Iny Lorentz
Das Mädchen aus Apulien
Roman
Knaur e-books
Hinter dem Namen Iny Lorentz verbirgt sich ein Münchner Autorenpaar, dessen erster historischer Roman »Die Kastratin« die Leser auf Anhieb begeisterte. Mit »Die Wanderhure« gelang ihnen der Durchbruch; der Roman erreichte ein Millionenpublikum. Seither folgt Bestseller auf Bestseller. Die Romane von Iny Lorentz wurden in zahlreiche Länder verkauft. Die Verfilmungen ihrer »Wanderhuren«-Romane und zuletzt der »Pilgerin« haben Millionen Fernsehzuschauer begeistert. Im Frühjahr 2014 bekam Iny Lorentz für ihre besonderen Verdienste im Bereich des historischen Romans den »Ehrenhomerpreis« verliehen. Die Bühnenfassung der »Wanderhure« in Bad Hersfeld hat im Sommer 2014 Tausende von Besuchern begeistert und war ein Riesenerfolg.
Besuchen Sie auch die Homepage der Autoren: www.inys-und-elmars-romane.de
© 2016 der eBook-Ausgabe
Knaur eBook
Ein Imprint der Verlagsgruppe
Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Regine Weisbrod
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: © INTERFOTO / Alinari;
© akg-images / Mondadori Portfolio / 1992;
FinePic®, München/ shutterstock
ISBN 978-3-426-44005-6
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Noch mehr eBook-Programmhighlights & Aktionen finden Sie auf
www.droemer-knaur.de/ebooks.
Sie wollen über spannende Neuerscheinungen aus Ihrem Lieblingsgenre auf dem Laufenden gehalten werden? Abonnieren Sie hier unseren Newsletter.
Sie wollen selbst Autor werden? Publizieren Sie Ihre eBooks auf unserer Akquise-Plattform www.neobooks.com und werden Sie von Droemer Knaur oder Rowohlt als Verlagsautor entdeckt. Auf eBook-Leser warten viele neue Autorentalente.
Wir freuen uns auf Sie!
Schmerzerfüllt blickte Pandolfina auf ihren Vater hinab, der starr und steif in seinem Sarg lag, und konnte es noch immer nicht fassen. Gauthier de Montcœur lebte nicht mehr! Langsam nahm sein Gesicht einen wächsernen Ton an. Eine mitleidige Hand hatte ihm die Augen zugedrückt, der Mund aber hatte den festen Ausdruck behalten, als wolle er seine Tochter gleich schelten, weil sie die Tränen nicht zurückhalten konnte. Sie vermochte sich nicht vorzustellen, niemals mehr seine dröhnende Stimme und sein fröhliches Lachen hören zu können.
»So hätte er nicht sterben dürfen!«, rief Richard neben ihr so erbost aus, als wolle er den Himmel anklagen. Er war nicht nur Graf Gauthiers Verwalter, sondern auch sein bester Freund.
»Er hätte überhaupt nicht sterben dürfen«, flüsterte Pandolfina mit zitternder Stimme.
»Das meine ich doch«, antwortete Richard. »Wenn Gott meinen Herrn schon von dieser Welt wegholen wollte, warum ist es dann nicht im Kampf gegen die Sarazenen geschehen? Graf Gauthier wollte sich in wenigen Wochen Seiner Majestät anschließen, um Jerusalem von den Heiden zu befreien. Stattdessen wurde er von einer Krankheit gefällt wie ein Baum.«
Obwohl Pandolfina Richard mochte, verstand sie nicht, weshalb ein Tod im Kampf besser sein sollte als einer durch Krankheit. Beides kostete das Leben. Zudem trafen seine Ausfälle gegen die Sarazenen sie selbst, denn sie war eine Sarazenin, zumindest eine halbe.
Ihr Vater war Normanne gewesen, Nachkomme jener tapferen Krieger aus dem Norden, die mit Graf Tancred de Hauteville nach Sizilien und Apulien gekommen waren, um diese Gebiete den Byzantinern und den Sarazenen abzunehmen. Ihre Mutter aber war die Tochter eines Emirs, die man nach der Eroberung ihrer Heimat als kleines Mädchen an ihren normannischen Großvater übergeben hatte. Zwar war Pandolfinas Mutter in ihrer neuen Familie christlich erzogen worden, doch sie hatte ihre Wurzeln niemals vergessen.
Ihr wurde klar, dass ihre Gedanken abzuschweifen drohten, und sie wandte sich an Richard. »Du wirst Seiner Majestät Nachricht schicken müssen, dass mein Vater nicht mehr lebt.«
»Das ist leider notwendig. Aber ich kann nicht selbst reiten, denn ich traue di Cudi nicht. Er könnte den Tod des Herrn ausnützen, um sich in den Besitz einiger unserer Dörfer zu setzen.«
Ihr Nachbar Silvio di Cudi war eine ständige Bedrohung. Pandolfina hielt ihn für einen üblen Raufbold, den Seine Heiligkeit, der Papst in Rom, hatte loswerden wollen. Ihr Vater und di Cudi waren seit Jahren zutiefst verfeindet, weil der Nachbar immer wieder versucht hatte, ihm Dörfer wegzunehmen.
Erneut rief Pandolfina sich zur Ordnung. Sie durfte ihre Gedanken nicht wie einen Vogelschwarm fliegen lassen. Ihr Vater war tot, und sie musste die richtigen Gebete sprechen, um seiner Seele das Fegefeuer zu ersparen. In der Hinsicht erleichterte es sie, dass er im Bett gestorben war. So hatte Pater Mauricio ihm wenigstens die Letzte Ölung geben können.
Jetzt erst fiel ihr auf, dass der Burggeistliche nicht in der Kapelle war, um für seinen Herrn zu beten, wie es seine Pflicht gewesen wäre. »Wo ist Pater Mauricio? Ich sehe ihn nirgends.«
»Er wird wohl etwas zu tun haben«, antwortete Richard, sagte sich dann aber selbst, dass es für den Geistlichen im Augenblick nichts Wichtigeres gab, als Gebete für den toten Herrn zu sprechen. »Ich werde ihn suchen«, fügte er deshalb hinzu und verließ die Kapelle.
Oben im Palas lief ihm ein Schauer über den Rücken. Sonst hatte reges Leben in der Burg geherrscht, sei es, weil Graf Gauthier nach jemandem gerufen, Pandolfina gesungen oder eine der Mägde gelacht hatte. Doch jetzt war es rings um ihn totenstill.
»Wie in einer Gruft«, murmelte er und fragte sich, wie es weitergehen sollte. Auch wenn Pandolfina die Erbin ihres Vaters war, brauchte König Friedrich jemanden, der diese Burg gegen Silvio di Cudi verteidigen konnte. Dies hieß, einer der Gefolgsleute des Königs würde kommen und sich hier breitmachen.
