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ÜBER DEN AUTOR

Truman Capote wurde am 30. September 1924 in New Orleans geboren. Er wuchs in den Südstaaten auf, bis ihn seine Mutter als Achtjährigen zu sich nach New York holte. 1948 erschien sein Roman Andere Stimmen, andere Räume, der als das sensationelle Debüt eines literarischen Wunderkindes gefeiert wurde. 1949 folgte eine Sammlung erster Kurzgeschichten unter dem Titel Baum der Nacht, 1950 die Reisebeschreibung Lokalkolorit, 1951 der Roman Die Grasharfe. Das 1958 veröffentlichte Frühstück bei Tiffany erlangte auch dank der Verfilmung mit Audrey Hepburn große Berühmtheit. 1965 erschien der mehrmals verfilmte Tatsachenroman Kaltblütig, 1973 Die Hunde bellen (Storys und Porträts), 1980 Musik für Chamäleons (Erzählungen und Reportagen). Postum wurden 1987 – unvollendet – Erhörte Gebete (Roman) und 2005 das wiederentdeckte Debüt Sommerdiebe veröffentlicht. Truman Capote starb am 25. August 1984 in Los Angeles. Bei Kein & Aber erscheint sein gesamtes Werk.

ÜBER DAS BUCH

Jede dieser frühesten Geschichten von Truman Capote vermag zu überraschen, zeigen sie doch alle bereits die Handschrift des großen Stilisten. Denn seit Capote zehn war, wusste er, dass er Schriftsteller werden will, und während seiner Zeit an der High School schulte er sich täglich an seiner Schreibmaschine im Handwerk des Schreibens. In seinen damals entstandenen Short Storys schuf er sich sein eigenes, fantasievolles Universum, das, anders als man es bei einem Teenager vermuten würde, von Figuren bevölkert ist, die nur wenig mit den Erfahrungen eines Schülers zu tun haben. All diese lebendigen und eigenwilligen Charaktere, die eindringlichen Bilder, die schnörkellos glänzende Sprache und die erzählerische Kraft lassen schon im jungen Truman Capote die ganz besondere Stimme des älteren Capote erkennen.

Kein & Aber

 

Herausgegeben und mit einem Nachwort von

Anuschka Roshani

MISS BELLE RANKIN

I

Ich war acht, als ich Miss Belle Rankin das erste Mal sah. Es war ein heißer Augusttag. Die Sonne sank schon am scharlachrot gestreiften Himmel, und die Hitze stieg trocken und pulsierend vom Erdboden auf.

Ich saß auf den Stufen der Vorderveranda, sah eine Negerin auf mich zukommen und fragte mich, wie sie bloß ein so großes Wäschebündel auf dem Kopf balancieren konnte. Sie blieb stehen und beantwortete meinen Gruß mit einem Lachen, diesem dunklen, gedehnten Negerlachen. Da kam Miss Belle langsam auf der anderen Straßenseite vorbei. Als die Waschfrau sie sah, schien sie zu erschrecken, unterbrach sich mitten im Satz und eilte wieder auf ihr Ziel zu.

Stirnrunzelnd starrte ich die unbekannte Passantin an, die ein so seltsames Verhalten auslösen konnte. Sie war klein und ganz in Schwarz, staubig und mit wirrem Haar – sie sah unglaublich alt und verhutzelt aus. Dünne graue Strähnen hingen ihr in die schweißfeuchte Stirn. Sie ging mit gesenktem Kopf und starrte auf den ungepflasterten Gehweg, als suchte sie etwas, das sie verloren hatte. Ein alter englischer Pinscher folgte ziellos im Kielwasser seines Frauchens.

Später sah ich sie noch oft, aber dieses erste, fast traumartige Bild wird mir immer am deutlichsten vor Augen stehen – Miss Belle, die lautlos die Straße hinabgeht, rote Staubwölkchen steigen um ihre Füße auf, und sie verschwindet in der Abenddämmerung.

Einige Jahre darauf saß ich in Mr. Joab’s Drugstore an der Ecke und nippte an einem von Mr. Joab’s speziellen Milkshakes. Ich saß am einen Ende des Tresens, und am anderen saßen zwei stadtbekannte Drugstore-Cowboys und ein Fremder.

