Ich, Romy
Tagebuch eines Lebens
Herausgegeben von Renate Seydel
Mit 3 Textillustrationen
sowie einem Rollenverzeichnis
für Film, Fernsehen und Theater
LangenMüller
Ich, Romy
Tagebuch eines Lebens
Herausgegeben von Renate Seydel
Mit 3 Textillustrationen
sowie einem Rollenverzeichnis
für Film, Fernsehen und Theater
LangenMüller
Im Gegensatz zur Print-Ausgabe enthält das ebook keinen Bildteil.
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unter www.langen-mueller-verlag.de
Überarbeitete Neuauflage 2016
© für die Originalausgabe: 1988 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
© für das ebook: 2016 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel
Umschlagmotiv: Eva Sereny/Camera Press/ Picture Press, Hamburg
Lektorat: Dr. Bernhard Struckmeyer
ISBN 978-3-7844-8249-1
Inhalt
Quelle
Vorwort
1938 – 1949
Meine Kindheit in Berchtesgaden
1949 – 1953
Mein Tagebuch: Internat Goldenstein bei Salzburg
1953 – 1955
Mein Tagebuch: Ich filme!
Wenn der weiße Flieder wieder blüht – Feuerwerk –
Mädchenjahre einer Königin – Die Deutschmeister –
Der letzte Mann – Sissi
1956 – 1958
Ich bin doch gar nicht so naiv
Sissi, die junge Kaiserin – Kitty und die große Welt –
Robinson soll nicht sterben – Monpti – Scampolo –
Schicksalsjahre einer Kaiserin – Mädchen in Uniform
11. Februar – 5. März 1957
Es waren zu viele Eindrücke
Reisen nach Indien und Ceylon
13. Januar – 5. Februar 1958
Mein amerikanisches Tagebuch
Reise nach New York und Hollywood
1958 – 1965
Nach all diesen Lügen
Christine – Die Halbzarte – Ein Engel auf Erden –
Die schöne Lügnerin – Katja – Die Sendung der Lysistrata –
Schade, daß sie eine Dirne ist – Boccaccio 70 –
Der Kampf auf der Insel – Die Möwe – Der Prozeß –
Die Sieger – Der Kardinal – Leih mir deinen Mann –
Was gibt‘s Neues, Pussy? – Die Hölle –
Halb elf in einer Sommernacht
1965 – 1967
Mein bürgerlicher Traum
Schornstein Nr. 4 – Spion zwischen zwei Fronten
Mein Vater Wolf Albach Retty,
18.5.1906 – 21.2.1967
1968 – 1969
Es hat alles wieder sehr gut angefangen
Otley – Der Swimmingpool – Inzest – Die Dinge des Lebens
1970 – 1974
Filmen – das ist für mich das wahre Leben
Die Geliebte des anderen – Bloomfield – La Califfa –
Das Mädchen und der Kommissar – Die Ermordung Trotzkis –
Ludwig II. – Cesar und Rosalie –
Le Train-Nur ein Hauch von Glück – Sommerliebelei –
Das wilde Schaf – Trio Infernal – Nachtblende –
Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen
1975 – 1980
Ich kann nichts im Leben – aber alles auf der Leinwand
Das alte Gewehr – Die Frau am Fenster – Mado –
Gruppenbild mit Dame – Eine einfache Geschichte –
Blutspur – Die Liebe einer Frau –
Der gekaufte Tod – Die Bankiersfrau
1981
Im Moment bin ich zu kaputt
Das Verhör – Die zwei Gesichter einer Frau
1981 – 1982
Woher kommt die Kraft, die mir hilft weiterzuleben?
Die Spaziergängerin von Sans-Souci
Rollenverzeichnis für Film, Fernsehen und Theater
Interview
Quelle
Es wurden Texte aus dem Buch von Rosa Albach-Retty So kurz sind hundert Jahre zitiert.
Weiterhin wurden Auszüge aus den Artikeln und Interviews aus folgenden Zeitungen und Zeitschriften mit freundlicher Genehmigung verwendet: Abendzeitung und Quick.
Außerdem wurden Aussagen von Romy Schneider aus den Zeitschriften Stern und Paris Match in den Text aufgenommen.
Alle anderen authentischen Äußerungen und Selbstaussagen von Romy Schneider aus den Jahren 1957–1982 sind hier im Sinne einer zusammenhängenden Autobiografie verwendet.
Vorwort
Die Schauspielerin Romy Schneider wurde nur 43 Jahre alt. Die Nachricht von ihrem Tode am 29. Mai 1982, die um die ganze Welt ging, bestürzte Millionen ihrer Zuschauer, vor allem aber ihre Freunde und Kollegen, traf ihre Familie tief. Weltberühmte Künstler, Persönlichkeiten von Rang und Namen erwiesen ihr die letzte Ehre. Unter ihnen auch jene, die ihr am nächsten standen: Alain Delon, Jean-Claude Brialy, Michel Piccoli, Jacques Rouffio, Yves Montand, Claude Sautet, Milos Forman. Sie und viele andere haben das Filmleben Romy Schneiders begleitet, das auf so tragische Weise in der Einsamkeit einer Pariser Wohnung sein plötzliches Ende fand.
Ihr Leben im Film war seit dem 14. Geburtstag auf das Engste verwoben mit ihrem wirklichen Leben, das 1938 in Wien begonnen hatte. Es folgten die Kinderjahre im elterlichen Haus Mariengrund bei Berchtesgaden, gemeinsam mit den Großeltern, die Schuljahre im Internat Goldenstein bei Salzburg unter der Obhut katholischer Schwestern. Schon im Internat beginnt Romy ihr Leben selbst zu beschreiben und sie wird dies in den unterschiedlichsten Formen bis wenige Tage vor ihrem Tod fortsetzen. Ihre authentischen Texte sind in diesem Buch erstmals zusammengefasst, sie geben einen geschlossenen Abriss ihres Lebens wieder.