»Auf jeden Fall wird sich einiges ändern. Hoffentlich nicht zum Schlechteren«, setzte er sein Selbstgespräch fort und trat auf die Tür zu, hinter der der Pater hauste. Nachdem sich auf sein Klopfen hin nichts rührte, öffnete er und warf einen Blick in den Raum.
Die Kammer war leer. Es sah so aus, als hätte Pater Mauricio das Zimmer hastig verlassen. Auf dem Tisch lagen mehrere Bogen Pergament, daneben stand ein Tintenfass, in dem noch die Feder steckte. Anscheinend hatte der Pater etwas geschrieben oder war im Begriff gewesen, dies zu tun. Richard warf einen kurzen Blick auf den Text, den der Mönch aufgesetzt hatte, denn es hätte eine Botschaft an den König sein können, mit der die Nachricht vom Tod des Burgherrn gemeldet werden sollte. Doch es war nur die Abschrift eines päpstlichen Erlasses, in dem König Friedrich von Seiner Heiligkeit, Papst Honorius III., wegen seines Säumens gerügt wurde, Jerusalem von den Sarazenen zu befreien.
»Herr Gauthier hätte ihm nie gestattet, dieses dumme Zeug von der Kanzel herab zu verkünden«, brummte Richard, verließ die Kammer und suchte weiter nach dem Geistlichen. Doch weder in den Gesindestuben noch in der Halle fand er eine Spur von ihm. Zuletzt betrat er die Küche.
»Habt ihr Pater Mauricio gesehen?«, fragte er ungehalten.
»Der hochwürdige Vater war heute Morgen hier, um seine Suppe zu essen. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen«, antwortete der Koch abweisend, denn er mochte Richard nicht und nannte ihn für sich nur abwertend den Sizilianer. Pater Mauricio hingegen stammte aus dieser Gegend und hatte ihn schon mehrmals von seinen fleischlichen Sünden freigesprochen, selbst wenn diese an der einen oder anderen Küchenmagd sichtbar geworden waren.
Richard nahm die Auskunft des Kochs verärgert zur Kenntnis. »Heute Morgen also! Ich frage mich, weshalb er hier in der Küche gegessen hat und nicht in der Halle, wie es sich gehört.«
»Der hochwürdige Vater hat gewiss viel zu tun, um die Beisetzung unseres Herrn vorzubereiten.«
Der Koch zeigte dem Verwalter deutlich, dass er sich gestört fühlte. Auch wenn Graf Gauthier in der Kapelle aufgebahrt lag, musste das Essen für die Burgleute zubereitet werden. Daher nahm er den Kochlöffel, rührte in einem Kessel herum und befahl einem seiner Helfer, zwei Pfannen vom Feuer zu nehmen.
Elender Hund!, schimpfte Richard im Stillen und wandte sich zum Gehen. Da sah er, wie ein etwa zwölfjähriges Mädchen, das hier angestellt war, um das Geflügel zu rupfen, zaghaft den rechten Zeigefinger hob.
»Ist was?«, fragte er unfreundlich.
»Ich habe Pater Mauricio am Vormittag gesehen. Er hat die Burg verlassen und stieg den Burgberg in nördlicher Richtung hinab.«
Richard schluckte. Im Norden lagen die umkämpften Dörfer und dahinter di Cudis Burg. Dorthin konnte der Pater unmöglich gegangen sein. Noch während er darüber nachdachte, versetzte der Koch der Kleinen eine schallende Ohrfeige.
»Lüg den Verwalter nicht an! Hier in der Küche gibt es kein Fenster nach Norden.«
Der Schmerz trieb dem Mädchen die Tränen aus den Augen, aber es wagte trotzdem, ihm zu widersprechen. »Ich musste doch vorhin zwei Hühner aus dem Dorf holen. Da habe ich ihn weggehen sehen.«
Als der Koch erneut ausholte, schritt Richard ein. »Lass Cita in Ruhe! Sie dürfte die Wahrheit gesprochen haben. Ich frage mich nur, was den Pater antreibt. Er sollte besser für die Seele des Herrn beten, als in der Weltgeschichte herumzulaufen.«
»Vielleicht wurde er zu einem Todkranken gerufen. Es sterben hierzulande noch mehr Menschen als nur unser Herr.«
Für diese gefühllosen Worte hätte Richard dem Koch am liebsten ein paar kräftige Hiebe verpasst. Er begnügte sich jedoch damit, dem Küchenmädchen über den kastanienbraunen Schopf zu streichen.
»Höre mir gut zu, Cita! Es ist wichtig, stets bei der Wahrheit zu bleiben, auch wenn es schmerzt«, erklärte er und warf dem Koch einen warnenden Blick zu, bevor er die Küche verließ.
Er hatte gerade die Treppe erreicht, als er das Geräusch einer weiteren Ohrfeige vernahm. Einen Augenblick lang überlegte er, umzudrehen und den Koch doch noch zu verprügeln. Die Pflicht rief ihn jedoch in die Burgkapelle zurück. An deren Eingang blieb er stehen und blickte traurig auf die Tochter seines Herrn hinab.
Pandolfina war ein schmales, zierliches Mädchen, dem man die Abkunft von zwei Welten ansah. Sie hatte das rabenschwarze Haar ihrer sarazenischen Mutter, aber die hellblauen Eisaugen ihres Vaters und den gleichen, energischen Ausdruck um den Mund, den Gauthier gezeigt hatte. Ihr Teint war von der Sonne gebräunt und verstärkte den Kontrast zwischen Haar und Augen. Richard schätzte, dass sie in einigen Jahren recht hübsch aussehen mochte. Aber trotz ihrer mittlerweile vierzehn Jahre wirkte sie noch wie ein Kind.
Wäre sie nur ein wenig älter, könnte König Friedrich sie mit einem seiner Getreuen verheiraten und diesen mit der Wacht an dieser unsicheren Grenze betrauen. Vielleicht genügte auch eine Verlobung, die in einer Ehe münden würde, sobald Pandolfina sechzehn geworden war.
»Habt Ihr den Pater gefunden?«, fragte das Mädchen.
Richard zuckte hilflos mit den Schultern. »Wie es aussieht, hat er die Burg verlassen. Aber das soll Euch nicht hindern, für Euren Vater zu beten. Eure Fürbitte mag ihm gewiss die Tore des Himmelreichs öffnen und das Fegefeuer ersparen.«
»Warum ließ Gott ihn sterben?«, fragte Pandolfina unter Tränen. »Er hat doch nie etwas Böses getan!«
»Stellt diese Frage besser nicht Pater Mauricio, denn der kann sie mit Gewissheit nicht beantworten und würde Euch höchstens Bußübungen auferlegen, weil Ihr den Willen des Allerhöchsten anzuzweifeln wagt. Selbst der Papst und seine Bischöfe vermögen seinen Tod nicht zu erklären. Obwohl sie sich so hoch erhaben über alle anderen Menschen fühlen, so wurden sie ebenso wie wir aus dem sündigen Schoß eines Weibes geboren.«
Pandolfina musterte ihn bedrückt. »Weshalb gilt der Schoß eines Weibes noch immer als sündhaft, wo doch unser Herr und Gott im Himmel selbst die schlimmsten Untaten eines Menschen nur sieben Generationen lang bestraft? Doch seit Eva und der Schlange im Paradies sind gewiss mehr als sieben Generationen vergangen.«
»Betet lieber für die Seele Eures Vaters und belastet Euer Gemüt nicht mit solchen Fragen«, wies Richard das Mädchen zurecht. »Auch erlaubt mir, dass ich Euch allein lasse. Da der Pater nicht da ist, um die Bestattung Eures Vaters vorzubereiten, werde ich es tun.«
Während Richard die Kapelle verließ, blieb Pandolfina als Opfer ihrer zwiespältigen Gefühle zurück. Sie haderte mit Gott, weil dieser ihr zwei Jahre nach der Mutter noch den Vater genommen hatte, fürchtete aber auch, eine Sünde zu begehen, weil sie sich nicht mit seinem Willen abzufinden vermochte.
