Helga Schütz wurde 1937 in Falkenhain/Schlesien geboren. 1944 Umsiedlung nach Dresden. Nach einer Gärtnerlehre Arbeit als Landschaftsgärtnerin. ABF. Nach dem Studium an der Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg wurde sie freie Autorin und schrieb Drehbücher und Szenarien zu Spiel- und Dokumentarfilmen, später auch Romane und Erzählungen. Em. Professorin an der Hochschule für Film und Fernsehen. Sie lebt in Potsdam. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen.
Zuletzt erschienen: Grenze zum gestrigen Tag (Roman, 2000); Dahlien im Sand. Mein märkischer Garten (2002); Knietief im Paradies (Roman, 2005); Sepia (Roman, 2012); Die Kirschendiebin (Erzählung, 2017.
Nils Hoff, 1973 geboren, studierte an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee, war wissenschaftlicher Zeichner am Museum für Naturkunde in Berlin undlehrt heute Zeichnung und Illustration an der FH Bielefeld.
Von Gartenzimmern und Zaubergärten.
Helga Schütz ist Gärtnerin mit Leib und Seele. Das hat sie mit Schriftstellerinnen wie Vita Sackville-West oder Eva Demski gemeinsam, sie aber ist obendrein gelernte Gärtnerin und hat als Landschaftsgärtnerin gearbeitet, lange bevor sie zu schreiben begann. So erzählt sie mit der Souveränität einer Naturliebhaberin, die seit ihrer Jugend weiß, dass ein Garten nicht von Natur aus hübsch und anmutig, sondern stets auch anstrengend und fordernd ist. Zwischen Sommer und Sommer wird Gärtnerglück und -frust offenbar, vor allem aber, wie sehr ein Garten, der Meister der Überraschungen, die Augen für den Gang des Lebens öffnet.
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Von Gartenzimmern und Zaubergärten
Mit Illustrationen von Nils Hoff
Inhaltsübersicht
Über Helga Schütz
Informationen zum Buch
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Gartenzimmer
Willkommen in Bornim
Plumbago
Krokus – eine Blume, die der Teufel nicht kennt
Magnolia
Primula
Amor unit plantas
Agapanthus
Flower of Love
›Gloria Dei‹
Suche nach der blauen Blume
Zeitmeisterei
Wenn die Sonne sich wendet
Fortsetzung: Zeitmeisterei
Mergel
Zaubergärten
Der Orkan des Jahrhunderts
Eine unter sieben Gleichen
Ende der Saison
Räuber im Rotbuchenwald
Nadelproben
Unberufen
Kauz in der Kiefer
Werdegang
Literatur
Zitatnachweis
Impressum
Selten führt so ein freundlicher Raum seinen richtigen guten Namen. Man sagt, ich bin in der Veranda, im Anbau, in der Kammer, im Schuppen, man horcht durch angelehnte Türen ins Haus, man schaut hinaus in den Garten, wo die Katze einem Eichelhäher hinterherjagt. Frecher Spott tönt hoch aus dem Taxus. Man freut sich, dass der Vogel gewinnt. Draußen wie drinnen regelt sich in diesen Stunden einmal alles von allein.
Das ist meine Zeit. Zwischen Sommer und Sommer. Am kühlen Ort. Das Gartenzimmer. Bei meinen Nachbarn ist es das einstige Bienenhaus. Mein Geviert war früher mal ein ordentlicher Wintergarten. So steht es auf den Bauzeichnungen von 1927. Bodenbelag Solnhofer Schiefer, Fensterbänke mit Wasserrinne aus Sandstein, vier doppelte Sprossenfenster mit Rollladen, ausstellbar, offene Gurtrollen. Doppeltür, wie die Sprossenfenster einfach verglast. Ziegeltritt zu Terrasse und Garten. Man kann sich Tischchen und Korbstühle darin denken, alles in Weiß, Palmen, Begonien und Orchideen, eine zierliche Gießkanne auf einem Beistelltisch, auf dem hochglänzenden Fußboden vielleicht sogar einen geknüpften Teppich.
