Christoph Thomann • Barbara Kramer (Hg.)
Klärungshilfe konkret
Konfliktklärung im privaten, beruflichen und öffentlichen Bereich
Rowohlt Digitalbuch
Dr. Christoph Thomann, Jahrgang 1950, Studium der Psychologie in Fribourg (Schweiz) und Hamburg. Seit 1978 führt er eine psychologische Klärungshilfe-Praxis in Bern für Konflikte im privaten, beruflichen und organisatorischen Bereich. Arbeitsschwerpunkt: Klärungshilfe bei gestörter Zusammenarbeit und bei Ehe-Konflikten (Kompaktformat). Er bietet in Zusammenarbeit mit dem Institut für Klärungshilfe (IfK) die Ausbildung zum zertifizierten Klärungshelfer an. Außerdem leitet er Weiterbildungsseminare in Klärungshilfe. Autor verschiedener Taschenbücher und Fachartikel, Mitglied des Netzwerks «Arbeitskreis Kommunikation und Klärungshilfe» Hamburg.
www.klaerungshilfe.com
Barbara Kramer, Jahrgang 1960, Diplom-Psychologin, arbeitet seit 1998 als selbständige Beraterin in Unternehmen mit dem Arbeitsschwerpunkt Konfliktklärung und Konfliktprophylaxe. Langjährige Erfahrung mit Talent-Management-Prozessen. Weiterbildung in systemischem Coaching am Milton Erickson Institut, Heidelberg, und mit Kommunikationsmodellen am Schulz von Thun Institut, Hamburg. Gehört seit 2002 zum Ausbildungsteam von Dr. Christoph Thomann und ist Gründungsmitglied des Instituts für Klärungshilfe (IfK) in Köln.
www.consulting-kramer.com
Konflikte kann man aussitzen oder eskalieren lassen, man kann vor ihnen davonlaufen oder gute Miene zum bösen Spiel machen. Hilfreich ist das alles nicht. Aber wie geht man professionell mit Konflikten um? Was macht beispielsweise eine Lehrerin mit Schülern, die in einen heftigen Streit verwickelt sind? Oder eine Führungskraft, deren Mitarbeiter nicht miteinander klarkommen? Die Autoren geben einen Einblick in ihre Arbeit als Klärungshelfer, verorten die Klärungshilfe im weiten Feld der Mediation und diskutieren ihre Möglichkeiten und Grenzen. So entstehen aufschlussreiche Werkstattberichte über die Anwendung der Klärungshilfe im beruflichen und privaten Umfeld.
Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, April 2013
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ISBN Buchausgabe 978-3-499-62688-3 (1. Auflage 2013)
ISBN Digitalbuch 978-3-644-49591-3
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ISBN 978-3-644-49591-3
Definition «Konflikte im öffentlichen Bereich»: Konflikte, in denen mindestens eine der zentralen Parteien dem öffentlichen Sektor zuzurechnen ist (im Gegensatz zum privatwirtschaftlichen Sektor). Dies ist meist mit einer höheren Dichte an (öffentlich-rechtlichen) Verfahrensvorschriften und einer anderen Konfliktdynamik verbunden.
Hinweis
Sämtliche Namen von Klienten in den aufgeführten Fallbeispielen wurden anonymisiert und die Umstände verfremdet. Ähnlichkeiten mit realen Personen wären demnach reiner Zufall und nicht beabsichtigt.
In allen Beiträgen wurde mit Blick auf die leichte Lesbarkeit immer die männliche Form gewählt. Wenn beispielsweise also vom Klärungshelfer oder Mediator die Rede ist, sind selbstverständlich auch alle unsere Kolleginnen gemeint.
Was kann man eigentlich mit Konflikten machen, außer sie auszusitzen oder zu explodieren, gute Miene zum Bösen vorzuspielen und innerlich oder tatsächlich davonzulaufen?
Was macht beispielsweise eine Lehrerin mit zwei Schülern, die am Ende der Pause in einem heftigen Streit sind? Richterin sein, Strafen verteilen oder wegschauen, um den Unterrichtsablauf nicht aus dem Takt zu bringen? Oder eine Führungskraft, deren Mitarbeiterin sich über ihren Kollegen – natürlich im Vertrauen – beschwert? In Einzelgesprächen sinnlos Zeit verschwenden? Oder ein Fischer, dessen mühevoll gezüchteter Laich den Fluss runtergespült wird, weil ein Kraftwerksarbeiter die Schleusen voll geöffnet hat? Die Faust in der Tasche ballen oder zur Zeitung und zum Gericht rennen?
