FÜR BARBARA UND MONTI

Peter Alles

Peters Reisebericht Nr. 8

Im Kleinbus durch Spanien und Portugal –
Großartige Erlebnisse, Erfahrungen
und Entdeckungen auf drei
ausgedehnten Campingreisen

Inhaltsverzeichnis

Tour 1

Los geht’s mit Frankreichs Heilbad Nr. 1

Côte Vermeille

Zwergstaat

Gastgeberstadt der EXPO 2008

Costa Blanca

Costa de Almería

Costa de la Luz

Die Stadt auf der Klippe

Andalusiens Bratpfanne

Europas Kulturhauptstadt 2002

Durch Kastilien-Leóns Nordosten

Gipuzkoa

Zu Füßen des Aneto

Adiós España

Tour 2

An Frankreichs Goldküste, auf Vincents Spuren und bei den Zwergen

Über Montblanc nach Peñíscola

Bezaubernde Stätten und eine verzauberte Stadt

Am kleineren Meer

Zu den Höhlen

In der Hauptstadt der Nasriden

Einschub: Vino tinto

Spontane Zwischenziele

Und noch ein paar Pueblos Blancos und Ciudades Blancas

Auf nach Algarbien

Im Marmorland

Metropolregion Lissabon

Weiter nach Norden

Rückreise

Tour 3

Durchs Burgund ins Départment Hérault

Endlich wieder in Spanien

Auf Umwegen nach Peñíscola

Valencia

Kastilien-La Mancha

Im Zentrum der Extremadura

Serra da Arrábida

Portugals Zentrum

Portugals Studentenhochburg

Flucht nach Süden

Porto und Guimarães

Zweite Flucht nach Süden

An der Südostküste entlang

Noch einmal ins Landesinnere

Wieder an der Costa Brava

In Okzitanien

Resttour

Quellen

Tour 1

2. April bis 23. Mai 2016

Ziele

Frankreich:
Vichy, Argelès-sur-Mer, Collioure, Carcassonne, Souillac

Andorra:
Andorra la Vella

Spanien:
Zaragoza, Dénia, Cap de la Nau, Moraira, Calp, Altea, Benidorm, La Vila Joiosa (Villajoyosa), Xàbia (Jávea), Roquetas de Mar, Tabernas, Cabo de Gata, Almería, Torremolinos, Tarifa, Algeciras, Cádiz, Costa de la Luz, Gibraltar, Ronda, Sevilla, Écija, Córdoba, Extremadura, Salamanca, Ciudad Rodrigo, Ávila, Segovia, Aranda de Duero, Lerma, Miranda de Ebro, Gipuzkoa, Zarautz, Donostia-San Sebastián, Gernika, Bilbao, Jaca, Graus, Campo, Benasque, Barbastro

Los geht’s mit Frankreichs Heilbad Nr. 1

Da alle Campingplätze spätestens Anfang April geöffnet hatten und wir zur Erhaltung unserer Spontaneität nichts vorreservieren wollten, starteten wir am ersten Aprilwochenende. Trotzdem hatten wir die gesamte Tour grob vorgeplant und einige Campingplätze per Katalog oder Internet vor-ausgewählt. Unser Ziel war es, in den ersten Tagen möglichst schnell und weit nach Süden zu kommen, d.h. mit unserem VW-Bus eine lange Fahrtstrecke zu bewältigen, um bald in den Genuss von warmem Wetter zu kommen. Zwischen den Etappen wollten wir immer einen „Ruhetag“ einlegen, den wir zur Besichtigung der Gegend oder des nächsten Ortes nutzten.

Meine Frau Barbara, unser Schmusekampfdackelmischling Monti und ich starteten kurz nach neun und kamen bei Mulhouse erst einmal in einen Schengen-inkompatiblen Grenzkontrollstau aufgrund einspurigen Slalomverlaufs der Autobahn. Nach neun Stunden und 730 km kamen wir in Vichy an. Das Wetter war kühl und bis auf die letzten 50 km trocken gewesen, nun hatte es zu nieseln begonnen. Am Abend wurde der Regen deutlich stärker und hielt lange an.

Normalerweise verlasse ich mich am liebsten auf Landkarten, Stadtpläne und Straßenkarten, am zweitliebsten auf mein Gefühl und nur, wenn es unbedingt sein muss, auf ein Navigationsgerät. Zu letzterem habe ich ein gespanntes Verhältnis, weil ich grundsätzlich technischen Geräten misstraue, diese meist nicht richtig bedienen kann und keinen Bock habe, mich durch aus dem Chinesischen oder Koreanischen per Computerprogramm übersetzte deutsche Bedienungsanleitungen zu quälen, die sich so anhören, als hätte ich sie selbst ohne entsprechende Sprachkenntnisse sowohl der Quell- als auch der Zielsprache übersetzt. Ich finde es anstrengend, so etwas zu lesen, auch wenn es vielleicht lustig sein und über den Kauf des Schrotts hinwegtrösten soll. Eine Bedienungsanleitung darf mich nicht anstrengen, verärgern oder belustigen, sondern sollte mich zielorientiert unterstützen. Wenn ich rätseln will, nehme ich Kreuzworträtsel oder Sudokus zu Hilfe.

Zurück zur Campingplatz-Anreise: Wir näherten uns dem Ort Bellerive-sur-Allier und sahen kurz vor unserem Ziel an einer Kurve, an der die Hauptstraße nach links abbog, einen Wegweiser zum Campingplatz. Mein Navi aber sagte mir, dass ich der abzweigenden Nebenstraße folgen solle. Obwohl mir dies eine männliche, vertrauenserweckende Stimme mitteilte, war ich gefühlsmäßig eher geneigt, dem Verlauf der abknickenden Hauptstraße und der Campingplatz-Ausschilderung zu folgen. Auch meine Frau war der Meinung, dass links abbiegen richtig sei. Nun saß ich richtig in der Bredouille, denn wenn aus dem Navi eine Frau oder meine eigene live zu mir spricht, mache ich gerne das Gegenteil. Ich bin da eher ein Anhänger der Fraktion „Frauen haben keine Ahnung von Landkarten“ und wäre eigentlich gerne der Anweisung des maskulinen Navis gefolgt. Also was jetzt, den fremden Mann oder lieber meine eigene Frau und damit mein eigenes Gefühl ernstnehmen?

