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Für meine Mom, die immer an mich geglaubt hat.
Für Christina L., die immer noch an mich glaubt.
Und für Cypress B., die wusste, dass ich alles tun konnte, was ich wollte … sobald ich aufgehört hatte zu jammern.
Ich liebe euch alle.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Karen Gerwig
© dieser Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2020
© Shelley Laurenston 2007
© Deutsche Erstausgabe 2011
Titel der amerikanischen Originalausgabe: »The Mane Event«
© Kensington Publishing, New York 2007
© der deutschsprachigen Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2011
Covergestaltung: Cover&Books by Rica Aitzetmüller
Covermotiv: stock.adobe.com
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»Der Leichnam wurde gestern Nacht entdeckt.«
Mace Llewellyn schaute den Polizeiaktivitäten zu, die vor dem Haus seines Rudels vor sich gingen. Schon als er gesehen hatte, dass einer der Männer des Rudels auf dem Flughafen LaGuardia auf ihn wartete, hatte er gewusst, dass etwas nicht stimmte. Dennoch – zu hören, dass ein männliches Mitglied des Rudels mit weggepustetem Hinterkopf gefunden worden war, überraschte ihn. Aber nur einen Moment lang. Er zuckte die Achseln. »Und?«
Shaw, einer der Neuzugänge des Rudels, lächelte. »Ich tue nur, was sie mir aufgetragen hat. Sie sagte, ich soll dich vom Flughafen abholen, und das habe ich gemacht.«
Seufzend strich sich Mace mit der Hand über den Kopf. Verdammter Rudel-Mist. Er hatte keine Zeit für so etwas. Oder für sie. Seine Schwestern und Cousinen. Warteten in diesem Haus wie beschissene Königinnen der Serengeti. Sie hatten es immer noch nicht kapiert. Mace wollte das nicht mehr. An dem Tag, als er die Papiere unterschrieben hatte, die ihn zum Eigentum der United States Navy machten, hatte er aufgehört, zum Rudel zu gehören. Vierzehn Jahre im Dienst hatten ihn zu einem Mann mit einer Bestimmung gemacht.
Im Moment hatte er zwei Ziele im Leben, und bei beiden ging es um seine Zukunft. Das erste würde ohne viele Probleme klappen. Er wollte ein eigenes Geschäft gründen. Die Finanzierung und einen Partner hatte er schon. Das zweite würde schwieriger werden. Er musste eine Frau finden. Nicht irgendeine Frau, sondern die Frau, die schon länger als er sich erinnern konnte seine Träume und Phantasien heimsuchte. Die Frau, die ihn vor mehr als zwanzig Jahren verlassen hatte. Klar, sie waren damals erst vierzehn gewesen, aber es ging verdammt noch mal ums Prinzip. Er würde sie finden. Er würde sie finden und für sich beanspruchen.
Die Möglichkeit, dass sie verheiratet war und sechs Kinder hatte oder als Nonne in Istanbul lebte, kam ihm nie in den Katzensinn. Er wusste, was er wollte. Also würde er sie bekommen. Aber wie üblich waren ihm seine Schwestern im Weg.
»Bin mir nicht sicher, warum mich das interessieren sollte.«
»Ich auch nicht. Ich persönlich bin froh, dass Petrov weg ist.«
Mace warf dem Mann einen Seitenblick zu; er konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. »Hast du ihn umgebracht?«
»Oh, bitte.« Shaw musterte seine Fingernägel. Dann fuhr er die Krallen aus und musterte sie ebenfalls. »Glaubst du wirklich, ich würde mir die Mühe machen, ihn umzubringen?« Er sah Mace an. »Ich meine … im Ernst?«
Da war was dran.
»Abgesehen davon wusste er, wie man feiert. Petrov hatte einen … exotischen Geschmack. Also könnte ihn jeder umgebracht haben.« Shaw zog seine Krallen wieder ein. »Und was hast du mit deinem Kopf angestellt?«
Mace verdrehte die Augen. »Ich kann bei der US Navy ja wohl schlecht eine Mähne tragen, oder?«
»Wohl nicht.« Shaw ließ die Wirbel seines kräftigen Halses knacken. »Sie will dich wahrscheinlich einfach nur sehen. Du bist ihr einziger Bruder.«
Und das Alphamännchen der Llewellyn-Linie.
Nein. Sie würden nicht schon wieder darüber sprechen. Über seine Pflicht dem Rudel und dem Namen Llewellyn gegenüber. Er hatte seine Pflicht für sein Land getan. Die Navy ließ ihn nur ungern gehen. Er hatte nicht vor, sich gleich wieder zu einem Dienst auf Lebenszeit zu verpflichten.
Und er würde sich von ihnen ganz sicher nicht an ein anderes Rudel verkaufen lassen wie ein Werfer der New York Mets.
Shaw dagegen genoss sein Leben eindeutig. Als ranghöchstes Männchen des Llewellyn-Rudels hätte er es nicht besser treffen können. Für manche war das Dasein als Rudelmann ein spitzenmäßiges Leben. Die Frauen fütterten einen, gebaren einem Junge und sorgten dafür, dass man ein bequemes Leben hatte. Im Gegenzug musste man ihnen nur bei der Fortpflanzung helfen, wenn sie so weit waren, und sie und ihren Nachwuchs vor anderen Rudelmännern schützen. Oberflächlich betrachtet hörte sich das toll an. Für manche war es das auch. Aber nicht für Mace. Er wollte mehr. Er wollte seine eigene Gefährtin. Genauer gesagt das Mädchen, das er vor so langer Zeit verloren hatte. Sie würde ihm ganz allein gehören. Er hatte ganz und gar nicht vor, den Rudelfrauen zu Diensten zu sein wie ein brünftiger Stier.
»Ich komme nicht zurück.«
»Mir egal. Interessiert mich nicht im Geringsten, was du tust. Allerdings wäre ich dir dankbar, wenn du jetzt aus meinem Auto aussteigst.«
Mit einem weiteren Seufzen schnappte sich Mace seinen Seesack und stieg aus dem Mercedes, mit dem Shaw ihn abgeholt hatte. Er ging nicht durch die Vordertür mit all dem Medienrummel, sondern seitlich ums Haus herum. Mehrere uniformierte Cops und ein Rudelmann standen am Seiteneingang. Der Rudelmann warf ihm einen Blick zu, musterte seinen rasierten Kopf und ließ ihn dann lachend herein. Mace kämpfte mit dem Drang, dem Mann den Hals umzudrehen. Ein Kampf, den er fast verloren hätte.
Er ging in den hinteren Teil des Hauses, durch die Küche. Das Personal warf ihm Blicke zu, arbeitete aber weiter. Die Feiertage waren ihre hektischste Zeit wegen all der Bälle und Wohltätigkeitsveranstaltungen. Auch wenn Mace keine einfallslosere Truppe als seine Schwestern kannte, wenn es um die Feiertage ging. Mace erreichte das andere Ende der Küche und drückte gerade die Schwingtür auf, als sein Telefon klingelte. Er angelte in der vorderen Tasche seiner Jeans nach seinem Handy.
»Ja?«
»Hey. Ich bin’s.« Watts. Ein alter Freund, der genau wusste, wo er Informationen herbekam, wo und wann immer er welche brauchte.
