und mit Recht zitiert werden, wenn von antiken Bauwerken und deren vorbildlicher sowie nach wie vor weltweit nachwirkender Bedeutung die Rede ist.

Da dies nicht nur wahrhafte Exempla einer qualitativ exzellenten Architektur sind, sondern zugleich auch Bedeutungsträger historischer Ereignisse, ideologischer Interessen oder politischen Engagements, gehört zu ihrer Betrachtung zugleich ein Hinweis auf ihren historischen Kontext. Dass er bisweilen etwas weiter ausgreift als nur auf das unmittelbare Datenmaterial der zitierten Bauwerke, ist in der Sache selbst begründet. Dabei sind durch die hierfür ausgewählten Beispiele innerhalb einer Geschichte der Architektur gleich Meilensteinen Impulse gesetzt worden, die nicht ohne weiterwirkende Folgen geblieben sind. Deshalb können sie zugleich als Stellvertreter einer weiter gedachten und zugleich stark komprimierten Geschichte antiker Architektur und Baukunst verstanden werden. Allerdings soll nicht verschwiegen sein, dass die Geschichte der antiken Architektur nicht erst mit dem im Titel genannten Parthenon beginnt. Auch dieses einzigartige Meisterwerk griechischer Baukunst stützte sich vielmehr auf Erfahrungen, die ihrerseits bereits durch ältere Vorbilder gewonnen wurden.

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Abb. 1 Olympia, Zeustempel. Sequenz von einer zeichnerischen Rekonstruktion des Aufrisses der Ringhallenflanke.

Zu solchen Bauten gehört an vorderster Stelle der für jede Geschichte der antiken Architektur unverzichtbare und gut zwei Jahrzehnte vor dem Athener Parthenon entstandene Zeustempel in Olympia, an den hier wenigstens mit ein paar Zeilen erinnert werden soll. Wahrscheinlich wurde dieser von dem Architekten Libon (Pausanias V 10,3) aus dem benachbarten Elis entworfene Tempel anlässlich der um 470 v. Chr. mit einem erweiterten Wettkampfprogramm neu organisierten olympischen Spiele begründet. In dieser Zeit konnten die Griechen voller Stolz und in gesteigertem Selbstbewusstsein auf den knapp zehn Jahre zuvor errungenen Sieg in dem dramatischen, die Existenz der Griechen und ihrer Stadtstaaten bedrohenden Krieg gegen das überaus mächtige Perserreich zurückblicken. Dabei verdient der Zeustempel in Olympia nicht nur wegen dieser besonderen historischen Ereignisse vorab einen ausdrücklichen Hinweis, sondern im hier dargestellten Zusammenhang vor allem auch deshalb, weil mit ihm als dem reinsten Exempel der Architektur des ›Strengen Stils‹ griechischer Klassik die zum Kanon geronnenen Formen der dorischen Ordnung – wie beispielhaft in einer Sequenz von einem Aufriss der Tempelflanke demonstriert (Abb. 1) – besonders gut und in reinster Form überliefert sind. Hierbei ordnet ein System eine von unten nach oben geschichtete Folge der Glieder und deren Ort im Aufbau dieser in ihren Formen genormten Architektur. Deshalb gleicht ein Säulenjoch grundsätzlich der Länge eines Architravbalkens, während der Triglyphenabstand im Fries einem halben Joch, der Abstand der Mutuli einem viertel Joch und der Abstand der Dachziegel einem achtel Joch entsprechen. Soweit Bauten dieser Art und Ordnung bekannt geworden sind, ist gut überliefert, dass diese dorische Ordnung für eine längere Zeit zumindest grundsätzlich mit diesem System und seinen Prinzipien verbunden geblieben ist. Deshalb brauchen die Formen dieser Ordnung bei den nachstehend zitierten Beispielen nicht mehr eigens erläutert zu werden.

