TÖDLICHER BEIFANG
1. FALL FÜR GAVIN CHANCE
AUS DEM ENGLISCHEN VON
TATJANA POKORNY
Für Garlinda, Bertie, Dave & Tim
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Anmerkung des Autors
Es lief alles so gut.
Solent City lag in nördlicher Richtung am Horizont. Im Süden waren das viktorianische Durcheinander von Cowes und die Pfeffertürme der Royal Yacht Squadron zu sehen. Als ich über die Schulter auf die herrliche blaue See blickte, befand sich die Army gut 20 Meter achteraus. Ihr Vorschiffsmann stand ganz vorn auf dem Bug des Bootes und zerrte an den Streben des Bugkorbs wie ein Gorilla im Zoo. Ein böser Gorilla. Er war sauer, weil der Mann am Mast ihn anschrie. Der Mann am Steuer war sauer, weil er nicht einen Hauch von Wind in die Segel bekam und weil sich die Polizei ihnen in den Weg gelegt hatte. Die Polizei, das waren ich, mein Mann am Großsegel, mein Taktiker und die fünf anderen Jungs, die übers Deck der Sigma stapften und sich bemühten, nicht allzu breit zu grinsen.
Ich sah den Army-Steuermann in sein Großsegel hochschauen. Ich sah, wie er etwas zu seinem Mann am Großsegel sagte. Ich sah ihn am Steuer etwas nachgeben, um aus unserem Windschatten herauszukommen, sich davonzuschleichen und einen Schlag in Richtung Ziel zu machen. Wir hatten noch zwei Bootslängen Vorsprung.
Er war ein netter Kerl, dieser Army-Steuermann, ein Sergeant mit Auszeichnung. Ich war ein Polizeiinspektor. Er hatte seine Auszeichnung bekommen, weil er mutig gewesen war. Ich war Inspektor geworden, weil ich eine Plage war.
»Mach das Gleiche und decke ihn«, sagte der Taktiker, ein Detective Constable der Kriminalpolizei in Poole.
Ich hatte bereits das gleiche Manöver eingeleitet, indem ich eine Kurve in die hübsche blaue See fuhr und damit ein Abbild der Kurve erzeugte, die die Army rund 20 Meter rechts hinter mir absolvierte. Aus dem Augenwinkel sah ich, ihre Geschwindigkeit zunehmen.
»Er wird wenden«, sagte der Taktiker.
Der Baum der Army ragte jetzt weit über die Steuerbordseite des Bootes hinaus. Er fuhr nun ziemlich genau auf uns zu. »Niemals«, sagte ich.
Der Taktiker war bei der Marine gewesen, bevor er zur Polizei ging. »Pongoes«, sagte er, einen alten abfälligen Begriff für Soldaten bemühend.
Der Großsegeltrimmer sagte: »Der Baum kommt rüber. Weiter. Weiter. Und Abflug. Am Arsch.«
Seine Flüche waren teilweise dem Umstand geschuldet, dass ich eine Crashwende gefahren hatte, um den Gegner zu decken. Vor allem aber der Tatsache, dass der Army-Mann in Luv auf der Wetterseite des Decks dem Baum nicht ausgewichen war. Ich sah den Baum auf die andere Seite fliegen. Ich sah, dass er den Mann auf Taillenhöhe erwischte. Ich sah ihn in hohem Bogen durch die Luft und ins Wasser fliegen. Und ich sagte: »Trimm!«, während ich das Steuer durch meine Hände gleiten ließ, damit wir in einem großen Bogen halsen konnten, plötzlich im Wind standen und den Mann im Wasser längsseits erreichten. Alles flatterte, damit zwei bullige Constables ihre Arme über die Seite strecken und ihn durch die Reling reinziehen konnten.
»Willkommen an Bord«, sagte ich. Er prustete in meine Richtung und sah wütend aus. »Wir bringen Sie zurück, wenn Sie wollen«, sagte ich. Er grinste, schüttelte den Kopf und dankte uns. Inzwischen hatte der Mann am Großsegel die Großschot eingeholt. Die Genuawinsch rasselte. Wir glitten längsseits des Army-Bootes und gaben ihnen ihren Mann zurück, obwohl ihren Gesichtszügen nach zu urteilen nicht alle besonders glücklich darüber zu sein schienen, ihn zu sehen. Dann zogen wir in Richtung Ziellinie davon, die wir mit vollen zwei Minuten Vorsprung erreichten. Du meine Güte, fühlten wir uns gut.
Noch selbstgefälliger gingen wir später den Rasen hinunter zum Wasser, unsere Augen auf eine ältere Dame mit Hut und in weißen Handschuhen gerichtet, die eine Rede hielt. »In diesem Jahr geht der Alban Cup für Matchracing an die Polizei«, sagte sie. Strahlendes Lächeln. Ich trat vor und nahm die Trophäe in Empfang. »Viel Glück bei Olympia«, sagte sie.
Ich verbeugte mich und murmelte etwas von Teamwork, dann mischte ich mich wieder unter die Leute. Die meisten kannte ich nicht. Doch das war mir egal, denn sie kannten mich, den glänzenden Hoffnungsträger der Polizei und des Segelsports. Ich bekundete dem Army-Skipper mein sportliches Mitgefühl und leerte drei Gläser Champagner in doppelter Geschwindigkeit. Dann bemerkte ich eine große blonde Frau, die mich über die Menge hinweg mit mehr als nur freundlicher Wärme anlächelte. »Aber hallo!«, dachte ich, bevor ich auf sie zusteuerte.
Von da an ging es nur noch bergab.
Als das alles hier drei Jahre später beginnt, bin ich Yachtmakler. Ich weiß, was ihr jetzt denkt. Blaue Cocktails, weiße Kissen, Immobilienmakler im Salon. Yacht ist ein großes und gewichtiges Wort. Es riecht nach Geld. Doch wenn wir darüber reden, was ich mache, dann ist das Wort mit der entscheidenden Botschaft nicht Yacht, sondern Broker, wie »broken« – kaputt.
Willkommen also in meinem schicken Hightech-Büro im Steuerhaus meines Luxusschleppers, der am Fischsteg in Achnabuie vertäut ist. Mit Klappstühlen, die aus der Stadthalle geklaut sind, dem State-of-the-Art-Murphy-Aschenbecher (leicht angekokelt) und dem Schreibtisch aus alten Army-Beständen, gekrönt von dem Secondhand-Dell-Computer. Da drüben ist der Schreibtisch meiner großen, loyalen und sehr attraktiven Assistentin Maureen Cameron, der ihr gute Dienste an den seltenen Tagen leistet, an denen sie zur Arbeit kommt.
Sie weist oft darauf hin, dass der Schlepper kalt und feucht ist. Auch gibt es nur sehr wenig Arbeit zu erledigen. Und sie bekommt dafür sehr wenig Geld. Also kann sie ebenso gut in ihrem warmen Haus bleiben, was sie normalerweise auch tut. Manchmal habe ich das Gefühl, sie hätte mich gern an ihrer Seite in diesem Haus. Ich denke darüber von Zeit zu Zeit nach, aber irgendwie habe ich noch nicht den richtigen Zeitpunkt gefunden nachzufragen.
Hinter den Fenstern des Steuerhauses erstreckt sich die glorreiche Riviera von Achnabuie: ein Sammelsurium von Moorings, 13 Boote, abgedeckt von Bradshaw-Persenningen, die unter Regenlachen in sich zusammengesackt sind, ein paar mit Wasser und Mückenlarven gefüllte Überbleibsel und ein Schlosspark, der im Hochsommer von Masochisten aus Leicestershire besucht wird.