Es sind persönliche Tagebuchaufzeichnungen, Mitteilungen an die Mutter und den Bruder, Eindrücke von Reisen durch Indien, Ceylon und Amerika, Beschreibungen der Filmarbeit mit Ernst Marischka, Helmut Käutner, Fritz Kortner, Luchino Visconti, Otto Preminger, Jacques Deray, Claude Sautet, Andrzej Zulawski, Claude Chabrol, Arbeitsstenogramme subtilster Art. Bewegende Liebesbekenntnisse aus den gemeinsamen Jahren mit Alain Delon stehen neben der Schilderung qualvoller Stationen ihrer Theaterarbeit auf einer Pariser Bühne, neben Briefen, Zeugnissen der Selbstbesinnung und der Selbsterkenntnis. Das Streben nach Glück, Harmonie, nach der Erfüllung im Beruf, nach Liebe, nach Bewährung – es spricht aus jeder Zeile des Geschriebenen.
Aus dem hier zusammengefügten Tagebuch eines Lebens wird so das Bild der wohl bedeutendsten Künstlerin dieser Jahrzehnte lebendig, die in unvergleichbarer Weise ihr Publikum faszinierte. Doch nicht nur die Verkörperung der glanzvollen Rollen der frühen Filme wie der königlichen Sissi, der Manuela in Mädchen in Uniform, der ersten großen Filme in Frankreich und schließlich der Spaziergängerin von Sanssoussi war es, die Herz und Verstand der Besucher gefangennahm, es war ebenso die schicksalhafte Verflechtung des Schauspielerberufes mit dem privaten Leben, welches die Persönlichkeit Romy Schneiders immer wieder in den Mittelpunkt anteilnehmenden Interesses, aber auch sensationslüsterner Neugier rückte. Strahlt sie in ihren Filmen zumeist ungebrochene Schönheit, Lebensenergie und menschliche Tiefe aus, so zerbrach ihr persönliches Leben an unlösbaren Konflikten, an der Unvereinbarkeit ihrer Berufung zur Schauspielerin mit dem normalen Alltagsleben.
Die frühen Jahre der spontanen Lösung aus einer wohlgeordneten bürgerlichen Welt an der Seite des jungen Alain Delon in Paris sind die erste wesentliche Entwicklungsphase auf dem Weg zur großen internationalen Künstlerin. Die darauffolgende Zuflucht in die Ehe mit dem Schauspieler und Regisseur Harry Meyen erwies sich als ebenso trügerisch wie die Hoffnung, an der Seite Daniel Biasinis, ihrem zweiten Mann, ein harmonisches Leben führen zu können.
Schließlich waren es ihr Sohn David und ihre Tochter Sarah, die ihrem Leben einen Halt gaben durch die Verpflichtung der Sorge um sie. Doch dieser Halt zerbrach plötzlich, als David im Alter von vierzehn Jahren einen tödlichen Unfall erlitt, nachdem schon zwei Jahre zuvor sein Vater Harry Meyen sein Leben selbst beendet hatte.
Letzter verzweifelter Halt wurde schließlich ganz und gar die Filmarbeit, der sich Romy Schneider bis zur völligen Erschöpfung hingab. Die Uraufführung ihres Films Die Spaziergängerin von Sanssouci überlebte sie nur wenige Wochen.
In diesem Buch erzählt Romy Schneider ihr Leben mit großer Offenheit, kritisch und engagiert, sie bekennt sich zu ihren Träumen und Sehnsüchten, aber auch zu ihren Enttäuschungen und Niederlagen. Schonungslos sich selbst gegenüber, ist sie sich dennoch ihres Wertes bewusst, die Personen und Ereignisse ihres Lebensumfeldes wertet sie gerecht, zugleich verständnisvoll.
Seit ihrem ersten Film Wenn der weiße Flieder wieder blüht wirkte Romy Schneider in 58 Filmen mit, und über die Stationen Wien, Berlin, Paris und Hollywood wurde sie in Frankreich zu einem großen Star.
Unvergesslich sind ihre Rollen in Sissi, Monpti, Der Swimmingpool, Das Mädchen und der Kommissar, Die Dinge des Lebens, Cesar und Rosalie, Nachtblende, Eine einfache Geschichte. Unvergesslich ist auch das Zusammenspiel mit ihren weltberühmten Partnern: Willy Fritsch, Paul Klinger, Lilli Palmer, Karl Schönböck, Karlheinz Böhm, Gustav Knuth, Magda Schneider, Hans Moser, Paul Hörbiger, Hans Albers, O.E. Hasse, Erich Ponto, Horst Buchholz, Paul Hubschmid, Alain Delon, Jean-Claude Pascal, Curd Jürgens, Jean-Louis Trintignant, Orson Welles, Anthony Perkins, Raf Vallone, Jack Lemmon, Peter O’Toole, Melina Mercouri, Christopher Plummer, Maurice Ronet, Michel Piccoli, Ugo Tognazzi, Richard Burton, Helmut Berger, Yves Montand, Rod Steiger, Philippe Noiret, Claude Brasseur, Lino Ventura und schließlich Marcello Mastroianni.
Vor den Augen des Lesers entsteht so in diesem Buch das Bild eines außergewöhnlichen Künstlerlebens, wie es farbiger und spannungsreicher nicht sein kann und das durch seine Natürlichkeit und Kompromisslosigkeit jeden in seinen Bann zieht.