Die meisten Beispiele der Architektur aus der griechischen und römischen Antike sind in kaum noch zu zählenden Einzeluntersuchungen der Bauforschung sowie innerhalb handbuchartiger Gesamtdarstellungen veröffentlicht worden, sodass eigentlich kein offenkundiger Bedarf für eine weitere einführende Zusammenfassung in dieses Thema besteht. Allerdings tut man sich angesichts der Vielfalt an Publikationen und deren bisweilen heterogener Zielsetzung schwer, konkrete und unmittelbar verständliche Informationen zu finden, die zu wesentlichen Aussagen über Eigenart, typologische Merkmale und architekturgeschichtliche Bedeutung solcher Bauwerke beitragen. Demgegenüber wird in diesem Buch nach bewährtem Prinzip verfahren: Aus dem Bestand bisher bekannt gewordener antiker Bauwerke wurden einige besonders repräsentative Beispiele ausgewählt, die gleich Meilensteinen auf dem langen und verzweigten Weg der Architekturgeschichte auch stellvertretend für andere, hier nicht genannte Bauten ein exemplarisches Verständnis antiker Architektur ermöglichen. Dabei wird bewusst auf jede Art einer vermeintlichen, bisweilen auch methodisch zweifelhaften Entwicklungsgeschichte verzichtet, weil der Entwicklungsbegriff Disziplinen wie der Biologie oder der Botanik entlehnt ist und damit den Eindruck entstehen lassen könnte, auch der Wandel von Architektur oder Kunst unterläge gleichsam a priori einer natürlichen und aus naturwissenschaftlicher Sicht evidenten Gesetzmäßigkeit der Entstehung und einem der Gattung innewohnenden zyklischen Wachstum mit Blüten und Früchten, anschließendem Niedergang und späterem Neubeginn. Stattdessen überliefert die Geschichte der Architektur – dies gilt auch für jede andere Gattung der Kunst und Kultur – einen mehrfachen Wandel, der gegebenenfalls als solcher betrachtet, beobachtet und begründet sowie interpretiert werden kann, ohne sich dabei in Aussagen zu einer letztlich unbegründeten Entwicklungsgeschichte versteigern zu müssen.

Deshalb steht ohne weitere Vorrede ein Musterbeispiel wie der Parthenon auf der Athener Akropolis mit seiner von Iktinos und Kallikrates entworfenen Architektur sowie den von Phidias und seinen Mitarbeitern geschaffenen Bildwerken als ein in dieser Reichhaltigkeit und Qualität niemals übertroffenes Gesamtkunstwerk zuerst im Mittelpunkt der Betrachtung. Dabei kann es für ein Verständnis des Parthenon förderlich sein, wenn auch auf den sogenannten Vorparthenon und damit auf ein etwas älteres Beispiel hingewiesen wird, das dem Parthenon und dessen Bedeutung zeitlich vorausgegangen ist.

Darüber hinaus ist mit dem Bau der zum Teil bereits gleichzeitig nach Entwürfen des Mnesikles begonnenen Athener Propyläen eine Architektur entstanden, die in ihrer Art innerhalb der Geschichte repräsentativer und qualitativ anspruchsvoller sowie progressiv gestalteter Bauwerke vorbildlich gewesen und geblieben ist. Auf diesen Bau folgt in einer Geschichte einflussreicher Architekturen mit dem wahrscheinlich von Kallikrates entworfenen Erechtheion auf der Athener Akropolis ein in seiner Bauform ebenso unkonventionelles wie in der Ausführung seiner Architektur sowie seines Ornament- und Skulpturenschmucks kostbares Meisterwerk, das angesichts der überaus reichhaltigen Ausstattung auch an eine in architektonische Formen übertragene Schatztruhe denken lässt.

Mit dem gut zwei Generationen später entstandenen Theater in Epidauros, das fast 15.000 Zuschauern Platz bot, folgt ein nächster Meilenstein innerhalb einer Geschichte antiker Architektur, der nicht zuletzt wegen der unglaublichen, bis auf den heutigen Tag nicht wirklich begründbaren Qualität seiner Akustik zu den nach wie vor am meisten bewunderten Schöpfungen antiker Baumeister zählt.

Anschließend leitet ein Blick auf die wahrscheinlich von Pytheos beeinflusste Planung und Ausstattung der spätklassisch-hellenistischen Stadt Priene zu bestimmten, für die Baugeschichte höchst bedeutsamen urbanistischen Fragen über, ehe mit dem von den Architekten Paionios und Daphnis als monumentalem Dipteros entworfenen Apollontempel in Didyma die hier besprochene Reihe der Meilensteine aus der Geschichte griechischer Architektur endet.

Hieran anschließend konzentriert sich die weitere Darstellung baugeschichtlicher Meilensteine der Antike auf Beispiele römischer Architektur, die – wie kaum anders zu erwarten ist – zum größten Teil in Rom selbst entstanden sind und deren Ruinen noch heute zum Denkmälerbestand dieser Stadt und damit zu ihrem unverkennbar gebliebenen Gesicht gehören. Dabei nimmt das Augustusforum mit seiner durch Bauskulptur programmatisch überhöhten und sowohl formal als auch inhaltlich gezielt inszenierten Platzgestalt, das der Princeps selbst nach über vierzigjähriger Bauzeit im Jahr 2 v. Chr. eingeweiht hatte, eine besonders herausragende Position ein.

