Brief eines reisenden Dänen

(Der Antikensaal zu Mannheim)

Inhaltsverzeichnis


Mannheim.

Der heutige Tag war mein seligster, so lang ich Deutschland durchreise. – Du weist es, mein Lieber, ich habe die herrliche Schöpfung im glücklichen Süden genossen, den lachenden Himmel und die lachende Erde, wo der mildere Sonnenstral zu fröhlicher Weißheit einladet, die freudegebende Traube kocht, und die göttlichen Früchte des Genies und der Begeisterung zeitigt. Ich habe vielleicht das höchste der Pracht und des Reichthums gesehen. Der Triumph einer Menschenhand über die hartnäckige Gegenwehr der Natur überraschte mich öfters – aber das nahe wohnende Elend steckte bald meine wollüstige Verwunderung an. Eine hohläugige Hungerfigur, die mich in den blumigten Promenaden eines fürstlichen Lustgartens anbettelt – eine sturzdrohende Schindelhütte, die einem pralerischen Pallast gegenüber steht – wie schnell schlägt sie meinen auffliegenden Stolz zu Boden! Meine Einbildung vollendet das Gemählde. Ich sehe jezt die Flüche von Tausenden gleich einer gefräßigen Würmerwelt in dieser großsprechenden Verwesung wimmeln – Das große und reizende wird mir abscheulich. – Ich entdecke nichts mehr als einen siechen hinschwindenden Menschenkörper, dessen Augen und Wangen von fiebrischer Röthe brennen, und blühendes Leben heucheln, während daß Brand und Fäulung in den röchelnden Lungen wüthen.

Diß, mein Bester, sind so oft meine Empfindungen bei den Merkwürdigkeiten, die man in jedem Land einem Reisenden zu bewundern gibt. Ich habe nun einmal das Unglück, mir jede in die Augen fallende Anstalt in Beziehung auf die Glückseligkeit des Ganzen zu denken, und wie viele Größen werden in diesem Spiegel so klein – wie viele Schimmer erlöschen!

Heute endlich, habe ich eine unaussprechlich angenehme Ueberraschung gehabt. Mein ganzes Herz ist davon erweitert. Ich fühle mich edler und besser.

Ich komme aus dem Saal der Antiken zu Mannheim. Hier hat die warme Kunstliebe eines deutschen Souverains die edelsten Denkmäler griechischer und römischer Bildhauerkunst in einem kurzen geschmackvollen Auszug versammelt. Jeder Einheimische und Fremde hat die uneingeschränkteste Freiheit diesen Schaz des Alterthums zu genießen, denn der kluge und patriotische Kurfürst ließ diese Abgüsse nicht deßwegen mit so großem Aufwand aus Italien kommen, um allenfalls des kleinen Ruhmes theilhaftig zu werden, eine Seltenheit mehr zu besizen, oder, wie so viele andere Fürsten, den durchziehenden Reisenden um ein Allmosen von Bewunderung anzusprechen. – Der Kunst selbst brachte Er dieses Opfer, und die dankbare Kunst wird seinen Namen verewigen.

Schon die Aufstellung der Figuren erleichtert ihren Genuß um ein großes. Leßing selbst, der hier gegenwärtig war, wollte behaupten, daß ein Aufenthalt in diesem Antikensaal dem studierenden Künstler mehrere Vortheile gewährte, als eine Wallfahrt zu ihren Originalien nach Rom, welche großentheils zu finster, oder zu hoch, oder auch unter den schlechteren zu versteckt stünden, als daß sie der Kenner, der sie umgehen, befühlen und aus mehreren Augenpunkten beobachten will, gehörig benuzen könnte.

Empfangen von dem allmächtigen Wehen des griechischen Genius trittst du in diesen Tempel der Kunst. Schon deine erste Ueberraschung hat etwas ehrwürdiges, heiliges. Eine unsichtbare Hand scheint die Hülle der Vergangenheit vor deinem Aug wegzustreifen, zwei Jahrtausende versinken vor deinem Fußtritt, du stehst auf einmal mitten im schönen lachenden Griechenland, wandelst unter Helden und Grazien, und betest an, wie sie, vor romantischen Göttern.

Dein erster Blick fällt auf die koloßalische Figur des farnesischen Herkules – die ungeheuer = schöne Darstellung männlicher Kraft. Welche Kühnheit, Größe, Vollkommenheit, Wahrheit, die auch die strengste Prüfung des Anatomikers nicht fürchtet. Wer hat den starren widerstrebenden Stein in so weiche, so geschmeidige Fleischmaßen hingegossen? – Die Figur ruht – der Bildhauer ergriff seinen Herkules im Momente schlafender (vielleicht erschöpfter) Kraft, und dennoch berechnet in dieser Erschlappung das ungeübteste Auge die ganze furchtbare Summe von Wirkungen. Meine Phantasie leiht dem Kolossen Bewegung. Ich sehe eine Figur, wie diese, auf den nemäischen Löwen fallen, und Schrecken und Erstaunen reißen mich schwindelnd fort.

Zunächst an dieser fesselt dich die unnachahmliche Gruppe des Laokoon. Ich werde dir über diß Meisterstück der antiken Kunst wenig neues mehr sagen; du kennst sie bereits, und der Anblick selbst überwältigt alle Beschreibungskraft. Dieser hohe Schmerz im Aug, in den Lippen, die emporgetriebene arbeitende Brust – ein Augenblick, ein Zustand, wo die Natur selbst sich so gern vergißt, so gern ins gräßliche ausartet, bei aller Wahrheit so angenehm, bei aller Treue so delikat behandelt, daß sich das verwöhnteste Auge mit Trunkenheit darauf heften kann. Und wie schmelzend wird dann die ganze Idee durch die untergeordnete Figuren der hilflosen Kinder, welche durch die schreckliche Schlange an den Vater gepreßt werden. Der Ausdruck der Leidenschaft, und die ganze Gruppierung lassen dem forschenden Aug nichts mehr zu beobachten übrig – und nun vertilge in Gedanken diesen ganzen Ausdruck des Leidens, denke dir eben diese Figuren außer dem gewaltsamen Zustande des Affekts, und noch immer werden sie Muster der höchsten Wahrheit und Schönheit seyn. Der griechische Künstler hat nichts aufgeopfert – die unbeschreibliche Harmonie der Gruppe kostet uns auch nicht das leiseste Misfallen über vernachläßigte Theile in den beiden Knaben. So schuf das Alterthum.

