Ammianus-Verlag
Der Autor
Michael Kuhn, Jahrgang 1955, studierte in Aachen Geschichte und Politische Wissenschaften. Im Anschluss war er in unterschiedliche historische Projekten involviert, arbeitete in der Archäologie und organisierte im eigenen Unternehmen geschichtliche Events.
Das Anliegen, bei seinen Mitmenschen Interesse und Verständnis für die faszinierende Welt der Geschichte zu wecken, durchzieht seine bisherige Vita wie ein roter Faden.
2008 gründete er den Ammianus-Verlag und veröffentlichte seine spätrömische Trilogie um »Marcus – Soldat Roms«. 2010 folgte dann die Trilogie »Marcellus«, die im Frühmittelalter angesiedelt ist. Mit dem Zweiteiler »Sextus Valerius« kehrt Kuhn in die Antike zurück.
Auch diesem Roman ist eine umfangreiche Spurensuche angegliedert, die die Leser an die Truppenstandorte und Schauplätze im »wilden« Nordwesten des Imperiums diesseits und jenseits des Rheins führt.
www.ammianus.eu
Michael Kuhn
Sextus Valerius
Varusgold
Historischer Roman
Impressum
Erste Auflage November 2015
© 2015 Ammianus GbR Aachen
Alle Rechte vorbehalten. Der Druck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und Verbreitung des Werks in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf digitalem oder sonstigem Wege sowie die Verbreitung und Nutzung im Internet dürfen nur mit ausdrücklicher und schriftlicher Genehmigung des Verlags erfolgen. Jede unerlaubte Verwertung ist unzulässig und strafbar.
Umschlaggestaltung: Thomas Kuhn, unter Verwendung eines Fotos der Legio XXI Rapax
Lektorat: Martin Wagner
Korrektorat: Philipp Mattes
Karten: Hilâl Hansen-Ampah
Fotos im Innenteil: Michael Kuhn und Peter Bongartz
Satz: Michael Mingers
Druck: tz-verlag
Printausgabe-ISBN: 978-3-945025-07-9
Ebook-ISBN: 978-3-945025-32-1
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Widmung
In Erinnerung an Dr. Imke Ristow
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich allen danken, die zum Gelingen des Buches beigetragen haben.
Dr. Cliff A. Jost, Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesarchäologie, Außenstelle Koblenz,
Dr. Gerd Rupprecht, Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesarchäologie, Mainz,
Dr. Mario Becker, Usingen,
Dr. Tobias Schubert, Köln,
Dr. Mark Schrader, Stadtmuseum Bergkamen,
Dr. Jörg Fündling, Historisches Institut RWTH Aachen,
Dr. Rudolf Aßkamp, LWL Römermuseum Haltern,
Lukas Czerwinski MA, Legio Rapax,
Judith Vogt, Jenny Riemek, Juliana Polsterer, Andreas Schulte und Rainer Schulz haben als Testleser wertvolle Tipps und Anregungen beigesteuert.
Thomas Kuhn gab dem Cover seine künstlerische Gestalt.
Hilâl Hansen-Ampah erstellte die Karten.
Peter Bongartz erstellte und bearbeitete das Fotomaterial.
Sollte ich jemanden an dieser Stelle nicht bedacht haben, so bitte ich dies zu entschuldigen.
Prolog
»Türe zu!«, rief der grauhaarige Legionär. Ehe die Neuankömmlinge dem Begehren nachkamen, fegte ein zweiter Windstoß in die Baracke.
»Bei Pluto«, fluchte der untersetzte Tavernenwirt und wischte einige Blätter und Regenspritzer mit der Hand vom Tisch. »Wollt ihr uns umbringen?«
Grölen und empörte Rufe schlugen dem Signifer1 und seinen Begleitern, offenbar jungen Rekruten, entgegen.