Ergänzend noch einige editorische Vorbemerkungen. Dieses Buch ist Autobiografie und Biografie zugleich. Es umspannt ein Künstlerleben, das sich in nahezu 60 Filmen äußerte, und enthüllt den Menschen Romy Schneider. Beginnend mit den Hoffnungen und Träumen der Mädchenjahre, den Höhenflügen der ersten Erfolge bis hin zur künstlerischen Reife in den späten großen Filmen und zur tiefen Tragik eines Lebens, das schließlich daran zerbrach, privates Glücksstreben und künstlerische Arbeit in eine harmonische Übereinstimmung bringen zu wollen.
Erstmals in dieser Art zusammengefasst wurden eigene Texte Romy Schneiders. Sie beginnen mit Tagebuchaufzeichnungen der Dreizehnjährigen, setzen sich fort mit Äußerungen und Gedanken, die in den verschiedensten Formen die Öffentlichkeit erreichten – als Reiseberichte, Briefe und Erlebnisschilderungen. Sie umspannen auch dokumentarisch jene Lebensjahre, in denen Romy Schneider lieber schwieg, als sich zu äußern, und sich darauf beschränkte, in Mitteilungen an Freunde oder in anderen authentischen Dokumenten ihre Gedanken und Ansichten darzulegen, oft spontan und dem Impuls des Augenblicks folgend.
Der Gliederung in die einzelnen Kapitel lag der Gedanke zugrunde, dem Leser in überschaubarer Weise die einzelnen Stationen dieses außergewöhnlichen Lebens nachvollziehbar zu machen.
Vorangestellt sind jeweils Texte, welche die für das Verständnis der Zusammenhänge notwendigen Lebens- und Zeitdaten vermitteln, wobei vorhandene Lücken im Text sinnvoll durch Informationen zu schließen waren. Doch nicht der genaue Lebensabriss in allen Einzelheiten ist das Ziel des Buches, sondern der Entwurf des Bildes einer großen Künstlerin, die in ihren Schwächen und Stärken ganz ihrer Zeit angehörte.
Die beigegebenen Bilder, von denen eine nicht geringe Zahl erstmals in dieser Form veröffentlicht wird, dokumentieren in subjektiver Auswahl den Lebensweg, aber auch den Weg dieser einmaligen Künstlerin, von der Luchino Visconti sagte, dass sie »eine der genialsten Schauspielerinnen Europas« und »einer der letzten echten Weltstars« war. Es sind persönliche Fotos aus der Tagen der Kindheit, der Jugend und der späteren Jahre bis hin zum tragischen Lebensende im Jahre 1982 in Paris.
Verzichtet wurde auf eine bildliche Dokumentation der Filme, doch erfolgte eine Konzentration auf die Darstellung der Künstlerin Romy Schneider mit den Partnern, mit denen sie weltberühmt wurde.
Das Buch soll das Bild dieser wohl außergewöhnlichsten Schauspielerin der Nachkriegszeit in unserer Erinnerung wachhalten.
Renate Seydel
1938 – 1949
Meine Kindheit in Berchtesgaden
Rosemarie Albach wird am 23. September 1938 in Wien geboren. Da die Filmarbeit beide Eltern, Magda Schneider und Wolf Albach-Retty, ganz in Anspruch nimmt, verlebt Romy ihre Kindheit bei den Großeltern, der Großmutter Maria Schneider und dem Großvater Franz Xaver Schneider, im Haus Mariengrund in Berchtesgaden-Schönau. Am 21. Juni 1941 wird ihr Bruder Wolfdieter geboren. Im September 1944 ist Romys Einschulung. Ein Jahr später lassen sich ihre Eltern scheiden. Am 1. Juli 1949 kommt Romy als Schülerin ins Internat Goldenstein.
Ihre Großmutter Rosa Albach-Retty, der Vater Wolf Albach-Retty und andere Personen erzählen über Romys Kindheit in den ersten zehn Lebensjahren.
»Ich erlebte in den Märztagen desrJahres 1938 eine große Freude«, schreibt Rosa Albach-Retty (1874–1980), die Großmutter von Romy Schneider väterlicherseits, in ihren Memoiren So kurz sind hundert Jahre.
»Magda und Wolf teilten mir mit, dass ich im Herbst Großmama werden würde. Magda wünschte sich einen Sohn, Wolf eine Tochter. Welchen Namen sollte das Kind bekommen?«
›Wenn’s ein Bub wird, muss er Wolf heißen!‹, erklärte Magda. Mein Sohn legte sich nicht fest. ›Mir is des wurscht. Vielleicht hast du a gute Idee, Roserl!‹, meinte er.
Magdas Mutter hieß Marie. Rosa und Marie? Das war’s! Eine Enkelin sollte die Namen von uns Großmüttern tragen.
Das Mädchen Rosemarie kam am 23. September 1938 zur Welt. Mein Mann und ich trauten uns an diesem Tag keinen Schritt aus dem Haus. Er hatte Magda am frühen Morgen ins Rudolfinerhaus gebracht, denn Wolf filmte in Berlin. Wir sollten ihn, wenn es soweit wäre, sofort telefonisch verständigen.
Die Stunden vergingen, aber aus der Klinik kam keine Nachricht. Spät am Abend sagte ich: ›Am besten, wir legen uns so, wie wir sind, aufs Bett. Vielleicht kommt das Kind in der Nacht. Dann müssen wir uns nicht erst lange anziehen.‹
Gegen zehn läutete das Telefon. Dozent Mikulies war am Apparat, Magdas Geburtshelfer.
›Sie haben vor einer Viertelstunde eine Enkelin bekomment!,‹ rief er. ›Ein besonders hübsches Baby!‹
Wir machten uns sofort auf den Weg und sahen Romy noch in derselben Nacht. Mit dem goldblonden Flaum, der sich in vielen kleinen Kringeln um ihr Köpfchen legte, den großen blauen, langbewimperten Augen und den zwei Wangengrübchen sah sie wie einer von den Blasengeln aus, die in der kleinen Kirche am Königssee, wo ihre Eltern geheiratet hatten, über dem Altar schweben.
