Deutschlands führender Ökonom zu den Auswirkungen der Pandemie.
Die Corona-Krise hat gravierende wirtschaftliche Folgen: Wie schafft es der Sozialstaat, neue Ungleichheiten zu bekämpfen? Welche Gefahr droht durch die immensen Schulden? Bleibt die Eurozone stabil? Was wird aus dem Klimaschutz? Und wie nutzen wir die Chancen, die diese Krise auch eröffnet?
In seinem grundlegenden Buch, das Wirtschafts- und Gesundheitspolitik erstmals konsequent zusammendenkt, weist uns Deutschlands führender Ökonom Clemens Fuest den Weg aus der Krise.
Über Clemens Fuest
Clemens Fuest, geboren 1968 in Münster, ist seit April 2016 Präsident des ifo Instituts. Er war von 2007 bis 2010 Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen und von 2013 bis 2016 Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Vorher war er Professor an den Universitäten Köln und Oxford. 2017 erschien sein zusammen mit Johannes Becker verfasstes Buch »Der Odysseus-Komplex. Ein pragmatischer Vorschlag zur Lösung der Eurokrise«.
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Wie wir unsere Wirtschaft retten
Der Weg aus der Coronakrise
Inhaltsübersicht
Informationen zum Buch
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Vorwort
Einleitung
Der Ausbruch
Wie die Coronakrise die Weltwirtschaft überrollt
Ökonomische Folgen von Pandemien
Was sind die Folgen der Corona-Pandemie?
Kapitel 1
Die Coronakrise stellt die globale Finanzkrise in den Schatten
Warum die Coronakrise dramatischer ist als die Finanzkrise 2008/2009
Von optimistischen und Worst-Case-Szenarien
Welche Wachstumseffekte werden prognostiziert?
Welche Branchen sind von der Krise am stärksten betroffen?
Kapitel 2
Die Wirtschaft stabilisieren: Konjunkturpakete
Die erste Phase: Den Schock auffangen
Die zweite Phase: Überbrückungshilfen
Die dritte Phase: Erholung der Wirtschaft fördern
Gezielte öffentliche Investitionen
Einkommensteuersenkungen steigern kurzfristig die Nachfrage kaum
Umsatzsteuersenkung: kein Königsweg
Autokaufprämien sind kritisch zu sehen
Die deutsche Konjunkturpolitik in der Coronakrise
Überfordern die Konjunkturstützen die Staatsfinanzen?
Kapitel 3
Wie wir lernen, mit dem Virus zu leben und zu arbeiten
Die Politik der Herdenimmunität scheitert – vorerst
Die Exit-Debatte
Wirtschaft gegen Gesundheit?
Ein Plan für die Öffnung nach dem Shutdown
Unter hohem Druck und Unsicherheit entscheiden: Die Öffnung von Schulen und Kitas
Die Bevölkerung für die Öffnung gewinnen
Schneller oder langsamer öffnen?
Angemessen kommunizieren
Mit dem Virus leben und arbeiten
Kitas, Schulen und Universitäten umstellen
Die 90-Prozent-Ökonomie
Kapitel 4
Die Gefahr von Schulden und Inflation
Hohe Staatsverschuldung: der Preis für die Stabilisierung der Wirtschaft
Hohe Staatsschulden kann man abbauen
Mitglieder von Währungsunionen sollten niedrigere Staatsschulden haben
Die Schlüsselgrößen für nachhaltige Finanzpolitik
Nachhaltige Finanzpolitik im Euroraum
Die Hypothek hoher privater Schulden
Kommt am Ende doch die große Inflation?
Folgt nach der Krise die Zinswende?
Die Zinsen sind nicht nur wegen der Geldpolitik gefallen
Der Abwärtstrend endet, aber für steigende Zinsen spricht wenig
Kapitel 5
Die Digitalisierung beschleunigt sich
Das Homeoffice wird zum Hauptarbeitsplatz
Onlinehandel expandiert
Längst überfällige Digitalisierungsschritte kommen
Die neue Dominanz der Internetwirtschaft
Auf den Digitalisierungsschub reagieren
Kapitel 6
Wie es nach der Krise mit der Klimapolitik weitergeht
Der Shutdown senkt die CO2-Emissionen nur vorübergehend
Die künftige Klimapolitik kann die Coronakrise nicht ignorieren
Konjunkturpakete, das Klimaproblem und die Tinbergen-Regel
Für mehr internationale Kooperation in der Klimapolitik
Kapitel 7
Die neue Ungleichheit und die Zukunft des Sozialstaats
Die Coronakrise und wirtschaftliche Ungleichheit
Welche Gruppen wie stark von der Krise betroffen sind
Die Bildungsungleichheit wird wachsen
Die Bedeutung des Sozialstaats in der Krise
Wie wir die Überforderung des Sozialstaats verhindern
Kapitel 8
Die EU und der Euro: Spannungen wachsen
Die Gespenster der Eurokrise
Coronabonds und die populistische Erpressung
Erschöpfte Geldpolitik und beschränkte finanzpolitische Spielräume
Liquiditätsprobleme und die Fragilität des Investorenvertrauens
Maßnahmen der Eurozone zur Eindämmung der Krise
Der italienische Patient
Wie bringt man hohe Staatsschulden unter Kontrolle? Ein Vergleich zwischen Belgien und Italien
1. Stabilisierung der Staatsschulden auf hohem Niveau und langsame Senkung der Staatsschuldenquote
2. Schuldenschnitt
3. Eine einmalige Vermögensteuer in Italien
4. Abwälzung der Verschuldung auf andere Mitgliedstaaten
5. Entschuldung durch die EZB
6. Austritt aus dem Euro und Wiedereinführung einer nationalen Währung
Der Europäische Fonds für wirtschaftliche Erholung
Wird die EU zu einer dauerhaften Transferunion?