Mit fahrigen Bewegungen stemmte sich der Größte der Jungen mit der Schulter gegen die Brettertür und legte den Riegel vor. Erst dann schlug er die Kapuze der Paenula2 zurück, fuhr sich mit dem Schweißtuch durch das feuchte Antlitz und suchte den Blick seines Vorgesetzten. Das aufgeweckte, offene Gesicht mit den stahlblauen Augen und dem dunklen Haar der Südländer war von der Anstrengung des Marsches gezeichnet. Er mochte vielleicht siebzehn Jahre zählen, das Mindestalter für den Eintritt in die Legion.
»Gut gemacht, Sextus.« Der Signifer nickte ihm kurz zu und schaute sich nach einem freien Tisch um.
Sextus rieb sich die Schulter, die leicht schmerzte.
»Warum hast du nicht gewartet?«, sprach ihn einer der Rekruten an. »Ich hätte dir geholfen.«
»Nicht nötig, Lucius. Die Tür hat nur geklemmt. Es war der Wind.«
»Trotzdem«, widersprach Lucius. »Wir sind Freunde. Wir haben uns geschworen, immer zusammenzuhalten. Die Legion ist kein Ort für Einzelkämpfer.«
Ein dumpfer Aufprall, begleitet von einem leisen Klirren, lenkte die Blicke des Signifers und seiner Rekruten an den Tisch des Grauhaarigen. »Zwei, drei, vier, sechs«, murmelte der Legionär. »Nichts.« Er schob den Würfelbecher seinem Sitznachbarn zu. »Du bist dran.« Mit einer raschen Bewegung nahm der Mann das lederne Gefäß, schüttelte es kurz und schlug es auf die rohen Bohlen der Tischplatte.
»Eins«, lachte der Graue. »Da ist eine Eins bei. Geld auf den Tisch.«
Der Würfler schüttelte ungläubig den Kopf. Dann fingerte er eine Münze aus seinem Beutel und legte sie auf den stattlichen Haufen in der Mitte des Tisches. »Fortuna ist nicht mit mir.«
»Was wollt ihr?«, fuhr der Tavernenwirt die Neuankömmlinge an. »Nehmt den Tisch dahinten oder macht, dass ihr wieder rauskommt. Er wies auf einen freien Tisch im Hintergrund der Schänke. »Lucilla! Bring ihnen Cervisia3 oder was sie sonst wollen.«
»Ja, Vater.« Ein dunkelhaariges, schlankes Mädchen, vielleicht siebzehn Jahre alt, erhob sich vom Tisch der Spieler und geleitete die Männer durch den Raum an ihre Plätze. Sie schenkte den neuen Gästen einen Blick aus ihren leicht schräggestellten braunen Augen, lächelte und streckte den Rücken, was ihre festen Brüste unter der wollenen Tunika zur Geltung brachte. Ein schönes Mädchen, das gelernt hatte, ihre Reize einzusetzen. Während der Signifer ihrem Augenaufschlag anerkennend begegnete, schauten die Rekruten verlegen zur Seite.
»Wein für alle«, verlangte der Offizier und streckte seine Beine unter dem Tisch, nachdem sie ihre Mäntel ausgezogen und Platz genommen hatten.
Mit seiner Körpergröße von sechs Fuß war der Signifer Kaeso eine beeindruckende Erscheinung, dazu breitschultrig und das wettergegerbte Gesicht mit dem energischen Kinn von Narben gezeichnet. So wie es sich für einen Feldzeichenträger und Geldverwalter einer Centurie gehörte – weshalb ihn der Centurio auch ausgewählt hatte, das schwierige Geschäft der Anwerbung zu übernehmen.