Nach einer Weile fröstelte es Pandolfina in der kalten Kapelle, und sie schalt sich deswegen. Ihr Vater lag tot im Sarg, und statt für ihn zu beten, wie es sich gehörte, wünschte sie sich einen warmen Pelz oder wenigstens einen dickeren Umhang. Schnaubend biss sie die Zähne zusammen, um der Kälte zu trotzen, stand aber kurz danach widerwillig auf. Die Knie, die sie stundenlang auf den kalten Steinboden gepresst hatte, schmerzten höllisch, und es dauerte einige Augenblicke, bis sie wieder gehen konnte.
An der Tür der Kapelle hielt sie inne. Sie wollte den Vater nicht verlassen, durfte aber auch nicht laut nach einer Magd rufen, damit diese ihr wärmende Kleidung brachte. Pandolfina verfluchte ihren Körper. Gewiss würde Pater Mauricio sie schelten, weil sie nicht die nötige Ehrfurcht vor ihrem Vater und vor Gott aufbrachte, um der Kälte zu widerstehen.
Bei dem Gedanken fiel ihr auf, dass der Geistliche noch immer nicht zurückgekehrt war, und sie ärgerte sich über den Mann. Es war seine Pflicht, ihrem Vater mit seinen Gebeten den Weg ins Himmelreich zu öffnen. Nichts, aber auch gar nichts durfte ihn daran hindern. Entschlossen verließ sie die Kapelle, begab sich zu Pater Mauricios Kammer und klopfte heftig. Sie erhielt ebenso wenig Antwort wie Richard ein paar Stunden zuvor.
»Pater Mauricio! Wo seid Ihr?« Ihre Stimme klang dünn, denn sie fror immer noch. Pandolfina rieb sich die Arme, drehte sich um und wollte die andere Treppe hinabsteigen. Da vernahm sie plötzlich ein Schluchzen.
»Wer ist da?«, fragte sie.
Obwohl es bereits dämmerte, hatte bisher niemand die Fackeln in den Gängen entzündet.
Das Schluchzen erstarb, und sie hörte ein Geräusch, als schleiche jemand die Treppe hinab. Pandolfina eilte hinterher und entdeckte eine sich zusammenkauernde Gestalt. Es war ein Mädchen, offensichtlich ein Dienstbote, und nur wenig jünger als sie. Da Pandolfina die meisten Bewohner der Burg kannte, konnte die Kleine erst kürzlich unter die Mägde aufgenommen worden sein.
»Wer bist du?«, fragte sie streng.
»Ich … ich bin Cita«, klang es zaghaft zurück.
»Was machst du auf der Burg?«
»Ich … ich rupfe die Hühner und die Gänse.«
»Aber gewiss nicht hier auf der Treppe! Außerdem hast du geweint!«
Pandolfina schob das Mädchen in Richtung eines Lichtscheins, der aus einer offenen Tür drang, und schluckte. Citas Gesicht war geschwollen, ein Auge war blau, und unter ihrer Nase klebte eingetrocknetes Blut.
»Bist du geschlagen worden?«, fragte Pandolfina.
Cita nickte schweigend.
»Dann musst du ja einiges angestellt haben«, fuhr Pandolfina verwundert fort.
Nun schüttelte Cita mit schmerzverzerrter Miene den Kopf.
»Nein? Warum hat man dich dann verprügelt?«, fragte Pandolfina misstrauisch.
»Es war Pepito, der Koch! Er war böse, weil ich Herrn Richard gesagt habe, was ich gesehen habe. Es ist wahr, dass der hochwürdige Vater Mauricio heute Vormittag den Nordhang des Burgbergs hinabgestiegen ist.«
»Deswegen hat er dich blutig geschlagen?« Pandolfina konnte es nicht glauben und sagte sich, dass Cita etwas angestellt haben musste. Trotzdem empfand sie es ungerecht, ein Kind so zu verprügeln. Zwei oder drei Stockhiebe auf das Hinterteil hätten als Strafe gereicht.
Das Mitleid überwog, und sie forderte die Magd auf, mit ihr zu kommen. »Ich wasche dir das Gesicht und trage eine Salbe auf, damit es nicht weiter anschwillt!«
»Aber … Pepito sieht das gewiss nicht gerne!«, wehrte Cita ab.
»Er ist der Koch, und ich bin die Tochter des Grafen. Wir werden sehen, wessen Wort mehr gilt«, erklärte Pandolfina aufgebracht.
Ohne weiter auf Citas Protest einzugehen, zerrte sie das Mädchen in ihre Kammer. Dort stand eine Schüssel mit frischem Wasser, welches eigentlich für sie gedacht war, doch das kümmerte Pandolfina nicht. Sie tauchte ein sauberes Tuch hinein und begann behutsam, Citas Gesicht zu waschen. Die Kleine zuckte zusammen, als sie die geschwollenen Stellen berührte, und versuchte, Pandolfinas Hände wegzuschieben.
»Lass das!«, tadelte diese sie. »Wenn ich dein Gesicht nicht behandle, sieht es morgen wie eine blau-grün gescheckte Melone aus.«
»Kannst du das überhaupt?«, fragte Cita, die wenig Vertrauen in die medizinischen Fähigkeiten der Grafentochter setzte.
Pandolfina war beim Tod ihrer Mutter zwar erst zwölf Jahre alt gewesen, hatte aber bis dahin vieles von ihr gelernt. Daher kannte sie die Heilpflanzen dieser Gegend und konnte aus ihnen wirksame Salben und Säfte zubereiten. Ihr Vater hatte bereits erklärt, dass sie, wenn sie nicht von Adel wäre, eine ausgezeichnete Hebamme oder Heilerin abgeben würde.
Und doch habe ich ihn nicht retten können!, sagte sie sich, und der Kummer durchfuhr sie wie ein scharfer Stich. Zwar hatte ihre Mutter gesagt, es gäbe Krankheiten, gegen die kein Kraut gewachsen sei. Dennoch schossen Pandolfina Tränen in die Augen, und sie wischte sie mit den Ärmeln ab.
