Über David Bowie

DAVID BOWIE, geboren 1947 in London, gestorben 2016 in New York, war Musiker, Sänger, Produzent und Schauspieler und gilt als einer der einflussreichsten Figuren der Rock- und Popgeschichte. Zu Beginn der 1970er Jahre revolutionierte Bowie mit Alben wie Hunky Dory und The Man Who Sold The World die Popmusik. Mit dem Album The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars wurde er endgültig weltbekannt. In seiner über 40 Jahre andauernden Karriere verkaufte David Robert Jones – alias David Bowie alias Ziggy Stardust alias Aladdin Sane alias The Thin White Duke – mehr als 140 Millionen Tonträger. Sein letztes Album Blackstar erschien nur zwei Tage vor seinem Tod.

Im Gespräch mit William S. Burroughs und A. Craig Copetas, 1974

William S. Burroughs: Entwerfen Sie alle Ihre Designs selbst?

David Bowie: Ja, ich muss die totale Kontrolle haben. Ich kann das nicht andere machen lassen. Wenn es um meine Person geht, finde ich, kann ich das am besten. Ich will nicht, dass andere in meinen Ideen rumpfuschen, oder in dem, was sie dafür halten. Ich mag auch nicht lesen, was andere über mich schreiben. Ich lese gern, was die Kids über mich zu sagen haben, weil es nicht ihr Beruf ist, solche Dinge zu sagen.

Die Leute betrachten mich, um herauszufinden, was den Geist der Siebziger ausmacht, oder wenigstens fünfzig Prozent der Leute tun das. Kritiker verstehe ich nicht. Die werden immer sofort intellektuell und haben wenig Ahnung von Umgangssprache. Sie haben dafür ihre Wörterbücher und brauchen immer etwas länger, um zur Sache zu kommen.

Ich war auf einer Mittelschicht-Schule, aber ich stamme aus der Arbeiterklasse. Ich habe aus beiden Welten das Beste mitgenommen. Ich habe beide Schichten kennengelernt und daher einen ziemlich guten Eindruck davon, wie die Menschen leben, warum so und nicht anders. Ich kann es nicht so gut ausdrücken, aber ich kann es gut

Burroughs: Sie stecken einen in Schubladen. Sie möchten ihr eigenes Bild von einem sehen, und wenn sie es nicht zu sehen bekommen, werden sie böse. Beim Schreiben geht es darum, herauszufinden, wie weit man an den Punkt herankommt, wo alles möglich ist. Nur darum geht es in der Kunst. Wollen die Menschen wirklich einen scheinheiligen Priester, der längst nicht mehr an seine Mission glaubt? Ich denke, die Künstler sollten diesen Planeten übernehmen, das ist das Wichtigste überhaupt, denn nur die Künstler zeigen, dass einfach alles möglich ist. Warum sollten wir uns den Planeten von den beschissenen Zeitungspolitikern aus der Hand nehmen lassen?

»Man kann doch nicht sein ganzes Leben lang nur einen Standpunkt vertreten.«

Bowie: Ich ändere ständig meine Ansichten. Ich bin meistens unzufrieden mit dem, was ich sage. Ich bin ein schrecklicher Lügner.

Burroughs: Ich auch.

Bowie: Ich bin nicht sicher, ob ich nur oft meine Ansichten ändere oder ob ich lüge. Es ist irgendwie beides. Ich lüge nicht direkt, ich ändere nur ständig meine Meinung. Die

Burroughs: Nur Politiker legen sich einmal fest, und das war’s dann. Nehmen Sie jemanden wie Hitler, der hat nie seine Ansichten geändert.

Bowie: Nova Express hat mich wirklich an Ziggy Stardust erinnert, den ich auf die Bühne bringen will. Es gibt vierzig Szenen, und mir würde es gefallen, wenn die Schauspieler alle Szenen lernen, und am Abend vor der Aufführung mischen wir sie in einem Hut und führen die einzelnen Szenen so auf, wie sie aus dem Hut gezogen werden. Das habe ich von Ihnen, Bill … sodass jeden Abend eine neue Aufführung entsteht.

Burroughs: Sehr gute Idee. Eine visuelle Cut-up-Technik auf höherer Ebene.

Bowie: Ich langweile mich sehr schnell, und so würde man immer für neue Energie sorgen. Ich bin da ziemlich altmodisch, ich denke, wenn ein Künstler sein Werk fertig hat, dann gehört es ihm nicht länger … Ich sehe einfach zu, was die Leute daraus machen. Deswegen muss die TV-Produktion von Ziggy noch mal alles übertreffen, was die Leute sich unter Ziggy vorstellen.