Die zwei Seiten der Solidarität
Kapitel 9
Die Globalisierung wird nicht abgeschafft, sondern verbessert
Die Globalisierung geriet schon vor der Coronakrise ins Stocken
Das Virus unterbricht den internationalen Austausch
Wird der internationale Handel dauerhaft zurückgehen?
Störanfälligkeit zu verringern erfordert mehr Globalisierung
Protektionismus, Populismus und seriöse Globalisierungskritik
Wie kann die Globalisierung nach der Coronakrise weitergehen?
Kapitel 10
Der Weg aus der Coronakrise
1. Zuständigkeiten von Staat und Privatsektor klar abgrenzen
2. Mit dem Coronavirus leben und arbeiten lernen
3. Steuer- und Ausgabenpolitik auf Wachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit ausrichten
4. Solidität der Staatsfinanzen nicht aufs Spiel setzen
5. Digitalisierung: Die Beschäftigten in den Mittelpunkt stellen
6. Bildung ist der Schlüssel zu Wohlstand und Chancengerechtigkeit
7. Mit smarter Umwelt- und Klimapolitik Wirtschaftswachstum und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen vereinbaren
8. Den Sozialstaat vor Überforderung schützen
9. Globalisierung nicht aufgeben, sondern weiterentwickeln
10. Europa: Öffentliche Güter bereitstellen und die Eurozone reformieren
Literatur
Anmerkungen
Fußnoten
Impressum
Die Corona-Pandemie ist ein tiefer Einschnitt. Sie ist in erster Linie eine Bedrohung der Gesundheit. Aber ihre wirtschaftlichen Auswirkungen sind ebenfalls gravierend. Sie sind das Thema dieses Buches. Die Coronakrise ist noch lange nicht vorbei. Entsprechend spekulativ ist vieles, was zu ihren Folgen und zu ihrer Überwindung in diesem Buch steht. Dass ich es trotzdem geschrieben habe, hat zwei Gründe. Erstens besteht in dieser Wirtschaftskrise, weil sie so gravierend ist und so viel Neues bringt, großer Diskussionsbedarf. Dieses Buch ist eine Einladung zur Debatte. Zweitens habe ich in den vergangenen Monaten gemeinsam mit Wissenschaftlern vieler Disziplinen zu sehr verschiedenen Aspekten der Coronakrise gearbeitet. Die Themen reichen von Szenarien über die Tiefe des wirtschaftlichen Einbruchs und die angemessenen Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft über die richtige Strategie für den Exit aus dem Shutdown und das Krisenmanagement in der Eurozone bis hin zu der Frage, wie gesundheits- und wirtschaftspolitische Anliegen vereinbart werden können. Dabei habe ich viel gelernt, aber gleichzeitig bleiben viele Themen unverbunden und wichtige Fragen offen.
Dieses Buch ist ein Versuch, einige dieser Fragen zu beantworten. Vor allem beschäftigt mich wie viele andere Menschen, ob die Coronakrise dauerhafte Veränderungen mit sich bringt und falls ja, welche das sein werden und wie wir uns darauf einstellen sollten. Unter welchen Umständen sollte man erwarten, dass Verhaltensweisen oder Institutionen nach Krisen verschwinden oder sich ändern? Beispielsweise dann, wenn sie die Krise verursacht oder verschärft haben und es sinnvolle Alternativen gibt. Oder wenn Anpassungen in der Krise zu Veränderungen führen, die auch danach nützlich sind. Langfristige Veränderungen können sich auch daraus ergeben, dass die Krise Fakten schafft, die nicht einfach aus der Welt zu schaffen sind, beispielsweise Bildungsrückstand durch Unterrichtsausfall oder hohe Schulden. Damit verbunden ist die wichtige Frage, was zu tun ist, damit Stabilität und wirtschaftlicher Wohlstand zurückkehren. Es ist das Ziel dieses Buches, zur Beantwortung dieser Fragen beizutragen und zu Diskussionen anzuregen. Über Rückmeldungen und Kritik von Lesern würde ich mich freuen.
Inspiriert ist dieses Buch durch gemeinsame Projekte und vielfältige Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich der Wissenschaft, mit Menschen aus Politik, Ministerien, öffentlicher Verwaltung, aus Unternehmen und den Medien.
Für fruchtbare Diskussionen in den letzten Monaten danken möchte ich insbesondere Stephanie Dittmer, Florian Dorn, Oliver Falck, Lars Feld, Veronika Grimm, Justus Haucap, Florian Neumeier, Andreas Peichl, Martin Lohse, Jean Pisani-Ferry, Christoph Schmidt, Wolfgang Schmidt, Heike Schweitzer, Hans-Werner Sinn, Jakob von Weizsäcker, Volker Wieland und Berthold Wigger.
Christiane Nowack hat mich bei der Erstellung der Grafiken unterstützt und beraten. Besonders dankbar bin ich Cornelia Geißler für inhaltliche Anregungen und die sorgfältige und kritische Lektüre des Manuskripts. Sehr zu Dank verpflichtet bin ich außerdem Christian Koth vom Aufbau-Verlag für seine Kompetenz und Geduld bei der Entwicklung des Buches.