Auf meine Enkelin war ich genauso stolz wie zweiunddreißig Jahre vorher auf meinen Sohn. Immer wenn ihre Eltern in den folgenden fünf Jahren in Wien filmten, war sie bei uns. Oft viele Wochen lang. Hier bekam sie ihre ersten Zähnchen, hier hörte ich sie zum ersten Mal ›Mama‹ und ›Papa‹, ›Oma‹ und ›Opa‹ sagen.«
Und ihre Mutter Magda Schneider berichtet in ihren Erinnerungen Wenn ich zurückschau … »Ich lag im Kreißsaal eines Krankenhauses in Wien. Kurz nach 22 Uhr war Romy da – pumperlgesund.« Das Mädchen Rosemarie ist 3,2 Kilogramm schwer und 51 Zentimeter groß.
Romy ist also im Billroth-Krankenhaus, heute als Rudolfinerhaus bekannt, um 22 Uhr 08 geboren und wird in der Kapelle dort auf den Namen Rosemarie Magdalena Albach getauft.
Seit März hatte sich Österreich durch den Anschluss an das Hitlerdeutschland total verändert. Am 15. März 1938, hat Hitler in Wien auf dem Heldenplatz den Eintritt Österreichs in das Deutsche Reich verkündet. Aus Deutschland war damit das Großdeutsche Reich geworden, aus Wien wurde der Reichsgau Groß-Wien. Nach einer Volksabstimmung zur Heimkehr ins Reich wurden die über sechs Millionen Österreicher zu Deutschen. Romy bekam bei ihrer Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft.
Bereits vier Wochen nach Romys Geburt beschließen die Eltern, einen festen Wohnsitz in ihrem Landhaus zu beziehen.
Von ihren Filmgagen hat sich Magda das schöne Domizil bauen lassen. Sie hat damit einen Traum verwirklicht, in dieser idyllischen Gegend ein Haus zu besitzen. 1936 wurde der Grundstein gelegt, der Ort heißt Schönau und liegt zwischen Berchtesgaden und dem Königssee. Sie nennt das Haus Mariengrund, und 1937 können zunächst ihre Eltern einziehen.
Mit fünfundzwanzig Jahren ist Magda Schneider Hausbesitzerin von einem der schönsten Landhäuser im oberbayrischen Stil geworden. Umgeben von den Alpen, mit großem Garten, umlaufendem Balkon mit den hängenden Geranien, Sprossenfenstern, Feldsteineinfassung, Erkerzimmer, Jagdzimmer, umgeben von blühenden Bergwiesen.
Romy wird sich zeitlebens dorthin zurücksehnen: »Es ist wundervoll. Ich mag die Berge. Ich mag diese grünen Wiesen und ich könnte die Kühe umarmen, wenn sie mit ihren scheppernden Glocken auf den Almen herumlaufen.«
Wer waren die Menschen, die Romy mit liebevoller Fürsorge in ihren ersten Lebensjahren betreuten?
Das sind zunächst: Magda Schneiders Eltern, die Großmutter Maria Schneider, die erst neunundfünfzig Jahre alt ist, als Romy geboren wird, und die am 1. August 1951 stirbt. Und der Großvater Xaver Schneider (1878–1959), von dem Romy die einzige ordentliche Tracht Prügel bekommt, als sie einmal den Herrn Pfarrer angelogen hat. Der Großvater, der ein Installateurgeschäft in Augsburg besaß und sich bereits um alle baulichen Maßnahmen des Hauses gekümmert hatte, und die Großmutter, der Romy ein liebevolles Andenken bewahrte, sind die betreuenden Personen.
So schrieb im Jahr des Todes der Großmutter, genau vier Monate später, am 1. Dezember 1951, Romy in ihr Tagebuch: »Omale, heute habe ich Deinen schönen warmen Rock an! So schön warm ist er. Strick mir noch einen! Ach! Gott. Du bist ja nimmer. Wie wird es nur zu Weihnachten heuer werden … So gern möchte ich Dir noch ein nettes Weihnachtsgeschenk machen, und ich tu es auch. Ich bring Dir’s halt zum Grab. Gelt?!«
Hinzu kommt in den ersten Jahren eine festangestellte Kinderschwester namens Hedwig, auch Hedy oder Deda genannt, die in ein Tagebuch Romys nahezu täglichen Fortschritte einträgt – wie krabbeln, laufen, spielen, baden, sprechen. Oder Telegramme an die Mutter Magda verschickt: über den ersten Zahn. Den Gurt im Kinderwagen lehnt Romy ab. Beim täglichen Baden gibt’s eine Überschwemmung. Sie wird auch zornig, wenn es nicht nach ihrem Willen geht. Und am 4. Juli, also mit zehn Monaten, kann Romy bereits laufen, wenn auch nur zwei bis drei Schritte.
Zum ersten Geburtstag gibt’s einen Bären, einen Brummkreisel, einen Puppenwagen und ein Äffchen. Und viele Fotos vom »Goldschatz« werden gemacht. Am 21. Ju1i 1941 wird Romys Bruder Wolfdieter geboren. Mit ihm stritt sie sich als drei Jahre ältere Schwester heftig, um sich mit ihm aber auch bald wieder zu versöhnen und wieder ein Herz und eine Seele zu sein.
Romys zweiter Ehemann Daniel Biasini beschreibt von einem Aufenthalt in Südfrankreich zum ersten Geburtstag der gemeinsamen Tochter Sarah in seinem Buch Meine Romy, dass auch bei diesem Familienfest Romys Bruder Wolfi anwesend war, auf einer Segeltour mit der Danycha.