Burroughs: Könnten Sie diese Ziggy-Stardust-Figur erklären? Wenn ich es recht verstehe, geht es darum, dass die Welt am Rande des Abgrunds steht und innerhalb von fünf Jahren untergeht?

Burroughs: Woher kam diese Ziggy-Idee, und woher haben Sie diese Fünfjahresfrist? Die Erschöpfung der Ressourcen bedeutet natürlich nicht das Ende der Welt, sondern den Zusammenbruch der Zivilisation. Und sie wird die Bevölkerung um drei Viertel dezimieren.

Bowie: Eben. Sie bedeutet nicht das Ende für Ziggy. Das kommt für ihn mit der Ankunft der Infinites. Die sind eigentlich ein schwarzes Loch, aber ich habe sie personifiziert, weil ein schwarzes Loch schwer auf die Bühne zu bringen wäre.

Burroughs: Allerdings, es wäre mit ziemlichen Kosten verbunden. Und die Handlung würde sich endlos hinziehen, wenn sie erst die Shaftesbury Avenue verschlucken …

Bowie: Ziggy wird im Traum von den Infinites aufgefordert, die Ankunft eines Sternenmanns zu verkünden, also schreibt er ›Starman‹. Es ist die erste hoffnungsvolle

Ziggy glaubt bald selbst an die ganze Geschichte und hält sich für den Propheten der kommenden Sternenmänner. Er erhebt sich zu unglaublichen spirituellen Höhen und wird von seinen Jüngern am Leben gehalten. Als die Infinites schließlich kommen, verleiben sie sich Teile von Ziggy ein, um sich selbst zu materialisieren, denn in ihrer Originalgestalt sind sie Antimaterie und können in unserer Welt nicht existieren. Zu dem Song ›Rock ’n’ Roll Suicide‹ reißen sie Ziggy in Stücke. In dem Moment, wo Ziggy auf der Bühne stirbt, übernehmen die Infinites seine Bestandteile und werden sichtbar. Es ist ein Science-Fiction-Märchen von heute, und das ist es, was mich wirklich umgehauen hat, als ich Nova Express gelesen habe, das 1961 geschrieben wurde. Vielleicht sind wir beide die Rodgers und Hammerstein der Siebziger, Bill!

Burroughs: Ja, die Parallelen sind eindeutig vorhanden, und es klingt gut.

Bowie: Ich brauche den Gesamteindruck einer Bühnenshow. Ich brauche diese Totalität. Songs zu schreiben,

Burroughs: Es geht um die ganze Performance. Nicht nur um jemanden, der am Klavier sitzt und etwas spielt.

Bowie: Ein Song braucht einen Charakter, eine Form, einen Körper, und er muss die Leute so beeinflussen, dass sie ihn für ihre Zwecke benutzen können. Er muss sie nicht nur als Song beeindrucken, sondern als Lebensgefühl. Rockstars haben immer alle möglichen Philosophien, Stile, Schriften in sich aufgesaugt und dann verbreitet, was davon hängengeblieben ist.

»Songs zu schreiben, reicht mir nicht, ich will etwas Dreidimensionales schaffen.«

Burroughs: Die Revolution entsteht, indem man die anderen ignoriert, bis sie zu existieren aufhören.

Bowie: Im Ernst, das geschieht heute schneller als je zuvor. Musiker wie Alice Cooper, die New York Dolls oder Iggy Pop ignorieren die Anhänger der Stones und Beatles total und unwiderruflich. Die Generationenkluft hat sich von zwanzig auf zehn Jahre verringert.

Burroughs: Das Tempo der Veränderung zieht an. Die Verantwortung dafür tragen die Medien, ihre Wirkung scheint unberechenbar.

Burroughs: Dabei geschieht ja das Gegenteil, die Leute driften immer weiter auseinander.

Bowie: Diese Idee, Leute zusammenzubringen, riecht für mich sehr nach Flower-Power-Zeiten. Dass die Leute alle an einem Strang ziehen sollen, finde ich widernatürlich. Es ist einfach nicht menschlich und auch keineswegs ein Naturprinzip, wie es viele sehen.

A. Craig Copetas: Was ist mit der Liebe?

Burroughs: Uff.

Bowie: Mir gefällt das Wort »Liebe« nicht besonders.

Burroughs: Mir auch nicht.

Bowie: Mir wurde gesagt, es sei cool, sich zu verlieben, aber die Zeit des Verliebtseins war alles andere als cool. Ich habe so viel Zeit und Energie in einen anderen Menschen gesteckt und der andere in mich, und wir haben uns nur gegenseitig verausgabt. Und das soll also die Liebe sein … wenn wir all unsere Werte auf jemand anderen

Burroughs: Ich glaube nicht, dass »Liebe« ein geeigneter Begriff ist. Er basiert auf der Trennung von einer Sache namens »Sex« und einer Sache namens »Liebe«, die angeblich zwei verschiedene Dinge sind. Wie in den Old-South-Geschichten, wo die Frau aufs Podest erhoben wird, und ihr Mann himmelt sie an und geht dann los und fickt mit einer Hure. Das ist ein primär westliches Konstrukt, und das wurde dann zu dieser Flower-Power-Idee ausgeweitet, von wegen jeder liebt jeden. Tja, aber das geht nicht, weil die Interessen zu verschieden sind.