Dieses Buch hätte ich nicht schreiben können ohne die Unterstützung meiner Familie. Von Herzen danken möchte ich vor allem meiner lieben Frau Ana Maria, die seit langer Zeit immer wieder mit großer Geduld liest und kommentiert, was ich schreibe, so auch das Manuskript zu diesem Buch. Ihr ist es gewidmet.
Die Coronakrise nimmt ihren Anfang im November des Jahres 2019, in Wuhan, der Hauptstadt der zentralchinesischen Provinz Hubei. Ein Virus, zunächst als 2019nCoV und seit Februar 2020 als SARS-CoV-2 bezeichnet, ist offenbar von Fledermäusen auf Menschen übertragen worden, vermutlich über den Umweg anderer Tiere. SARS steht für »Schweres Akutes Atemwegssyndrom« (Severe Acute Respiratory Syndrome). Bei Menschen löst das Virus die Krankheit COVID-19 (Corona Virus Disease 2019) aus. Bei vielen Infizierten führt die Infektion zu kaum wahrnehmbaren oder grippeähnlichen Symptomen wie Fieber, Husten und Kopfschmerzen. Bei anderen kommt es jedoch zu schweren, teils tödlichen Verläufen. Davon sind vor allem ältere Menschen oder Infizierte mit Vorerkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes betroffen. Vor allem die Lunge wird angegriffen, aber auch andere Organe wie etwa das Herz und das Nervensystem.
Als Quelle der Übertragung des Coronavirus auf den Menschen wird immer wieder der Fischmarkt von Wuhan genannt. Auf diesem Markt werden vielfältige exotische Tiere zum Verzehr angeboten. Mensch und Tier kommen dort auf engem Raum zusammen.1* Der erste bestätigte COVID-19-Patient in Wuhan ist ein 55-jähriger Mann, der seit dem 1. Dezember 2019 Symptome zeigt. Anders als spätere Infizierte hat er allerdings keine Verbindung zum Fischmarkt.
Ab dem 20. Dezember 2019 berichten Virologen und Ärzte aus Wuhan über immer mehr Patienten, die mit schweren Lungenentzündungen auf Intensivstationen behandelt werden müssen. Diese Patienten standen mit dem Fischmarkt von Wuhan in Verbindung. Ergebnisse von Laboruntersuchungen zeigen am 27. Dezember 2019, dass die Krankheit durch ein Virus aus der Gruppe der Coronaviren verursacht wird. Es hat auffällige Ähnlichkeit mit dem gefährlichen SARS-Virus, das im Jahr 2003 in China ausgebrochen war. Das SARS-Virus führte bei rund 10 Prozent der Infizierten zum Tod. Es war aber nicht sehr ansteckend, so dass seine Verbreitung letztlich auf Ostasien und dort auf rund 8000 nachgewiesene Fälle begrenzt blieb. Das SARS-CoV-2-Virus ist anders. Die Anzahl derer unter den Infizierten, die sterben, ist geringer, aber die Krankheit ist hochansteckend.
Am 31. Dezember 2019 informiert die Gesundheitsbehörde der Stadt Wuhan die Weltgesundheitsorganisation WHO über den Ausbruch einer bislang unbekannten Lungenkrankheit.
Das Coronavirus verbreitet sich jetzt schnell. Im Laufe des Januar 2020 steigt die Zahl der Infizierten sprunghaft an. Am 23. Januar verhängt die chinesische Regierung eine Quarantäne über Wuhan – die Stadt wird abgeschottet. Fünf Tage später wird die Quarantäne auf einen Großteil der Provinz Hubei ausgeweitet. Immer mehr Staaten verhängen Reisebeschränkungen gegenüber China. Trotzdem greifen die Infektionen schnell auf andere Länder über. Südkorea, Japan, Thailand und andere Länder in Ostasien melden steigende Fallzahlen.
In Europa trifft es zuerst Italien. Zwischen Norditalien und China gibt es engen wirtschaftlichen Austausch. Gegenseitige Besuche von Wirtschaftsdelegationen und Geschäftspartnern sind an der Tagesordnung. Deshalb ist es nicht überraschend, dass das Virus in Italien zuerst Verbreitung findet – auch wenn bis heute unklar ist, ob es wirklich die wirtschaftlichen Verbindungen sind, die das Virus in die Lombardei gebracht haben.1 Am 30. Januar setzt Italien alle Flüge von und nach China aus. Gleichzeitig bricht die Krankheit auf einem italienischen Kreuzfahrtschiff mit 6000 Passagieren aus. Am 31. Januar verhängt Italien den Notstand. Wie sich später herausstellen wird, hat das Virus sich zu diesem Zeitpunkt im Land schon stark verbreitet.
Auch Deutschland ist früh betroffen. Im Kreis Starnberg bei München wird am 27. Januar 2020 die erste Ansteckung bestätigt, verursacht durch Besucher aus China bei einem örtlichen Unternehmen aus der Automobilzuliefer-Industrie. Die Infizierten werden isoliert, und sie haben Glück: Bei ihnen verläuft die Krankheit milde.
Im Laufe des Februars 2020 nähert sich die Epidemie in China ihrem Höhepunkt. Am 1. März 2020 meldet China fast 80.000 Infizierte. 2870 Menschen sind an der Krankheit gestorben. Die Regierung setzt darauf, dass die drastischen Reisebeschränkungen und Ausgangssperren es erlauben, die Ausbreitung des Virus einzudämmen.