Der Fremde hatte ein weit respektableres Äußeres als die meisten Leute, die Mr. Joab’s frequentierten. Meine Aufmerksamkeit erregte aber das, was er mit leiser und heiserer Stimme sagte.

»Jungs, kennt einer von euch jemanden in der Gegend, der schöne Japanische Zierquitten zu verkaufen hat? Ich suche die für eine Frau aus dem Osten, die sich drüben in Natchez eine Wohnung ausstattet.«

Die beiden Jungen sahen sich an, und dann sagte der eine, der fett war, Glupschaugen hatte und sich gern über mich lustig machte: »Also, ich sag Ihnen mal was, Mister, die Einzige, die ich hier in der Gegend kenne, die echt schnieke hat, ist eine schrullige alte Schachtel, Miss Belle Rankin – die wohnt einen knappen Kilometer von hier in einem echt schrägen Haus. Das ist alt und runtergekommen, noch von vorm Bürgerkrieg. Wirklich schrullig, wohlgemerkt, aber wenn Sie Zierquitten suchen, hat sie die besten, die ich je vor die Guckerchen gekriegt hab.«

»Genau«, meldete sich der andere zu Wort, der blonde und verpickelte Handlanger des Fettsacks, »die vertickt sie Ihnen unter Garantie. Soweit ich weiß, ist die da draußen am Verhungern – hat nichts mehr als einen alten Nigger, der auch da wohnt und auf dem Grasfleck rumhackt, den sie Garten nennen. Ich hab neulich erst gehört, sie soll in den Jitney Jungle Market reinmarschiert sein, sich das ganze angegammelte Gemüse rausgeklaubt und Olie Peterson überredet haben, dass er ihr das für lau lässt. Die schrulligste Schleiereule, die Sie je gesehen haben – bei schlechter Beleuchtung sieht die glatt nach hundert aus. Die Nigger haben richtig Schiss vor der –«

Der Fremde unterbrach den Informationssturzbach des Jungen und fragte: »Und du meinst, sie verkauft die?«

»Todsicher«, sagte der Fettsack und verzog das Gesicht zu einem wissenden Grinsen.

Der Mann bedankte sich und wollte schon gehen, drehte sich dann aber noch einmal um und fragte: »Habt ihr Lust, mitzufahren und mir das Haus zu zeigen? Ich bring euch auch wieder zurück.«

Das ließen sich die beiden Tagediebe nicht zweimal sagen. Die Sorte ließ sich immer gern in Autos sehen und erst recht mit Fremden; das machte den Eindruck, sie hätten Verbindungen, und brachte unweigerlich Zigaretten mit sich.

II

Etwa eine Woche später war ich wieder bei Mr. Joab und erfuhr, wie die Sache weitergegangen war.

Der Fettsack erzählte es mit großem Eifer einem Publikum, das aus Mr. Joab und mir bestand. Je länger er sprach, desto lauter und dramatischer wurde er.

»Ich sag euch, die alte Hexe sollte man aus der Stadt jagen. Die hat sie nicht mehr alle. Als wir da ankommen, will sie uns gleich wieder rausschmeißen. Dann jagt sie uns ihren bescheuerten alten Hund auf den Hals. Ich könnte wetten, das Teil ist älter als sie. Der Köter will sich jedenfalls in mich verbeißen, also verpass ich ihm einen Tritt in die Fresse – da fängt sie ganz fürchterlich zu jaulen an. Schließlich kann ihr alter Nigger sie so weit beruhigen, dass wir mit ihr reden können. Mr. Ferguson, so hieß der Fremde, hat ihr dann erklärt, dass er ihre Büsche kaufen will, also diese Zierquitten. Sie sagt, so was hat sie ja noch nie gehört, und außerdem verkauft sie die Büsche nicht, weil ihr die mehr ans Herz gewachsen sind wie alles andere. Und das müsst ihr euch mal vorstellen: Mr. Ferguson hat ihr zweihundert Dollar für nur einen Busch geboten. Da bleibt einem doch die Spucke weg – zweihundert Kröten! Die alte Ziege hat gesagt, er soll zusehen, dass er Land gewinnt – und schließlich haben wir uns gesagt, dass die Sache sinnlos ist, und sind gegangen. Mr. Ferguson war verdammt enttäuscht, kann ich euch sagen; er war schon davon ausgegangen, dass er die Büsche kriegt. Er meinte, das wären die schönsten Zierquitten, die er je gesehen hat.«

Er lehnte sich zurück und holte tief Luft, ganz erschöpft von seinem Monolog.