Unter allen Figuren, die dieser Saal enthält, ist der vatikanische Apoll die vollkommenste – Zwei Blicke auf denselben sind genug, dir mit entscheidender Gewißheit zu sagen, du stehest vor einem Unsterblichen. Die reizendste Jünglingsfigur, die sich eben jezt in den Mann verliert, Leichtigkeit, Freiheit, Rundung, und die reinste Harmonie aller Theile zu einem unnachahmlichen Ganzen, erklären ihn zu dem ersten der Sterblichen, Kopf und Hals verrathen den Gott. Diese himmlische Mischung von Freundlichkeit und Strenge, von Liebenswürdigkeit und Ernst, Majestät und Milde, kann keinen Sohn der Erde bezeichnen. Die hochgewölbte Brust ist nach dem übereinstimmenden Gefühl aller Künstler die vollkommenste, die je ein Maisel geschaffen hat; Schenkel und Füße ein Muster der edelsten Schönheit. Den geübtesten Zeichner wird es ermüden, die herrlichen Formen, die durch kontrastierende Schlangenlinien ineinander schmelzen, nur für das Aug nachzuahmen; denn der griechische Meister hat eben so delikat für das Gefühl gearbeitet; das Auge erkennt die Schönheit, das Gefühl die Wahrheit. Die leztere ist der ersteren untergeordnet, und obgleich kein Muskel vergessen ist, so hat doch der Künstler die feinere Nüancen dem Gesicht entzogen, und der Berührung vorbehalten. Die Statue schwebt – alle Muskeln wirken aufwärts, und scheinen sie sichtbar empor zu tragen. Der Künstler ergriff den Augenblick, wo der zürnende Gott auf den Drachen Python einen Pfeil abgeschossen hatte. Der rechte Arm fliegt eben vom Bogen zurück, der linke behält noch einige Härte und Spannung. – Im Auge ist hoher Unwille und feste Zielung, in der hervortretenden Unterlippe Verachtung des Ungeheuers, in dem schlank gestreckten Halse Triumph und göttliche Ehre.

Das ist Foebos, welchen die Götter im Hause Cronions
fürchten, dem sie sich alle von ihren Sizen erheben,
wenn er sich naht, und wenn er spannt den stralenden Bogen.

Homers Hymnen.

In Absicht des Stils kann dieser Apollo dem Torso und Laokoon nachgesezt werden, aber der gefühlvolle Kenner vergißt diese Vernachläßigung im Genusse höherer Schönheit.

Eine der vorzüglichsten Statuen, ist ein sterbender Sohn der Niobe, den Apollo erschossen hat. Der Kopf gleicht ganz in die Niobische Familie – edel und rührend ist der Ausdruck des Sterbens in seinem Gesichte; die Brust besonders ist in großen und schönen Maßen emporgetrieben, der untere Leib sinkt mit sehr vieler Wahrheit unter den lezten Krämpfen des Todes. Der Stil ist markigt, und hat mit dem äußerst delikaten Stil des Kastor und Pollux sehr viel ähnliches.

Unter die besten Stücke in diesem Saal zähle ich noch den Antinous; Schade, daß durch einen fehlerhaften Abguß die Figur nach den Hüften und Schenkeln zu ein wenig krumm geworden; den borghesischen Fechter, eine Figur, woran ich vorzüglich die Wahrheit des Muskelspiels bewundre, die Zwillinge Kastor und Pollux, Kaunus und Biblis, den Faun, den Schleifer, besonders wegen dem forschenden Ausdruck des Gesichts, und der Formen seiner beiden Arme, den Hermaphrodit, die medizäische Venus, den sterbenden Fechter, den Römer Germanikus, und noch einige andre, von denen ich dir in meinem nächsten Brief mehr sagen werde.

Merkwürdig waren mir auch die Büsten der großen Griechen und Römer, der Kopf eines sterbenden Alexanders, der Niobe, einer Tochter der Niobe, der Kleopatra, des Nero und Kaligula, der Faustina und einige mehr. Der Zufall hatte den blinden Homeruskopf und den Kopf des Herrn von Voltaire nebeneinander gestellt. – Ich weiß keine beißendere Satire auf unser Zeitalter. Voltaire – ich glaube, daß man das jezt in Deutschland laut sagen darf – Voltaire war ein wahrhaftig großer Geist, aber warum war mir sein Kopf in dieser Gesellschaft so lächerlich?

Ich werfe noch einen Blick auf diese Statuen.

Warum zielen alle redende und zeichnende Künste des Alterthums so sehr nach Veredlung?

Der Mensch brachte hier etwas zu Stande, das mehr ist, als er selbst war, das an etwas größeres erinnert, als seine Gattung – beweißt das vielleicht, daß er weniger ist, als er seyn wird? – So könnte uns ja dieser allgemeine Hang nach Verschönerung jede Spekulation über die Fortdauer der Seele ersparen. – Wenn der Mensch nur Mensch bleiben sollte – bleiben könnte, wie hätte es jemals Götter, und Schöpfer dieser Götter gegeben?

Die Griechen philosophierten trostlos, glaubten noch trostloser, und handelten – gewiß nicht minder edel als wir. Man denke ihren Kunstwerken nach, und das Problem wird sich lösen. Die Griechen mahlten ihre Götter nur als edlere Menschen, und näherten ihre Menschen den Göttern. Es waren Kinder einer Familie.

Ich kann diesen Saal nicht verlassen, ohne mich noch einmal an dem Triumph zu ergözen, den die schöne Kunst Griechenlands über das Schicksal einer ganzen Erdkugel feiert. Hier stehe ich vor dem berühmten Rumpfe, den man aus den Trümmern des alten Roms einst hervorgrub. In dieser zerschmetterten Steinmasse ligt unergründliche Betrachtung – Freund! Dieser Torso erzählt mir, daß vor zwei Jahrtausenden ein großer Mensch da gewesen, der so etwas schaffen konnte – daß ein Volk da gewesen, das einem Künstler, der so etwas schuf, Ideale gab – daß dieses Volk an Wahrheit und Schönheit glaubte, weil einer aus seiner Mitte Wahrheit und Schönheit fühlte – daß dieses Volk edel gewesen, weil Tugend und Schönheit nur Schwestern der nemlichen Mutter sind. – Siehe Freund, so habe ich Griechenland in dem Torso geahndet.

Unterdessen wanderte die Welt durch tausend Verwandlungen und Formen. Trone stiegen – stürzten ein. Festes Land trat aus den Wassern – Länder wurden Meer. Barbaren schmolzen zu Menschen. Menschen verwilderten zu Barbaren. Der milde Himmelstrich des Peloponnes entartete mit seinen Bewohnern – wo einst die Grazien hüpften, die Anakreon scherzten, und Sokrates für seine Weißheit starb, waiden jezt Ottomannen – und doch, Freund, lebt jene goldene Zeit noch in diesem Apoll, dieser Niobe, diesem Antinous, und dieser Rumpf ligt da – unerreicht – unvertilgbar – eine unwidersprechliche ewige Urkunde des göttlichen Griechenlands, eine Ausfoderung dieses Volks an alle Völker der Erde.

Etwas geschaffen zu haben, das nicht untergeht, fortzudauren, wenn alles sich aufreibt, rings herum – O Freund, ich kann mich der Nachwelt durch keine Obelisken, keine eroberte Länder, keine entdeckte Welten aufdringen – ich kann sie durch kein Meisterstück an mich mahnen – ich kann keinen Kopf zu diesem Torso erschaffen, aber vielleicht eine schöne That ohne Zeugen thun!