Friedliebend fügte ich mich den Anweisungen meiner Gattin, wir bogen links ab und erreichten nach 500 m den ausgeschilderten Campingplatz „Les Acacias“. Der hatte zwar geöffnet und sah sehr voll, aber trotzdem irgendwie verlassen aus. Da Vichy in Fußentfernung war und wir nur zwei Tage bleiben wollten, schreckte uns der Anblick nicht ab, so dass wir mutig eincheckten und uns auf dem zugewiesenen Platz heimisch einrichteten. Danach begannen wir unseren Abendspaziergang mit der Suche nach dem Campingplatz-Restaurant, das es aber nicht gab, obwohl ich im Internet etwas Entsprechendes gelesen hatte. Auch die sog. Snack-Bar war jahreszeitbedingt noch geschlossen. Die meisten Wohnwägen auf dem Platz waren fest installiert, gehörten also Dauercampern und waren gerade nicht bewohnt. Hier war eindeutig „tote Hose“.

Wir setzten unseren Abendspaziergang fort, folgten der Sackgasse, an der unser Campingplatz lag, und fanden einen weiteren. Es stellte sich heraus, dass es derjenige war, den ich bei der Reisevorbereitung ausgesucht hatte („Camping Beau Rivage“), denn jetzt erinnerte ich mich wieder an den vielversprechenden Namen und wir sahen das erhoffte Restaurant, das geöffnet und gut besucht war. Von diesem hatte man außerdem einen netten Blick auf den Allier und das gegenüberliegende Vichy. Und auf dem Platz war Leben, um nicht zu sagen, der Bär am Steppen.

Wir hätten also meinem Navigator doch folgen sollen. Dachte ich. Wir spazierten weiter, bis die Straße zu Ende war. Dort gingen nur noch Fußwege ab. Dann war es wohl doch richtig gewesen, dass wir dem Navi nicht gefolgt waren. Allerdings hätten wir nicht gleich in den erstbesten Campingplatz einbiegen, sondern erst einmal die Straße erkunden sollen.

In das Restaurant kehrten wir trotzdem nicht ein, erstens aus Solidarität zum eigenen Platz und zweitens weil kein Tisch mehr frei war. Aber in der Gasse gab es noch einen französischen Italiener, bei dem zwar gähnende Leere herrschte, dessen Chefkellner aber sofort auf uns losstürzte, als er unser Interesse bemerkte. Wir ließen uns von ihm überzeugen, dass man bei ihm gut, wenn auch überteuert, essen konnte und verbrachten einen kulinarisch gelungenen Abend, bevor wir im Regen zum Platz zurückkehrten.

Der nächste Tag war trocken und sonnig bzw. leicht bewölkt und wir machten uns auf zur Besichtigungstour durch Vichy, Frankreichs bedeutendstem Heilbad, dessen vom Vulkangestein gefiltertes Mineralwasser berühmt ist. Es liegt in den nordöstlichen Ausläufern des Zentralmassivs und ist Partnerstadt von Bad Tölz.

Vom Campingplatz aus erreichten wir bald die Brücke über den Allier und wurden mit einem Schild „Ville Fleurie“ begrüßt. Damit werden in Frankreich Städte mit besonderer Lebensqualität für Einwohner und Touristen ausgezeichnet. Vichy trägt mit 4 Blumen die höchste Auszeichnung dieses seit 1959 bestehenden Wettbewerbs.

Den Prachtstraßen, repräsentativen Häusern und alten Gärten der Innenstadt sieht man an, dass die Blütezeit Vichys längst vorbei ist. Diese lag in der Belle Époque, also um die Wende vom 19. zum 20. Jh., bis schließlich mit 100.000 Kurgästen unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg der Höhepunkt erreicht war. Auch in den 1930er Jahren hatte der Kurort mit seinen 300 Hotels eine weitere Blütezeit erlebt und war daher während des Zweiten Weltkrieges attraktiv als Sitz des französischen Vichy-Regimes unter Henri Philippe Pétain geworden, das die von den Deutschen nicht besetzten Landesteile Südfrankreichs verwaltete. Nach dem Krieg war der Kurbetrieb wieder aufgenommen worden und Vichy hatte erneut den Titel Reine des Villes d'Eaux („Königin der Kurbäder“) erworben. Erst in den 1970er Jahren hatte sie ihre Bedeutung als Kurstadt verloren, als bei Prominenten plötzlich andere Badeorte „in“ wurden.

Unseren Rundgang begannen wir mit dem Parc Napoléon III. am Allier, der 2014 durch eine neue Uferpromenade mit Bänken, Spielplätzen, zwei Minigolfanlagen und Kiosken für Fußgänger und Radfahrer attraktiv gemacht worden war. An diesem späten Sonntagvormittag war trotz des guten Wetters, abgesehen von einigen Joggern, wenig los. Am Ende des Parks bogen wir in östlicher Richtung zur Innenstadt ab, wo wir durch die Avenue du Général Dwight Eisenhower zum großen Quellenpark gelangten. Auch Präsident Woodrow Wilson ist mit eigener Rue vertreten, wahrscheinlich wegen seiner Verdienste um die Beendigung des Ersten Weltkriegs und die Gründung des Völkerbunds, weswegen ihm 1919 der Friedensnobelpreis verliehen worden war.

Vom Kurpark aus stiegen wir in die Gassen der Innenstadt ein und mäanderten durchs Zentrum. Sehenswert ist die neuromanische, neugotische Église Saint-Louis, deren Bau Napoleon III. während seines Kuraufenthalts angewiesen hatte und die 1865 fertiggestellt wurde. Am Südrand des Quellenparks stößt man auf das Casino, das man in einer anständigen Kurstadt für den Kurzweil illustrer und zahlungskräftiger Gäste benötigt, und auf den Kongresspalast mit der Oper, primär für den gleichen Kundenkreis. Sie war 1903 eröffnet worden, der Saal im Stil des Art Nouveau bietet Platz für knapp 1.500 Personen. Das Gebäude war 1991 teilweise bzw. 1996 vollständig als Monument historique anerkannt worden. Mit einer solchen Einstufung werden in Frankreich geschichtlich oder architektonisch bemerkenswerte Bauwerke als Denkmal geschützt, um so öffentliches Interesse aufgrund der damit verbundenen Vergangenheit oder Kunst anzuerkennen. 1901-1964 war Vichy als Hauptstadt der Sommermusik („capitale d'été de la musique“) bekannt.

300 m südlich der Oper stößt man auf die schlanke, hohe Église St-Blaise aus dem Ende des 17. Jh. Sie war 1931-36 im Stil des Art Déco vergrößert und umgestaltet worden und gehört mit ihren Buntglasfenstern und Fresken zu den berühmtesten Kirchen Frankreichs. Art Déco ist eine Stilbezeichnung für Kunsthandwerk und Malerei in Frankreich zwischen 1920 und 1940 mit Ursprüngen im Art Nouveau und Einflüssen aus Kubismus und Futurismus. Als wir ankamen, war der Gottesdienst gerade beendet und ich konnte „gegen den Strom“ in die Kirche schwimmen zum Fotografieren. Das bunt und vollständig bemalte Deckengewölbe ruht auf blauen, schlanken Pfeilern, die die Holzempore im Apsis-nahen Teil der Kirche tragen.