»Was hast du herausgefunden?«
»Sie lebt immer noch in New York. Geschieden.« Mace schloss die Augen und atmete lautlos auf. Er hätte nur ungern in diesem Stadium des Spiels angefangen, Leute umzubringen. Vor allem einen armen Schwachkopf, der zufällig die falsche Frau geheiratet hatte. »Und das wird dir gefallen: Sie ist ein Cop. NYPD.«
»Ehrlich?« Er wusste, dass das immer ihr Traum gewesen war, aber er selbst hatte auch immer Eishockeyspieler werden wollen. Das hieß allerdings nicht, dass er sich je Schützer umgeschnallt und sich den New York Islanders angeschlossen hatte.
Mace sah aus einem der großen Fenster, die auf den Garten hinausgingen. Er sah sie herumstehen. Uniformierte Cops, die Kaffee tranken und sich unterhielten. Mace schaute den Flur entlang, der zum Büro seiner Schwester führte.
»Bist du noch da? Ich hab noch mehr.«
»Erzähl’s mir später. Ich muss los.« Mace klappte sein Handy zu. Er leckte sich die Lippen und versuchte, langsamer zu atmen. Es konnte doch nicht sein, dass sie hier war … oder? Aber zum Henker, wenn sie es wäre, hätte er immer recht gehabt. Ein Zeichen der Göttin Druantia, Königin der Druiden, persönlich – sie gehörte ihm. Sie würde immer ihm gehören.
Er machte sich auf den Weg zu den privaten Büros seiner Schwester und hörte den Streit schon, bevor er die Tür erreichte. Er konnte außerdem hören, wie sie jemandem ordentlich die Meinung sagte. Das überraschte ihn nicht. Das Letzte, was das Rudel brauchte, war ein Haufen Cops, der in ihrem Leben herumwühlte. Aber Petrov war nicht nur bei seiner Schwester angestellt und eins der Alphamännchen, sondern er lebte auch auf dem Gelände. Da ein Schuss in den Hinterkopf normalerweise ein klarer Hinweis auf Mord war, hatten die Cops jedes Recht, das Haus zu durchsuchen.
Natürlich war all diese Logik Missy, Anführerin der Frauen des Llewellyn-Rudels, seine älteste Schwester und erklärte Familiennervensäge, scheißegal.
Mace bog um die Ecke, einen Flur vom Büro seiner Schwester entfernt, als er sie roch.
Er blieb stehen. Abrupt. Er brauchte weniger als eine Sekunde, um ihren Geruch zu erkennen. Er kannte ihn besser als seinen eigenen Namen. Vor mehr als zwanzig Jahren in sein jugendliches Gehirn eingebrannt, erinnerte sich sein erwachsenes Gehirn immer noch an diesen Duft. Um genau zu sein, benahm sich sein Erwachsenenhirn genauso wie sein halbwüchsiges damals. Es stellte die Arbeit ein und wollte nichts weiter, als um die Besitzerin dieses Geruchs herumzustreichen und zu schnurren. Der Kater in ihm wollte seinen Körper und sein Gesicht hingebungsvoll an diesem Duft reiben.
Er hatte recht gehabt. Sie war hier. Das erklärte die Wut seiner Schwester. Sie hasste sie. Hasste ihre ganze Familie. Missy hätte sie nie in die Nähe des Rudelhauses gelassen … es sei denn natürlich, sie hatte keine andere Wahl.
Er ging um die Ecke und betrat langsam das Büro der Sekretärin. Noch eine Tür, dann hatte er Missys Büro erreicht, oder wie er es nannte: »Destination Hell«. Er hörte, wie seine Schwester hinter der geschlossenen Bürotür jemanden herunterputzte, und er beneidete den Mann nicht, aber er hatte etwas viel Wichtigeres vor sich: Sie.
Sie stand mit dem Rücken zu ihm an dem Fenster mit Blick auf den Columbus Circle. Sie schien völlig ungerührt von dem Geschrei, das aus Missys Büro drang. Sie strahlte Ruhe aus. Ihre Energie gesammelt. Die Arme vor der Brust verschränkt. Nicht annähernd so groß wie die Frauen in seiner Familie – sie war nur ungefähr eins fünfundsiebzig groß. Aber kurvig. Reif. Gut gebaut. Üppig genau an den richtigen Stellen. Sie hatte sich die rotbraunen Haare geschnitten, sodass sie über den Kragen ihrer Lederjacke strichen. Als er den Blick an ihrem prächtigen Körper nach unten wandern ließ, konnte er erkennen, dass die Frau besser bewaffnet war als die meisten bei den Spezialeinheiten der Navy. Ein Pistolenhalfter beulte ihre Lederjacke aus, und sie trug ein kleineres Knöchelhalfter am rechten Bein unter ihrer schwarzen Hose. Es sah außerdem so aus, als trüge sie ein Holster mit einem kleinen Messer am linken Bein – dass irgendein anderer Cop im Bundesstaat das als legal betrachten würde, bezweifelte er ernsthaft.
Ihr Handy vibrierte an ihrer Hüfte. Sie zog das kleine Gerät mit einer fließenden Bewegung aus seiner Hülle, warf einen Blick auf die angezeigte Nummer und ging ran. Inzwischen war er kurz davor, auf die Knie zu sinken und zu ihr zu kriechen. Diese Stimme. Diese verfluchte Stimme! Wie zehn Meilen Schotterpiste in der heißen Wüste, aber irgendwie hatte sie diesen brutalen Bronx-Akzent in den Griff bekommen. Ein bisschen enttäuschend allerdings. Er liebte diesen Akzent an ihr. Sie hatte ihn früher getragen wie eine alte Lederjacke. Jetzt dämpfte, kontrollierte sie ihn. Das sah ihr irgendwie ähnlich. Er lächelte und fragte sich, was es wohl brauchen würde, um das Mädchen aus der Bronx zurückzubekommen, das er kannte und immer noch liebte. Dankenswerterweise konnte sie allerdings gegen diese Stimme nichts tun. Er schloss kurz die Augen und ließ ihre Stimme über sich wegspülen wie eine stürmische Welle.
»Ich dachte, du würdest mich nie zurückrufen. Du wirst nicht glauben, wo ich bin.« Sie lachte, und seine Eier zogen sich zusammen. »In Missy Llewellyns Haus … nein, ich lüge nicht. Wie könnte ich mir das ausdenken?«
Sie kratzte sich an ihrem langen Hals. Der Drang, genau diese Stelle zu lecken, erstickte ihn fast. »Himmel, liest du keine Zeitung? Einer von ihren Leuten ist im Battery Park umgebracht worden. Jogger haben ihn gefunden. Was? Nein. Also, soll ich ihr was von dir ausrichten?« Ihr Körper bebte, als sie ein Lachen unterdrückte. »Tja, ich glaube nicht, dass ich ihr das ausrichten werde. Du meine Güte! Und du sagst, ich sei nachtragend!«
Ein paar Augenblicke später versteifte sich ihr Körper. »Nein. Das kann ich nicht. Ich arbeite, deshalb. Ja. Sogar an Weihnachten. Übrigens hasse ich Weihnachten. Ich habe moralische Einwände dagegen.« Er runzelte die Stirn, um nicht zu lachen. Sie hatte »moralische Einwände« gegen Weihnachten? Was sie sich für einen Mist ausdenken konnte, erstaunte ihn immer noch.
»Hör zu, ich muss auflegen. Nein, ich diskutiere nicht darüber.« Sie klappte das Handy zu und steckte es zurück in die Tasche.