Dom Karlos

Infant von Spanien

Inhaltsverzeichnis


Personen des ersten Akts
Erste Verwandlung
Erster Auftritt
Zweiter Auftritt

Zwote Verwandlung
Dritter Auftritt
Vierter Auftritt
Fünfter Auftritt
Sechster Auftritt
Siebenter Auftritt
Achter Auftritt
Neunter Auftritt


Die Ursache, warum das Publikum die Tragödie Dom Karlos in Bruchstücken voraus empfängt, ist keine andre, als der Wunsch des Verfassers, Wahrheit darüber zu hören, eh er sie wirklich vollendet. Bei dem anhaltenden starren Hinsehn auf die nämliche Fläche kann es nicht anders kommen, als daß die Augen, auch des schärfsten Beobachters, anfangen trübe zu werden, und die Objekte verwirrt durcheinander zu schwimmen. Wenn der Dichter nicht Gefahr laufen will, sich in seinen eigenen Irrgängen zu verwickeln, und über der ängstlichen Farbenmischung des Details die Perspektive des Ganzen zu verlieren, so ist es nöthig, daß er zuweilen aus seinen Illusionen heraustrete, daß seine Phantasie von ihrem Gegenstand erkalte, und fremde Empfindung seine eigne zurechtweise. Mit den Lieblingswerken unsers Geistes ergeht es uns beinahe wie mit unsern Mädchen – endlich werden wir blind für ihre Flecken, und stumpf durch Genuß. Dort wie hier sind kurze Entfernungen, kleine Spannungen oft heilsam, die erlöschende Glut des Affekts wieder anzublasen. Die Flamme der Begeisterung ist keine ewige Flamme. Oft ist es nöthig, daß sie von aussenher borge, und sich durch sympathetische Reibung erneure. Wie schäzbar sind einem Dichter hier geschmackvolle fühlende Freunde, die über seine Schöpfungen wachen, und das neugebohrene Kind seines Genius mit liebevoller Sorgsamkeit warten und pflegen!

Dieser Dienst ist es, den ich bei Vorlegung dieser Fragmente von dem Publikum mir erbitten wollte. Jeder Leser und jede Leserin, welche Wohlwollen genug den für Herausgeber in ihrem Busen fühlen, um für die klassische Vollkommenheit seines Werks bekümmert zu seyn – euch aber insbesondere, Schriftsteller meines Vaterlands, deren Namen der Ruhm bereits schon unter den Sternen aufstellte, die ihr jezt keine schönere Beschäftigung mehr übrig findet, als eurem Schüler und Freund noch die Hand zu reichen, und ihn zu eurer Gemeinschaft empor zu ziehn – euch alle fodre ich auf, diesen Versuch eurer Aufmerksamkeit werth zu achten, und mir den Ausspruch eures Gefühls mit der strengsten Offenherzigkeit mitzutheilen. Ich erschrecke vor eurem Tadel nicht. Das Urtheil der Welt über diese Fragmente – es falle aus, wie es wolle – wird mich nie in Verlegenheit sezen, denn es ist meine lezte Instanz nicht. Ich nehme es für nichts anders, als den belehrenden Wink meines kritischen Freundes, den ich zu Reinigung meiner Arbeit benuzen kann – aber die Nachwelt ist meine Richterin. Was ich bei meinen Zeitgenossen verderbe, steht noch immer in meiner Macht wieder gut zu machen, die Fehler des Jünglings rechnet man ja dem Mann nicht mehr an – aber die Nachwelt verdammt ohne Beklagten, ohne Sachwalter, ohne Zeugen. Das Werk lebt, und sein Schöpfer ist nicht mehr. Die Frist zur Verantwortung ist vorbei; was einmal verloren ist, läßt sich nicht mehr hereinbringen. Von diesem Gerichtshof läßt sich an keinen dritten mehr appellieren. Wie willkommen soll mir also die Zurechtweisung seyn, welche mir über die Gebrechen meiner Dichtung die Augen öfnet, und mir vielleicht dazu dienen kann, sie desto fleckenfreier der strengeren Zukunft zu übergeben – Findet der Kenner schon diese erste Anlage krank, vermißt er hier schon die Gesundheit, die lebendige Kraft, die ihr Dauer versicherte, so wandre die ganze Skize zum Feuer.

Die Geschichte des unglücklichen Dom Karlos und seiner Stiefmutter der Königin, ist von den interessantesten, die ich kenne, aber ich zweifle sehr, ob sie so rührend als erschütternd ist. Rührung, glaube ich, ist hier ganz nur Verdienst des Dichters, der unter den vielerlei Arten der Behandlung gerade diejenige zu wählen weiß, welche die widrige Härte des Stoffs zu weicher Delikatesse herabstimmt und mildert. Eine Leidenschaft, wie die Liebe des Prinzen, deren leiseste Aeuserung Verbrechen ist, die mit einem unwiederruflichen Religionsgesez streitet, und sich ohne Aufhören an der Gränzmauer der Natur zerschlägt, kann mich schaudern, aber schwerlich weinen machen. Eine Fürstin wiederum, deren Herz, deren ganze weibliche Glückseligkeit einer traurigen Staatsmaxime hingeschlachtet worden, die durch die Leidenschaft des Sohns und des Vaters gleich unmenschlich gemishandelt wird, kann mir wohl Murren gegen Vorsicht und Schicksal, Zähneknirschen gegen weltliche Konvenzionen abnöthigen, aber wird sie mir auch wohl Tränen ablocken? – Wenn dieses Trauerspiel schmelzen soll, so muß es – wie mich däucht – durch die Situation und den Karakter König Philipps geschehen. Auf der Wendung, die man diesem gibt, ruht vielleicht das ganze Gewicht der Tragödie. Mein Plan ist auf gleiche Art vereitelt, wenn ich bei Philipps Darstellung den französischen Skribenten folge, als wenn ich bei Karlos Schilderung den Ferreras zum Grund legte. Man erwartet – ich weiß nicht welches? Ungeheuer, so bald von Philipp dem Zweiten die Rede ist – mein Stück fällt zusammen, sobald man ein solches darinn findet, und doch hoffe ich der Geschichte – das heißt der Kette von Begebenheiten – getreu zu bleiben. Es mag zwar ein gothisches Ansehen haben, wenn sich in den Gemählden Philipps und seines Sohns zwei höchst verschiedne Jahrhunderte anstoßen, aber mir lag daran, den Menschen zu rechtfertigen, und konnt’ ich das wohl anders und besser als durch den herrschenden Genius seiner Zeiten?

Der ganze Gang der Intrigue wird, wie ich mir einbilde, schon in diesem ersten Aufzug verrathen seyn. Wenigstens war das meine Absicht, und ich halte es für das erste Requisit der Tragödie. Beide Hauptkaraktere laufen hier schon mit derjenigen Kraft, und nach derjenigen Richtung aus, welche den Leser errathen läßt, wo und wann und wie heftig sie in der Folge widereinander schlagen.