Es ist anders gekommen. Mein Garten hat es gewollt und auch ich. Immer schon habe ich mir einen Raum gewünscht, wo ein starker Besen für die Reinlichkeit genügt. Wenn es die Küche nicht sein kann, dann mein Raum, der zum Garten führt, der einstmalige Wintergarten. Hier steht die alte Ofenbank, ein Ding zwischen Truhe, Sitzplatz oder Stellfläche für die Aussaatkiste, denn der Klappdeckel ist sehr praktisch mit Zinkblech verkleidet. Wenn wir Lust haben, wird die Bank frisch gestrichen und manchmal, je nach Kinderlaune, gegenständlich oder abstrakt bemalt.
Unterm Deckel werden Sachen aufgehoben, die wir nicht jeden Tag brauchen. Federbälle. Stricke für die Hängematte, vor allem aber Sämereien für das nächste Frühjahr. Gekaufte Tüten, Schachteln mit gesammelten Schätzen. Dieses Jahr war ich ganz auf Akeleien fixiert. Ich habe sie an Gartenzäunen von abgeblühten Stauden gebrochen und heimgetragen. Dank meiner Seven-Pocket-Jeans nach Farben sortiert.
Im Kasten der Ofenbank schlummert ein sorgfältig beschriftetes Pergamenttütchen. Das Geschenk aus Gatersleben, noch aus der Zeit, als ich einmal am Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung zu Gast war. Dort hütet man zu Forschungszwecken, aber auch um die Schöpfungswunder der Natur zu bewahren, jeden nur erdenklichen Pflanzensamen. Der Institutsgärtner hatte mir aus seinem Garten Winterlingssamen geschenkt. Keimt garantiert und: Verbreitet sich im Folgejahr selbst, hatte er akkurat auf die Tüte geschrieben und wähnt mich unterdes im Frühjahr auf einer gelben Wiese. Während ich mit dem Pergamenttütchen an meine Saumseligkeit und Kleingläubigkeit erinnert werde. Ob in meinem schattigen Garten überhaupt Winterlinge gedeihen. Ob der Samen noch keimfähig ist.
Manches im Kasten ist von gestern und sollte vielleicht einmal aussortiert werden. Etiketten. Bindedrahtreste. Daneben eine Vorratsrolle Kletterdraht, grün, biegsam, leicht abzuschneiden. Eine Erfindung, die eine Medaille verdienen würde. Zuunterst habe ich eine neue Schere vor mir selber versteckt. Die soll mir im allergrößten Notfall, wenn beide andere Scheren gleichzeitig verschwunden sind, entgegenkommen. Zwischen den Schachteln finde ich meine alten mit eckig geschnitztem Monogramm versehenen Gärtnermesser.
Die Tür zum Gartenzimmer ist weit genug. Für die Schwelle habe ich mir eine Rampe gebaut, eine schiefe Ebene. Mit Schwung kann ich die Karre unter Dach bringen. Pflanzerde. Die Mischung richte ich im Depot, so nenne ich die Ecke im Garten, wo ich ein Häuflein kostbaren Lehm, dazu Sand, Nadel- und Lauberde, Pferdemist und Torf gelagert habe.
Es hängt vom Wetter ab, ob ich vor der Tür oder drinnen umtopfe. Vor dem Fenster den Tisch könnte ich, wenn ich Küchen- und Schreibarbeiten und die Kaffeetasse unterschlage, Pflanztisch nennen. Die Tontöpfe, Siebener, Achter und so weiter, sauber gestapelt. Bast am Fensterwirbel, unter dem Tisch der Eimer mit den Hornspänen, geruchsdicht verschlossen. Im Regal oder auf dem Fensterbrett, jedenfalls in Griffnähe, Schere, Hippe, Wetzstein, Handspaten, ein Päckchen Etiketten, ein mit dem Messer gespitzter Bleistift. Zettel und bunte wettergegerbte Kataloge.