»Zwar liebte Romy ihren Bruder innig, was sie aber nicht davon abhielt, mit ihm bisweilen auf Teufel komm raus zu streiten. Die Abgeschlossenheit eines Bootes, mit dem sie ein paar Tage lang auf offenem Meer schipperten, war diesbezüglich oft eine Bewährungsprobe. Wenn sich Romy mit Wolfi stritt, krachte es immer gewaltig. Einmal war es so arg, dass ich befürchtete, sie würde ihm den nächsten Gegenstand an den Kopf werfen. Und ich musste an jene Erzählungen aus Romys Kindheit denken, in denen sie mir von ihren Kämpfen mit Wolfi berichtet hatte. Das Ende aber war stets gleich – voller Zärtlichkeit und schwesterlicher Liebe suchte sie die Versöhnung. Das konnte nach wenigen Minuten geschehen. Aber manchmal hat es ein paar Tage gedauert.«
Und die Eltern? Beide waren fest im Filmgeschäft engagiert. Magda ist während des Krieges in sechs, Wolf in zweiundzwanzig Filmen zu sehen, zwischen 1933 und 1943 drehen Magda Schneider und Wolf Albach-Retty neun gemeinsame Filme.
Magda Schneider (1909–1996), in Augsburg-Pfersee geboren, kommt aus einem Umfeld, aus dem es keine künstlerischen Vorfahren gab. Mit Geigenunterricht, Mitglied im Gesangverein, als Stenotypistin im Büro einer Getreidehandlung erarbeitete sie sich über Konservatorium und Ballettschule ihre Karriere als Soubrette, Sängerin, Bühnendarstellerin und als Filmschauspielerin.
In Opern, Operetten, Revuen steht sie auf der Bühne. Sie ging über die Provinztheater, dem Augsburger Stadttheater ans Münchner Theater am Gärtnerplatz, Engagements am Theater am Kurfürstendamm in Berlin und Wien folgen. 1931 spielt sie in ihrem ersten Film.
Ihre Rollenangebote umfassen Sekretärin, Zofe, Telefonistin, Warenhausangestellte, Journalistin, Fremdenführerin, Ärztin – also der Rollentyp des »Mädels von nebenan«, und so werden ihr von der Presse »pfiffiger Charme«, »betörende Natürlichkeit« und »herzliche Frische« bescheinigt. Es sind Filme ohne künstlerischen Anspruch, Filme, die unterhalten wollen, musikalische Lustspiele, beschwingte Filmoperetten, Alltagskomödien mit Tanzeinlagen und Schlagern.
Magda Schneider ist in Romys Kindheit pausenlos beschäftigt, die wenigen Tage in Mariengrund bei ihren Kindern sind »Ferientage«, so habe es nie »den tötenden Alltag« gegeben. Das hektische Filmleben in Berlin und Wien beginnt gleich nach Romys Geburt erneut.
In harmlosen Verwechslungskomödien wird gesungen und getanzt, was Magdas gesanglicher und tänzerischer Ausbildung entgegenkommt. Ihr Typ wird immer mehr gefragt, ihr gelingt es, sowohl mit Anmut und Keckheit ein sympathisches Büromädel zu verkörpern, als auch eine selbstbewusste junge Frau darzustellen. Ihre beste Charakterrolle war die Christine in Max Ophüls‘ Film Liebelei, 1933, nach Arthur Schnitzlers gleichnamigem Stück. Romy wird diese Rolle der Christine 1958 in Paris mit Alain Delon spielen, fünfundzwanzig Jahre später.
Magda hat die Erziehung der beiden Kinder ihren Eltern und der Kinderschwester übertragen und konzentriert sich in diesen Jahren voll auf ihren Beruf.
Der Vater, Wolf Albach-Retty (1906–1967), ist noch seltener zu Hause in Mariengrund.
Er wurde im Mai 1906 in Wien geboren und ist Spross einer alten Schauspielerfamilie. Mit ihm steht die fünfte Generation der Rettys auf der Bühne. Seine Mutter, Rosa Albach-Retty, war bereits 1891 am Deutschen Theater in Berlin engagiert, wo ihr Vater als Charakterspieler und Regisseur verpflichtet war. Seit 1895 spielte sie am Wiener Volkstheater und ab 1903 am Burgtheater in Wien. Fünfundfünzig Jahre war sie dort Hofschauspielerin mit einem eigenen Fiaker. Der fesche Oberleutnant im Generalstab Karl Albach nahm Abschied vom Militär und wurde Rechtsanwalt.
1896 heirateten sie. Ihren Sohn nannte sie lebenslang Wolfi und er sie im lockeren freundschaftlichen Verhältnis Roserl. Er hat alle Freiheiten, interessiert sich für schnelle Autos und für Frauen.
So ist er bereits als Vierzehnjähriger, als die Eltern mit Dienstboten in die jährliche Sommerfrische nach St. Gilgen am Wolfgangsee fahren, einen ganzen Tag und auch die folgende Nacht verschollen.
»Natürlich machten wir die ganze Nacht kein Auge zu. Im Morgengrauen sprang mein Mann aus dem Bett, zog sich hastig an und eröffnete mir: ›Ich glaub, ich weiß, wo sich das Bürscherl herumtreibt!‹
Er eilte aus dem Haus und kam zwei Stunden später mit Wolfi wieder, der sichtlich beleidigt neben ihm hertrottete. ›Weißt du, wo ich ihn gefunden hab? Bei der Zirkusreiterin im Wohnwagen!‹
›Ja, was hast du denn dort gemacht, Wolfi?‹, fragte ich. Er blieb stumm.
›Seiltanzen hat er höchstwahrscheinlich lernen wollen!‹
Die Ironie in der Stimme meines Mannes war deutlich zu spüren.