In Europa verbreitet die Krankheit sich indessen weiter. Vor allem Italien ist betroffen, aber bald melden auch Frankreich, Spanien und Deutschland steigende Infektionszahlen.
Unternehmen und Finanzmärkte reagieren erstaunlich langsam. Dort wird die Ausbreitung des Coronavirus im Januar 2020 und selbst im Februar noch als ein Risikofaktor unter mehreren gesehen. Viele Marktakteure gehen davon aus, dass dieses Virus sich ähnlich verhalten wird wie das SARS-Virus aus dem Jahr 2003 und seine Ausbreitung auf China beschränkt bleibt. Noch am 12. Februar 2020 erreicht der amerikanische Aktienindex Dow Jones mit 29 551 Punkten einen historischen Rekordstand. An diesem Tag sind in den Vereinigten Staaten 14 Coronafälle bestätigt. Eine Woche später, am 19. Februar 2020, einem Mittwoch, klettert der europäische Aktienindex Euro Stoxx mit 3866 Punkten auf den höchsten Wert seit der Finanzkrise des Jahres 2008. In Deutschland steigt der Dax auf das Allzeithoch von 13 789 Punkten. Bis zum Ende der Woche bröckeln die Kurse, und die Nervosität steigt. In China zeichnet sich ab, dass die Wirtschaft im ersten Quartal 2020 einbrechen wird.
Immer mehr Länder berichten von Infektionsfällen. Die Zahlen sind außerhalb Chinas noch gering, aber die Sorgen über die Ausbreitung des Virus wachsen. Am 22. Februar verweist OECD-Generalsekretär Ángel Gurría beim G20-Gipfel in Riad in Saudi-Arabien auf die wirtschaftlichen Folgen des Corona-Ausbruchs in China, setzt aber noch darauf, dass eine Ausbreitung auf andere Länder verhindert werden kann:
»Unser Hauptszenario ist das einer V-förmigen Erholung: ein kurzfristiger Einbruch im ersten Quartal, gefolgt von einem starken Aufschwung in China und der Weltwirtschaft im zweiten und dritten Quartal 2020. Sollte das Virus jedoch beginnen, sich auf andere Länder auszubreiten, würde sich die Wirtschaftstätigkeit ausgehend von einem bereits sehr bescheidenen Ausgangswert vor dem Virus von etwa 3 Prozent erheblich abschwächen. Hier kann die G20 durch die Vereinbarung geeigneter Eindämmungs- und Politikmaßnahmen dazu beitragen, die Ausbreitung des Virus einzudämmen, das Vertrauen zu stärken und die Wirtschaftstätigkeit zu unterstützen.«2
Doch es ist bereits zu spät. In vielen Ländern der Welt ist das Virus schon angekommen. Eine globale Pandemie ist nicht mehr zu verhindern. Diese Einsicht erreicht am darauffolgenden Montag, dem 24. Februar 2020, die globalen Finanzmärkte. Der japanische Nikkei-Index fällt um 3,3 Prozent, die europäischen Aktien um vier Prozent und der amerikanische Dow Jones ebenfalls um 3,3 Prozent. In den folgenden Tagen beschleunigt sich der Abwärtstrend und mündet in einen Absturz der Börsen. Bis zum Ende der Woche fällt der Dow Jones auf 25 409 Punkte, zwei Wochen später, am 12. März, erreicht er 21 200 Punkte. Bis zum 23. März sinkt der Index auf einen vorläufigen Tiefpunkt von 18 592 Punkten. Innerhalb von vier Wochen hat der wichtigste Aktienmarkt der Welt 36 Prozent seines Wertes verloren. Der Euro Stoxx erreicht bereits am 18. März seinen Tiefststand und erleidet damit einen Verlust von 37 Prozent, der Dax sogar von 38 Prozent. In den Wochen nach dem Einbruch öffnen die Zentralbanken ihre Geldschleusen und kaufen in großem Umfang Staats- und Unternehmensanleihen. Diese Liquidität stabilisiert vorerst auch die Aktienkurse. Abbildung 0.1 illustriert die Entwicklung an den Börsen.
Der dramatische Verfall an den Finanzmärkten geht einher mit der verstärkten Ausbreitung des Virus in Europa. Im Laufe des März ergreifen immer mehr europäische Staaten Maßnahmen, um die Verbreitung des Virus zu verlangsamen. Es wird deutlich, dass Teile der Wirtschaft stillgelegt werden müssen. Die Welt steht nicht nur vor einer bedrohlichen Pandemie, sondern auch vor einer tiefen Wirtschaftskrise.
Während des Monats März hat die Krise sich in den verfügbaren Zahlen zur Entwicklung von Wachstum und Beschäftigung in Europa noch nicht niedergeschlagen. Die Informationen über die Wirtschaftsleistung stehen in der Regel mit einigen Wochen Verzögerung zur Verfügung. Dennoch ist klar, über den europäischen Volkswirtschaften braut sich ein Sturm zusammen.