Als ich, Christoph Thomann, 1978 meine Praxis eröffnete und mich mit Paaren durch ihre Konflikte «wursteln» musste, hätte ich mir nie träumen lassen, was daraus entsteht. Es gab damals für die Konfliktklärung wenig Vorbilder. Ich musste mir den methodischen Weg selbst bahnen. Der Ansatz entwickelte sich aus meiner praktischen Arbeit heraus, manches ergab sich dabei zufällig und intuitiv. Die Klärungshilfe wäre aber vielleicht ewig in meinem kleinen Rahmen geblieben, wenn nicht Friedemann Schulz von Thun, Christian Prior und Barbara Kramer – alle auf ihre Weise – dazu beigetragen hätten, sie bekannt, lehr- und lernbar zu machen.
Heute, 35 Jahre später, freue ich mich, wie vielfältig und nutzvoll die Klärungshilfe angewendet werden kann, und ich staune, wo und wie meine ehemaligen Schüler und jetzigen Kollegen sie praktizieren (und bin heimlich auch etwas stolz darauf).
Es hat sich in diesen Jahren viel getan: Nachdem die Bücher Klärungshilfe 1 und Klärungshilfe 2 die theoretischen Grundlagen der Methode zum Inhalt hatten und Klärungshilfe 3 einen detaillierten Einblick in die konkrete Bearbeitung eines Falles lieferte, zeigen wir jetzt anhand von Kurzgeschichten, in welchen verschiedenen, zum Teil außergewöhnlichen Konfliktbereichen die Methode angewendet wird. Daraus ist ein Lesebuch entstanden, das sich an den interessierten Laien und den Konfliktexperten zugleich richtet.
Es herrscht vielfach die Ansicht vor, Klärungshilfe funktioniere nur bei innerbetrieblichen Konflikten speziell in den obersten Führungsetagen. Das ist jedoch nicht richtig. Unsere zertifizierten Kollegen klären seit Jahren Konflikte, mit kleinen Veränderungen und Anpassungen, auch in der Schule, im öffentlichen und im sozialen Bereich, in der Arbeit mit behinderten Menschen, in Projekten, die auch im interkulturellen Kontext angesiedelt sind, in der Ehe- und Scheidungsberatung und so weiter. Ein Teil der Beiträge zeigt, wie man Klärungshilfe methodisch an unterschiedliche Situationen anpassen muss, bei anderen ist der Fokus stärker auf die inhaltliche Seite der Konflikte ausgerichtet.
Wie groß die Bandbreite der Anwendungsmöglichkeiten ist, zeigen die Beiträge im ersten Teil des Buches.
Im zweiten Teil, dem Methodenmix, gehen drei Autoren in einer eher systematischen Auseinandersetzung mit dem Thema der Frage nach, ob es Wege gibt, die Klärungshilfe zu kombinieren – mit Mediation, Supervision und Coaching. Sie zeigen anschaulich, wo und wie die verschiedenen Verfahren so zusammengeführt werden können, dass sie sich gegenseitig in optimaler Weise ergänzen, und dass es Grenzen des Machbaren gibt. Schließlich folgen wir im dritten Teil, der «von allem etwas» bietet, dem Blick der Autorin aus drei Perspektiven auf die Klärungshilfe: aus Sicht der Konfliktpartei, der Teilnehmerin an der Ausbildung und der praktizierenden Klärungshelferin.
Wenn man die einzelnen Beiträge liest, könnte man mitunter meinen, das Klären von Konflikten sei normal, einfach und banal: Man höre den beteiligten Konfliktparteien nacheinander zu, kläre dann in Ruhe die strittigen Punkte, und fertig sei die «Klärerei». Die Tücken liegen aber genau da: in der Ruhe, die man nur hat, wenn man sich mit den schwierigen Gefühlen auskennt, die es in Konflikten gibt.
Wer von Klärungshilfe noch nichts weiß, sollte unbedingt zuerst den kurzen Überblick über die Methode lesen, um sich dann in den einzelnen Beiträgen zurechtfinden zu können. Wer hingegen die Klärungshilfe mit ihren sieben Phasen (0 bis 6) kennt, kann direkt hineinspringen in die Fälle.