Ein vollkommenes Drama soll, wie uns Wieland sagt, in Versen geschrieben seyn, oder es ist kein vollkommenes, und kann für die Ehre der Nation gegen das Ausland nicht konkurrieren. – Nicht als ob ich auf das leztere Anspruch machte, sondern weil ich die Wahrheit jenes Ausspruchs überzeugend erkannte, habe ich diesen Karlos in Jamben entworfen. Aber in reimfreien Jamben – denn ich unterschreibe Wielands zweite Foderung, daß der Reim zum Wesen des guten Dramas gehore, so wenig, daß ich ihn vielmehr für einen unnatürlichen Luxus des französischen Trauerspiels, für einen trostlosen Behelf jener Sprache, für einen armseligen Stellvertreter des wahren Wohlklangs erkläre – in der Epopee versteht sichs, und in der Tragödie. So bald uns die Franzosen ein Meisterstück dieser Gattung in reimfreien Versen zeigen, so geben wir ihnen ein ähnliches in gereimten.

Der Leser wird sich selbst und dem Dichter nüzen, wenn er vor Lesung dieser Fragmente die Geschichte des Dom Karlos, Prinzen von Spanien, vom Abbe S. Real, welche kürzlich zu Eisenach in der Uebersezung erschienen ist, nur flüchtig durchblättern will. Ich unterbreche zuweilen den Dialog durch Erzählung, weil es geschehen kann, daß das ganze Stück nach und nach in solchen Fragmenten erscheint, und ich ohne diese Vorsicht also leicht der Indiskretion und Gewinnsucht eines Buchhändlers oder Schauspieldirektors anheim fallen könnte, die meinen Karlos zusammen druckten, oder vor der Zeit auf ihr Theaterschaffot schleppten.

Personen des ersten Akts

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Philipp der Zweite, König von Spanien.
Königin Elisabeth, Prinzeßin von Frankreich, seine Gemahlin.
Dom Karlos, der Kronprinz.
Herzog von Alba, und Graf von Lerma, Grandes von Spanien.
Pater Domingo, Beichtvater des Königs, gewesener Inquisitor.
Dom Rodrigo Marquis von Posa, Kammerjunker des Prinzen.
Fürstin von Eboli und Marquisin von Mondekar, Damen der Königin.
Mehrere Damen und Grandes.

Erste Verwandlung

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Ein angenehmer Prospekt von Orangenalleen, Boskagen, Statuen, Urnen, und springenden Wassern. Die Beleuchtung wird so eingerichtet, daß die vordere Bühne dunkel bleibt, die hintere aber munter und hell ist.

Erster Auftritt

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Karlos kommt langsam und in Gedanken versenkt aus dunkeln Boskagen, seine zerstörte Gestalt verräth den Kampf seiner Seele; einigemal steht er schüchtern still, als wenn er auf etwas horchte. Der Zufall führt ihn vor die Statue der Biblis und des Kannus, er bleibt nachdenkend davor stehen – indem hört man hinter der Szene eine ländliche Musik von Flöten und Hoboen, die sich allmählig in der Entfernung verliert. Der Prinz verläßt die Statue in großer Bewegung, man sieht Traurigkeit und Wut in seinen Gebärden abwechseln, er rennt heftig auf und nieder, und fällt zulezt matt auf ein Kanapee. Unterdessen zeigt sich im Hintergrund der Pater Domingo, und bleibt eine Zeitlang stehen ihn zu beobachten. Endlich nähert er sich, auf das Geräusch ermuntert sich Karlos, und fährt unwillig auf.

Karlos.
Der Erzspion verfolgt mich überall
wie die Gerichte Gottes – – Was verlangt ihr?
Wen sucht ihr hier? – Dorthin, soviel ich weiß,
hat sich der König mit dem Hof gezogen.

Domingo.
Der König, Prinz, und alle Grandes stehn
versammelt im Zitronenwald. Die Freude
herrscht allgemein, sie zu vollenden fehlt
nur Karlos noch.

Karlos.
Sie plözlich zu vergiften?
Ist König Philipp seiner guten Laune
schon satt, daß er die Nattern seines Sohns
zu Gaste ruft?

Domingo.
Mir unbegreiflich, Prinz.
Der schönste Frülingstag – die muntern Gärten –
und rings herum die blumenvolle Flur –
Der Himmel selbst wetteifert mit der Gegend,
die Kunst mit der Natur – sie aufzuheitern.
Gleich einem Paradies lacht weit und breit
das prächtige Aranjuez, und doch
in ihrem Aug nicht eine Spur der Freude?

Karlos.
In diesem lachenden Aranjuez
sieht Karlos nichts – als seine finstre Seele.

Domingo.
Doch eben dieser räzelhafte Gram,
den wir schon lang in ihren Blicken lesen,
der Schrecken ihres Reichs, und das Geheimniß
des ganzen Hofs, hat manche Thräne schon
dem König ihrem Vater ausgepreßt.

Karlos.
Fließt mir deßwegen eine einz’ge minder?
heilt dieses Herz vielleicht, wenn seines blutet?
Nur Thränen hat er für den einz’gen Sohn? –
die giebt auch wohl ein Bettler seinem Kinde.
Er presse doch nur einen Tropfen Mohn
aus seines Perus unerschöpften Schachten,
den Schmerz in diesem Busen einzuschläfern; –
er biete doch den pralenden Tribut,
den ihm sein furchtbarer Vasall, das Meer,
aus beiden Indien herüberfrohnt,
ob er vielleicht den Henker seines Karls
damit bestechen kann? – Seht rings herum –
Diß Paradies rief euer großer König
in eine fürchterliche Wildniß her –
er rufe doch – sein Karlos läßt ihn bitten –
ein Lächeln auf mein Angesicht.

Domingo.
Er wirds.
Nur brechen sie diß grauenvolle Schweigen,
nur öfnen sie ihr Herz dem Vaterherzen.
Was Karl dem Philipp anvertraut, wird ja
der König ihm gewähren.

Karlos.
Wird er das? –
Weh mir, und wenn er wollte – kann er das?
und wenn ich mit des Todes leztem Lechzen
es foderte? wenn der erhörte Wunsch
den schon entwichnen Geist aus der Behausung
des Grabs zurücke hohlte? – Nimmermehr.

Domingo.
Ich zittre Prinz – Was sagt mir dieses Räzel?

Karlos.
Bin ich nicht eines großen Königs Sohn?
Mit halben Welten theil ich meinen Vater,
und dennoch soll an einem einz’gen Wunsch
der große Königssohn zu Tode schmachten?
O welch ein Wunsch – – und doch – ich will ja wenig –
will ja nicht mehr, als ich mit so viel Armen
umreichen kann – –

Domingo.
Wie! Wär es möglich Prinz?
Wär noch ein Wunsch zurücke, den der Himmel
dem liebsten seiner Söhne weigerte? –
Ich stand dabei, als in Toledos Mauren
der stolze Karl die Huldigung empfieng,
als graue Fürsten zu dem Handkuß wankten,
und jezt in einemeinem Niederfall
Sechs Königreiche ihm zu Füßen lagen.
Ich stand, und sah das junge stolze Blut
in seine Wangen steigen, seinen Busen
von fürstlichen Entschlüssen wallen, sah
sein trunknes Aug durch die Versammlung fliegen,
in Wollust brechen – Prinz – und dieses Aug
sprach laut: Ich bin gesättigt!