Guter Gott, diese Frau war immer noch schön. Nach all den Jahren. All der Zeit. Und er hätte gewettet, dass er ihr die Hose ausziehen und in ihr sein könnte innerhalb von … er sah auf die Uhr. Dreißig Sekunden. Ja. Das würde gehen.
Desiree MacDermot starrte aus dem Fenster im Büro der Sekretärin und wartete. Na ja, wartete und kochte innerlich. Natürlich musste ihre älteste Schwester ihr den Moment verderben. Hier stand sie, im Haus ihrer Erzfeindin, kurz davor, die reiche Kuh in einen Streifenwagen zu packen, und was sagte ihre Schwester? »Kommst du zu Mom und Dad zum Weihnachtsessen?«
Natürlich komme ich! Außerdem habe ich vor, mir die Haut von den sensibelsten Stellen meines Körpers abzuziehen und Salz in die offenen Wunden zu reiben!
Denn ging es bei Feiertagen nicht ganz genau darum – dass die Familie einen dazu brachte, sich zu wünschen, man sei Waise?
Dez schüttelte diesen eindeutigen Versuch ihrer Schwester ab, sie dazu zu bringen, sich schlecht zu fühlen. Wie konnte sie sich schlecht fühlen, wenn sie gerade vorhatte, Missy Llewellyn zum Weinen zu bringen? Missy, die nichts mehr zu lieben schien als den MacDermot-Schwestern das Leben zur Hölle zu machen. Anscheinend genügte es nicht, dass sie sich alle drei das Recht erworben hatten, in die exklusive Cathedral School in Manhattan zu gehen, indem sie sich Spitzen-Stipendien erarbeitet hatten. Oder dass ihre Eltern verdammt hart arbeiteten, um ihren Töchtern das Beste zu ermöglichen, das sie sich leisten konnten. Nein, für Missy und die anderen Llewellyn-Schwestern bedeutete das alles einen Scheißdreck. Sie interessierten sich nur für eines – die Tatsache, dass die MacDermots arme, puertoricanisch-irische Mädchen aus der Bronx waren. Und sie wollten dafür sorgen, dass sie das auch nie vergaßen.
Vielleicht würde Gott beschließen, auf sie herabzulächeln, und sie könnte Missy so wütend machen, dass sie etwas Dummes tat. Oh, wenn Missy sie nur schlagen würde. Dann könnte Dez die Schlampe in Handschellen legen und ihren Hintern ein paar Stunden in eine Zelle stecken. Vielleicht würden die Huren sie zum Weinen bringen. Wie sie Dez vor all den Jahren an jenem schwülen Tag im Spätaugust zum Weinen gebracht hatte.
»Du wirst nie gut genug für ihn sein.«
Das hatten sie ihr gesagt, als alle vier Schwestern sie umringt hatten wie ein Rudel Wölfe. Sie hatte diese brutalen Worte nie vergessen, aber sie hatte sich auch nicht davon aufhalten lassen. Ganz im Gegenteil. Sie sollte Missy vielleicht dankbar sein. Ohne ihre angeborene boshafte Natur hätte Dez vielleicht nicht den Mumm gehabt, Cop zu werden. In jenem Moment damals hatte sie beschlossen, Missy Llewellyn das Gegenteil zu beweisen, und soweit sie es beurteilen konnte, hatte sie das auch getan. Dez wurde jetzt bewusst, dass diese Leute mit all ihrem Geld und ihren Verbindungen nicht annähernd gut genug für sie waren.
Während sie sich größte Mühe gab, das Lächeln zu unterdrücken, das sich auf ihrem ganzen Gesicht auszubreiten drohte, wurde ihr plötzlich klar, dass all ihre Phantasien jetzt mit einem Schlag wahr zu werden schienen. Der Gedanke, Missy in einen Streifenwagen zu stecken, machte tatsächlich ihre Nippel hart.
Nein. Das wurde gerade zum besten Tag ihres ganzen Lebens. Als hätte ihr jemand fünf Tage zu früh ihr Weihnachtsgeschenk an den Kopf geworfen. Es trieb ihr sogar beinahe eine Freudenträne ins Auge. Nichts konnte das je schlagen. Absolut gar nichts.
»Also, wo zum Teufel warst du die ganze Zeit?«
Dez schauderte. Mann, diese Stimme klang vertraut. Sie kannte nur eine Person mit so einer Stimme. Ein komischer kleiner Junge, wahrscheinlich der kleinste Vierzehnjährige, den sie je gesehen hatte, mit der tiefsten Stimme, die sie je gehört hatte. Sie wirbelte auf dem Absatz herum … und sah sich einem Gott gegenüber. Groß wie eine Art gutaussehender Linebacker. Ein rasierter Schädel mit einem ernsten Bartproblem und goldenen Augen. Augen, die sie im Moment anstarrten wie ein saftiges Steak. Nein. Das konnte nicht Mace Llewellyn sein. Ihr sank das Herz in die Hose. Klar, dieser Mann war hübsch, aber hübsche Männer sah sie jeden Tag. Der Mace, an den sie sich erinnerte, war nicht hübsch, aber er wusste immer, wie er sie zum Lächeln bringen konnte. Über die Jahre hatte sie gelernt, dass das verdammt noch mal viel wichtiger war als gutes Aussehen.
»Also? Antworte mir.«
O-oh. Spinner-Alarm. Wie kam es eigentlich, dass die Gutaussehenden immer irre waren? »Ich … äh … Entschuldigung. Kenne ich Sie?«
Er verschränkte die kräftigen Arme vor seiner muskulösen Brust und grinste sie an. »Nimm dir Zeit. Es kommt schon wieder.«
Sie blinzelte und versuchte, sich alle Ausgänge des Raums in Erinnerung zu rufen, für den Fall, dass der gutaussehende Spinner plötzlich gewalttätig wurde.
»Ich warte immer noch.«
Da traf es sie. Wie ein Schlag gegen die Stirn. Aber … nein. Das konnte nicht sein. Es war nicht menschenmöglich. Aber dieser arrogante Tonfall. Dieser hochmütige Gesichtsausdruck. Dieses verdammte Grinsen. Diese unglaubliche Stimme, die mit dem Alter köstlich gereift war. Alles zusammen konnte eigentlich nur einer Person gehören. Und auf das Wiedersehen mit dieser Person hatte sie mehr als zwanzig Jahre gewartet.
Was war mit dem Jungen passiert, an den sie sich erinnerte? Anscheinend war jetzt dieser … dieser … Mann an seine Stelle getreten. Oh, und was für ein Mann!
Aber egal, wie anders er aussah, sie wusste es immer noch. Vielleicht verrieten ihn diese komischen goldenen Augen. Oder diese umwerfend vollen Lippen, gegen die sie schon mit vierzehn nicht immun gewesen war.
Oder vielleicht die Art, wie er sie anstarrte. Als verbrächte er jeden wachen Augenblick damit, sie sich nackt vorzustellen.
Nur eine Person hatte sie je so angesehen. Na ja, nur eine Person hatte sie je so angesehen, bei der sie nicht den überwältigenden Drang verspürte, ihm die Augen auszukratzen.