Quellen all dieser Kurzberichte sind Anfragen per E-Mail und Aufzeichnungen von Gesprächen zur Auftragsklärung, Notizen von Zitaten der Konfliktparteien und ihre Skizzen aus den Sitzungen, Erinnerungsprotokolle, Supervisionsberichte und schriftliche Nachbefragungen. Alle Daten wurden anonymisiert und didaktisch aufbereitet.
Die Klienten und ihre Lebensumstände sind nicht mehr erkennbar, die Beziehungen und Gefühle jedoch authentisch geblieben.
Zum Teil wurden mehrere Fälle für einen Beitrag herangezogen und die konkreten Umstände von Einzelfällen vereinfacht und gekürzt dargestellt. Dies geschah immer mit dem Ziel der besseren Verständlichkeit und des Lerngewinns für den Leser.
Wir waren beide zum ersten Mal Herausgeber. Dass sich Pein und Freude daran die Waage hielten, verdanken wir insbesondere Dagmar Kumbier, die uns als erfahrene Herausgeberin oft mit Rat zur Seite stand.
Unser Dank gilt natürlich auch den Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge und dafür, dass sie unsere Änderungen daran ausgehalten haben und trotzdem alle bis zum Schluss dabeigeblieben sind.
Christoph Thomann
Barbara Kramer
Bern und Köln, Dezember 2012
Barbara Kramer und Christoph Thomann
Klärungshilfe hilft Menschen, mit Konflikten klarzukommen. Sie ist eine professionelle und trotzdem fehlertolerante Methode der Vermittlung zwischen Konfliktparteien. Ihr Ziel ist es, die «Streithähne» wieder so in Kontakt zu bringen, dass ihr Konflikt geklärt werden kann. Dieser Brückenschlag ist die Voraussetzung, um Lösungen zu finden, die menschen-, sach- und situationsgerecht sind. Das größte Hindernis hierbei sind in aller Regel schwierige Gefühle wie Wut, Ärger, Enttäuschung oder Verletztsein. Das Wesentliche der Klärungshilfe ist: Sie will mehr als eine Lösung – nämlich auch die Auf-Lösung des Konfliktgrunds. Dieser liegt nicht nur in den Strukturen und in der unzureichenden Kommunikation, sondern auch immer in den schwierigen Gefühlen der Beteiligten. Die Klärungshilfe sucht deshalb den «Weg in die Tiefe» und bewirkt dort eine kleine, aber entscheidende Veränderung, sodass sich die Konfliktparteien nicht mehr als Gegner, sondern als Menschen sehen können (siehe: Die «Vertiefungsleiter» beim Doppeln).
Das methodische Vorgehen der Klärungshilfe ist mehrfach und ausführlich beschrieben, beispielsweise im Praxisbuch Klärungshilfe 3 (Thomann/Prior, 2007), das uns hier als Grundlage für die aktualisierte Zusammenfassung dient.
Der gesamte Klärungsprozess folgt einem klar strukturierten Modell, das zur Veranschaulichung «Klärungshilfebrücke» oder «Bridge over troubled water» genannt wird. Sie dient dem Klärungshelfer als Orientierung im Gesprächsverlauf, der – aufgeteilt in sieben Phasen – die Untiefen des Konflikts überwinden helfen soll.
Abb. 1: Bridge over troubled water
An den Klärungshelfer wird eine Konfliktsituation mit der Bitte um Rat und Hilfe herangetragen. Jetzt ist es seine Aufgabe, alles Nötige vom Auftraggeber zu erfahren, um mit ihm zusammen beraten und entscheiden zu können, was unternommen werden muss, wie und mit wem das geschehen soll. Das setzt Kontakt und Vertrauen voraus, bedeutet also mehr als nur eine rein geschäftliche Beziehungsgrundlage schaffen.
Dies ist auch nötig, um für die schwierigen Situationen, die es in jeder Konfliktbearbeitung gibt, eine tragfähige Basis zu entwickeln. Der Auftraggeber liefert sich ja in einer für ihn wichtigen und heiklen Situation dem Klärungshelfer aus. Für diesen gilt umgekehrt das Gleiche, denn er begibt sich sehenden Auges in schwierige und unangenehme Situationen. Damit verbunden sind angespannte Atmosphären und negative Gefühle, im Extremfall sogar die Gefahr des Scheiterns und der Rufschädigung.