Momentan ist kein Hochsommer. Nicht einmal Frühsommer. Der Herbst kommt, und das hier ist Schottland. Also regnet es. Die Werft ist dennoch voller Leben, es herrscht rege Betriebsamkeit. Was daran liegt, dass sie nur klein ist. Georgie Strother ist riesig genug, um einen viel größeren Ort auszufüllen als diesen, wenn er durch die Pfützen am Steg stapft. Vielleicht ist er für einen Schwatz übers Wetter rübergekommen. Obwohl sein Gesichtsausdruck anderes ahnen lässt. Ich bekomme ein leicht flaues Gefühl in der Magengegend. Das ist der Teil meines Umgangs mit Georgie, der mir Unbehagen verursacht. Ich steh auf, um zu gehen.
Zu spät.
Die Tür öffnet sich. Ein Geruch wie aus einer Trawlerkombüse weht herein, begleitet vom Aroma von Whisky, Schmierfett und einem langen Abgang geschmuggelter Bensons.
»Wie geht’s?«, sage ich und erwartete tatsächlich eine Antwort. Aber die bekomme ich nicht. Stattdessen kommt er rüber zu dem Tisch hinter mir, packt ihn mit zwei Händen und ballert ihn durch das Fenster des Steuerhauses in die See.
Es ist nicht unbedingt so, dass es mir etwas ausmacht, wenn Menschen meinen Tisch aus dem Fenster werfen. Aber ich denke, es wäre nett, dass – wenn sie sich auf diese Weise auszudrücken wünschen – sie das Fenster vorher öffnen.
Ich bewege mich vom Regenschauer und den Mücken weg. Und nebenbei auch von Georgie, der groß und rabiat genug ist, meinem Blutdruck nicht gutzutun. »Sollte ich vermuten, dass du nicht hier bist, um mir schönen Fisch zu bringen?«
»Was glaubst du?«, fragt Georgie.
Wir ehemaligen Polizisten sind ziemlich feinfühlig, und ein Yachtmakler ist nichts ohne Intuition. »Ich glaube, es gibt ein Problem«, sage ich. »Wirst du mir erzählen, worum es geht?«
»Es gibt keinen Fisch«, schnaubt Georgie, »ich gebe meinen Fisch nicht an verfickte Ärsche, die mein Boot stehlen. Selbst wenn ich Fisch hätte, was mit einem gestohlenen Boot ja nicht der Fall sein wird, nicht wahr? Denn wie sollte ich ohne Boot Fisch bekommen?«
Wenn Georgie erst einmal auf diese Weise in Fahrt kommt, kann das den ganzen Tag andauern. Also sage ich: »Komm zum Punkt.«
Georgies Auge bleibt am Computer hängen, seine Finger spannen sich. Ich kann sehen, wie er plant, ihn dem Tisch hinterherzuschicken. Das ist nicht gut. In diesem Computer befand sich die Gavin Chance Marina in einem sonnenverwöhnten Hafen voll glänzender moderner Boote und nicht in einem dieser von Mücken besiedelten Sümpfe, die von Algen überwuchert waren. Es war wichtig, dass diese Vorstellung irgendwo existierte, auch wenn es nur auf einer rostigen Festplatte ist. Also bin ich sehr scharf darauf, diesen Computer auf meinem Tisch zu behalten, wo er seine Träume träumen kann und meinen Kunden hilft, die ihren zu träumen.
»Du weißt, um was es geht«, sagt er.
»Nein, weiß ich nicht«, antworte ich.
»Jemand hat das Boot gestohlen, das dein Partner mir verkauft hat.«
Mein Herz beginnt wie ein Expressaufzug zu sinken.
»Und«, sagt Georgie und schlägt nochmals in die gleiche Kerbe, »ich brauche es zurück, damit ich wieder fischen gehen kann.«
Ich kann sehen, dass er wieder loslegen will. »Dann melde es der Polizei«, sage ich.
An dieser Stelle wird Georgies Gesicht noch grimmiger. »Ich hasse die Polizei«, sagt er. »Abgesehen davon, habe ich keine Papiere für das Boot. Also werden sie mir nicht glauben. Du warst doch selbst einmal ein Polizist. Du wirst es finden.«
Es folgt eine Pause, in der ich mit meinem Zeh in einigen Glassplittern rühre. Er hatte recht mit meiner Vergangenheit in Sachen Strafverfolgung. Doch das weckt nicht den Wunsch in mir, nach seinem Boot zu suchen, das ich ihm in einem fairen Deal verkauft hatte. Abgesehen von den fehlenden Papieren, die noch kommen sollten. Das Boot war über meinen Partner Johnny Bonneville-Clark in das Maklergeschäft gekommen …
Jetzt sackt das Herz noch schneller.
»Ich werde dir deine verfickten Arme brechen«, sagt er.
»Der Polizei würde das nicht gefallen«, entgegne ich. Georgie steht unter dem Eindruck, ich hätte immer noch beste Beziehungen zur alten Truppe, und ich will ihm nicht wirklich erzählen, dass das nicht der Fall ist.
Er steht still da und atmet wie ein Bulle mit Asthma, und ich denke, ich hätte ihn beruhigt. Dann sagt er: »Nun, was weg ist, ist weg.« Dabei blinzelt er mich aus seinen kleinen schwarzen Augen an. »Immerhin bin ich ja versichert, richtig?«
Jetzt geht mein Herz auf Grund. »Ja«, sage ich, doch es ist, als würde ein anderer die Worte sprechen. »Sicher.« Ich wackel mit dem Kopf. »Aber es wird deinem Bonus für nicht geltend gemachte Ansprüche nicht gut tun.«
»Oder deinem«, sagt er. »Ja, wenn du mir nicht suchen hilfst, muss ich einfach zur Versicherung gehen.« Seine Augen irren wieder in Richtung Computer, und seine Salamifinger spannen sich.
»Also gut«, sage ich. »Wenn ich mich auf die Suche mache, was ist da für mich drin? Zeit ist Geld, weißt du.«
»Es dauert sehr lange, bis Arme wieder heilen«, sagt Klein Georgie und geht.
Ich sehe seinen klotzigen Schultern hinterher, die sich den Weg durch Regen und Mücken bahnen, und schreie: »Wann hast du denn dein Boot zuletzt gesehen?«
»Montagabend«, sagt er, ohne sich umzudrehen. »Ich habe es bei Drummie festgemacht. Das habe ich deinem Partner gesagt.« Er klettert ins Fahrerhaus seines Pick-ups, stößt eine Wolke schwarzen Rauches aus und ist weg.
Ich setze mich und hole ein paar Male tief Luft. Auf der Haben-Seite des Kontos war es schön, dass Georgie meinen Computer nicht ins Hafenwasser geworfen hat. Die Soll-Seite aber wiegt schwerer: Georgie hatte eine schöne fette Prämie für seine Bootsversicherung bezahlt, von der mir als Makler 20 Prozent zustanden. Unglücklicherweise blühte das Maklergeschäft nicht gerade, und diese 20 Prozent reichten nicht, um verschiedene Verbindlichkeiten zu bedienen, was insbesondere für bestimmte Zahlungen an den Vater meiner Ex-Frau galt. Also hatte ich Georgies Prämie zeitweise geborgt, ohne ihn mit der Information darüber zu belästigen, dass das der Fall war. Als ehemaliger Polizist bin ich mir im Klaren darüber, dass das irgendwie illegal ist. Und als der Besitzer zweier noch gesunder Arme bin ich stark daran interessiert, dass es auch so bleibt.