»Weinst du wegen dem Tod des Herrn?«, fragte Cita. »Er war dein Vater, nicht wahr?«
Noch hatte niemand dem Mädchen beigebracht, dass es Pandolfina ehrerbietig anzusprechen hatte. Diese dachte auch nicht daran, Cita zu korrigieren, sondern legte das Tuch beiseite, holte eine Salbe und trug diese dünn auf das Gesicht der kleinen Magd auf. Es brannte ein wenig, doch Cita wagte nicht mehr, sich dagegen zu sträuben.
Als das Mädchen versorgt war, überlegte Pandolfina, sie wegzuschicken und in die Kapelle zurückzukehren. Aber um zu verhindern, dass der Koch Cita erneut schlug, forderte sie die Kleine auf, mit ihr in die Küche zu kommen.
Auf dem Weg dorthin trafen sie auf Richard, der eben einen Knecht ausschalt, weil die Fackeln in den Gängen noch nicht brannten. Verwundert sah der Verwalter sie an.
»Ist etwas geschehen?«
»Der Koch hat Cita übel geschlagen«, erklärte Pandolfina.
Jetzt sah Richard das angeschwollene Gesicht und die dunkle Färbung um das Auge ebenfalls und fluchte. »Dieser elende Hund! Ihm gebühren Prügel, bis er genauso aussieht wie die Kleine.«
»Ich wollte ihn eben zurechtweisen!« Pandolfina ging weiter, doch Richards Antwort hielt sie nach zwei Schritten auf.
»Das übernehme ich! Geht Ihr nur ruhig wieder in die Kapelle, um für Euren Vater zu beten. Habt Ihr heute überhaupt schon etwas gegessen?«
»Nein! Ich bringe auch nichts hinunter.«
»Essen solltet Ihr aber! Oder wollt Ihr morgen ohnmächtig neben dem Grab Eures Vaters zusammensinken?«
»Nein, ich …«
»Dann kehrt in Eure Gemächer zurück! Ich lasse Euch etwas hochbringen. Und du kommst jetzt mit mir!« Damit ergriff Richard Citas Hand und zog sie hinter sich her.
Die Kleine war zunächst erschrocken, weil der allgewaltige Verwalter sich ihrer annahm, sah ihn dann aber neugierig an. »Warum sagst du Ihr und Euch zu Pandolfina? Sie ist doch nur eine und nicht mehrere!«
»So spricht man die vornehmen Leute an«, erklärte ihr Richard. »Das solltest du dir merken, sonst bekommst du noch mehr Schläge.«
»Bist du auch ein vornehmes Leut?«, fragte Cita weiter.
»Nicht ganz so vornehm, wie Graf Gauthier es war oder Contessa Pandolfina es ist, aber ein wenig schon«, antwortete Richard.
Die Kleine erschrak. »Dann müsste ich dich ja auch mit Ihr und Euch anreden?«
»Richtig wäre es, vor allem, wenn andere dabei sind. Halt! Keine Angst, du bekommst deswegen keine Schläge«, rief Richard, als Cita sich von ihm losreißen und davonrennen wollte.
»Wirklich nicht?«, fragte sie und hielt inne. »Versprochen?«
»Versprochen!«, antwortete Richard mit zuckenden Mundwinkeln.
Wäre die Trauer um seinen Herrn nicht gewesen, hätte er wahrscheinlich gelacht, denn die Kleine war einfach köstlich. Als sie in die Küche traten, fanden sie den Koch und dessen Gehilfen in einer Ecke versammelt, wo sie sich aufgeregt unterhielten.
»… sage ich euch, dass sich hier etwas ändern wird. Wir brauchen einen einheimischen Edelmann als Herrn und keinen Sizilianer!«, sagte der Koch eben.
»Graf Gauthier war ein Normanne und damit ein richtiger Ausländer. Und was dessen Bluthund Richard betrifft …«
»… so versetzt dieser dir jetzt ein paar kräftige Maulschellen!«, unterbrach Richard den Sprecher und setzte seine Ankündigung sofort in die Tat um. Da nun auch der Koch selbst eine heftige Beleidigung vom Stapel ließ, verpasste der Verwalter diesem ebenfalls zwei Hiebe, die Pepito gegen die Wand prallen ließen.
Die Kleine klatschte vor Begeisterung in die Hände, denn die beiden Männer hatten sie am schlechtesten behandelt.
Nachdem Richard dem Koch und dessen zweitem Gehilfen weitere Schläge angedroht hatte, falls sie nicht endlich das Maul hielten, baute er sich vor ihnen auf. »Solche Reden will ich hier nicht mehr hören, verstanden? Graf Gauthier wurde von König Friedrich als euer Lehnsherr eingesetzt, und ihr habt nicht schlecht über ihn zu reden. Und jetzt zu Cita! Wenn ihr sie noch einmal verprügelt, werde ich dafür sorgen, dass ihr wochenlang nicht sitzen könnt!«
Nach dieser Drohung drehte Richard sich um und ging.
Der erste Gehilfe des Kochs hielt sich den schmerzenden Kopf, wartete, bis auch Cita verschwunden war, und ballte dann die Fäuste. »Das hat dieser Hund nicht umsonst getan. Das schwöre ich euch!«
»Morgen sieht die Welt schon ganz anders aus! Das wird auch der hohe Herr Verwalter erkennen müssen«, erklärte der Koch und streichelte den Griff des langen Messers, das neben ihm auf dem Tisch lag.
Als Pandolfina in die Kapelle zurückkehrte, war Pater Mauricio dort und drehte sich mit strengem Blick zu ihr um. »Wo bist du gewesen? Du solltest hier für die Seele deines Vaters beten! Es wird ihm schwer genug fallen, ins Himmelreich zu gelangen, hat er doch anstelle einer christlichen Dame eine heidnische Sarazenin zum Weib genommen.«
»Meine Mutter war Christin!«, antwortete Pandolfina empört.
Ihre Mutter und der Pater waren nicht gut miteinander ausgekommen, und nur deren Tod hatte verhindert, dass ihr Vater den Priester fortschickte. Nun bedauerte Pandolfina, dass dies nicht geschehen war.
»Wo seid Ihr übrigens gewesen, hochwürdiger Vater? Ich habe Euch den ganzen Tag vermisst! Dabei habt Ihr eben selbst gesagt, dass es viele Gebete kosten wird, meinem Vater, Eurem Herrn, die Tore des Himmels zu öffnen.«
Noch nie war Pandolfina dem Pater so in die Parade gefahren. Sie bemerkte, dass er etwas sagen wollte, es aber im letzten Augenblick herunterschluckte.
