Katarina Mazetti
Die Karlsson-Kinder
Papas und Piraten
Aus dem Schwedischen von
Anu Stohner
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Katarina Mazetti, 1944 geboren, war bis 1989 als Schwedisch- und Englischlehrerin tätig. Sie arbeitet als Rundfunkjournalistin und Kolumnistin. Ihre Bücher für erwachsene Leser sind internationale Bestseller. Nach »Die Karlsson Kinder – Spukgestalten und Spione« (dtv 64004), »– Wombats und Wilde Kerle« (dtv 64007), »– Wikinger und Vampire (dtv 64010), »– Diebe und Dämonen« (dtv 64016) und »– Gruselschiff mit schwarzer Dame« folgt nun das sechste Abenteuer in der Reihe Hanser.
Winter auf Doppingö, das ist neu für die Karlsson-Kinder. Aber es ist schön. Sie versorgen das kleine Islandpferd auf der Insel, weil Tante Frida für eine Woche ins Krankenhaus musste, und sie erkunden die Insel, die im Schnee so ganz anders aussieht.
Eines Morgens steht ein Schneemann vor dem Haus, obwohl doch sonst niemand auf der Insel sein soll. Oder etwa doch? Und was will der Eindringling ihnen mit dem Schneemann sagen? Es ist alles sehr rätselhaft und ganz klar ein neuer Fall für die Karlssons. Sogar einer mit Piraten!
Deutsche Erstausgabe 2016
© 2015 Katarina Mazetti
Titel der Originalausgabe: ›Kusinerna Karlsson – Pappor och pirater‹
(Alfabeta Bokförlag AB, Stockholm 2015)
Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe:
© 2016 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Reihengestaltung und Umschlag: Katrin Engelking
Karten: Annie Palmgren
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
eBook-Herstellung im Verlag (01)
eBook ISBN 978-3-423-43039-5 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-64025-1
Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website www.dtv.de/ebooks
ISBN (epub) 9783423430395
So was hat Tante Frida nämlich, und wie es dazu kam, kann man in »Die Karlsson-Kinder – Gruselschiff mit schwarzer Dame« nachlesen.
Stammbaum der Karlsson-Kinder
Großvater und Großmutter Karlsson
(mütterlicherseits)
4 Töchter:
Ulla, Forscherin, verheiratet mit Allan,
Mutter von Julia und Daniella, genannt Hummel
Molly, Schauspielerin, Mutter von George
Ellen, Köchin, lebt zusammen mit Claude Bouclé,
Mutter von Alex
Frida, Künstlerin
Das Eis auf dem Meer vor dem kleinen Städtchen Östhamn war dieses Jahr schön dick.
Wenn der Wind dann noch den Schnee fortwehte, lag das Eis schwarz und spiegelblank, und man konnte ausgezeichnet Schlittschuh laufen. An solchen Tagen sah man die Einwohner Östhamns nachmittags eifrig ihre Kreise drehen, die Anfänger in Ufernähe und die erfahrenen Schlittschuhläufer weiter draußen, wo sie kilometerweit auf ihren Tourenschlittschuhen dahinglitten.
An anderen Tagen zogen Unwetter mit Schneeschauern vorüber, und der Schnee sammelte sich in dicken Schneewehen auf dem Eis. Dann verschwanden die Schlittschuhläufer in den kleinen gemütlichen Häusern der Stadt, wo sie ein Feuer im Kamin machten, Kerzen ins Fenster stellten und dem Wind lauschten, der draußen um die Ecken pfiff.
An einem bitterkalten Nachmittag Anfang Februar stapften zwei unterschiedlich große Gestalten durch den Schnee, der sich auf dem Eis angesammelt hatte. Es ging gegen drei, und der Schnee leuchtete noch in der bläulichen Dämmerung, aber es würde schnell dunkel werden. Niemand sah die beiden, wie sie auf Doppingö ankamen und sich durch hohe Schneewehen ihren Weg zum Lotsenturm bahnten, der nach einem alten Leuchtturm das zweithöchste Gebäude auf der Insel war. Im Sommer war der Lotsenturm rot mit weithin blitzenden Fenstern im obersten Stockwerk, von dem aus man weit übers Meer schauen konnte. Dort hatten die Lotsen früher gestanden und nach Schiffen Ausschau gehalten, die auf Grund gelaufen waren. Aber jetzt im Winter war der Turm fast weiß vor Schnee, der gegen die Wände geschneit war, und die Fenster waren übersät mit Eiskristallen.