Ich nehme also den Telefonhörer in die Hand und rufe die Notfallglaser aus Oban zu mir. Dann suche ich bei Google Maps nach Drummie, und der Computer stürzt ab. Also ziehe ich den AA-Straßenatlas (AA = Automobile Association) von 2004 hervor und rufe Maureen an. Sie erklärt sich bereit, diesen Riesenjob für mich zu erledigen, der zweifellos in meiner Abwesenheit gelingen würde. Sie meint, dass sie noch nie von Drummie gehört hätte, und sagt mir, ich solle nach Hause eilen. Ich antworte ihr, dass ich das tun würde, und bin überrascht über die Wärme, die das in mir auslöst. Dann drücke ich bei meinem Land Rover N-Reg den Schnellstartknopf. Und schon rumpel ich den schmalen Schotterweg vom Hafen in Achnabuie hinauf, während ich die Karte auf meinen Knien studiere.
Als ich auf die Hauptstraße abbiege, höre ich plötzlich ein Heulen in meinem Ohr. Ich kann gerade noch rechtzeitig in die Eisen treten, um zu verhindern, von einer Lkw-Ladung Langustinen auf ihrem Weg nach Marseilles eingeseift zu werden. Ich seufze ein wenig und folge der kurvenreichen Straße nach Süden in Richtung Lochgilphead.
Das Telefon klingelt.
Schneller Blick in den Rückspiegel. Ein paar Schafe. Nehme ab. Schaue auf den Bildschirm. MIRANDA. Drücke den grünen Knopf. Sage: »Miranda?«
»Gavin.«
»Wie schön, dich zu hören.«
»Lügner«, entgegnet Miranda. Das ist kein verbales Vorspiel oder irgendetwas in der Art. Ich bin einmal mit Miranda verheiratet gewesen. Vermutlich will sie jetzt mit mir über die fällige Zahlung an ihren Vater sprechen. Die Zahlung nach der, die ich mit Georgies Mitteln bestritten hatte. Doch auch die sieht nach unvermeidlicher Verzögerung aufgrund operativer Schwierigkeiten aus. »Jetzt hör mir zu und leg nicht auf«, sagt Miranda. »Es geht nicht um Geld.«
»Ich bin ganz Ohr«, sage ich erleichtert.
»Es geht um Johnny«, sagt Miranda, »hast du ihn gesehen?«
»Nein. Gott sei Dank.«
»Bastard. Er ist verschwunden.«
»Er verschwindet ständig.«
Es herrscht Stille. Das war unbestreitbar. Schließlich sagt sie ohne viel Überzeugung: »Sei nicht so böse. Wenn du …«
Den Rest höre ich nicht. Da ist ein Auto im Rückspiegel, sehr fesch in seinem leuchtenden Dominodekor und mit blauen Lichtern auf dem Dach. Die Lichter beginnen zu blinken, und die Sirene legt los. Ich schalte das Telefon aus und werfe es in einer ballettartigen Bewegung weit nach hinten ins Auto. Mein Wagen stoppt. Die Diskokugel ebenfalls. Rumpel, rumpel, schon sind sie neben mir. Am Fenster taucht ein Gesicht auf. Es macht Lippenbewegungen wie ein Goldfisch, weil mein elektronischer Fensterheber kaputt ist. Ich öffne die Tür und beschere dem Constable damit einen scharfen Schlag auf die Kniescheibe. »Tut mir leid«, sage ich, »das Fenster klemmt. Ich bin gerade auf dem Weg, es reparieren zu lassen.«
Das Gesicht des Beamten bewegt sich nicht. Er fragt: »Haben Sie ein Mobiltelefon benutzt?«
»Ich?«, frage ich. »Das ist gegen das Gesetz.«
Er lächelt. Und sagt: »Führerschein?«
Ich zeige ihn. Ich weiß, was als Nächstes passieren wird. Er sagt: »Mr. Chance, wo kommen Sie her?«
»Achnabuie.«
»Und davor?«
»Aus dem Süden.«
Seine Mundwinkel verziehen sich nach unten. »Southampton?«
»Das ist richtig.«
Er geht den Führerschein, die MOT-Sicherheitsbestätigung (MOT = Ministry of Transport) und die Versicherungspapiere durch. Dann sagt er: »Und nun wollen wir uns das Telefonprotokoll ansehen?«
»Wenn Sie möchten.«
»Oder wollen wir nur das Strafmandat ausstellen?«
Ich sage: »Schreiben Sie das Strafmandat.« 60 £ für das Benutzen des Telefons beim Fahren. Drei Punkte, macht insgesamt neun, bleiben drei bis zum Führerscheinentzug. Die ersten hatte ich eine ganze Zeit nach dem Beginn des Ärgers erhalten. In nur einem Jahr würde ich also wieder bei sechs Punkten sein. Nach heutigen Standards war das wie ein Lottogewinn.
Der Polizist schreibt und reicht mir das Ticket. Er sagt: »Ich hasse korrupte Bullen.«
»Ich auch«, sage ich.
Es gibt einfach Dinge, die man wissen sollte.
Mein Name ist Gavin Chance, und ich bin ein Sohn der Südküste.
Viele denken dabei sofort an Mahagonibräune, Platinkreditkarte und einen puderblauen Mercedes. Ich nicht. Natürlich habe auch ich das Segeln gelernt, aber bei den Pfadfindern zur See und nicht bei glamourösen Weltmeisterschaften. Meine Kenntnisse nutzte ich vornehmlich, um mit Mädchen zum Zwecke der Unzucht einsame Strände anzusteuern, und später, um bei Olympia-Ausscheidungen aufzufallen.
Ich lernte gute Seemannschaft, indem ich Ankerplätze für die Westerly Centaur meines Vaters fand, die in der exakt richtigen Wassertiefe lagen, um vier stürmische Stunden mit leichter Grundberührung genießen zu können, was immer eine Gratwanderung zwischen dem Flottbleiben und der Havarie des Bootes mit sich brachte. Eine Nacht im romantischen Schein einer Mondsichel sorgte für eine Springflut, die mich mit Samantha Stead auflaufen ließ. Sie war die Tochter von Ricky Stead, damals und heute eine schillernde Figur in der Welt der Spielautomaten und der Gewalt entlang der Südküste. In Ricky vereinten sich das Temperament eines Vielfraßes und die Moral eines Ajatollahs. Als Samantha auf der umgebauten gepolsterten Sitzbank nackt in meinen Armen lag, sagte sie: »Mein Vater wird dich töten.« Dabei wand sie sich in nicht unangenehmer Weise.
Ich lachte herzlich und sagte: »Nur, wenn du es ihm erzählst.«
»Ich erzähle ihm immer alles«, sagte Samantha.
»Warum?«
»Weil er ein Bastard ist«, sagte Samantha und sog an meiner Unterlippe. »Hey, was ist denn mit dir los?«
»Zuckerschock«, sagte ich. In Wirklichkeit war es die Angst, die mich überkam, weil ich mich an Samanthas letzten Freund erinnerte, der mit Krücken im Pub erschienen war und mit neuer hoher Stimme gesprochen hatte, von der er behauptete, dass sie die Folge seines Sturzes von der Leiter gewesen war. Plötzlich vermutete ich, dass er nicht die ganze Wahrheit erzählt hatte.