Bowie: Das Wort ist falsch, keine Frage. Es kommt darauf an, was wir unter Liebe verstehen wollen. Die Liebe, die wir um uns herum sehen, zwei Leute, die sagen: »Wir lieben uns«, das ist nett anzusehen … Aber nicht allein sein zu wollen, jemanden haben zu wollen, auf den man sich für ein paar Jahre verlassen kann, das ist oft nicht die Liebe, die ein ganzes Leben lang trägt. Es bräuchte ein anderes Wort. Ich weiß nicht, ob es ein Wort ist. Liebe ist eigentlich jede Art von Beziehung … Ich denke, es bedeutet »Beziehung«. Jede erdenkliche Art von Beziehung.

Copetas: Was ist mit der Sexualität, wo entwickelt sie sich hin?

Bowie: Sexualität und wo sie sich hin entwickelt – das ist eine ungeheure Frage, denn ich sehe nicht, dass sie sich überhaupt entwickelt. Sie ist in mir, und das ist alles. Das ist nicht wie die Lancierung einer Werbekampagne fürs nächste Jahr. Sie ist einfach da. Alles, was Sie sich nur vorstellen können unter Sexualität, ist einfach da. Vielleicht gibt es

Burroughs: Es gibt Anzeichen, dass es in diese Richtung geht, ein echter Rückschlag.

Bowie: Ja, wenn man sich das Rockbusiness ansieht. Der arme Clive Davis. Man hat ihn dabei erwischt, wie er sich mit einer Menge Geld aus dem Staub machen wollte, und ihm wurden auch Drogengeschichten angehängt. Und das hat zu einer regelrechten Säuberungskampagne geführt. Einige Plattenfirmen haben sogar Künstler vor die Tür gesetzt.

Ich werde von vielen Leuten als eher asexuell betrachtet. Und die Menschen, die mich am besten kennen, verstehen am ehesten, wie ich mich selbst sehe, was nicht viel heißen will, denn ich bin noch auf der Suche. Ich weiß nicht, die Menschen, die mir nahestehen, betrachten mich eher als eine Art erogenes Wesen. Aber die Leute, die nicht so viel über mich wissen, betrachten mich eher sexuell.

Aber auch das hat vielleicht etwas mit dem Desinteresse am Sex ab einem bestimmten Alter zu tun, weil die Leute, die mir nahestehen, für gewöhnlich älter sind. Die, die mich eher als sexuelles Wesen betrachten, sind in der Regel jünger. Die jüngeren Leute setzen sich mit den Texten ganz anders auseinander. Es geht da mehr um ein taktiles Begreifen, wie ich es auch selbst bevorzuge. Das gibt mir einen Kick, auch in der Literatur, vor allem bei den Texten von William. Ich kann nicht behaupten, dass ich analytisch lesen würde

Ich muss gestehen, dass ich lange kein großer Leser von Williams Werk war. Ich bin ehrlich gesagt nie über Kerouac hinausgekommen. Aber als ich angefangen habe, Ihre Bücher zu lesen, konnte ich es einfach nicht glauben. Vor allem, nachdem ich Nova Express gelesen hatte. Das hat mich unmittelbar angesprochen. Mein Ego hat mich irgendwie zum Kapitel ›Farbe bekennen‹ geführt, und von da habe ich mich quer durch den Roman gearbeitet.

Burroughs: Ihre eigenen Texte sind sehr scharfsinnig.

Bowie: Ein bisschen Mittelschicht, was ich aber okay finde, schließlich komme ich da ja her.

Burroughs: Mich überrascht, dass Sie ein Massenpublikum ansprechen, obwohl Ihre Texte so komplex sind. Inhaltlich laufen doch die meisten Poptexte gegen null, so was wie ›Power To The People‹.

Bowie: Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Publikum kaum auf die Texte achtet.

Burroughs: Darüber wüsste ich gern mehr. Verstehen Ihre Hörer, was Sie singen?

Bowie: Wahrscheinlich eher vermittelt durch die Medien. Erst danach setzen sie sich hin und hören genauer zu. Aber auf dem Niveau, auf dem sie meine Texte lesen, verstehen sie sie auch. Sie schicken mir ihre Interpretationen, was ich toll finde, weil ich selbst nicht immer weiß, was ich singe.