Daher muss der Klärungshelfer im Vorwege grundsätzlich abklären, ob seine drei Hauptbedingungen vom Auftraggeber nicht nur akzeptiert, sondern auch mitgetragen werden:
Es geht prinzipiell um «Klarheit der Wahrheiten» auf allen Ebenen, der sachlichen, situativen, zwischenmenschlichen und organisatorischen.
Das Verstehen der Vergangenheit bildet die Grundlage für die Klärung der Gegenwart und die Planung der Zukunft.
Vorwürfe und schwierige Gefühle werden nicht ausgeklammert, sondern als wesentlicher Klärungsinhalt betrachtet.
Wird der Auftrag für eine Klärungshilfe erteilt, muss als Nächstes die konkrete Durchführung zusammen geplant werden: Teilnehmer, Termin, Dauer, Ort und Finanzen.
Es kann durchaus knifflig sein herauszufinden, wer eigentlich für einen Konflikt der «richtige Auftraggeber» ist. Nicht immer ist es derjenige, der als Erster anruft. In hierarchisch strukturierten Organisationen ist der richtige Auftraggeber prinzipiell die Führungskraft, die für den Konfliktbereich zuständig ist. Im privaten Bereich oder dann, wenn es keine Hierarchie gibt, ist der Engagierteste die richtige Person.
Der Anfang einer Klärung ist eine besonders sensible Phase. Die Teilnehmer sind emotional unter Druck, unsicher und wachsam. Die Konfliktparteien und der Klärungshelfer treffen zum ersten Mal aufeinander und lernen sich persönlich kennen.
Einleitend benennt der Klärungshelfer die «Wahrheit der Situation»: «Wie kommt es (Vorgeschichte) und welchen Sinn macht es (Zielsetzung), dass ausgerechnet ich (warum und in welcher Rolle?), ausgerechnet mit Ihnen (warum diese Personen und andere nicht – und wer hat das warum entschieden?), ausgerechnet zu diesem Thema (wie hat es sich ergeben?), ausgerechnet auf diese Weise (geplantes Vorgehen) zusammenkommen?» (Schulz von Thun, 1998) Anschließend wird der Ablauf der Klärung vorgestellt, und es werden individuelle Hindernisse und Bedingungen besprochen und geklärt, um möglichst gut in den Konflikt einsteigen zu können.
Für den gesamten Prozess übernimmt der Klärungshelfer die Rolle des Gesprächsleiters, trägt als «Chef im Ring» die Verantwortung für die Klärung, führt sie umsichtig und sorgt dafür, dass sie nicht aus dem Ruder läuft. Die dynamischen und «dynamitischen» Kräfte, die durch Konflikte freigesetzt werden können, erfordern ein klares und präzises Vorgehen. Das gibt allen Sicherheit. Der Klärungshelfer lässt sich diese Prozessmacht nicht aus der Hand nehmen – sonst fliegt ihm und allen anderen Beteiligten die gesamte Veranstaltung um die Ohren.
Die zweite Phase ist der eigentliche Einstieg in die Konfliktinhalte. Jeder der Anwesenden erklärt, wie er die Konfliktentwicklung erlebt hat und was davon noch in Form von Verletzung oder Misstrauen nachwirkt. Der Anspruch des Klärungshelfers ist hier, jeden Einzelnen ganz zu verstehen. Gleichzeitig geht es aber auch darum, die Knackpunkte zu identifizieren, die in der folgenden Dialogphase zum Austausch kommen sollen.
Um nicht in einem Meer der Worte zu ertrinken, ist es hilfreich, wenn jeder Teilnehmer ein Bild seiner Sichtweise skizziert. Diese Visualisierung dient ihm selbst als «Spickzettel» für seine eigene Darstellung und allen anderen als Verdeutlichung seiner Sicht. Es ist unerlässlich, dass der Klärungshelfer Folgendes genau versteht:
das Zwischenmenschliche und das Persönliche – wer mit wem warum und wie aneinandergeraten ist
das Besondere der Konfliktkonstellationen
welche individuellen Umstände im Geschehen eine verschärfende Rolle spielen
die (Organisations-)Strukturen, (Arbeits-)Abläufe und Zuständigkeiten
Der Klärungshelfer notiert sich alle relevanten Themen und bringt sie in eine übersichtliche Darstellung (Diagnosechart).
