Bernd Meyer
Wie muss die Wirtschaft umgebaut werden?
Perspektiven einer nachhaltigeren Entwicklung
Sachbuch
Fischer e-books
Bernd Meyer ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Makroökonomische Theorie an der Universität Osnabrück.
Covergestaltung: Stefan Gelberg
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 2009
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-400062-6
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Handeln – aus Einsicht und Verantwortung
»Wir waren im Begriff, Götter zu werden, mächtige Wesen, die eine zweite Welt erschaffen konnten, wobei uns die Natur nur die Bausteine für unsere neue Schöpfung zu liefern brauchte.«
Dieser mahnende Satz des Psychoanalytikers und Sozialphilosophen Erich Fromm findet sich in Haben oder Sein – die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft (1976). Das Zitat drückt treffend aus, in welches Dilemma wir durch unsere wissenschaftlich-technische Orientierung geraten sind.
Aus dem ursprünglichen Vorhaben, sich der Natur zu unterwerfen, um sie nutzen zu können (»Wissen ist Macht«), erwuchs die Möglichkeit, die Natur zu unterwerfen, um sie auszubeuten. Wir sind vom frühen Weg des Erfolges mit vielen Fortschritten abgekommen und befinden uns auf einem Irrweg der Gefährdung mit unübersehbaren Risiken. Die größte Gefahr geht dabei von dem unerschütterlichen Glauben der überwiegenden Mehrheit der Politiker und Wirtschaftsführer an ein unbegrenztes Wirtschaftswachstum aus, das im Zusammenspiel mit grenzenlosen technologischen Innovationen Antworten auf alle Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft geben werde.
Schon seit Jahrzehnten werden die Menschen aus Kreisen der Wissenschaft vor diesem Kollisionskurs mit der Natur gewarnt. Bereits 1983 gründeten die Vereinten Nationen eine Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, die sich 1987 mit dem sogenannten Brundtland-Bericht zu Wort meldete. Unter dem Titel »Our Common Future« wurde ein Konzept vorgestellt, das die Menschen vor Katastrophen bewahren will und zu einem verantwortbaren Leben zurückfinden lassen soll. Gemeint ist das Konzept einer »langfristig umweltverträglichen Ressourcennutzung« – in der deutschen Sprache als Nachhaltigkeit bezeichnet. Nachhaltigkeit meint – im Sinne des Brundtland-Berichts – »eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstandard zu wählen«.
Leider ist dieses Leitbild für ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltiges Handeln trotz zahlreicher Bemühungen noch nicht zu der Realität geworden, zu der es werden kann, ja werden muss. Dies liegt meines Erachtens darin begründet, dass die Zivilgesellschaften bisher nicht ausreichend informiert und mobilisiert wurden.
Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf zunehmend warnende Stimmen und wissenschaftliche Ergebnisse habe ich mich entschlossen, mit meiner Stiftung gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Ich möchte zur Verbreitung und Vertiefung des öffentlichen Diskurses über die unabdingbar notwendige nachhaltige Entwicklung beitragen. Mein Anliegen ist es, mit dieser Initiative einer großen Zahl von Menschen Sach- und Orientierungswissen zum Thema Nachhaltigkeit zu vermitteln sowie alternative Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Denn das Leitbild »nachhaltige Entwicklung« allein reicht nicht aus, um die derzeitigen Lebens- und Wirtschaftsweisen zu verändern. Es bietet zwar eine Orientierungshilfe, muss jedoch in der Gesellschaft konkret ausgehandelt und dann in Handlungsmuster umgesetzt werden. Eine demokratische Gesellschaft, die sich ernsthaft in Richtung Zukunftsfähigkeit umorientieren will, ist auf kritische, kreative, diskussionsund handlungsfähige Individuen als gesellschaftliche Akteure angewiesen. Daher ist lebenslanges Lernen, vom Kindesalter bis ins hohe Alter, an unterschiedlichen Lernorten und unter Einbezug verschiedener Lernformen (formelles und informelles Lernen), eine unerlässliche Voraussetzung für die Realisierung einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung. Die praktische Umsetzung ökologischer, ökonomischer und sozialer Ziele einer wirtschaftspolitischen Nachhaltigkeitsstrategie verlangt nach reflexions- und innovationsfähigen Menschen, die in der Lage sind, im Strukturwandel Potenziale zu erkennen und diese für die Gesellschaft nutzen zu lernen.
Es reicht für den Einzelnen nicht aus, lediglich »betroffen« zu sein. Vielmehr ist es notwendig, die wissenschaftlichen Hintergründe und Zusammenhänge zu verstehen, um sie für sich verfügbar zu machen und mit anderen in einer zielführenden Diskussion vertiefen zu können. Nur so entsteht Urteilsfähigkeit, und Urteilsfähigkeit ist die Voraussetzung für verantwortungsvolles Handeln.
Die unablässige Bedingung hierfür ist eine zugleich sachgerechte und verständliche Aufbereitung sowohl der Fakten als auch der Denkmodelle, in deren Rahmen sich mögliche Handlungsalternativen aufzeigen lassen und an denen sich jeder orientieren und sein persönliches Verhalten ausrichten kann.