Lou Reed ist der wichtigste und einflussreichste Texter im aktuellen Rock. Weniger wegen der Themen als durch die Richtung, die er ihnen gibt. Ohne Lou gäbe es die Hälfte aller neuen Bands nicht. Es ist erstaunlich, was er mit seinen Sachen losgetreten hat. New York ist Lou Reed. Er schreibt auf Straßenhöhe, während die Engländer eher intellektualisieren.

Burroughs: Was inspiriert Sie denn beim Schreiben? Literatur?

Bowie: Eher nicht.

Burroughs: Also, ich habe ›Eight Line Poem‹ gelesen, und das hat mich stark an T.S. Eliot erinnert.

Bowie: Nie gelesen.

Burroughs: (Lacht.) Das erinnert sehr an Das wüste Land. Bringen Ihre Träume Sie auf Ideen?

Bowie: Oft.

Burroughs: Siebzig Prozent meiner Einfälle stammen aus meinen Träumen.

Bowie: Es gibt diesen Trick … Wenn man die Ellbogen beim Einschlafen hochhält, schläft man nie tiefer als auf Traumebene. Das versuche ich oft und träume dann viel länger, als wenn ich entspannt schlafen würde.

Bowie: Ich habe einen Rekorder neben dem Bett, in den ich einfach spreche. Was die Inspiration angeht, hat sich meine Perspektive vermutlich seit meinem zwölften Lebensjahr nicht wesentlich verändert, wirklich, ich bin geistig auf dem Niveau eines Zwölfjährigen. Als ich noch zur Schule ging, war mein Bruder ein Fan von Kerouac, und er gab mir Unterwegs zu lesen. Das ist immer noch ein starker Einfluss.

Copetas: Die Bilder, die Sie beide verwenden, haben etwas sehr Grafisches, fast Comicartiges.

Bowie: Na ja, solche kleinen Skizzen fallen mir nun mal leicht. Wenn ich etwas richtig Anspruchsvolles versuche, merke ich sofort, dass ich mich in der falschen Liga befinde. Ich würde nicht das richtige Maß finden, in dem, was ich sage. Abgesehen davon, wenn man wirklich anspruchsvoll schreiben will, dann bleibt nicht mehr viel Zeit zum Lesen oder zum Musikhören. Es gibt für mich keinen Grund, anspruchsvoller werden zu wollen … Es gibt viel zu viele Sachen, die ich lesen will, die ich ansehen will. Wenn die Leute drei Stunden lesen, was man geschrieben hat, sind sie danach sieben Stunden am Analysieren, sie sind sieben Stunden mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Dagegen, wenn sie etwas von einem lesen, was nur dreißig Sekunden dauert, dann sind sie immer noch sieben Stunden mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Es sind einzelne Bilder, die wie Haken wirken, und dann dozieren sie über diese Haken. Deswegen wirken Bilder so stark, es ist ihre Unmittelbarkeit. Es geht um den Moment. Das ist einer der Gründe, warum ich mich mit Videofilmen beschäftige. Das

Was sind Ihre Projekte im Moment?

Burroughs: Im Moment versuche ich, ein Institut für weiterbildende Studien auf die Beine zu stellen, irgendwo in Schottland. Ziel ist es, unsere Wahrnehmung zu erweitern und das Bewusstsein zu verändern hin zu einer größeren Bandbreite, Flexibilität und Geschwindigkeit, was keine der üblichen Fachrichtungen bislang geschafft hat. Wir stehen an der Schwelle zum Weltraumzeitalter, und die Möglichkeit, Galaxien zu erforschen und Kontakt zu außerirdischen Lebensformen aufzunehmen, erfordert ganz neue Ansätze. Es werden ausschließlich nicht-chemische Methoden in Betracht gezogen, das Gewicht liegt auf Assoziation, Synthese, Interaktion und Methodenwechsel der verschiedenen östlichen und westlichen Ansätze sowie neuer Ansätze zur Wahrnehmungsförderung und zur Vergrößerung des menschlichen Potenzials.

Wir wissen genau, was wir erreichen wollen und wie wir vorgehen wollen. Wie gesagt – keine Drogenexperimente und auch sonst keine Drogen, nur Alkohol und Tabak sollen dort erlaubt sein und Medikamente zu persönlichen Behandlungszwecken. Die Versuche sollen nicht mit größeren Kosten verbunden und einfach durchzuführen sein. Sachen wie Meditation und Yoga, Übungen zur Kommunikation, Licht- und Klangexperimente, Experimente mit Isolationskammern, mit Pyramiden, psychotronischen Generatoren, mit Reichs Orgonakkumulator, Experimente mit Infraschall, mit Traum und Schlaf.

Bowie: Klingt faszinierend. Geht es dabei vor allem um Energieformen?