›Seiltanzen???‹
›Geh, Rosi, sei nicht gar so naiv!‹ Jetzt lachte mein Mann übers ganze Gesicht. Da endlich begann ich zu begreifen. Wolfi hatte genug von der ›faden Schul‹ und wollte zum Zirkus gehen.«
Im Reinhardt-Seminar wird er nach dem Vorsprechen sofort aufgenommen und nach zweijähriger Ausbildung am Burgtheater engagiert. »Große Spielfreudigkeit« und »bemerkenswertes Talent« werden ihm bescheinigt. Hier steht er auch mit seiner Mutter auf der Bühne. Doch die Verlockungen des Films sind größer.
»Ich wusste, wie fasziniert Wolf vom Film war und von der Aussicht, rasch berühmt zu werden und viel Geld zu verdienen.
Die Damen haben es unserem Sohn zeitlebens leicht gemacht. Und er konnte schwer nein sagen. Film, Autos und Frauen waren, solange er jung war, die Leitmotive seines Lebens.
Im Frühling 1933 drehte Wolf in der Schweiz Kind, ich freu’ mich auf Dein Kommen. Eines Tages rief er mich aus Lugano an.
›Roserl, ich bin sehr glücklich. Ich hab die Frau fürs Leben gefunden!‹
›Schon wieder?‹, scherzte ich.
›Diesmal ist es ernst. Sie ist bildhübsch, gescheit, lieb und seriös‹, beeilte er sich mir mitzuteilen. Jetzt war meine Neugier geweckt. ›Wie heißt sie denn?‹, wollte ich wissen.
›Magda Schneider!‹
Ich atmete erleichtet auf. ›Ah-ja, die ist entzückend!‹ Ich hatte sie kurz vorher in der Verfilmung von Schnitzlers Liebelei gesehen und in der Zeitung gelesen, dass sie die Rolle der Christine gegen stärkste Konkurrenz bekommen hatte.«
Wolf Albach-Rettys Aufstieg zum Leinwandstar geht nur langsam voran. Noch spielt er mit Lilian Harvey in Zwei Herzen und ein Schlag mit mäßigem Erfolg, doch er wird in Zukunft auf einen Rollentyp festgelegt: als Draufgänger, Charmeur, Lebemann, Schwerenöter, und das in Lustspielen und romantischen Komödien. Wechselnde Affären, Flirts, Eroberungen bringen ihm bald den Ruf eines charmanten Frauenhelden, Schürzenjägers und Herzensbrechers ein, aber auch den dazugehörigen Glamour.
Und so ist auch Magda Schneider nach dem gemeinsamen Film Kind, ich freu’ mich auf Dein Kommen 1934 zur Verlobung bereit.
Die beiden werden das Traumpaar des deutschen Kinos. Es entstehen 1935 zwei Filme, 1936 drei Filme. Alles natürlich Schwänke, Komödien und Lustspiele – reine Unterhaltungsfilme.
Am 11. Mai 1937 heiraten Magda Schneider, wohnhaft Berlin-Wilmersdorf, Zähringerstraße 9, und Wolf Albach-Retty, wohnhaft in Berlin-Charlottenburg, Kurfürstendamm 63, auf dem Standesamt in Berlin-Charlottenburg.
Ihr gemeinsamer Familienname ist Albach. Trotzdem behalten sie ihre Künstlernamen bei: Magda Schneider und Wolf Albach-Retty.
Eine kirchliche Trauung gibt es am 2. August 1937 in St. Bartolomä am Königssee und eine große Feier im Landhaus Mariengrund.
Alles geht weiter wie bisher: Filmarbeit beider Eltern in Wien und in Berlin, wenige gemeinsame Tage zwischen den Drehtagen in Mariengrund. Der Vater liebte es, unbekümmert und zwanglos zu sein. Am liebsten hatte er krachlederne Hosen an und fuhr zur Wildschweinjagd nach Ungarn und vermied alle steife Etikette.
»Ich bin überhaupt ein großer Tierfreund. Und besonders Jagdhunde hab ich gern. Ich bin nämlich ein passionierter Jäger. Romy hat als kleines Mädel eine meiner schönsten Trophäen, einen ausgestopften Fuchs, als Reitpferd benutzt. Er stand in unserem Haus in Berchtesgaden. Wie ausgefranst der Arme bald aussah! Zuerst riss sie ihm vor lauter Liebe ein Ohr aus, dann den Schwanz, dann das zweite Ohr. Aus Liebe, versteht sich. Sie war halt so ein temperamentvolles Kind. Zum Schluss musste auch noch ein Bein dran glauben. Ich bin im Grunde sehr bürgerlich. Jagen und Bergsteigen ist mir das Allerschönste. Auch Romy ging leidenschaftlich gern auf die Jagd. ›Gelt, Vati, du nimmst mich mit‹, bettelte sie schon mit vier Jahren. Sie verhielt sich auch immer sehr ruhig und vernünftig, fast wie eine Erwachsene. Nur wenn es einmal etwas später und bereits dunkel wurde, bekam sie es mit der Angst zu tun«, schrieb Wolf Albach-Retty 1955.
Auch Magda berichtet, dass sie immer nur für wenige Tage nach Hause kam. Es waren dann Ferien für sie, eine kurze Zeit der Erholung, des Nichtstuns, ruhen, ausspannen, wandern, spielen und vom Film und Beruf nichts hören und sehen.
Wenn die Eltern in Wien filmten, war Romy auch bei den Großeltern Rosa und Karl Albach.
»Romy konnte damals kein ›Ö‹ aussprechen. ›Diese büse Hexe‹, rief sie, wenn ich ihr meine selbsterdachten Geschichten erzählte. Anders als seinerzeit Wolf konnte sie gar nicht genug davon hören. Und wenn gegen Abend unsere Anna ins Zimmer kam und mich mahnte: ›Gnä Frau, es ist Zeit für die Abendvorstellung‹, wurde sie fuchsteufelswild.