Fast wie einst zu Gärtnerlehrzeiten im Verbinder, dem Glasvorbau, der die Gewächshäuser miteinander verband. Das Kalthaus, das nur 12 Grad haben durfte, das temperierte, zwischen 12 und 18 Grad, und die Warmhäuser, die über 18 Grad gebracht wurden. Im Verbinder spielte das Leben, vor allem sollte er Arbeitsplatz sein. Hier wurde gesät, pikiert, getopft und umgetopft. Auf der Stellage, die sich längs der Glasfront erstreckte, lagerten Erdmischungen, Topfreihen. Auf flachen Transportkarren standen die Kisten mit den Pflanzen. Links die kleineren Töpfe, rechts die umgetopften Pflanzen. Wochenlang Cyclamen persicum, erst ›Leuchtfeuer‹, danach ›Schneekönigin‹, ›Walzertraum‹ und ›Martha‹. Oder Farne oder Gloxinien. Saisonarbeiten. Die Cyclame hatte beinahe immer Saison.
Wenn wirklich einmal nichts an den Cyclamen-Kulturen zu machen war, es obendrein draußen wie aus Kannen goss, ließ sich unser Meister trotzdem immer eine Arbeit einfallen. Stecklinge schneiden. Von der Tradescantia unter den Warmhausstellagen oder von den Mutterpflanzen der Begonia rex oder der ›Gloire de Lorraine‹. Dafür mussten erst einmal die Stecklingsmesser geschärft werden. Das nahm Zeit, denn unser Ehrgeiz war groß. Jeder pflegte seinen eigenen Wetzstein und seine Methode. Durch Kisten abgetrennt, stand ein alter Bürotisch, darauf Schreibzeug, Schachteln mit Lackmuspapier, Gerätschaften für Bodenuntersuchungen.
Unser größter Schatz war ein alter Lateiner, der eigentlich als Heizer zu uns in die Lehrgärtnerei gekommen war. Im Verbinder, neben dem Erste-Hilfe-Spind, in dem er ein Grammophon eingebaut hatte, befand sich sein Frühstücksplatz, eine Kiste, ein Stuhl. Er redete von Fixsternen, von Vögeln und von Musik, von Bruckner und der Aufführung der 3. Symphonie nach dem Krieg.
Zum Sämlingepikieren brauchte man Geduld und fein geschnitzte Pinzetten. Meist gehörte dazu Regenwetter. Munteres Prasseln auf dem Glasdach. Einschläfernd. Jemand fing an zu singen. »Bona nox«. Wenn uns Gefühle beschlichen, Endlichkeits- oder Ewigkeitsgedanken, Abschiedsahnung oder Langeweile, sangen wir »Dona nobis pacem«. Darauf sagte unser Lateiner auf Deutsch, er habe Mozart schon schöner gehört. Im Verbinder herrschte Aufrichtigkeit und Einfalt. Wie an einer Universität.
Ein geschützter Raum ist mein heutiger Ort allemal. Das Holzrad von einem Handwagen, das ich am Fenster aufgebaut habe, wird nicht verlacht. Es ist ein Überbleibsel von unserem schlesischen Flüchtlingswagen. Wir Enkel haben uns dieser Tage je ein Rad genommen. Der Rest ist Rauch, Geschichte, wir sind die Allerletzten.
Ein weißer Korbsessel aus frühen Zeiten klemmt, mehr gelitten als jetzt noch gebraucht, zwischen Clivia und Agapanthus. Da soll auch die Fuchsia unterkommen und der große ausladende Gliederkaktus, der Plumbago braucht seinen Platz. Im Herbst wird es ernst, es wird eng im Gartenzimmer.