Um diesem Ziel näherzukommen, habe ich ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gebeten, in der Reihe »Forum für Verantwortung« zu zwölf wichtigen Themen aus dem Bereich der nachhaltigen Entwicklung den Stand der Forschung und die möglichen Optionen allgemeinverständlich darzustellen.
Innerhalb eines Jahres ist nun unsere Reihe mit Erscheinen der letzten vier Bände im Januar 2008 komplettiert:
Was verträgt unsere Erde noch? Wege in die Nachhaltigkeit (Jill Jäger)
Kann unsere Erde die Menschen noch ernähren? Bevölkerungsexplosion, Umwelt, Gentechnik (Klaus Hahlbrock)
Nutzen wir die Erde richtig? Die Leistungen der Natur und die Arbeit des Menschen (Friedrich Schmidt-Bleek)
Bringen wir das Klima aus dem Takt? Hintergründe und Prognosen (Mojib Latif)
Wie schnell wächst die Zahl der Menschen? Weltbevölkerung und weltweite Migration (Rainer Münz/Albert F. Reiterer)
Wie lange reicht die Ressource Wasser? Der Umgang mit dem blauen Gold (Wolfram Mauser)
Was sind die Energien des 21. Jahrhunderts? Der Wettlauf um die Lagerstätten (Hermann-Josef Wagner)
Wie bedroht sind die Ozeane? Biologische und physikalische Aspekte (Stefan Rahmstorf / Katherine Richardson)
Wächst die Seuchengefahr? Globale Epidemien und Armut: Strategien zur Seucheneindämmung in einer vernetzten Welt (Stefan E. Kaufmann)
Wie muss die Wirtschaft umgebaut werden? Perspektiven einer nachhaltigeren Entwicklung (Bernd Meyer)
Wie kann eine neue Weltordnung aussehen? Wege in eine nachhaltige Politik (Harald Müller)
Ende der Artenvielfalt? Gefährdung und Vernichtung von Biodiversität (Josef H. Reichholf)
Zwölf Bände – es wird niemanden überraschen, wenn im Hinblick auf die Bedeutung von wissenschaftlichen Methoden oder die Interpretationsbreite aktueller Messdaten unterschiedliche Auffassungen vertreten werden. Unabhängig davon sind sich aber alle an diesem Projekt Beteiligten darüber einig, dass es keine Alternative zu einem Weg aller Gesellschaften in die Nachhaltigkeit gibt.
Was verleiht mir den Mut zu diesem Projekt und was die Zuversicht, mit ihm die deutschsprachigen Zivilgesellschaften zu erreichen und vielleicht einen Anstoß zu bewirken?
Zum einen sehe ich, dass die Menschen durch die Häufung und das Ausmaß der Naturkatastrophen der letzten Jahre sensibler für Fragen unseres Umgangs mit der Erde geworden sind. Zum anderen gibt es im deutschsprachigen Raum bisher nur wenige allgemeinverständliche Veröffentlichungen wie Die neuen Grenzen des Wachstums (Donella und Dennis Meadows), Erdpolitik (Ernst-Ulrich von Weizsäcker), Zukunftsfähiges Deutschland (Wuppertal Institut), Balance oder Zerstörung (Franz Josef Radermacher), Fair Future (Wuppertal Institut) und Kollaps (Jared Diamond). Insbesondere liegen keine Schriften vor, die zusammenhängend das breite Spektrum einer umfassend nachhaltigen Entwicklung abdecken.
Das vierte Kolloquium meiner Stiftung, das im März 2005 in der Europäischen Akademie Otzenhausen (Saarland) zu dem Thema »Die Zukunft der Erde – was verträgt unser Planet noch?« stattfand, zeigte deutlich, wie nachdenklich eine sachgerechte und allgemeinverständliche Darstellung der Thematik die große Mehrheit der Teilnehmer machte.
Darüber hinaus stimmt mich persönlich zuversichtlich, dass die mir eng verbundene ASKO EUROPA-STIFTUNG alle zwölf Bände vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie didaktisieren lässt, um qualifizierten Lehrstoff für langfristige Bildungsprogramme zum Thema Nachhaltigkeit sowohl im Rahmen der Stiftungsarbeit als auch im Rahmen der Bildungsangebote der Europäischen Akademie Otzenhausen zu erhalten. Inzwischen haben wir daraus die Initiative »Mut zur Nachhaltigkeit« entwickelt, deren beide Säulen »Zwölf Bücher zur Zukunft der Erde« und »Vom Wissen zum Handeln« die Grundlage für unsere umfassenden geplanten Bildungsaktivitäten der nächsten Jahre darstellen. »Mut zur Nachhaltigkeit« wurde Anfang 2007 als offizielles Projekt der UN-Dekade »Bildung für Nachhaltigkeit« 2007/2008 ausgezeichnet. Auch die Resonanz in den deutschen Medien ist überaus positiv.