Karlos.
(nach einem tiefen Nachdenken)
Jener Stunde
vergeß ich nie – mit jener Stunde fieng
Mein Leben an – sie floh – es war vollendet.

Domingo.
Vollendet Prinz? – ein mattes Vorgefühl
der königlichen Zukunft – –

Karlos.
Es ist aus.
Wenn schon das Kind von Diademen träumte,
was kann der Jüngling wünschen?

Domingo.
(der ihn laurend ansieht)
sie zu tragen?

Karlos.
Verwegner Mensch – Ihr sprecht mit Philipps Sohn,
nichts mehr davon – mir schauert vor dem Morgen,
der hinter meines Vaters Sarge nur
mir scheinen kann

Domingo.
Und dennoch edler Prinz.
Wenn Karlos ohne Hoffnung wünscht, was sonst
was sonst als eine Krone kann er wünschen?
Groß ist die Welt – der Arm der Könige
reicht weit –

Karlos.
Hier bricht er.

Domingo.
Auch der Arm der Kirche?
O reden sie – Die Ruhe seines Sohns
kann Philipp nicht zu theuer kaufen.

Karlos.
Nicht?
Auch dann nicht, wenn mein rasender Gelust
geradenwegs nach seinem Herzen zielte?
Auch dann nicht, wenn den frevelhaften Durst
nur das abscheulichste Verbrechen löschte,
worüber die besudelte Natur
erschrocken beben, und in Fieberschauern
sich werfen würde.

Domingo.
Das ist schrecklich Prinz.

Karlos.
Jezt wißt ihr alles – Geht, und denkt auch nie
darüber nach – Hier endet Philipps Größe,
kann sein Befehl die Sterne rückwärts drehn,
und machen, daß sich Nord und Süd umarmen? –
Ein ewiges, ein schreckliches Gesez
mit Blut in unsre Brust geäzt – die starre
unwandelbare Regel der Natur
steht gegen mich, ein aufgethürmter Pfeiler,
und keine Macht auf Erden reißt ihn um.

Domingo.
Ich steh erstaunt – Was für ein Ungeheuer
liegt hier im Hinterhalt, wenn selbst die Hoffnung
so vieler Throne keinen Reiz mehr hat?

Karlos.
Vergebens grübelt ihr ihm nach. Ihr müßtet,
Monarch wie ich, in Mutterleib gekrönt,
ihr müßtet in dem Himmelstrich des Thrones
erzogen worden seyn, und an den Brüsten
des Glücks gelegen haben, wenn ihrs faßtet
was einen Fürsten foltert.

Domingo.
Wunderbar –
Noch wunderbarer – – – daß auch ihre Mutter,
die Königin, daßelbe spricht – –

Karlos.
(heftig auffahrend)
Was? Mutter? –
Das Wort auf deiner Zunge sei verflucht,
verflucht der Name aus der Schöpfung.

Domingo.
Prinz?

Karlos.
(in großer Aufwallung herumgehend)
Sie meine Mutter? – Geh Unglücklicher,
an eine Mauer hast du mich geschleudert –
Sie meine MutterMutter sagtest du?
O Himmel gib, daß ich es dem vergesse,
der sie zu meiner Mutter machte.

Domingo.
Prinz,
es sind die heiligste von allen Banden
die sie hier lästern.

Karlos.
Ketten wollt ihr sagen,
Furchtbarer, merkts euch, raßeln sie im Abgrund
der Hölle nicht – Galeeren lassen los –
das Grab gibt frei – die Ketten der Verdammniß
zerbrechen endlich – diese Bande nicht.
Die Zärtlichkeit von allen Müttern, die
gewesen sind, und die noch kommen werden,
macht ewig nimmer wieder gut, was mir
die einzige verdorben hat.

Domingo.
Was hör ich?
Täuscht mich mein Ohr? hat mich ein Traum betrogen?
Ganz Spanien liebt seine Königin
bis zur Anbetung – Prinz – und Sie allein,
Sie sollten sie mit solchem Haß verfolgen?

Karlos.
(hat sich gesammelt, und wird betroffen)

Domingo.
Unmöglich, Prinz – so plözlich werden sie
die Stimme Spaniens nicht Lügen strafen,
so unnatürlich kann der feurige,
für jede Schönheit so begeisterte
so offne Jüngling nimmermehr entarten.
Was Prinz? – Das schönste Weib auf dieser Welt,
beim ersten Blick Monarchin ohne Thron,
kaum zwei und zwanzig Frühlingen entflogen,
und eines Greisen Frau – von der Natur
zur Zärtlichkeit, zur Wollust ausgestattet –
an eines freudenlosen Ehestands
tirannische Galeere angeschlossen –
Französin von Geburt – und Königin –
und ehmals ihre laut erklärte Braut?
Unmöglich, Prinz! Unglaublich! Nimmermehr!
Wo ohne Hofnung Greiß und Jüngling lodern,
friert Karlos nicht mit allen Hofnungen.
Wo alles liebt, kann Karl allein nicht hassen,
so seltsam widerspricht sich Karlos nicht.
Nein Prinz – ich schwörs in ihrer Mutter Seele –
das wunderbare Räzel ihres Grams,
die Königin – ich wette – kann es lösen.
Verwahren sie sich Prinz, daß sie es nie,
wie sehr sie ihrem Sohn mißfällt, erfahre,
die Zeitung würde schrecklich seyn.

Karlos.
(welcher diese ganze Rede durch, die Augen tückisch auf ihn geheftet hat)
Meint ihr?

Domingo.
Und äußerst unerwartet – Warlich Prinz
auf ihre Rechnung flüstert sich schon längst
von Ohr zu Ohr die lustigste Geschichte.
Wenn sie noch auf das leztere Turnier
zu Saragoßa sich besinnen mögen,
wo unsern König eine Lanze streifte –
Die Königin mit ihren Damen saß
auf des Pallastes oberster Altane,
und sah dem Kampfe zu. Auf einmal riefs:
„Der König blutet!“ – Man rennt durcheinander,
ein unvernehmlich Murmeln dringt zum Ohr
der Königin: „Der Prinz?“ ruft sie, und will
und will sich von der höchsten Gallerie
herunterwerfen „Nein! Der König selbst“
gibt man zur Antwort „So laßt Aerzte holen“
erwiedert sie, indem sie Athem schöpfte.

Karlos.
(nach einigem lebhaften Auf und Niedergehen, mit erkünstelter Gleichgültigkeit)
Ihr sagt mir Wunderdinge, Freund.