Der Kater probiert irritiert andere Schlafgelegenheiten. Im Korbsessel liegt das Katzenkissen, wolligwarm, altbewährt. Doch die Sicht ist versperrt von einem üppigen Rankenknäuel mit letzten blassen Passiflorablüten. Der größte Kürbis wird vorübergehend im Sessel verstaut. Daneben die Apfelstiegen. Boskop und Goldparmänen. Der Kater hat sich für einen neuen Platz auf der Fensterbank entschieden. So hat er das Weltgeschehen wieder im Blick.
Gut, dass es Pflanzenroste und Untersetzer mit Rädern gibt. Man schiebt ans Licht oder weg vom Fenster, man gruppiert besser und schöner, schafft sich Raum für die letzte Karre fein gesiebter Erde. Die Zwiebeln der Frühlingsblüher habe ich dieser Tage an Ort und Stelle gesetzt. Es wäre Zeit, von der weißen Pelargonie ein paar Stecklinge zu schneiden. Nächstes Jahr mal nur Weiß, Abkömmlinge in der großen Schale von der sympathischen Sorte, die sich selber putzt.
Post liegt auf dem Tisch. Staudenkataloge und ein Brief, eine Einladung zur 11. Gaterslebener Begegnung. Da suche ich das pergamentene Tütchen. Eranthis hyemalis. Eine Schrift, wasserfest, korrekt: Noch vor der Winterkälte in den Boden bringen. Gut abdecken, stets für Feuchtigkeit sorgen. Gewiss, das wäre schön, vom Fenster her in der Schneedecke viele gelbe Blüten, Winterlinge, das könnte mir gefallen.
Zu den Meistern wandern, zu Kakteen-Haage oder zu Chrestensen nach Erfurt, zu Franz Weinreich in Wolmirstedt, das wünschte man sich in den frühen fünfziger Jahren, wenn die Gärtnerlehrzeit überstanden war. Weitbekannte Spezialbetriebe lockten. Moorbeetkulturen? Gehölze?
Ich träumte von Karl Foersters Staudengärtnerei in Bornim bei Potsdam. Karl Foerster war Deutschlands berühmtester Gärtner, seinen legendären Senkgarten hatte der Züchter von vielen sagenhaft schönen Ritterspornsorten zum Treffpunkt für Künstler, Schriftsteller und Musiker gemacht. Ich hatte über die Jahre einige Bornimer Kataloge gehütet. Neben Rittersporn gibt es fast ebenso viele Phloxe, seine zweite Lieblingsstaude, in Leuchtfarben und zartem Pastell, frühblühende Sorten, niedrige, regenfeste. ›Landhochzeit‹, ›Firmament‹, ›Sommerkleid‹ und die nach seiner Frau benannte ›Eva Foerster‹, lachsrot mit weißer Blütenmitte. Auch Glockenblumensorten, Sonnenaugen und Sonnenbräute haben ihn zum Vater. Für all das, nicht zuletzt auch für seine Publikationen hatte ihn die Humboldt-Universität zu Berlin zum Ehrendoktor ernannt.
1952 war sein »Neuer Glanz des Gartenjahres« erschienen, das erste Fachbuch, das wir uns als Lehrlinge selbst kauften.
Er schrieb in einer eigensinnig poetischen Sprache über seine Passion.
Es war, als gewänne unser Beruf, der in diesen Zeiten ziemlich hart war, durch ihn einen höheren Sinn und etwas Würde. Wir trugen Holzschuhe, Fußlappen, umgearbeitete Militärklamotten, karrten Bombentrümmer, planierten Kriegsbrachen, bevor wir Blumen pflanzten. Den Sinn seiner Äußerung Tröste mich – ich bin so glücklich konnten wir als Junggärtner nur ahnen. Aber für diese Dimension verehrten wir ihn.