Mehr als sieben Stunden waren seit ihrem Aufbruch im Straßenposten Bodobriga4 vergangen, viel zu lange für die wenigen Meilen bis nach Confluentes5. Ein kleines, mit einer Holz-Erde-Mauer und einem Spitzgraben gesichertes Kastell am Zusammenfluss von Rhenus6 und Mosella7. Die wenigen Hütten des dazugehörigen Vicus8 gehörten Fischern und Handwerkern. Dazu kamen noch ein Bordell und die heruntergekommene Taverne, in der die Legionäre und Auxiliare9 ihren kargen Sold vertranken. Insgesamt hatten sie vier Tage von Mogontiacum10 bis hierhin gebraucht, es hatte die meiste Zeit wie aus Eimern geschüttet, und sie würden noch einmal so lange unterwegs sein, bis sie das Ziel ihres Marsches, das Legionslager Vetera11, erreichten. Aber nur dann, wenn es nicht weiter von morgens bis abends regnen würde. Und es war, so früh im Oktober, viel zu kalt für die Jahreszeit. Die Caligae12 schmerzten Kaeso an den Füßen. Obwohl er das Leder vor dem Aufbruch ausgiebig eingefettet hatte, würde es durch die Witterung bald brüchig werden. Und er hatte keine Lust, sich schon wieder ein neues Paar zuzulegen. Es dauerte, bis das Schuhwerk eingelaufen war und nicht mehr schmerzte.
»Keinen Wein, Signifer«, antwortete das Mädchen mit Bedauern. »Es gibt nur noch Cervisia. Der Patron hat es frisch angesetzt. Es schäumt noch.«
»Dann eben Cervisia«, murrte der Offizier. »Was gibt es zu essen?«
»Puls13. Mit Speck und frischen Kräutern.« Ein schalkhaftes Lächeln umspielte Lucillas Lippen. Sie wusste, dass die Gäste keine andere Wahl hatten. Es gab im Umkreis von mehreren Meilen keine andere Taverne. Der Offizier und die Rekruten mussten mit dem Vorlieb nehmen, was ihre karge Küche hergab. Soldatenkost gegen den Hunger und Cervisia für angenehme Träume. Sie schlug die Bestellung kurz im Kopf durch. »Das macht zwei Denare14 und fünf Asse15 für alle.«
»Bei Merkur, dem Gott der Händler und Diebe«, entfuhr es dem Signifer. »Habe ich Schweinebraten in Honig, Liquamen16 und Pinienkernen bestellt?«
»Das Leben ist teuer, Dominus«, entgegnete Lucilla. »Ihr könnt auch wieder gehen. Bis zur nächsten Taverne sind es fünf Meilen. Auch dort werdet ihr nichts anderes bekommen. Es gibt erst neue Ware, wenn das Wetter sich bessert.«
»Habt ihr denn einen Schlafplatz für mich und meine Rekruten?«
»Im Schuppen. Heu und Decken für zwei Denare. Wenn ihr sofort zahlt, habt ihr die Plätze sicher. Wer weiß, wer heute noch kommt.« Sie hielt dem Offizier die Handfläche der Rechten hin.
Der Signifer Kaeso verzog das breite Gesicht zu einer Grimasse, griff aber in seinen Beutel und zählte dem Mädchen die Münzen in die Hand. Dann besah er sich den Rest seiner Barschaft. »Rekruten«, begann er gedehnt. »Das Geld reicht nicht bis nach Vetera. Ich brauche von jedem noch einmal fünf Denare.«
»Dann bleiben mir nur noch zehn Denare von meinem Handgeld«, empörte sich der Rekrut Sextus, der die Türe zugestemmt hatte.
»Wie du willst, Sextus«, entgegnete der Signifer. »Bezahle deinen Teil selber. Es wird dann aber teurer.«
Der Rekrut Sextus schaute Lucilla an, die zustimmend nickte.
»Da«. Er knallte seine fünf Denare auf den Tisch und wandte sich ab. Der Junge war empört. Für fünf Denare, den halben Monatslohn eines Handwerkers, bekam man ein Paar genagelte Caligae, eine wollene Tunica und einen warmen Mantel.
Als Kaeso den Obulus seiner Rekruten im Beutel verstaut hatte, rief er das Mädchen wieder zu sich. »Lucilla, eine Runde Cervisia für meine Freunde.«
Bis auf Sextus stimmten die Rekruten begeistert zu. Er nahm den Becher, den Lucilla vor ihm abgestellt hatte und nahm einen Schluck.