Dass darüber hinaus auch bedeutende Werke von Ingenieuren zu den maßgeblichen Meilensteinen antiker Architektur gehören, belegt eindrucksvoll der bereits um 20 v. Chr. – also in früher römischer Kaiserzeit – entstandene, unter der Bezeichnung Pont du Gard berühmt gewordene Aquädukt. Dies gilt ebenso für das weltweit größte und deshalb zu Recht auch als Kolosseum bezeichnete Amphitheater, das Kaiser Titus im Jahr 79 n. Chr. mit ebenso umfangreichen wie spektakulären Veranstaltungen eingeweiht hatte: In Bezug auf logistische Planung und bauliche Konstruktion ist es einem Weltwunder vergleichbar. Zu Ehren dieses Kaisers wurde außerdem der ihm postum gewidmete Titusbogen in Rom errichtet, mit dem ein dauerhaft wirksames Signal römischer Baukunst entstanden ist. Kaum weniger bedeutsam und folgenreich für die Geschichte der Architektur als einer Gattung mit besonderem Einfluss auf das öffentliche Leben und die sich darin spiegelnden Gesellschaftssysteme ist der von dem Architekten Rabirius entworfene, wahrscheinlich im Jahr 92 n. Chr. fertig gewordene Palast der flavischen Kaiser auf dem Palatin Roms. Dies war nicht nur ein kostbar ausgestatteter Wohnpalast und ein Ort, an dem sich der Kaiser aus der Öffentlichkeit in ein prunkvolles Privatleben zurückziehen konnte, sondern zugleich sein Amtssitz und seine offizielle Repräsentationsstätte. Somit diente dieser Palast dem Kaiser sowohl als großzügig ausgestattete Wohnung als auch anderen Zwecken, die in seiner Machtposition und einer Erfüllung offizieller oder von ihm selbst bestimmter Rechte und Pflichten begründet waren. Deshalb war dies nicht nur eine aufwendige Palastarchitektur, sondern als Meilenstein der Architektur zugleich der Prototyp einer kaiserlichen Residenz, durch deren Gebäude privates Leben und offizielle sowie öffentliche Regentschaft gleichermaßen gegenwärtig repräsentiert waren.

Einen weiteren Meilenstein bildet die in ihrer monumentalen Gestalt als triumphales Siegeszeichen errichtete und gemeinsam mit dem zu ihren Füßen ausgebreiteten Kaiserforum von dem Architekten und Ingenieur Apollodor aus Damaskus entworfene Trajanssäule, die angesichts ihrer intensiven und weltweiten Wirkungsgeschichte zu den maßgeblichen Impulsen gehört, die von römischer Architektur ausgegangen sind. Zuletzt richtet sich der Blick auf das gleichfalls von Apollodor aus Damaskus, dem Staatsarchitekten Trajans, begonnene und von dessen Nachfolger Hadrian eingeweihte Pantheon in Rom, durch das mit seinem spektakulären Kuppelsaal ein besonderer, kaum zu übertreffender Höhepunkt in der Geschichte antiker Architektur überliefert ist.

Dabei mag es einem glücklichen Umstand verdankt sein, dass die ein dreiviertel Jahrtausend umfassende Reihe ausgewählter Meilensteine antiker Architektur mit dem Parthenon, einem für seine Bauzeit einzigartigen und in seiner spezifischen Qualität unübertroffenen Meisterwerk beginnt und mit dem Pantheon, einem nach Entwurf, Ausführung und dadurch erzielter Wirkung gleichermaßen unerreichten Höhepunkt der Weltarchitektur endet.

Es ist nicht auszuschließen, dass bei der Auswahl der im Folgenden genannten Beispiele und ihrer Definition als Meilensteine der Architekturgeschichte auch Vorlieben und persönliche Einschätzungen sowie Bewertungen des Verfassers eine Rolle gespielt haben. Allerdings entsprechen sie wohl weitgehend einem auch innerhalb der Fachwelt verbreiteten Urteil, sodass dieses Vorgehen durchaus sachkundig und insofern begründet ist. Dabei stützt sich der Verfasser natürlich zuerst auf die archäologischen Befunde der zitierten Bauwerke und darüber hinaus auf das von Archäologie und Bauforschung veröffentlichte wissenschaftliche Schrifttum, auf das im Anhang für jedes besprochene Gebäude in einer zusammengefassten Form verwiesen wird. Deshalb sind beträchtliche Teile des Inhalts dieses Buches den Arbeiten zahlreicher Kolleginnen und Kollegen verdankt, ohne dass hierfür jeder oder jedem Einzelnen in angemessener Form gedankt werden könnte.