Seine neuen Staudenzüchtungen stellte er in den Büchern wie Gefährten vor. So erzählt er in einem Brief, wie er den üppig blühenden ›Wassermann‹, eine neue Ritterspornsorte, einmal gegen Abend besucht hatte, wie er dann am nächsten Morgen noch während der Dämmerung wieder zu ihm gegangen war. Berührt von der Magie des Lichts und der Farbe, beschrieb er eine zauberische Wandlung: Es ist, als ob man einem Mondsüchtigen begegnet, der nicht mehr weiß, welcher Macht er über Nacht ausgeliefert war.
Das war seine Art, mit der Arbeit, mit dem Alltag und mit den Rätseln der Welt umzugehen.
Seine stolze Behauptung Das Leben ohne Phlox ist ein Irrtum ließ sich wunderbar ironisch auf allerlei erweitern. Wir waren da ziemlich phantasievoll. Doch im Stillen wussten wir: Ein Phloxsommer ist wirklich die Wahrheit.
Als ich nach der Gärtnerlehre und einem Jahr als Landschaftsgärtnerin Studentin in Potsdam geworden war, ging ich in den Ferien zum Geldverdienen nach Bornim zu Foerster in die Stauden. Einmal hörte ich beim Jäten durch das offene Fenster Klavierspiel. Wilhelm Kempff, der berühmte Pianist, war oft Gast des Hauses. Ich blieb in der Nähe, jätete, harkte, hatte lange zu tun.
Manchmal half ich im Quartier gleich nebenan beim Jungpflanzenverkauf. Liebhaber suchten nach einer Züchtung von Foerster. Man kaufte von einer Sorte eine kräftige Pflanze, höchstens drei. Man kaufte, der Erfahrung und Phantasie des Züchters vertrauend, gleichsam die Zukunft. Die Staude sollte im Garten Wurzeln schlagen, später einmal Gestalt annehmen, blühen und größer werden, dann würde man den Ballen teilen, in frische Erde setzen. Was auf dem eigenen Beet keinen Platz mehr fände, würde man verschenken, so wanderten Foerster-Sorten durch das Land.
Über fünfzig Jahre später pflanzte mich das Leben in einen Garten in Potsdam-Babelsberg. Von dem Garten hieß es, dass Karl Foerster bei der Gestaltung, vielleicht schon bei der Planung beratend mitgewirkt habe. Eines Offenen-Garten-Tages stand Marianne Foerster, die Tochter, ebenfalls Gärtnerin, mit einer Staudenkiste, Kaukasischen Geranien, Verbenen, Foerster-Phlox, unter meinen Kiefern. Seitdem sorgte sie sich um mein schattiges Terrain, und ich war manchmal Gast im Foerster-Haus in Bornim. Ich fuhr mit dem Fahrrad quer durch Potsdam. Adresse: Rauchfang 7.
Wir saßen gern im Wohnzimmer am Fenster mit Blick in den Garten, schauten von oben auf die Blumen wie auf Kinder, denen man gerne zusieht beim Spielen und Wachsen.
Dahlien, Sonnenhut, Herbstanemonen, Fächerahorn, Koniferen, violett, gelb, weiß, grün, tizianrot. So war das Bild. Genauso hatte es sich Karl Foerster vor hundert Jahren vorgestellt. Einen Garten, der so innig zum Haus gehörte, dass man das Gefühl haben konnte, das Haus hielte den Garten schützend in den Armen.
Das nächste Mal war schon Spätherbst. Der Frauenmantel schimmerte silbern, in den braunen Blütenständen lag Raureif. Zwischen Hagebutten blühten die nun wirklich allerletzten Rosen. Eingemummelte Besucher spazierten auf den Wegen, verschwanden hinter Taxus, zwischen hohen trockenen Stauden, die als Schutz und Schmuck, auch als Futter für die Vögel über Winter stehen bleiben sollten.
