Klaus Günther
Das Hirn der Fußballprofis
Was der Fußball von neurobiologischer Forschung lernen kann
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Das Hirn der Fußballprofis
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ISBN 978-3-8403-3638-6
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Rund um den Globus jagen Freizeitkicker, Amateure und Professionals dem Fußball nach. Nicht nur Spieler, sondern auch diejenigen, die als Zuschauer präsent sind oder auch nur medial informiert werden, können sich der Faszination des Spiels nicht entziehen. Zu dieser Faszination gehört aber auch seine Irritation. Sie besteht darin, dass einerseits nach dem perfekten Spiel gesucht wird (Biermann, 2010/Untertitel), andererseits aber auch eingeräumt werden muss, dass Spiele jederzeit verloren gehen können. Dem entspricht, dass die Autoren eines ebenso fundierten wie reputierten Trainerlehrbuchs zum einen behaupten, im Fußball sei der Erfolg kein Zufallsprodukt, zum anderen jedoch zugeben, dass man keine Erfolgsgarantien geben könne (Bisanz & Gerisch, 2013). Hier zeigen sich zwei unvereinbare Positionen (Siegermentalität vs. Verliererrealität). Der Widerspruch wird sich kaum auflösen lassen. Und doch besteht ein offensichtliches Bedürfnis, ihn in der einen oder anderen Richtung zumindest abzuschwächen.
Der „Weltmeister“ Philipp Lahm gab diesem Bedürfnis nach, als er unmittelbar nach dem Gewinn des WM-Titels 2014 vom Posten des Kapitäns der Nationalmannschaft zurücktrat. Diese Entscheidung, künftig nicht mehr im Nationalteam, sondern nur noch beim FC Bayern München zu spielen, versuchte er, in einem Zeitungsartikel zu erläutern (DIE ZEIT, 24.07.2014). Für ihn sei klar, dass er als „Weltmeister in Brasilien“ den Höhepunkt seiner Karriere erreicht habe. Was im Nationalteam danach komme, liege für ihn im Schatten des brasilianischen Triumphs. Das hänge damit zusammen, so argumentierte Lahm, dass im Fußball „Sieg und Niederlage verdammt dicht beieinander“ lägen. Er befinde sich in seinem Beruf, wie andere Sportler auch, „in einer ständigen Abhängigkeit von Zufällen, von Dingen, die wir nicht beeinflussen können — manches ist einfach auch Glück“. Das ist die Anerkennung der Verliererrealität („keine Erfolgsgarantie“), eine Position, die Lahm vertritt, ohne auf die Gegenposition („kein Zufallsprodukt“) einzugehen.
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Philipp Lahms Hinweise auf „Glücksabhängigkeit“ und Verliererrealität passen zu Erfahrungen, die auch in anderen Lebensbereichen gemacht werden: Wenn Schauspielintendanten gehen, Regisseure keine Aufträge mehr bekommen oder Schauspieler nicht besetzt werden, so wird ihnen Glücklosigkeit nachgesagt. Auch erfolglosen Künstlern, scheiternden Politikern und Industriemanagern wird bescheinigt, sie seien in ihren Aktivitäten glücklos. Auch im Sport und dann speziell im hier interessierenden Fußball wird die Formel der Glücklosigkeit eingesetzt. Die Szene wimmelt nur so von glücklosen Spielern, Schiedsrichtern, Trainern, Vereinsvorständen. Mit Ausnahme des eher passiv beteiligten Publikums — unter Einschluss der Medien — ist niemand davor gefeit, in die Schublade der Glücklosigkeit gesteckt zu werden. Es herrscht Erklärungsnot. Man weiß nicht, woran es liegt, wenn bestehende Erwartungen nicht erfüllt werden. Man ärgert sich über den „Fußballgott“, den man „manchmal … echt zum Kotzen“ findet (Theweleit, 2004, S. 187). Aber man arrangiert sich.
Man nimmt hin, dass Spiele unerwartet gewonnen oder verloren werden. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf überraschend erfolglose Spiele. Zu solchen Überraschungen im Spielergebnis kommt es oft im Verlauf von nur wenigen Minuten, bevorzugt in der letzen Phase der regulären Spielzeit oder auch in der Nachspielzeit. Manchmal dauern sie aber auch länger. Ein legendäres Beispiel für den ersten Fall ist das vielfach in Erinnerung gerufene Finale der ersten Weltmeisterschaft nach dem Zweiten Weltkrieg (1950). Brasilien war gegenüber dem Gegner Uruguay hoch favorisiert. Um Weltmeister zu werden, hätte ein Unentschieden genügt. Jedoch glichen die Uruguayer die 1:0-Führung Brasiliens aus, gingen in den letzten 11 Spielminuten 2:1 in Führung und kamen so völlig unerwartet zum Titel.