Meilensteine
Griechischer Architektur

Der Parthenon

Nach wie vor dominiert der Tempel der Athena Parthenos (Taf. 1), der sogenannte Parthenon, als Zeugnis einer einst lebendigen Geschichte die Akropolis Athens und den Ruhm dieser Stadt, wenn nicht sogar der Blüte griechischer Kultur überhaupt. Zieht man antike Schriftquellen zu Rate, so könnte man angesichts des Parthenon und seiner Wirkung auf nachfolgende Zeiten zu der Auffassung kommen, Perikles habe in der weisen Voraussicht eines klugen Staatsmannes bei der Diskussion über eine Beschlussfassung zur Finanzierung solcher Projekte in der Volksversammlung Athens angekündigt und damit auch um Zustimmung geworben, mit solchen Bauten werde Athens Ruhm selbst dann noch für alle Zeiten im Bewusstsein bleiben, wenn die Macht dieser Polis bereits längst der Vergangenheit angehöre.

Als ein bis auf den heutigen Tag besonders prominentes Bauwerk antiker Architektur gehört dieses Exempel der Baukunst griechischer Klassik an vorderer Stelle zum allgemein anerkannten Bestand einer Geschichte der Weltarchitektur. Dabei fasziniert dieses Bauwerk trotz vieler Schäden und Lücken nach wie vor durch die monumentale Geschlossenheit seines Baukörpers nicht weniger als durch die dank der Gestalt und Qualität der Formen überzeugenden Präsenz seiner Architektur. Dabei tritt sie dem Besucher bereits nach Durchschreiten der Propyläen ganz ungeschmälert und unausweichlich entgegen, weil von hier aus der erste Blick auf die breit vor ihm stehende Westfront mit der hierbei schräg angeschnittenen Flanke und damit auf den Baukörper in seinem ganzen Volumen trifft. Von hier aus muss jeder Besucher, der den Eingang dieses Tempels erreichen will, den gesamten Baukörper umschreiten, noch bevor das Innere mit seiner Raumgestalt und seinem Inventar zu erkennen ist, um ihn durch eigenes Erleben in der ganzen Substanz seiner plastischen Fülle zur Kenntnis zu nehmen.

Als ein Ringhallentempel dorischer Ordnung folgt sein Bau anscheinend einem allgemein bekannten, bei solchen Tempeln weit verbreiteten und deshalb üblichen Gestalt- und Gestaltungssystem, durch das Form und Format sowie die Gliederung der Architektur entsprechend einem weitgehend festgelegten Kanon der Bauordnung vorherbestimmt sind. Wenngleich bestimmte Elemente dieses Tempelgebäudes mit einer Cella, die ringsum von Säulenhallen dorischer Ordnung mit Architraven sowie einem gegliederten Fries begleitet wird und als oberen Abschluss ein mächtiges Giebeldach trägt, zum allgemein verbreiteten Bestand solcher Tempelbauten gehören, wird bei näherem Betrachten deutlich, dass dieser Parthenon alles andere als einer der normalen, in traditioneller Form gestalteten Tempel ist, die als Ergebnis allgemein bekannten und anscheinend festgeschriebenen Schulbuchwissens verbreitet waren. In einem Mustergebäude wie dem ohne Fehl und Tadel nur wenige Jahre vor dem Parthenon errichteten Zeustempel in Olympia (Abb. 1) hatte ein solches Vorbild der Architektur griechischer Klassik schlechthin ihr Ideal gefunden.