Sichtbar ist die Krise im März bereits in den Konjunkturfrühindikatoren, die auf Umfragen bei Unternehmen beruhen. Aus aktuellem Anlass veröffentlicht das ifo Institut am 19. März 2020 erstmals in seiner Geschichte einen Zwischenstand des ifo Geschäftsklimaindexes für den Monat März.3 Obwohl nur Antworten der Unternehmen bis zum 18. März vorliegen, fällt der Index von 96 auf 87,7 Punkte. Das ifo Institut fragt die Unternehmen nach dem Lauf der aktuellen Geschäfte und nach den Erwartungen für die kommenden sechs Monate. Die Unternehmen berichten, dass ihre aktuelle Lage sich bereits erheblich verschlechtert hat. Es sind aber die Antworten zu den Erwartungen, die zeigen, dass die deutsche Wirtschaft mit einem schweren Einbruch rechnet. Der Index der Erwartungen sinkt von 93,2 auf 82 Punkte. Das ist der stärkste beobachtete Rückgang der Geschäftserwartungen in 70 Jahren Unternehmensbefragungen am ifo Institut. Im April folgt der nächste Rückgang des Indexes, erst im Mai kommt es zu einer Stabilisierung, allerdings auf sehr niedrigem Niveau.
Ein anderer viel beachteter internationaler Konjunkturindikator ist der Einkaufsmanagerindex von IHS Markit, der ebenfalls auf Unternehmensbefragungen basiert. Üblicherweise schwankt dieser Index um den Wert von 50. Ein Wert über 50 signalisiert eine expandierende Wirtschaft, ein Wert darunter einen Abschwung. Abbildung 0.2 zeigt den Verlauf der Einkaufmanagerindizes für China, die Eurozone und die USA seit Juni 2017. In den Jahren 2017 bis 2019 zeigen sich nur sehr begrenzte Schwankungen, wie sie bei normaler Konjunkturlage auftreten.
Im Jahr 2020 folgt dann ein massiver Einbruch, zuerst in China, dann in der Eurozone und in den USA. In allen drei Fällen zeigt der Index nach den Tiefpunkten im Februar in China und im April in der Eurozone und den USA eine gewisse Erholung. Diese Erholung führt aber vorerst nicht auf das Niveau vor der Krise zurück. Es ist absehbar, dass es länger dauern wird, bis die Wirtschaft sich vom Schock der Coronakrise erholt.
In den wirtschaftspolitischen Debatten dieser Tage steht die Frage im Mittelpunkt, welche Auswirkungen Pandemien haben und auf welche Erfahrungswerte man zurückgreifen kann, um die Folgen der Coronakrise einzuschätzen.
Pandemien haben massive wirtschaftliche Auswirkungen, die sehr langfristig sein können. Erstens entsteht während der Pandemie ein erheblicher Aufwand für das Gesundheitswesen. Krankenhauskapazitäten müssen erweitert werden, Medikamente, Tests und medizinische Ausrüstungen wie etwa Schutzkleidung sind knapp und teuer. Zweitens wird die Wirtschaftstätigkeit unterbrochen. Unternehmen produzieren weniger oder schließen ganz, weil Arbeitskräfte erkrankt sind oder weil sie zu Hause bleiben, um sich vor Ansteckung zu schützen. Schließungen einzelner Unternehmen haben weitreichende Folgen für andere. Ihre Zulieferer und Kunden sind direkt betroffen. Wenn zum Beispiel die Autoindustrie die Produktion einstellt, müssen auch die vielen Zulieferer schließen. Wenn Lieferungen unter diesen Unternehmen entfallen, werden die Produkte auch nicht mehr transportiert, so dass Speditionen ihre Aufträge verlieren. Letztere werden ihrerseits weniger Aufträge vergeben, Bestellungen von neuen Fahrzeugen stornieren und Arbeitszeiten der Mitarbeiter reduzieren. Die Krise greift schnell um sich.
Drittens müssen Aktivitäten eingeschränkt werden, bei denen Menschen zusammenkommen, um zu verhindern, dass das Coronavirus sich verbreitet. Veranstaltungen in Kultur und Sport fallen aus, Messen und Kongresse ebenfalls. Hotels und Restaurants stehen leer oder müssen wegen der Ansteckungsgefahr schließen. Das gilt auch für Einkaufszentren und viele Geschäfte. Reisen werden eingeschränkt, damit die Krankheit nicht von einer Region in eine andere getragen wird. Reisebüros, Busunternehmen, die Bahn und Fluggesellschaften verlieren ihre Kunden. Innenstädte und Einkaufszentren, Flughäfen und Bahnhöfe stehen leer.
Wirtschaft und Wertschöpfung zu unterbrechen, kann dramatische Folgen haben. Das zeigt ein einfaches Rechenbeispiel. In normalen Konjunkturzyklen schwankt das Wirtschaftswachstum, aber es bleibt meistens positiv. Im Boom steigt es in einem typischen Industrieland auf zwei oder drei Prozent, in der Krise sinkt es auf ein halbes Prozent. Wenn es in einem Jahr einmal auf Null sinkt, spricht man schon von einem deutlichen Abschwung. Zu Unterbrechungen der Produktion ganzer Sektoren der Volkswirtschaft kommt es normalerweise nicht. Wenn nun wie im Rahmen der Corona-Pandemie ganze Sektoren der Volkswirtschaft schließen, sind die Folgen für das Wirtschaftswachstum dramatisch. Nehmen wir an, die Hälfte der Wertschöpfung wird für einen Monat stillgelegt und erholt sich im nächsten Monat sofort wieder auf Normalniveau – ein unrealistisch positives Szenario. Das bedeutet auf das Gesamtjahr gerechnet bereits einen Einbruch der Wirtschaftsleistung um gut vier Prozent. Ein Land, dessen Wirtschaftswachstum ohne Krise ein Prozent betragen hätte, erlebt dann eine Schrumpfung um drei Prozent. Dieses einfache und harmlos wirkende Beispiel verdeutlicht, dass Produktionsunterbrechungen, die durch Pandemien entstehen, weitaus gravierender sind als normale Schwankungen der Konjunktur.