In dieser Phase geht es um das Zueinanderfinden durch Auseinandersetzen. Die in der Selbstklärung vorgetragenen, sich widersprechenden Sichtweisen werden jetzt miteinander in Kontakt gebracht. Dazu führt der Klärungshelfer die Parteien in einen Konfliktdialog, der ohne seine Moderation wahrscheinlich eskalieren oder absterben würde. Er fühlt sich in alle Teilnehmer ein, hilft dem Einzelnen, sich und seine Empfindungen möglichst vollständig auszudrücken. Das bewirkt ein vertieftes gegenseitiges Verstehen. Der Dialog bildet das Herzstück der Klärung und umfasst ungefähr die Hälfte der gesamten vereinbarten Zeit.
Der Klärungshelfer beachtet dabei besonders die schwierigen Gefühle. Er steuert die Auseinandersetzung zwischen den Parteien mit seinen Instrumenten «Dialogisieren» und «Doppeln». Daraus entspinnt sich ein Gesprächsfaden, ausgehend vom sachlich Inhaltlichen hin zum zwischenmenschlich Emotionalen.
Wenn eine Partei etwas Entscheidendes (einen Vorwurf, eine Behauptung oder Unterstellung, einen Angriff, eine Selbstaussage) mitteilt, richtet sich der Klärungshelfer mit den simplen Fragen «Was sagen Sie dazu? Wie reagieren Sie darauf?» an den Angesprochenen und initiiert so einen direkten Austausch zwischen den «Kontrahenten» über diesen konkreten Knackpunkt im Konflikt. Das macht er auf beiden Seiten immer wieder, um die Brücke ihres direkten Kontaktes allmählich stabiler zu machen. Und er wiederholt es so lange, bis tatsächlich eine Reaktion oder eine Antwort Handlungen und Erleben aus dem Konflikt befriedigend erklären. So sorgt er für einen Dialog, der schwierigen und unangenehmen Inhalten nicht ausweicht, sondern sie klärt. Was sonst unweigerlich zur Eskalation führen würde, wird verlangsamt und zusätzlich durch Doppeln gesteuert, vertieft und damit für Klarheit und Verständnis genutzt.
«Darf ich mal neben Sie kommen, etwas für Sie sagen, und Sie sagen dann, ob es stimmt?» Mit dieser immer gleichen Frage bittet der Klärungshelfer um die Erlaubnis zu doppeln. Wenn er die Einwilligung bekommt, begibt er sich von seinem Platz zu der betreffenden Person, geht neben ihr in die Hocke und spricht an ihrer Stelle die Gegenpartei direkt an. Anschließend fragt er die so «gedoppelte» Person, ob das Gesagte für sie genau so zutreffend ist. Bejaht diese nicht sofort und spontan, sagt er von sich aus: «Nein, stimmt nicht. Sagen Sie bitte selber, wie es stimmt.» Nach dem Doppeln geht er wieder zu seinem Platz zurück.
Abb. 2: Doppeln
Was wird gedoppelt? Alles, was der Klärungshelfer zwischen den Zeilen hört, wird «auf die Zeilen gehoben» und ausgesprochen.