»Oh mein Gott – Mace?«
Die Zeit hatte Wunder an ihr bewirkt. Manche Frauen sahen nie wieder so gut aus wie in der Highschool, vor allem nicht mit sechsunddreißig. Sie schon. Besser. Sie hatte immer noch diese unglaublichen Augen. Grau mit grünen Sprenkeln. Er hatte damals im Biologieunterricht in diese Augen gesehen, während sie sich durch die Experimente geschummelt hatten. Natürlich nur, wenn er nicht gerade in dieses schöne Gesicht mit dieser süßen kleinen Stupsnase oder auf diesen unglaublich heißen Körper gestarrt hatte. Sie war frühreif gewesen und hatte schon C-Körbchen getragen, als die anderen Mädchen gerade die Sport-BHs ablegten. Aber das war alles nicht wichtig. Nicht für Mace. Das war nur das Sahnehäubchen.
Für ihn war es mehr gewesen als ihre Oberweite und ihr sinnlicher Mund. Dez hatte ihn damals wirklich gemocht. Genau so, wie er war. Vierzig Kilo, verschwitzt, kaum eins sechzig groß und mit der Attitüde eines Riesen. Die meisten Leute hatten Mace nicht gemocht. Dez dagegen fand ihn lustig und schlau. Selbst seine Schwestern hatten ihn nie so gesehen. Für einen Vierzehnjährigen bedeutete das alles.
Dann hatte sie ihn verlassen. War aus seinem Leben verschwunden und niemals wiedergekommen. Im Augenblick hätte Mace sie am liebsten gegen die Wand gedrückt und verlangt, dass sie ihm sagte, wie sie ihn so hatte verlassen können.
Jahrelang hatte ein Teil von ihm darauf gewartet, sie wiederzusehen. Auch wenn er sich immer gewünscht hatte, sie zu vergessen. Sich in einer der anderen Frauen zu verlieren, die er kennengelernt hatte, seit er sie das letzte Mal mit ihren Sattelschuhen den Schulflur entlang aus seinem Leben hatte gehen sehen. Aber er konnte es nicht. Egal, wie sehr er es versuchte, er konnte sie nicht vergessen. Zum Teufel, er träumte immer noch von ihr. In seinen Träumen war sie älter, Gott sei Dank, aber seine Träume wurden der Frau nicht gerecht, die jetzt mit einer NYPD-Dienstmarke an einer Kette um den Hals vor ihm stand.
»Mace Llewellyn? Bist du das?«
Also erinnerte sie sich an ihn. Gut. Jetzt konnte er ihr sagen, was für ein Miststück sie gewesen war, ihn zu verlassen. Weil sie ihm sein Vierzehnjährigenherz in tausend Stücke zerbrochen hatte und mit ihren Sattelschuhen darauf herumgetrampelt war. Er wollte es auch tun – bis sie ihn anlächelte. Ein Lächeln, das ihn praktisch auf den Hintern warf.
Nach all diesen Jahren sah die Frau immer noch phantastisch aus. Und dann warf sie sich auch noch förmlich auf ihn und schlang ihm die Arme um den Hals.
»Du meine Güte, Mace! Ich fasse es nicht!«
Seine Augen verdrehten sich beinahe nach hinten, als sie ihren kurvigen Körper an seinen drückte. Ohne auch nur darüber nachzudenken, umarmte er sie und hob sie von den Füßen. Sie quiekte tatsächlich, was mit ihrer Stimme seltsam klang.
»Ich glaube es nicht, Mace!« Er glaubte es auch nicht. Wie konnte jemand so gut riechen? Wie war das möglich?
Sie lachte. »Hör auf, an meinem Hals zu schnüffeln!« Sie stemmte sich gegen seine Schultern und lehnte sich zurück, aber er ließ nicht los. »Ich kann nicht glauben, dass du das immer noch tust!«
»Du riechst gut.«
Sie verdrehte die Augen. »Ja, klar.«
»Also?«
»Also was?«
»Beantworte meine Frage.«
»Deine Frage?«
»Wo zum Teufel warst du die ganze Zeit?«
»Ach, Mace! Verschon mich!« Sie versuchte, sich aus seinen Armen zu befreien, aber er hielt sie fest. »Hast du vor, mich loszulassen?«
»Ich finde es bequem so. Beantworte meine Frage.«
»Meine Familie ist umgezogen, Mace. Nach Queens. Meine Schwestern und ich sind in eine andere Schule gegangen. Ich versichere dir, es hatte nichts mit dir zu tun.« Er starrte sie an. »Wirklich nicht!«
»Hast du mir geschrieben?«
»Nein, Mace.«
»Hast du an mich gedacht?«
»Ach, komm schon!«
»Was? Das ist eine berechtigte Frage.«
»Du stammst aus einer der wohlhabendsten Familien von New York. Du hättest mich suchen können, wenn du mich wirklich so dringend sehen wolltest.«
»Ich war auf der Militärschule.«
Dez versuchte, nicht zu lachen, aber es war ein vergeblicher, schwacher Versuch. »Entschuldige. Ich kann mir nur gerade schwer vorstellen, wie du Befehle entgegennimmst … du weißt schon … von irgendwem.«
»Was soll das heißen?«
»Komm schon, Mace. Ich bin’s.«
Er sah in ihr Gesicht hinab. »Ja. Du bist es allerdings.« Sie sahen sich in die Augen, und ein paar Sekunden lang taten sie nichts weiter.
Dez schüttelte den Kopf. »Okay. Lass mich runter.«
»Warum?«
»Mace!«
Er ließ sie los, sodass sie fast das Gleichgewicht verlor. Was ihn natürlich zwang, ihren Hintern zu packen, um sie zu stützen, bevor sie umfiel.
»Hände weg, Llewellyn. Oder ich zieh dir die Eier lang und mach mir eine Kette daraus.«
Er lächelte und ließ sie los. »Tja, du hast dich nicht verändert.«
»Du dich auch nicht. Captain Ego lebt noch, wie ich sehe.«
Keine andere Frau wäre damit durchgekommen. Er schaute an sich hinab. »Ich habe mich nicht verändert? Nicht einmal ein bisschen?«
»Ich meine nicht deinen Körper, du Idiot.« Sie boxte ihn leicht gegen die Schulter, blinzelte überrascht und befühlte plötzlich den Bizeps unter seiner Lederjacke. »Ich meine definitiv nicht deinen Körper.«
Er grinste sie an und genoss es, dass sein Körper sie so aus dem Konzept zu bringen schien. »Alles klar, meine Schöne?«
»Ach, halt die Klappe.«
»Sag mir zumindest, dass du mich vermisst hast.«
Sie nickte, und ihre Stimme wurde leise. »Ja, Mace. Ich habe dich vermisst. Du warst mein bester Freund.«
Bester Freund? Er hatte nie ihr bester Freund sein wollen. Ihr fester Freund hatte er sein wollen. Er hatte gewollt, dass ihre Eltern sie beim Rummachen auf ihrem Sofa erwischten. Er hatte ihr eines dieser geschmacklosen Armkettchen mit seinem Namen darauf kaufen wollen. Er hätte ihr am liebsten »Eigentum von Mace Llewellyn« auf die Stirn tätowiert.
»Schau nicht so finster, Mace.« Sie hob die Hand und strich mit den Fingern über seine Stirn. Eine Bewegung, die sie früher in der Schule oft gemacht hatte. Damals war das oft das Einzige, das ihn beruhigte. Das Einzige, das ihn davon abhielt, hirnlose Sportler und reiche Arschlöcher mit seinen frisch gesprossenen Reißzähnen zu zerfetzen. »Es ist über zwanzig Jahre her, Mace. Lass es gut sein, Holzkopf.« Sie fuhr ihm mit dem Daumen die Nase entlang und spreizte die Finger, sodass seine Wange in ihrer Hand lag. Er lehnte sich an ihre Hand, und sie lächelte dieses gewisse Lächeln.