»Ich wurde zu einer Sterbenden gerufen. Das war eine heilige Pflicht«, antwortete er stattdessen und erhob sich, um auf sie hinabsehen zu können. »Du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Warum hast du nicht an der Bahre deines Vaters gebetet?«
»Im Gegensatz zu Euch habe ich das getan und war nur kurz weg, um mir einen Umhang zu holen, da mir kalt geworden ist. Und noch etwas! Ich will von Euch nie mehr ein schlechtes Wort über meinen Vater und meine Mutter hören!«
Der Pater sah Pandolfina durchdringend an. »Du glaubst wohl, nach dem Tod deines Vaters die Herrin hier zu sein. Doch das entscheiden andere, merke dir das! Und nun knie nieder und bete für deinen Vater, auf dass er ins Himmelreich komme.«
Da es Pandolfinas innigster Wunsch war, dem Vater das Fegefeuer zu ersparen, kniete sie neben dem Sarg nieder und sprach ihre Gebete. Doch schon bald forderten Trauer und Müdigkeit ihren Tribut, und sie bekam nicht mit, dass der Pater sie mit einem höhnischen Gesichtsausdruck maß und dann die Kapelle verließ.
Einmal nickte Pandolfina sogar ein und schlug mit der Stirn gegen den Sarg. Erschrocken fuhr sie auf, blickte sich um und bemerkte das erneute Fehlen des Paters. Er hatte sich doch nicht etwa schlafen gelegt, obwohl die Totenwache bei ihrem Vater das Wichtigste war, das es hier gab?
Als im Osten der erste Schein des nahenden Tages aufglomm, betete Pandolfina immer noch. Sie musste sich jedoch zwingen, sich auf die heiligen Texte zu konzentrieren. Es störte sie, dass der Pater bisher nicht zurückgekehrt war, und sie beschloss, ein ernstes Wort mit Richard zu sprechen. Als Stellvertreter ihres Vaters war es an ihm, den pflichtvergessenen Geistlichen zurechtzuweisen.
»Am besten wäre es, wenn der Mann die Burg verließe«, unterbrach Pandolfina ihr Paternoster.
Da wurde es draußen laut. Richard stürmte herein, das Gesicht rot vor Zorn. »Verrat!«, schrie er. »Der Herr liegt noch nicht einmal in seiner Gruft, da erscheint dieser elende di Cudi und fordert, wir sollen ihm die Burg übergeben.«
»Sagt ihm, er soll sich zum Teufel scheren!«, antwortete Pandolfina aufgebracht.
»Das habe ich schon! Aber er hat mehr als hundert Söldner bei sich und droht, uns zu belagern, wenn wir uns nicht ergeben.« Richard wirkte hilflos, denn die Burgbesatzung betrug nur wenig mehr als zwanzig Mann. »Dieser Lumpenhund muss die Söldner bereits angeworben haben, als er von der Erkrankung Eures Vaters erfahren hat, und jetzt will er dessen Tod ausnützen, um die Burg in seinen Besitz zu bringen«, fügte er etwas ruhiger hinzu.
»Woher kann er von seinem Tod erfahren haben? Vater ist doch erst gestern Vormittag gestorben!«, rief Pandolfina. Sie dachte jedoch nicht weiter darüber nach, sondern folgte Richard aus der Kapelle und stieg mit ihm zusammen auf die Wehrmauer.
Silvio di Cudi und zehn seiner Männer waren bis auf zwanzig Schritte auf das geschlossene Tor zugeritten. Weiter unten im Tal entdeckte Pandolfina einen Trupp Söldner, der das nächstgelegene Dorf besetzte.
»Seht Ihr, wie dreist er auf seinem Gaul sitzt?«, fragte Richard Pandolfina leise. »Er glaubt, er hätte die Burg bereits in der Hand! Aber ich werde sie ihm nicht ohne Kampf überlassen, und wenn der letzte Stallknecht mit seiner Gabel und der Koch und seine Gehilfen mit ihren Messern kämpfen müssen.«
»Selbst dann könnt Ihr die Burg nicht halten!« Pater Mauricio war unversehens auf der Mauer erschienen und blickte nach draußen. »Jeder Widerstand würde nur unnützes Blutvergießen bedeuten! Lasst uns besser mit di Cudi verhandeln.«
»Dann sprecht Ihr mit ihm! Ich wechsle kein Wort mit diesem Lumpenhund.« Richard wusste selbst, dass es schwer werden würde, sich mit seiner Schar gegen die Truppen des Nachbarn zu halten. Auch haderte er mit sich selbst, weil er nicht mit einem Angriff von di Cudi gerechnet hatte.
Unterdessen trat der Pater noch einen Schritt vor und hob die Hand. »Ich grüße Euch, Conte di Cudi!«
»Baron«, murmelte Richard, wusste aber selbst, dass ihnen im Augenblick Höflichkeit mehr helfen konnte als derbes Lospoltern.
»Was ist Euer Begehr?«, fuhr Pater Mauricio an den Nachbarn gewandt fort.
Di Cudi, ein mittelgroßer, breit gebauter Mann in einer rot gefärbten Rüstung, beugte sich leicht vor. »Seine Heiligkeit, Papst Honorius III., mein Lehnsherr und auch der Lehnsherr Federicos von Sizilien, sind sehr erzürnt über diesen. Federico de Suevia verweigert Seiner Heiligkeit den Gehorsam, der ihm als Stellvertreter Christi und Lehnsherr des Königreichs Sizilien und des Herzogtums Apulien zusteht. Auch hat Federico sich der Pflicht, das Kreuz zu nehmen und Jerusalem zu befreien, zu lange mit lächerlichen Ausreden entzogen. Aus diesen und vielen anderen Gründen mehr hat Seine Heiligkeit entschieden, Federico der Lehen Sizilien und Apulien verlustig zu erklären. Ich stehe hier im Namen Seiner Heiligkeit, um diese Burg zu übernehmen.«
»Das ist doch alles gelogen!«, entfuhr es Pandolfina.
Der Pater wiegte scheinbar unschlüssig den Kopf. »Es heißt tatsächlich, Seine Heiligkeit wäre empört über König Federico, weil es diesem am Willen zu mangeln scheint, den beschworenen Kreuzzug durchzuführen.«
»Trotzdem kann er diese Burg nicht einfach einem seiner Speichellecker übergeben. Nach Recht und Gesetz ist Pandolfina de Montecuore die Erbin ihres Vaters, bis es vom König anders entschieden wird. Sagt das diesem … äh, di Cudi!« Richard verschluckte das Schimpfwort, das ihm auf der Zunge lag, da er dem Mönch zutraute, es an den Nachbarn weiterzutragen.
Silvio di Cudi hörte Pater Mauricio zu und hob in einer beschwichtigenden Geste die rechte Hand. »Seiner Heiligkeit liegt das Schicksal von Pandolfina de Montecuore mehr am Herzen als sein eigenes. Aus diesem Grund wird er sie unter seinen Schutz nehmen, damit ihr das Erbe ihres verstorbenen Vaters erhalten bleibt.«
»Er weiß tatsächlich, dass Vater tot ist«, flüsterte Pandolfina.