Als ich vor gut zwei Jahren begann, meine Vorstellungen und die Voraussetzungen zu einem öffentlichen Diskurs über Nachhaltigkeit zu strukturieren, konnte ich nicht voraussehen, dass bis zum Erscheinen der ersten Bücher dieser Reihe zumindest der Klimawandel und die Energieproblematik von einer breiten Öffentlichkeit mit großer Sorge wahrgenommen würde. Dies ist meines Erachtens insbesondere auf folgende Ereignisse zurückzuführen:
Zunächst erlebten die USA die fast vollständige Zerstörung von New Orleans im August 2005 durch den Hurrikan Katrina, und dieser Katastrophe folgte tagelange Anarchie.
Im Jahre 2006 startete Al Gore seine Aufklärungskampagne zum Klimawandel und zum Thema Energieverschwendung. Sie gipfelte in seinem Film »Eine unbequeme Wahrheit«, der weltweit große Teile in allen Altersgruppen der Bevölkerung erreicht und beeindruckt.
Der 2007 publizierte 700-seitige Stern-Report, den der Ökonom und frühere Chefvolkswirt der Weltbank, NICHOLAS STERN, im Auftrag der britischen Regierung mit anderen Wirtschaftswissenschaftlern erstellt hat, schreckte Politiker wie auch Wirtschaftsführer gleichermaßen auf. Dieser Bericht macht deutlich, wie hoch weltweit der wirtschaftliche Schaden sein wird, wenn wir »business as usual« betreiben und nicht energisch Maßnahmen dem Klimawandel entgegensetzen. Gleichzeitig wird in diesem Bericht dargelegt, dass wir mit nur einem Zehntel des wahrscheinlichen Schadens Gegenmaßnahmen finanzieren und die durchschnittliche Erderwärmung auf 2 ° C beschränken könnten – wenn wir denn handeln würden.
Besonders große Aufmerksamkeit in den Medien und damit in der öffentlichen Wahrnehmung fand der jüngste IPCC-Bericht, der Anfang 2007 deutlich wie nie zuvor den Ernst der Lage offenlegte und drastische Maßnahmen gegen den Klimawandel einforderte.
Zu guter Letzt sei erwähnt, dass auch das außergewöhnliche Engagement einiger Milliardäre wie Bill Gates, Warren Buffet, George Soros und Richard Branson sowie das Engagement von Bill Clinton zur »Rettung unserer Welt« die Menschen auf der ganzen Erde beeindruckt.
Eine wesentliche Aufgabe unserer auf zwölf Bände angelegten Reihe bestand für die Autorinnen und Autoren darin, in dem jeweils beschriebenen Bereich die geeigneten Schritte zu benennen, die in eine nachhaltige Entwicklung führen können. Dabei müssen wir uns immer vergegenwärtigen, dass der erfolgreiche Übergang zu einer derartigen ökonomischen, ökologischen und sozialen Entwicklung auf unserem Planeten nicht sofort gelingen kann, sondern viele Jahrzehnte dauern wird. Es gibt heute noch keine Patentrezepte für den langfristig erfolgreichsten Weg. Sehr viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und noch mehr innovationsfreudige Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Managerinnen und Manager werden weltweit ihre Kreativität und Dynamik zur Lösung der großen Herausforderungen aufbieten müssen. Dennoch sind bereits heute erste klare Ziele erkennbar, die wir erreichen müssen, um eine sich abzeichnende Katastrophe abzuwenden. Dabei können weltweit Milliarden Konsumenten mit ihren täglichen Entscheidungen beim Einkauf helfen, der Wirtschaft den Übergang in eine nachhaltige Entwicklung zu erleichtern und ganz erheblich zu beschleunigen – wenn die politischen Rahmenbedingungen dafür geschaffen sind. Global gesehen haben zudem Milliarden von Bürgern die Möglichkeit, in demokratischer Art und Weise über ihre Parlamente die politischen »Leitplanken« zu setzen.
Die wichtigste Erkenntnis, die von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft gegenwärtig geteilt wird, lautet, dass unser ressourcenschweres westliches Wohlstandsmodell (heute gültig für eine Milliarde Menschen) nicht auf weitere fünf oder bis zum Jahr 2050 sogar auf acht Milliarden Menschen übertragbar ist. Das würde alle biophysikalischen Grenzen unseres Systems Erde sprengen. Diese Erkenntnis ist unbestritten. Strittig sind jedoch die Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind.
Wenn wir ernsthafte Konflikte zwischen den Völkern vermeiden wollen, müssen die Industrieländer ihren Ressourcenverbrauch stärker reduzieren als die Entwicklungs- und Schwellenländer ihren Verbrauch erhöhen. In Zukunft müssen sich alle Länder auf gleichem Ressourcenverbrauchsniveau treffen. Nur so lässt sich der notwendige ökologische Spielraum schaffen, um den Entwicklungs- und Schwellenländern einen angemessenen Wohlstand zu sichern.
Um in diesem langfristigen Anpassungsprozess einen dramatischen Wohlstandsverlust des Westens zu vermeiden, muss der Übergang von einer ressourcenschweren zu einer ressourcenleichten und ökologischen Marktwirtschaft zügig in Angriff genommen werden.