»Verdammt«, sagte er, »was hat einer denn von so alten Büschen, wenn er da zweihundert Mäuse das Stück für kriegen kann? Das ist doch keine Lappalie!«

Als ich bei Mr. Joab aufbrach, musste ich auf dem Nachhauseweg die ganze Zeit an Miss Belle denken. Ich hatte oft über sie nachgedacht. Sie schien zu alt, um überhaupt noch am Leben zu sein – ich stelle es mir schrecklich vor, so alt zu sein. Ich konnte nicht nachempfinden, warum sie so an ihren Zierquitten hing. Sie waren wunderschön, aber wenn sie so arm war – gut, ich war jung, und sie war alt und hatte nicht mehr viel im Leben. Ich war so jung, dass ich noch nie daran gedacht hatte, je alt zu werden, je sterben zu können.

III

Es war der erste Februar. Der Morgen war dumpf und grau angebrochen, und perlweiße Schlieren überzogen den Himmel. Draußen war es kalt und still, und nur unregelmäßig fraßen sich hungrige Windböen in die grauen, leblosen Äste der riesigen Bäume, die die zerfallenden Ruinen des einst so majestätischen Rose Lawn umgaben, wo Miss Rankin wohnte.

Als sie aufwachte, war das Zimmer eiskalt, und an den Dachrinnen hingen lange Eiszapfen. Sie erschauerte leicht, als sie die Trostlosigkeit sah, gab sich einen Ruck und kroch unter der farbenfrohen Flickendecke hervor.

Sie kniete vor dem Kamin und versuchte, die trockenen Zweige anzuzünden, die Len am Vortag gesammelt hatte. Ihre kleine Hand, eingefallen und gelb, kämpfte mit dem Streichholz und der abgeschabten Fläche des Kalksteins.

Nach einer Weile fingen die Zweige Feuer; die Flämmchen flackerten, und das Holz knisterte und knackte wie alte Knochen. Sie blieb einen Augenblick neben dem warmen Lodern stehen und ging dann unsicher zum Becken mit dem gefrorenen Wasser.

Als sie sich angezogen hatte, trat sie ans Fenster. Schneefall setzte ein, der dünne, wässrige Schnee des Winters in den Südstaaten. Die Flocken schmolzen sofort auf dem Boden, aber Miss Belle dachte an den langen Gang in die Stadt, um Lebensmittel zu besorgen, und fühlte sich leicht benommen und krank. Dann schnappte sie nach Luft, denn unter sich sah sie die Zierquitten blühen; sie waren schöner als je zuvor. Die hochroten Blüten waren gefroren und reglos.

Sie erinnerte sich daran, wie sie vor vielen Jahren, als Lillie noch ein kleines Mädchen gewesen war, ganze Körbe dieser Blüten gesammelt und die stolzen, leeren Zimmerfluchten von Rose Lawn mit ihrem zarten Duft erfüllt hatte, und wie Lillie sie gestohlen und an Negerkinder verschenkt hatte. Wie wütend sie damals geworden war! Aber jetzt lächelte sie über die Erinnerung. Es war mindestens zwölf Jahre her, seit sie Lillie das letzte Mal gesehen hatte.

Die arme Lillie, auch sie ist jetzt eine alte Frau. Ich war erst neunzehn, als sie zur Welt kam, und ich war jung und schön. Jed hat immer gesagt, ich wäre das schönste Mädchen, das er je gekannt hat – aber das ist so lange her. Ich weiß gar nicht mehr genau, wann ich eigentlich so wurde. Ich weiß nicht mehr, wann ich arm wurde – wann ich alt wurde. Wahrscheinlich war das, nachdem Jed gegangen ist – ich frage mich, was aus ihm geworden ist. Aus heiterem Himmel hat er mir gesagt, ich wäre hässlich und verbraucht, und dann hat er mich verlassen, nur Lillie ist mir geblieben, und Lillie war nicht gut – nicht gut.