Abb. 3: Die Vertiefungsleiter
Der Klärungshelfer bewegt sich beim Doppeln wie auf einer Leiter, Sprosse um Sprosse von der Sachebene in die Tiefe der schwierigen (negativen) Gefühle. Was er dabei sagt, orientiert sich an den folgenden vier Ebenen:
Hier befinden sich alle Fakten, Vorfälle, Situationen, Inhalte und Verhaltensweisen, an denen sich der Konflikt ursprünglich entzündet hat («Als Sie mir im Lenkungsausschuss vor allen Kollegen erklärten, dass eins plus eins zwei ist, und dann alle gelacht haben …»). Von dort aus bewegt sich der Klärungshelfer entlang der inneren Frage: Wie hat sich die Person vom anderen behandelt gefühlt? auf die
Der Klärungshelfer spricht hier doppelnd den Beziehungsvorwurf aus («… fand ich Sie arrogant. Sie haben sich öffentlich über mich lustig gemacht. Ich werfe Ihnen vor, dass Sie sich auf meine Kosten profilieren wollten.»). Sobald alle Vorwürfe klar ausgesprochen sind, geht der Klärungshelfer einen Schritt tiefer zur
Wut, Eifersucht, Neid, Hass, Gier, Rachegefühl, Kontrollsucht, Eingeschnapptsein, Misstrauen («Das macht mich wütend und sauer!») – diese Gefühle gelten als negativ und nicht gesellschaftsfähig. Sie werden daher meist tabuisiert. Der Klärungshelfer aber nennt sie beim Doppeln nüchtern beim Namen. Damit steht er vor dem letzten Schritt der Vertiefung zur
Die unter der Aggressionsebene liegenden schwierigen Gefühle von Hilflosigkeit, Verletzung, Enttäuschung, Zukurzkommen, Trauer, Sich-ungerecht-behandelt-Fühlen werden im letzten Schritt vom Klärungshelfer ruhig für die gedoppelte Person benannt («Ihr Verhalten hat mich gekränkt. Ich fand es unserer Beziehung nicht angemessen. Ich konnte mich in der Situation nicht wehren, ich war enttäuscht und hilflos.»). Dies geschieht direkt und unspektakulär, sodass alle im Raum diese Gefühle als etwas völlig Normales verstehen und akzeptieren können. Diese sogenannten «Wehgefühle» bringen Menschen aus ihrer Vergangenheit unbewusst in den Konflikt mit – daher heißen sie auch «Vorverletzungen». Sie werden zwar durch das Verhalten anderer ausgelöst – jedoch meist unbeabsichtigt. Und dennoch reagiert der Gekränkte wie auf eine absichtsvoll zugefügte Verletzung.
Wenn diese «Wehgefühle» sichtbar werden, hat das eine solidarisierende Wirkung auf alle Konfliktbeteiligten, weil sie den verletzlichen Menschen im «Gegner» erkennen. Das ermöglicht eine leichtere Lösungssuche.
Diese «Wehgefühle» werden nur in Klärungsgesprächen im privaten Bereich (beispielsweise Ehe oder Familienunternehmen) weiter erforscht. Im beruflichen Kontext gilt: keine Erklärungen oder therapeutischen Maßnahmen für diese schwierigen Gefühle!
Im Dialog kommt es manchmal vor, dass die Situation für jemanden unaushaltbar wird: «Das lasse ich mir nicht bieten», oder «Ich finde das läuft hier ganz falsch» oder schlicht «Genug! Ich gehe jetzt!» Dann droht die Klärung abzubrechen. In diesen Momenten bietet der Klärungshelfer eine Zwischenerklärung an, die die verschiedenen Aspekte und Sichtweisen wieder in einen Zusammenhang stellt, die Richtigkeit der Gefühle und die Sinnhaftigkeit des Prozesses deutlich macht.
Wenn der Dialog trotz allen Bemühens dennoch:
in Verhärtung erstarrt
sich im Kreis dreht und
vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr erkennen lässt
oder
aus Zeitgründen beendet werden muss,
kann man aus den schwierigen Emotionen nicht sofort zur Lösung übergehen. Hier muss zuerst noch eine Beruhigung der Gemüter erreicht werden. Dazu verhilft die «Erklärung».
Klärungshelfer: «Ich will den Gesprächsfaden zwischen Ihnen mal abschneiden und sagen, wie ich alles von außen sehe.» Sofort lehnen sich die Konfliktparteien erleichtert und dankbar zurück und schauen gespannt auf den Klärungshelfer. Die Beteiligten werden jetzt zu Betrachtern ihrer Situation, treten also gefühlsmäßig aus dem Konflikt heraus und gehen auf Distanz zu ihrem eigenen Erleben.
Der Klärungshelfer fasst ihre Konfliktgeschichte zusammen, sodass sie diese gemeinsam von außen sehen können. Er vereinigt die einzelnen Standpunkte, Empfindungen und das Verhalten der Parteien zu einer Gesamtsicht – in der jeder sich selbst und den anderen gleichzeitig als reagierendes Opfer und agierenden Täter erkennen kann. Je besser es dem Klärungshelfer gelingt, mit seinen Erklärungen und Modellen die Verstrickungen – des Einzeln und im Ganzen – ohne jegliche Schuldzuweisung zu benennen, desto mehr entsteht unter den Beteiligten ein Gemeinsamkeitsgefühl. Deswegen werden Erklärungsmodelle verwendet, die nicht Schuld oder Strafe verteilen und auch nicht Menschen einseitig als Opfer, Täter, Kranke und Böse sehen.