Die Insel schien verlassen. Auch in den Fenstern des alten Lotsenhauses gleich neben dem Turm brannte kein Licht. Die Einzigen, die sahen, wie die zwei Gestalten die schwere schwarze Tür des Lotsenturms öffneten, waren ein Schwarm Gimpel und ein einsames verfrorenes Islandpferd mit langer gelber Mähne, das hinter den Bäumen des Lotsenhausgartens hervorschaute.
»Weißt du, was passiert ist?«
Daniella, genannt Hummel, kam aufgeregt ins Zimmer, das sie mit ihrer großen Schwester Julia teilte. Julia saß mit ihrem kleinen Laptop auf dem Schoß auf ihrem Bett und schaute nicht mal auf. Sie war tief in ein Spiel versunken.
Hummel stolperte an einer Teppichfalte, segelte kurz durch die Luft und landete neben Julias Füßen. Leider hatte sie einen Becher zum Glück nur noch mittelwarmer heißer Schokolade in der Hand, die sich in einem Schwall über Julias Bett, Julias Knie und ihren Laptop ergoss. Julia schrie vor Schreck auf, und der dicke bunte Kater, der neben ihr lag, schloss sich ihr an: »Iiiiiiiii! Oiiiiiiii!«
»Was gibt’s denn da zu schreien?«, jammerte Hummel. »Ich hab mir doch wehgetan! Und meine heiße Schokolade ist auch hin!«
Julia war kurz davor, ihr eine runterzuhauen.
»Hummel, wenn du meinen Laptop kaputt gemacht hast, schneid ich dir die Ohren ab und zwing dich, sie aufzuessen!«, brüllte Julia.
Verzweifelt versuchte sie, den Laptop mit dem Zipfel ihres Betttuchs abzuwischen. Aber das half weder dem Laptop noch dem Betttuch.
»Du und dein dämlicher Laptop!«, motzte Hummel.
Julia starrte sie an.
»Dämlicher Laptop? – Auf den hab ich über ein Jahr gespart!«
»Na und? So was zahlt doch die Versicherung!«, sagte Hummel. »Außerdem hat es meinen Hintern viel schlimmer getroffen … Aua-aua-aua! … Magst du mir eine neue Tasse heiße Schokolade holen?«
Julia stand wortlos auf und marschierte mit dem Laptop in den Händen aus dem Zimmer. Der Kater sprang vom Bett und folgte ihr. Er spürte, dass Streit in der Luft lag, und plusterte sich schon mal auf. Dazu schlug er Achten mit dem Schwanz.
Im Wohnzimmer traf Julia ihre Mutter an, die ihr freundlich entgegenlächelte.
»Na, was sagst du zu Hummels Neuigkeiten?«, fragte sie. »Hast du Lust?«
Julia hörte gar nicht zu. Sie hielt ihrer Mutter den mit heißer Schokolade übergossenen Laptop hin und sagte mit Leidensmiene: »Guck dir das an!«
»Oha!«, sagte ihre Mutter. »Das sieht aus wie ein Problem! Aber eins, das sich lösen lässt, würde ich sagen – allerdings kaum, bevor ihr fahrt!«
Jetzt hörte ihr Julia zu.
»Fahrt? Wieso fahrt? Wohin denn?«
»Hat dir Hummel denn nichts gesagt? Nach Doppingö! Ihr habt ja gerade Skiferien, und Frida braucht dringend Hilfe. Da fanden wir’s eine gute Idee … Weißt du, es gibt da eine Konferenz, zu der …«
Julia schnaubte. Die alte Leier. Julias und Hummels Eltern waren Forscher und mussten oft zu solchen Konferenzen. Auch dem Kater schien das zu missfallen, jedenfalls schnaubte er mit Julia mit.
»Mooooaaarrrr …«
»Und wobei braucht Frida Hilfe?«, fragte Julia.
»Sie hat angerufen, dass sie mit einem gebrochenen Bein im Krankenhaus von Storvalla liegt. Sie muss mindestens eine Woche dort bleiben, weil es sich um einen besonders komplizierten Bruch handelt, der operiert werden muss. Und nach der Operation muss das Bein für eine Weile ruhiggestellt werden.«
»Und wie sollen wir ihr dabei helfen? Sollen wir dasitzen und ihr das Bein halten?«
Julia war immer noch sauer.
»Sei nicht albern!«, sagte ihre Mutter. »Frida macht sich Sorgen um ihr Pferd, das sie auf der Insel zurücklassen musste. Sie braucht jemanden, der dafür sorgt, dass es jeden Tag sein Heu bekommt. Wenn man ihm Heu für sieben Tage hinlegt, frisst es sich zu Tode. – Es scheint ein sehr hungriges Pferd zu sein.«
Julia lächelte.