Di Cudi war jedoch noch nicht fertig. »Weiter ist es der Wille Seiner Heiligkeit, Pandolfina de Montecuore mit einem Ritter seiner Wahl zu vermählen, der ihr Erbe für sie und Seine Heiligkeit zu verteidigen weiß.«
Noch während er sprach, nahm di Cudis Miene einen triumphierenden Zug an. »Da ich der Nachbar dieses Lehens und zudem seit einem Jahr verwitwet bin, hat Seine Heiligkeit mir die Ehre angetragen, sein Mündel Pandolfina de Montecuore zum ehelichen Weibe zu nehmen.«
»Wenn ich das Mündel eines Mannes bin, dann das von König Friedrich!«, stieß Pandolfina erregt hervor. Sie ärgerte sich nicht nur über die Anmaßung dieses Mannes, sondern auch darüber, dass er den Namen Montcœur in der Form aussprach, wie es die hiesigen Bauern taten.
»König Friedrich ist der Lehensmann des Papstes und diesem daher untergeordnet«, wandte Pater Mauricio ein.
»Trotzdem übergebe ich die Burg nicht ohne den Befehl Seiner Majestät, des Kaisers und Königs, an diesen päpstlichen Knecht. Sagt ihm das!« Richard war so wütend, dass er, als Pater Mauricio fertig war, di Cudi eine Herausforderung zum Zweikampf zurief.
»Dies wäre gegen jede Ehre, denn Euer Herr liegt noch im Sarg aufgebahrt. Erst wenn er bestattet ist und einige Tage der Trauer vergangen sind, könnte ein Zweikampf stattfinden«, wandte der Pater ein.
»So ist es!«, stimmte di Cudi ihm zu. Er hielt sich zwar nicht für feige, aber der Normanne war einen halben Kopf größer als er und galt als ausgezeichneter Kämpfer.
»Ihr habt die Wahl! Öffnet die Tore der Burg, oder wir werden sie aufbrechen!«, drohte di Cudi, zog sein Pferd herum und ritt ins Dorf hinunter. Dort zwangen seine Männer gerade die Bauern, Leitern für sie anzufertigen.
»Der Lumpenhund meint es ernst!«, sagte Richard zu Pandolfina. »Es wird nicht leicht sein, ihn abzuwehren.«
»Sagte di Cudi tatsächlich, dass ich ihn heiraten soll?«, fragte Pandolfina entsetzt.
Mit ihren vierzehn Jahren war sie zwar in einem Alter, in dem adelige Mädchen oft verheiratet wurden, doch bislang hatte ihr Vater alle Anfragen mit dem Argument beantwortet, dass sie dafür noch ein wenig wachsen und älter werden müsse.
»Das sagte er«, erklärte Richard düster, während Pater Mauricio sich in Schweigen hüllte.
»Aber ich will ihn nicht! Er ist fast fünfzig und hat Söhne und Töchter, die älter sind als ich!«, rief Pandolfina empört.
»Wenn es der Wille Seiner Heiligkeit, des Papstes ist …«, begann Pater Mauricio, wurde aber von Pandolfina heftig unterbrochen.
»Ich glaube nicht, dass Seine Heiligkeit davon weiß! Das hat di Cudi sich selbst ausgedacht.«
»Wenn die Ehe vollzogen wird, ist sie gültig, und nur der Papst könnte sie wieder lösen. Doch der wird das mit Gewissheit nicht tun!« Richard bleckte die Zähne und musterte Pandolfina. »Wenn es Silvio di Cudi gelingt, sich Eurer zu bemächtigen, kann auch König Friedrich ihn nicht daran hindern, sich diese Burg unter den Nagel zu reißen.«
»Ich werde ihn niemals heiraten!« Pandolfina schüttelte sich.
»Ihr solltet auf keinen Fall in der Burg bleiben! Noch kann di Cudi sie nicht völlig umschließen.«
»Ich soll davonlaufen?«, fragte Pandolfina erschrocken, denn dies bedeutete, ihren toten Vater wie auch die Burgbewohner im Stich zu lassen.
Richard nickte mit verkniffener Miene. »Es ist die einzige Möglichkeit! Selbst wenn di Cudi die Burg erobert, hätte er damit nicht viel gewonnen. König Friedrich könnte umgehend ein Heer aufstellen, um ihn wieder zu vertreiben. Seid Ihr aber in di Cudis Hand, kann dieser sich auf das Recht der Erbfolge berufen, und der Papst wird ihn nach Kräften unterstützen.«
»Du solltest tatsächlich die Burg verlassen! Es wird aber nicht leicht sein, denn di Cudis Männer halten die Tore und Pforten unter Beobachtung«, warf Pater Mauricio ein, der bisher noch nie mit dem Verwalter einer Meinung gewesen war.
»Contessa Pandolfina muss nicht zum Tor hinaus. Es gibt einen geheimen Gang bis zum Fuß des Burgbergs. Zudem stehen im Stall des Bauern Renzo mehrere ausgezeichnete Pferde. Er gehörte früher zu Graf Gauthiers Fähnlein, bevor eine Verletzung ihn zwang, sich niederzulassen. Seine Treue ist erprobt, und er wird alles tun, damit Contessa Pandolfina heil zum König gelangt.«
»Pandolfina kann nicht allein mit einem Bauern bei König Friedrich erscheinen«, wandte der Pater ein.
»Nein, da habt Ihr recht.« Richard überlegte kurz und wies dann auf den Pater.
»Ihr werdet die Contessa begleiten, hochwürdiger Vater. Man kennt Euch an König Friedrichs Hof, und Ihr könnt dort viel für uns erreichen.«
»Ich werde es tun«, antwortete Pater Mauricio mit einem eigenartigen Glitzern in den Augen und legte Pandolfina die Hand auf die Schulter. »Komm, Kind! Richte dich für die Reise. Richard soll uns den Eingang zum Geheimgang zeigen.«
»Ich warte in der Kapelle auf Euch! Beeilt Euch, denn ich muss die Männer unter Waffen bringen. Di Cudis erster Angriff wird nicht lange auf sich warten lassen.« Mit diesen Worten wandte Richard sich ab und ging.
Pandolfina verließ ebenfalls die Wehrmauer und eilte in ihre Gemächer. Viel konnte sie nicht mitnehmen, nur ein Ersatzkleid, ihren warmen Umhang und ihre Arzneien. Ihr Vater hatte sie bereits in mildem Spott seine Dottoressa genannt, da sie wie ihre Mutter heilende Pflanzen gesammelt und Salben und Säfte aus ihnen bereitet hatte.
Im letzten Moment fiel ihr ein, dass die Lehensurkunden ihres Vaters und andere wichtige Papiere ebenfalls gerettet werden mussten, und ging zu dessen Gemächern. Die Urkunden befanden sich in einer eisenbeschlagenen Truhe, doch Pandolfina kannte das Versteck des Schlüssels. Sie öffnete die Truhe und steckte die Ledertasche mit allen wichtigen Pergamenten unter ihr Kleid. Danach verschloss sie die Truhe wieder, nahm aber den Schlüssel mit.