Vielleicht war Samantha der Grund, dass ich zum Militär ging. Vielleicht ist mir aber auch nichts anderes eingefallen. Egal, ich wurde Soldat. Und ich segelte mehr. Es war die Zeit, in der intensiver über Olympia gesprochen wurde, wenn auch nicht direkt von mir. Es waren interessante Monate, in denen ich durch Bosnien und andere Gegenden kroch und ein Talent dafür entwickelte, Dinge inoffiziell in die Luft zu jagen. Das ging so weit, dass verschiedene Leute vorschlugen, ich sollte mich doch vielleicht bei der Sondereinheit für verdeckte Seeoperationen bewerben. Am Ende fand ich aber heraus, dass ich nicht gut genug darin war, Befehle zu befolgen, die ich nicht selbst gegeben hatte. Also verließ ich das Militär und ging zur Polizei. Die ersten neun Jahre dort habe ich damit verbracht, sehr, sehr geduldig zu sein. Ich hörte den Leuten zu, mit denen ich arbeitete und die in einer Sprache redeten, die immerfort seltsam klang. Dabei erwarb ich mir den Ruf eines unberechenbaren, aber nützlichen Elements. Zu der Zeit war ich zum Inspektor aufgestiegen und zählte auf dem Solent zu den Größen im Polizeisegelsport. Und so stand ich eines Tages auf dem Rasen in Cowes und wurde dieser großen blonden Frau namens Miranda Bonneville-Clark vorgestellt.
Man musste kein großer Detektiv sein, um Miranda zu erspähen. Sie trug ein Sommerkleid, eine Saphirhalskette, die schön zu ihren Augen passte, und ein Paar Cowboystiefel aus Echsenhaut. Sie unterhielt sich mit einem großen Kerl, der einen kalten Gesichtsausdruck und einen Kurzhaarschnitt trug. Aber eigentlich habe ich ihn gar nicht bemerkt. Ich sah nur diese blendend aussehende Frau, die mich mit der Kraft von einer Million Kerzenlichter anlächelte, während ich dort gebräunt und in meinem Polizeifleece stand. Mit ihr zu sprechen war, wie in eine Wanne mit Champagner zu fallen. Ich liebte es. Ich vermutete erst, dass es sich um ein gegenseitiges Gefühl handelte, als sie vorschlug, in die Rhododendren zu gehen und uns dort zu lieben. Durch einen qualvollen Nebel hörte ich mich sagen, dass ich das noch nie bei einem ersten Date gemacht hatte. Was ich aber wirklich meinte, war: nicht vor allen diesen anwesenden Polizisten.
Das zweite Date war anders. So wie auch das Leben von da an. Sie war schön und lustig und warmherzig, solange sie ihren Willen bekam. Wir zogen zusammen. Mein Leben in den eigenen vier Wänden wurde sehr aufregend. Doch bei der Arbeit lief es zunehmend schlecht. Mein Ruf des aufgeweckten bösen Buben half mir nicht mehr. Das Leben wurde dumpf. Wenn ich keine Verrückten in Altenheimen verhörte, dann durchsiebte ich Abwasserkanäle auf der Suche nach signifikanten Kondomen. Statt aufbauender Unterstützung erhielt ich Langweilerjobs. Irgendwann erwähnte ich das Miranda gegenüber. Sie sagte: »Du Ärmster! Das habe ich befürchtet.«
»Was?«
»Kennst du den Mann, mit dem ich an dem Tag zusammen war, als wir uns kennenlernten?«
»Hätte ich ihn mit dir daneben bemerken können?«
»Süß«, sagte sie mit einem Prinzessinnenlächeln. »Das war Bruce Wallace.«
»Oh«, sagte ich vage, weil ich an ihre Brüste dachte. Dann sagte ich: »Der stellvertretende Polizeichef Bruce Wallace?«
»Korrekt.«
»Oh.« Jetzt waren die Altersheime klar. Und die Suche nach Fingerabdrücken auf Klärbehältern. »Du warst seine Freundin?«
»Verlobte. Ich habe den Ring umgedreht, als ich dich sah. Du warst so hübsch.«
Ich sollte sagen, dass ich 1,73 Meter messe und mit großen Händen und Füßen breit genug bin, um als stämmig zu gelten. »Unwiderstehlich«, sagte ich.
»Ich habe dieses Ding mit Polizisten«, sagte sie, »insbesondere mit dir.«
»Hurra.«
Sie lachte. Wir lachten viel. Aber als wir damit aufgehört hatten, bekam ich eine erste Vorahnung, dass die Dinge möglicherweise nicht ganz richtig lagen.
Und dann entschieden wir uns zu heiraten, und sie stellte mich ihrem Bruder vor.
Doch genug davon, denn wir erreichen nun Drummie.
Drummie stellt sich als unordentlicher kleiner Häuserhaufen entlang des Clyde-Relief-Kanals heraus – ein Wasserweg, den jemand im 19. Jahrhundert in der Hoffnung gebaut hatte, dass Schiffe ihn zu Abkürzung auf dem Weg nach Glasgow nutzen würden. Das taten sie aber nicht. Vor allem, weil er zwölf Schleusen auf einer Distanz von zwei Seemeilen hatte und außerdem dort endete, wo das Geld ausgegangen war: auf halbem Weg den Berg hinauf. Entlang der Kanalufer reihen sich die Boote Bug an Heck. Hier liegen einige Motorsegler mit großen Steuerhäusern, die dem geübten Auge sagen: FERTIGSTELLUNG NOCH AUSSTEHEND – NICHT VERSICHERN. Eine Reihe Rümpfe ist in von Möwendreck geweißte Persenninge gehüllt. Eine kleine Flotte Fischerboote, die sich in unterschiedlichen Verfallsstadien befinden, liegt ebenfalls dort. Keines von ihnen, so stelle ich fest, ist das Boot, das ich Georgie verkauft hatte.
Ich klopfe an die Tür des ersten Hauses. Eine Frau öffnet. Sie trägt Perlen und einen Rock, der ihr fünf Jahre zu eng ist. Ihre Nägel sind blutrot lackiert. »Ja?«, fragt sie. Am Fuße ihres Gartens wächst eine Esche aus dem Steuerhausdach eines Krabbenkutters. Der Trawler stinkt, als hätte ihn jemand vor sechs Monaten mit vollem Laderaum hier festgemacht. Die Winkel ihres angemalten Mundes verziehen sich nach unten, als sie bemerkt, dass mein Wagen, die Disko, wie ein grünes Pferd im Nieselregen dampft.
»Ich suche den Schleusenwärter.«
Sie macht ein schnalzendes Geräusch. »Wollen Sie Ihr Boot hier herlegen?«
»Nein.«
Sie scheint mich deswegen ein bisschen lieber zu mögen.
»Sein Name ist Nairn«, sagt sie, »wenn er nicht im Haus ist, dann wird er im Queen’s sein.« Wieder macht sie das schnalzende Geräusch.