Weiter durch Vichy stießen wir im Süden auf den Parc des Célestins und den Parc Kennedy am Allier. Hier ließen wir uns im Bistro Tahiti Plage zum Essen und Sonnengenuss nieder und konnten direkt gegenüber der Flussseite auf unseren Campingplatz blicken. Nach unserer Rast spazierten wir nach Norden durch die flussnahen Parks und Promenaden bis zur Brücke, wo wir den Rückweg zum Campingplatz einschlugen. Dort verbrachten wir einen gemütlichen Restnachmittag und Abend.

Abb. 1: Innenraum der Église St-Blaise in Vichy

Abb. 2: Collioure

Côte Vermeille

Am Folgetag starteten wir bei trüben Wetter und fuhren vorbei an Clermont-Ferrand zur A75, der wenig frequentierten Autobahn durch das landschaftlich äußerst attraktive Massif Central, insbesondere durch die wild-romantischen Cevennen mit ihren engen, steilen Schluchten und Kalk-Hochebenen („Causses“). Die Fahrt verlief über meine Lieblingsbrücke bei Millau, das den westlichen Rand desjenigen Teils der Cevennen markiert, das die UNESCO 2011 zum Welterbe der Menschheit erklärt hat. Das Viaduc de Millau ist mit 2.460 m eine der längsten Schrägseilbrücken und höchsten Autobahnbrücken der Welt. Ihr Anblick, insbesondere von unten, ist überwältigend.

Die Brücke war von Sir Norman Foster entworfen worden, der beispielsweise auch die gläserne Kuppel des Reichstagsgebäudes in Berlin und den Commerzbank Tower in Frankfurt geplant hat. Sie überspannt in bis zu 270 m Höhe den Fluss Tarn. Ihr größter Pylon, der auch gleichzeitig der höchste der Welt ist, hat eine Höhe von 343 Metern und ist damit 19 Meter höher als der Eiffelturm. Die Brückenpfeiler bestehen vom Fundament bis zur Unterkante des Überbaus aus Spannbeton und haben eine anspruchsvolle Gestaltung. Vom Fundament ausgehend verjüngen sie sich nach oben hin, bis sie sich ca. 90 Meter unterhalb des Überbaus wie eine Stimmgabel teilen. Oberhalb der Fahrbahn setzen sich die Pfeiler als 89 m hohe Pylone fort, an denen die Schrägseile befestigt sind. Der Bau der Brücke war durch eine eigens gegründete Gesellschaft vorfinanziert worden, die Kosten betrugen über 400 Millionen €. Die Brückenmaut von 6,80 € (PKW, 2016, Nebensaison) mutet daher sehr moderat an.

Bei Béziers ging die Fahrt weiter über die A9, die wir kurz hinter Perpignan verließen. Dann hatten wir noch 20 km Landstraße bis zum Campingplatz „Les Criques de Porteils“ südöstlich des Roussillon-Städtchens Argelès-sur-Mer, den wir nach 540 km Tagesetappe gegen 19 Uhr erreichten.

Der Campingplatz war schön, stark terrassiert, mit vielen Bäumen und Büschen bewachsen und direkt an einer Meeresklippe gelegen. Die Sanitäranlagen waren großzügig und sauber und unser Stellplatz für 25 € pro Tag vernünftig. Wir suchten uns einen schönen Platz ohne Bäume direkt an der Klippe aus, von dem man einen phantastischen Blick aufs Mittelmeer hatte und die Sonne würde optimal genießen können. Im Nordwesten konnte man vom Platz aus den 4 km entfernten Hafen von Argelès-sur-Mer sehen. Merkwürdigerweise waren viele solcher Plätze mit Meeresblick noch frei, während die zurückgesetzten und meist sehr schattigen fast alle belegt waren.

In der Nacht begann um 3:00 ein Starkregen, der bis 14:00 anhielt. Im Laufe des Morgens überbrückten wir die Regenphase im Gewerbegebiet von Argelès und komplettierten unsere Campingausstattung mit zwei Leselampen, einer Rolle Abdeckfolie und einem Klapptisch. Danach fuhren wir nach Collioure, einem kleinen Küstenort der Côte Vermeille 3 km südöstlich unseres Campingplatzes, und ließen uns zu einem kurzen Regenspaziergang hinreißen. Die „Zinnoberrote Küste“ geht auf der spanischen Seite in die Costa Brava, „Wilde Küste“, über.

Der Anblick des Ortes heiterte unsere Stimmung etwas auf und beruhigte geringfügig unsere Nerven, die den ganzen Morgen aufgrund des Starkregens blank gelegen hatten. Wir fassten den Vorsatz bzw. hofften, dass das Wetter bald wieder besser werden würde, um einen erneuten Spaziergang, dann mit Foto bewaffnet, durch Collioure wagen zu können. Denn der Ort schien uns einen ausführlichen Besuch wert.

Glücklicherweise sollte dies am nächsten Tag der Fall sein, so dass wir unsere erste Planabweichung von der initialen Tourplanung in Kauf nahmen, nämlich einen Tag länger auf dem Campingplatz, um Zeit zur Besichtigung von Collioure zu haben. Leider hatte Barbara, obwohl an diesem Tag ein Wochenmarkt war und viele Klamotten- und Schmuckstände aufgebaut waren, nur wenig Spaß am Stadtrundgang, da sie starke Schmerzen an der linken Ferse hatte – einige Tage vor unsere Abfahrt war ein Fersensporn detektiert worden und sie hatte drei Stoßwellenbehandlungen „genießen“ dürfen.

Als wir am späten Nachmittag zu unserem Stellplatz zurückkehrten, war der Grasplatz durch den sintflutartigen Niederschlag so tief aufgeweicht, dass beim Einparken und Rangieren bereits nach einmaligem Vor- und Zurücksetzen des Fahrzeugs die Räder durchdrehten und sich tief eingruben, so dass keine Änderung der Parkposition mehr möglich war. Notgedrungen blieben wir schräg auf unserem Platz stehen und hofften, dass der Boden durch den heftigen Wind, der nun einsetzte und die restlichen zwei Tage unseres Aufenthaltes anhielt, genügend abtrocknen würde, damit wir unsere Parkposition wieder verlassen könnten. Die Hoffnung war berechtigt, am nächsten Morgen konnten wir den Platz verlassen und starteten zu unserer Fototour durch Collioure.