Domingo.
Doch wohl
nichts überraschendes?
(indem er sich dem Prinzen vertraulich nähert)
Wie glücklich, Prinz,
dörft ich dafür in ihrer Seele lesen?

Karlos.
Ihr sollts, hochwürd’ger Vater – eurem Amte
verschweigt man nichts – ihr klebt ja eure Tugend
auf euren Rock – Umsonst führt ihr doch wohl
den Schlüssel nicht zu Jedermanns Gewissen,
umsonst, denk ich, hat König Philipp euch
das Rechnungswesen über alle Sünden
der Prinzen vom Geblüt nicht übertragen.

Domingo.
Es gibt auch Lieblingswünsche, Prinz, wobei
man das Gewissen nicht zum Richter nimmt.

Karlos.
Dergleichen Wünsche gibt es allerdings,
doch das sind Heimlichkeiten, die das Plaudern
durchaus nicht leiden können.

Domingo.
Plaudern, Prinz,
ist meines Amtes strafbarste Verlezung.

Karlos.
Ich weiß, hochwürd’ger Vater, weiß ja wohl
wie treulich ihr der Welt verschweigt, was euch
Gott im Vertrauen sagen mag.

Domingo.
Auch, was
mir meine anvertrauten Lämmer beichten.

Karlos.
(nachdem er sich eine Zeitlang bedacht hat)
Nur noch ein Wörtchen – eh mein ganzes Herz
sich euch auf Treu und Glauben überliefert –
Mistrauen, Herr, vergibt man Philipps Blut,
und keinen Freund entlaß ich ohne Probe.

Domingo.
Ich fürchte keine, Prinz.

Karlos.
Nur Kleinigkeit.
Ihr lacht vielleicht – doch sie beweißt für eure
Verschwiegenheit mir alles. Hört mich an.

Domingo.
Mit Ungeduld.

Karlos.
Tief drinn in der Sierra
Morena zeigt man einen Brunnen euch,
der jezt vertrocknet ist, wohin ein alter
kastilianscher König seine Schäze
geflüchtet hat, als über Spanien
die Furcht der Mauren kam. – Tief unten ligt
ein großer schwarzer Quaderstein, worunter,
der Sage nach, drei Nächte vor dem Fest
der Auferstehung, sich der dumpfe Klang
des Goldes hören lassen soll, das jezt
gehoben werden kann. Wer reines Herzens
in diesen Brunnen sich hinunter läßt,
rückt, wie ein Sandkorn, diesen Felsen weg;
doch kaum (fährt das Orakel fort) daß ihn
ein Schalk berührt, bedecken schwarze Beulen
des Frevlers Hand, und der erzürnte Schaz
versinkt um eines Thurmes Höhe tiefer.

Domingo.
Im Ernst, mein Prinz, sagt man das wirklich so?

Karlos.
So wahr ihr ehrlich seid – Man will sogar
Waghälse nennen, die mit dem Gespenst
es aufzunehmen, schon im Eimer hiengen – –
Doch gählings kam die Angst an sie, sie priesen
sich glücklich, daß sie lebend wieder kamen.
Was dünkt euch frommer Vater? – Ihr und Ich –
wir könntens wohl auf gut Gewissen wagen?

Domingo.
Wir? – Nimmermehr! Dafür behüt uns beide
der Himmel, Prinz – Der schwache Mensch versuche
den Teufel nicht – Mir ligt der Mammon gut,
Verzeihung, Prinz. Auch möcht ich in den Karten
der Unterwelt nicht gern die Hände haben.

Karlos.
(unwillig zurücktretend)
So Bösewicht? – und an mein Herz willst du
die Wünschelruthe halten, daß sie dir
anschlage, wo der Zauber ligt? – Du zitterst
vor Schrecken, die des Fiebers Phantasie
zusammenflickte – und bist frech genug
in meines Herzens Absturz dich hinunter
zu winden, und Gedanken zu behorchen,
ehrwürdiger, als die Mysterien
der Unterwelt? – Elender! Weh dir selbst!

Wohin – wenn dir dein Bubenstück gelänge –
Wohin verkröchst du dich? In einer Auster
Gehirne krümmte deine Seele sich,
wenn ihr die meinige begegnen sollte.

Domingo.
Prinz! Sie verkennen mich.

Karlos.
Ich kenne dich.
Bist du nicht der Dominikanermönch,
der in der fürchterlichen Ordenskutte
den Menschenmäkler machte? Bin ich irre?
Bist du es nicht, der die Geheimnisse
der Ohrenbeicht um baares Geld verkaufte?
Bist du es nicht, der unter Gottes Larve
die freche Brunst in fremdem Ehbett löschte
den heißen Durst nach fremdem Golde kühlte,
den Armen fraß, und an dem Reichen saugte?
Bist du es nicht, der ohne Menschlichkeit,
ein Schlächterhund des heiligen Gerichtes,
die fetten Kälber in das Messer hezte?
Bist du der Henker nicht, der übermorgen
zum Schimpf des Christenthums, das Flammenfest
des Glaubens feiert, und zu Gottes Ehre
der Hölle die verfluchte Gastung gibt?
Betrüg ich mich? Bist du der Teufel nicht,
den das vereinigte Geschrei des Volkes,
des Volks, das sonst an Henkerbühnen sich
belustigt, und an Scheiterhaufen weidet,
den das vereinigte Geheul der Menschheit
aus dem entweihten Orden stieß –

Domingo.
Ists möglich?
Prinz, überlegen sie, wer ich – – –

Karlos.
O Gott,
ich fühle, daß mich mein erhiztes Blut
an meinen fürchterlichsten Feind verrathen,
daß ich für eine Gotteslästerung
an jenem Tag Barmherzigkeit vom Himmel
erlangen kann, Barmherzigkeit von dir
für diese Wahrheit nicht! – Ich weiß voraus,
daß König Philipp dir, den du am Seile
zum Himmel, und zur Hölle lenkst, den Arm
zu deiner Rache borgen wird – daß ich
das schröcklichste zu fürchten hätte, wenn
das schröcklichste nicht hier verborgen läge.

Domingo.
Wie sehr beklag ich sie, mein armer Prinz!
Sie selbst, sie peinigen ihr Herz mit leeren
grundlosen Phantasien.

Karlos.
O zu gut,
zu gut weiß ich, daß ich an diesem Hof
verrathen bin – ich weiß, daß tausend Augen
besoldet sind mich zu bewachen, weiß,
daß König Philipp seinen einzgen Sohn
an seiner Knechte schlechtesten verkaufte,
und jede von mir aufgefangne Silbe
dem Hinterbringer fürstlicher bezahlt,
als er noch keine gute That bezahlte.
Ich weiß, daß er vielleicht die edelste
Provinz des Reichs um mein Geheimniß gäbe,
weiß, daß er diesen schwachen Knaben mehr
als das vereinigte Europa fürchtet,
und ich gestehe, daß er Ursach hat.
(er will gehen)

Domingo.
Wohin mein Prinz? Mit diesem räzelhaften
Bericht soll ich zum König?