Auch nach all diesen Jahren wusste sie noch, wie sie mit ihm umzugehen hatte. Wie sie mühelos die Bestie in seinem Herzen im Zaum hielt. Oh ja. Diese Frau war für ihn bestimmt. Und nichts würde ihm jetzt noch in die Quere kommen.
»Was zum Teufel tust du da mit meinem Bruder?«
Mace knurrte und fragte sich, wie viele Jahre Gefängnis man bekam, wenn man seine Schwester in den East River warf.
Maces Körper spannte sich unter ihrer Hand. Dann hörte sie dieses typische Mace-Knurren. Er setzte es nur ein, wenn ihn etwas wirklich wütend machte. Armes Baby, es schien, als käme er immer noch nicht besser mit seinen Schwestern aus als sie mit ihren.
Sie schaute über die Schulter hinweg die schöne Missy Llewellyn an. Im Gegensatz zu Mace hatte sich Missy nicht sehr verändert. Immer noch schmal, golden und schön. So ziemlich das genaue Gegenteil von Dez, deren ungeliebtester Onkel sie immer noch Pummelchen nannte.
»Also? Antworte mir!« Und immer noch giftig wie eine Natter.
Oooh. Eine angepisste Missy. Das liebte Dez. Sie hätte freundlich und nett sein sollen. Aber naja, man nannte sie nicht ohne Grund in der ganzen Mordkommission die Aufwieglerin.
Dez drehte sich zu Missy um und lehnte sich mit dem Rücken an Maces Brust. Dann nahm sie aus Spaß seine muskulösen Arme und legte sie sich um die Taille. Die Reaktion ihres Körpers auf Mace überraschte sie zuerst selbst. Sich Männern in die Arme zu werfen, die sie zwanzig Jahre nicht gesehen hatte, war eigentlich nicht ihr Stil. Aber sein bloßer Anblick brachte wieder das vierzehnjährige Mädchen zum Vorschein, das niemals genug von Mace und seiner angeborenen Merkwürdigkeit bekommen konnte. Aber jetzt? Na ja, Mace zu benutzen, um seine Schwester zu quälen – das war Dez’ größter Spaß.
Sie lächelte Missy an. »Dein Bruder hat mich gebeten, mit ihm in ein Hotel zu gehen und wilden, schmutzigen, animalischen Sex zu haben … und ich sagte: Geh du voraus.«
Oh ja. Wenn Blicke töten könnten, wäre sie jetzt nichts weiter als ein Fettfleck auf dem Teppich dieser Frau. Anscheinend hatte Missy immer noch das Gefühl, Dez habe ihren Bruder nicht verdient. Was die ganze Sache umso lustiger machte. Dazu kam, dass Mace sie fester umfasste und die Nase an ihrem Hals rieb. Sie war aber auch nicht überrascht, dass Mace mitspielte. Sie beide hatten schon früher ständig etwas ausgeheckt. Die Nonnen hatten sie im Unterricht grundsätzlich auseinandergesetzt, sie nachsitzen lassen, sie den Inbegriff des Bösen genannt und ihnen das Höllenfeuer angedroht. Na ja … das Übliche eben.
Manches änderte sich wohl nie.
»Also, Mace, in ein paar Stunden habe ich Feierabend.«
Er schüttelte den Kopf. »So lange kann ich nicht warten, Baby. Komm, wir erledigen das im Büro meiner Schwester. Du weißt schon. Um uns ein bisschen abzukühlen.«
Dez kämpfte gegen den Teil ihrer selbst, der Mace beim Wort nehmen wollte, und spielte weiter.
»Das ist sooo romantisch, Mace. Ich wusste gar nicht, dass du so romantisch bist!«
»Du weißt vieles von mir noch nicht. Übrigens ist Missys Schreibtisch aus hübschem, stabilem Mahagoni. Wir könnten es auf dem Ding treiben wie die Wölfe, und es würde sich keinen Millimeter bewegen.«
Ah, der Mace, den sie kannte. Das neunmalkluge Kind, das die Leute einfach nur zum Spaß ärgerte, und seine Schwester war da keine Ausnahme. Dez wusste vielmehr, dass er seine Schwester sogar besonders gern ärgerte und jede Minute genoss.
Jawohl. Ihr Tag wurde immer besser.
Konnte dieser Tag noch besser werden? Die Frau seiner Träume kuschelte sich in seine Arme, und seine Schwester war fast rasend vor Wut. Noch ein paar Minuten länger, und er würde anfangen zu schnurren und nicht mehr damit aufhören.
»Mason«, zischte seine Schwester zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Ich muss mit dir reden. Unter vier Augen.«
Mace sah sie an. Er fragte sich, wie lange es noch dauern würde, bis sie durchdrehte.
»Sofort!«
Tja, das hatte ja ganze zehn Sekunden gedauert.
Er sah ihr nach, als sie kerzengerade in ihr Büro stolzierte.
»Ooh, Mace. Du bekommst echt Ärger!«, flüsterte Dez.
Er zog sie dichter an sich. Er konnte nicht anders. Hatte sie überhaupt eine Ahnung, wie lecker sie war?
Ein weiterer Cop kam herein und stellte sich neben sie. Er sah Mace finster an, aber der ignorierte es. Nichts würde ihn von der Frau in seinen Armen ablenken.
»Wir gehen.«
»Was? Warum?«
»Hab eben einen Anruf vom Lieutenant bekommen. Sie ziehen uns ab. Ich wurde informiert, dass wir genug Informationen für diese Untersuchung haben und Miss Llewellyn nicht länger belästigen sollen. Und würdet ihr beide bitte damit aufhören, was immer ihr auch tut?«
»Hey, B! Du ruinierst mir meine Dröhnung!«
Mit einem genervten Seufzen wandte sich der Mann von ihnen ab. Dez sah Mace über ihre Schulter an. »Mr. Llewellyn, ich habe Grund zu der Annahme, dass Ihre Schwester einen Anruf gemacht hat.«
»Ich glaube, da haben Sie recht, Detective.« Seine Schwester hatte eine ganze Menge politischer Verbindungen und scheute sich nicht, sie zu nutzen, wann immer es ihr beliebte.
»Zu schade. Ich hatte so schöne Folterpläne für sie. Und sie hatten alle mit ihrem Schreibtisch zu tun.« Lächelnd drehte sich Dez um, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Mace auf die Wange. Er hatte im Laufe der Jahre viele Frauen gehabt, die viel intensivere Dinge mit ihm gemacht hatten, aber nichts davon hatte sich je so gut angefühlt wie dieser einfache Kuss. »Es war wirklich schön, dich wiederzusehen, Mace.«
Sie machte sich von ihm los, und er ließ sie widerstrebend gehen.
»Und ich bin froh, dass es dir gut geht. Auch wenn ich nie daran gezweifelt habe.« Sie gab ihrem Kollegen ein Zeichen. »Lass uns hier abhauen, B.«
Der Mann ging. Dez folgte ihm, aber Mace hielt sie auf: »Warte.«
Dez sah ihn an, neugierig, warum er wollte, dass sie wartete. Um genau zu sein, stellte sie fest, dass sie auf einiges neugierig war, wenn es um Mace ging.