Allerdings zerrte nun der Starkwind, ablandiger Tramuntana von den Pyrenäen, anstatt des Starkregens heftig an unseren Nerven, so dass wir abends unseren Frust ersaufen mussten. Denn ein Aufenthalt außerhalb des Autos war nicht möglich, wenn wir nicht über die Klippen ins Meer geweht werden wollten, und innerhalb des Autos war es zu beengt, um ein Gefühl von Wellness aufkommen zu lassen. Ein VW-Bus ist als wendiges Wohnmobil zur Fahrt durch verwinkelte Innenstädte ideal, auch wenn man sogar damit an Grenzen kommen kann, aber als Daueraufenthalts-Wohnmobil ist er nicht geeignet, sondern eher ein handliches Schönwetter-Wohnmobil, vor dem man gemütlich sitzen kann.

Barbara machte deutlich, dass sie nirgends mehr hinwollte, wo es stürmen könnte – dass dies in Spanien schwierig werden würde, wollte ich ihr zu diesem Zeitpunkt noch nicht prophezeien. Außerdem nahmen wir uns vor, bei weiteren Campingplätzen mit Platzwahlmöglichkeit darauf zu achten, dass der Stellplatz bei Starkregen nicht aufgeweicht werden kann und möglichst windgeschützt ist. Auf dem aktuellen Campingplatz gab es solche Plätze, die fast ausnahmslos von Dauercampern belegt waren. Nun verstanden wir, warum so viele Stellplätze mit gutem Blick aufs Meer frei waren. Die waren einfach zu sehr den Auswirkungen von Wind und Regen ausgesetzt, was beides wohl häufiger vorkommt. Und die Altcamper im Gegensatz zu uns Late-Age-Campern wussten das; wir hatten erst seit einem Jahr etwas Campingerfahrung.

Am Abend vor der Weiterfahrt mussten wir sogar unseren Gummiteppich, den wir vor dem Bus ausgebreitet hatten, vom Schlamm befreien. Mit Abkehren oder Ausschütteln war das nicht möglich, da der Schmodder zu dick in den Maschen festsaß und feucht verkrustet war. Ich hatte die geniale Idee, den gefühlt 50 kg schweren Teppich mit in die Dusche zu schleppen. Dies war mein erstes gemeinsames Duscherlebnis mit einem 12 m2 großen Gummiteppich in einer 1 m2 großen Duschwanne. Dadurch dauerte die Reinigung des Teppichs ziemlich lange und war viel zeitaufwändiger als meine eigene. Und auch die anschließende Reinigung der Duschkabine, an deren Wänden überall bis Kniehöhe der Schlamm klebte, nahm eine gewisse Zeit in Anspruch und war technisch nicht einfach, da die Dusche nur über eine fest montierte Deckenbrause verfügte und ich ohne meine Sehprothese halbblind war.

Nach Verlassen des Nasszellengebäudes entdeckte ich an der Außenwand einen Schlauch, der zum Abspritzen sperriger Gegenstände wie Wohnwagen und vermutlich auch Gummiteppiche gedacht war. Aber auf meine Art war ich um eine Erfahrung reicher geworden. Mit einem Schlauch rumspritzen kann schließlich jeder.

Collioure (katalanisch: Cotlliure), 20 km nördlich der spanischen Grenze, aber schon im katalanischen Sprachraum, war tatsächlich einen Ausflug wert. Das alte Fischerdorf ist der kleinste und malerischste Badeort an der Côte Vermeille. Dort schaukeln Boote vor den pastellfarbenen Häusern im Wasser. Berühmt wurde der einstige Hafen vom 30 km entfernten Perpignan Anfang des 20. Jh., als er die fauvistischen Künstler Henri Matisse und André Derain, später auch Pablo Picasso und Georges Braque durch seine besonderen Farben und das Licht bezauberte. Im Sommer brechen wahre Heerscharen von Touristen über den 3.000-Einwohnerort herein, angezogen von seinem Ruf als Künstlerdorf, seinem Wein, der zum Anbaugebiet des Süßweins Banyuls gehört, und den berühmten Collioure-Anchovis.

Der Ort liegt an einer großen Bucht, die im Norden durch eine weit ins Meer vorgeschobene malerische Wehrkirche markiert ist, deren Turm früher ein Leuchtturm war. Am Westrand der Bucht liegt das Château Royal, das durch mehrmalige Umbau- und Erweiterungsbauten aus der ursprünglichen Burg von 673 hervorgegangen ist. Es verfügt über unterirdische Gänge, Wehrgänge, einen Exerzierplatz, ein Gefängnis aus dem 16. Jh., eine Kapelle aus dem 13. Jh. und ein Schlafzimmer für die Königin. Neben der malerischen Altstadt mit den vielen Kunstläden ist die Burg am Hafen die Hauptattraktion, wie wir an den vielen Touristen ersehen konnten.

Die Gegend von Collioure war schon in vorgeschichtlicher Zeit besiedelt gewesen; nachgewiesen ist, dass der Ort bereits im 6. Jh. v.Chr. existierte. Die ursprüngliche Burg stammt aus dem 7. Jh., als der Ort Castrum Caucoliberi hieß. Sein Name bzw. seine Schreibweise änderte sich in der Folge mehrmals, bis sich die heutige französische Schreibweise im 19. Jh. etablierte.

Wir genossen die Sonne und schlenderten durch den farbenprächtigen Ort mit seinen engen Gassen, roten Ziegeldächern, blauen Fensterläden und zartrosa Hausfassaden. Auf einem Rundgang, dem Chemin du Fauvisme, kann man die 20 Plätze besuchen, an denen Matisse, Derain und andere einst ihre Staffeleien aufgestellt hatten. Dort finden sich erläuternde Tafeln mit Reproduktionen der Kunstwerke, die hier entstanden sind und nun als Originale im New Yorker Museum of Modern Art, in der Eremitage Sankt Petersburg und im Museum Folkwang in Essen zu bewundern sind.

Nach Collioure besuchten wir Argelès Plage. Dies ist ein Ortsteil von Argelès-sur-Mer, direkt am Mittelmeer gelegen, mit einem langen Sandstrand und vielen Ferienhäusern und Hotels. Zu dieser Jahreszeit war in diesem Ferienort wenig los, die meisten Restaurants und Verkaufsbuden waren geschlossen. Anschließend kehrten wir zum Campingplatz zurück und vollführten die schon beschriebenen Reinigungsarbeiten.