Sie schlug die Hände vors Gesicht. Die Erinnerung tat heute noch weh, und obwohl sie sich fast täglich an dieselben Dinge erinnerte, machte der Schmerz sie manchmal verrückt, und sie schrie und kreischte wie an dem Tag, als der Mann mit den beiden johlenden Einfaltspinseln gekommen war und ihre Zierquitten kaufen wollte; dabei würde sie die niemals hergeben. Aber sie hatte Angst vor dem Mann; sie hatte Angst gehabt, er würde sie stehlen, und was hätte sie dann tun sollen – die Leute hätten sie doch ausgelacht. Und deswegen hatte sie sie angeschrien; deswegen hasste sie sie alle.

Len kam herein. Er war ein kleiner Neger, alt und gebeugt, und hatte eine Narbe quer über der Stirn.

»Miss Belle«, sagte er mit rasselnder Stimme, »wollnse in die Stadt? Würd ich an Ihrer Stelle nicht, Miss Belle. Ist da draußen echt scheußlich heute.« Beim Sprechen bildeten sich vor seinem Mund rauchige Wölkchen in der kalten Luft.

»Doch, Len, ich muss heute in die Stadt. Ich gehe bald los; ich möchte zurück sein, bevor es dunkel wird.«

Draußen stieg der Rauch aus dem alten Schornstein in träge sich kräuselnden Wolken auf und hing als blauer Nebel wie gefroren über dem Haus – dann wurde er von einer schneidenden Brise fortgewirbelt.

IV

Es war schon ziemlich dunkel, als Miss Belle den Hügel zu ihrem Haus hochstieg. Die Dunkelheit brach an diesen Wintertagen schnell herein. Heute kam sie so plötzlich, dass sie erst erschrak. Es gab keinen glühenden Sonnenuntergang, sondern das Perlgrau des Himmels wich einfach tiefem Schwarz. Es schneite immer noch, und die Straße war matschig und kalt. Der Wind war stärker geworden, und die trockenen Zweige knackten laut. Sie krümmte sich unter dem Gewicht ihres schweren Einkaufskorbs. Es war ein guter Tag gewesen. Mr. Johnson hatte ihr fast einen Drittelschinken gegeben, und der kleine Olie Peterson hatte noch ein bisschen unverkäufliches Gemüse übrig gehabt. Jetzt musste sie mindestens zwei Wochen lang nicht wieder in die Stadt.

Als sie das Haus erreichte, blieb sie eine Minute lang stehen und ließ den Korb auf den Boden gleiten, um Atem zu schöpfen. Dann ging sie zum Ende ihres Grundstücks und sammelte die großen rosenartigen Zierquittenblüten auf; eine zerdrückte sie am Gesicht, spürte das aber gar nicht. Sie sammelte einen Armvoll und ging zum Korb zurück, als sie plötzlich eine Stimme zu hören meinte. Sie blieb stehen und lauschte, aber nur der Wind antwortete.

Sie spürte, wie sie auf den Boden sank, konnte aber nicht anders; sie tastete in der Dunkelheit nach Halt, griff aber ins Leere. Sie wollte um Hilfe rufen, aber es kam kein Laut heraus. Sie fühlte sich von großen Wellen der Leere überspült; flüchtige Szenen zogen vor ihr vorbei. Ihr Leben – nichts als Vergeblichkeit und kurze Eindrücke von Lillie, von Jed und ein scharfes Bild von ihrer Mutter mit einem langen dünnen Stock.

V

Ich erinnere mich an den kalten Wintertag, an dem Tante Jenny mich zu dem alten windschiefen Haus mitnahm, in dem Miss Belle gewohnt hatte. Miss Belle war in der Vornacht gestorben, und ein alter Farbiger, der bei ihr im Haus wohnte, hatte sie gefunden. So gut wie jeder in der Stadt wollte sich das ansehen. Man hatte sie noch nicht ins Haus gebracht, weil der Leichenbeschauer sie noch nicht freigegeben hatte. Wir sahen sie daher so, wie sie gestorben war. Es war das erste Mal, dass ich einen Toten sah, und ich werde es nie vergessen.