Richard und Pater Mauricio warteten bereits auf sie. Zu ihrer Verwunderung hatte der Geistliche sich weder mit wärmerer Kleidung versorgt noch ein Bündel mit seinen Sachen mitgenommen. Ihr blieb jedoch nicht die Zeit, ihn darauf hinzuweisen, denn Richard trat vor den Altar, bückte sich und drückte gegen eine der Schnitzereien. Sofort schwang ein Teil der Altarverkleidung nach innen.
»Hier ist der Eingang«, erklärte der Verwalter. »Graf Gauthier war der Ansicht, dass die Kapelle der letzte Raum sei, in dem sich die Burgbewohner bei einer drohenden Niederlage versammeln würden. Daher hat er den Geheimgang von hier aus graben lassen. Geht jetzt! Möge der Heiland mit Euch sein.«
»Möge er auch mit dir und den anderen sein, Richard!« Pandolfina kämpfte mit den Tränen, wischte sie dann aber resolut aus den Augen und stieg durch die Öffnung.
»Wir brauchen Licht!«, wandte der Pater ein.
Richard wies auf die Kerzen, die am Kopfende von Graf Gauthiers Sarg brannten. »Daran herrscht hier kein Mangel. Auch deshalb ist die Kapelle ein guter Ort für einen Geheimgang.« Er reichte Pater Mauricio zwei Kerzen, zog dann sein Schwert und verbeugte sich vor seinem toten Herrn.
»Wir werden es di Cudi nicht leichtmachen, das verspreche ich Euch!« Nach diesen Worten eilte er hinaus, um die Verteidigung zu organisieren. Als Pandolfina eine Kerze an sich nahm und damit in den Geheimgang hineinleuchtete, hörte sie, wie er draußen mit lauter Stimme Befehle erteilte.
Da der Fuß des Burgbergs ein ganzes Stück tiefer lag als die Festung, führte der Gang zumeist in Stufen nach unten. Die Luft war so modrig, dass Pandolfina glaubte, ersticken zu müssen. Ihre Kerze flackerte im steten Windzug, und so musste sie die Flamme mit der anderen Hand schützen.
»Wie weit mag die Treppe noch reichen?«, fragte sie Pater Mauricio, als sie ihrem Gefühl nach bereits unendlich weit in die Tiefe gestiegen war.
»Bis zum Ausgang wahrscheinlich, sonst hätte Riccardo uns nicht hierhergeschickt.« Wie die meisten in der Burg, die aus diesen Landen stammten, bezeichnete er Richard im Gespräch mit dem hier gebräuchlichen Namen.
Dies bei dem Normannen selbst zu tun, unterließen die Bewohner jedoch, denn der Mann war ebenso stolz auf seine Abstammung, wie Graf Gauthier es gewesen war. Daher hatte der Pater sich anfangs gewundert, weil dieser seiner Tochter keinen normannischen Namen gegeben hatte. Von Pandolfinas früherer Kinderfrau hatte er schließlich erfahren, dass Gauthiers sarazenische Frau dagegen gewesen war und sie sich auf einen in Italien gebräuchlichen Namen geeinigt hatten.
Bei dem Gedanken verzog er spöttisch das Gesicht. Graf Gauthier hatte nicht nur eine Frau geheiratet, die unter ihrer christlichen Tünche eine verstockte Heidin geblieben war, sondern sich auch nicht gegen dieses Weib durchgesetzt. Da war es kein Wunder, dass Gott ihn verworfen und mit gerade einmal siebenunddreißig Jahren von dieser Welt geholt hatte.
Unterdessen lief Pandolfina immer schneller die Stufen hinab, so als wolle sie diesen ihr unheimlichen Gang so rasch wie möglich hinter sich bringen.
»Du solltest auf mich warten! Nicht dass du den richtigen Ausgang übersiehst und bis in die Hölle hinabsteigst. Es könnte ja sein, dass die teuflischen Mächte in ihrer Hinterlist die Treppe verlängert haben«, rief er ihr nach.
Pandolfina blieb wie angewurzelt stehen und setzte sich erst wieder in Bewegung, als Pater Mauricio zu ihr aufgeschlossen hatte. Kurz darauf atmete sie erleichtert auf. »Das dort muss der Ausgang sein, denn der Gang führt nicht weiter.«
»Gedankt sei unserem Herrn im Himmel, seinem eingeborenen Sohn und dem Heiligen Geist samt der Jungfrau Maria und allen Heiligen unser allein selig machenden Kirche!« Pater Mauricio schlug das Kreuz, hielt Pandolfina jedoch auf.
»Ich werde vorgehen und die Pferde holen. Es ist zu gefährlich, wenn du dich sehen lässt. Wenn nur einer von di Cudis Männern Verdacht schöpft, haben wir die Verfolger schneller am Hals, als uns lieb sein kann.«
Pandolfina ließ den Pater an sich vorbeigehen und sah zu, wie dieser das Schloss, für das man normalerweise einen Schlüssel benötigte, irgendwie mit der Hand öffnete und die Tür aufstieß. Dahinter war es stockdunkel.
Einen Augenblick wirkte der Geistliche verwirrt, dann aber lachte er erleichtert auf. »Das muss das Jagdhaus an der Südseite sein. Dein Vater hat es errichten lassen, um während der Zeit der Jagd nicht andauernd den Burgberg hochreiten zu müssen. Die Fensterläden wurden nur während dieser Tage geöffnet. Dennoch solltest du im Gang bleiben! Es könnte sein, dass einer von di Cudis Leuten auf den Gedanken kommt, hier hineinzuschauen. Ich werde nicht lange wegbleiben.«
Pandolfina nickte erneut, obwohl der Pater es nicht sehen konnte. Es tat ihr gut, dass er sich so um ihre Sicherheit sorgte. Wahrscheinlich wollte er damit vergessen machen, dass er sich auf der Burgmauer beinahe wie ein Fürsprecher von Silvio di Cudi benommen hatte. Pandolfina verzieh es ihm, denn es musste auch für ihn erschreckend gewesen sein, den gefürchteten Nachbarn so überraschend mit voller Heeresmacht vor der Burg zu sehen.
Der Pater ging zur Tür, öffnete auch hier das Schloss ohne einen Schlüssel und blies die Kerze aus. Dann drückte er die Tür auf und trat ins Freie.
Für Pandolfina hieß es nun warten. Sie überlegte, wie lange Pater Mauricio bis zu Renzos Hof brauchen würde. Der Weg dorthin war nicht weit, und so hoffte sie, nicht allzu lange hier allein bleiben zu müssen. Die Zeit dehnte sich jedoch, und sie machte sich mehr und mehr Sorgen. Immer wieder schalt sie sich wegen ihrer Ungeduld und sagte sich, dass Pater Mauricio Renzo ja erst erklären musste, was geschehen war. Außerdem dauerte es einige Zeit, bis die Pferde gesattelt waren, und auf dem Rückweg mussten der Pater und Renzo darauf achten, nicht von di Cudis Leuten entdeckt zu werden. Daher richtete Pandolfina sich darauf ein, schlimmstenfalls bis in die Nacht hinein ausharren zu müssen.