Beide Varianten eines unerwarteten Spielausgangs wurden im Fußballjahr 2012 illustriert: Im Finale der Champions League zwischen Bayern München und dem FC Chelsea stand es bis kurz vor Schluss 1:0 für Bayern München. Indessen kassierten die Münchner in der Nachspielzeit ein Ausgleichstor und verloren dann das nachfolgende Elfmeterschießen. Den zweiten Fall repräsentiert das Qualifikationsspiel zur Weltmeisterschaft zwischen Deutschland und Schweden. Aus einem 4:0-Vorsprung der deutschen Mannschaft wurde in einem längeren Aufholvorgang ein 4:4. Mit diesem Spiel werden wir uns im Folgenden noch ausführlicher beschäftigen (Kap. V.2).
Nach Spielen dieser Art kommt es zu Kommentierungen wie: „So ist Fußball“, oder auch: „Manchmal gewinnt der Bessere“. Dabei steckt hinter solchen Einschätzungen die sehr oft ironisierend versteckte Enttäuschung darüber, dass sich „die bessere Mannschaft“ nicht durchgesetzt hat. Auf diese Weise artikuliert sich eine Auffassung, die Lahms Akzentuierung der Verliererrealität widerspricht. Es handelt sich um eine Position, die Fußball mit Siegermentalität und mit dem Anspruch verbindet, dass sich das Spiel perfektionieren lässt.
Um ein „Hochleistungsprodukt“ herzustellen, wird nach Spielern mit höchstem körperlich-technisch-taktischen Können gesucht. Es müssen Trainer verpflichtet werden, die dieses Spielerpotenzial intensiv entwickeln und auf dem Feld mit höchster spieltaktischer Kompetenz zur Geltung bringen. Niederlagen werden mit immer höheren Leistungsanforderungen beantwortet. Worum es geht, lässt sich spektakulär daran erkennen, dass die Vereine Spieler „auf Teufel komm raus“ verkaufen und neue Spieler anheuern. Entsprechend werden Trainer „in die Wüste geschickt“, noch bevor sie die Möglichkeit gehabt haben, ihre „Anleitungskompetenz“ über längere Zeit zu beweisen.
Die prononcierte Fixierung auf Leistung lässt sich den Antworten entnehmen, die improvisierend auf die Frage gegeben werden: Warum ging das Spiel verloren? Es werden Spieler genannt, über die beispielsweise gesagt wird: Hätte X die klare Tormöglichkeit in der 35. Minute genutzt, so wäre der Sieg seines Teams sicher gewesen; oder auch allgemeiner: Die Mannschaft, die ohne den verletzten Y antreten musste, hätte das Spiel mit Y nie verloren. Den Trainern wird eine unzulängliche konzeptionell-taktische Spielanlage vorgeworfen. Beispielsweise wird behauptet: Mit defensivem Spiel aus der Viererkette heraus und kluger Beschränkung auf eine einzige Sturmspitze wäre der Sieg sicher gewesen. Unter speziellen Gesichtspunkten der Leistung werden auch Schiedsrichter beurteilt. Auf ihr Konto geht etwa eine übersehene Abseitsstellung, die zum spielentscheidenden Tor geführt habe.
Obwohl sich Misserfolge nicht erklären und Fehlleistungen nicht präzise benennen lassen, werden Leistungsversprechen abgegeben. Es fehlt die Bereitschaft, den unvorhergesehenen Ausgang eines Spiels mit dem Faktor Glück/Zufall in Verbindung zu bringen. In einem Interview beantwortet der bekannte Fußballreporter Marcel Reif eine einschlägige Frage mit dem Hinweis: „Zufall lässt sich (durch Leistung) minimieren“ (18.08.14/Sat 1).