Die Europäische Union als stärkste Wirtschaftskraft der Welt bringt alle Voraussetzungen mit, in diesem Innovationsprozess die Führungsrolle zu übernehmen. Sie kann einen entscheidenden Beitrag leisten, Entwicklungsspielräume für die Schwellen- und Entwicklungsländer im Sinn der Nachhaltigkeit zu schaffen. Gleichzeitig bieten sich der europäischen Wirtschaft auf Jahrzehnte Felder für qualitatives Wachstum mit zusätzlichen Arbeitsplätzen. Wichtig wäre in diesem Zusammenhang auch die Rückgewinnung von Tausenden von begabten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Europa nicht nur aus materiellen Gründen, sondern oft auch wegen fehlender Arbeitsmöglichkeiten oder unsicheren -bedingungen verlassen haben.
Auf der anderen Seite müssen die Schwellen- und Entwicklungsländer sich verpflichten, ihre Bevölkerungsentwicklung in überschaubarer Zeit in den Griff zu bekommen. Mit stärkerer Unterstützung der Industrienationen muss das von der Weltbevölkerungskonferenz der UNO 1994 in Kairo verabschiedete 20-Jahres-Aktionsprogramm umgesetzt werden.
Wenn es der Menschheit nicht gelingt, die Ressourcen- und Energieeffizienz drastisch zu steigern und die Bevölkerungsentwicklung nachhaltig einzudämmen – man denke nur an die Prognose der UNO, nach der die Bevölkerungsentwicklung erst bei elf bis zwölf Milliarden Menschen am Ende dieses Jahrhunderts zum Stillstand kommt –, dann laufen wir ganz konkret Gefahr, Ökodiktaturen auszubilden. In den Worten von Ernst Ulrich von Weizsäcker: »Die Versuchung für den Staat wird groß sein, die begrenzten Ressourcen zu rationieren, das Wirtschaftsgeschehen im Detail zu lenken und von oben festzulegen, was Bürger um der Umwelt willen tun und lassen müssen. Experten für ›Lebensqualität‹ könnten von oben definieren, was für Bedürfnisse befriedigt werden dürften« (Erdpolitik, 1989).
Es ist an der Zeit, dass wir zu einer grundsätzlichen, kritischen Bestandsaufnahme in unseren Köpfen bereit sind. Wir – die Zivilgesellschaften – müssen entscheiden, welche Zukunft wir wollen. Fortschritt und Lebensqualität sind nicht allein abhängig vom jährlichen Zuwachs des Prokopfeinkommens. Zur Befriedigung unserer Bedürfnisse brauchen wir auch keineswegs unaufhaltsam wachsende Gütermengen. Die kurzfristigen Zielsetzungen in unserer Wirtschaft wie Gewinnmaximierung und Kapitalakkumulierung sind eines der Haupthindernisse für eine nachhaltige Entwicklung. Wir sollten unsere Wirtschaft wieder stärker dezentralisieren und den Welthandel im Hinblick auf die mit ihm verbundene Energieverschwendung gezielt zurückfahren. Wenn Ressourcen und Energie die »wahren« Preise widerspiegeln, wird der weltweite Prozess der Rationalisierung und Freisetzung von Arbeitskräften sich umkehren, weil der Kostendruck sich auf die Bereiche Material und Energie verlagert.
Der Weg in die Nachhaltigkeit erfordert gewaltige technologische Innovationen. Aber nicht alles, was technologisch machbar ist, muss auch verwirklicht werden. Die totale Ökonomisierung unserer gesamten Lebensbereiche ist nicht erstrebenswert. Die Verwirklichung von Gerechtigkeit und Fairness für alle Menschen auf unserer Erde ist nicht nur aus moralisch-ethischen Prinzipien erforderlich, sondern auch der wichtigste Beitrag zur langfristigen Friedenssicherung. Daher ist es auch unvermeidlich, das politische Verhältnis zwischen Staaten und Völkern der Erde auf eine neue Basis zu stellen, in der sich alle, nicht nur die Mächtigsten, wieder finden können. Ohne einvernehmliche Grundsätze »globalen Regierens« lässt sich Nachhaltigkeit in keinem einzigen der in dieser Reihe diskutierten Themenbereiche verwirklichen.
Und letztendlich müssen wir die Frage stellen, ob wir Menschen das Recht haben, uns so stark zu vermehren, dass wir zum Ende dieses Jahrhunderts womöglich eine Bevölkerung von 11 bis 12 Milliarden Menschen erreichen, jeden Quadratzentimeter unserer Erde in Beschlag nehmen und den Lebensraum und die Lebensmöglichkeiten aller übrigen Arten immer mehr einengen und zerstören.
Unsere Zukunft ist nicht determiniert. Wir selbst gestalten sie durch unser Handeln und Tun: Wir können so weitermachen wie bisher, doch dann begeben wir uns schon Mitte dieses Jahrhunderts in die biophysikalische Zwangsjacke der Natur mit möglicherweise katastrophalen politischen Verwicklungen. Wir haben aber auch die Chance, eine gerechtere und lebenswerte Zukunft für uns und die zukünftigen Generationen zu gestalten. Dies erfordert das Engagement aller Menschen auf unserem Planeten.