Zwergstaat

Beim letzten Spanienaufenthalt drei Jahre zuvor, als wir uns vor allem am Cap de Creus im Nordosten Kataloniens aufgehalten hatten, hatten wir es nicht geschafft, einen Abstecher nach Andorra einzulegen, da dies als Tagesausflug zu strapaziös geworden wäre. Diesmal hatte ich Andorra zwar nicht eingeplant, aber als Wohnmobilisten waren wir jetzt deutlich flexibler als damals mit Ferienwohnung in Roses und hatten als nächstes Ziel sowieso Zaragoza vorgesehen, so dass Andorra fast auf der Luftlinie zwischen Argelèssur-Mer und Zaragoza lag. Ursprünglich wollte ich eigentlich erst durch die Pyrenäen nach Spanien hineinfahren und dann nach Westen bis Zaragoza. Aber meine Frau überzeugte mich Nichtraucher, dass man im Pyrenäen-Ländle preisgünstig Rauch- und Trinkwaren ergattern kann, wozu ein Zwischenstopp auf dem Hauptstadt-Campingplatz empfehlenswert war. Da der Weg bis dorthin nicht sehr weit war, entschied ich zu meiner eigenen Motivation einen kleinen Umweg über Carcassonne im Départment Aude im Languedoc einzulegen, das ich schon seit längerer Zeit einmal sehen wollte.

Carcassonne war im 1. Jh. v.Chr. von den Römern gegründet worden und liegt strategisch günstig direkt an einer Handelsstraße zwischen dem Atlantik und dem Mittelmeer ca. 70 km nordwestlich der Stadt Perpignan. Später war Carcassonne von den Westgoten, Sarazenen und schließlich von den Franken erobert worden. Im Mittelalter lebten 3.000-4.000 Menschen in Carcassonne, das Anfang des 13. Jh. zu den Hauptstützpunkten der Katharer gehörte. 1209 war es Ziel des von Papst Innozenz III. initiierten Albigenserkreuzzugs gegen die von der katholischen Kirche als ketzerisch betrachtete Glaubensgemeinschaft der Katharer in Okzitanien. Während der zweiwöchigen Belagerung konnten viele Einwohner durch unterirdische Gänge in die naheliegenden Wälder fliehen, aber von den 500 zurückgebliebenen Greisen, Kranken und Kindern wurden 400 verbrannt oder gehängt. Als Folge kam das zu Aragón gehörende Carcassonne wieder unter französische Herrschaft.

Das weltberühmte Wahrzeichen der Stadt, das seit 1997 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, ist die mittelalterliche, auf einem Hügel der Altstadt gelegene, als Cité bezeichnete Festung. Carcassonne hat zwar 46.700 Einwohner, aber in der Cité leben nur 230 Menschen, die restlichen „Bewohner“ des Touristenörtchens sind nur zu touristischen Zwecken in der Stadt. Die Cité ist mit 4 Millionen Gästen pro Jahr eines der am häufigsten besuchten Reiseziele Frankreichs. Entsprechend abschreckend fand ich die starke Kommerzialisierung, der man in der Cité unentrinnbar ausgesetzt ist. Verwunderlich ist das wohl nicht angesichts der gewaltigen Zahl an Besuchern, die sich durch die Gassen schieben, wobei wir mit unserem Besuch zur frühen Jahreszeit Glück hatten. Einen Eindruck vom Sommertrubel konnte man angesichts der vielen Restaurants und Nippesläden allerdings schon bekommen, obwohl fast überall gähnende Leere herrschte.

Die Festungsanlage ist von ihrer Größe und ihrem Erhaltungszustand her einzigartig in Europa. Sie ist in konzentrischen „Kreisen“ angelegt; die doppelte Wehrmauer und die 52 Wehrtürme hatten allen Belagerungsattacken standgehalten. Am Haupteingang Porte Narbonnaise ist noch die Brücke zu sehen, die in Krisenzeiten hochgezogen wurde. Der einen Kilometer lange Wehrgang zwischen den Mauern ist ideal, um den Touristenmassen zu entkommen und die beeindruckende Wehranlage in aller Ruhe zu studieren.

Wir trieben uns zwei Stunden in der Altstadt herum, schlenderten durch die verschlungenen Gässchen an vielen kitschigen Andenkenläden und asiatischen Touristen vorbei und kamen u.a. auch zur romanisch-gotischen Basilique Saint-Nazaire, deren gotisches Querschiff und die Fensterrosen Beachtung verdienen. Die ehemalige Kathedrale und heutige Basilika St-Nazaire und St-Celse gehört zu den bedeutendsten Sakralbauten im Süden Frankreichs und steht am höchsten Punkt und damit gleichzeitig im Zentrum der Cité.

Unterhalb der Zitadelle liegt am linken Aude-Ufer um die Bastide St-Louis die Unterstadt. Sie besteht aus überwiegend modernen Gebäuden, in deren Zentrum jedoch ein mittelalterliches Herz schlägt. Wir quälten uns durch die engen Gassen hindurch, was mit einem ausgewachsenen Wohnmobil nicht möglich gewesen wäre, da in jeder Gasse die eine Seite vollständig zugeparkt war. Auch wir kamen an unsere Grenze und die des Busses, als wir plötzlich eine Vollsperrung vor uns hatten und zum Abbiegen in eine enge Quergasse gezwungen waren. Dabei blieb ich an einem der Poller hängen, mit denen die Gassen zum Schutz der Fußgänger ausgestattet waren. Mit etwas Rangieren, was mich dank der langen Autoschlange hinter uns etwas unter Erfolgsdruck brachte, gelang es mir schließlich, die Kurve zu kriegen, wobei nicht mal eine Zeitung zwischen unseren Bus und die geparkten Fahrzeuge gepasst hätte. Den Kratzer am Kotflügel haben wir uns bis heute als Andenken bewahrt.

Schließlich setzten wir unseren Weg nach Andorra fort. Über die A66 und die N22, deren Böschungen kilometerlang mit blühendem Ginster bewachsen waren, kamen wir an der in dichtem Nebel liegenden Grenze durch den knapp 3 km langen Tùnel d'Envalira in 2.000 m Höhe und weiter auf der CG-2 bis zur Hauptstadt. Nach dem Tunnel, der nach Planungsbeginn schon Ende der 1950er Jahre erst im Jahr 2002 eröffnet worden war, kamen wir in herrliches Sonnenwetter, allerdings bei einer Temperatur von knapp über 0° C. Die Berge an der Grenze von Frankreich zu Andorra sind fast 3.000 m hoch und waren daher noch alle schneebedeckt. Der Schnee reichte bis an die Hauptstraße herunter, die geräumt war. Dass hier noch Schnee liegen würde, war nicht überraschend, denn wir hatten bereits vom letzten Campingplatz sehen können, dass die höheren Pyrenäengipfel verschneit waren.