»Es heißt Gervir, das ist Isländisch und heißt Vielfraß. Aber … denkt sie wirklich, dass wir da mitten im Winter klarkommen? Nur Hummel und ich? Ganz allein auf Doppingö?«
»Nicht ganz allein«, sagte ihre Mutter fröhlich. »Ich hab mit Molly gesprochen. Sie sagt, wenn George hört, dass ihr hinfahrt, kommt er bestimmt auch gern, schon weil er dort schöne Schneebilder malen kann. Sie hat sogar Alex’ Eltern angerufen, und es scheint so, als hätten sie in Frankreich auch gerade Winterferien. Ihr könntet alle zusammen zwei Wochen bleiben – na, was sagst du dazu?«
Wäre Julia nicht so sauer gewesen, hätte sie jetzt gejubelt. Winter auf Doppingö war mal was Neues, und bestimmt hatte Alex jede Menge Ideen, was man alles über einem offenen Feuer im Schnee grillen konnte. Alex’ Eltern waren beide Köche, und er selbst wollte Fernsehkoch werden. Doch, das hörte sich gut an, aber noch war sie sauer.
»Und wie ist das mit Fridas Bein passiert?«, fragte sie.
»Keine Ahnung«, sagte ihre Mutter. »Ich hab ein paarmal nachgefragt, aber sie ist mir immer ausgewichen.«
»Wo bleibt meine heiße Schokolade?«, schrie Hummel aus dem Zimmer der Mädchen.
»Ich hab sie aus Versehen in deine neue Wintermütze gekippt, und das geschieht dir recht!«, schrie Julia zurück. Dann wandte sie sich wieder ihrer Mutter zu und sagte gut gelaunt: »Ja, klar wären Skiferien auf Doppingö toll. Wir Karlsson-Kinder ganz allein in Schnee und Eis …«
Sie konnte nicht wissen, wie sehr sie sich in dem Punkt irrte. Frida lag zwar im Krankenhaus in Storvalla – aber im Lotsenturm brannte trotzdem Licht …
»Aber Grand-mère, Schweden liegt doch nicht am Nordpol!«, sagte Alex und seufzte.
Seine kleine französische Großmutter stand mit einem mottenzerfressenen Wolfspelz vor ihm. Sie lebte in einem alten Haus an der Küste, und immer wenn Alex’ Eltern auf einem Kreuzfahrtschiff arbeiteten, wohnte er bei ihr.
»Wo hast du das Monster von einem Pelz überhaupt her? Er sieht aus, als könnte er jeden Moment lebendig werden und uns beide verschlingen.«
Alex schauderte.
»Vom Speicher«, sagte seine Großmutter. »Ich glaube, es ist der, der deinem Großvater in dem furchtbaren Winter vor fünfzig Jahren das Leben gerettet hat. Mein Junge, ich möchte doch nicht, dass du dort oben in der Tundra erfrierst. Ach, am besten bleibst du sowieso bei deiner Großmutter!«
Sie sah aus, als kämen ihr jeden Moment die Tränen, und hielt Alex den Pelz dicht unter die Nase. Alex nahm seine kleine Großmutter in die Arme.
»Grand-mère, in Schweden gibt es Heizungen, und so schrecklich kalt ist es dort gar nicht.«
»Und wie ist es mit Eisbären?«, piepste seine Großmutter. »Ich habe gelesen, dass Eisbären Menschen fressen! Musst du da wirklich hinfahren?«
Alex hatte eine Idee.
»Weißt du was, Grand-mère? Wie wär’s, wenn du mir einen neuen Pullover stricken würdest? Einen richtig schön warmen!«
Tatsächlich legte seine Großmutter den Pelz über die Sofalehne und ging schnurstracks zu ihrem Strickkorb mit Wolle in allen Farben. Sie liebte es zu stricken, und Alex hatte nicht weniger als achtzehn Pullover, die sie ihm allesamt gestrickt hatte. Auch in den darauffolgenden Tagen strickte sie von morgens bis abends. Zu seiner Verzweiflung strickte sie ihm allerdings auch eine rote lange Unterhose, die so sehr kratzte, dass er bald wahnsinnig geworden wäre. Trotzdem zog er sie brav für die Reise an. Erst auf dem Flughafen ging er in eine Toilette, tauschte sie gegen eine normale und pfefferte das Ding in einen Mülleimer.