Das Haus des Schleusenwärters hat einen Lattenzaun. Auf dem daran genagelten abblätternden Schild steht: SCHLEUSEN-BERICHT PASSIERENDER FAHRZEUGE AN DEN SCHLEUSENWÄRTER – DER REIHENFOLGE NACH. Niemand öffnet die Tür, also gehe ich entlang der Schleusen zum Queen’s. Der Biergarten bietet eine feine Aussicht auf die Schleier von Nieselregen, die die Clyde hinauffegen. Die Bar ist eine Höhle, in deren Schatten sich die Figuren wie Fische bewegen. Ich stütze meinen Ellenbogen auf den Tresen und sage: »Einen Talisker bitte. Und ein Glas Wasser.«
Die Bardame erledigt ihren Job. Ich stütze beide Ellenbogen auf die Bar, schnuppere am Whisky, spüle ihn runter und nehme danach einen Schluck Wasser. Nicht, weil ich ein Kenner bin, sondern weil ich betrunken werde, wenn ich Whisky trinke. Ich sage: »Ich suche Mister Nairn.«
Die Schatten bewegen sich. Einer von ihnen sagt mit tiefer schulmeisterlicher Stimme: »Der bin ich.«
Ich gehe in Richtung der Stimme. Meine Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit. Nairn sitzt mit einigen anderen Männern über einen Tisch gebeugt. »Gavin Chance«, sage ich, »ich bin auf der Suche nach einem Boot.«
»Das sind viele«, sagt Nairn, und seine Gefährten geben zustimmende Geräusche von sich. Der gelbe Schein, der durch die Glasbausteine fällt, zeigt eine sandfarbene Schmachtlocke, eine Nase mit einem Sattel aus geplatzten Venen und wässrige blassbraune Augen.
»Einen Trawler«, präzisiere ich, »die SIRIUS GLEANER.«
Die Augen blinzeln. Der Handrücken schmiert das Wasser weg, das ausgetreten ist. »Sie ist im Kanal«, sagt er.
Ich trinke mehr Wasser. »Wo?«
»Über Schleuse zwei.«
»Zeigen Sie sie mir.«
»Es regnet.«
»Es gibt eine Belohnung.«
Wieder das Blinzeln. Er sagt: »Wenn ich sie Ihnen zeige, dann bekomme ich die Belohnung?«
»Ja, richtig.«
»Und die ist was?«
»Ein Prozentanteil vom Wert des Bootes.«
Schon ist er aufgestanden, einen Arm bereits im Mantel, und versucht, auch in den anderen hineinzukommen. Wir gehen hinaus ins Tageslicht, blinzeln und schauen uns an. Keiner von uns beiden scheint besonders davon beeindruckt, was er sieht. »Von weit her?«, fragt er.
»Südküste.« Was in einem gewissen Sinn stimmt.
Wir klettern ein paar Steinstufen hinauf und gehen an Schleuse zwei entlang. Durch das Haupttor dringt mit stetigem Brausen Wasser. »Das macht dich krank im Kopf«, sagt Nairn und spuckt ins Becken. »Das Boot ist da oben.« Er zeigt ohne aufzublicken nach oben.
Da ist kein Boot. »Wo?«, insistiere ich.
Das sommersprossige Gesicht dreht sich um. Die Augenbrauen ziehen sich zusammen. »Oh«, sagt die Stimme mit einem hörbaren Anflug von Überraschung. »Es ist weg.«
»Vor zwei oder drei Tagen«, sage ich, »offensichtlich. Haben Sie es nicht wegfahren sehen?«
»Nein«, sagt Nairn. Eine graue Zunge leckt über die Lippen.
»Sie sind der Schleusenwärter. Wie kann das angehen?«
Nairns Gesicht verzieht sich. Als ich noch Polizist war, hatte ich diesen Ausdruck öfter erlebt. Nairn würde nicht mehr sprechen, nicht unter diesen Umständen. Er wusste, dass er nicht so hätte spielen dürfen, wie er es getan hat. Der Drink hat ihm seine Pläne vernebelt. Jetzt würde er den Mund halten. Der Grund dafür war, dass er Angst hatte. Die Frage war: wovor?
Vielleicht könnte ich selbst ein wenig Angst einsetzen? »Blödsinn«, sage ich.
»Was?«
»Hier verschwindet nichts, ohne dass Sie es wissen. Da ist ein Schild an Ihrem Haus.«
»Niemand liest das. Nichts ist verschwunden.«
»Es gibt Leute, die wissen wollen, wohin das Boot verschwunden ist. Ernst zu nehmende Leute.«
Die mittelbraunen Augen ruhen in einer Art und Weise auf mir, die mir zeigt, dass ich keinen großen Eindruck auf ihn mache. »Versuchen Sie mir zu drohen?«, zischt er.
Ich gehe ein paar Schritte auf ihn zu, bis ich ein bisschen zu nah an ihm dran stehe. »Ich versuche es nicht. Ich tue es. Und nun hören Sie auf, mir Lügenmärchen aufzutischen.«
»Oh, okay.« Aus seiner Tasche zaubert er ein Mobiltelefon heraus. Er wählt schnell: Die 999 für den Polizeinotruf ist keine komplizierte Nummer. Die Sache geht in eine falsche Richtung und würde schon bald noch falscher laufen. Ich reiße ihm das Telefon aus der Hand und schleudere es ins Becken. »Hey!«, protestiert er, dreht sich um und läuft schlurfend auf das Haus am unteren Schleusenbecken zu.
Ich sehe ihm hinterher. »Exzellent, Chance«, denke ich. »Der einzige Mann, der dir hätte helfen können. Und du hast sein Telefon versenkt. Aber das ist okay. Er ist ein Lügner und ein Feigling und wird nicht die Polizei rufen.« Ich wende ihm meinen Rücken zu und gehe hinüber zum Haus der Dame mit den Perlen.
Sie öffnet die Tür schnell genug, um mir klarzumachen, dass sie uns beobachtet hat. Ihre Augen glänzen wie Perlen. »War er betrunken?«, fragt sie.
»Nicht sehr«, sage ich und atme in ihre Richtung aus, damit sie meine intensive Nüchternheit riechen kann. »Aber ich versuche ein Boot zu finden, und er wollte mir nichts sagen.«
»Er und seine Boote«, sagt die Frau. »Er hat kein Recht, Moorings auszubringen, wussten Sie das? Aber er tut es trotzdem und macht damit ein Vermögen, ein Vermögen. Und hier liegen sie dann und verbauen die Sicht, diese hässlichen verrotteten Dinger.«
»Schrecklich«, sage ich, »aber eines von ihnen ist verschwunden. Die SIRIUS GLEANER.«
»Wirklich?«, sagt sie mit einer Stimme, die mir verrät, dass sie ganz sicher keine Abonnentin von Ships Monthly ist.
»Ein grünes Boot«, sage ich, »es war hier drüben festgemacht.«
»Das ist fort«, sagt sie, »als Erstes vorgestern Morgen. Ich konnte nicht schlafen. Sorgen, wissen Sie. Ich meine, der Wert der Häuser ist nicht mehr, was er einmal war. Insbesondere angesichts dieser scheußlichen Rümpfe, die hier überall im Blickfeld parken. Ich habe sie durch die Schleuse runterfahren sehen. Eins weniger, dachte ich. Aber es wird immer neue geben …«
»Wie sind sie durch die Schleusen gekommen?«
»Im Boot.«
»Aber hatten sie Hilfe?«
»Ach so, ich verstehe. Ja, Jocky war dabei. Er hat ihnen, keine Ahnung wie, mit dem Betrieb der Schleusen geholfen. Was auch immer da zu tun ist.«
»Jocky?«
»Der lebt unten im But-and-Bens am Fluss. Der Vorgarten ist voller Müll. Sie können es nicht verfehlen.« Sie mustert mich von oben bis unten. »Ich bin übrigens Jean Craigie. Würden Sie gern eine Tasse Tee trinken?«
Sie war auf eine leicht altmodische Art tatsächlich ziemlich attraktiv. Ich öffne den Mund, um Ja zu sagen. Dann fühle ich einen plötzlichen Phantomschmerz in meinen Armen, als wären sie gebrochen. Klein Georgies Gesicht löscht ihres aus, und ich finde mich außerhalb des Hauses auf dem Weg entlang der Schleusen nach unten wieder.