›Geh nicht weg!‹ Sie hängte sich an meinen Hals, verkrallte sich in meinem Kleid. ›Dieses blüde, blüde Burgtheater nimmt mir meine Oma weg!‹, rief sie weinend. Sie war schon damals sehr eigenwillig.«
Romy hat während ihrer ganzen Kindheit unter der ständigen Abwesenheit ihrer Eltern gelitten und den Weggang des Vaters als höchst traumatisches Erlebnis empfunden.
Im oberen Geschoss des Hauses war ihr kleines Mädchenzimmer. Einfach eingerichtet mit persönlichen Sachen, ihre bunt bemalten Holzteller standen dort. Sehr ordentlich muss sie nicht gewesen sein. Vom Internat in Goldenstein schreibt sie 1949: »Ich habe jetzt Ordnung im Kasten«, und stolz in einem Brief: »Ich kann jetzt schon mehr Ordnung halten wie zuhause. Ich habe auch schon einmal in Ordnung einen 1er bekommen!!!« Und später: »Ich freu mich so irrsinnig auf Berchtesgaden, auf mein eigenes Zimmer, das ich ganz für mich alleine haben kann. Wie schön ist das, wenn man irgendwo ein eigenes Zimmer hat, von dem man weiß, dass es immer da ist. Man kann sich darin verkriechen, die Tür zumachen und allein sein mit sich, ganz für sich. Ich liebe das kleine Zimmer in Berchtesgaden, ich kann mich hinlegen und lesen und meinen eigenen Gedanken nachhängen«, sagt sie nach den ersten Filmarbeiten.
Trennungen im Beruf, Filmen an verschiedenen Drehorten, in Wien, Berlin und Prag, wechselnde Filmpartner, Affären und Liebschaften, verbunden mit Klatsch und Tratsch in der Filmbranche, viele Verlockungen belasten die Beziehung von Romys Eltern.
Eines Tages dann konfrontiert Wolf Albach-Retty seine Frau Magda mit dem Entschluss, dass die neue Frau an seiner Seite die einunddreißigjährige Schauspielerin Trude Marlen sein werde. Es soll diesmal kein flüchtiges Abenteuer sein, sondern eine Verbindung fürs Leben, das ist seine entgültige Entscheidung.
Romy ist gerade erst fünf, Wolfi zwei Jahre alt.
Magda fühlt sich vom »siebenten Himmel« auf die »raue Erde« hinuntergestoßen.
1943 trennt sich das Ehepaar, im Februar 1945 lassen sie sich nach achtjähriger Ehe scheiden. Magda Schneider heiratet im Dezember 1953 den Hotelier Hans Herbert Blatzheim.
Selbstverständlich bemerkte Romy als Kind die lange Abwesenheit ihres Vaters schmerzlich, sie erlebt die Trennung, die Trauer der Mutter über seinen Weggang – das wird eine prägende Erfahrung ihres Lebens bleiben. Der Vater ist in weite Ferne gerückt. In den nächsten Jahren wird sie sich freuen, wenn sie ihn einmal auf der Leinwand sehen wird. »Als junges Mädchen saß ich am liebsten im Zimmer von meinem Vater, der ja nicht mehr im Haus war, der meine Mutter verlassen hatte. Da war ich ganz allein. Ich wusste, ich saß im Zimmer von jemand, der mich sehr liebte. Der wohl kein wirklicher Vater war, der schon nach dem Kauf von zwei Paar Schuhen für mich und meinen Bruder total fertig war und sagte, i kann nit mehr. Aber in diesem Raum fühlte ich mich trotzdem nie allein.«
Und Romys zweiter Mann Daniel Biasini hat zutreffend beobachtet: »Obwohl sich beide Elternteile nicht eben fürsorglich um ihre Kinder bemühten, hing Romy mit einer großen Zuneigung an ihnen. Vor allem die Liebe zum Vater, der kaum für sie da war, erschien mir bemerkenswert. Romy hat ihn geradezu abgöttisch geliebt.
Ich glaube, dass Romy mehr unter dieser Scheidung gelitten hat, als es ihrer Mutter bewusst war.
Auf Wolf Albach-Retty, ihren Vater, war sie ganz im Gegensatz zu Magda Schneiders öffentlichen Beteuerungen ziemlich stolz. Fesch war er, das hat sie immer wieder unterstrichen, und lieb war er zu ihr.
Und Magda glaubte auch in ihrer bisweilen fast kindlichen Naivität zu bemerken, dass der wirkliche Vater ›ganz allmählich und unmerklich aus dem Leben meiner Kinder verschwand‹. Das war – zumindest was Romy betrifft – ein absoluter Trugschluss. Zwar hatte sich Wolf Albach-Retty, wie schon erwähnt, bei seinen Kindern ziemlich rar gemacht, aber allein die Art und Weise, wie Romy über ihren Vater sprach, deutete eher darauf hin, dass sie eigentlich sehr zärtliche Gefühle und großes Verständnis für ihn empfand. Als erwachsene Frau ohnehin, aber auch als Kind.«
Im September 1944 wird Romy eingeschult, sie besucht die Volksschule in Schönau. Mathematik gehört nicht zu ihren Lieblingsfächern, dafür aber umso mehr alle musischen Fächer wie Musik, Geschichte, Heimatkunde, vor allem Zeichenunterunterricht. Magda ist von nun an für ihre beiden Kinder, ihre alten Eltern, für ihre Hausangestellten und Kindermädchen allein verantwortlich. In der angespannten Ernährungslage des Krieges helfen ihr der prominente Name, die Popularität ihrer Filme, wenn sie nun selbst Lebensmittel bei den Bauern in der Gegend beschaffen muss.