»Geh heute Abend mit mir aus. Abendessen.«
Sie lachte, denn das war eindeutig mehr ein Befehl als eine Bitte. »Nein.«
»Warum nicht?«
»Du erinnerst dich nicht einmal an meinen Namen, Mason Llewellyn.« Er hatte ihren Namen in den letzten zehn Minuten nicht ein einziges Mal gesagt. Der Gedanke, dass er sie so leicht vergessen hatte, schmerzte, aber wenn man so aussah, wie Mace es jetzt tat, wie sollte man sich dann all die Frauen merken? Und dann noch eine, mit der man nicht einmal geschlafen hatte.
Dez drehte sich um und ging den Flur entlang.
»Desiree.« Sie erstarrte, als seine tiefe Stimme unter ihre Haut kroch. »Patricia. Marie. MacDermot. Abgekürzt Dez.«
Dez wirbelte herum, ihr Mund stand ehrfürchtig offen. »Wie zum Teufel hast du dir das alles gemerkt?« Er hatte sogar ihren Konfirmationsnamen genannt. Niemand außer dem Pfarrer kannte ihren Konfirmationsnamen, und das auch nur, weil er sie nicht besonders mochte.
»Ich erinnere mich an alles von dir, Dez. An absolut alles.«
Ihr stockte der Atem, ihr Herz schlug schneller. Und sie fragte sich plötzlich, ob Mace ihr Blut durch ihre Adern rasen fühlte.
Nach ein paar Sekunden riss sie sich zusammen. »Du tust es immer noch, Mace.« Der Bastard.
»Was tue ich?«
Sie grinste und warf ihm gleichzeitig einen wütenden Blick zu. »Mich foltern.«
Er lehnte sich an den Türrahmen und verschränkte die Arme. Er musterte sie genau. Von diesen süßen kleinen Füßen über diese prachtvollen Brüste bis zu diesen grauen Augen und den rotbraunen Haaren. »Baby, ich hab noch nicht mal angefangen.«
Sie schloss die Augen und holte tief Luft. Nach einem weiteren Augenblick sagte sie: »Ich gehe jetzt, Mace.«
So stellte er sich das nicht vor. Sie wies ihn ständig ab. Wusste sie es denn nicht? »Ja« zum Abendessen heute. »Ja« zur Hochzeit morgen. Verdammt, er hatte einen Zeitplan einzuhalten. Ein Zeitplan, der sich darum drehte, ihren süßen Hintern so schnell als menschenmöglich ins Bett zu bekommen.
»Wann sehe ich dich wieder?«
Sie ging den Flur entlang. »Um deiner Schwester willen hoffst du besser nie.«
Dann war sie fort. Aber es war noch nicht vorbei.
Noch lange nicht.
Dez setzte sich auf den Beifahrersitz, lehnte den Kopf zurück und starrte zum Dach des Chevrolet hinauf.
»Tu es nicht, Dez.«
Sie warf ihrem Partner, mit dem sie seit vier Jahren zusammenarbeitete, einen Blick zu. »Was soll ich nicht tun?«
»Lass dich nicht von diesem Kerl durcheinanderbringen. Er ist reich. Er ist ein Llewellyn. Und er kann jede heiße Frau der Stadt haben, die er will.«
»Ich bin heiß.« Dez grinste. »Dieser Typ von letzter Woche, der glaubte, dass Aliens mit ihm reden und deshalb versucht hat, seinen Nachbarn in Brand zu stecken, meinte, ich sei phantastisch.«
Bukowski startete kichernd das Auto. »Und er hatte recht, auch wenn er nicht gerade der zurechnungsfähigste Mensch war, den wir je verhaftet haben. Aber ein Typ wie Llewellyn wird das nie kapieren. Also verschwende nicht deine Zeit.«
»Ich weiß, ich weiß. Aber man wird ja wohl noch phantasieren dürfen.«
»Ja, klar.«
Er fuhr los in Richtung Polizeiwache.
Mace Llewellyn. Er war zurück in New York und sah attraktiver aus als alles, was sie je zuvor gesehen hatte. Wer hätte ahnen können, dass er sich so entwickeln würde? Sie hatte ihn auch damals schon liebenswert gefunden. Der süße Junge, der im Naturwissenschaftsunterricht neben ihr saß und sie zum Lachen brachte, indem er alle um sie herum imitierte und dabei versuchte, nicht auf ihre Brüste zu starren. Er war schonungslos und witzig und ihr größter Schwarm gewesen. Jetzt allerdings, na ja … jetzt war der Mann ein Gott. Er musste mindestens eins fünfundneunzig groß sein und gut über neunzig Kilo wiegen, ohne ein Gramm Fett am Körper.
Anfänglich war sie wenig beeindruckt gewesen von den männlichen Wesen, die sie gesehen hatte, während sie auf Missy wartete. Zu hübsch. Zu glatt. Zu … steril. Sie trugen Armani-Anzüge und 700-Dollar-Armbanduhren. Sie waren alle blond. Nein, nicht blond. Golden. Sehr golden. Ihre Haut. Ihre Augen. Ihre Haare. Es war schwer zu glauben, dass diese Leute in New York lebten. In ihrem New York. Wo man alle Farbabstufungen, alle Schattierungen, alle Tönungen unter dem verdammten Regenbogen fand.
Wenn man Dez fragte, spiegelte ihre Familie die wahre New Yorker Kultur wider. Ihr Vater war ein guter irischer Junge aus Hell’s Kitchen. Ihre Mutter eine süße Puertoricanerin aus der Bronx. Gemeinsam hatten diese zwei Leute eine braunhäutige Tochter geschaffen, die aussah, als sei sie gerade vom Schiff aus Cataño gestiegen. Und eine zweite, rothaarige Tochter mit blasser Haut, die aussah, als sollte sie am Broadway in Riverdance auftreten.
Dann hatten sie Dez gezeugt, die zwischen beiden Welten hing. Ihre glatten braunen Haare hatten einen rötlichen Schimmer. Ihre Haut sah aus, als hätte sie viel Zeit in der Sonne verbracht. Außerdem hatte sie die gleichen verdammt seltsam gefärbten Augen wie ihr Dad.
Mason schien dasselbe Problem zu haben. Er gehörte dazu und auch wieder nicht.
Er hatte immer dieses goldene Haar gehabt. Die goldenen Augen. Sogar diese goldene Haut. Aber jetzt hatte er etwas Raues an sich. Er hatte Stoppeln an seinem starken, eckigen Kiefer. Inzwischen rasierte er seine goldenen Haare ab, auch wenn es aussah, als kämpften sie sich zurück. Seine nachdenklichen goldenen Augen verrieten, dass er in den vergangenen zwanzig Jahren viel von der Welt gesehen hatte. Und nach der bösen Narbe zu schließen, die sich über seinen Hals zog, war die Welt ziemlich hart zu ihm gewesen.
Ja, aber Bukowski traf den Nagel wahrscheinlich auf den Kopf. Ein Typ wie Mace spielte in einer ganz anderen Liga als sie … wenn sie überhaupt eine hatte. Sie hatte nicht gerade viele Dates gehabt, nachdem ihre Ehe mit »dem Idioten« vor vier Jahren vorbei gewesen war.
Dennoch, der vierzehnjährige Mace hatte immer dieses Kribbeln am unteren Ende ihrer Wirbelsäule bei ihr ausgelöst, wenn er sie im Biologielabor angelächelt hatte. Der erwachsene Mace dagegen ließ ihren ganzen Körper kribbeln – und zwar gewaltig.