Das Wetter in Andorra la Vella war sehr gut, zunächst sonnig bei 20° C mit leichtem Wind, der aber zu einer schnellen und starken Abkühlung bis knapp über 0° C im Laufe des Abends in der 1.000 m hoch gelegenen Stadt führte. Trotz Schlafsack, Decke und doppeltem Schlafanzug mit Mütze fror ich am frühen Morgen. Die Nachtruhe war um 8 Uhr vorbei, als ein Hubschrauber direkt über dem Campingplatz „Valira“ eine Stunde lang unerfindliche Kreise drehte, als wenn es in der engen Hauptdurchgangsstraße nach Frankreich, die mit bis zu 10 Stockwerken hohen Häusern zugekloppt war, nicht schon laut genug gewesen wäre. Zu allem Überfluss fiel morgens der Strom am Stellplatz aus, so dass wir unser Kaffeewasser in der Küche erwärmen mussten. Zum Glück kam wenigstens gegen 9 Uhr die Sonne über die Berge gekrochen, so dass wir gut eingemummelt draußen frühstücken konnten.

In Andorra hätte man gut wandern können und in dem kleinen Land gibt es sogar einige ausgeschilderte Möglichkeiten dafür. Aber wir waren ja primär zum Shoppen da und außerdem gegenüber der ursprünglichen Zeitplanung nach 6 Tagen schon 2 Tage im Verzug. Daher stürzten wir uns nach dem Frühstück ins Shoppingparadies, erstanden fünf Stangen Zigaretten und vier Flaschen Schnaps und starteten bei leichtem Schneegestöber, aber nüchtern in Richtung Zaragoza.

Das seit 1278 unabhängige Fürstentum Andorra ist der größte unter den sechs europäischen Zwergstaaten (der Größe nach geordnet: Vatikanstaat, Monaco, San Marino, Liechtenstein, Malta, Andorra) und das einzige Land der Welt, in dem eine Doppelherrschaft durch zwei ausländische Amtsträger besteht: der Bischof von Urgell und der Präsident von Frankreich. Die Amtssprache ist Katalanisch, das zusammen mit Spanisch (Kastilisch) 95% der Alltagssprache der gut 70.000 Einwohner ausmacht. Dies entspricht aber nur 74% ihrer Muttersprache, dazu kommen u.a. 15% portugiesische und 5% französische Muttersprachler.

Der wichtigste Wirtschaftsbereich ist der Tourismus, vor allem der Wintersport. Bekannt ist Andorra insbesondere als Steueroase und für billige Alkoholika und Tabakwaren, weswegen es von einer beachtlichen Anzahl von suchtgefährdeten Tagesbesuchern heimgesucht wird.

Gastgeberstadt der EXPO 2008

Nach Passieren der Grenze zu Spanien durchquerten wir bei gutem Wetter die herrliche Landschaft der Pyrenäenausläufer mit eindrucksvollen Canyons und schroffen, rot-braun-grauen Hängen nach Süden durchs Valira- und Segretal. Bei Coll de Nargó legten wir einen kurzen Foto- und Erholungsstopp am Ende des Oliana-Stausees ein, der den Segre aufstaut. Der Segre ist mit 265 km der längste Nebenfluss des Ebros. Er entspringt an der Nord-Flanke des Puigmal de Segre (2843 m), fließt durch die spanische Exklave Llívia und dann in südwestlicher Richtung nach Spanien

In den flacher werdenden Ausläufer der Pyrenäen sahen wir liebliche Hügel und saftig grüne Wiesen, die, je weiter wir uns von den Bergen entfernten, durch kargere Regionen mit ausgedehnten Olivenbaumhainen abgelöst wurden. Immer wieder passierten wir kleine Orte, die auf Hügel- und Bergkuppen gelegen waren. Kurz hinter der Provinzhauptstadt Lleida wurde das Land ziemlich trocken, wüstenartig und kaum bewohnt. Hier war nicht zu erkennen, dass die wasserreichen Flüsse Segre, Cinca und Ebro in der Nähe sind.

Auf den letzten 30 km der Annäherung an Zaragoza begleitete uns nördlich der Autobahn die kahle, felsige Sierra de Alcubierre, die die Comarca (Landkreis, Gemarkung) von Nordwesten nach Südosten durchzieht. Ihre höchste Erhebung ist der Monte Oscuro mit 822 m. Das Klima ist in dieser Gegend semiarid, was dürr bzw. halbtrocken bedeutet, mit geringen Niederschlägen und hohen Temperaturen im Sommer. Der subjektive Höhepunkt an Ödnis war unmittelbar vor Zaragoza erreicht, wo die kahle Wüste bis an die Hochhäuser der Großstadt heranreichte. Ein wahrlich grauslicher Anblick!

Auch der „Camping Ciudad De Zaragoza“ war nicht einer der schönsten Plätze, zumal jahreszeitbedingt noch äüßerst kahl. Aber die wenigen Bäume würden in der Sommerhitze nicht für Abkühlung sorgen können. Immerhin waren die Sanitäranlagen akzeptabel, sogar mit Musikbeschallung, damit allzu persönliche Geräusche übertönt werden konnten. Leider fehlte Rosenduftbestäubung gegen allzu persönliche Gerüche. Nachts kühlte es auf diesem Platz in dieser Jahreszeit noch sehr stark ab.

Da der Campingplatz für einen Spaziergang, vor allem für die fußgeschädigten Exkursionsteilnehmer dieser Reise, von der Innenstadt zu weit entfernt war, fuhren wir am ersten Morgen mit dem Auto hinein und parkten nördlich des Ebros auf einem zentrumsnahen Parkplatz an der Avenida los Pirineos. Dorthin bewegten wir uns allerdings nicht auf direktem Weg, sondern mein Navi schickte mich erstmal gründlich in die Wüste, von der es um Zaragoza herum ja nicht mangelt. Bei dem Straßengewirr um die Großstadt dauerte es einige Zeit, bis ich misstrauisch wurde und das Navi mit einer neuen Herausforderung konfrontierte, nämlich einem in der Nähe der Altstadt gelegenem Alternativziel. Die Aufgabe meisterte es vorbildlich.

Zaragoza (dt.: Saragossa) ist die Hauptstadt von Aragonien bzw. Aragón und mit 665.000 Einwohnern Spaniens fünftgrößte Stadt, obwohl Aragón selbst zu den am dünnsten besiedelten Regionen Spaniens gehört. Zaragoza war von den Römern während der Herrschaft des ersten römischen Kaisers Augustus unter dem Namen Colonia Caesaraugusta gegründet worden. Man nennt sie auch „die Stadt aus fünf Kulturen“, da sie in sich die Spuren historischkultureller Erbschaft der Römer, Iberer, Juden, Moslems und Christen trägt.