In was für eine Gesellschaft war er da geraten? Er hatte sich alles ganz anders vorgestellt. Mit einem Empfehlungsschreiben seines Vaters versehen, hatte er den weiten Weg von seinem Dorf in Etrurien17 bis nach Mediolanum18 zu Fuß oder auf einem Ochsenkarren zurückgelegt. Dort war er auf Lucius getroffen, der wie er zur Legion wollte. Gemeinsam setzten sie ihren Weg ins ferne Germanien fort, wo neue Rekruten gesucht wurden.
Er hatte den älteren, untersetzten Jungen mit den ausdrucksstarken Augen und der vorspringenden Nase vom ersten Augenblick an gemocht. Das aschblonde Haar, auf dem ein rötlicher Schimmer lag, ließ auf eine gallische Herkunft schließen. Vielleicht war sein Vater den Reizen einer cisalpinischen Schönheit erlegen. Lucius stammte aus der Tribus Terentina19 in der Campania und hatte ebenfalls einen Onkel, der in der Legion gedient hatte. Sextus und Lucius hatten sich schnell angefreundet. Was Sextus an seinem neuen Freund missfiel, war dessen Hang zum Leichtsinn und die Leidenschaft für das Glücksspiel.
Nach einem beschwerlichen Marsch über die Alpen und dann weiter den Rhenus hinab gelangten sie schließlich nach Mogontiacum. Sie meldeten sich im Legionslager, wo sie vom Signifer Kaeso von der XVIII. Legion gemustert wurden. Nach einem kurzen Gespräch und einem flüchtigen Blick auf sein Empfehlungsschreiben hatte er sein Handgeld erhalten. Zwanzig Denare, mit denen er auch seine Reisekosten zu seinem Stationierungsort begleichen musste. Danach waren er und Lucius mit den anderen Neuankömmlingen, Bauernsöhne aus der Gallia Cisalpina20, in aller Eile vereidigt worden. Kaeso hatte einen Teil des Handgeldes direkt einbehalten; ein übliches Vorgehen, was eine sichere Ankunft der Neuen gewährleisten sollte. Mit Befremden hatte Sextus die Annäherung zwischen seinem Freund und dem Signifer aufgenommen. Je länger sie unterwegs waren, desto häufiger hockten die beiden zusammen. Zuweilen hatte Sextus das Gefühl, dass seine Anwesenheit den Freund und den Offizier störte. Er zog sich zurück und legte auch keinen Wert auf die Gesellschaft der Cisalpiner. Ungehobelte Gesellen, die, wer weiß wie, in den Besitz des römischen Bürgerrechts gekommen waren.
Ein Ausruf der Enttäuschung folgte dem Aufprall des Würfelbechers. »Hund«, jubelte der Graue. »Er hat den Hund geworfen. Merkur ist mit mir. Her mit dem Geld.«
»Ich habe genug«, stammelte der Verlierer, erhob sich von seinem Platz und wankte zur Tür.
»Was ist mit euch? Mut für ein Spielchen?« Der Graue wiegte den Würfelbecher in der Hand und schaute herausfordernd zum Tisch der Neuankömmlinge.
Kaeso lachte und gab Lucius einen Klaps auf die Schulter. »Zeig ihm, wem Fortuna gewogen ist.«
»Komm mit«, forderte Lucius seinen Freund Sextus auf und erhob sich.
Wie zufällig suchte er den Augenkontakt mit Lucilla, die ihn mit einer Geste aufforderte, zu folgen. Die anderen Gäste murmelten erwartungsvoll und bildeten einen Kreis um die neue Spielrunde.
»Was spielen wir?«, fragte Lucius.
»Das Venusspiel mit vier Würfeln«, antwortete der Herausforderer. »Bei einer Eins wandert eine Münze in den Topf.« Er wies auf die Mitte des Tisches. »Wer vier unterschiedliche Werte ohne die Eins und die Sechs wirft, bekommt das Geld. Desgleichen für den Venuswurf, das sind drei Sechsen.«
»Und was ist der Hund?«, fragte Sextus vorsichtig.