Dagegen war der Parthenon auch Teil eines politischen Programms, dem nicht zuletzt Perikles als führender Staatsmann und Stratege Athens seinen Stempel aufgeprägt hatte, indem er mit diesem Bau und dessen Ausstattung zugleich seinen politischen Idealen und Ansprüchen Ausdruck verlieh. Dabei gehörte es zu den besonderen baugeschichtlichen Problemen des Parthenon, dass er nicht ohne schwierig zu bewältigende Vorgaben entworfen und ausgeführt wurde und sein Bau auch deshalb besonders versierte und engagierte Architekten und Auftraggeber benötigte. Zu diesen Vorgaben gehörte, dass der Parthenon das der Schutzgöttin Athena versprochene Dankgeschenk der Stadt für ihre göttliche Unterstützung in den für Athen siegreich beendeten Perserkriegen war. Da mit der Erfüllung dieser Verpflichtung, das heißt mit dem Bau dieses Tempels schon von Kimon, dem Vorgänger des Perikles in der Staatsführung Athens, begonnen wurde und auch dieser Bau über den Resten eines bereits in spätarchaischer Zeit (um 510 v. Chr.) entstandenen Vorgängergebäudes geplant war, gehörte, als zur Zeit des Perikles eine Um- und Neuplanung dieses Tempels erforderlich wurde, für Iktinos und Kallikrates als den Architekten des perikleischen Parthenon (Pausanias VIII.41,9; Plutarch, Perikles 13.7) eine Auseinandersetzung mit diesen Vorgängerprojekten zu ihren ersten Aufgaben. Da außerdem anscheinend so viel wie irgend möglich von dem bereits begonnenen Bau sowie den hierfür vorbereiteten und bereitgestellten Materialien weiterhin genutzt werden sollte, war dies eine keineswegs unproblematische Aufgabe. Von diesem älteren Bau, der bisweilen auch als Vorparthenon bezeichnet worden ist, blieb wenigstens so viel erhalten, dass zumindest sein Grundriss und mit ihm auch der Bautypus festgestellt werden konnte (Abb. 2). Allerdings war bereits zuvor ein großer Tempel geplant, für den auf dem von West nach Ost verlaufenden Kamm der Akropolis und südlich neben ihm als Basis eine 76,82 Meter lange und 31,39 Meter breite Terrasse angelegt wurde, die jedoch erst für den Bau des Vorparthenon genutzt wurde. Von diesem Vorparthenon ist bekannt, dass für ihn zumindest bereits die dreistufige Krepis mit einem 23,53 m × 66,94 m großen Stylobatrechteck sowie die Grundmauern der Cella angelegt und Bauglieder der Ringhalle, für die 6 ×16 Säulen vorgesehen waren, in Arbeit gewesen sind. Dabei ließ der Befund erkennen, dass die Cella in einen größeren, dreischiffigen Raum im Osten, in dem vielleicht ein Götterbild aufgestellt werden sollte, und einen fast quadratischen Raum im Westen, bei dem es sich vielleicht sogar um einen Viersäulensaal gehandelt haben könnte, geteilt war. Außerdem gehörten zu den Cellafronten keine als Pronaos und Opisthodom gestalteten Vorhallen, sondern Fassaden mit jeweils vier prostylen Säulen. Beim Parthenon wurde dieser Cellatypus mit einem dreischiffigen Hauptraum und einem als Viersäulensaal angelegten zweiten Raum sowie prostylen Säulen statt Pronaos und Opisthodom zwar wiederholt, doch erhielt jetzt die Cella einen anders disponierten und von anderen Prioritäten geleiteten Innenraum, in dessen Folge dieser Tempel insgesamt eine andere Gestalt erhalten hatte. Darüber hinaus scheint er auf den ersten Blick dem Konzept eines scheinbar ziemlich normalen Ringhallentempels dorischer Ordnung zu entsprechen, wie er – einschließlich des bereits genannten Zeustempels in Olympia – von vielen Orten Griechenlands bekannt ist. Allerdings betont die machtvoll in die Breite gezogene Front selbst bei einem lediglich pauschalen Vergleich mit anderen Tempeln dieser Art und Bauordnung, dass dieser erste Eindruck der Eigenart und Bedeutung des Parthenon kaum hinreichend gerecht wird. Eine genauere Betrachtung lehrt, dass dieser Tempel nicht nur ein besonders bedeutendes Hauptwerk griechischer Klassik ist, sondern zu den wichtigsten Architekturen der Antike insgesamt gehört. Dies bestätigen sowohl seine außerordentliche Größe als auch das ungewöhnlich kostbare Baumaterial – hier wurde erstmals für einen Bau von den Stufen des Sockels bis zur Dachdeckung kostbarer Marmor verwendet und durch hervorragend qualifizierte Steinmetzen bearbeitet. Auch die gedankliche Systematik und Konsequenz des Entwurfs für diesen aus einem Umbau hervorgegangenen Neubau mit einem neuartigen Cellaraum für das dort aufgestellte und im wahrsten Sinne des Wortes ungewöhnlich kostbare monumentale Götterbild der Athena Parthenos sprechen für eine Sonderstellung. Dabei könnte diese neuartige Cella die Folge des von Iktinos in den Eigenarten dieser Architektur begründeten Entwurfs gewesen sein, aber auch Anlass und Folge des von Phidias geschaffenen Götterbildes der Athena Parthenos. Bereits diese Cella begründet die besondere Bedeutung des Parthenon, zumal durch deren Gestalt und ihr Verhältnis zum Gebäude insgesamt und dessen Baukörper ein neues Kapitel in der Geschichte der Architektur aufgeschlagen wurde.