Mein ganz besonderer Dank gilt den Autorinnen und Autoren dieser zwölfbändigen Reihe, die sich neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit der Mühe unterzogen haben, nicht für wissenschaftliche Kreise, sondern für eine interessierte Zivilgesellschaft das Thema Nachhaltigkeit allgemeinverständlich aufzubereiten. Für meine Hartnäckigkeit, an dieser Vorgabe weitestgehend festzuhalten, bitte ich an dieser Stelle nochmals um Nachsicht. Dankbar bin ich für die vielfältigen und anregenden Diskussionen über Wege in die Nachhaltigkeit. Mich hat sehr beeindruckt, mit welcher Disziplin die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Zeitplan exakt eingehalten haben, innerhalb von zwölf Monaten alle zwölf Bücher fertig zu stellen.
Bei der umfangreichen Koordinationsarbeit hat mich von Anfang an ganz maßgeblich Ernst Peter Fischer unterstützt – dafür meinen ganz herzlichen Dank, ebenso Wolfram Huncke, der mich in Sachen Öffentlichkeitsarbeit beraten hat. Für die umfangreichen organisatorischen Arbeiten möchte ich mich ganz herzlich bei Annette Maas bedanken, ebenso bei Ulrike Holler und Eva Köster vom S. Fischer Verlag für die nicht einfache Lektoratsarbeit.
Auch den finanziellen Förderern dieses Großprojektes gebührt mein Dank: allen voran der ASKO EUROPA-STIFTUNG (Saarbrücken) und meiner Familie sowie der Stiftung Europrofession (Saarbrücken), Erwin V. Conradi, Wolfgang Hirsch, Wolf-Dietrich und Sabine Loose.
Seeheim-Jugenheim | Stiftung Forum für Verantwortung |
Sommer 2007 | Klaus Wiegandt |
Die Vereinten Nationen erwarten bis zum Jahr 2050 in der mittleren Prognosevariante eine Weltbevölkerung von 9 Milliarden Menschen. Das Wachstum der Bevölkerung wird sich in den Entwicklungsländern und den sogenannten Schwellenländern vollziehen, deren Bevölkerungszahl bis zum Jahr 2050 um ca. 50 % steigen wird. Die Schwellenländer sind diejenigen Entwicklungsländer wie etwa China und Indien, deren wirtschaftliche Entwicklung mit jährlichen Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts zwischen 6 % und 10 % sehr dynamisch verläuft.
Bis zum Jahre 2030 wird das Bruttoinlandsprodukt der Welt um 130 % wachsen. Dies bedeutet, dass trotz der zu erwartenden Effizienzsteigerungen beim Einsatz der Rohstoffe die Entnahme von Ressourcen aus der Natur um fast 50 % zunehmen wird.
Die aus der Natur entnommenen Rohstoffe werden zu Gütern verarbeitet. Ein Teil von ihnen materialisiert sich mehr oder weniger dauerhaft in Gebäuden, Maschinenbeständen, Straßen und anderen Anlagen, ein anderer Teil wird in der Form von Rest- und Schadstoffen wieder an die Natur zurückgegeben. Sowohl die Entnahme von Rohstoffen, vor allem aber die Lagerung von Rest- und Schadstoffen in der Natur führt zu ihrer dauerhaften Schädigung. Die Bevölkerung hat dieses Faktum bislang trotz aller Warnungen der Wissenschaftler mit bemerkenswertem Gleichmut ertragen.
Nur im Hinblick auf die Emission von Treibhausgasen in die Luft und den dadurch ausgelösten Treibhauseffekt ist die Öffentlichkeit inzwischen hellhörig geworden. Die Anreicherung von CO2, Methan und anderen Gasen in der Luft wirkt wie das Dach eines Treibhauses: Die Temperatur der Erde steigt mit der Konzentration der sogenannten Treibhausgase in der Luft. Ein Temperaturanstieg um 2 Grad ist schon jetzt nicht mehr zu vermeiden. Die Auswirkungen sind schon erfahrbar und werden sich in nächster Zukunft noch weiter steigern: Milde Winter und heiße Sommer, häufigere und intensivere Stürme, Anstieg des Meeresspiegels, Artensterben mit weiteren unabsehbaren Konsequenzen. Das wichtigste Klimagas ist CO2, das bei der Verbrennung der kohlenstoffhaltigen Energieträger Kohle, Gas und Öl entsteht und sich in der Luft anreichert. Ohne eine dramatische Kehrtwende in unserem Verhalten bringt das für die Zukunft zu erwartende Wirtschaftswachstum bis zum Jahr 2030 eine Zunahme des Energieverbrauchs und einen weiteren Anstieg der CO2-Emissionen um 40 % mit sich. Der Anstieg der Durchschnittstemperatur wird auf der Erde in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nicht 2 Grad, sondern zwischen 3 Grad und 5 Grad betragen. Die Auswirkungen sind kaum abschätzbar. Man bekommt ein Gefühl dafür, wenn man bedenkt, dass der Temperaturunterschied zwischen heute und der Eiszeit gerade 5 Grad beträgt.