Dabei kann ich die unterste Schleuse aus der Vogelperspektive sehen. Und vor dem Cottage des Schleusenwärters das blau leuchtende Schachbrettmuster eines Polizeiwagens. Nebst Mister Nairns im vertrauten Gespräch mit dem uniformierten Fahrer.
Ich begebe mich außer Sichtweite und gehe schnell in Richtung des But-and-Bens.
Jockys Müll ist eine gute Orientierungshilfe. Ich bahne mir den Weg durch ausgediente Bettgestelle und Fernseher zur Vordertür und klopfe heftig, bis sie geöffnet wird.
Jocky ist ein 70-jähriger kleinwüchsiger Alkoholiker. Er steht im Türrahmen und schaut mich mit seinen von Zypern-Sherry getrübten Augen an. »Was’n?«, nuschelt er.
»Polizei«, sage ich.
»Isch ha nix macht.«
»Dann werden Sie uns bei unseren Ermittlungen behilflich sein können«, sage ich.
Seine Augen wandern die Straße hinauf und wieder hinunter. »Kommse ins Haus rein«, sagt er.
»Nein«, sage ich, weil ich das Haus riechen kann. Und wichtiger noch, weil ich die Art schneller Antwort will, die mir nur starker Druck auf sein Ehrgefühl bescheren wird. »Sie haben der SIRIUS GLEANER runter durch die Schleusen geholfen, richtig?«
»Und?«, sagt er.
»Wer war an Bord?«
»Ein paar Jungs«, sagt Jocky, wobei er seine gelben und schwarzen Zähne zeigt – als hätte er eine Wespe im Mund.
»Jo«, sage ich, in seine Mundart verfallend. »Und wohin sind sie gefahren?«
»Das hamse mir nich wirklich anvertraut«, sagt Jocky, und seine Augen bewegen sich in einer Serie von Kreisen in Richtung meines Gürtels. Widerstrebend hole ich einen Zehner raus. Jocky streckt seine zitternde Hand aus und lässt die Banknote verschwinden. »Ich hörte jemanden Milford sagen«, sagt er.
»Milford?«
Aber die Tür ist schon ins Schloss gekracht, und ich höre, wie die Bolzen vorgeschoben werden, bäng, bäng. Ich schlage den Mantelkragen hoch und gehe zurück zu dem Platz, wo ich die Disko geparkt habe.
Der Polizeiwagen steht immer noch vor Nairns Haus, aber der Fahrer ist nicht zu sehen. Mein Wagen springt beim dritten Versuch an. Ich fahre in Richtung Glasgow, bis ich ein Café sehe. Ich gehe rein, trinke eine Tasse Tee und esse etwas namens Bridie, eine Art Fleischgebäck, und blättere dabei durch den AA-Straßenatlas, den Freund aller Flüchtlinge.
Es gibt sehr viele Milfords, darunter aber keines, das man mit einem Fischerboot erreichen kann, sofern es keine Räder hat. Also trinke ich eine weitere Tasse Tee, werfe einen Blick auf die an der Wand des Cafés hängende Karte von Großbritannien und frage mich, ob ich das Fett der Bridies jemals wieder von meinen Zähnen bekommen werde. Dann denke ich: Milford Haven. Und stöhne.
Milford Haven befindet sich an der untersten und äußersten linken Ecke von Wales. Es ist ein breiter Meeresarm, der viel von großen Frachtern und Fischerbooten genutzt wird, ganz zu schweigen von Yachten. Er liegt verdammt viele Meilen weit weg von Achnabuie. Es würde übernatürlicher Kräfte bedürfen, die Disko den ganzen Weg dorthin zu bringen. Und es ist auch keinesfalls sicher, dass ich die GLEANER bei meiner Ankunft dort vorfinden würde. Oder, dass ich irgendetwas würde tun können, wenn es doch so wäre. Es gibt aber auch eine gute Seite des Ganzen. Wenn der Südwesten von Wales schon eine weite Strecke von Achnabuie entfernt liegt, ist das gleichzeitig auch weit weg von Klein Georgie. Außerdem gibt es, soweit ich weiß, keine Bridies in Wales.
Also klettere ich wieder in die Disko und hinterlasse eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter, um Maureen wissen zu lassen, wo ich hinfahre. Dann fahre ich nach Milford Haven.
Es dauert satte zwölf Stunden, wenn ich die Stopps für Diesel, Öl, Öl und noch mehr Öl nicht mitzähle. Gerade als sich die Sonne über den Horizont und in den Regen erhebt, folge ich der Landstraße, die sich auf der Nordseite des Meeresarms an der Küste entlangschlängelt, vorbei an einer schmuddelig aussehenden Ölraffinerie und hinein in die grau-nassen Straßen von Milford Haven.
Die Milford Docks sind Wales größter Fischereihafen und verfügen über eine Schleuse, die sich immer zwei Stunden vor Hochwasser öffnet. Als ich ankomme, beherbergen die Docks gerade ein halbes Dutzend Fischerboote, von denen jedoch keines die SIRIUS GLEANER ist. Ich parke auf dem Tesco-Parkplatz beim Hafen, steige aus und laufe zwei Runden, um meine Glieder zu strecken. Dann klettere ich zurück in die Disko und beziehe dort meinen Beobachtungsposten. Der Regen hört auf. Die Schleuse öffnete sich. Es kommen ein paar Yachten herein. Dann schlafe ich ein.
Das Telefon weckt mich. Ich taste nach ihm und drücke ohne nachzudenken die grüne Taste. »Nun?«, sagt die Stimme an anderen Ende; es ist eine Stimme, die wie einer der Steinbrecher im Glensanda-Steinbruch von Fort William klingt. Die Stimme von Georgie, untermalt von einem aufheulenden Automotor im Hintergrund.
Meine Arme beginnen wie Zähne zu schmerzen. »Nun, was?«, versuche ich Zeit zu schinden.
»Hast du mein verficktes Boot gefunden?«, fragt Klein Georgie.
Ich öffne den Mund, um den hinter meinen Mandeln Schlange stehenden Ausreden den Weg zu ebnen. Die Windschutzscheibe ist von meinem Atem beschlagen. Ich wische ihn auf der Suche nach Klarheit weg, woraufhin vor mir das graue Wasser des Hafenbeckens erscheint. Daneben ein Schlepper und ein Saugbagger. Längsseits neben dem Bagger befindet sich ein grünes Fischerboot mit rostigen Streifen auf dem weißen Kajütaufbau. Es ist zu weit weg für mich, um die einzelnen Buchstaben lesen zu können. Aber das brauche ich auch nicht. Ich kenne dieses Boot. Es ist die SIRIUS GLEANER in voller Lebensgröße. Zwischen zwei geschlossenen Schleusentoren.
»Dein Boot?«, sage ich mit der überlegenen Sicherheit eines echten Profis, »das sehe ich gerade direkt vor mir.«
»Ich bin auf dem Weg«, sagt Klein Georgie und legt auf.
»Auf dem Weg?«, denke ich.