Bei George zu Hause war es genau umgekehrt. Seine Mutter Molly hatte gerade ein Fernsehprogramm über amerikanische Prärie-Indianer gesehen, die ihre Kinder auch in der Winterkälte so gut wie nackt herumlaufen ließen.
»Es härtet die Kinder ab, verstehst du, und wenn sie erwachsen werden, brauchen sie nur dünne Lederkleidung, egal, wie kalt es ist. Fantastisch, oder?«
George sagte nichts, aber Molly hatte eine Idee.
»George, Schätzchen, zieh doch mal den Pullover aus und stell dich auf den Balkon! Oder noch besser: Zieh auch gleich das T-Shirt und die Jeans aus! Die Unterhose kannst du anlassen …«
»Mama, da draußen sind zwölf Grad minus!«
»Mag sein, aber wir haben nun mal nicht mehr viel Zeit, um dich abzuhärten. Ich hätte damit anfangen sollen, als du ein kleines Kind warst.« Von einer Sekunde auf die andere sah sie verzweifelt aus. »Ich war eine schlechte Mutter. Eine ganz schlechte Mutter!«
Molly war Schauspielerin, und George war es gewohnt, dass sie auch zu Hause Theater spielte, darum blieb er ganz gelassen.
»Mama, wenn du mich als kleines Kind bei zwölf Grad minus auf den Balkon geschickt hättest, hätte ich es nicht überlebt, oder mir wäre die Nase abgefroren. Ich bin dir dankbar, dass du es nicht gemacht hast. Du bist eine gute Mutter!«
Aber ein bisschen besorgt war er doch, nämlich als er an sein einziges Paar sowieso nicht sehr warmer Turnschuhe dachte, die dazu noch ein Loch vorne an den Zehen hatten. Und an seinen Pullover, der ihn im letzten Winter noch schön gewärmt hatte, inzwischen aber wie eine Wurstpelle spannte. Die Ärmel reichten nur knapp bis zu den Ellbogen, und der Grund für das alles war, dass er und seine Mutter nie genug Geld hatten.
Als könnte seine Mutter Gedanken lesen, sagte sie: »Wir müssen dir wohl ein paar Wintersachen kaufen gehen, vor allem Schuhe.«
»Wie? Kriegst du plötzlich höhere Gagen?«
»Nein, aber dein Vater hat neulich ordentlich Geld geschickt«, sagte Molly. »Augenblick, wo hab ich’s nur hin? Ich war in der Bank und hab den Scheck eingelöst …«
Sie wuselte durch die Küche, machte Schranktüren auf und zu, tastete die Oberfläche des Kühlschranks ab und durchwühlte die Speisekammer. Sie war schrecklich zerstreut und hatte die Angewohnheit, Dinge an den unwahrscheinlichsten Orten zu verstecken, aber meistens eben doch in der Küche. Am Ende fand sie ein dickes Bündel Geldscheine im Zeitungskorb.
»Wer sagt’s denn? Hier ist es ja! Und ich wollte die Zeitungen schon zum Container bringen …«
George starrte das Bündel Geldscheine ungläubig an.
»Das ist von Papa? Aber von ihm haben wir doch seit Weihnachten nichts gehört, und da ist auch nur eine Postkarte gekommen! Warum hast du denn nichts gesagt? Und woher hat er plötzlich so viel Geld?«
George hatte seinen Vater nur wenige Male getroffen. Er war auch Schauspieler und, als George noch ganz klein war, zu einer Tournee aufgebrochen, von der er nie zurückgekommen war. Hin und wieder bekamen sie eine Postkarte von irgendwo auf der Welt, sogar aus Hollywood, aber sein fester Wohnsitz war in Deutschland.
Molly lächelte.
»Er hat sogar einen Brief geschrieben. Er hat eine Rolle in einem amerikanischen Piratenfilm bekommen, und sie haben ihm einen Haufen Geld als Vorschuss gegeben, glaube ich. Und weißt du was? Wenn du von Doppingö zurück bist, ist er vielleicht hier. Er möchte dich gern treffen, hat er gesagt. Und sehen, ob du ihm ähnlich siehst.«
George schnaubte. Eltern waren seiner Meinung nach ein ziemlich hoffnungsloser Fall.
»Zeit wär’s ja«, sagte er. »Und was ist, wenn ich ihm nicht ähnlich sehe? Geht er dann wieder? Na, spielt keine Rolle, bis jetzt haben wir’s ja auch ohne ihn geschafft.«
Molly nickte und sah dabei traurig aus.