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Abb. 2 Athen, Akropolis. Vorparthenon, Grundriss.

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Abb. 3 Athen, Akropolis. Parthenon. Nordwestecke der Krepis.

Dass die auffallende Breite der Gebäudefront mit dem gegenüber dem Vorparthenon neu entwickelten Entwurf des Iktinos in Verbindung steht, begründet zuerst ein baugeschichtlich bedeutsamer Befund, der an der Nord-West-Ecke der Krepis noch gut zu erkennen ist (Abb. 3). Dabei zeigen vor allem die oberen Schichten des Gebäudesockels, dass die Quadersteine der nördlichen Partie der Westfront anders ausgebildet sind als die übrigen Quadersteine dieser Westseite. Hiernach wurde diese Krepis an ihrer Nordseite in einem eigenen Arbeitsvorgang verändert; dabei wurde der Gebäudesockel, der in weiten Teilen vom Vorparthenon übernommen worden war, deutlich verbreitert. Zugleich ist dieser Befund ein baugeschichtlich authentisches und deshalb besonders bedeutsames Zeugnis für die durchgreifende Planänderung zwischen Vorparthenon und Parthenon. Macht man sich die innenpolitische Situation Athens und seine außenpolitische Funktion und Bedeutung während der Zeit dieser Neuausstattung und die damit verbundenen exorbitanten Baukosten bewusst, dürfte klar sein, dass ein solcher Wechsel beim Bau des für Athen prominentesten Zeichens einer nach innen und nach außen besonders eindrucksvollen Architektur nicht stillschweigend und nicht ohne intensive Anteilnahme der Bürger Athens und vielleicht auch der Bundesgenossen vonstattengegangen sein kann. Schließlich hatte Athen zuvor nicht nur den dramatischen Krieg gegen die Perser gewonnen, sondern nur wenige Jahrzehnte früher mit der ersten Demokratie der Menschheitsgeschichte für Athen auch ein neues politisches Herrschaftssystem eingeführt. Mit ihm waren die Bürger Athens aufgefordert, sich ständig aktiv über sämtliche Angelegenheiten von Staat und öffentlichem Leben zu informieren und ihrem Engagement auch in der für alle Entscheidungen zuständigen Volksversammlung Ausdruck zu verleihen. Hierzu gehörte auch eine innenpolitische, öffentlich ausgetragene Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Gruppen unterschiedlicher Interessen, aus der schließlich Perikles – Anführer der Partei radikaler Demokraten – als Sieger hervorging. Er sorgte sowohl für Gesetze, die auch ärmeren Bevölkerungsgruppen Athens einen gesellschaftlich besseren Status ermöglichten, als auch für eine militärische und politische Stärkung der Machtposition Athens im östlichen Mittelmeergebiet. Der Zufluss finanzieller Mittel und ein wirtschaftlicher Aufschwung ermöglichte es, ein Bauprogramm aufzulegen, an dessen Spitze die bauliche Neuausstattung der Athener Akropolis stand und von dem durch Arbeit und Lohn auch die Bevölkerung Athens insgesamt profitierte.

Anscheinend entsprach der bereits begonnene Bau des Vorparthenon nicht den Vorstellungen und Idealen des unter Perikles propagierten Bauprogramms, sodass die bereits stehenden Partien dieses Tempels wieder abgetragen wurden und Iktinos als Architekt – wahrscheinlich in Kooperation mit Phidias als führendem Bildhauer – den Auftrag erhielt, ein Tempelprojekt zu entwerfen und auszuführen, das den Ansprüchen der durch Perikles vertretenen Staatsidee genügte. Da allerdings wohl schon aus Kostengründen der durch den Planwechsel entstehende zusätzliche Bedarf bei diesem jetzt revidierten Entwurf in Grenzen zu halten war, wurden zahlreiche Teile und Bauglieder des nach dem Baustopp gerade abgetragenen Vorparthenon wiederverwendet. Zugleich wurde das bereits verlegte Fundament in den Tempelbau des Iktinos integriert, sodass hierin auch der Grundriss des Vorparthenon noch zu erkennen ist.

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Abb. 4 Athen, Akropolis, Parthenon. Grundriss.