Karlos.
Geht nach Hause,
und hinterbringet dem, der euch gesandt.
Nicht ganz umsonst – das laß ihm Karlos melden –
warf er den Angel aus, doch könnt es leicht
geschehen, daß er mehr an’s Ufer zöge,
als er zu finden Willens war. Man spricht
von Basilisken, deren bloßer Anblick
vergiften soll – – er lasse mein Geheimniß
in Frieden gehn. Der Tag, so es enthüllt,
wird seiner Ruhe lezter seyn.

Domingo.
Der lezte?

Karlos.
Beweinenswerther Philipp, wie dein Sohn,
beweinenswerth! – Schon seh ich in die Zukunft –
schon seh ich sie, zwo ungeheure Schlangen,
Furcht und Verdacht, an deiner Seele saugen,
dein unglücksel’ger Fürwiz übereilt
die fürchterlichste der Entdeckungen,
und weinen wirst du, wenn du sie gemacht.
Dein Gold kann sich erschöpfen – deine Heere
in wilden Schlachten fallen – deine Flotten
in Stürmen untergehen – ihren Zügel
zerreißen deine Völker – unter dir
zusammenbrechen deine Trone. Nichts
hast du verloren, wenn dein Herz dir bleibt.
Doch hier, ach hier bedroht dich eine Wunde,
an welcher sich auch Könige verbluten,
die ewig ohne Löschung brennt, für die
kein Balsam wächst in deinen Reichen allen –
Noch schmerzt die Wunde nicht; kennst du sie nie
wird sie dich niemals schmerzen!
(rasch gegen Domingo, und höchst bedeutend)
Mein Geheimniß
möcht er in Frieden lassen. Ich hab ihn
gewarnt.

(Der Dominikaner entfernt sich. Karlos begleitet ihn mit den Augen, bis er verschwunden ist, dann verfällt er in grübelndes Nachdenken, und macht sich Vorwürfe, daß er dem arglistigen Priester zuviel Blößen gegeben. Wie er im Begriff ist hinwegzugehen, sieht er seinen alten akademischen Freund, Dom Rodrigo, Marquis von Posa, der eben jezt von Brüssel in Aranjuez anlangte, durch die Allee herabkommen.)

Zweiter Auftritt

Inhaltsverzeichnis


Karlos. Der Marquis.

Karlos.
– – – Was seh ich? O ihr guten Geister!
Mein Rodrigo!

Marquis.
(dem Prinzen um den Hals fallend)
Mein Karlos!

Karlos.
Ist es möglich?
Ists wahr? ists wirklich? bist du’s? – O du bists!
Ich drück an meine Seele dich. Ich fühle
die deinige allmächtig an mir schlagen.
O jezt ist alles wieder gut. In dieser
Umarmung ist mein krankes Herz genesen.
In meinem Mark ist Ewigkeit. Ich liege
am Herzen meines Rodrigo.

Marquis.
Ihr krankes,
ihr krankes Herz? – Und was ist wieder gut?
Was ists, das wieder gut zu werden brauchte?
Sie hören, was mich stuzen macht.

Karlos.
Und was
bringt dich so unverhoft aus Brüßel wieder?
Wem dank ich diese Ueberraschung? – Wem?
ich frage noch? – – Verzeih dem Freudetrunknen,
erhabne Vorsicht, diese Lästerung – –
Wem sonst, als dir Allgütigste? Du wußtest
daß Karlos ohne Engel war, du sandtest
mir diesen, diesen, und ich frage noch?

Marquis.
Vergebung, Prinz, wenn ich diß stürmische
Entzücken mit Bestürzung nur erwiedre.
So war es nicht, wie Posa Philipps Sohn
erwartete – so fürchterlich umarmte
mich Karl noch nie. Ein unnatürlich Roth
entzündet sich auf ihren blassen Wangen
und ihre Lippen brennen fieberhaft.
Was muß ich glauben, theurer Prinz? – Das ist
der löwenkühne Jüngling nicht, zu dem
ein unterdrücktes Heldenvolk mich sendet.
Jezt Prinz steh ich als Rodrigo nicht hier,
nicht als des Knaben Karlos Spielgeselle,
ein Abgeordneter der ganzen Menschheit
umarm ich sie – es sind die flandrischen
Provinzen, die an ihrem Hals jezt weinen,
und feierlich um Rettung sie bestürmen.
Der Tag ist da, der schreckenvolle Tag,
der ohne Hoffnung ihre Freiheit endigt.
Tirannisch wühlt Dom Philipp in dem Herzen
des freigebodrenen Brabants. Verderben
droht ihrem Haupt, der Einsturz ihren Kirchen,
wenn Herzog Alba, Gottes Strafgericht,
des Fanatismus rauher Henkersknecht,
vor Brüßel rückt, und ihren Glauben mustert.
Auf Kaiser Karls glorwürd’gem Enkel ruht
die lezte Hoffnung dieser edlen Lande.
Sie stürzt dahin, wenn sein erhabnes Herz
vergessen hat, für Menschlichkeit zu schlagen.

Karlos.
(nach einigem Stillschweigen)
So stürzt sie denn dahin.

Marquis.
Ist das die Antwort,
die Karlos der Verzweiflung gibt?

Karlos.
Was soll ich?
Was will man denn? Nur Tränen kann ich geben,
und Tränen brauch ich für mich selbst. Verließ
der Himmel mich – was ligt an Nationen?

Marquis.
Hier kenn ich meinen Karl nicht mehr. Spricht so
der große Mensch – vielleicht der einzge, den
die Geisterseuche seiner Zeit verschonte?
Der bei Europas allgemeinem Taumel
noch aufrecht stand – den gift’gen Schierlingstrank
des Pfaffenthums, von welchem schon das zweite
Jahrtausend sich im Schwindel dreht, beherzt
vom Munde stieß – der gegen Priesterblize
und eines Königs schlaue Heiligkeit
und eines Volks andächtgen1 Rausch die Rechte
der unterdrückten Menschheit gelten machte,
der zu Madrid für Kezer bat, am Thurme
der Santa Kasa für die Duldung stimmte? – –
So fliehe dann aus dem Gebiet der Christen
Gedankenfreiheit! Sünderin Vernunft
bekehre dich zu frommer Tollheit wieder!
zerbrich dein Wappen, ewige Natur!
Geh unter freies Flandern! – Dein Erretter
verlor den Mut, den Wahnwiz zu bekriegen.