Als Philipp Lahm aus der erfolgreichen WM 2014 Konsequenzen zieht, belässt er es bei einer bloßen Feststellung der „Glücksabhängigkeit“ des Fußballs. Die Frage ist nur, was das für „Glücksdinge“ sind, die Spieler — man darf hinzufügen — Trainer, Vereinsvorstände und das Fußballpublikum „nicht beeinflussen können“. Parallel dazu fehlt es auch aufseiten der Akzentuierung des Perfektionsziels an Begründungen, warum — nach einem bekannten Slogan – gelten soll, dass sich das „Glück des Tüchtigen“ durchsetzt. Hier ist die Neurobiologie herausgefordert. Sie kann zeigen, warum der Fußball nicht nur „Körpersache“, sondern zugleich „Nervensache“ ist. Dabei verweisen im alltäglichen Diskurs verwendete Begriffe darauf, dass dem Sport und speziell dem Fußball eine mentale Komponente zugerechnet wird. Bislang fehlt es indessen an einer reflektierten Einbeziehung neurobiologischer Kenntnisse.
Es ist erstaunlich, wie naiv die gängige Betrachtung der Kopfarbeit über die komplexen Mechanismen der neuronalen Vermittlung hinweggeht. Das gilt im Besonderen für die Vorstellung vom Gehirn als einem „leeren Blatt“, auf dem von außen kommende Signale „notiert“ und dann umgesetzt werden. Es trifft auch auf mechanistische Metaphern zu, die in verschiedener Weise angewendet werden. Gehirne werden mit Maschinen verglichen, die über einfache Hebelwirkung und ineinandergreifende Zahnräder oder über Verbrennungsprozesse in Gang gehalten werden. Auch sind Metaphern und ist Vokabular aus der Welt des Computers etabliert, obwohl die meisten einschlägigen Lehrbücher entschieden darauf verweisen, dass der Vergleich mit den dort ablaufenden linearen Prozessen nicht angemessen ist.
Dabei fehlt es bei Beobachtern des Spiels keineswegs an einem prinzipiellen Verständnis dafür, dass das Geschehen auf dem Feld nicht nur von der Körperarbeit, sondern auch von der Kopfarbeit der Spieler abhängt und insoweit „Nervensache“ ist. Unklar bleibt jedoch, was genau gemeint ist, wenn behauptet wird, Spiele würden „in den Köpfen der Spieler entschieden". Nicht weniger geheimnisvoll ist die verbreitete Rede, dass der Ausgang von Spielen davon abhänge, ob Spieler „mentale Stärke" oder „mentale Schwäche" zeigen. Das erinnert an die gängige Vulgärpsychologie, zu der — mit einem unüberlegten Bezug zur Neurobiologie — beispielsweise die Bemerkung gehört: Zwischen diesen beiden Menschen „stimmt die Chemie nicht“. Dabei ist offensichtlich, dass in lockerer Weise darüber hinweggegangen wird, dass es hier nicht um chemische Prozesse zwischen zwei Menschen geht. Vielmehr gibt es im Gehirn zweier Menschen Mechanismen, die unter Beteiligung von „Chemie“ (darauf kommen wir zurück) dazu beitragen, dass die Kooperation zwischen Menschen — unter Vermittlung ihres Gehirns — gestört ist.
Auf solche Weise wird wichtigtuerisch der Eindruck erweckt, als befinde man sich auf der Höhe des gesellschaftlichen Fortschritts. Entsprechend werden ins Vokabular von Fußballkommentaren „neudeutsche“ Formulierungen und Begriffe eingeschleust, die zur Erhellung der Mechanismen, die im Gehirn (im zentralen Nervensystem) der Spieler ablaufen, so gut wie nichts beitragen. Das gilt etwa für den geheimnisumwitterten Begriff der Synapsen, von denen eher verlegen stammelnd gesagt wird, sie hätten sich „zusammengezogen“ oder auch „verkrampft“. Zu diesem neurobiologischen Kauderwelsch gehört beispielsweise auch der Kommentar eines Sportjournalisten der Süddeutschen Zeitung, der auf die genetische Abhängigkeit sowohl der Körperarbeit als auch der Kopfarbeit der Spieler hinweisen will. Wie wenig die Zusammenhänge interessieren, zeigt das Lob für den berühmten spanischen Mittelfeldregisseur Xabi Alonso, den der FC Bayern München angeheuert hat. Er habe „die DNA des Teams verändert“ (SZ, 15.09.14). Schon die Erwähnung individueller Erbanlagen als genetische Ausstattung eines Kollektivs zeigt, dass es sich hier nur um unkonzentriertes „Name Dropping“ handelt.