Dabei zeigt ein Vergleich mit dem Grundriss des von Iktinos entworfenen Parthenon (Abb. 4), dass der Typus beider Bauprojekte einander entspricht. Außerdem konnte – da beim Iktinosbau auch Säulen, die für den Vorparthenon zur Verfügung standen, wiederverwendet wurden – auch dieser Parthenon nicht wesentlich höher werden als das geplante Vorgängerprojekt. Deshalb betrifft die Revision des Bauplans hauptsächlich eine durch die vermehrte Breite des Gesamtentwurfs ausgelöste Veränderung des Baugefüges in seinen Verhältnissen zwischen Längen- und Breitenmaßen. Dabei stellt sich die keineswegs unbegründete Frage nach einer hierfür plausiblen Begründung, die überzeugend genug war, um vom Entscheidungsträger – und dies war in der gegebenen Situation vor allem die in einer radikal praktizierten Demokratie zuständige Volksversammlung – die Zustimmung zu dem in seinen Folgen äußerst aufwendigen Planwechsel und zu dem für diesen Tempel vorgesehenen Götterbild Athenas zu erhalten.

Hierzu wird im Folgenden und noch vor einem Kommentar zum veränderten Bauentwurf und dessen Ausführung mit knappen Erläuterungen zum einen auf die Statue der Athena Parthenos und ihren Bildhauer Phidias, zum anderen auf Iktinos, den für die Umplanung und die revidierte Ausführung zuständigen Architekten sowie auf das Engagement des Perikles als dem wichtigsten Promotor dieser ungewöhnlichen Baumaßnahme und schließlich auch auf die hierfür veranschlagten Baukosten hingewiesen. Dabei betonten bereits die auf Beschluss der Volksversammlung für den Bau dieses Tempels und seine Ausstattung zur Verfügung gestellten Gelder den besonderen Rang dieses Bauwerks und die an ihn gerichteten Erwartungen. Hierzu ist überliefert, dass ein Betrag von 500 Talenten Edelmetall zur Verfügung gestellt wurde, der auf das heutige Gewichtssystem umgerechnet gut 13.000 kg, das heißt etwa 13 Tonnen entspricht. Da außerdem bekannt ist, dass in der damaligen Zeit der übliche Tageslohn einer Drachme entsprach und aus einem Talent 6.000 Drachmen geprägt werden konnten, war mit einem Betrag von 500 Talenten ein Arbeitslohn finanzierbar, der – auf heutige Arbeitslöhne übertragen – einem Betrag in der Größenordnung von mindestens einer halben Milliarde Euro entsprechen könnte. Angesichts dieser unglaublich hohen Bausumme war der Parthenon nicht nur ein besonders wertvolles Bauwerk, sondern innerhalb des demokratisch durchorganisierten athenischen Staates zugleich auch ein Politikum ersten Ranges. Deshalb muss es nicht verwundern, dass dieser Bau in der politischen Auseinandersetzung zum Gegenstand heftigen Streits werden konnte. Hierzu ist durch antike Schriftquellen überliefert (Plutarch, Perikles 12), Perikles selbst habe dieses Projekt in der Volksversammlung Athens mit dem Argument verteidigt, der Ruhm dieser Stadt werde angesichts solcher Bauten auch dann noch im Gedächtnis der Menschheit festgeschrieben und auf Dauer erhalten bleiben, wenn Athen in späteren Zeiten seine Machtposition verloren haben sollte. Trotzdem war die Finanzierung dieses besonderen und in seiner Art einmaligen Bauvorhabens nach wie vor ein politisches Thema und ein Problem von größter Bedeutung, zumal Athen kurz zuvor die reichlich angehäuften Rücklagen des Attisch-Delischen Seebundes, in dessen auf Delos aufbewahrte Kasse sämtliche Mitglieder regelmäßig Einzahlungen zu tätigen hatten, damit das Bündnis bei einem nach wie vor befürchteten Rachefeldzug der besiegten Perser gut gewappnet bliebe, an sich gebracht hatte. Aus dieser Kasse, die nach Athen transferiert und auf der dortigen Akropolis unter den Schutz Athenas gestellt worden war, hatte sich Athen anscheinend auch bei der Finanzierung des Parthenon bedient (Plutarch, Perikles 12). Demnach gehörte dieser Bau zu einem auch politisch motivierten Bauprogramm der perikleischen Zeit. Anscheinend sollte mit ihm ein besonderes, auf höchstem künstlerischen Niveau stehendes Zeichen gesetzt werden, für dessen Planung und Ausführung mit Iktinos und Kallikrates (Plutarch, Perikles 13) zwei besonders qualifizierte Architekten beauftragt wurden. Außerdem war mit Phidias, der mit seiner Werkstatt die gesamte Bauskulptur und vor allem das riesige Götterbild der Athena Parthenos aus Gold und Elfenbein geschaffen hatte, ein Bildhauer tätig, dem zugleich die künstlerische Leitung des gesamten Ausbaus der Akropolis übertragen wurde.