Auf dem Teetisch lag das Buch »Der Garten meines Vaters Karl Foerster«, durch das Fenster schauten wir auf das prächtige Original, das, noch während der Vater hier wohnte, zum Denkmal erklärt worden war. Ein Denkmal, das sich in seinen hundert Jahren erneuert und verjüngt hat, aber auch erwachsen und alt geworden war. Die Hüter und die Stiftung Denkmalschutz müssen entscheiden. Wollen sie die Idee, dazu zeitgebunden prägende Bilder bewahren oder das Andenken an die Schöpferhand? Der kleine Ahorn, den diese Hand einst gepflanzt hat, wirft heute mächtige Schatten. In der Krone eines Baumes, den Karl Foerster besonders liebte, haben sich Misteln angesiedelt. Jeder Entschluss braucht Herz und Verstand, es gibt bei der Pflege dieses Denkmals nicht nur eine Wahrheit.
Der junge Staudenzüchter hatte beizeiten seinen Betrieb von Berlin nach Bornim umgesiedelt. Seine Ideen brauchten Raum: Gewächshäuser und Freiland. Neben dem Wohnhaus, das 1912 im Sinne des Architekten Hermann Muthesius gebaut worden war, hob er in östlicher Richtung eine 80 bis 160 Zentimeter tiefe Senke aus. 45 mal 25 Meter groß. Er nannte die Vertiefung im Gelände Senkgarten, Sunken Garden, nach englischem Vorbild.
Seine Senkgarten-Architektur lockte Neugierige, machte Schule. Eine sanfte Mulde, wenn möglich an der tiefsten Stelle ein Teich, wenigstens ein Bassin oder vielleicht ein kleiner Brunnen. Wasser. Bewegte Stille. Niedrige Mauern, die Wärme und Feuchtigkeit in der Erde halten. Wege, die gliedern und führen, steinerne Bänke zum Verweilen, die wie Ofenkacheln die Sonne oder auch die Nachtkühle speichern. Fast nach Wunsch.
Bornim, ein Pilgerziel. Das ganze Terrain ein Pläsier zwischen Bauern- und Renaissancegarten.
Auf den Feldern westlich hinter dem Haus, in Gewächshäusern und auf etikettierten Beeten gediehen altbewährte und neue Staudensorten.
Im Senkgarten konnte der Züchter die schönsten, manchmal auch heikle Neuheiten jeden Tag aus der Nähe beobachten und beurteilen. Er sah sie als ein Detail der Gartenarchitektur im Zusammenspiel von Formen und Farben rund um das Jahr. Begleitet von Regenwolken, Sonnenstrahlen, Schmetterlingen, Wühlmäusen, Wespen, Raureif, nicht zu vergessen Wind. Windstille.
Charaktere mit erwünschten Eigenschaften.
Sorten, die dem Regen, der Sonne, den Schädlingen widerstehen. Wichtige Eigenschaft des Züchters: Ausdauer, Geduld mit der Gemächlichkeit der Jahreszeiten. Es währt seine Zeit, ehe ein Staudensämling endlich selbst Samen trägt, dann wieder Jahre, ehe die nächste Generation blüht.
Marianne Foerster erklärt, der Vater habe immer mehrere Lieblinge gleichzeitig gehabt. Im Gewächshaus, im Freiland. Zum Beispiel Rittersporn ›Klingsor‹, Notiz zu ›Klingsors‹ Charakter: Der luftige, geheimnisvolle Schönheitsbau mutet wirklich wie ein Gebilde aus einem Zaubergarten an. […] Das ätherische Gebilde trägt sich im Wind, auch wagt sich kein Mehltau heran.
Eine sehr erfreuliche Erscheinung.