Eine ernsthaftere Beschäftigung mit der „mentalen Seite“ des Fußballs zeigt sich beim Coaching der Spieler. Die Vereine engagieren Psychologen und Psychotherapeuten, die nach dem Spiel und bei der Vorbereitung nachfolgender Spiele auf die geistige Verfassung der Spieler einwirken sollen. In Gesprächen soll das Vertrauen in ihre Leistungsfähigkeit gestärkt werden. Auch werden bestimmte Techniken eingesetzt, die dazu gedacht sind, die Spieler entspannt, speziell muskelentspannt, ins Spiel gehen zu lassen. Was bei solchen Ansätzen der Vor- und Nachbereitung (auf sie kommen wir in Kap. VII noch zurück) in den Köpfen der Spieler geschieht, bleibt jedoch unbearbeitet.
Beobachtungen, die auf die Dringlichkeit verweisen, den Fußball neurobiologisch zu fundieren, können an Sigmund Freuds immer wieder zitierter These anschließen, nach der Menschen nicht „Herr im eigenen Hause“ sind. Auf den Fußball bezogen, geht es um die Frage nach Fußballspielern als „Herren ihres eigenen Spiels“. Auf dem Stand der Forschung zu Freuds Zeiten waren empirische Belege noch nicht möglich, die sich — vor allem gestützt auf den Einsatz bildgebender Verfahren — in den Kap. II und III überblicksartig beibringen lassen.
Beim Blick in den neuropsychischen Apparat der Spieler, der ihre Bewegungen auf dem Feld vermittelt, müssen zwei Untersuchungsebenen berücksichtigt werden, eine Makroebene und eine Mikroebene. Es geht auf der Makroebene der neuronalen Netzwerke darum, zentrale Einsichten der neuronalen Bewusstseinsforschung auf den Fußball zu übertragen. Dabei ergibt sich für die neuronale Verarbeitung der Einflüsse, die auf dem Feld und vom Umfeld her auf die Spieler einwirken, vor allem das Folgende (vgl. Kap. II.3):
Ihre Bewegungen sind das Produkt des Zusammenwirkens vielfältiger Teile ihres neuronalen Apparats. Zu diesem gehören motorische Abschnitte, von denen es dann letztlich abhängt, was die Spieler auf dem Feld tun. Maßgeblich ist, dass die in den Netzwerken ablaufenden Prozesse zu einem überwiegenden Teil unbewusst bleiben. Unter solchen Bedingungen weitreichender „neuronaler Fremdherrschaft“ können die Spieler ihre netzwerkabhängige Motorik nur in sehr begrenztem Maße kontrollieren. Kann es daher verwundern, dass es zu ungeordneten Bewegungen, zu unbeabsichtigten Spielabläufen und zu überraschenden Spielergebnissen kommt?
Für die Mikroebene gelten die Einsichten der molekularen Hirnbiologie. Sie beziehen sich auf elektrochemische Austauschprozesse, die an den Kontaktstellen (Synapsen) zwischen den Neuronen und Interneuronen des neuronalen Apparats ablaufen. In diesen Prozessen, die von Botenstoffen beeinflusst und moduliert werden, kommt es entweder zur Weiterleitung oder zur Blockierung der einfließenden Impulse. Da die Austauschvorgänge nach dem Zufallsprinzip in einem gegenläufigen Hin und Her von „Anheizung“ und „Abkühlung“ erfolgen, zeigt sich das Folgende (vgl. Kap. II.4):
Die beschränkte Kontrollierbarkeit der neuronalen Abläufe, die sich auf der Makroebene erkennen lässt, hat auf der Mikroebene ihre Entsprechung. Daher wird noch deutlicher, wie „fremdbestimmt“ sich die Spieler auf dem Feld bewegen und warum es daher zu ebenso unvorhersehbaren Spielzügen wie unerwarteten Spielergebnissen kommt.