Karlos.
(aus einer Zerstreuung erwachend, und den Marquis bei der Hand fassend mit sanfter Wehmut)
Sprichst du von mir? – Du irrst dich guter Mensch –
auch mir hat einst von einem Karl geträumt,
dem’s feurig durch die Wangen lief, wenn man
von Freiheit sprach – doch der ist lang begraben;
den du hier siehst, das ist der Karl nicht mehr
der zu Alkala von dir Abschied nahm,
der Karl nicht mehr, der sich beherzt getraute
das Paradieß dem Schöpfer abzusehn,
und dermaleins, als unumschränkter Fürst,
in Spanien zu pflanzen – O der Einfall
war kindisch aber göttlich schön. Vorbei
sind diese Träume – ein verborgner Wurm
frißt an dem Herzen dieser stolzen Staude,
auf ewig ist ihr Wuchs dahin.

Marquis.
O Gott,
was ist geschehen, theurer Prinz? – Mir ahndet
die schrecklichste Geschichte.

Karlos.
(an Rodrigo’s Busen sich lehnend)
Laß mich weinen
an deinem Herzen blut’ge Tränen weinen,
du einzger Freund – – Ich habe niemand, niemand,
auf dieser großen weiten Erde niemand.
So weit das Zepter meines Vaters reicht,
so weit die Schiffarth unsre Flaggen sendet,
ist keine Stelle, keine, keine, wo
ich meiner Tränen mich entlasten darf,
als diese!
(mit einer feierlichen Heftigkeit)
O! bei allem, Rodrigo,
was du und ich dereinst im Himmel hoffen,
von dieser Stelle, Rodrigo, verjage,
verjage mich von dieser Stelle nicht.

Marquis.
(neigt sich gegen ihn in sprachloser Rührung)

Karlos.
Sieh mein Lippen brennen heiß auf dir,
heiß fällt der Tränenstrom auf deine Seele;
dein künft’ger Fürst geht betteln um dein Herz,
arm ohne dich, bei sieben Diademen,
Berede dich, ich wär ein Waisenkind
das du am Tron mitleidig aufgelesen.
Ich weiß ja nicht, was Vater heißt – ich bin
ein Fürstenknabe

Marquis.
Schrecklicher Gedanke,
doch allzuwahr! –

Karlos.
O wenn es eintrifft, was
mein Herz mir sagt, wenn du aus Millionen
herausgefunden bist, mich zu verstehn –
Wenns wahr ist, daß die schaffende Natur
den Rodrigo im Karlos wiederhohlte,
und unsrer Seelen zartes Saitenspiel
am Morgen unsers Lebens gleich bezog,
wenn eine Träne, die mir Lindrung gibt
dir theurer ist, als meines Vaters Gnade – –

Marquis.
O gern will ich sie weinen.

Karlos.
Sieh! so tief
bin ich gesunken – bin so arm geworden,
daß ich an unsre frühen Kinderszenen
dich mahnen muß, daß ich dich bitten muß,
die längst gestrichne Schulden heimzuzahlen,
die du noch2 in der Ammenstube machtest.
Als du und ich, zween Knaben wilder Art,
so brüderlich zusammen aufgewachsen,
als mein Gewissenswurm kein andrer war,
als mich von dir beschämt zu sehn3, ich endlich
mich kühn entschloß, dich gränzenlos zu lieben,
weil mich der Mut verließ, dir gleich zu seyn.
Da fieng ich an, mit tausend Zärtlichkeiten
und warmer Bruderliebe dich zu quälen,
Du, stolzes Herz, gabst sie mir kalt zurück.
Ich stand, und sah den Kuß, wornach ich geizte,
vorbei an mir auf fremde Wangen fallen,
oft stand ich da, und – doch, das sahst du nie –
und heiße schwere Tränentropfen hiengen
in meinem Aug, wenn du, mich überhüpfend,
Vasallenkinder in die Arme drücktest.
„Warum nur diese? rief ich weinend aus,
bin ich dir nicht auch herzlich gut?“ – Du aber,
du schieltest mich bedaurend an: „Nimm du
mit deinem Tron vorlieb – – Monarchenknabe!“

Marquis.
O stille, Prinz, von diesen kindischen
Geschichten, die mich jezt noch schaamroth machen.

Karlos.
Ich hatt es nicht um dich verdient. Verschmähen,
zerreißen konntest du mein Herz, doch nie
von dir entfernen – dreimal wiesest du
den Fürsten von dir, dreimal stand er wieder
als Bettler da, um Liebe dich zu flehn,
und dir gewaltsam Liebe aufzudringen.
Ein Zufall that, was Karlos nie gekonnt.
Einmal geschah’s, bei unsern Kinderspielen,
daß meines Vaters zahmer Pavian
dich ärgerte, der Pavian sein Liebling,
den er mit eigner Hand zu füttern pflegte.
Ein Messer warfest du nach ihm, das Thier
lief heulend zu dem König und blieb tod
zu seinen Füßen liegen. Rasend sprang
der König auf, ein schrecklicher Befehl
beruft die ganze Dienerschaft des Hofes
den Thäter zu erfragen. Der Monarch
schwört einen fürchterlichen Schwur, den Mord
des Thiers, und wärs an seinem eignen Kinde,
barbarisch zu bestrafen. – Damals sah ich
dich zitternd in der Ferne stehn, und jezt,
jezt trat ich vor, und warf mich zu den Füßen
des Königs hin „Ich that es, rief ich aus,
an deinem Sohn erfülle deine Rache.“

Marquis.
Nichts mehr, um Gotteswillen Prinz –

Karlos.
Sie wards.
Im Angesicht des ganzen Hofgesindes,
das mitleidsvoll im Kraise stand, ward sie
auf Sklavenart an deinem Karl vollzogen.
Ich sah auf dich und weinte nicht. Mein Blut,
das Blut von dreißig königlichen Ahnen
floß schändlich unter unbarmherzgen Streichen,
ich weinte nicht – des Schmerzens Uebermaaß
schlug meine Zähne knirschend aneinander,
ich sah auf dich, und weinte nicht. Mein Stolz
empörte sich, ich sagte zu mir selbst:
„Bin ich nicht ein gebohrner Fürst? Ists nicht
der Boden meines Erbreichs, wo ich jezt
gleich einem Wurm mich winden muß? Wer sind sie,
die diese knechtische Begegnung sehn?
Wie heißen sie, wenn ich ein Mann seyn werde?“
Jezt fühlt ich keine Ruthe mehr, nur diese
zermalmende Erinnerung – ein Blick –
ein Blick auf dich, ich war vergnügt. Den König
erbitterte des Knaben Heldenmut.
Drei fürchterliche Stunden zwang er mich
auf hartem Holz ihn knieend abzubüßen.
So hoch kam mir der Eigensinn zu stehn,
von Rodrigo geliebt zu seyn – Du kamst,
lautweinend sankst du mir zu Füßen: „Ja,
Ja! – riefst du aus – Mein Stolz ist überwunden –
ich will bezahlen, wenn du König bist.“

Marquis.
(in der heftigsten Aufwallung)
Und mich verleugne zwischen Tod und Leben
die himmlische Barmherzigkeit – das Thor
des Paradieses schlage eilend zu,
wenn einst mein abgeschiedner Geist dort landet,
die Auferstehung misse mein Gebein,
Gott meine Seele, wenn ich je – –