Sie glaubte nicht einmal, dass Mace sie damals überhaupt bemerkt hatte. Er hatte sie immer wie eine Schwester behandelt, die er nicht hasste. Nachdem sie ihn jetzt gesehen hatte allerdings … na ja, sie hoffte wirklich, dass er seine eigenen Schwestern nicht auch so ansah.
Dez hatte sich verändert. Und nur zum Guten. Sie war nicht mehr das furchtbar schüchterne Mädchen, das ihre riesigen Brüste hinter einem Stapel Bücher versteckte, damit die Sportler nicht versuchten, sie anzugrabschen. Die neue Dez strotzte vor Haltung und Selbstbewusstsein. Sie wirkte fast eingebildet. Sogar wie sie sich bewegte. Sie ging mit geradem Rücken, den Kopf hoch erhoben; über ihren Brüsten spannte sich ein weinroter Rollkragenpulli und forderte die Kerle heraus, sie zu berühren. Und wenn er sah, wie sie sich bewegte, hatte Mace keine Zweifel, dass sie dem nächstbesten Arschloch, das es wirklich versuchte, das Genick brechen würde.
Jawohl. Er wollte sie immer noch. Er musste sie haben. Und wie bei einer Gazelle, die in der afrikanischen Steppe an ihm vorbeirannte, würde er alles tun, was nötig war, um sie in die Pranken zu bekommen.
Mace schaute zur Tür, die ihn von seiner Schwester trennte. Mit einem schweren Seufzer ging er darauf zu und betete, dass sie diesmal besser miteinander auskamen. Er war sich nicht sicher, ob er noch eine Halswunde, die genäht werden musste, verkraften konnte.
»Was sollte das mit dieser … dieser … Person von der Polizei?«
Mace hatte die Füße bequem auf den Schreibtisch seiner Schwester gelegt und sah zur Decke hinauf.
»Tja, wenn du uns nicht unterbrochen hättest, hätte ich sie wahrscheinlich auf deinen Schreibtisch geworfen und …«
»Mason Llewellyn! Das ist nicht lustig! Diese Idiotin ist ein Cop – ob du es glaubst oder nicht –, und sie versucht zu beweisen, dass ich etwas mit Alexanders Tod zu tun habe. Sie hat mich tatsächlich gefragt, ob ich ihn umgebracht habe!«
Mace sah seine schöne Schwester an. Sie kam nach ihrer Mutter. Er kam nach ihrem Vater. Und sie kamen auch ungefähr genauso gut miteinander aus wie die beiden.
»Hast du?«
Missy starrte ihn wütend an. »Natürlich nicht!«
»Ich frage ja nur. Ich weiß, wie launisch du werden kannst.«
»Das macht dir richtig Spaß, oder?«
»Wenn ich ehrlich bin …«
»Du hast keine Ahnung, was los ist.«
Etwas am Tonfall seiner Schwester ließ ihn aufhorchen. Etwas Müdes … und Verängstigtes.
»Du hast recht. Wie wäre es, wenn du es mir erklärst?«
Missy rieb sich die Schläfen. Ein sicheres Zeichen dafür, dass ihr Stresslevel gerade einen neuen Höchststand erreichte. »Ich weiß nicht. Ich glaube, jemand versucht, das Rudel zu übernehmen. Die Männer zu verjagen.«
»Willst du damit sagen, dass Löwen Petrov erschossen haben?«
»Ich sagte, ich weiß es nicht.«
»Eindeutig.«
Eine unausgesprochene Regel unter Gestaltwandlern: Kämpfe nie mit etwas anderem als deinen Zähnen, deinen Klauen und deinem Jagdgeschick gegen einen anderen Gestaltwandler. Einer der Gründe, warum kaum ein Löwe eine Träne über den Todesfall im Withell-Rudel vor ein paar Monaten vergossen hatte. Gift an den Krallen? Geschmacklos.
»Bist du dir sicher, dass es nicht die Hyänen sind? Ich weiß, ich war eine ganze Weile weg, aber du kannst mir nicht erzählen, dass du mit ihnen auskommst.«
Missy schniefte. »Eher nicht.« Nein. Er glaubte nicht, dass sich die Dinge so sehr verändert hatten. Nicht, solange Missy die Narbe von einem Kampf mit einer Hyäne in ihrer Kindheit trug. Sie waren die einzigen Gestaltwandler, die Mace kannte, die mit Reißzähnen und dem Glauben geboren wurden, dass alles um sie herum nur dazu diente, ihre Beute zu sein.
»Sei einfach vorsichtig, Mason. Wenn andere Männer versuchen, das Rudel zu übernehmen, bin ich mir nicht sicher, ob sie dich als Bedrohung ansehen oder nicht.«
Männer verließen immer das Rudel, in dem sie geboren wurden, doch da die Llewellyns eines der »zivilisierten« Rudel waren, die ihre Männer tauschten, stellte seine Existenz ein kleines Problem und eine Gefahr für Außenstehende dar, die versuchten, seine Schwestern und Cousinen zu beanspruchen. Mit dem Geld und Namen, den er hatte, konnte das Rudel drei höherrangige Männer für ihn bekommen.
Natürlich löste dieser Gedanke einen Brechreiz in ihm aus.
Andererseits machte sich Mace keine großen Sorgen. Er hatte vor langer Zeit gelernt, ohne das Rudel zu überleben. Er war der Jäger und der Gejagte gewesen. Hatte in Feuergefechten festgesessen, aus denen es scheinbar keinen Ausweg gab. Er hatte getötet. Menschen. Um seine Männer und sich selbst zu schützen. Seine Tage des Verwöhntwerdens hatten geendet, als er zur Navy gegangen war.
Doch die Sorge seiner Schwester erweckte beinahe das Gefühl in ihm, sie nicht zu hassen. Beinahe.
»Also, was soll ich tun?«
»Im Moment gar nichts. Bleib einfach am Leben.«
»Und dann?«
»Ich weiß es noch nicht. Ich will nicht, dass irgendwelche herumstreunenden Männer versuchen, dieses Rudel zu übernehmen. Sherry hat letzten Monat zwei Junge von Petrov bekommen.« Missy schauderte. »Ich will mir gar nicht vorstellen, was sie tun würden, wenn sie hereinkämen.«
Er wollte die nächste Frage nicht stellen, aber sein dummes Pflichtgefühl zwang ihn dazu. »Brauchst du mich hier?«
»Nein. Shaw und Reynolds werden das nicht dulden, und mir fehlt es gerade noch, dass ihr drei euch beim Frühstück anknurrt. Abgesehen davon kommen morgen ein paar wichtige Leute zu einem Bankett herüber. Und da ich weiß, dass du dich dafür nicht zurechtmachen würdest …«
Mace hob die Hand. »Ein einfaches ›Nein‹ hätte wirklich als Antwort genügt.«
»Wo willst du übernachten? Und sag jetzt nicht, in deinem Apartment. Es wäre nicht sicher.«
Er hätte am liebsten »Zwischen Dez’ Schenkeln« gesagt, aber das hätte seine Schwester nur wieder auf die Palme gebracht.
»Ein Kumpel von mir aus der Navy kommt in die Stadt. Er und seine Meute verbringen hier die Feiertage. Ich kann eine Weile bei ihnen pennen.« Er hob den Blick und stellte fest, dass seine Schwester ihn entsetzt anstarrte. »Gibt es ein Problem?«
»Hast du Meute gesagt?«
»Ja.«
»Du bist mit einem … einem … Hund befreundet?«
»Ihm ist Wolf lieber, aber ja, bin ich.« Er betrachtete Smitty in Wahrheit sogar als seinen Bruder. Sie hatten sich mehr als einmal gegenseitig das Leben gerettet.