Welche Handlungsoptionen haben wir zur Begegnung dieser wohl größten Herausforderung der Menschheit? Eines ist schon klar: Wir brauchen eine globale Perspektive. Es wird nicht genügen, über Lösungen für Deutschland oder Europa nachzudenken. Als Faktum der globalen Entwicklung müssen wir das Bevölkerungswachstum und das Wirtschaftswachstum in den Entwicklungs- und Schwellenländern hinnehmen. Das Bevölkerungswachstum in der Dritten Welt hat viele kulturelle und sozioökonomische Ursachen, die wir nicht in wenigen Jahren beeinflussen können. Im Übrigen unterstellt die zitierte mittlere Variante der Bevölkerungsprognose der Vereinten Nationen bereits eine Abschwächung des Wachstums der Bevölkerung. Das Wirtschaftswachstum in den Entwicklungs- und Schwellenländern ist angesichts der noch bestehenden dramatischen Armut in diesen Ländern höchst willkommen, bietet es doch die Hoffnung auf eine Besserung der katastrophalen sozialen Verhältnisse. Eine Wachstumsbegrenzung würde von diesen Ländern auch sicherlich nicht akzeptiert werden, schließlich waren es bis jetzt vor allem die Industrieländer, die den Unrat in die Natur gebracht haben.
Wenn die oben beschriebene Entwicklung verhindert werden soll, muss in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die Konzentration der Klimagase stabilisiert werden. Für die CO2-Emissionen bedeutet dies, dass sie bis dahin weltweit auf 20 % des Niveaus des Jahres 1990 reduziert werden müssen, weil dies der Rate der jährlichen Assimilation von CO2 durch die Fotosynthese der Pflanzen und andere Einflüsse entspricht.
Die einzige realistische Option, die wir haben, ist die einer dramatischen Steigerung der Rohstoffproduktivität. Das heißt, dass wir pro Einheit eines eingesetzten Rohstoffs die erzeugten Gütermengen kräftig steigern müssen. Oder andersherum: Die pro erzeugter Gütereinheit eingesetzten Rohstoffmengen müssen drastisch vermindert werden, um so das Wirtschaftswachstum und den Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Dies kann einerseits durch technischen Fortschritt und andererseits durch Änderungen des Konsumentenverhaltens erreicht werden. Wir müssen also nicht weniger Güter nachfragen, sondern andere als bisher, die direkt und indirekt weniger Ressourcen enthalten, und wir müssen die Güter anders, nämlich durch ressourcenschonende Technologien, erzeugen. Nur durch Innovationen, die neue Konsumgüter und Produktionsverfahren hervorbringen, sowie die erforderlichen Investitionen in Maschinen und Gebäude werden wir das Problem lösen können. Es ist aber auch der Ritt auf einem Tiger, denn Innovationen und Investitionen erzeugen wirtschaftliches Wachstum und gedeihen andererseits auch nur in einem dynamischen wirtschaftlichen Umfeld.
Aber liegt da nicht ein Widerspruch? Bedeutet nicht Wachstum auch mehr Konsum und mehr Ressourcenverbrauch? So wie wir argumentiert haben, muss gesamtwirtschaftliches Wachstum nicht zwangsläufig auch mehr Ressourcenverbrauch auslösen, denn wir wollen einerseits ressourcensparende Technologien anwenden und andererseits die Nachfrage nach denjenigen Konsumgütern drastisch reduzieren, die einen hohen Ressourcenverbrauch verursachen und dafür andere ressourcenschonende Güter vermehrt nachfragen. Das ist gemeint, wenn von einer Änderung der Konsumstruktur die Rede ist. Die Haushalte verhalten sich suffizient im Hinblick auf den Ressourcenverbrauch, was bedeutet, dass sie Enthaltsamkeit im Hinblick auf den Ressourcenverbrauch üben. So wie wir es sehen, bedeutet dies aber nicht Suffizienz schlechthin. Gelegentlich wird der Begriff der Suffizienz verengt auf den Konsum insgesamt angewendet, was m. E. problematisch ist, weil damit – wie noch zu zeigen sein wird – Handlungsoptionen eingeengt werden. Unsere zentrale These ist, dass die Politik eine Innovationsstrategie ergreifen muss, die zwei Komponenten hat. Auf der einen Seite muss sie die Unternehmen veranlassen neue, die Ressourcen schonende Produktionsverfahren einzusetzen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der Effizienzstrategie. Zum anderen muss sie die Konsumenten veranlassen, den Konsum von ressourcenintensiven Gütern durch andere Güter zu ersetzen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von der Suffizienzstrategie. Beide Komponenten der Innovationsstrategie steigern die Ressourcenproduktivität und entkoppeln Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch.