Aber das ist nicht alles. Abhängig davon, wie lange der Stillstand dauert, kann es dazu kommen, dass Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verlieren und Unternehmen ihre Kredite nicht mehr bedienen können und in die Insolvenz geraten. Kreditausfälle können dazu führen, dass Banken Verluste erleiden und die Kreditvergabe auch an andere Unternehmen und private Haushalte einschränken. All dies vertieft die Krise und erschwert die anschließende wirtschaftliche Erholung.
Neben den Einschränkungen während der Zeit der Pandemie gibt es langfristige Wirkungen, die noch Jahrzehnte später spürbar sein können. In der Vergangenheit haben Pandemien wie etwa die Pestepidemien in Europa im 14. Jahrhundert viele Menschen das Leben gekostet. Arbeitskräfte wurden knapp und die Wirtschaftsaktivität ging dauerhaft zurück.
Die weltweite Grippe-Pandemie des Jahres 1918, die sogenannte Spanische Grippe2*, tötete laut Schätzungen zwischen 1918 und 1920 rund 40 Millionen Menschen4 und hatte gravierende wirtschaftliche Auswirkungen. Sie verlief in drei Wellen. Die Krankheit brach im Frühjahr 1918 aus, vermutlich in Haskell County, Kansas, einer abgelegenen Region der USA. Ausgehend von einem dort befindlichen großen Ausbildungslager für Soldaten, die auf den Einsatz im Ersten Weltkrieg vorbereitet wurden, wurde das Grippevirus erst in den USA verbreitet und dann nach Europa getragen.5 Die erste Grippewelle verlief eher harmlos. Die zweite und besonders tödliche Infektionswelle kam zwischen September 1918 und Februar 1919. Eine dritte Welle folgte im weiteren Verlauf des Jahres 1919.
Die Folgen für die vom Krieg ohnehin gebeutelte Wirtschaft waren verheerend. Barro et al. (2020) schätzen, dass die Grippe-Pandemie die Wirtschaftsleistung und den Konsum in den betroffenen Ländern um sechs bis acht Prozent reduziert hat. Die zeitliche Nähe der Pandemie zum Ende des Ersten Weltkriegs erschwert die Messung der Auswirkungen auf die Wirtschaft. Aber es wird deutlich, dass die Verluste erheblich sind. Aktuelle Schätzungen zu Folgen der Corona-Pandemie bewegen sich interessanterweise in ähnlichen Größenordnungen, obwohl die ökonomischen und politischen Bedingungen und die Krankheit selbst ganz anders sind.
Pandemien haben außerdem Auswirkungen auf Kapitalmärkte, Staatsfinanzen und die Geldwertstabilität. Wirtschaftshistorische Untersuchungen zeigen, dass Erträge von Investitionen nach Pandemien für viele Jahre außergewöhnlich niedrig waren. Das ist vor allem dann zu erwarten, wenn durch eine Pandemie die Erwerbsbevölkerung dezimiert wird.
Gravierend sind die Folgen für die Staatsfinanzen. Durch den Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität fehlen dem Staat Einnahmen. Gleichzeitig steigt der Bedarf an öffentlichen Ausgaben. Das Gesundheitssystem muss finanziert werden, in vielen Ländern geschieht das mit öffentlichen Geldern. Darüber hinaus werden Mittel benötigt, um die Wirtschaft zu stützen. Ausgaben zum Auffangen von Arbeitslosen und Hilfen für Unternehmen steigen.
Wirtschaftskrisen haben außerdem Folgen für die Geldwertstabilität. Diese können in zwei Richtungen gehen. Zum einen senken Arbeitslosigkeit und Investitionszurückhaltung die Güternachfrage von Haushalten und Unternehmen. Das führt tendenziell zu Deflation, also einem fallenden Preisniveau. Im Verlauf der Krise und in den Jahren danach kann es allerdings dazu kommen, dass die massive Belastung der Staatsfinanzen die Politik dazu bringt, die Druckerpresse anzuwerfen und öffentliche Ausgaben zunehmend monetär zu finanzieren. Das birgt Inflationsrisiken.
In Deutschland kam es in den Jahren nach der Grippe-Pandemie sogar zu einer Hyperinflation, die 1923 ihren Höhepunkt erreichte. Die Ursache dafür lag sicherlich in erster Linie im Ersten Weltkrieg und den dadurch zerrütteten Staatsfinanzen. Die Belastung durch die sogenannte Spanische Grippe hat zur Zerstörung der deutschen Währung aber zweifellos beigetragen.