Das Telefon klingelt erneut. Die Stimme am anderen Ende klingt alt und kalt. Sie sagt: »Chance?«
Ich bestätige das.
»Maxwell«, sagt die Stimme, »haben Sie mein Boot verkauft?«
Mich überkommt ein Gefühl der Müdigkeit. Kapitän Maxwell ist ein pensionierter Kapitän der Handelsschifffahrt, der im Begriff ist, sich von seinem Leben auf See zu verabschieden. Ich habe seine alte klassische Kunststoffketsch an einer Mooring in Achnabuie. Noch immer hat sie niemand besichtigt. Aber ich sage: »Nächste Woche könnte jemand zur Besichtigung kommen.« Nun, das war ja immer möglich.
»Beeilen Sie sich«, sagt der Kapitän, »ich will das Geld.«
Ich lächle milde, als er grunzt und auflegt und mich meinen Erwägungen zur SIRIUS GLEANER überlässt.
Die SIRIUS GLEANER ist ein ziemlich typisches Fischerboot der alten Schule. Steuerhaus und Kajüte liegen achtern. Dazu vorn eine große Luke und ein Schutzdeck für den Fall von Ungemach bei der Arbeit auf dem Vorschiff. Weil es immer schwerer wird, Fische zu finden, hat jemand sie mehr für Transportzwecke denn für den Fischfang umgerüstet. Sie verfügt über hydraulische Lukenklappen, einen schönen neuen Ladebaum und Kühlaggregate, um die Ladung eiskalt zu halten. Das Schleppnetz in ihrem Heck ist nahezu überflüssig und scheint seinen Dienst als Schrottplatz zur See zu versehen. Tatsächlich sieht das Boot ein bisschen aus wie ein Saustall. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass es wieder einzufangen ist.
Es ist an der Zeit, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Doch eine schlaflose Nacht, gefolgt von einem dreistündigen Nickerchen auf dem Fahrersitz, hinterlässt reichlich Nebel in meinem Hirn. Das macht es nicht leichter auszutüfteln, welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Ein Anruf bei der Polizei birgt Probleme – keine Zeit, darauf jetzt näher einzugehen, aber glauben Sie mir. Auf der Haben-Seite sind die Schleusentore geschlossen. Also fährt das Boot erst mal nirgendwohin. Doch dann sehe ich Ungemach auf dem Weg vom Steuerhaus und an der Seite des Baggers in Richtung Kai hochkommen.
Sie sind zu zweit. Einer von ihnen hat die Ausmaße einer großen Limousine, der andere die eines Kleinwagens. Beide überqueren den Saugbagger mit nur zwei Schritten. Ich beobachte sie beim Umrunden des Kais und dem Betreten der Bar Lord Nelson. Keinen der beiden kenne ich. Ich sitze da und frage mich, was zu tun ist.
Nach einer Weile hat sich der Nebel in meinem Kopf ein wenig gelichtet, und ich beginne die Umrisse einiger unerfreulicher Ereignisse zu erkennen. Ich steige aus der Disko aus, um zu schauen, ob frische Luft guttun wird, und mache mich auf den Weg zum Büro des Schleusenwärters. »Wann ist die nächste Ausfahrt?«, frage ich.
Der Mann in der Box schaut auf mich herab und sieht, dass ich schmutzig und unrasiert und seinen üblichen Kunden auch in manch anderer Hinsicht ähnlich bin. »Halbe Stunde«, antwortet er.
Ich schaue auf meine Uhr. Es ist 12 Uhr mittags. Ich sage: »Dann möchte ich mit.« Er nickt und lächelt mit freundlichem Humor gegenüber dem Unerfahrenen. Ich gehe zurück zur Disko, hole einen Satz Ölzeug aus dem Kofferraum, schiebe meine Füße in die Hose und fühle mich beklommen. Ein Schritt nach dem anderen, wie sie im Blödsinn-Kapitel des AA zu sagen pflegen.
Also gehe ich Schritt für Schritt um den Kai. Schritt für Schritt kletterte ich die Eisenleiter hinunter auf das Deck des Saugbaggers, suche mir meinen Weg durch die Hydraulikarme und die Saugpumpen und erreiche die Reling. Hier mache ich eine Pause und betrachte das Deck der SIRIUS GLEANER. Ein sanftes Summen ist zu hören. Das werden die Kühlgeräte sein. Was bedeutet, dass Fisch im Laderaum ist. Was wiederum merkwürdig ist. Auf dem Weg von Clyde hierher dürfte eigentlich nicht viel Zeit zum Fischen geblieben sein. Und zwei Mann sind eine kleine Crew.
Während ich diesen Gedanken zu Ende führe, wird mir klar, dass ich das Deck der SIRIUS GLEANER bereits betreten habe. Ich achte darauf, das Steuerhaus zwischen mir und den Barfenstern des Lord Nelson zu behalten. Ich zittere, fühle etwas in meiner Hand und bemerke, dass es der Griff der Tür zum Steuerhaus ist. Der Griff dreht sich in meiner Hand. Die Tür schwingt auf. Jetzt bin ich drinnen und inhaliere das Geruchsgemisch aus verbranntem Fett und altem Fisch. Ich werfe ein Auge auf die Instrumente. Reichlich Diesel: Sie müssen an der Tankstelle gewesen sein, während ich mein dreistündiges Nickerchen in der Disko gemacht habe. Der Anlasserschlüssel steckt im Zündschloss. Ich meine, wer würde ein Fischerboot mit einer Crew von zwei Giganten stehlen, das in einer geschlossenen Schleuse festgebunden ist?
Ich, offensichtlich.
Mit meiner Hand drücke ich die Kraftstoffzufuhr voll durch. Ich drehe den Schlüssel zum Vorglühen. Dann drehe ich ihn weiter im Uhrzeigersinn, während meine Augen nervös zu den Fenstern des Lord Nelson hinüberschielen. Der Motor dreht sich. Ein Ruckeln geht durchs Deck. Eine verdammt große Donnerwolke aus schwarzem Rauch entweicht und schreit: »Schaut her! Ich stehle gerade euer Boot!« Als ich flüchtig hinüber zur Schleuse blicke, sehe ich, dass das Tor geöffnet ist. Ich greife zum Funkgerät. Dreist. »Milford-Schleuse. SIRIUS GLEANER«, sage ich, »ich verlasse den Hafen.«
Das Funkgerät quäkt, wann immer ich bereit sei. Ich hoffe, dass sie keinen Funk im Lord Nelson haben. Ich gehe übers Deck auf das Vorschiff. Es erscheint mir eine Meile lang, und auf halbem Weg verliere ich meine Nonchalance. Ich beuge mich runter, um die Kopfschläge von der Klampe zu nehmen. Als ich den letzten löse, höre ich das Getöse von rennenden Stiefeln auf der Art von Stahl, aus der sie die Decks von Saugbaggern machen. Ich schaue gerade noch rechtzeitig hoch, um zu sehen, wie das Licht von einer riesigen Gestalt aus dem Himmel ausgelöscht wird, unter der ich mit lautem Krachen zu Boden gehe, wobei ich mit meiner Stirn auf das Deck schlage. Ich sehe Sterne und habe höllische Schmerzen. Etwas legt sich um meinen Hals und beginnt sich zusammenzuziehen, und es wird unangenehm schwer zu atmen. Während die Lichter ausgehen und das Blut in meinen Ohren rauscht, nehme ich in Gedanken Abschied von den Menschen, die ich gemocht habe. Und von Achnabuie und dem Schlepper und Maureen. Es ist kein großes Leben gewesen.