»Drei Einser, Junge. Wer den Hund würfelt scheidet aus.«
»Worum spielen wir?« Lucius holte seinen Beutel hervor. »As oder Doppelas21?«
»Sesterz22, wenn du dich traust.« Der Graue grinste und gewährte dabei einen Ausblick auf seine Zahnlücken.
»Gut«, bestätigte Lucius, während Sextus abwehrend die Hände hob.
»Lass dich nicht unterkriegen.« Lucilla war mit einem vollen Becher Cervisia hinter Sextus getreten. Dann beugte sie sich zu ihm herunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Rekrut wurde rot und es durchlief ihn heiß, als er die Brüste des Mädchens durch seine Tunika spürte.
»Ich bin dabei«, bestätigte er leise. »Aber nur ein Spiel.«
Der Graue streifte ihn mit einem verächtlichen Blick. »Dann lass es, bevor du dir in die Tunika machst.« Die Umstehenden lachten und Lucilla trat einen Schritt zurück.
»Wir werden sehen.« Sextus eilte sich, sein angeschlagenes Ansehen wieder herzustellen.
»Na also«, brummte Lucius, und Sextus spürte Lucillas Hand auf der Schulter.
Lucius begann.
»Sechs, drei, zwei, zwei«, zählte der Graue die Augen. »Nichts«.
Sextus und Lucius hatten jeweils eine Eins in ihrem Wurf und legten einen Sesterz in die Mitte. Sie spielten eine ganze Weile, und der Haufen der Münzen wuchs. Schließlich war es Lucius, dem der Gewinnwurf gelang.
»Zwei, Drei, Vier, Fünf«, rief Kaeso. »Gut gemacht. Das sind meine Rekruten.«
»Bei den Schwänzen des Höllenhundes«, fluchte der Graue, während Lucius seinem Freund zuzwinkerte.
Die beiden nächsten Spielrunden gingen ohne einen nennenswerten Gewinn an Lucius und den Grauen.
»Du bist ein würdiger Gegner«, lockte Lucius den Grauen. »Wollen wir den Einsatz nicht erhöhen? Denar?«
Sextus lehnte sofort entrüstet ab, was Lucilla mit einem Ausruf der Enttäuschung quittierte. Sie verließ ihren Platz und drängelte sich hinter Lucius. Alle Augen wandten sich nun dem Grauen zu, der nach einem Blick in die Runde zustimmte. Was nun folgte, sollte noch Wochen später für Gesprächsstoff in der Taverne sorgen.
Als hätten alle bösen Mächte ihre Hände im Spiel, gelang es keinem, den erlösenden Wurf zu machen. Der Haufen der Denare wuchs immer mehr an, bis den Zuschauern der Atem stockte. In der Mitte des Tisches lag der halbe Jahressold eines Gregarius23. Unbemerkt von den Zuschauern, deren Augen gebannt an den Münzen und den Würfeln hingen, hatten Lucius und der Signifer begonnen, flüchtige Blicke auszutauschen. Nur Sextus war die Zwiesprache der Gefährten nicht entgangen.
Wieder fluchte der Graue und warf einen Denar in die Mitte. Dann war die Reihe an Lucius, der ebenfalls zum wiederholten Mal hintereinander eine Eins in seinem Wurf hatte. Er griff in seinen Beutel und schaute verzweifelt hoch.
»Sextus«, wandte er sich hilfesuchend an den Freund. »Du musst mir aushelfen. Das war mein letzter Denar.«
»Dein Pech«, triumphierte der Graue. »Dann gehört alles mir.« Seine Hände zuckten nach vorn, bereit, das Silber zu sich herüberzuziehen.
»Sextus!«, rief Lucius vorwurfsvoll. »Lass mich nicht im Stich!«
»Hilf deinem Freund!« Lucilla stemmte beide Hände in die Hüften und fixierte den jungen Rekruten aus zusammengekniffenen Augen.