Auf dieser Grundlage wurde im Jahr 447 v. Chr. mit dem Bau des perikleischen Parthenon begonnen, dessen Arbeiten im Jahr 432 v. Chr. Abgerechnet werden konnten, nachdem bereits sechs Jahre zuvor die neue Statue der Athena Parthenos des Phidias aufgestellt worden war. Damit war einer der prominentesten Meilensteine antiker Architektur entstanden, dessen ungewöhnlich kurze Bauzeit noch gut ein halbes Jahrtausend später Plutarch ausdrücklich und lobend betont (Plutarch, Perikles 13). Darüber hinaus ist der Name dieses Tempels einen erklärenden Hinweis wert, der von dem Beinamen ›Parthenos‹ der Tempelherrin Athena abgeleitet ist. Dieser Beiname bedeutet zunächst ganz wörtlich nicht mehr als ›Mädchen‹ oder unverheiratete, also jungfräuliche Tochter – entsprechend der Göttergenealogie des griechischen Mythos, da Athena als die von Zeus selbst geborene Tochter eine niemals vermählte Göttin war. Auch entspricht diese Bedeutung des Götternamens und seine Übertragung auf den Tempel Athenas einem in der altgriechischen Sprache überlieferten Wortsinn, nach dem ›Parthenon‹ nichts anderes bedeutet als ›Jungfrauengemach‹, sodass diese Bezeichnung den Bau auf der Athener Akropolis als Wohnung Athenas charakterisiert. Trotzdem ist dies – bezogen auf Athena – ein scheinbar etwas bedeutungsarmer Beiname. Sonst wurden Athena gerne durch Beinamen wie ›Polias‹ (Stadtgöttin), ›Promachos‹ (Vorkämpferin), ›Nike‹ (Siegesgöttin) oder ›Hygiaia‹ (Schützerin der Gesundheit) und schließlich auch ›Kurotrophos‹ (Jugenderzieherin) bestimmte Funktionen zugeschrieben.

In Athen galt Athena von Staats wegen vor allem als ›Polias‹ und damit als Schutzgottheit der Stadt, die bereits seit archaischer Zeit in ihrem Tempel auf der Akropolis mit dem dort aufgestellten Kultbild, dem an ihrem Altar dargebrachten Opfer und durch die im Rhythmus von vier Jahren für sie als offizieller Staatskult Athens gefeierten Großen Panathenäen verehrt wurde. Dagegen ist ein Kult für eine Athena Parthenos weder durch den Festkalender Athens noch durch einen hierfür beim Parthenon angelegten Opferaltar belegt. Wahrscheinlich hatte es einen solchen Kult auch zu keiner Zeit gegeben, weil Athena auf der Akropolis schon immer im wichtigsten Staatskult Athens als Schutzgöttin dieser Polis schlechthin verehrt wurde. Zwar wurde ihr altes und ehrwürdiges Heiligtum – wie die gesamte Akropolis – beim Persersturm des Jahres 480 v. Chr. von den rabiat wütenden Truppen des Perserkönigs schmählich geschändet und weitgehend ramponiert, doch hinderte dies die Athener nicht daran, nachdem die Perser vertrieben und wenig später endgültig besiegt waren, an dieser alten Kultstätte auch im ruinösen Zustand des alten Tempels als dem eigentlichen Ort ihres Staatskultes festzuhalten. Hiernach war der Parthenon wohl weniger ein Kultbau als ein staatliches Repräsentationsgebäude, das gemeinsam mit der von Phidias aus Gold und Elfenbein geschaffenen Statue der Athena Parthenos den Rang und Status der Stadt sowie ihre Macht, ihren Reichtum und die darauf gegründeten Ansprüche propagierte. Darüber hinaus konnte eine weitere mit dem Wort Parthenos verbundene Bedeutung diesen für jeden Athener zum Begriff gewordenen Beinamen Athenas gesteigert haben: der gleichlautende Name des Sternbildes der Jungfrau, unter dessen Zeichen nach damaliger Kalenderrechnung sowohl der Neubeginn des Jahres stand als auch ein langes und glückliches Leben sowie nicht zuletzt Sieg und Vorherrschaft vorhergesagt waren. Einer solchen überragenden Bedeutung von ›Parthenos‹ als Begriff und Zeichen könnten auch – wie auf einer anderen Ebene – das übermäßig große Format der Statue und der unvergleichliche Reichtum ihrer Ausstattung entsprochen haben.

Soweit dieses Standbild (Abb. 5)