Europa kann aufgrund seiner Wirtschaftstruktur für eine solche Strategie der Motor sein. Die unter der deutschen Ratspräsidentschaft vorgegebenen Ziele bezüglich der CO2-Emissionen sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Europa muss den technologischen Umbau schaffen, um im internationalen Handel der Welt die Technologien zur Steigerung der Ressourcenproduktivität zur Verfügung stellen zu können. Ferner ist zu hoffen, dass das Vorbild Europas schließlich auch zu weltweiten Zielvereinbarungen und entsprechenden Verhaltensänderungen führen kann. Auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm im Jahre 2007 haben die Regierungsspitzen der acht wirtschaftlich bedeutendsten Industrieländer das Ziel beschlossen, die globalen CO2-Emissionen bis 2050 um mindestens die Hälfte zu reduzieren. Die Staats- und Regierungschefs haben in Heiligendamm vereinbart, dieses Ziel gemeinsam in einem UN-Prozess umzusetzen. Dabei sollen auch die großen Schwellenländer eingebunden werden. Wenn diesen Worten auch Taten folgen, ist damit eine Entwicklung angestoßen worden, die hoffen lässt, dass es doch noch gelingt, das Ruder herumzulegen. Ein großer Fortschritt gegenüber der bisherigen Diskussion ist in jedem Fall erreicht worden, denn nun sind auch die Vereinigten Staaten beteiligt, und man ist gemeinsam der Auffassung, dass unter dem Dach der Vereinten Nationen auch eine Beteiligung der Schwellenländer anzustreben ist. Man muss bedenken, dass noch im Jahre 2006 die Reduktion der Emission von Treibhausgasen um 50 % bis zum Jahre 2050 nur in optimistischen Szenarien der Wissenschaftler diskutiert wurde. Für Deutschland ist ein solcher Weg auch wirtschaftlich vorteilhaft, denn unser Land ist der führende Hersteller von Investitionsgütern in der Welt und hat mit seinen Produkten in dem Segment der ressourcenschonenden Technologien eine sehr gute Marktposition.
Das Buch stellt die Innovationsstrategie zur Steigerung der Ressourcenproduktivität ausführlich dar, zeigt ihre Potenziale, aber auch ihre Risiken. Es wird deutlich, dass durch eine geschickte Kombination ökonomischer, aber auch ordnungspolitischer Instrumente eine nachhaltigere Entwicklung möglich ist. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass es keine Alternative zu diesem Weg in die Zukunft gibt, sind aber auch der Überzeugung, dass die Risiken durch geeignete begleitende Maßnahmen vermieden werden können.
Im Kapitel 2 wird die Frage detailliert diskutiert, die wir soeben angesprochen haben: Wohin treibt die Welt, wenn es uns nicht gelingt, eine dramatische Änderung in unserem Verhalten durchzusetzen? Es werden detaillierte Ausführungen zum Bevölkerungswachstum, Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch der Welt gemacht.
Im Kapitel 3 fragen wir, warum die wirtschaftliche Entwicklung die Umwelt zerstört. Die Antwort darauf eröffnet dann auch Perspektiven für eine Lösung des Problems. Die Nutzung der Natur ist kostenlos möglich. Wir können als Konsumenten oder als Produzenten beispielsweise Schadstoffe in die Luft emittieren, ohne dass dies etwas kostet. Aus diesem Grunde nutzen wir die Natur übermäßig und fügen ihr deshalb Schaden zu. Man sagt auch, dass die privaten Kosten der Naturnutzung und die gesellschaftlichen Kosten, die in der Schädigung der Natur bestehen, auseinanderfallen. Dies hat in einer komplexen modernen Volkswirtschaft fatale Folgen, denn wir treffen Entscheidungen auf der Basis von Güterpreisen, die falsch sind, weil sie die Kosten der Naturnutzung nicht enthalten. Je mehr Nutzung der Natur direkt und indirekt durch die in ihm enthaltenen Vorprodukte in einem Konsumgut steckt, umso falscher ist der Preis des Gutes. Wie teuer müsste der Computer sein, mit dem gerade diese Zeilen geschrieben werden, wenn in seinem Preis alle Umweltschäden, die mit seiner Herstellung direkt und indirekt verbunden sind, auch abgegolten wären? Da sind Kupfererze und andere Rohstoffe durch umweltschädigende Verfahren der Natur entnommen worden. Bei der Verhüttung der Erze entstanden Luftschadstoffemissionen, und der Transport der Rohstoffe und schließlich auch des Endproduktes hat wiederum zu CO2-Emissionen geführt.
Die marktwirtschaftlichen Instrumente versuchen, die gesellschaftlichen Kosten der Naturschädigung dem Verursacher anzurechnen. Auf diese Weise werden Anreize gesetzt, diese Kosten und damit die Umweltschädigung zu vermeiden. Das sogenannte Ordnungsrecht arbeitet mit Verboten und Geboten. Wir werden beide Gruppen von Instrumenten auf ihre Wirksamkeit untersuchen und zu dem Ergebnis kommen, dass es auf das konkrete Problem ankommt, das zu lösen ist. Unsere Position ist die, dass man den marktwirtschaftlichen Instrumenten zwar ein Primat einräumen sollte, dass es aber ohne Ordnungsrecht nicht gehen wird.