Widerwillig holte Sextus seinen Beutel hervor und warf Lucius einen Denar zu.
»Bei Venus«, rief eine spöttische Stimme. »Jetzt hat der Junge seinen ganzen Gewinn verloren. Lucilla muss ihn gleich trösten.« Ein dröhnendes Gelächter erschütterte die Taverne.
Dann hielten alle den Atem an, als der Graue seinen nächsten Wurf machte.
»Zwei Drei, Vier und Eins«, schrie Lucilla mit heller Stimme.
Lucius wischte sich den Schweiß von der Stirn, während sein Gegner ein besorgtes Gesicht machte. Sein Vorrat an Denaren schien ebenfalls zur Neige zu gehen. Dann fing sich der Graue wieder, und er schob Lucius den Becher zu. In diesem Augenblick machte Lucius eine ungeschickte Bewegung und wischte den Becher mitsamt den Würfeln vom Tisch.
»Bleib sitzen. Ich mach das.« Der Signifer schob die Umstehenden zur Seite und ließ sich auf die Knie herab. Dann klaubte er umständlich die Würfel zusammen, erhob sich und reichte seinem Rekruten das Spielgerät. Der lächelte und wog den Becher lange in der Rechten. Das Publikum hielt den Atem an, als er den Arm hob und den Becher in weitem Schwung auf den Tisch knallte.
»Venus«, kreischte Lucilla. »Der Venuswurf.« Sie fiel dem Gewinner um den Hals und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Alles drängte an den Tisch, um die drei Sechser zu sehen.
»Betrug«, schrie der Graue, sprang auf und riss den Pugio24 aus der Scheide. Sofort fielen ihm die Umstehenden in die Arme und entwanden ihm den scharfkantigen Dolch.
Sextus sah aus den Augenwinkeln, wie Kaeso den Becher und die Würfel an sich nahm und wieder auf den Tisch stellte.
»Überprüfe die Würfel. Da!« Er schob dem Grauen, der sich immer noch nicht beruhigt hatte, den Becher zu. Der langte hinein und wog die Würfel lange in den Händen. Dann machte er einige Probewürfe, von denen nur einer eine Sechs hergab. Schließlich schleuderte er Becher und Würfel durch die Taverne, riss die Tür auf und stürzte ins Freie.
»Cervisia für alle«, rief Lucius im Freudentaumel. Dann drückte er Sextus zwei Denare in die Hand. »Für deine Hilfe, Freund.«
»Sag mir«, raunte Sextus ihm zu, »ist das mit rechten Dingen zugegangen? Was hat Kaeso mit den Würfeln gemacht?«
Lucius lachte schallend. Dann legte er ihm den Arm um die Schulter und zog seinen Kopf zu sich heran. »Man muss sein Glück schon mal erzwingen, Sextus.«
Lange bevor der Signifer seine Rekruten aufforderte, sich in den Schuppen zur Nachtruhe zu begeben, hatten Lucius und Lucilla die Taverne verlassen. Als die beiden, eng umschlungen an Sextus‘ Platz vorbeikamen, warf das Mädchen ihm einen bedauernden Blick zu und zuckte leicht mit den Schultern. Dann hatten die beiden auch schon den Raum verlassen.
Zurück blieb ein nachdenklicher Rekrut, der den schalen Geschmack der Enttäuschung mit einem Schluck Cervisia hinunterspülte.
1 Feldzeichenträger in der römischen Legion
2 römischer Kapuzenmantel
3 Bier
4 Boppard
5 Koblenz
6 Rhein
7 Mosel
8 Dorf
9 Angehöriger der römischen Hilfstruppen
10 Mainz
11 Xanten
12 Sandalen
13 römischer Eintopf
14 Silbermünze
15 kleinste Bronzemünze
16 Fischsauce
17 die Toskana
18 Mailand
19 Verwaltungsbezirk in Kampanien (Süditalien)
20 Norditalien
21 kleinwertige Münzen
22 Bronzemünze
23 niedrigster Dienstgrad
24 Dolch