Für Karl Foerster gab es sieben Jahreszeiten. Vor dem Frühling waltete der Vorfrühling, den Sommer teilte er in den Früh- und den Hochsommer auf. Nach dem Herbst startete ab Allerseelen der Spätherbst, bevor der Winter mit dem ersten Advent Einzug hielt. Den Winter hat er verehrt, den November regelrecht gefeiert, weil da die Tage so wundersam sanft beginnen. Er preist im Buch »Garten als Zauberschlüssel« diesen kahlhäuptigen Monat: wie in dieser Zeit die bisher dicht verhangene Landschaftsferne in alle Bilder der Nähe hereintritt.
So ist es.
Senkgarten, außerdem Frühlings-, Herbst- und Wohngarten rings um das Haus bilden heute das geschützte Kernstück in der schönen Bornimer Feldflur.
Die Umgebung, das ist die gepriesene Landschaftsferne.
Im Sommer finden im Wohngarten vielbesuchte Lesungen und Konzerte statt. Als Spätkommerin saß ich einmal oben auf der Terrassenmauer. Ein guter Platz, um mit offenen Augen zu träumen, drei Stunden Landschaftsferne. Abendnebel und rosa-violetter Sonnenuntergang. Und rechter Hand: Musikinstrumente, ein Mikrofon für einen Schauspieler, ich habe die vorgetragenen Gedichte vergessen. Aber ich spüre noch die Mauer, die Hauswand, sehe das Bild vor mir: den Garten von oben. Das Altbekannte trotz der Wandlungen. Unverkennbar das umrankte steingelbe Haus, die türkisfarbenen Fensterflügel, die Gartenpforte, der Weg zum Senkgarten. Freier Eintritt immer, bis zum Einbruch der Dunkelheit.
Beglückt mache ich mich auf den Heimweg, im Fahrradkorb Stauden, Schätze aus dem Foerster-Garten in Bornim. Ich fahre gern hin, zu jeder Jahreszeit. Dort kann ich bewundern, wie alles im Saft und in Blüte steht. Ein wenig neidisch, weil es in meinem schattigen Waldgarten, besonders im Sommer, ganz anders aussieht. Bei mir wachsen Moose, Farne und ein paar gehegte Glockenblumen. Der Phlox zeigt zarte Blütendolden, damit ich mich erinnere, welche Sorte ich vor Jahren bei mir ausgepflanzt habe. In Bornim begegne ich den Vorbildern, aufrechtem Rittersporn, Phlox in dicken rosa und weißen Wolken.
Manchmal treffe ich Marianne Foerster, die kundige Hüterin der Hinterlassenschaft ihres Vaters, der vor hundert Jahren den inzwischen denkmalgeschützten Garten angelegt hatte. Wenn Marianne Zeit hat, durchstreifen wir den Garten kreuz und quer. Ob ich Verbenen habe, die hohen, die Verbena bonariensis? Habe ich nicht. Schon greift sie zum Handspaten. Schon besitze ich einige gut bewurzelte Exemplare. Hier im Senkgarten nisten diese violetten samenstreuenden Pflanzen überall, das heißt genau an der Stelle, wo sie hingehören, wo sie schön aussehen.
Leider nicht bei mir. Übers Jahr ist die mannshohe, lieblich im Wind spielende Verbene vom Beet vor meinem Fenster wieder verschwunden. Sie ist fort. So geht es mir mit solchen Geschenken. Ich freue mich, suche den besten Pflanzplatz, gieße und hoffe. Ich tue viel, doch vielleicht nicht genug. Man kommt sich lumpig vor, wenn der geschenkte Agapanthus nicht blüht, die Dahlie dahingeht, weil man wieder gegen die Schnecken nicht stark genug war.
Im vorvergangenen Jahr hatte Marianne Foerster einen Topf Plumbago in meinen Fahrradkorb gestellt, einen Ableger von einer leuchtend blauen wahrlich prächtigen Bornimer Mutterpflanze. Freude, bei schleichender Sorge. Werden wir uns bewähren, mein Garten und ich?