Ihre Karriere kommt 1945 zum Stillstand. Deutsche und österreichische Filmstudios sind zerstört, ebenso die Kinos. Da helfen ihr ebenso die frühen Bühnenerfolge. Provisorische Behelfsbühnen sind schnell aufgestellt, im Freien oder in einer Gaststube, beschäftigungslose Filmschauspieler gibt es genug, so werden sogenannte »Bunte Abende« mit unterhaltsamen Programmen veranstaltet, die Musik und Tanzeinlagen erfordern. Magda ergreift diese Chance und spielt wieder in Lustspielen und Sketchen.
Romy ist im katholischen Glauben erzogen. Am 6. Juni 1949 erhält sie im Salzburger Dom ihre Firmungsurkunde. Magda beschließt, Romy auf das Internat in Gmunden am Traunsee zu schicken, doch nach kurzer Zeit meldet sie sie bei dem von katholischen Augustinerinnen geleiteten Internat Goldenstein in der Nähe von Salzburg an.
Hier lebt Romy vom 1. Juli 1949 bis zum 12. Juli 1953. Die Trennung von ihrem ländlichen Lebensumfeld fällt ihr schwer. Es gibt keinen Bruder mehr, keine Großeltern, die mit ihrer Wärme und Herzlichkeit jeden Tag da waren.
Neue Schulfächer kommen hinzu wie Englisch, die Exerzitien, das heißt von morgens bis abends Schweigegebot, das frühe Aufstehen um 6 Uhr 30, die Übernachtungen im Schlafsaal mit anderen Mädchen auf kargen Holzbetten. Zucht und Ordnung werden sie auf eine harte Probe stellen. Mangelnde Disziplin und Wildheit wird man ihr vorwerfen und sie dafür hart bestrafen. »Viele, viele Strafstunden« wird sie in ihr Tagebuch eintragen.
Schwester Augustina, die Romys Klassenlehrerin während der ganzen Jahre war, erinnert sich:
»Damals konnten die Kinder einmal im Monat nach Hause fahren. Das aber war bei ihr nicht der Fall, Romy war sich selbst überlassen. Magda Schneider setzte ihre Tournee fort und besuchte nur selten ihre Tochter. Besonders zufrieden war Romy, wenn ich ankündigte, dass wir wieder Theater spielen würden.
Ich hatte schnell bemerkt, dass sie ein echtes schauspielerisches Talent besaß. Sie sagte schon damals, dass sie später Schauspielerin werden wollte. Ich unterrichtete sie in Englisch, im Zeichnen und in Musik, und sie erwies sich in allen drei Fächern als sehr begabt, in denen sie als Zensur immer eine Eins hatte. Sie besaß ein fantastisches Talent im ornamentalen Zeichnen.
Die Mathematik mochte Romy überhaupt nicht. Wenn es sich um das Theater handelte, war alles andere nebensächlich. So ließ sie sich zum Beispiel von ihrem Vater ein Kostüm aus dem Fundus des Wiener Burgtheaters schicken, um die Rolle des Mephisto zu spielen. Aber ihr Vater hat sie niemals besucht.
Als Romy uns verließ, war sie vierzehn Jahre alt.
Romy wohnte mit sechzehn anderen jungen Mädchen im Rittersaal des Schlosses. Sie war sehr liederlich. Wenn man sie bat, Ordnung zu schaffen, regte sie sich auf. Aber die anderen Mädchen hatten sie gern, weil sie sehr gut Theater spielte.«
Auch Schwester Esmelda, die für den Schlafsaal verantwortlich war, erzählt über Romy:
»Ich habe sie immer so akpeptiert, wie sie war. Natürlich musste ich sie zur Ordnung rufen, wenn sie allzu nachlässig war. Aber ich dachte immer, dass sich das mit der Zeit geben würde. Sie zeigte selten ihre tiefen Gefühle. Alle anerkannten ihr großes Talent für das Theater und den Tanz. Darin hatte sie immer Erfolg und riss alle mit. Ich glaube auch, dass die anderen Mädchen sie sehr gern hatten. Später sagten sie es mir manchmal. Aber Romy war eher einsam. Sie war unausgeglichen und innerlich mit sich selbst unzufrieden. Sie hatte eine gute Sprachbegabung und ein außergewöhnliches Gedächtnis beim Auswendiglernen. Sie hat mir später echt gefehlt. Sie hatte nicht viele persönliche Dinge. Ihre Mutter schickte ihr nichts, und ich habe sie hier auch nur zwei oder dreimal gesehen. Ihre Großmutter ist niemals gekommen. Ihr Bruder Wolfdieter war anfangs vielleicht zweimal hier.«
Und Romy selbst? Sie hat Sehnsucht nach zu Hause und nach der großen Welt. So schreibt sie am 10. Oktober 1952 in ihr Tagebuch:
»Wenn man im Klassenzimmer sitzt und aus dem Fenster guckt, sieht man Elsbethen. So heißt das Dorf direkt am Internat. Da ist die Kirche, und ringsum hocken die kleinen Häuser wie Küken bei ihrer Glucke. Man sieht auf die Hauptstraße. Sie führt nach Salzburg, und wenn man immer weiterfährt, dann kommt man nach Wien, Wien! Das muss eine herrliche Stadt sein. Ich kenne sie gar nicht, obwohl ich dort geboren bin. Komisch, ich bin also eine richtige Weanerin! Ich war nur in den ersten vier Wochen dort. Seitdem lebte ich in Berchtesgaden. Da haben wir ein hübsches Haus. Ich war immer schrecklich gern da. Wolfi hat es gut. Der ist immer noch zu Hause. Ich habe richtige Sehnsucht, mal wieder hinzukommen. So schön wie früher wird es allerdings nie mehr werden. Seit Oma tot ist, fehlt doch etwas im Haus. Sie hat immer so nett gesorgt, wenn Mami unterwegs war zum Filmen. Ich möchte raus hier. Ich möchte auch etwas von der Welt sehen, und wenn es nur ein ganz kleines Stück ist!«