Beim Gang über den Puente de Santiago fällt sofort die mächtige, 130 m lange Basílica de Nuestra Señora del Pilar ins Auge, Spaniens größtes barockes Bauwerk. Sie besitzt elf, mit bunten Ziegeln besetzte Kuppeln und ihre vier Ecktürme überragen alle anderen Gebäude der Altstadt. Dieser Juwel der Barockkunst am Plaza del Pilar, während des 17. und 18. Jh. errichtet, war während des spanischen Unabhängigkeitskrieges gegen Frankreich am Anfang des 19. Jh. kaum in Mitleidenschaft gezogen worden, als Zaragoza weitgehend zerstört wurde. Interessant sind der in Alabaster gearbeitete Hauptaltar, der Renaissance-Chor und die von Goya gemalten Fresken im kleinen Chor und in der Kuppel „Regina Martyrum“. Die Basilika ist Zaragozas Wahrzeichen und zusammen mit der Kathedrale von Santiago de Compostela eines der bedeutendsten religiösen Zentren Spaniens. Entsprechend viele Touristen hielten sich in dem Gebäude auf und knipsten „auf Teufel komm raus“, wie auch ich, obwohl das untersagt ist, da man an einem solchen Ort den Leibhaftigen ja nicht heraufbeschwören will.

Zur guten spanischen Mittagszeit um 14:30 befiel uns Hunger und wir hielten nach einem Lokal mit Tagesgerichten Ausschau. In einer Seitengasse unweit der grandiosen Basilika nahmen wir je ein dreigängiges Menü mit einer Flasche Wein, Wasser und Brot für 24,80 zu uns. Da konnte man nicht meckern. Und gut geschmeckt hat es auch.

Abb. 3: Die Doppelmauer der Cité von Carcassonne

Abb. 4: Basílica de Nuestra Señora del Pilar in Zaragoza

Danach setzten wir unseren Schlendergang durch die Altstadt mit vielen sensationellen, im Rahmen der Weltausstellung von 2008 renovierten Gebäuden, Bürgerhäusern und Fassaden fort. An vielen Stellen kann man das kulturelle Erbe der wechselvollen Stadtentwicklung bestaunen, das Römer, Araber, Juden und Christen hinterlassen haben. Am Rande der Altstadt findet sich eine Stätte, an der man große Teile eines römischen Amphitheaters ausgegraben hat. In der Nähe des Puente de Santiago finden sich Reste einer römischen Stadtmauer, eine Statue mit Kaiser Augustus und die Markthalle von 1903 mit beeindruckender Fassade an der Eingangsseite.

Ebenfalls am Plaza del Pilar stehen die stattlichen Gebäude des Ayuntamiento (Rathaus), der Lonja (Börse, der bedeutendste zivile Bau des 16. Jh. in Aragón) und des erzbischöflichen Palastes. Das Ende des Platzes wird vom bedeutsamsten und wertvollsten Bauwerk in Aragón markiert, der Kathedrale San Salvador bzw. La Seo. Bereits im 1. Jh. v.Chr. hatte an dieser Stelle ein Tempel gestanden, der später von den Westgoten als Kirche und danach von den Arabern als Moschee genutzt wurde. Viele Um- und Erweiterungsbauten schlossen sich an. Deshalb besitzt La Seo Elemente der Romanik, der Gotik, des Mudéjarstils, der Renaissance und des Barocks. Als Mudejaren werden Muslime bezeichnet, die im Verlauf der Reconquista unter christliche Herrschaft in Spanien gekommen waren, sich weitestgehend assimilierten und meist als Künstler oder Handwerker arbeiteten, jedoch ihre Religion weiter ausüben konnten.

Wir hätten noch viel mehr besichtigen können, z.B. den maurischen Palast Aljafería, der heute der Sitz des Regionalparlaments von Aragón ist, mit einer Moschee und einzigartigen Arkaden. Oder den riesigen Parque Grande José Antonio Labordeta sowie diverse Plätze und Gassen in der Altstadt. Aber nach unserem Zickzack-Lauf und den vielen Eindrücken, die wir in unserer ersten spanischen Druckbetankung gewonnen hatten, war die Grenze der Aufnahmefähigkeit erreicht und wir traten den Rückweg zum Campingplatz an.

Zu erwähnen sind noch die vielen Jugendlichen, die an diesem Samstag gleichartig und bunt gekleidet, häufig mit eigenwilligen Perücken, im Zentrum unterwegs waren, gute Laune verbreiteten, Musik, teils kakophonischer Art, machten und dabei Unmengen an Alkohol soffen, trotzdem dabei nicht ausfällig wurden oder ständig umfielen. Ähnliche Beobachtungen an Samstagen konnten wir auch in anderen großen spanischen Städten machen. Anscheinend gehen dann alle spanischen Jugendlichen, sofern sie es sich leisten können, in Gruppen auf die Straße um zu feiern. An Sonntagen dagegen trifft man eher Gruppen an, die nach Großfamilie mit Teilnehmern aller Altersklassen aussehen, auffallend gut gekleidet sind und sich sehr diszipliniert verhalten. Manchmal stehen sie auf Plätzen mit Sektgläsern herum, da scheint dann aber schon die Grenze des öffentlichen Sich-Gehen-Lassens erreicht zu sein.

Am Folgetag wollten wir uns nicht erneut ins Zentral-Getümmel stürzen, sondern suchten eine ruhigere Gegend in der Großstadt mit Alternativarchitektonik zu den römisch-maurisch-antiken Gemäuern auf. Wir machten uns zum EXPO-Gelände von 2008 auf, das 3 km nordwestlich der Altstadt an einem Knie des Ebros gelegen ist. Dazu parkten wir unser Auto nahe der Brücke des dritten Jahrtausends („Puente del Tercer Milenio“) im Stadtteil La Almozara, der zwar größtenteils als modernes Großstadtwohngebiet mit riesigen Wohnsilos daherkommt, an dessen innenstadtnahem Rand aber der sehenswerte Palast Aljafería steht. Der Weg zur Brücke am Rande des Stadtteils eröffnete teils trostlose Ausblicke, nicht nur auf die Wohnkästen, sondern die staubig-trockene und vegetationsarme Umgebung. Der Anblick wurde vom riesigen Flohmarkt am Fuß der Brücke ein wenig aufgeheitert, wo wir Sommerhemden und Hausschuhe aus Marokko für 2 € das Stück bzw. Paar erstanden.