Sorgen über den Einbruch des Wirtschaftswachstums, wachsende Staatsschulden und Folgen für den Geldwert bewegen auch in der Corona-Pandemie viele Menschen. Gerade in Europa leiden viele Volkswirtschaften schon seit längerer Zeit unter schwachem Wirtschaftswachstum und wachsenden Staatsschulden. Milliardenschwere Rettungsprogramme in dieser Krise treiben die Staatsverschuldung weiter in die Höhe. Neue Verschuldungstöpfe sollen auf europäischer Ebene eingerichtet werden. Gleichzeitig kündigt die Europäische Zentralbank an, in großem Umfang Staatsanleihen, aber auch Unternehmensanleihen aufzukaufen. Die Anforderungen an die Bonität der Schuldner werden reduziert. Das erscheint einerseits sinnvoll, denn es gilt zu verhindern, dass die von der Krise am stärksten betroffenen Länder und Unternehmen von der Liquiditätsversorgung abgeschnitten werden. Andererseits fragen sich viele, ob diese Politik auf eine monetäre Finanzierung von Staatsausgaben hinausläuft, die auf Dauer die Geldwertstabilität bedroht.
Bei alldem ist zu bedenken, dass die wirtschaftlichen Folgen von Pandemien stark von gesundheitspolitischen Maßnahmen beeinflusst werden, mit denen die Ausbreitung der Krankheitserreger bekämpft wird. Unterbrechungen von Produktion und Wertschöpfung sind zumindest teilweise auf staatliche Anordnungen zurückzuführen. Das wirft die Frage auf, ob die politischen Entscheidungsträger vor einem schlichten Abwägungsproblem zwischen Gesundheit und wirtschaftlichem Wohlstand stehen. Wie sich im Verlauf dieses Buches zeigen wird, ist es nicht so simpel. Die Vorstellung, das forsche Öffnen von Wirtschaftssektoren ohne Rücksicht auf die Gesundheit würde eine wirtschaftliche Erholung ermöglichen, ist ebenso irreführend wie die Idee, eine möglichst lange Stilllegung des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens sei der Gesundheit der Bevölkerung am zuträglichsten. Diese Fragen werden im dritten Kapitel ausführlich diskutiert.
Die Coronakrise wird irgendwann überwunden sein, aber sie wird vieles verändern. Sie wird einen Berg an öffentlichen und privaten Schulden hinterlassen und viel Vermögen zerstören. Das wird die wirtschaftliche Entwicklung belasten. Die Beschränkungen für soziale Kontakte während der Krise führen dazu, dass digitale Techniken wie Videokonferenzen verstärkt eingesetzt werden, viele Menschen von zu Hause aus arbeiten – ebenfalls unter Einsatz digitaler Techniken – und Transaktionen in die Digitalwirtschaft verlagert werden – Online-Shopping nimmt zu, auf Kosten des traditionellen Einzelhandels. So beschleunigt die Coronakrise die Digitalisierung und den Strukturwandel. Das wird den schon vor der Krise vorhandenen Trend zu wachsenden Einkommensunterschieden zwischen hoch und weniger hoch qualifizierter Arbeit verschärfen. Angesichts dieser Divergenzen, aber auch der umfangreichen staatlichen Hilfen während der Krise werden Rufe nach mehr staatlicher Umverteilung und Absicherung lauter werden. Dem Sozialstaat, der durch die Krise, aber auch den demographischen Wandel zunehmend beansprucht wird, droht dadurch die Überforderung.
Folgen wird die Coronakrise auch für die Klimapolitik haben, die vor der Krise die Schlagzeilen beherrschte. Einerseits wird gefordert, in Konjunkturprogrammen für die wirtschaftliche Erholung die Klimapolitik und den Green Deal als Leitmotive vorzugeben. Andererseits wird verlangt, Klimaziele angesichts der Lasten der Krise zu vertagen. Es liegt auf der Hand, dass die Umwelt- und Klimapolitik die Coronakrise nicht ignorieren kann und sollte. Gleichzeitig sind die Probleme der Umweltzerstörung und der Klimaerwärmung durch die Coronakrise nicht weniger bedrohlich geworden. Diese Probleme müssen trotz der neuen Lasten gelöst werden. Offen ist aber die Frage, wie das sinnvoll geschehen kann.
Große Herausforderungen bringt die Krise für die Eurozone und die Europäische Union (EU). Noch sind die ökonomischen und politischen Folgen der Eurokrise nicht überwunden. Schon in den ersten Wochen nach dem Ausbruch der Coronakrise wurden Konfliktlinien sichtbar, die schon während der Eurokrise die Atmosphäre belastet haben. Europa steht einmal mehr vor der Aufgabe, das richtige Gleichgewicht aus Solidarität und der Wahrung von Eigenverantwortung zu finden.
Viele sehen eine Konsequenz der Coronakrise darin, dass die Globalisierung an ihre Grenzen stößt. Es mehren sich Forderungen nach einem Abschied von weltweiten, komplexen und entsprechend störungsanfälligen Wertschöpfungsketten. Hier besteht die Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Der internationale wirtschaftliche Austausch hat es in den letzten Jahrzehnten einem großen Teil der Menschheit ermöglicht, sich aus der Armut zu befreien. Der Außenhandel ist für Europa und vor allem Deutschland Grundlage des Wohlstands. Das Ziel muss darin bestehen, die Globalisierung zu verbessern, nicht, sie rückabzuwickeln. Dazu gehört beispielsweise, grenzüberschreitende Wertschöpfungsketten weniger störungsanfällig zu machen. Zur Globalisierung gehört auch globale politische Kooperation. Abschottung und My-Country-First-Politiken zu überwinden, ist eine der wichtigsten Herausforderungen für die Zeit nach der Coronakrise.