»Los, wir gehen dir Winterkleider kaufen!«, sagte sie. »Ich glaube, Lila würde dir toll stehen. Oder vielleicht was Geblümtes?«
»Was Geblümtes!«, stöhnte George. »Macht’s dir was aus, wenn ich allein einkaufen gehe?«
Er schnappte sich ein paar von den Scheinen aus dem Geldbündel und war so schnell aus der Küche, dass Molly gar keine Chance hatte, ihm zu folgen.
»Oder was Gepunktetes!«, rief sie ihm hinterher. »Gepunktet und lila!«
Zu Hause bei Julia und Hummel ging das Packen immer schnell. Julias Eltern waren es gewohnt zu verreisen, schließlich fuhren sie zu Konferenzen überall auf der Welt. In weniger als einer Stunde standen die Reiserucksäcke der Mädchen an der Tür, vollgepackt mit warmen, praktischen Kleidungsstücken, warmer Unterwäsche, Hüttenschuhen, flauschigen Flanellpyjamas und natürlich ihren Schlittschuhen. Hummel hatte erst selbst gepackt, aber Papa hatte mit strenger Miene Bonbontüten und Schokoladenkeksrollen aus ihrem Rucksack entfernt und noch mal von vorn angefangen.
Die Eltern umarmten die Mädchen und brachten sie zum Bus, mit dem sie nach Östhamn fuhren. Mama hatte sogar eine große Schachtel Pralinen für die arme Frida besorgt. Hummel hatte angeboten, sie zu tragen, aber ihre Mutter hatte nur gelacht und sie stattdessen in Julias Rucksack verstaut.
»Wenn du sie nehmen würdest, wären bei eurer Ankunft nur noch die Einwickelpapierchen drin«, sagte sie.
»Da kennen Sie mich schlecht, meine Dame!«, hatte Hummel geantwortet. Das hatte sie in einem Buch gelesen, und Julia hatte den Verdacht, es könnte Hummels neuer Lieblingsspruch werden. Solche Sprüche wechselten bei ihr alle paar Wochen, und in der Zwischenzeit nervten sie.
Julia seufzte und machte es sich auf ihrem Sitz bequem.
»Hallooo, Alex!«, schrie Hummel und machte einen Riesensatz aus dem Bus, der soeben im Busbahnhof in Östhamn angehalten und die Türen geöffnet hatte. Sie stolperte und landete bäuchlings in einem Schneehaufen, rappelte sich auf, klopfte sich den Schnee von den Kleidern und nahm wieder Kurs auf ihren Cousin, der in der warmen Wartehalle stand und durchs Fenster spähte. Alex war ihr absoluter Favorit.
Hinter Hummel kam der dicke bunte Kater angetapst und hinterließ kleine Katzenspuren im Schnee. Er schüttelte sich missmutig und fand, dass die Welt heute kalt, nass und ungemütlich war. »Njääääähhh!«, beschwerte er sich. Er hatte die ganze lange Reise im warmen Bus verschlafen.
»Sei still, Kater!«, sagte Hummel. »Was soll das Gequengel? Denkst du, ich kann was für das Wetter? Tu einfach, als wärst du ein Schneeleopard, und gib Ruhe!«
Sie riss die Tür zur Wartehalle auf, stürmte auf Alex los und schlang die Arme um ihn. Er lachte und küsste sie auf beide Wangen, wie man es in Frankreich bei Verwandten und Freunden macht. Dann schüttelte er sich.
»Das fühlt sich ja an, als würde man Eis am Stiel küssen. Sogar in den Augenbrauen hast du Schnee!«
»Das steht mir, stimmt’s?«, fragte Hummel mit einem breiten Lächeln. »Wiiiiiillkommen übrigens!«
»Und ich? Bin ich auch wiiiiiillkommen?«, fragte eine Stimme von der Sitzbank hinter Alex. Dort saß George und lächelte auch. Hummel boxte ihn begeistert auf den Arm.
Genau da kam Julia in die Wartehalle. Mit tiefen Falten auf der Stirn schleppte sie ihren eigenen großen Rucksack, den von Hummel und dazu noch den Tragekäfig für den Kater.
»Sag mal, denkst du, ich bin dein Gepäckträger?«, schimpfte sie mit Hummel. »Du musst mir schon helfen, wenn du – oh, hallo!«
Auch sie bekam auf der Stelle gute Laune, wenn sie ihre beiden Cousins sah. Sie hörte sofort auf zu schimpfen und umarmte die beiden.