Eine Möglichkeit für diese klärende Sicht bietet das «Riemann-Thomann-Modell», das die Unterschiedlichkeit zwischen den Menschen und ihren Reaktionen beschreibt (Thomann, 1998; Thomann/Schulz von Thun, 1988).
Was die Konfliktparteien als unvereinbare Gegensätze erleben, wird vom Klärungshelfer in der Erklärungsphase in einem größeren Rahmen theoretisch als berechtigt, akzeptabel, fast sich gegenseitig bedingend und ergänzend und damit absolut nachvollziehbar dargestellt.
Kurz: Diese Phase beruhigt die Emotionen durch Erklären der Konfliktmechanismen und befähigt zur leichten Lösungssuche («Land der leichten Lösungen»).
Grundsätzlich steht die Lösungssuche bei der Klärungshilfe nicht von Anfang an im Zentrum, obwohl sie natürlich ein gewünschtes Ziel ist. Im Idealfall hat der Klärungshelfer in der Lösungsphase nicht viel mehr zu tun, als die vorgeschlagenen Vereinbarungen auf Alltagstauglichkeit zu prüfen und die Verteilung der Aufgaben nach ganz pragmatischen Gesichtspunkten zu steuern: Wer macht was bis wann, wo und wie?
Bevor alle auseinandergehen, wird die Klärung sorgfältig und umfassend abgeschlossen. Dazu gehört ein Blick nach vorne: Wie geht es weiter – was muss jetzt schon für die Nachsorge verabredet werden? Und ein Blick zurück: Was gibt es noch zu sagen, wie werden Außenstehende informiert? Was muss vertraulich bleiben? Gibt es noch etwas zu reklamieren? Es folgen eine Schlussrunde und der Abschied.
Die Begleitung und Beratung bei der Umsetzung der verabredeten Lösungen ist wichtig, weil sie die Nachhaltigkeit der Veränderungen unterstützt. Alle Kontakte mit dem Klärungshelfer nach der Abschlussphase gehören zur Nachsorge: einfaches Nachfragen per Telefon, Coaching des Auftraggebers, weitere Klärungssitzungen.
Egal wie erfolgreich ein Klärungsprozess auch gelaufen sein mag, so ist es doch nicht ausgeschlossen, dass alte Kommunikationsmuster wieder die Oberhand gewinnen, weil gerade unter stressigen Alltagsbedingungen sich das Gewohnte hartnäckig durchsetzt. Die Aufgabe des Klärungshelfers in dieser Phase ist es, die Unterstützung der Führungskraft fortzusetzen und sie dazu zu befähigen, selbständig die Kultur der klärenden Gespräche aufrechtzuerhalten.
Diese sieben Phasen (0 bis 6) sind wie ein Geländer, an dem sich der Klärungshelfer mit einer Hand festhalten kann, um im komplexen oder chaotischen Klärungsgeschehen die Orientierung nicht zu verlieren. Seine zweite Hand bleibt frei fürs situative Agieren, für Improvisation, flexible Reaktion und, wenn nötig, akute Fehlerkorrektur.
In der Klärungshilfe braucht es beides: Struktur und Freiheit. Zu viel Struktur bringt zwar Sicherheit für den Klärungshelfer, ist aber manchmal zu starr für das komplexe Geschehen einer Klärung. Zu viel freies Eingehen auf die Dynamik der Situation bringt hingegen Chaos und überlässt die Führung der Eskalation oder der Macht des Stärkeren.
Klarheit geht vor Schönheit oder Harmonie
der einzige Weg hinaus führt hindurch (schwierige Gefühle)
Verstehen ist der Schlüssel
Wahrheit heilt (den Konflikt)
negative Gefühle akzeptieren und vertiefen, damit sie verbinden können
ehrlicher Kontakt kommt vor Lösungssuche
Vergangenheit verstehen, Gegenwart klären, Zukunft planen (in dieser Reihenfolge!)
Die Klärungshilfe ist einfach. Der Dialog steht im Zentrum. Dort wird über die schwierigen Tatsachen und Gefühle gesprochen, und sie werden eventuell gedoppelt. So kommt man langsam zu den äußeren und inneren Wahrheiten aller Beteiligten. Dies bewirkt einen wahrhaftigen Kontakt.
Wenn die negativen Gefühle vertieft wurden, kommt es fast automatisch zu Solidarität zwischen den Parteien. Das ist die beste Voraussetzung für leichte, realistische und haltbare Lösungen.