Man ist versucht, den geschilderten Widerspruch zwischen der Neigung zur Siegermentalität („kein Zufallsprodukt“) und dem Einverständnis mit der Verliererrealität („keine Erfolgsgarantie“) auf sich beruhen zu lassen. Dafür spricht die kaum bestreitbare und immer wieder bestätigte Beobachtung, dass Unsicherheiten über den Ausgang von Spielen gerade die Anziehungskraft des Fußballs ausmachen. In der mundartlichen Formulierung des legendären Trainers der 1954 siegreichen deutschen Nationalelf, Sepp Herberger, gilt dieser Reiz im Besonderen für Zuschauer: „Se wisse‘ net, wie’s ausgeht.“
Damit wäre die neurobiologische Sicht auf den Fußball von rein theoretischem Interesse. Es gibt jedoch einen Bezug zum Coaching. Ohne dass detaillierte Vorschläge zur Lösung spezieller Coachingprobleme erwartet werden dürfen, lässt sich zeigen, dass neurobiologische Kenntnisse von praktischer Bedeutung sein können. Klar werden kann, dass es einen Unterschied macht, ob das Coaching der neurobiologisch gestützten Lahm-Position folgt („keine Erfolgsgarantie“) oder an die Suche nach dem perfekten Spiel („kein Zufallsprodukt“) gekoppelt ist.
In Kap. I werden die Abläufe des Spiels auf dem Feld als „Körpersache“ beschrieben. Die Spieler konkurrierender Teams leisten Körperarbeit (Kap. I.1). Mit von der Partie sind in einem engeren Umfeld vor allem die Trainer, in einem weiteren Umfeld ein in sich gegliedertes Publikum. Auch diese Beteiligten zeigen Körpereinsatz (Kap. I.2).
Dem wird in Kap. II ein Blick auf die neurobiologischen Grundlagen des Spiels hinzugefügt. Es wird gezeigt, dass Fußball nicht nur als „Körpersache“, sondern immer zugleich als „Nervensache“ verstanden werden muss. Dieses Kapitel mutet dem Leser einen Sprung ins kalte Wasser der Neurobiologie zu. Dazu gehört zunächst die Beobachtung, dass einschlägige sportwissenschaftliche Untersuchungen ein neurobiologisches Defizit aufweisen (Kap. II.1). Damit verbinden sich allgemeine Hinweise darauf, dass die traditionelle Trennung zwischen Körper/Gehirn und Geist, die auch in den Sportdiskurs hineinreicht, sich nicht halten lässt (Kap. II.2).
Es folgt ein Einblick in neuere Ergebnisse der Forschung, die darauf hinweisen, dass es auf der Makroebene des Gehirns einen Unterschied zwischen neuronalen Aktivitätsmustern gibt, die bewusstes und unbewusstes Handeln/Fußballspielen vermitteln (Kap. II.3). Hinzugefügt wird eine überblicksartige Darstellung der Prozesse, die auf der Mikroebene des Gehirns ablaufen (Kap. II.4). Dabei geht es um unverzichtbare Grundkenntnisse über die elektrochemischen Austauschvorgänge, die an den Kontaktstellen der Neuronen (Synapsen) stattfinden. Über diese Mechanismen, die von Fachleuten „synaptische Übertragung“ genannt werden, wird alles vermittelt, was Menschen tun und werden speziell die körperlichen Bewegungen vermittelt, von denen es abhängt, ob die hier interessierenden Fußballspieler auf dem Feld siegen oder verlieren.
Die „synaptische Übertragung“, an der auch sogenannte Botenstoffe beteiligt sind, ist einerseits in lokalen Netzwerken verschaltet. Diese wiederum sind andererseits in umfassende Netzwerke eingefügt, in einen in sich gegliederten neuronalen Apparat. Im Folgenden wird er — bei Sigmund Freud war es noch der „psychische Apparat“ — oft einfach Apparat genannt. Seine Netzteile (Areale) sind Orte, die allein oder im Zusammenwirken mit anderen Teilen dafür zuständig sind, die ins Netz eingespeisten Impulse zu verarbeiten und weiterzuleiten. Insoweit handelt es sich um einen „Zuständigkeitsapparat“. An denselben Orten wird das, was aus den Impulsen arbeitsteilig gemacht wird, als Lernergebnis eingelagert. Insoweit handelt es sich um einen „Lernapparat“. Wenn auf den Kopf/die Köpfe der Spieler Bezug genommen wird, so zielt auch diese verkürzte Bezeichnung auf den neuronalen Apparat. Sie bezieht sich nicht auf das, was umgangssprachlich in der Regel gemeint ist, wenn zwischen Kopf und Herz unterschieden wird. Beide wirken im Apparat zusammen.
In den Kap. III und IV wird — auf die hier interessierenden Fußballspieler zugeschnitten — zusammenfassend dargestellt, welche Zuständigkeiten im Apparat verteilt, über Schaltstationen und Schaltkreise miteinander kombiniert sind. In Kap. III Kap. III.1Kap. III.2Kap. III.3