Gerade als sie sich entschlossen hatte, Geduld zu üben, lief ihr etwas Pelziges über die Füße. Sie zuckte zurück, trat dann danach und vernahm ein wütendes Fiepen. Pandolfina hasste Ratten nicht nur, weil diese die Vorräte in Kellern und Scheuern wegfraßen, sondern auch, weil sie das, was sie noch übrig ließen, mit ihrem Kot und Urin ungenießbar machten. Mit ihrer Kerze leuchtete sie die Umgebung aus, sah aber nur zuckende Schatten, bei denen ihr die Phantasie vorgaukelte, es liefen Dutzende dieser gefräßigen Ungeheuer um sie herum.
Als die Vordertür des Jagdhauses geöffnet wurde, atmete sie erleichtert auf. Gegen den Schein des hellen Tages sah sie Pater Mauricio. Hinter diesem stand ein Mann, der nur Renzo sein konnte, der frühere Gefolgsmann ihres Vaters.
»Du kannst herauskommen!«, rief der Mönch. »Es ist alles bereit!«
»Der Heiligen Jungfrau sei Dank!«
Froh, der unterirdischen Treppe mit ihren Ratten zu entkommen, eilte Pandolfina auf Pater Mauricio zu. Doch als sie ins Freie trat, prallte sie erschrocken zurück. Vor ihr standen mehrere Dutzend Söldner von di Cudi und zwischen ihnen der Nachbar selbst. Er hatte seinen Helm abgenommen, so dass ihm das ergraute Haar wirr ins Gesicht fiel.
Gerade schob er eine Strähne beiseite und glotzte Pandolfina gierig an. »Sie ist zwar noch ein bisschen mager, aber es wird mir gefallen, sie in mein Bett zu nehmen. Vorher aber werden wir uns die Burg holen. Ihr, ehrwürdiger Vater, bleibt mit meiner Braut und fünf Wachen zurück. Der Rest kommt mit mir!«
Voller Wut drehte Pandolfina sich zu Pater Mauricio um. »Ihr habt mich verraten!«
»Was ich tat, geschah nur zu deinem Besten«, antwortete dieser salbungsvoll.
Im nächsten Augenblick klatschte Pandolfinas Hand mit aller Kraft gegen seine Wange. »Ihr seid ein Schwein! Eine Ratte! Ihr gehört in die Hölle, wo Euch die Unterteufel des Satans jeden Tag quälen sollen, bis Euer Schreien selbst noch in der Welt der Lebenden zu hören ist.«
»Die Kleine hat Temperament!«, rief Silvio di Cudi lachend.
»Sie gehört gezüchtigt, bis sie sich am Boden windet und jedem die Füße küsst, der es von ihr verlangt!« Pater Mauricio holte aus, um Pandolfina zu schlagen, doch di Cudi hielt seinen Arm fest.
»Vergesst nicht, wen Ihr vor Euch habt! Meine Braut ist eine Erbin aus edelstem Blut. Wenn sie gezüchtigt wird, so nur durch mich.«
Pandolfina hätte lieber die Schläge des Paters in Kauf genommen, als di Cudi dankbar sein zu müssen, dass er sie vor ihnen bewahrte. Als der Baron mit seinen Männern in den Geheimgang eindrang, überlegte sie verzweifelt, wie sie Richard und dessen Männer warnen konnte. Ohne sich lange zu besinnen, stieß sie einen gellenden Schrei aus.
»Verrat! Achtet auf …« Zu mehr kam sie nicht, denn der Geistliche packte sie und hielt ihr den Mund zu. Sie biss zu, traf aber nur die eigene Lippe und spürte, wie es ihr warm über das Kinn rann.
Pater Mauricio bemerkte das Blut und grinste höhnisch. »Das geschieht dir recht! Was sträubst du dich gegen das, was das Schicksal für dich bestimmt hat? Graf Silvio ist ein treuer Gefolgsmann Seiner Heiligkeit Honorius’ III. Daher wird deine Ehe mit ihm von Gott gesegnet sein.«
Eher vom Teufel, durchfuhr es Pandolfina. Sagen konnte sie nichts, da der Geistliche ihr weiterhin die Hand auf den Mund presste. Mit dem anderen Arm riss er ihr das Bündel von der Schulter, ließ es fallen und drückte ihr die Arme so gegen den Leib, dass sie kaum noch Luft bekam. Sie war gefangen und musste hilflos mit ansehen, was um sie herum geschah.
Nachdem er Pandolfina und Pater Mauricio verlassen hatte, kehrte Richard auf die Wehrmauer zurück und beobachtete di Cudis Gefolgschaft. Eigentlich hätte Graf Gauthier an diesem Tag zu Grabe getragen werden sollen, aber daran dachte in dieser Situation niemand mehr. Richard wollte die Feinde zählen, doch diese wechselten immer wieder ihre Plätze, um die Belagerten zu täuschen. Einige schleppten Leitern heran, ließen sie aber auf halber Höhe des Burgbergs liegen, andere brüllten unten im Dorf seine Leute an, gefälligst schneller zu arbeiten. Zwar hatte Richard in Graf Gauthiers Diensten bereits an etlichen Kriegszügen und Belagerungen teilgenommen, konnte sich aber keinen Reim auf die Aktionen der Feinde machen. Kaum dachte er, sie würden gleich mit gesamter Mannschaft gegen die Burg vorrücken, kehrte im nächsten Augenblick ein Teil der Söldner ins Dorf zurück, und der Rest blieb außerhalb jeder Bogenreichweite stehen.
»Jetzt wäre es gut, wenn es jemanden gäbe, der mir raten könnte«, murmelte Richard. Seine zwanzig Krieger waren schlichte Männer, die auf ihre Befehle warteten, und die Knechte, denen er Spieße und andere Waffen in die Hand hatte drücken lassen, verstanden gleich gar nichts vom Krieg. Richard seufzte und beobachtete weiter den Feind. Dabei suchte er nach di Cudi, entdeckte ihn jedoch nirgends.
»Wie lange müssen wir uns noch die Beine in den Bauch stehen?«, schimpfte ein Mann neben ihm.
Richard drehte sich um und sah den Koch Pepito mit einem langen Messer in der Hand. Dessen Stellvertreter stand unweit von ihm und war mit einer Fleischeraxt bewaffnet.
»Wir bleiben so lange, wie es nötig ist«, antwortete Richard.
»Ich meine ja nur! Die Leute brauchen auch etwas zu essen.«
Damit hatte der Koch zwar recht, doch Richard wollte wenigstens so lange die Stellung hier oben halten, bis er sicher sein konnte, dass der Feind in den nächsten Stunden keinen Angriff unternahm. »Sie werden schon nicht verhungern«, erklärte er daher und starrte wieder ins Dorf hinab.