Sie lag im Garten neben ihren Japanischen Zierquitten. Die Runzeln in ihrem Gesicht waren geglättet, und um sie verstreut lagen die roten Blütenblätter.

Sie sah so klein und ganz jung aus. Sie hatte Schneeflöckchen im Haar und eine Blüte an die Wange gedrückt. Ich fand, ich hätte kaum je etwas so Schönes gesehen.

Alle sagten, das wäre ja so traurig und so, aber ich wunderte mich nur, denn das waren die, die sie immer nur ausgelacht und sich über sie lustig gemacht hatten.

Miss Belle Rankin war sicher ein seltsamer Mensch und wahrscheinlich ein bisschen verwirrt, aber an jenem kalten Februarmorgen sah sie liebreizend aus, wie sie die Blume an die Wange drückte und so still und ruhig dalag.

DIE MOTTE IN DER FLAMME

I

Den ganzen Nachmittag hatte Em auf der Eisenpritsche gelegen. Sie hatte sich eine Flickendecke über die Beine gezogen, lag einfach nur da und dachte nach. Es war kalt geworden, sogar in Alabama.

George und die anderen Männer aus der Umgebung suchten draußen nach der verrückten alten Sadie Hopkins. Sie war aus dem Gefängnis entflohen. Die arme alte Sadie, die jetzt durch die Sümpfe und Felder rannte, dachte Em. Sie war mal so ein hübsches Mädchen gewesen – hat sich wohl einfach mit den falschen Leuten eingelassen. Vollkommen verrückt geworden.

Em sah aus dem Hüttenfenster; der Himmel war dunkel und schiefergrau, und die Felder sahen aus wie zu Furchen gefroren. Sie zog die Decke höher. Es war wirklich einsam hier auf dem Lande, die nächste Farm war vier Meilen weit weg, auf der einen Seite lagen Felder, auf der anderen Sümpfe und Wald. Sie fragte sich, ob sie vielleicht zur Einsamkeit geboren war, so wie andere Menschen blind oder taub auf die Welt kamen.

Sie sah sich in dem kleinen Raum um, und die vier Wände schienen auf sie zuzukommen. Stumm saß sie da und lauschte dem Ticktack, Ticktack des billigen Weckers.

Plötzlich kroch ihr ein schreckliches Gefühl den Rücken hoch, ein Gefühl der Angst und des Entsetzens. Ihre Haare sträubten sich. Wie ein blendend aufblitzendes Licht wusste sie, dass sie beobachtet wurde, dass jemand ganz in ihrer Nähe stand und sie mit kalten, berechnenden, wahnsinnigen Augen musterte.

Einen Augenblick lang lag sie so still, dass sie ihr Herz pochen hörte, und der Wecker klang wie ein Vorschlaghammer, der auf einen hohlen Baumstumpf trifft. Em wusste, dass sie sich das nicht nur einbildete; sie wusste, dass es eine Ursache für diese Furcht gab; sie wusste es instinktiv, mit einem so klaren und ausgeprägten Instinkt, dass er ihren ganzen Körper durchdrang.

Langsam stand sie auf und sah sich im Raum um. Sie sah nichts; trotzdem hatte sie das Gefühl, dass jemand sie anstarrte, jede ihrer Bewegungen verfolgte.

Sie griff nach dem erstbesten Gegenstand, der ihr in die Hände fiel, einem Scheit Feuerholz. Dann rief sie mit energischer Stimme: »Wer ist da? Was wollen Sie?«

Kalte Stille begegnete ihren Fragen. Obwohl es so kalt war, überlief es sie heiß, und sie spürte ihre Wangen brennen.

»Ich weiß, dass da jemand ist«, kreischte sie hysterisch. »Was wollen Sie? Warum zeigen Sie sich nicht? Kommen Sie raus, Sie Rumschleicher –«

Hinter sich hörte sie eine erschöpfte und verängstigte Stimme.

»Ich bins nur, Em – Sadie, weißt du, Sadie Hopkins.«