Nach der grundsätzlichen Positionsbestimmung im Hinblick auf die Ursachen des Umweltproblems und der Diskussion von generellen Lösungsmöglichkeiten befassen wir uns im Kapitel 4 mit den Zielen, die im Rahmen der Umweltpolitik verfolgt werden sollen. Die Diskussion über die Ziele ist zweifellos durch das normative Konzept der nachhaltigen Entwicklung beherrscht. Die von der ehemaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland geleitete Weltkommission für Umwelt und Entwicklung legte im Jahre 1987 ihre Ergebnisse in einem Bericht vor. Sie kennzeichnet darin eine Entwicklung als nachhaltig, wenn sie die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können. Der Begriff der Nachhaltigkeit steht seit 20 Jahren im Mittelpunkt der Umweltdiskussion, ist vielfältig interpretiert und kommentiert worden. Vor allem hat man sich um seine Konkretisierung bemüht, um der Politik klare Zielvorgaben zu machen
Es handelt sich um ein sogenanntes anthropozentrisches Konzept: Der Mensch steht mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt. Die nachhaltige Entwicklung hat eine ökologische, eine ökonomische und eine soziale Dimension. Sowohl bei der ökologischen Dimension als auch bei der ökonomischen Dimension der Nachhaltigkeit geht es offenbar darum, dass der Folgegeneration ein bestimmter Kapitalstock übergeben wird, der zum einen aus den Beständen der Natur und zum anderen aus wirtschaftlichen Kapitalbeständen besteht. Der Kapitalstock der Natur besteht aus der Luft, den Seen, Flüssen, dem Boden, den Ökosystemen, der Artenvielfalt, den Bodenschätzen – eine Aufzählung, die keineswegs erschöpfend ist. Der Kapitalstock der Wirtschaft umfasst vor allem die Gebäude und Maschinenbestände, aber auch das sogenannte Humankapital, das als Wissensbestand in den Menschen verkörpert ist. Natürlich sollte auch die Qualität des Naturkapitals und des wirtschaftlichen Kapitals möglichst unverändert sein, wobei wir »Kapital« zunächst als eine rein physische begreifen, die nicht monetär bewertet ist.
Bei der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit fällt es etwas schwerer, den Kapitalbegriff zu verwenden, denn die soziale Nachhaltigkeit kennzeichnet ja nur eine bestimmte Verteilung der Güter, die übergeben werden. Es hat sich aber auch in diesem Zusammenhang die Verwendung des Kapitalbegriffs durchgesetzt. Als Sozialkapital bezeichnet man das Ergebnis des Wirkens bestimmter Institutionen, die in einer Gesellschaft für den sozialen Ausgleich sorgen. Dazu gehören etwa der ordnungsrechtliche Rahmen des Sozialrechts und die Umverteilung durch das Steuersystem und die Sozialversicherungen, aber auch die Verhandlungskultur zwischen den Vertretern der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Das Vorhandensein dieser Institutionen gewährleistet ein bestimmtes Niveau des sozialen Ausgleichs und kann deshalb als das Sozialkapital einer Gesellschaft bezeichnet werden.
Man kann sich nun – zugegeben etwas abstrakt – eine nachhaltige Entwicklung in der Weise vorstellen, dass eine Generation ihr Sozialkapital, Naturkapital und Wirtschaftskapital unverändert in Qualität und Quantität, also wie sie selbst die Bestände empfangen hat, an die Folgegeneration weitergibt. Bei diesem Bild drängt sich sofort die Frage auf, ob jede der drei Kapitalgrößen für sich zu betrachten ist, oder ob es nicht letztlich auf die Summe ankommt, die dann natürlich bewertet werden müsste. An dieser Stelle unterscheiden sich zwei Nachhaltigkeitskonzepte – das der »schwachen« und das der »starken« Nachhaltigkeit.
Bei dem Konzept der schwachen Nachhaltigkeit kommt es auf den Erhalt der Summe aller Kapitalbestände an. Dies bedeutet, dass ein Verlust an Naturkapital durch eine Zunahme an Wirtschaftskapital ersetzt (substituiert) werden könnte. Das Konzept ist abzulehnen, weil es unter Umständen die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen zulassen kann. Die starke Nachhaltigkeit lässt keinerlei Substitution zwischen den drei Dimensionen zu. In ihrer extremen Variante ist dies nicht einmal innerhalb der drei Dimensionen möglich. Dies geht allerdings sehr weit, weil dann der Abbau nicht erneuerbarer Ressourcen wie Erze, fossile Energieträger gänzlich ausgeschlossen würde. Damit wäre der Wirtschaftsprozess, wie wir ihn kennen, nicht mehr möglich. Wir entscheiden uns deshalb für eine milde Variante der starken Nachhaltigkeit. Sie erlaubt innerhalb des Naturkapitals jede Form der Substitution. So könnten etwa Flächen durch Asphalt versiegelt werden, wenn dafür an anderer Stelle neue Landschafts- oder Naturschutzgebiete ausgewiesen werden. Gleichzeitig muss gewährleistet sein, dass die Aufnahmekapazität der Umweltmedien für Schadstoffemissionen nicht überschritten wird. Diese Variante erscheint als ethisch vertretbar und auch realisierbar. Die praktisch handelnde Umweltpolitik in Deutschland und in den meisten Ländern Europas geht von dieser Interpretation der Nachhaltigkeit aus.