Der Druck auf meinen Hals lässt nach, und eine Stimme sagt: »Du bist das?« Das auf mir lastende Gewicht löst sich. Und ich erkenne an seinem Atem, dass es sich hier um meinen hochgeschätzten Kunden Klein Georgie Strother handelt.
Erleichtert reibe ich mir die Kehle. Die Vorleine ist los, und die Bugspitze der GLEANER richtet sich in den Hafen hinein. »Achterleine«, krächze ich. Georgie starrt mich für einen Moment mit offenem Mund an. Dann wieselt er übers Deck nach achtern und ich hopple ihm hinterher, während ich in Richtung Lord Nelson schaue.
Keinerlei Bewegung.
Ich kupple ein und gebe langsam voraus. Die GLEANER kriecht durch den Hafen und zwängt sich in die Schleuse, bevor sich das Tor schließt. »Das war ziemlich knapp«, kommentiert der Schleusenwärter.
Er hat keine Ahnung.
Dann sitzen Georgie und ich nebeneinander und motoren sachte gegen die Querleine an, während ich meinen Nacken massiere, die Lord-Nelson-Seite der Schleuse beobachtete und das Wasser Teelöffel für Teelöffel aus der Kammer entweicht.
»Was ist dein Problem?«, sagt Georgie, »du siehst verängstigt aus. Wovor hast du denn Schiss? Das hier ist mein Boot. Maureen hat mir erzählt, dass du hierhergefahren bist. Ich wollte es selbst zurückholen, das ist alles.« Er sieht positiv erregt aus. Ich kann sehen, dass er bereits jetzt schon vergessen hat, wer das Boot gefunden hat. Und wer immerhin schon bis zum Losmachen der Vorleine gekommen ist, um es ihm zurückzubringen. »Und nun geht’s heim ins schöne Schottland.«
Ich will ihm von der exakten Größe der beiden Männer im Pub berichten, doch dafür hätte ich eine offene Luftröhre gebraucht. Meine tut zu sehr weh, und das Tor öffnet sich ohnehin gerade. Ich löse die Spring. Das Wasser brodelt unter dem Heckspiegel, und wir bewegen uns langsam vorwärts. Ein Schatten fällt über uns. Zwei Schatten; beide groß und dunkel. Ich schaue hoch. Das Lord Nelson hat ein paar seiner Trinker verloren. Sie stehen an der Schleuse und stören die Aufnahme eines Touristen, der versucht, ein Bild von uns tapferen Fischern für seinen Fotoklub zu bekommen. Der große Typ hat einen rasierten Schädel und ein etwas spitzes Kinn. Der kleinere hat fettige schulterlange Haare, die seine tätowierten Knastschwalben unter dem linken Ohrläppchen aber nicht verbergen können, und ein Gesicht, das aussieht, als sei es mit einem Laster kollidiert – der dabei zerstört worden ist.
Das Steuerhausfenster schießt hoch. Georgies Kopf erscheint. »Sind die das?«, fragt er.
»Mmh«, krächze ich.
»Alles klar!«, nickt Georgie und beginnt übergangslos zu brüllen: »Ihr Wichser! Ich sehe euch! Wenn ich euch jemals wieder zu Gesicht bekomme, dann könnt ihr eure verdammten Hurenmütter rufen, weil ihr dann kurz vor verdammt tot sein werdet, verstanden?«
Die Männer antworten nicht; jedenfalls nicht mit ihren Stimmen. Der große schickt mir ein Lächeln, das er von einem Hai gelernt haben muss. Der mit den Knasttätowierungen schiebt seinen Mantel zur Seite und kratzte sich an seinem Bierbauch. Mein Herz oder ein anderes Organ in seiner Nähe gefriert zu einem Eisklumpen. In seinem Gürtel steckt etwas, von dem mir die Kombination aus Militärerfahrung in Bosnien und Polizeitraining verrät, dass es der Kolben einer Pistole ist. Eine 22er-Präzisionspistole, klein, aber nützlich, und das nicht nur für Sportschützen.
Wir sind raus aus der Schleuse und im Kanal. Ich zeige den Männern meinen Mittelfinger und gehe auf wackligen Beinen zurück ins Steuerhaus. »Nun, das war das«, sagt Georgie jetzt ganz jovial. »Wir haben es gefunden, und wir haben es zurück.«
Ich bin so erleichtert, dass ich nicht mal den Plural mit ihm diskutiere. Er hat recht. Wir haben das Boot zurück. Der Besitz bedeutet nach dem Gesetz neun Punkte, obwohl niemand sagen kann, von wie vielen. Die Bugspitze der GLEANER zeigt auf die entfernt liegende Küste, während sie sich ihren Weg übers Wattenmeer und in den Kanal bahnt. Es ist vorbei.
Nein, ist es nicht. Mein Auto steht noch auf dem Parkplatz.
Ich hole Telefon und Portemonnaie raus und rufe den AA an. »Panne«, sage ich, erzähle ihnen eine erfundene Geschichte und gebe ihnen das Kennzeichen und den Standort der Disko durch. Der Himmel ist aufgeklart, und der Wind hat abgenommen. Die Häuser Milfords verteilen sich über den Hügel. In der Nähe des Tescos verbrennt jemand Müll. Der Rauch erscheint als schwarze Säule in der blauen Luft. Ich warte auf die Antwort der Frau am anderen Ende der Leitung.
»Wir haben da gerade jemanden«, sagt sie. »Sie haben Glück.«
»Hab ich, hab ich«, sage ich, erfüllt von meiner Genialität.
Sie scheint mit jemandem zu sprechen. Dann ist sie wieder in der Leitung und liest mir das Nummernschild vor. »Land Rover Discovery?«, fragt sie. »Sie möchten, dass er nach Achnabuie in Schottland gebracht wird?«
»Jawoll.«
»Unsere Vertreter vor Ort haben mir mitgeteilt, dass das Fahrzeug nicht in abschleppbarem Zustand ist.«
»Wieso das denn? Es ist erst 15 Jahre alt und für sein Alter in exzellentem Zustand.«
»Ja«, sagt die Dame. »Aber anscheinend brennt es gerade.«
Pause. Mein Herz sinkt.
»Ah«, sage ich. »Ich danke Ihnen. Dann kümmern Sie sich nicht weiter darum.« Und lege auf.
Ein Treffer zum Abschied.
Oder vielleicht einer zur Eröffnung.
Klein Georgie steuert. Er sieht aus, als hängt er seinen eigenen Gedanken nach, wenn man sie denn so nennen möchte.
Ich bin wütend. Was soll ich ohne Auto machen? Ich sage: »Willst du deinen Laster auch überprüfen?«
»Unser Davie hat ihn weggefahren. Er hat ihn auch hergefahren. Ein Rallyefahrer will er sein, unser Davie. Großartiger Junge, unser Davie …«
Ich nicke und tue mein Bestes, um zu lächeln. Um das Thema zu wechseln, sage ich: »Also haben wir eine Ladung Fisch?« Scheißkerle. Scheißkerle.
»Fühlt sich so an«, sagt Georgie und gibt dem Steuer einen kleinen Ruck. »Sie war leer, als ich sie in Drummie verlassen habe.« Der Hafen schrumpft achteraus, die Wasserfläche führt hinein in die dicht besetzten Verladepiers und die Krackanlagen der Ölraffinerie.