All diese Fragen werden in den folgenden Kapiteln diskutiert. Die Coronakrise ist ein wirtschaftlicher Schock, dessen Ausmaß alles in den Schatten stellt, was die Weltwirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg an Krisen erlebt hat. Es besteht die Gefahr einer dauerhaften Minderung des Wohlstands in Deutschland, in Europa und darüber hinaus. Dazu muss es aber nicht kommen. Wie langwierig die wirtschaftliche Erholung nach der Krise verlaufen wird und wie erfolgreich sie sein wird, hängt in großem Maße davon ab, welche Entscheidungen die Wirtschafts- und Finanzpolitik in den kommenden Monaten und Jahren fällt. Dieses Buch hat das Ziel, die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise verständlich zu machen und dazu beizutragen, eine wirtschaftspolitische Agenda für die Zeit nach der Krise zu entwickeln. Grundzüge dieser Agenda werden in 10 Thesen im abschließenden Kapitel dieses Buches vorgestellt.
Um richtig auf die Coronakrise zu reagieren und die Folgen abfedern zu können, ist es wichtig, die Tiefe des wirtschaftlichen Einbruchs und die Verteilung der damit verbundenen Lasten zu verstehen und einzuordnen. Das ist vor allem in der frühen Phase der Krise schwierig. Die Daten und Szenarien-Rechnungen, die bislang zur Verfügung stehen, sprechen aber dafür, dass die Coronarezession die globale Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 in den Schatten stellt. Vergleiche mit der weltweiten wirtschaftlichen Depression der 1930er Jahre, die gelegentlich gezogen werden, erscheinen dagegen überzogen, zumindest auf der Basis der bislang vorliegenden Erkenntnisse.
Abbildung 1.1 vergleicht die Entwicklung des realen Wirtschaftswachstums beziehungsweise der Schrumpfungsraten während der Finanzkrise und der weltweiten Depression der 30er Jahre mit Prognosen über den Verlauf der Coronakrise. Betrachtet wird jeweils der Durchschnitt des inflationsbereinigten Wachstums des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Deutschland, Frankreich, das Vereinigte Königreich und die USA. Es zeigt sich, dass der heute erwartete Einbruch in der Coronakrise stärker ist als der Abschwung in der Finanzkrise. Dass er die erschreckende Dimension der Great Depression erreichen könnte, ist allerdings zumindest bislang nicht erkennbar. Ob sich die Wirtschaft im Jahr 2021 so kräftig erholt wie in der hier zugrunde gelegten Prognose des Internationalen Währungsfonds, ist allerdings offen.
Lange Zeit hofften viele, dass die Coronakrise heftig, aber kurz wird. Dafür steht das Bild des V-förmigen Krisenverlaufs. Auf einen drastischen wirtschaftlichen Einbruch im Frühjahr 2020 folgt in diesem Denken eine rapide Erholung. Skeptiker erwarten dagegen eine eher U-förmige Entwicklung, also eine längere Rezession, dann aber eine deutliche Erholung. Pessimisten dagegen befürchten, dass die Weltwirtschaft sich dauerhaft auf einem niedrigeren Niveau bewegen wird – also ein L-förmiges Szenario.
Um zu beurteilen, wie wahrscheinlich diese Szenarien sind, ist es notwendig, die Krise genauer zu untersuchen. Dafür ist es im ersten Schritt wichtig, die Tiefe des Einbruchs abzuschätzen.
Einen ersten Anhaltspunkt können die Entwicklungen konjunktureller Frühindikatoren geben. Abbildung 1.2 vergleicht, wie der ifo Geschäftsklimaindex sich in der Finanzkrise und in den ersten Monaten der Coronakrise entwickelt hat.
Es zeigt sich, dass der Einbruch des Geschäftsklimas in der Coronakrise drastischer ausfällt. In der Finanzkrise begann der Index im Oktober 2008 deutlich zu sinken. Damals wurden die Unternehmen in Deutschland von den Schockwellen erreicht, die vom Kollaps der Lehman-Bank im September des Jahres ausgelöst wurden. Der Rückgang des Geschäftsklimas verlief aber deutlich langsamer als in der Coronakrise, die Deutschland im März 2020 mit voller Wucht traf.
Prognosen über die Auswirkungen der Coronakrise sind mit hoher Unsicherheit behaftet. Sie beruhen auf Szenarien. Diese bringen denkbare Verläufe der Pandemie mit möglichen gesundheits- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen zusammen. Es werden Annahmen darüber getroffen, wie lange der Shutdown der Wirtschaft und die Einschränkungen durch Hygienevorkehrungen anhalten, welcher Anteil der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung davon betroffen ist und wie schnell danach die Erholung verläuft. Diese Annahmen bestimmen maßgeblich die Ergebnisse. Bereits im März 2020 hat das ifo Institut eine Reihe von Szenarienrechnungen zu den Folgen des Shutdowns für die Wirtschaftsentwicklung vorgelegt, zunächst für Deutschland und dann für andere europäische Länder. Diese Rechnungen verwendeten Erkenntnisse aus aktuellen Unternehmensbefragungen, um zu schätzen, welche Sektoren in welchem Ausmaß beeinträchtigt sind.
Die Analyse enthält ein weites Spektrum von Szenarien. Das Günstigste geht von einen einmonatigen Shutdown aus, in dem rund 34 Prozent der Wertschöpfung entfallen. Dem folgt eine Erholungsphase von einem Monat, an dessen Ende sich die Wirtschaftsaktivität wieder auf dem Niveau befindet, das sie ohne Krise erreicht hätte. In diesem Fall würde das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIPBIP6BIP7