»Aber … du kannst nicht mit ihm befreundet sein.«
Theoretisch vielleicht nicht. Sie waren Meute und Rudel, Hund und Katze; er und Smitty sollten eigentlich die schlimmsten Feinde sein. Vor allem angesichts des Krieges zwischen Meute und Rudel, der nun schon seit Jahrzehnten anhielt. Aber das Militär schuf merkwürdige Gespanne. Typen, die sich aufeinander verlassen mussten, um zu überleben. Smitty war einer seiner besten Kumpel und würde es auch immer sein. Auch wenn Mace ihn mehr als einmal dabei erwischt hatte, wie er sich die eigenen Eier leckte.
»Weißt du was, Missy? Ich bitte dich wirklich nicht um deine verdammte Erlaubnis.«
»Wage es ja nicht, mir gegenüber zu fluchen, Mason! Ich bin keiner von deinen Militärkameraden oder diese Schlampe aus der Bronx!« Mace sah wieder zur Decke hinauf. Fünf Minuten mit seiner Schwester, und er fühlte sich wieder wie ein Zwölfjähriger.
»Also«, fuhr sie fort, »kommst du wenigstens an Weihnachten vorbei? Ich habe ein Geschenk für dich.«
Mace sah sich in Missys Büro um. Es gab nicht ein einziges Anzeichen dafür, dass die Welt in fünf Tagen Weihnachten feierte. Bei der Dekoration, die seine Schwester aufgehängt hatte, hätte es genauso gut Mitte August sein können.
»Feierst du überhaupt Weihnachten?«
»Sei kein Klugscheißer. Das Wohnzimmer ist richtig dekoriert. Ich will nur kein Lametta und so ein Zeug in meinem Büro.«
Er musste nicht einmal fragen, um zu wissen, dass seine Schwestern jemanden engagiert hatten, um ihr Wohnzimmer zu dekorieren. Auf keinen Fall würden sich die Weibchen des Rudels zu etwas so Mittelklassigem herablassen wie einen Christbaum aufzustellen.
»Mal sehen. Kann sein, dass ich etwas zu erledigen habe.«
Die goldenen Augen seiner Schwester wurden zu Schlitzen. »Nicht mit dieser Frau.«
Wenn er Glück hatte, würde sein Ding an Weihnachten so tief in Dez MacDermot stecken, dass es ihm unmöglich war, irgendwohin zu gehen.
Aber seiner Schwester gegenüber zuckte er mit den Achseln. »Man weiß nie …«
Dez zuckte zusammen, als ihr Boss die Tür zuknallte. Aber bevor sie weggehen konnte, riss er sie wieder auf. »Und ich will Ihren Hintern vor Neujahr nicht mehr hier sehen!« Er knallte sie wieder zu.
Dez warf Bukowski einen finsteren Blick zu, als sie zu ihrem Schreibtisch zurückging. »Ich habe gar nichts getan.«
»Du hast sie sehr wohl gefragt, ob sie Petrov umgebracht hat. Ich glaube, deine exakten Worte waren: ›Du hast ihn umgenietet, oder? Du sadistische Ziege.‹«
»Sadistische Kuh. Und es war nur eine Frage.«
»Mhm. Tja, deine ›Frage‹ hat dir jetzt einen hübschen Urlaub bis nach den Feiertagen eingebracht.«
»Gerecht ist es trotzdem nicht.«
»Vielleicht nicht.« Bukowski ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen. »Aber dein Dad ist derjenige, der alle paar Wochen mit dem Lieutenant golfen geht. Was wetten wir, dass er sich pausenlos darüber beschwert hat, dass sein armes Baby immer an allen Feiertagen arbeiten muss?«
Wer hätte ahnen können, dass es ihr einmal so viel Ärger einbringen würde, ihren Dad zu einer NYPD-Feier mitzunehmen? Sie hatte ihn ihrem Lieutenant vorgestellt, und als die beiden Männer entdeckt hatten, dass sie beide ehemalige Marines waren, hatten sie sich sofort blendend verstanden. Sie hatten angefangen, mehrmals im Monat mit ein paar anderen Marines Golf spielen zu gehen. Dez wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis ihr Vater herausfand, dass sie eigentlich gar nicht über die Feiertage arbeiten musste. Mit ihrem Dienstalter und ihren Urlaubszeiten könnte sie den ganzen Dezember freinehmen.
Aber Dez arbeitete aus gutem Grund an den Feiertagen. Denn alles war besser als noch ein Weihnachten mit ihren Schwestern. Man konnte sich als Frau nicht ewig anhören, dass man sowohl männer- als auch karrieremäßig ein hoffnungsloser Fall war, bevor es ernsthaft anfing wehzutun.
Dez ließ sich auf ihren Stuhl fallen und starrte finster die Wand an. Die momentane Lage machte sie nicht glücklich.
»Also, was hast du vor?«
Sie warf Bukowski einen Blick zu, dann schaute sie wieder an die Wand mit den Fahndungsplakaten. »So tun, als wäre nichts passiert.«
Ihr Partner kicherte. »Viel Glück dabei.«
Dez drehte ihren Stuhl herum und sah die Petrov-Akte auf ihrem Schreibtisch an. Sie musterte das Foto, das daran befestigt war. Petrov war ein gutaussehender Mann gewesen, kein Zweifel. Aber nichts im Vergleich zu Mace.
Dez schloss die Akte und sah kurz auf, als sie hörte, wie sich jemand auf den Stuhl auf der anderen Seite ihres Schreibtisches setzte. Als sich große Füße auf die Berge von Papierkram vor ihr legten, sah sie noch einmal auf.
Ja, das war eindeutig Mace Llewellyn, der ihr da gegenübersaß und sie über den Schreibtisch hinweg anstarrte. Nur starrte. Wie früher. Als wüsste er, wo sie die Leichen all ihrer Goldfische nach deren unglücklichen »Unfällen« begraben hatte oder was sie mehr als einmal mit den Zahnbürsten ihrer Schwestern angestellt hatte. Dieser allwissende, alles sehende Mace-Blick, und er machte sie immer noch wahnsinnig.
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Warum bist du hier?«
Spöttisch hob er ebenfalls eine Augenbraue. »Du hast mir immer noch keine Antwort gegeben.«
»Doch, habe ich. Und zwar waren meine genauen Worte: ›Nein‹.«
»Ja, aber ich habe beschlossen, das zu ignorieren, bis ich höre, was ich hören will.«
Dez lachte. »Himmel, Mace. Du hast dich wirklich überhaupt nicht verändert, oder? Du bist immer noch … du.«
»Redest du von meinem überreichen Charisma und überwältigenden Charme?«
Okay. Das hysterische Mädchengekicher musste aufhören. Als reife Frau mit sechsunddreißig hatte sie eine Scheidung hinter sich und eine saftige Hypothek auf dem Konto. Sich aufzuführen, als hätte der Kapitän des Footballteams sie gerade zum Abschlussball eingeladen, war nicht im Entferntesten reif.
»Mace …« Dez unterbrach sich und sah sich im Raum um. Ja, sie hatte die Aufmerksamkeit sämtlicher Idioten. »Habt ihr nichts zu tun?«
Die Antwort kam wie aus einem Mund: »Nein.«