Ich konnte über den ersten Sommer sehr zufrieden sein mit dem neuen Busch. Den folgenden Winter hat er, ordentlich gestutzt, am Kellerfenster verbracht. Vielleicht zu trocken, vielleicht zu duster. Wahrscheinlich nicht kühl genug. Im März wurde er als dürres sperriges Gezweig mit grauem vertrockneten Laub aus dem Keller geholt. Kein Ansatz von Grün, kein Lebenszeichen. Ich habe noch einmal die Schere genommen, habe dem Stock frische Erde gegeben, Hornspäne, habe mit Regenwasser gegossen. Mit der Lupe war mir so, als entdeckte ich stecknadelfeine grüne Spitzen. Meine sonst freundlichen Nachbarn meinten, den Strunk kannst du vergessen.
Vier dürre Frühlingswochen. Mein Hoffen schwand. Wieder würde ich in Bornim nichts Gutes berichten können. Aber dann, vielleicht hatte eine Warmfront geholfen und Regen oder einfach nur eine Reise, ich war sieben Tage nicht zu Hause gewesen. Meine Abwesenheit hatte die Säfte im schlafenden Holz geweckt. Sieben Tage ohne meinen bangen Blick.
Der Plumbago steht in einem doppelwandigen Topf. Er treibt und blüht, er gedeiht wunderbar. Er fühlt sich am richtigen Platze. Nahe am Haus, Südseite und oft in Gesellschaft von weißen Petunien. Wie eine himmelblaue Fontäne, so sprühen die dichten kleinrispigen Blüten aus luftigem Grün. Wenn die Enkel nahe daran vorbeirennen, kleben winzige blaugestielte Sterne in ihrem Haar und an den Kleidern. Die Eltern wissen damit gleich, dass die Kinder in Großmutters Garten waren.
Man begegnet dem blauen, manchmal weißen Plumbago in Parkanlagen als Busch und sogar als Hochstamm, zum Beispiel im Park von Sanssouci an der Treppe und auf dem Vorplatz der Orangerie. So hat er es nicht weit ins Winterquartier, denn als Südafrikaner muss er im Winter unters Dach. In warmen Gegenden wie in Italien habe ich seine blauen Blütenzweige zwischen Taxus-Büschen gesehen. Plumbago-Blau wucherte wild, strahlte aus immergrünen Hecken. Es breitete sich wie ein Himmelstuch über einer Müllhalde aus. Es ist ein besonders helles, ein leuchtendes Blau. Bleiwurz.
Man kann nur raten, woher die Pflanze mit den zarten Blüten ihren schweren dunklen Namen hat. Manche Botaniker sehen einen Stich Bleifarbe in den Blüten, man weiß, dass in der Wurzel ein Farbstoff enthalten ist, der in der Heimat der Pflanze zum Tätowieren benutzt wird. In griechischen und lateinischen Kräuterbüchern liest man von heilenden Kräften. Eine Augenkrankheit könne mit zerkauter bleifarbener Pflanzenpaste kuriert werden, die man auf die kranken Augen, auf bleigraue Flecken!, zu streichen habe. Heilpaste und Krankheitsbild, beide bleigrau? Blei, lateinisch »plumbum«, also Plumbago.
Der hiesige Volksmund hat sich noch nichts Besseres einfallen lassen in der verhältnismäßig kurzen Zeit, seit Plumbago bei uns als Garten- und Terrassenschmuck kultiviert wird. Bleiwurz.
Zur Plumbago-Gattung gehören etwa ein Dutzend Arten. Wir reden hier von Plumbago auriculata. Der Artname bezieht sich auf die kleinen Ohren unter den Ansätzen der spindelförmig angeordneten Laubblätter. In manchen Gartenbüchern wird diese Art nach ihrer Heimat Plumbago capensis genannt. Zu Hause in Südafrika empfindet man den Namen nicht als schwer und grau, sondern, wie es der Pflanze zukommt, schön und blau. Würde man sonst in Afrika noble Hotels »Plumbago« nennen?