Beim Überqueren des modernen Puente del Tercer Milenio springt der 200 m östlich gelegene Brücken-Pavillon („Pabellón Puente“) der britisch-irakischen Architektin Zaha Hadid ins Auge. Der futuristische Bau besteht aus Beton mit glasfaserverstärktem Kunststoff und 29.000 dreieckigen Fassadenplatten aus Glasfaser. Er überquert ebenfalls den Ebro und war ein Ausstellungsgebäude der EXPO zum Thema „Wasser, einzigartige Ressource“. Nach der EXPO wurde das Gebäude zwar als Museum genutzt, aber über seine endgültige Verwendung wird immer noch diskutiert.

Wir durchstreiften das verwaiste EXPO-Gelände mit dem Kongresszentrum und dem benachbarten, sogenannten Wasserturm („Torre del Agua“). Das Gebäude mit einem tropfenförmigen Grundriss ist mit 76 Meter das höchste in Aragón und wurde während der EXPO, die unter dem Hauptmotto „Wasser und nachhaltige Entwicklung“ stand, ebenfalls als Ausstellungsgebäude zu diesem Thema genutzt. Es war im Herbst 2013 für Besucher wiedereröffnet worden. Vor dem Kongresszentrum steht die Skulptur El Alma del Ebro („die Seele des Ebros“) des Künstlers Jaume Plensa, ein zwölf Meter hoher menschlicher Kopf ohne Gesicht aus Hunderten, miteinander verschweißten Buchstaben aus rostfreiem Stahl.

Im Anschluss spazierten wir durch den westlich benachbarten Parque del Agua mit botanischen Gärten, der – jahreszeitbedingt? – einen ungepflegten, langweiligen und verlassenen Eindruck hinterließ, obwohl es an diesem sonnigen Sonntag viele Saragossaner hätte hinziehen können. Am interessantesten waren die Gänse, Enten und Schwäne, die sich in den Kanälen zwischen den verlotterten Beeten tummelten, sowie die Agility-Vorführungen auf einem Hundetrainingsplatz, denen man von einem vorbeiführenden Deich gut folgen konnte. Die Shows genossen wir jedoch nur kurz, da uns die Sonne um drei Uhr nachmittags unerbittlich den Schädel versengte und Monti seinen schwarzen Fellmantel nicht ablegen konnte.

Nachdem wir uns am Bootssteg in einer Bar ein wenig erholt hatten, kehrten wir über das EXPO-Gelände und den Puente del Tercer Milenio am sich auflösenden Flohmarkt vorbei zurück zum Auto.

Am letzten Tag unseres Aufenthalts in Zaragoza unternahmen wir eine Exkursion in die nähere Umgebung östlich der Stadt. In Azaila am Flüsschen Aguas Vivas suchten wir die nicht ausgeschilderte historische Ausgrabungsstätte Acrópolis Ibérica auf. Hier waren Ende des 19. Jh. bedeutende Reste einer ibero-keltisch-römischen Stadt entdeckt worden. Ich hatte irgendwo gelesen, dass die Reste der Wohngebäude, des Badehauses, der Grabstätten, der Stadtmauer, der Zisterne etc. außergewöhnlich und sehenswert sein sollten. Als wir es endlich fanden, sah es mehr nach verwaistem Steinbruch mit umgebendem Maschendrahtzaum aus. Das Tor stand offen. Wir parkten unser Auto auf dem Feldweg, der zum Gelände führte, und ließen uns etwas Zeit.

Als wir dann um Viertel vor zwei eintraten, kam ein Geröllwächter aus dem kleinen Häuschen am Eingang und erklärte uns, dass wir nicht alleine die Ruinen besichtigen dürften, sondern nur in seiner Begleitung, was aber aufgrund der nahenden Siesta nicht möglich sei, die er wohl gefährdet sah.

Abb. 5: Puente del Tercer Milenio in Zaragoza

Abb. 6: Pabellón Puente in Zaragoza

Als wir schon den Rückzug antreten wollten, überraschte er uns mit der Idee, von der er sich im Folgenden nicht mehr abbringen ließ, im nahen Azaila einen Kollegen anzurufen, der anstatt seiner die Führung übernehmen könne. Wir sollten nur ein paar Minuten warten, er wäre schnell da. Dieser Aufwand kam uns für 3 € Eintritt etwas übertrieben vor und unser archäologisches Interesse war auch nur von begrenzter Ausprägung. Nach dem Besuch verstanden wir, dass er uns als erste Besucher des Tages bei drei Gästen im Jahresdurchschnitt nicht einfach gehen lassen konnte, da er mit uns bereits zwei Drittel seines Tagessolls erzielt hatte.

Um 5 vor 2 war der Kollege da, der andere schloss das Tor ab und verschwand beruhigt in seine wohlverdiente dreistündige Siesta. Nichtstun und auf Besucher warten kann ganz schön anstrengend sein, da machen wir uns keine Vorstellung. El colega zeigte uns eine halbe Stunde lang in lebhaftem Spanisch die Ruinen, er streute vereinzelt einen englischen Brocken ein, wir verstanden fast nichts, hatten aber einen netten Ruinenspaziergang, wenn man von Barbaras Fußschmerzen absah. Jedenfalls Monti machte es tierischen Spaß, über die steilen Stufen auf den Ruinenberg und zwischen den Gebäuderesten herumzuspringen.

Nach diesen aufrüttelnden Eindrücken aus den letzten dreitausend Jahren fuhren wir noch etwas durch wüstenartige Einöden mit teils kilometerlang pfeilgrade verlaufenden Schotterstraßen zwischen pickligen Felshügeln und kahlen Feldern hindurch. Aufgelockert wurde das Erlebnis durch Blicke auf den unterhalb unserer Hochebene mäandernden Ebro, der Aragón in zwei Hälften teilt.

Bei Bujaraloz kamen wir wieder etwas mehr mit der aktuellen spanischen Zivilisation in Kontakt, zumindest theoretisch. Denn der Ort wie auch die anderen, durch die wir hindurch kamen: La Amolda, Monegrillo und Farlete, waren in der nachmittäglichen Hitze zu Anfang des Aprils wie ausgestorben. Kein Mensch, kein Tier auf den Gassen. Nur zwei blöde Touristen waren im Auto und manchmal sogar zu Fuß unterwegs.

Gegen 18 Uhr näherten wir uns Zaragoza. 10 km nördlich des Zentrums durchquerten wir den 3.000-Einwohnerort Villamayor de Gállego, der durch den Feierabendverkehr auf der Durchgangsstraße geringfügig belebt wurde. Hier legten wir am etwas erhöht gelegenen Santuario Nuestra Señora del Pueyo einen finalen Fotostopp vor unserer Rückkehr zum Campingplatz ein, da man von da einen schönen Ausblick auf das nahe Zaragoza mit seiner trostlosen Umgebung hatte.